The Project Gutenberg EBook of Menschliches, Allzumenschliches by Friedrich Wilhelm Nietzsche Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Menschliches, Allzumenschliches Ein Buch f�r freie Geister Friedrich Nietzsche Inhalt An Stelle einer Vorrede Von den ersten und letzten Dingen Zur Geschichte der moralischen Empfindungen Das religi�se Leben Aus der Seele der K�nstler und Schriftsteller Anzeichen h�herer und niederer Cultur Der Mensch im Verkehr Weib und Kind Ein Blick auf den Staat Der Mensch mit sich allein Ein Nachspiel Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch f�r freie Geister Erster Band An Stelle einer Vorrede. - eine Zeit lang erwog ich die verschiedenen Besch�ftigungen, denen sich die Menschen in diesem Leben �berlassen und machte den Versuch, die beste von ihnen auszuw�hlen. Aber es thut nicht noth, hier zu erz�hlen, auf was f�r Gedanken ich dabei kam: genug, dass f�r meinen Theil mir Nichts besser erschien, als wenn ich streng bei meinem Vorhaben verbliebe, das heisst: wenn ich die ganze Frist des Lebens darauf verwendete, meine Vernunft auszubilden und den Spuren der Wahrheit in der Art und Weise, welche ich mir vorgesetzt hatte, nachzugehen. Denn die Fr�chte, welche ich auf diesem Wege schon gekostet hatte, waren der Art, dass nach meinem Urtheile in diesem Leben nichts Angenehmeres, nichts Unschuldigeres gefunden werden kann; zudem liess mich jeder Tag, seit ich jene Art der Betrachtung zu H�lfe nahm, etwas Neues entdecken, das immer von einigem Gewichte und durchaus nicht allgemein bekannt war. Da wurde endlich meine Seele so voll von Freudigkeit, dass alle �brigen Dinge ihr Nichts mehr anthun konnten. Aus dem Lateinischen des Cartesius. Vorrede. 1. Es ist mir oft genug und immer mit grossem Befremden ausgedr�ckt worden, dass es etwas Gemeinsames und Auszeichnendes an allen meinen Schriften g�be, von der "Geburt der Trag�die" an bis zum letzthin ver�ffentlichten "Vorspiel einer Philosophie der Zukunft": sie enthielten allesammt, hat man mir gesagt, Schlingen und Netze f�r unvorsichtige V�gel und beinahe eine best�ndige unvermerkte Aufforderung zur Umkehrung gewohnter Werthsch�tzungen und gesch�tzter Gewohnheiten. Wie? Alles nur - menschlich-allzumenschlich? Mit diesem Seufzer komme man aus meinen Schriften heraus, nicht ohne eine Art Scheu und Misstrauen selbst gegen die Moral, ja nicht �bel versucht und ermuthigt, einmal den F�rsprecher der schlimmsten Dinge zu machen: wie als ob sie vielleicht nur die bestverleumdeten seien? Man hat meine Schriften eine Schule des Verdachts genannt, noch mehr der Verachtung, gl�cklicherweise auch des Muthes, ja der Verwegenheit. In der That, ich selbst glaube nicht, dass jemals jemand mit einem gleich tiefen Verdachte in die Welt gesehn hat, und nicht nur als gelegentlicher Anwalt des Teufels, sondern ebenso sehr, theologisch zu reden, als Feind und Vorforderer Gottes; und wer etwas von den Folgen err�th, die in jedem tiefen Verdachte liegen, etwas von den Fr�sten und Aengsten der Vereinsamung, zu denen jede unbedingte Verschiedenheit des Blicks den mit ihr Behafteten verurtheilt, wird auch verstehn, wie oft ich zur Erholung von mir, gleichsam zum zeitweiligen Selbstvergessen, irgendwo unterzutreten suchte - in irgend einer Verehrung oder Feindschaft oder Wissenschaftlichkeit oder Leichtfertigkeit oder Dummheit; auch warum ich, wo ich nicht fand, was ich brauchte, es mir k�nstlich erzwingen, zurecht f�lschen, zurecht dichten musste (- und was haben Dichter je Anderes gethan? und wozu w�re alle Kunst in der Welt da?). Was ich aber immer wieder am n�thigsten brauchte, zu meiner Kur und Selbst-Wiederherstellung, das war der Glaube, nicht dergestalt einzeln zu sein, einzeln zu sehn, - ein zauberhafter Argwohn von Verwandtschaft und Gleichheit in Auge und Begierde, ein Ausruhen im Vertrauen der Freundschaft, eine Blindheit zu Zweien ohne Verdacht und Fragezeichen, ein Genuss an Vordergr�nden, Oberfl�chen, Nahem, N�chstem, an Allem, was Farbe, Haut und Scheinbarkeit hat. Vielleicht, dass man mir in diesem Betrachte mancherlei "Kunst", mancherlei feinere Falschm�nzerei vorr�cken k�nnte: zum Beispiel, dass ich wissentlich-willentlich die Augen vor Schopenhauer's blindem Willen zur Moral zugemacht h�tte, zu einer Zeit, wo ich �ber Moral schon hellsichtig genug war; insgleichen dass ich mich �ber Richard Wagner's unheilbare Romantik betrogen h�tte, wie als ob sie ein Anfang und nicht ein Ende sei; insgleichen �ber die Griechen, insgleichen �ber die Deutschen und ihre Zukunft - und es g�be vielleicht noch eine ganze lange Liste solcher Insgleichen? - gesetzt aber, dies Alles w�re wahr und mit gutem Grunde mir vorger�ckt, was wisst ihr davon, was k�nntet ihr davon wissen, wie viel List der Selbst-Erhaltung, wie viel Vernunft und h�here Obhut in solchem Selbst-Betruge enthalten ist, - und wie viel Falschheit mir noch noth hut, damit ich mir immer wieder den Luxus meiner Wahrhaftigkeit gestatten darf?... Genug, ich lebe noch; und das Leben ist nun einmal nicht von der Moral ausgedacht: es will T�uschung, es lebt von der T�uschung... aber nicht wahr? da beginne ich bereits wieder und thue, was ich immer gethan habe, ich alter Immoralist und Vogelsteller - und rede unmoralisch, aussermoralisch, "jenseits von Gut und B�se"? - 2. - So habe ich denn einstmals, als ich es n�thig hatte, mir auch die "freien Geister" erfunden, denen dieses schwerm�thig-muthige Buch mit dem Titel "Menschliches, Allzumenschliches" gewidmet ist: dergleichen "freie Geister" giebt es nicht, gab es nicht, - aber ich hatte sie damals, wie gesagt, zur Gesellschaft n�thig, um guter Dinge zu bleiben inmitten schlimmer Dinge (Krankheit, Vereinsamung, Fremde, Acedia, Unth�tigkeit): als tapfere Gesellen und Gespenster, mit denen man schw�tzt und lacht, wenn man Lust hat zu schw�tzen und zu lachen, und die man zum Teufel schickt, wenn sie langweilig werden, - als ein Schadenersatz f�r mangelnde Freunde. Dass es dergleichen freie Geister einmal geben k�nnte, dass unser Europa unter seinen S�hnen von Morgen und Uebermorgen solche muntere und verwegene Gesellen haben wird, leibhaft und handgreiflich und nicht nur, wie in meinem Falle, als Schemen und Einsiedler-Schattenspiel: daran m�chte ich am wenigsten zweifeln. Ich sehe sie bereits kommen, langsam, langsam; und vielleicht thue ich etwas, um ihr Kommen zu beschleunigen, wenn ich zum Voraus beschreibe, unter welchen Schicksalen ich sie entstehn, auf welchen Wegen ich sie kommen sehe? - 3. Man darf vermuthen, dass ein Geist, in dem der Typus "freier Geist" einmal bis zur Vollkommenheit reif und s�ss werden soll, sein entscheidendes Ereigniss in einer grossen Losl�sung gehabt hat, und dass er vorher um so mehr ein gebundener Geist war und f�r immer an seine Ecke und S�ule gefesselt schien. Was bindet am festesten? welche Stricke sind beinahe unzerreissbar? Bei Menschen einer hohen und ausgesuchten Art werden es die Pflichten sein: jene Ehrfurcht, wie sie der Jugend eignet, jene Scheu und Zartheit vor allem Altverehrten und W�rdigen, jene Dankbarkeit f�r den Boden, aus dem sie wuchsen, f�r die Hand, die sie f�hrte, f�r das Heiligthum, wo sie anbeten lernten, - ihre h�chsten Augenblicke selbst werden sie am festesten binden, am dauerndsten verpflichten. Die grosse Losl�sung kommt f�r solchermaassen Gebundene pl�tzlich, wie ein Erdstoss: die junge Seele wird mit Einem Male ersch�ttert, losgerissen, herausgerissen, - sie selbst versteht nicht, was sich begiebt. Ein Antrieb und Andrang waltet und wird �ber sie Herr wie ein Befehl; ein Wille und Wunsch erwacht, fortzugehn, irgend wohin, um jeden Preis; eine heftige gef�hrliche Neugierde nach einer unentdeckten Welt flammt und flackert in allen ihren Sinnen. "Lieber sterben als hier leben" - so klingt die gebieterische Stimme und Verf�hrung: und dies "hier", dies "zu Hause" ist Alles, was sie bis dahin geliebt hatte! Ein pl�tzlicher Schrecken und Argwohn gegen Das, was sie liebte, ein Blitz von Verachtung gegen Das, was ihr "Pflicht" hiess, ein aufr�hrerisches, willk�rliches, vulkanisch stossendes Verlangen nach Wanderschaft, Fremde, Entfremdung, Erk�ltung, Ern�chterung, Vereisung, ein Hass auf die Liebe, vielleicht ein tempelsch�nderischer Griff und Blick r�ckw�rts, dorthin, wo sie bis dahin anbetete und liebte, vielleicht eine Gluth der Scham �ber Das, was sie eben that, und ein Frohlocken zugleich, dass sie es that, ein trunkenes inneres frohlockendes Schaudern, in dem sich ein Sieg verr�th - ein Sieg? �ber was? �ber wen? ein r�thselhafter fragenreicher fragw�rdiger Sieg, aber der erste Sieg immerhin: - dergleichen Schlimmes und Schmerzliches geh�rt zur Geschichte der grossen Losl�sung. Sie ist eine Krankheit zugleich, die den Menschen zerst�ren kann, dieser erste Ausbruch von Kraft und Willen zur Selbstbestimmung, Selbst-Werthsetzung, dieser Wille zum freien Willen: und wie viel Krankheit dr�ckt sich an den wilden Versuchen und Seltsamkeiten aus, mit denen der Befreite, Losgel�ste sich nunmehr seine Herrschaft �ber die Dinge zu beweisen sucht! Er schweift grausam umher, mit einer unbefriedigten L�sternheit; was er erbeutet, muss die gef�hrliche Spannung seines Stolzes abb�ssen; er zerreisst, was ihn reizt. Mit einem b�sen Lachen dreht er um, was er verh�llt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, wenn man sie umkehrt. Es ist Willk�r und Lust an der Willk�r darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, - wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrunde seines Treibens und Schweifens - denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer W�ste - steht das Fragezeichen einer immer gef�hrlicheren Neugierde. "Kann man nicht alle Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht B�se? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist Alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht eben dadurch auch Betr�ger? m�ssen wir nicht auch Betr�ger sein?" - solche Gedanken f�hren und verf�hren ihn, immer weiter fort, immer weiter ab. Die Einsamkeit umringt und umringelt ihn, immer drohender, w�rgender, herzzuschn�render, jene furchtbare G�ttin und mater saeva cupidinum - aber wer weiss es heute, was Einsamkeit ist?... 4. Von dieser krankhaften Vereinsamung, von der W�ste solcher Versuchs-Jahre ist der Weg noch weit bis zu jener ungeheuren �berstr�menden Sicherheit und Gesundheit, welche der Krankheit selbst nicht entrathen mag, als eines Mittels und Angelhakens der Erkenntniss, bis zu jener reifen Freiheit des Geistes, welche ebensosehr Selbstbeherrschung und Zucht des Herzens ist und die Wege zu vielen und entgegengesetzten Denkweisen erlaubt -, bis zu jener inneren Umf�nglichkeit und Verw�hnung des Ueberreichthums, welche die Gefahr ausschliesst, dass der Geist sich etwa selbst in die eignen Wege verl�re und verliebte und in irgend einem Winkel berauscht sitzen bliebe, bis zu jenem Ueberschuss an plastischen, ausheilenden, nachbildenden und wiederherstellenden Kr�ften, welcher eben das Zeichen der grossen Gesundheit ist, jener Ueberschuss, der dem freien Geiste das gef�hrliche Vorrecht giebt, auf den Versuch hin leben und sich dem Abenteuer anbieten zu d�rfen: das Meisterschafts-Vorrecht des freien Geistes! Dazwischen m�gen lange Jahre der Genesung liegen, Jahre voll vielfarbiger schmerzlich-zauberhafter Wandlungen, beherrscht und am Z�gel gef�hrt durch einen z�hen Willen zur Gesundheit, der sich oft schon als Gesundheit zu kleiden und zu verkleiden wagt. Es giebt einen mittleren Zustand darin, dessen ein Mensch solchen Schicksals sp�ter nicht ohne R�hrung eingedenk ist: ein blasses feines Licht und Sonnengl�ck ist ihm zu eigen, ein Gef�hl von Vogel-Freiheit, Vogel-Umblick, Vogel-Uebermuth, etwas Drittes, in dem sich Neugierde und zarte Verachtung gebunden haben. Ein "freier Geist" - dies k�hle Wort thut in jenem Zustande wohl, es w�rmt beinahe. Man lebt, nicht mehr in den Fesseln von Liebe und Hass, ohne ja, ohne Nein, freiwillig nahe, freiwillig ferne, am liebsten entschl�pfend, ausweichend, fortflatternd, wieder weg, wieder empor fliegend; man ist verw�hnt, wie Jeder, der einmal ein ungeheures Vielerlei unter sich gesehn hat, - und man ward zum Gegenst�ck Derer, welche sich um Dinge bek�mmern, die sie nichts angehn. In der That, den freien Geist gehen nunmehr lauter Dinge an - und wie viele Dinge! - welche ihn nicht mehr bek�mmern... 5. Ein Schritt weiter in der Genesung: und der freie Geist n�hert sich wieder dem Leben, langsam freilich, fast widersp�nstig, fast misstrauisch. Es wird wieder w�rmer um ihn, gelber gleichsam; Gef�hl und Mitgef�hl bekommen Tiefe, Thauwinde aller Art gehen �ber ihn weg. Fast ist ihm zu Muthe, als ob ihm jetzt erst die Augen f�r das Nahe aufgiengen. Er ist verwundert und sitzt stille: wo war er doch? Diese nahen und n�chsten Dinge: wie scheinen sie ihm verwandelt! welchen Flaum und Zauber haben sie inzwischen bekommen! Er blickt dankbar zur�ck, - dankbar seiner Wanderschaft, seiner H�rte und Selbstentfremdung, seinen Fernblicken und Vogelfl�gen in kalte H�hen. Wie gut, dass er nicht wie ein z�rtlicher dumpfer Eckensteher immer "zu Hause", immer "bei sich" geblieben ist! er war ausser sich: es ist kein Zweifel. Jetzt erst sieht er sich selbst -, und welche Ueberraschungen findet er dabei! Welche unerprobten Schauder! Welches Gl�ck noch in der M�digkeit, der alten Krankheit, den R�ckf�llen des Genesenden! Wie es ihm gef�llt, leidend stillzusitzen, Geduld zu spinnen, in der Sonne zu liegen! Wer versteht sich gleich ihm auf das Gl�ck im Winter, auf die Sonnenflecke an der Mauer! Es sind die dankbarsten Thiere von der Welt, auch die bescheidensten, diese dem Leben wieder halb zugewendeten Genesenden und Eidechsen: - es giebt solche unter ihnen, die keinen Tag von sich lassen, ohne ihm ein kleines Loblied an den nachschleppenden Saum zu h�ngen. Und ernstlich geredet: es ist eine gr�ndliche Kur gegen allen Pessimismus (den Krebsschaden alter Idealisten und L�genbolde, wie bekannt -) auf die Art dieser freien Geister krank zu werden, eine gute Weile krank zu bleiben und dann, noch l�nger, noch l�nger, gesund, ich meine "ges�nder" zu werden. Es ist Weisheit darin, Lebens-Weisheit, sich die Gesundheit selbst lange Zeit nur in kleinen Dosen zu verordnen. 6. Um jene Zeit mag es endlich geschehn, unter den pl�tzlichen Lichtern einer noch ungest�men, noch wechselnden Gesundheit, dass dem freien, immer freieren Geiste sich das R�thsel jener grossen Losl�sung zu entschleiern beginnt, welches bis dahin dunkel, fragw�rdig, fast unber�hrbar in seinem Ged�chtniss gewartet hatte. Wenn er sich lange kaum zu fragen wagte "warum so abseits? so allein? Allem entsagend, was ich verehrte? der Verehrung selbst entsagend? warum diese H�rte, dieser Argwohn, dieser Hass auf die eigenen Tugenden?" - jetzt wagt und fragt er es laut und h�rt auch schon etwas wie Antwort darauf. "Du solltest Herr �ber dich werden, Herr auch �ber die eigenen Tugenden. Fr�her waren sie deine Herren; aber sie d�rfen nur deine Werkzeuge neben andren Werkzeugen sein. Du solltest Gewalt �ber dein F�r und Wider bekommen und es verstehn lernen, sie aus- und wieder einzuh�ngen, je nach deinem h�heren Zwecke. Du solltest das Perspektivische in jeder Werthsch�tzung begreifen lernen - die Verschiebung, Verzerrung und scheinbare Teleologie der Horizonte und was Alles zum Perspektivischen geh�rt; auch das St�ck Dummheit in Bezug auf entgegengesetzte Werthe und die ganze intellektuelle Einbusse, mit der sich jedes F�r, jedes Wider bezahlt macht. Du solltest die nothwendige Ungerechtigkeit in jedem F�r und Wider begreifen lernen, die Ungerechtigkeit als unabl�sbar vom Leben, das Leben selbst als bedingt durch das Perspektivische und seine Ungerechtigkeit. Du solltest vor Allem mit Augen sehn, wo die Ungerechtigkeit immer am gr�ssten ist: dort n�mlich, wo das Leben am kleinsten, engsten, d�rftigsten, anf�nglichsten entwickelt ist und dennoch nicht umhin kann, sich als Zweck und Maass der Dinge zu nehmen und seiner Erhaltung zu Liebe das H�here, Gr�ssere, Reichere heimlich und kleinlich und unabl�ssig anzubr�ckeln und in Frage zu stellen, - du solltest das Problem der Rangordnung mit Augen sehn und wie Macht und Recht und Umf�nglichkeit der Perspektive mit einander in die H�he wachsen. Du solltest" - genug, der freie Geist weiss nunmehr, welchem "du sollst" er gehorcht hat, und auch, was er jetzt kann, was er jetzt erst - darf... 7. Dergestalt giebt der freie Geist sich in Bezug auf jenes R�thsel von Losl�sung Antwort und endet damit, indem er seinen Fall verallgemeinert, sich �ber sein Erlebniss also zu entscheiden. "Wie es mir ergieng, sagt er sich, muss es jedem ergehn, in dem eine Aufgabe leibhaft werden und `zur Welt kommen` will." Die heimliche Gewalt und Nothwendigkeit dieser Aufgabe wird unter und in seinen einzelnen Schicksalen walten gleich einer unbewussten Schwangerschaft, - lange, bevor er diese Aufgabe selbst in's Auge gefasst hat und ihren Namen weiss. Unsre Bestimmung verf�gt �ber uns, auch wenn wir sie noch nicht kennen; es ist die Zukunft, die unserm Heute die Regel giebt. Gesetzt, dass es das Problem der Rangordnung ist, von dem wir sagen d�rfen, dass es unser Problem ist, wir freien Geister: jetzt, in dem Mittage unsres Lebens, verstehn wir es erst, was f�r Vorbereitungen, Umwege, Proben, Versuchungen, Verkleidungen das Problem n�thig hatte, ehe es vor uns aufsteigen durfte, und wie wir erst die vielfachsten und widersprechendsten Noth- und Gl�cksst�nde an Seele und Leib erfahren mussten, als Abenteurer und Weltumsegler jener inneren Welt, die "Mensch" heisst, als Ausmesser jedes "H�her" und "Uebereinander", das gleichfalls "Mensch" heisst - �berallhin dringend, fast ohne Furcht, nichts verschm�hend, nichts verlierend, alles auskostend, alles vom Zuf�lligen reinigend und gleichsam aussiebend - bis wir endlich sagen durften, wir freien Geister: "Hier - ein neues Problem! Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, - die wir selbst irgend wann gewesen sind! Hier ein H�her, ein Tiefer, ein Unter-uns, eine ungeheure lange Ordnung, eine Rangordnung, die wir sehen hier - unser Problem!" - 8. - Es wird keinem Psychologen und Zeichendeuter einen Augenblick verborgen bleiben, an welche Stelle der eben geschilderten Entwicklung das vorliegende Buch geh�rt (oder gestellt ist -). Aber wo giebt es heute Psychologen? In Frankreich, gewiss; vielleicht in Russland; sicherlich nicht in Deutschland. Es fehlt nicht an Gr�nden, weshalb sich dies die heutigen Deutschen sogar noch zur Ehre anrechnen k�nnten: schlimm genug f�r Einen, der in diesem St�cke undeutsch geartet und gerathen ist! Dies deutsche Buch, welches in einem weiten Umkreis von L�ndern und V�lkern seine Leser zu finden gewusst hat - es ist ungef�hr zehn Jahr unterwegs - und sich auf irgend welche Musik und Fl�tenkunst verstehn muss, durch die auch spr�de Ausl�nder-Ohren zum Horchen verf�hrt werden, - gerade in Deutschland ist dies Buch am nachl�ssigsten gelesen, am schlechtesten geh�rt worden: woran liegt das? - "Es verlangt zu viel, hat man mir geantwortet, es wendet sich an Menschen ohne die Drangsal grober Pflichten, es will feine und verw�hnte Sinne, es hat Ueberfluss n�thig, Ueberfluss an Zeit, an Helligkeit des Himmels und Herzens, an otium im verwegensten Sinne: - lauter gute Dinge, die wir Deutschen von Heute nicht haben und also auch nicht geben k�nnen." - Nach einer so artigen Antwort r�th mir meine Philosophie, zu schweigen und nicht mehr weiter zu fragen; zumal man in gewissen F�llen, wie das Spr�chwort andeutet, nur dadurch Philosoph bleibt, dass man - schweigt. Nizza, im Fr�hling 1886. Erstes Hauptst�ck. Von den ersten und letzten Dingen. 1. Chemie der Begriffe und Empfindungen. - Die Philosophischen Probleme nehmen jetzt wieder fast in allen St�cken dieselbe Form der Frage an, wie vor zweitausend Jahren.- wie kann Etwas aus seinem Gegensatz entstehen, zum Beispiel Vern�nftiges aus Vernunftlosem, Empfindendes aus Todtem, Logik aus Unlogik, interesseloses Anschauen aus begehrlichem Wollen, Leben f�r Andere aus Egoismus, Wahrheit aus Irrth�mern? Die metaphysische Philosophie half sich bisher �ber diese Schwierigkeit hinweg, insofern sie die Entstehung des Einen aus dem Andern leugnete und f�r die h�her gewertheten Dinge einen Wunder-Ursprung annahm, unmittelbar aus dem Kern und Wesen des "Dinges an sich" heraus. Die historische Philosophie dagegen, welche gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist, die allerj�ngste aller philosophischen Methoden, ermittelte in einzelnen F�llen (und vermuthlich wird diess in allen ihr Ergebniss sein), dass es keine Gegens�tze sind, ausser in der gewohnten Uebertreibung der popul�ren oder metaphysischen Auffassung und dass ein Irrthum der Vernunft dieser Gegen�berstellung zu Grunde liegt: nach ihrer Erkl�rung giebt es, streng gefasst, weder ein unegoistisches Handeln, noch ein v�llig interesseloses Anschauen, es sind beides nur Sublimirungen, bei denen das Grundelement fast verfl�chtigt erscheint und nur noch f�r die feinste Beobachtung sich als vorhanden erweist. - Alles, was wir brauchen und was erst bei der gegenw�rtigen H�he der einzelnen Wissenschaften uns gegeben werden kann, ist eine Chemie der moralischen, religi�sen, �sthetischen Vorstellungen und Empfindungen, ebenso aller jener Regungen, welche wir im Gross- und Kleinverkehr der Cultur und Gesellschaft, ja in der Einsamkeit an uns erleben: wie, wenn diese Chemie mit dem Ergebniss abschl�sse, dass auch auf diesem Gebiete die herrlichsten Farben aus niedrigen, ja verachteten Stoffen gewonnen sind? Werden Viele Lust haben, solchen Untersuchungen zu folgen? Die Menschheit liebt es, die Fragen �ber Herkunft und Anf�nge sich aus dem Sinn zu schlagen: muss man nicht fast entmenscht sein, um den entgegengesetzten Hang in sich zu sp�ren? - 2. Erbfehler der Philosophen. - Alle Philosophen haben den gemeinsamen Fehler an sich, dass sie vom gegenw�rtigen Menschen ausgehen und durch eine Analyse desselben an's Ziel zu kommen meinen. Unwillk�rlich schwebt ihnen "der Mensch" als eine aeterna veritas, als ein Gleichbleibendes in allem Strudel, als ein sicheres Maass der Dinge vor. Alles, was der Philosoph �ber den Menschen aussagt, ist aber im Grunde nicht mehr, als ein Zeugniss �ber den Menschen eines sehr beschr�nkten Zeitraumes. Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen; manche sogar nehmen unversehens die allerj�ngste Gestaltung des Menschen, wie eine solche unter dem Eindruck bestimmter Religionen, ja bestimmter politischer Ereignisse entstanden ist, als die feste Form, von der man ausgehen m�sse. Sie wollen nicht lernen, dass der Mensch geworden ist, dass auch das Erkenntnissverm�gen geworden ist; w�hrend Einige von ihnen sogar die ganze Welt aus diesem Erkenntnissverm�gen sich herausspinnen lassen. - Nun ist alles Wesentliche der menschlichen Entwickelung in Urzeiten vor sich gegangen, lange vor jenen vier tausend Jahren, die wir ungef�hr kennen; in diesen mag sich der Mensch nicht viel mehr ver�ndert haben. Da sieht aber der Philosoph "Instincte" am gegenw�rtigen Menschen und nimmt an, dass diese zu den unver�nderlichen Thatsachen des Menschen geh�ren und insofern einen Sch�ssel zum Verst�ndniss der Welt �berhaupt abgeben k�nnen; die ganze Teleologie ist darauf gebaut, dass man vom Menschen der letzten vier Jahrtausende als von einem ewigen redet, zu welchem hin alle Dinge in der Welt von ihrem Anbeginne eine nat�rliche Richtung haben. Alles aber ist geworden; es giebt keine ewigen Thatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt. - Demnach ist das historische Philosophiren von jetzt ab n�thig und mit ihm die Tugend der Bescheidung. 3. Sch�tzung der unscheinbaren Wahrheiten. - Es ist das Merkmal einer h�hern Cultur, die kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden, h�her zu sch�tzen, als die begl�ckenden und blendenden Irrth�mer, welche metaphysischen und k�nstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen. Zun�chst hat man gegen erstere den Hohn auf den Lippen, als k�nne hier gar nichts Gleichberechtigtes gegen einander stehen: so bescheiden, schlicht, n�chtern, ja scheinbar entmuthigend stehen diese, so sch�n, prunkend, berauschend, ja vielleicht beseligend stehen jene da. Aber das m�hsam Errungene, Gewisse, Dauernde und desshalb f�r jede weitere Erkenntniss noch Folgenreiche ist doch das H�here, zu ihm sich zu halten ist m�nnlich und zeigt Tapferkeit, Schlichtheit, Enthaltsamkeit an. Allm�hlich wird nicht nur der Einzelne, sondern die gesammte Menschheit zu dieser M�nnlichkeit emporgehoben werden, wenn sie sich endlich an die h�here Sch�tzung der haltbaren, dauerhaften Erkenntnisse gew�hnt und allen Glauben an Inspiration und wundergleiche Mittheilung von Wahrheiten verloren hat. - Die Verehrer der Formen freilich, mit ihrem Maassstabe des Sch�nen und Erhabenen, werden zun�chst gute Gr�nde zu spotten haben, sobald die Sch�tzung der unscheinbaren Wahrheiten und der wissenschaftliche Geist anf�ngt zur Herrschaft zu kommen: aber nur weil entweder ihr Auge sich noch nicht dem Reiz der schlichtesten Form erschlossen hat oder weil die in jenem Geiste erzogenen Menschen noch lange nicht v�llig und innerlich von ihm durchdrungen sind, so dass sie immer noch gedankenlos alte Formen nachmachen (und diess schlecht genug, wie es jemand thut, dem nicht mehr viel an einer Sache liegt). Ehemals war der Geist nicht durch strenges Denken in Anspruch genommen, da lag sein Ernst im Ausspinnen von Symbolen und Formen. Das hat sich ver�ndert; jener Ernst des Symbolischen ist zum Kennzeichen der niederen Cultur geworden; wie unsere K�nste selber immer intellectualer, unsere Sinne geistiger werden, und wie man zum Beispiel jetzt ganz anders dar�ber urtheilt, was sinnlich wohlt�nend ist, als vor hundert Jahren: so werden auch die Formen unseres Lebens immer geistiger, f�r das Auge �lterer Zeiten vielleicht h�sslicher, aber nur weil es nicht zu sehen vermag, wie das Reich der inneren, geistigen Sch�nheit sich fortw�hrend vertieft und erweitert und in wie fern uns Allen der geistreiche Blick jetzt mehr gelten darf, als der sch�nste Gliederbau und das erhabenste Bauwerk. 4. Astrologie und Verwandtes. - Es ist wahrscheinlich, dass die Objecte des religi�sen, moralischen und �sthetischen Empfindens ebenfalls nur zur Oberfl�che der Dinge geh�ren, w�hrend der Mensch gerne glaubt, dass er hier wenigstens an das Herz der Welt r�hre; er t�uscht sich, weil jene Dinge ihn so tief beseligen und so tief ungl�cklich machen, und zeigt also hier denselben Stolz wie bei der Astrologie. Denn diese meint, der Sternenhimmel drehte sich um das Loos des Menschen; der moralische Mensch aber setzt voraus, Das, was ihm wesentlich am Herzen liege, m�sse auch Wesen und Herz der Dinge sein. 5. Missverst�ndniss des Traumes. - Im Traume glaubte der Mensch in den Zeitaltern roher uranf�nglicher Cultur eine zweite reale Welt kennen zu lernen; hier ist der Ursprung aller Metaphysik. Ohne den Traum h�tte man keinen Anlass zu einer Scheidung der Welt gefunden. Auch die Zerlegung in Seele und Leib h�ngt mit der �ltesten Auffassung des Traumes zusammen, ebenso die Annahme eines Seelenscheinleibes, also die Herkunft alles Geisterglaubens, und wahrscheinlich auch des G�tterglaubens. "Der Todte lebt fort; denn er erscheint dem Lebenden im Traume": so schloss man ehedem, durch viele Jahrtausende hindurch. 6. Der Geist der Wissenschaft im Theil, nicht im Ganzen m�chtig. - Die abgetrennten kleinsten Gebiete der Wissenschaft werden rein sachlich behandelt: die allgemeinen grossen Wissenschaften dagegen legen, als Ganzes betrachtet, die Frage - eine recht unsachliche Frage freilich - auf die Lippen: wozu? zu welchem Nutzen? Wegen dieser R�cksicht auf den Nutzen werden sie, als Ganzes, weniger unpers�nlich, als in ihren Theilen behandelt. Bei der Philosophie nun gar, als bei der Spitze der gesammten Wissenspyramide, wird unwillk�rlich die Frage nach dem Nutzen der Erkenntniss �berhaupt aufgeworfen, und jede Philosophie hat unbewusst die Absicht, ihr den h�chsten Nutzen zuzuschreiben. Desshalb giebt es in allen Philosophien so viel hochfliegende Metaphysik und eine solche Scheu vor den unbedeutend erscheinenden L�sungen der Physik; denn die Bedeutsamkeit der Erkenntniss f�r das Leben soll so gross als m�glich erscheinen. Hier ist der Antagonismus zwischen den wissenschaftlichen Einzelgebieten und der Philosophie. Letztere will, was die Kunst will, dem Leben und Handeln m�glichste Tiefe und Bedeutung geben; in ersteren sucht man Erkenntniss und Nichts weiter, - was dabei auch herauskomme. Es hat bis jetzt noch keinen Philosophen gegeben, unter dessen H�nden die Philosophie nicht zu einer Apologie der Erkenntniss geworden w�re; in diesem Puncte wenigstens ist ein jeder Optimist, dass dieser die h�chste N�tzlichkeit zugesprochen werden m�sse. Sie alle werden von der Logik tyrannisirt: und diese ist ihrem Wesen nach Optimismus. 7. Der St�renfried in der Wissenschaft. Die Philosophie schied sich von der Wissenschaft, als sie die Frage stellte: welches ist diejenige Erkenntniss der Welt und des Lebens, bei welcher der Mensch am gl�cklichsten lebt? Diess geschah in den sokratischen Schulen: durch den Gesichtspunct des Gl�cks unterband man die Blutadern der wissenschaftlichen Forschung - und thut es heute noch. 8. Pneumatische Erkl�rung der Natur. - Die Metaphysik erkl�rt die Schrift der Natur gleichsam pneumatisch, wie die Kirche und ihre Gelehrten es ehemals mit der Bibel thaten. Es geh�rt sehr viel Verstand dazu, um auf die Natur die selbe Art der strengeren Erkl�rungskunst anzuwenden, wie jetzt die -Philologen sie f�r alle B�cher geschaffen haben: mit der Absicht, schlicht zu verstehen, was die Schrift sagen will, aber nicht einen doppelten Sinn zu wittern, ja vorauszusetzen. Wie aber selbst in Betreff der B�cher die schlechte Erkl�rungskunst keineswegs v�llig �berwunden ist und man in der besten gebildeten Gesellschaft noch fortw�hrend auf Ueberreste allegorischer und mystischer Ausdeutung st�sst: so steht es auch in Betreff der Natur - ja noch viel schlimmer. 9. Metaphysische Welt. - Es ist wahr, es k�nnte eine metaphysische Welt geben; die absolute M�glichkeit davon ist kaum zu bek�mpfen. Wir sehen alle Dinge durch den Menschenkopf an und k�nnen diesen Kopf nicht abschneiden; w�hrend doch die Frage �brig bleibt, was von der Welt noch da w�re, wenn man ihn doch abgeschnitten h�tte. Diess ist ein rein wissenschaftliches Problem und nicht sehr geeignet, den Menschen Sorgen zu machen; aber Alles, was ihnen bisher metaphysische Annahmen werthvoll, schreckenvoll, lustvoll gemacht, was sie erzeugt hat, ist Leidenschaft, Irrthum und Selbstbetrug; die allerschlechtesten Methoden der Erkenntniss, nicht die allerbesten, haben daran glauben lehren. Wenn man diese Methoden, als das Fundament aller vorhandenen Religionen und Metaphysiken, aufgedeckt hat, hat man sie widerlegt. Dann bleibt immer noch jene M�glichkeit �brig; aber mit ihr kann man gar Nichts anfangen, geschweige denn, dass man Gl�ck, Heil und Leben von den Spinnenf�den einer solchen M�glichkeit abh�ngen lassen d�rfte. - Denn man k�nnte von der metaphysischen Welt gar Nichts aussagen, als ein Anderssein, ein uns unzug�ngliches, unbegreifliches Anderssein; es w�re ein Ding mit negativen Eigenschaften. - W�re die Existenz einer solchen Welt noch so gut bewiesen, so st�nde doch fest, dass die gleichg�ltigste aller Erkenntnisse eben ihre Erkenntniss w�re: noch gleichg�ltiger als dem Schiffer in Sturmesgefahr die Erkenntniss von der chemischen Analysis des Wassers sein muss. 10. Harmlosigkeit der Metaphysik in der Zukunft. - Sobald die Religion, Kunst und Moral in ihrer Entstehung so beschrieben sind, dass man sie vollst�ndig sich erkl�ren kann, ohne zur Annahme metaphysischer Eingriffe am Beginn und im Verlaufe der Bahn seine Zuflucht zu nehmen, h�rt das st�rkste Interesse an dem rein theoretischen Problem vom "Ding an sich" und der "Erscheinung" auf. Denn wie es hier auch stehe: mit Religion, Kunst und Moral r�hren wir nicht an das "Wesen der Welt an sich"; wir sind im Bereiche der Vorstellung, keine "Ahnung" kann uns weitertragen. Mit voller Ruhe wird man die Frage, wie unser Weltbild so stark sich von dem erschlossenen Wesen der Welt unterscheiden k�nne, der Physiologie und der Entwickelungsgeschichte der Organismen und Begriffe �berlassen. 11. Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft. - Die Bedeutung der Sprache f�r die Entwickelung der Cultur liegt darin, dass in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er f�r so fest hielt, um von ihm aus die �brige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen. Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an aeternae veritates durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit dem er sich �ber das Thier erhob: er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntniss der Welt zu haben. Der Sprachbildner war nicht so bescheiden, zu glauben, dass er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er dr�ckte vielmehr, wie er w�hnte, das h�chste Wissen �ber die Dinge mit den Worten aus; in der That ist die Sprache die erste Stufe der Bem�hung um die Wissenschaft. Der Glaube an die gefundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die m�chtigsten Kraftquellen geflossen sind. Sehr nachtr�glich -jetzt erst - d�mmert es den Menschen auf, dass sie einen ungeheuren Irrthum in ihrem Glauben an die Sprache propagirt haben. Gl�cklicherweise ist es zu sp�t, als dass es die Entwickelung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder r�ckg�ngig machen k�nnte. - Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen Nichts in der wirklichen Welt entspricht, z.B. auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identit�t des selben Dinges in verschiedenen Puncten der Zeit: aber jene Wissenschaft entstand durch den entgegengesetzten Glauben (dass es dergleichen in der wirklichen Welt allerdings gebe). Ebenso steht es mit der Mathematik, welche gewiss nicht entstanden w�re, wenn man von Anfang an gewusst h�tte, dass es in der Natur keine exact gerade Linie, keinen wirklichen Kreis, kein absolutes Gr�ssenmaass gebe. 12. Traum und Cultur.- Die Gehirnfunction, welche durch den Schlaf am meisten beeintr�chtigt wird, ist das Ged�chtniss: nicht dass es ganz pausirte, - aber es ist auf einen Zustand der Unvollkommenheit zur�ckgebracht, wie es in Urzeiten der Menschheit bei jedermann am Tage und im Wachen gewesen sein mag. Willk�rlich und verworren, wie es ist, verwechselt es fortw�hrend die Dinge auf Grund der fl�chtigsten Aehnlichkeiten: aber mit der selben Willk�r und Verworrenheit dichteten die V�lker ihre Mythologien, und noch jetzt pflegen Reisende zu beobachten, wie sehr der Wilde zur Vergesslichkeit neigt, wie sein Geist nach kurzer Anspannung des Ged�chtnisses hin und her zu taumeln beginnt und er, aus blosser Erschlaffung, L�gen und Unsinn hervorbringt. Aber wir Alle gleichen im Traume diesem Wilden; das schlechte Wiedererkennen und irrth�mliche Gleichsetzen ist der Grund des schlechten Schliessens, dessen wir uns im Traume schuldig machen: so dass wir, bei deutlicher Vergegenw�rtigung eines Traumes, vor uns erschrecken, weil wir so viel Narrheit in uns bergen. - Die vollkommene Deutlichkeit aller Traum-Vorstellungen, welche den unbedingten Glauben an ihre Realit�t zur Voraussetzung hat, erinnert uns wieder an Zust�nde fr�herer Menschheit, in der die Hallucination ausserordentlich h�ufig war und mitunter ganze Gemeinden, ganze V�lker gleichzeitig ergriff. Also: im Schlaf und Traum machen wir das Pensum fr�heren Menschenthums noch einmal durch. 13. Logik des Traumes. - Im Schlafe ist fortw�hrend unser Nervensystem durch mannichfache innere Anl�sse in Erregung, fast alle Organe secerniren und sind in Th�tigkeit, das Blut macht seinen ungest�men Kreislauf, die Lage des Schlafenden dr�ckt einzelne Glieder, seine Decken beeinflussen die Empfindung verschiedenartig, der Magen verdaut und beunruhigt mit seinen Bewegungen andere Organe, die Ged�rme winden sich, die Stellung des Kopfes bringt ungew�hnliche Muskellagen mit sich, die F�sse, unbeschuht, nicht mit den Sohlen den Boden dr�ckend, verursachen das Gef�hl des Ungew�hnlichen ebenso wie die andersartige Bekleidung des ganzen K�rpers, - alles diess nach seinem t�glichen Wechsel und Grade erregt durch seine Aussergew�hnlichkeit das gesammte System bis in die Gehirnfunction hinein: und so giebt es hundert Anl�sse f�r den Geist, um sich zu verwundern und nach Gr�nden dieser Erregung zu suchen: der Traum aber ist das Suchen und Vorstellen der Ursachen f�r jene erregten Empfindungen, das heisst der vermeintlichen Ursachen. Wer zum Beispiel seine F�sse mit zwei Riemen umg�rtet, tr�umt wohl, dass zwei Schlangen seine F�sse umringeln: diess ist zuerst eine Hypothese, sodann ein Glaube, mit einer begleitenden bildlichen Vorstellung und Ausdichtung: "diese Schlangen m�ssen die causa jener Empfindung sein, welche ich, der Schlafende, habe", - so urtheilt der Geist des Schlafenden. Die so erschlossene n�chste Vergangenheit wird durch die erregte Phantasie ihm zur Gegenwart. So weiss jeder aus Erfahrung, wie schnell der Tr�umende einen starken an ihn dringenden Ton, zum Beispiel Glockenl�uten, Kanonensch�sse in seinen Traum verflicht, das heisst aus ihm hinterdrein erkl�rt, so dass er zuerst die veranlassenden Umst�nde, dann jenen Ton zu erleben meint. - Wie kommt es aber, dass der Geist des Tr�umenden immer so fehl greift, w�hrend der selbe Geist im Wachen so n�chtern, behutsam und in Bezug auf Hypothesen so skeptisch zu sein pflegt? so dass ihm die erste beste Hypothese zur Erkl�rung eines Gef�hls gen�gt, um sofort an ihre Wahrheit zu glauben? (denn wir glauben im Traume an den Traum, als sei er Realit�t, das heisst wir halten unsre Hypothese f�r v�llig erwiesen). - Ich meine: wie jetzt noch der Mensch im Traume schliesst, so schloss die Menschheit auch im Wachen viele Jahrtausende hindurch: die erste causa, die dem Geiste einfiel, um irgend Etwas, das der Erkl�rung bedurfte, zu erkl�ren, gen�gte ihm und galt als Wahrheit. (So verfahren nach den Erz�hlungen der Reisenden die Wilden heute noch.) Im Traum �bt sich dieses uralte St�ck Menschenthum in uns fort, denn es ist die Grundlage, auf der die h�here Vernunft sich entwickelte und in jedem Menschen sich noch entwickelt: der Traum bringt uns in ferne Zust�nde der menschlichen Cultur wieder zur�ck und giebt ein Mittel an die Hand, sie besser zu verstehen. Das Traumdenken wird uns jetzt so leicht, weil wir in ungeheuren Entwickelungsstrecken der Menschheit gerade auf diese Form des phantastischen und wohlfeilen Erkl�rens aus dem ersten beliebigen Einfalle heraus so gut eingedrillt worden sind. Insofern ist der Traum eine Erholung f�r das Gehirn, welches am Tage den strengeren Anforderungen an das Denken zu gen�gen hat, wie sie von der h�heren Cultur gestellt werden. - Einen verwandten Vorgang k�nnen wir geradezu als Pforte und Vorhalle des Traumes noch bei wachem Verstande in Augenschein nehmen. Schliessen wir die Augen, so producirt das Gehirn eine Menge von Lichteindr�cken und Farben, wahrscheinlich als eine Art Nachspiel und Echo aller jener Lichtwirkungen, welche am Tage auf dasselbe eindringen. Nun verarbeitet aber der Verstand (mit der Phantasie im Bunde) diese an sich formlosen Farbenspiele sofort zu bestimmten Figuren, Gestalten, Landschaften, belebten Gruppen. Der eigentliche Vorgang dabei ist wiederum eine Art Schluss von der Wirkung auf die Ursache; indem der Geist fragt: woher diese Lichteindr�cke und Farben, supponirt er als Ursachen jene Figuren, Gestalten: sie gelten ihm als die Veranlassungen jener Farben und Lichter, weil er, am Tage, bei offenen Augen, gewohnt ist, zu jeder Farbe, jedem Lichteindrucke eine veranlassende Ursache zu finden. Hier also schiebt ihm die Phantasie fortw�hrend Bilder vor, indem sie an die Gesichtseindr�cke des Tages sich in ihrer Production anlehnt, und gerade so macht es die Traumphantasie: - das heisst die vermeintliche Ursache wird aus der Wirkung erschlossen und nach der Wirkung vorgestellt: alles diess mit ausserordentlicher Schnelligkeit, so dass hier wie beim Taschenspieler eine Verwirrung des Urtheils entstehen und ein Nacheinander sich wie etwas Gleichzeitiges, selbst wie ein umgedrehtes Nacheinander ausnehmen kann. - Wir k�nnen aus diesen Vorg�ngen entnehmen, wie sp�t das sch�rfere logische Denken, das Strengnehmen von Ursache und Wirkung, entwickelt worden ist, wenn unsere Vernunft- und Verstandesfunctionen jetzt noch unwillk�rlich nach jenen primitiven Formen des Schliessens zur�ckgreifen und wir ziemlich die H�lfte unseres Lebens in diesem Zustande leben. - Auch der Dichter, der K�nstler schiebt seinen Stimmungen und Zust�nden Ursachen unter, welche durchaus nicht die wahren sind; er erinnert insofern an �lteres Menschenthum und kann uns zum Verst�ndnisse desselben verhelfen. 14. Miterklingen. - Alle st�rkeren Stimmungen bringen ein Miterklingen verwandter Empfindungen und Stimmungen mit sich; sie w�hlen gleichsam das Ged�chtniss auf. Es erinnert sich bei ihnen Etwas in uns und wird sich �hnlicher Zust�nde und deren Herkunft bewusst. So bilden sich angew�hnte rasche Verbindungen von Gef�hlen und Gedanken, welche zuletzt, wenn sie blitzschnell hinter einander erfolgen, nicht einmal mehr als Complexe, sondern als Einheiten empfunden werden. In diesem Sinne redet man vom moralischen Gef�hle, vom religi�sen Gef�hle, wie als ob diess lauter Einheiten seien: in Wahrheit sind sie Str�me mit hundert Quellen und Zufl�ssen. Auch hier, wie so oft, verb�rgt die Einheit des Wortes Nichts f�r die Einheit der Sache. 15. Kein Innen und Aussen in der Welt. - Wie Demokrit die Begriffe Oben und Unten auf den unendlichen Raum �bertrug, wo sie keinen Sinn haben, so die Philosophen �berhaupt den Begriff "Innen und Aussen" auf Wesen und Erscheinung der Welt; sie meinen, mit tiefen Gef�hlen komme man tief in's Innere, nahe man sich dem Herzen der Natur. Aber diese Gef�hle sind nur insofern tief, als mit ihnen, kaum bemerkbar, gewisse complicirte Gedankengruppen regelm�ssig erregt werden, welche wir tief nennen; ein Gef�hl ist tief, weil wir den begleitenden Gedanken f�r tief halten. Aber der tiefe Gedanke kann dennoch der Wahrheit sehr fern sein, wie zum Beispiel jeder metaphysische; rechnet man vom tiefen Gef�hle die beigemischten Gedankenelemente ab, so bleibt das starke Gef�hl �brig, und dieses verb�rgt Nichts f�r die Erkenntniss, als sich selbst, ebenso wie der starke Glaube nur seine St�rke, nicht die Wahrheit des Geglaubten beweist. 16. Erscheinung und Ding an sich. - Die Philosophen pflegen sich vor das Leben und die Erfahrung - vor Das, was sie die Welt der Erscheinung nennen - wie vor ein Gem�lde hinzustellen, das ein f�r alle Mal entrollt ist und unver�nderlich fest den selben Vorgang zeigt: diesen Vorgang, meinen sie, m�sse man richtig ausdeuten, um damit einen Schluss auf das Wesen zu machen, welches das Gem�lde hervorgebracht habe: also auf das Ding an sich, das immer als der zureichende Grund der Welt der Erscheinung angesehen zu werden pflegt. Dagegen haben strengere Logiker, nachdem sie den Begriff des Metaphysischen scharf als den des Unbedingten, folglich auch Unbedingenden festgestellt hatten, jeden Zusammenhang zwischen dem Unbedingten (der metaphysischen Welt) und der uns bekannten Welt in Abrede gestellt: so dass in der Erscheinung eben durchaus nicht das Ding an sich erscheine, und von jener auf dieses jeder Schluss abzulehnen sei. Von beiden Seiten ist aber die M�glichkeit �bersehen, dass jenes Gem�lde - Das, was jetzt uns Menschen Leben und Erfahrung heisst - allm�hlich geworden ist, ja noch v�llig im Werden ist und desshalb nicht als feste Gr�sse betrachtet werden soll, von welcher aus man einen Schluss �ber den Urheber (den zureichenden Grund) machen oder auch nur ablehnen d�rfte. Dadurch, dass wir seit Jahrtausenden mit moralischen, �sthetischen, religi�sen Anspr�chen, mit blinder Neigung, Leidenschaft oder Furcht in die Welt geblickt und uns in den Unarten des unlogischen Denkens recht ausgeschwelgt haben, ist diese Welt allm�hlich so wundersam bunt, schrecklich, bedeutungstief, seelenvoll geworden, sie hat Farbe bekommen, - aber wir sind die Coloristen gewesen: der menschliche Intellect hat die Erscheinung erscheinen lassen und seine irrth�mlichen Grundauffassungen in die Dinge hineingetragen. Sp�t, sehr sp�t - besinnt er sich: und jetzt scheinen ihm die Welt der Erfahrung und das Ding an sich so ausserordentlich verschieden und getrennt, dass er den Schluss von jener auf dieses ablehnt - oder auf eine schauerlich geheimnissvolle Weise zum Aufgeben unsers Intellectes, unsers pers�nlichen Willens auffordert: um dadurch zum Wesenhaften zu kommen, dass man wesenhaft werde. Wiederum haben Andere alle charakteristischen Z�ge unserer Welt der Erscheinung - das heisst der aus intellectuellen Irrth�mern herausgesponnenen und uns angeerbten Vorstellung von der Welt - zusammengelesen und anstatt den Intellect als Schuldigen anzuklagen, das Wesen der Dinge als Ursache dieses thats�chlichen, sehr unheimlichen Weltcharakters angeschuldigt und die Erl�sung vom Sein gepredigt. - Mit all diesen Auffassungen wird der stetige und m�hsame Process der Wissenschaft, welcher zuletzt einmal in einer Entstehungsgeschichte des Denkens seinen h�chsten Triumph feiert, in entscheidender Weise fertig werden, dessen Resultat vielleicht auf diesen Satz hinauslaufen d�rfte: Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrth�mern und Phantasien, welche in der gesammten Entwickelung der organischen Wesen allm�hlich entstanden, in einander verwachsen [sind] und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden, - als Schatz: denn der Werth unseres Menschenthums ruht darauf. Von dieser Welt der Vorstellung vermag uns die strenge Wissenschaft thats�chlich nur in geringem Maasse zu l�sen - wie es auch gar nicht zu w�nschen ist -, insofern sie die Gewalt uralter Gewohnheiten der Empfindung nicht wesentlich zu brechen vermag: aber sie kann die Geschichte der Entstehung jener Welt als Vorstellung ganz allm�hlich und schrittweise aufhellen - und uns wenigstens f�r Augenblicke �ber den ganzen Vorgang hinausheben. Vielleicht erkennen wir dann, dass das Ding an sich eines homerischen Gel�chters werth ist: dass es so viel, ja Alles schien und eigentlich leer, n�mlich bedeutungsleer ist. 17. Metaphysische Erkl�rungen. - Der junge Mensch sch�tzt metaphysische Erkl�rungen, weil sie ihm in Dingen, welche er unangenehm oder ver�chtlich fand, etwas h�chst Bedeutungsvolles aufweisen: und ist er mit sich unzufrieden, so erleichtert sich diess Gef�hl, wenn er das innerste Weltr�thsel oder Weltelend in dem wiedererkennt, was er so sehr an sich missbilligt. Sich unverantwortlicher f�hlen und die Dinge zugleich interessanter finden - das gilt ihm als die doppelte Wohlthat, welche er der Metaphysik verdankt. Sp�ter freilich bekommt er Misstrauen gegen die ganze metaphysische Erkl�rungsart, dann sieht er vielleicht ein, dass jene Wirkungen auf einem anderen Wege eben so gut und wissenschaftlicher zu erreichen sind: dass physische und historische Erkl�rungen mindestens ebenso sehr jenes Gef�hl der Unverantwortlichkeit herbeif�hren, und dass jenes Interesse am Leben und seinen Problemen vielleicht noch mehr dabei entflammt wird. 18. Grundfragen der Metaphysik. - Wenn einmal die Entstehungsgeschichte des denkens geschrieben ist, so wird auch der folgende Satz eines ausgezeichneten Logikers von einem neuen Lichte erhellt dastehen: "Das urspr�ngliche allgemeine Gesetz des erkennenden Subjects besteht in der inneren Nothwendigkeit, jeden Gegenstand an sich, in seinem eigenen Wesen als einen mit sich selbst identischen, also selbstexistirenden und im Grunde stets gleichbleibenden und unwandelbaren, kurz als eine Substanz zu erkennen." Auch dieses Gesetz, welches hier "urspr�nglich" genannt wird, ist geworden: es wird einmal gezeigt werden, wie allm�hlich, in den niederen Organismen, dieser Hang entsteht, wie die bl�den Maulwurfsaugen dieser Organisationen zuerst Nichts als immer das Gleiche sehen, wie dann, wenn die verschiedenen Erregungen von Lust und Unlust bemerkbarer werden, allm�hlich verschiedene Substanzen unterschieden werden, aber jede mit Einem Attribut, das heisst einer einzigen Beziehung zu einem solchen Organismus. - Die erste Stufe des Logischen ist das Urtheil; dessen Wesen besteht, nach der Feststellung der besten Logiker, im Glauben. Allem Glauben zu Grunde liegt die Empfindung des Angenehmen oder Schmerzhaften in Bezug auf das empfindende Subject. Eine neue dritte Empfindung als Resultat zweier vorangegangenen einzelnen Empfindungen ist das Urtheil in seiner niedrigsten Form. - Uns organische Wesen interessirt urspr�nglich Nichts an jedem Dinge, als sein Verh�ltniss zu uns in Bezug auf Lust und Schmerz. Zwischen den Momenten, in welchen wir uns dieser Beziehung bewusst werden, den Zust�nden des Empfindens, liegen solche der Ruhe, des Nichtempfindens: da ist die Welt und jedes Ding f�r uns interesselos, wir bemerken keine Ver�nderung an ihm (wie jetzt noch ein heftig Interessirter nicht merkt, dass jemand an ihm vorbeigeht). F�r die Pflanze sind gew�hnlich alle Dinge ruhig, ewig, jedes Ding sich selbst gleich. Aus der Periode der niederen Organismen her ist dem Menschen der Glaube vererbt, dass es gleiche Dinge giebt (erst die durch h�chste Wissenschaft ausgebildete Erfahrung widerspricht diesem Satze). Der Urglaube alles Organischen von Anfang an ist vielleicht sogar, dass die ganze �brige Welt Eins und unbewegt ist. - Am fernsten liegt f�r jene Urstufe des Logischen der Gedanke an Causalit�t: ja jetzt noch meinen wir im Grunde, alle Empfindungen und Handlungen seien Acte des freien Willens; wenn das f�hlende Individuum sich selbst betrachtet, so h�lt es jede Empfindung, jede Ver�nderung f�r etwas Isolirtes, das heisst Unbedingtes, Zusammenhangloses: es taucht aus uns auf, ohne Verbindung mit Fr�herem oder Sp�terem. Wir haben Hunger, aber meinen urspr�nglich nicht, dass der Organismus erhalten werden will, sondern jenes Gef�hl scheint sich ohne Grund und Zweck geltend zu machen, es isolirt sich und h�lt sich f�r willk�rlich. Also: der Glaube an die Freiheit des Willens ist ein urspr�nglicher Irrthum alles Organischen, so alt, als die Regungen des Logischen in ihm existiren; der Glaube an unbedingte Substanzen und an gleiche Dinge ist ebenfalls ein urspr�nglicher, ebenso alter Irrthum alles Organischen. Insofern aber alle Metaphysik sich vornehmlich mit Substanz und Freiheit des Willens abgegeben hat, so darf man sie als die Wissenschaft bezeichnen, welche von den Grundirrth�mern des Menschen handelt, doch so, als w�ren es Grundwahrheiten. 19. Die Zahl. - Die Erfindung der Gesetze der Zahlen ist auf Grund des urspr�nglich schon herrschenden Irrthums gemacht, dass es mehrere gleiche Dinge gebe (aber thats�chlich giebt es nichts Gleiches), mindestens dass es Dinge gebe (aber es giebt kein "Ding"). Die Annahme der Vielheit setzt immer voraus, dass es Etwas gebe, das vielfach vorkommt: aber gerade hier schon waltet der Irrthum, schon da fingiren wir Wesen, Einheiten, die es nicht giebt. - Unsere Empfindungen von Raum und Zeit sind falsch, denn sie f�hren, consequent gepr�ft, auf logische Widerspr�che. Bei allen wissenschaftlichen Feststellungen rechnen wir unvermeidlich immer mit einigen falschen Gr�ssen: aber weil diese Gr�ssen wenigstens constant sind, wie zum Beispiel unsere Zeit- und Raumempfindung, so bekommen die Resultate der Wissenschaft doch eine vollkommene Strenge und Sicherheit in ihrem Zusammenhange mit einander; man kann auf ihnen fortbauen - bis an jenes letzte Ende, wo die irrth�mliche Grundannahme, jene constanten Fehler, in Widerspruch mit den Resultaten treten, zum Beispiel in der Atomenlehre. Da f�hlen wir uns immer noch zur Annahme eines "Dinges" oder stofflichen "Substrats", das bewegt wird, gezwungen, w�hrend die ganze wissenschaftliche Procedur eben die Aufgabe verfolgt hat, alles Dingartige (Stoffliche) in Bewegungen aufzul�sen: wir scheiden auch hier noch mit unserer Empfindung Bewegendes und Bewegtes und kommen aus diesem Zirkel nicht heraus, weil der Glaube an Dinge mit unserem Wesen von Alters her verknotet ist. - Wenn Kant sagt "der Verstand sch�pft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor", so ist diess in Hinsicht auf den Begriff der Natur v�llig wahr, welchen wir gen�thigt sind, mit ihr zu verbinden (Natur = Welt als Vorstellung, das heisst als Irrthum), welcher aber die Aufsummirung einer Menge von Irrth�mern des Verstandes ist. - Auf eine Welt, welche nicht unsere Vorstellung ist, sind die Gesetze der Zahlen g�nzlich unanwendbar: diese gelten allein in der Menschen-Welt. 20. Einige Sprossen zur�ck. - Die eine, gewiss sehr hohe Stufe der Bildung ist erreicht, wenn der Mensch �ber abergl�ubische und religi�se Begriffe und Aengste hinauskommt und zum Beispiel nicht mehr an die lieben Englein oder die Erbs�nde glaubt, auch vom Heil der Seelen zu reden verlernt hat: ist er auf dieser Stufe der Befreiung, so hat er auch noch mit h�chster Anspannung seiner Besonnenheit die Metaphysik zu �berwinden. Dann aber ist eine r�ckl�ufige Bewegung n�thig: er muss die historische Berechtigung, ebenso die psychologische in solchen Vorstellungen begreifen, er muss erkennen, wie die gr�sste F�rderung der Menschheit von dorther gekommen sei und wie man sich, ohne eine solche r�ckl�ufige Bewegung, der besten Ergebnisse der bisherigen Menschheit berauben w�rde. - In Betreff der philosophischen Metaphysik sehe ich jetzt immer Mehrere, welche an das negative Ziel (dass jede positive Metaphysik Irrthum ist) gelangt sind, aber noch Wenige, welche einige Sprossen r�ckw�rts steigen; man soll n�mlich �ber die letzte Sprosse der Leiter wohl hinausschauen, aber nicht auf ihr stehen wollen. Die Aufgekl�rtesten bringen es nur so weit, sich von der Metaphysik zu befreien und mit Ueberlegenheit auf sie zur�ckzusehen: w�hrend es doch auch hier, wie im Hippodrom, noth thut, um das Ende der Bahn herumzubiegen. 21. Muthmaasslicher Sieg der Skepsis. - Man lasse einmal den skeptischen Ausgangspunct gelten: gesetzt, es g�be keine andere, metaphysische Welt und alle aus der Metaphysik genommenen Erkl�rungen der uns einzig bekannten Welt w�ren unbrauchbar f�r uns, mit welchem Blick w�rden wir dann auf Menschen und Dinge sehen? Diess kann man sich ausdenken, es ist n�tzlich, selbst wenn die Frage, ob etwas Metaphysisches wissenschaftlich durch Kant und Schopenhauer bewiesen sei, einmal abgelehnt w�rde. Denn es ist, nach historischer Wahrscheinlichkeit, sehr gut m�glich, dass die Menschen einmal in dieser Beziehung im Ganzen und Allgemeinen skeptisch werden; da lautet also die Frage: wie wird sich dann die menschliche Gesellschaft, unter dem Einfluss einer solchen Gesinnung, gestalten? Vielleicht ist der wissenschaftliche Beweis irgend einer metaphysischen Welt schon so schwierig, dass die Menschheit ein Misstrauen gegen ihn nicht mehr los wird. Und wenn man gegen die Metaphysik Misstrauen hat, so giebt es im Ganzen und Grossen die selben Folgen, wie wenn sie direct widerlegt w�re und man nicht mehr an sie glauben d�rfte. Die historische Frage in Betreff einer unmetaphysischen Gesinnung der Menschheit bleibt in beiden F�llen die selbe. 22. Unglaube an das "monumentum aere perennius". - Ein wesentlicher Nachtheil, welchen das Aufh�ren metaphysischer Ansichten mit sich bringt, liegt darin, dass das Individuum zu streng seine kurze Lebenszeit in's Auge fasst und keine st�rkeren Antriebe empf�ngt, an dauerhaften, f�r Jahrhunderte angelegten Institutionen zu bauen; es will die Frucht selbst vom Baume pfl�cken, den es pflanzt, und desshalb mag es jene B�ume nicht mehr pflanzen, welche eine Jahrhundert lange gleichm�ssige Pflege erfordern und welche lange Reihenfolgen von Geschlechtern zu �berschatten bestimmt sind. Denn metaphysische Ansichten geben den Glauben, dass in ihnen das letzte endg�ltige Fundament gegeben sei, auf welchem sich nunmehr alle Zukunft der Menschheit niederzulassen und anzubauen gen�thigt sei; der Einzelne f�rdert sein Heil, wenn er zum Beispiel eine Kirche, ein Kloster stiftet, es wird ihm, so meint er, im ewigen Fortleben der Seele angerechnet und vergolten, es ist Arbeit am ewigen Heil der Seele. - Kann die Wissenschaft auch solchen Glauben an ihre Resultate erwecken? In der That braucht sie den Zweifel und das Misstrauen als treuesten Bundesgenossen; trotzdem kann mit der Zeit die Summe der unantastbaren, das heisst alle St�rme der Skepsis, alle Zersetzungen �berdauernden Wahrheiten so gross werden (zum Beispiel in der Di�tetik der Gesundheit), dass man sich daraufhin entschliesst, "ewige" Werke zu gr�nden. Einstweilen wirkt der Contrast unseres aufgeregten Ephemeren-Daseins gegen die langathmige Ruhe metaphysischer Zeitalter noch zu stark, weil die beiden Zeiten noch zu nahe gestellt sind; der einzelne Mensch selber durchl�uft jetzt zu viele innere und �ussere Entwickelungen, als dass er auch nur auf seine eigene Lebenszeit sich dauerhaft und ein f�r alle Mal einzurichten wagt. Ein ganz moderner Mensch, der sich zum Beispiel ein Haus bauen will, hat dabei ein Gef�hl, als ob er bei lebendigem Leibe sich in ein Mausoleum vermauern wolle. 23. Zeitalter der Vergleichung. - je weniger die Menschen durch das Herkommen gebunden sind, um so gr�sser wird die innere Bewegung der Motive, um so gr�sser wiederum, dem entsprechend, die �ussere Unruhe, das Durcheinanderfluten der Menschen, die Polyphonie der Bestrebungen. F�r wen giebt es jetzt noch einen strengeren Zwang, an einen Ort sich und seine Nachkommen anzubinden? F�r wen giebt es �berhaupt noch etwas streng Bindendes? Wie alle Stilarten der K�nste neben einander nachgebildet werden, so auch alle Stufen und Arten der Moralit�t, der Sitten, der Culturen. - Ein solches Zeitalter bekommt seine Bedeutung dadurch, dass in ihm die verschiedenen Weltbetrachtungen, Sitten, Culturen verglichen und neben einander durchlebt werden k�nnen; was fr�her, bei der immer localisirten Herrschaft jeder Cultur, nicht m�glich war, entsprechend der Gebundenheit aller k�nstlerischen Stilarten an Ort und Zeit. Jetzt wird eine Vermehrung des �sthetischen Gef�hls endg�ltig unter so vielen der Vergleichung sich darbietenden Formen entscheiden: sie wird die meisten, - n�mlich alle, welche durch dasselbe abgewiesen werden, - absterben lassen. Ebenso findet jetzt ein Ausw�hlen in den Formen und Gewohnheiten der h�heren Sittlichkeit statt, deren Ziel kein anderes, als der Untergang der niedrigeren Sittlichkeiten sein kann. Es ist das Zeitalter der Vergleichung! Das ist sein Stolz, - aber billigerweise auch sein Leiden. F�rchten wir uns vor diesem Leiden nicht! Vielmehr wollen wir die Aufgabe, welche das Zeitalter uns stellt, so gross verstehen, als wir nur verm�gen: so wird uns die Nachwelt darob segnen, - eine Nachwelt, die ebenso sich �ber die abgeschlossenen originalen Volks-Culturen hinaus weiss, als �ber die Cultur der Vergleichung, aber auf beide Arten der Cultur als auf verehrungsw�rdige Alterth�mer mit Dankbarkeit zur�ckblickt. 24. M�glichkeit des Fortschritts. - Wenn ein Gelehrter der alten Cultur es verschw�rt, nicht mehr mit Menschen umzugehen, welche an den Fortschritt glauben, so hat er Recht. Denn die alte Cultur hat ihre Gr�sse und G�te hinter sich und die historische Bildung zwingt Einen, zuzugestehen, dass sie nie wieder frisch werden kann; es ist ein unausstehlicher Stumpfsinn oder ebenso unleidliche Schw�rmerei n�thig, um diess zu leugnen. Aber die Menschen k�nnen mit Bewusstsein beschliessen, sich zu einer neuen Cultur fortzuentwickeln, w�hrend sie sich fr�her unbewusst und zuf�llig entwickelten: sie k�nnen jetzt bessere Bedingungen f�r die Entstehung der Menschen, ihre Ern�hrung, Erziehung, Unterrichtung schaffen, die Erde als Ganzes �konomisch verwalten, die Kr�fte der Menschen �berhaupt gegen einander abw�gen und einsetzen. Diese neue bewusste Cultur t�dtet die alte, welche, als Ganzes angeschaut, ein unbewusstes Thier- und Pflanzenleben gef�hrt hat; sie t�dtet auch das Misstrauen gegen den Fortschritt, -er ist m�glich. Ich will sagen: es ist voreilig und fast unsinnig, zu glauben, dass der Fortschritt nothwendig erfolgen m�sse; aber wie k�nnte man leugnen, dass er m�glich sei? Dagegen ist ein Fortschritt im Sinne und auf dem Wege der alten Cultur nicht einmal denkbar. Wenn romantische Phantastik immerhin auch das Wort "Fortschritt" von ihren Zielen (z.B. abgeschlossenen originalen Volks-Culturen) gebraucht: jedenfalls entlehnt sie das Bild davon aus der Vergangenheit; ihr Denken und Vorstellen ist auf diesem Gebiete ohne jede Originalit�t. 25. Privat- und Welt-Moral. - Seitdem der Glaube aufgeh�rt hat, dass ein Gott die Schicksale der Welt im Grossen leite und, trotz aller anscheinenden Kr�mmungen im Pfade der Menschheit, sie doch herrlich hinausf�hre, m�ssen die Menschen selber sich �kumenische, die ganze Erde umspannende Ziele stellen. Die �ltere Moral, namentlich die Kant's, verlangt vom Einzelnen Handlungen, welche man von allen Menschen w�nscht: das war eine sch�ne naive Sache; als ob ein jeder ohne Weiteres w�sste, bei welcher Handlungsweise das Ganze der Menschheit wohlfahre, also welche Handlungen �berhaupt w�nschenswerth seien; es ist eine Theorie wie die vom Freihandel, voraussetzend, dass die allgemeine Harmonie sich nach eingeborenen Gesetzen des Besserwerdens von selbst ergeben m�sse. Vielleicht l�sst es ein zuk�nftiger Ueberblick �ber die Bed�rfnisse der Menschheit durchaus nicht w�nschenswerth erscheinen, dass alle Menschen gleich handeln, vielmehr d�rften im Interesse �kumenischer Ziele f�r ganze Strecken der Menschheit specielle, vielleicht unter Umst�nden sogar b�se Aufgaben zu stellen sein. - Jedenfalls muss, wenn die Menschheit sich nicht durch eine solche bewusste Gesammtregierung zu Grunde richten soll, vorher eine alle bisherigen Grade �bersteigende Kenntniss der Bedingungen der Cultur, als wissenschaftlicher Maassstab f�r �kumenische Ziele, gefunden sein. Hierin liegt die ungeheure Aufgabe der grossen Geister des n�chsten Jahrhunderts. 26. Die Reaction als Fortschritt. - Mitunter erscheinen schroffe, gewaltsame und fortreissende, aber trotzdem zur�ckgebliebene Geister, welche eine vergangene Phase der Menschheit noch einmal heraufbeschw�ren: sie dienen zum Beweis, dass die neuen Richtungen, welchen sie entgegenwirken, noch nicht kr�ftig genug sind, dass Etwas an ihnen fehlt: sonst w�rden sie jenen Beschw�rern besseren Widerpart halten. So zeugt zum Beispiel Luther's Reformation daf�r, dass in seinem Jahrhundert alle Regungen der Freiheit des Geistes noch unsicher, zart, jugendlich waren; die Wissenschaft konnte noch nicht ihr Haupt erheben. Ja, die gesammte Renaissance erscheint wie ein erster Fr�hling, der fast wieder weggeschneit wird. Aber auch in unserem Jahrhundert bewies Schopenhauer's Metaphysik, dass auch jetzt der wissenschaftliche Geist noch nicht kr�ftig genug ist: so konnte die ganze mittelalterliche christliche Weltbetrachtung und Mensch-Empfindung noch einmal in Schopenhauer's Lehre, trotz der l�ngst errungenen Vernichtung aller christlichen Dogmen, eine Auferstehung feiern. Viel Wissenschaft klingt in seine Lehre hinein, aber sie beherrscht dieselbe nicht, sondern das alte, wohlbekannte "metaphysische Bed�rfniss". Es ist gewiss einer der gr�ssten und ganz unsch�tzbaren Vortheile, welche wir aus Schopenhauer gewinnen, dass er unsere Empfindung zeitweilig in �ltere, m�chtige Betrachtungsarten der Welt und Menschen zur�ckzwingt, zu welchen sonst uns so leicht kein Pfad f�hren w�rde. Der Gewinn f�r die Historie und die Gerechtigkeit ist sehr gross: ich glaube, dass es jetzt Niemandem so leicht gelingen m�chte, ohne Schopenhauer's Beih�lfe dem Christenthum und seinen asiatischen Verwandten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: was namentlich vom Boden des noch vorhandenen Christenthums aus unm�glich ist. Erst nach diesem grossen Erfolge der Gerechtigkeit, erst nachdem wir die historische Betrachtungsart, welche die Zeit der Aufkl�rung mit sich brachte, in einem so wesentlichen Puncte corrigirt haben, d�rfen wir die Fahne der Aufkl�rung - die Fahne mit den drei Namen: Petrarca, Erasmus, Voltaire - von Neuem weiter tragen. Wir haben aus der Reaction einen Fortschritt gemacht. 27. Ersatz der Religion. - Man glaubt einer Philosophie etwas Gutes nachzusagen, wenn man sie als Ersatz der Religion f�r das Volk hinstellt. In der That bedarf es in der geistigen Oekonomie gelegentlich �berleitender Gedankenkreise; so ist der Uebergang aus Religion in wissenschaftliche Betrachtung ein gewaltsamer, gef�hrlicher Sprung, Etwas, das zu widerrathen ist. Insofern hat man mit jener Anempfehlung Recht. Aber endlich sollte man doch auch lernen, dass die Bed�rfnisse, welche die Religion befriedigt hat und nun die Philosophie befriedigen soll, nicht unwandelbar sind; diese selbst kann man schw�chen und ausrotten. Man denke zum Beispiel an die christliche Seelennoth, das Seufzen �ber die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil, - alles Vorstellungen, welche nur aus Irrth�mern der Vernunft herr�hren und gar keine Befriedigung, sondern Vernichtung verdienen. Eine Philosophie kann entweder so n�tzen, dass sie jene Bed�rfnisse auch befriedigt oder dass sie dieselben beseitigt; denn es sind angelernte, zeitlich begr�nzte Bed�rfnisse, welche auf Voraussetzungen beruhen, die denen der Wissenschaft widersprechen. Hier ist, um einen Uebergang zu machen, die Kunst viel eher zu benutzen, um das mit Empfindungen �berladene Gem�th zu erleichtern; denn durch sie werden jene Vorstellungen viel weniger unterhalten, als durch eine metaphysische Philosophie. Von der Kunst aus kann man dann leichter in eine wirklich befreiende philosophische Wissenschaft �bergehen. 28. Verrufene Worte. - Weg mit den bis zum Ueberdruss verbrauchten W�rtern Optimismus und Pessimismus! Denn der Anlass, sie zu gebrauchen, fehlt von Tag zu Tage mehr: nur die Schw�tzer haben sie jetzt noch so unumg�nglich n�thig. Denn wesshalb in aller Welt sollte jemand Optimist sein wollen, wenn er nicht einen Gott zu vertheidigen hat, welcher die beste der Welten geschaffen haben muss, falls er selber das Gute und Vollkommene ist, - welcher Denkende hat aber die Hypothese eines Gottes noch n�thig? - Es fehlt aber auch jeder Anlass zu einem pessimistischen Glaubensbekenntniss, wenn man nicht ein Interesse daran hat, den Advocaten Gottes, den Theologen oder den theologisirenden Philosophen �rgerlich zu werden und die Gegenbehauptung kr�ftig aufzustellen: dass das B�se regiere, dass die Unlust gr�sser sei, als die Lust, dass die Welt ein Machwerk, die Erscheinung eines b�sen Willens zum Leben sei. Wer aber k�mmert sich jetzt noch um die Theologen - ausser den Theologen? - Abgesehen von aller Theologie und ihrer Bek�mpfung liegt es auf der Hand, dass die Welt nicht gut und nicht b�se, geschweige denn die beste oder die schlechteste ist, und dass diese Begriffe "gut" und "b�se" nur in Bezug auf Menschen Sinn haben, ja vielleicht selbst hier, in der Weise, wie sie gew�hnlich gebraucht werden, nicht berechtigt sind: der schimpfenden und verherrlichenden Weltbetrachtung m�ssen wir uns in jedem Falle entschlagen. 29. Vom Dufte der Bl�then berauscht. - Das Schiff der Menschheit, meint man, hat einen immer st�rkeren Tiefgang, je mehr es belastet wird; man glaubt, je tiefer der Mensch denkt, je zarter er f�hlt, je h�her er sich sch�tzt, je weiter seine Entfernung von den anderen Thieren wird, - je mehr er als das Genie unter den Thieren erscheint, - um so n�her werde er dem wirklichen Wesen der Welt und deren Erkenntniss kommen: diess thut er auch wirklich durch die Wissenschaft, aber er meint diess noch mehr durch seine Religionen und K�nste zu thun. Diese sind zwar eine Bl�the der Welt, aber durchaus nicht der Wurzel der Welt n�her, als der Stengel ist: man kann aus ihnen das Wesen der Dinge gerade gar nicht besser verstehen, obschon diess fast jedermann glaubt. Der Irrthum hat den Menschen so tief, zart, erfinderisch gemacht, eine solche Bl�the, wie Religionen und K�nste, herauszutreiben. Das reine Erkennen w�re dazu ausser Stande gewesen. Wer uns das Wesen der Welt enth�llte, w�rde uns Allen die unangenehmste Entt�uschung machen. Nicht die Welt als Ding an sich, sondern die Welt als Vorstellung (als Irrthum) ist so bedeutungsreich, tief, wundervoll, Gl�ck und Ungl�ck im Schoosse tragend. Diess Resultat f�hrt zu einer Philosophie der logischen Weltverneinung: welche �brigens sich mit einer praktischen Weltbejahung ebensogut wie mit deren Gegentheile vereinigen l�sst. 30. Schlechte Gewohnheiten im Schliessen. - Die gew�hnlichsten Irrschl�sse der Menschen sind diese: eine Sache existirt, also hat sie ein Recht. Hier wird aus der Lebensf�higkeit auf die Zweckm�ssigkeit, aus der Zweckm�ssigkeit auf die Rechtm�ssigkeit geschlossen. Sodann: eine Meinung begl�ckt, also ist sie die wahre, ihre Wirkung ist gut, also ist sie selber gut und wahr. Hier legt man der Wirkung das Pr�dicat begl�ckend, gut, im Sinne des N�tzlichen, bei und versieht nun die Ursache mit dem selben Pr�dicat gut, aber hier im Sinne des Logisch-G�ltigen. Die Umkehrung der S�tze lautet: eine Sache kann sich nicht durchsetzen, erhalten, also ist sie unrecht; eine Meinung qu�lt, regt auf, also ist sie falsch. Der Freigeist, der das Fehlerhafte dieser Art zu schliessen nur allzu h�ufig kennen lernt und an ihren Folgen zu leiden hat, unterliegt oft der Verf�hrung, die entgegengesetzten Schl�sse zu machen, welche im Allgemeinen nat�rlich ebenso sehr Irrschl�sse sind: eine Sache kann sich nicht durchsetzen, also ist sie gut; eine Meinung macht Noth, beunruhigt, also ist sie wahr. 31. Das Unlogische nothwendig. - Zu den Dingen, welche einen Denker in Verzweifelung bringen k�nnen, geh�rt die Erkenntniss, dass das Unlogische f�r den Menschen n�thig ist, und dass aus dem Unlogischen vieles Gute entsteht. Es steckt so fest in den Leidenschaften, in der Sprache, in der Kunst, in der Religion und �berhaupt in Allem, was dem Leben Werth verleiht, dass man es nicht herausziehen kann, ohne damit diese sch�nen Dinge heillos zu besch�digen. Es sind nur die allzu naiven Menschen, welche glauben k�nnen, dass die Natur des Menschen in eine rein logische verwandelt werden k�nne; wenn es aber Grade der Ann�herung an dieses Ziel geben sollte, was w�rde da nicht Alles auf diesem Wege verloren gehen m�ssen! Auch der vern�nftigste Mensch bedarf von Zeit zu Zeit wieder der Natur, das heisst seiner unlogischen Grundstellung zu allen Dingen. 32. Ungerechtsein nothwendig. - Alle Urtheile �ber den Werth des Lebens sind unlogisch entwickelt und desshalb ungerecht. Die Unreinheit des Urtheils liegt erstens in der Art, wie das Material vorliegt, n�mlich sehr unvollst�ndig, zweitens in der Art, wie daraus die Summe gebildet wird, und drittens darin, dass jedes einzelne St�ck des Materials wieder das Resultat unreinen Erkennens ist und zwar diess mit voller Nothwendigkeit. Keine Erfahrung zum Beispiel �ber einen Menschen, st�nde er uns auch noch so nah, kann vollst�ndig sein, so dass wir ein logisches Recht zu einer Gesammtabsch�tzung desselben h�tten; alle Sch�tzungen sind voreilig und m�ssen es sein. Endlich ist das Maass, womit wir messen, unser Wesen, keine unab�nderliche Gr�sse, wir haben Stimmungen und Schwankungen, und doch m�ssten wir uns selbst als ein festes Maass kennen, um das Verh�ltniss irgend einer Sache zu uns gerecht abzusch�tzen. Vielleicht wird aus alledem folgen, dass man gar nicht urtheilen sollte; wenn man aber nur leben k�nnte, ohne abzusch�tzen, ohne Abneigung und Zuneigung zu haben! - denn alles Abgeneigtsein h�ngt mit einer Sch�tzung zusammen, ebenso alles Geneigtsein. Ein Trieb zu Etwas oder von Etwas weg, ohne ein Gef�hl davon, dass man das F�rderliche wolle, dem Sch�dlichen ausweiche, ein Trieb ohne eine Art von erkennender Absch�tzung �ber den Werth des Zieles, existirt beim Menschen nicht. Wir sind von vornherein unlogische und daher ungerechte Wesen, und k�nnen diess erkennen: diess ist eine der gr�ssten und unaufl�sbarsten Disharmonien des Daseins. 33. Der Irrthum �ber das Leben zum Leben nothwendig. - Jeder Glaube an Werth und W�rdigkeit des Lebens beruht auf unreinem Denken; er ist allein dadurch m�glich, dass das Mitgef�hl f�r das allgemeine Leben und Leiden der Menschheit sehr schwach im Individuum entwickelt ist. Auch die seltneren Menschen, welche �berhaupt �ber sich hinaus denken, fassen nicht dieses allgemeine Leben, sondern abgegr�nzte Theile desselben in's Auge. Versteht man es, sein Augenmerk vornehmlich auf Ausnahmen, ich meine auf die hohen Begabungen und die reinen Seelen zu richten, nimmt man deren Entstehung zum Ziel der ganzen Weltentwickelung und erfreut sich an deren Wirken, so mag man an den Werth des Lebens glauben, weil man n�mlich die anderen Menschen dabei �bersieht: also unrein denkt. Und ebenso, wenn man zwar alle Menschen in's Auge fasst, aber in ihnen nur eine Gattung von Trieben, die weniger egoistischen, gelten l�sst und sie in Betreff der anderen Triebe entschuldigt: dann kann man wiederum von der Menschheit im Ganzen Etwas hoffen und insofern an den Werth des Lebens glauben: also auch in diesem Falle durch Unreinheit des Denkens. Mag man sich aber so oder so verhalten, man ist mit diesem Verhalten eine Ausnahme unter den Menschen. Nun ertragen aber gerade die allermeisten Menschen das Leben, ohne erheblich zu murren, und glauben somit an den Werth des Daseins, aber gerade dadurch, dass sich jeder allein will und behauptet, und nicht aus sich heraustritt wie jene Ausnahmen: alles Ausserpers�nliche ist ihnen gar nicht oder h�chstens als ein schwacher Schatten bemerkbar. Also darauf allein beruht der Werth des Lebens f�r den gew�hnlichen, allt�glichen Menschen, dass er sich wichtiger nimmt, als die Welt. Der grosse Mangel an Phantasie, an dem er leidet, macht, dass er sich nicht in andere Wesen hineinf�hlen kann und daher so wenig als m�glich an ihrem Loos und Leiden theilnimmt. Wer dagegen wirklich daran theilnehmen k�nnte, m�sste am Werthe des Lebens verzweifeln; gel�nge es ihm, das Gesammtbewusstsein der Menschheit in sich zu fassen und zu empfinden, er w�rde mit einem Fluche gegen das Dasein zusammenbrechen, - denn die Menschheit hat im Ganzen keine Ziele, folglich kann der Mensch, in Betrachtung des ganzen Verlaufes, nicht darin seinen Trost und Halt finden, sondern seine Verzweifelung. Sieht er bei Allem, was er thut, auf die letzte Ziellosigkeit der Menschen, so bekommt sein eigenes Wirken in seinen Augen den Charakter der Vergeudung. Sich aber als Menschheit (und nicht nur als Individuum) ebenso vergeudet zu f�hlen, wie wir die einzelne Bl�the von der Natur vergeudet sehen, ist ein Gef�hl �ber alle Gef�hle. - Wer ist aber desselben f�hig? Gewiss nur ein Dichter: und Dichter wissen sich immer zu tr�sten. 34. Zur Beruhigung.- Aber wird so unsere Philosophie nicht zur Trag�die? Wird die Wahrheit nicht dem Leben, dem Besseren feindlich? Eine Frage scheint uns die Zunge zu beschweren und doch nicht laut werden zu wollen: ob man bewusst in der Unwahrheit bleiben k�nne? oder, wenn man diess m�sse, ob da nicht der Tod vorzuziehen sei? Denn ein Sollen giebt es nicht mehr; die Moral, insofern sie ein Sollen war, ist ja durch unsere Betrachtungsart ebenso vernichtet wie die Religion. Die Erkenntniss kann als Motive nur Lust und Unlust, Nutzen und Schaden bestehen lassen: wie aber werden diese Motive sich mit dem Sinne f�r Wahrheit auseinandersetzen? Auch sie ber�hren sich ja mit Irrth�mern (insofern, wie gesagt, Neigung und Abneigung und ihre sehr ungerechten Messungen unsere Lust und Unlust wesentlich bestimmen). Das ganze menschliche Leben ist tief in die Unwahrheit eingesenkt; der Einzelne kann es nicht aus diesem Brunnen herausziehen, ohne dabei seiner Vergangenheit aus tiefstem Grunde gram zu werden, ohne seine gegenw�rtigen Motive, wie die der Ehre, ungereimt zu finden und den Leidenschaften, welche zur Zukunft und zu einem Gl�ck in derselben hindr�ngen, Hohn und Verachtung entgegenzustellen. Ist es wahr, bliebe einzig noch eine Denkweise �brig, welche als pers�nliches Ergebniss die Verzweifelung, als theoretisches eine Philosophie der Zerst�rung nach sich z�ge? - Ich glaube, die Entscheidung �ber die Nachwirkung der Erkenntniss wird durch das Temperament eines Menschen gegeben: ich k�nnte mir eben so gut, wie jene geschilderte und bei einzelnen Naturen m�gliche Nachwirkung, eine andere denken, verm�ge deren ein viel einfacheres, von Affecten reineres Leben entst�nde, als das jetzige ist: so dass zuerst zwar die alten Motive des heftigeren Begehrens noch Kraft h�tten, aus alter vererbter Gew�hnung her, allm�hlich aber unter dem Einflusse der reinigenden Erkenntniss schw�cher w�rden. Man lebte zuletzt unter den Menschen und mit sich wie in der Natur, ohne Lob, Vorw�rfe, Ereiferung, an Vielem sich wie an einem Schauspiel weidend, vor dem man sich bisher nur zu f�rchten hatte. Man w�re die Emphasis los und w�rde die Anstachelung des Gedankens, dass man nicht nur Natur oder mehr als Natur sei, nicht weiter empfinden. Freilich geh�rte hierzu, wie gesagt, ein gutes Temperament, eine gefestete, milde und im Grunde frohsinnige Seele, eine Stimmung, welche nicht vor T�cken und pl�tzlichen Ausbr�chen auf der Hut zu sein brauchte und in ihren Aeusserungen Nichts von dem knurrenden Tone und der Verbissenheit an sich tr�ge, - jenen bekannten l�stigen Eigenschaften alter Hunde und Menschen, die lange an der Kette gelegen haben. Vielmehr muss ein Mensch, von dem in solchem Maasse die gew�hnlichen Fesseln des Lebens abgefallen sind, dass er nur deshalb weiter lebt, um immer besser zu erkennen, auf Vieles, ja fast auf Alles, was bei den anderen Menschen Werth hat, ohne Neid und Verdruss verzichten k�nnen, ihm muss als der w�nschenswertheste Zustand jenes freie, furchtlose Schweben �ber Menschen, Sitten, Gesetzen und den herk�mmlichen Sch�tzungen der Dinge gen�gen. Die Freude an diesem Zustande theilt er gerne mit und er hat vielleicht nichts Anderes mitzutheilen, - worin freilich eine Entbehrung, eine Entsagung mehr liegt. Will man aber trotzdem mehr von ihm, so wird er mit wohlwollendem Kopfsch�tteln auf seinen Bruder hinweisen, den freien Menschen der That, und vielleicht ein Wenig Spott nicht verhehlen: denn mit dessen "Freiheit" hat es eine eigene Bewandtniss. Zweites Hauptst�ck. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen. 35. Vortheile der psychologischen Beobachtung. - Dass das Nachdenken �ber Menschliches, Allzumenschliches - oder wie der gelehrtere Ausdruck lautet: die psychologische Beobachtung - zu den Mitteln geh�re, verm�ge deren man sich die Last des Lebens erleichtern k�nne, dass die Uebung in dieser Kunst Geistesgegenwart in schwierigen Lagen und Unterhaltung inmitten einer langweiligen Umgebung verleihe, ja dass man den dornenvollsten und unerfreulichsten Strichen des eigenen Lebens Sentenzen abpfl�cken und sich dabei ein Wenig wohler f�hlen k�nne: das glaubte man, wusste man - in fr�heren Jahrhunderten. Warum vergass es dieses Jahrhundert, wo wenigstens in Deutschland, ja in Europa, die Armuth an psychologischer Beobachtung durch viele Zeichen sich zu erkennen giebt? Nicht gerade in Roman, Novelle und philosophischer Betrachtung, - diese sind das Werk von Ausnahmemenschen; schon mehr in der Beurtheilung �ffentlicher Ereignisse und Pers�nlichkeiten: vor Allem aber fehlt die Kunst der psychologischen Zergliederung und Zusammenrechnung in der Gesellschaft aller St�nde, in der man wohl viel �ber Menschen, aber gar nicht �ber den Menschen spricht. Warum doch l�sst man sich den reichsten und harmlosesten Stoff der Unterhaltung entgehen? Warum liest man nicht einmal die grossen Meister der psychologischen Sentenz mehr? - denn, ohne jede Uebertreibung gesprochen: der Gebildete in Europa, der La Rochefoucauld und seine Geistes- und Kunstverwandten gelesen hat, ist selten zu finden; und noch viel seltener Der, welcher sie kennt und sie nicht schm�ht. Wahrscheinlich wird aber auch dieser ungew�hnliche Leser viel weniger Freude an ihnen haben, als die Form jener K�nstler ihm geben sollte; denn selbst der feinste Kopf ist nicht verm�gend, die Kunst der Sentenzen-Schleiferei geb�hrend zu w�rdigen, wenn er nicht selber zu ihr erzogen ist, in ihr gewetteifert hat. Man nimmt, ohne solche practische Belehrung, dieses Schaffen und Formen f�r leichter als es ist, man f�hlt das Gelungene und Reizvolle nicht scharf genug heraus. Desshalb haben die jetzigen Leser von Sentenzen ein verh�ltnissm�ssig unbedeutendes Vergn�gen an ihnen, ja kaum einen Mund voll Annehmlichkeit, so dass es ihnen ebenso geht, wie den gew�hnlichen Betrachtern von Kameen: als welche loben, weil sie nicht lieben k�nnen und schnell bereit sind zu bewundern, schneller aber noch, fortzulaufen. 36. Einwand.- Oder sollte es gegen jenen Satz, dass die psychologische Beobachtung zu den Reiz-, Heil- und Erleichterungsmitteln des Daseins geh�re, eine Gegenrechnung geben? Sollte man sich genug von den unangenehmen Folgen dieser Kunst �berzeugt haben, um jetzt mit Absichtlichkeit den Blick der sich Bildenden von ihr abzulenken? In der That, ein gewisser blinder Glaube an die G�te der menschlichen Natur, ein eingepflanzter Widerwille vor der Zerlegung menschlicher Handlungen, eine Art Schamhaftigkeit in Hinsicht auf die Nacktheit der Seele m�gen wirklich f�r das gesammte Gl�ck eines Menschen w�nschenswerthere Dinge sein, als jene, in einzelnen F�llen hilfreiche Eigenschaft der psychologischen Scharfsichtigkeit; und vielleicht hat der Glaube an das Gute, an tugendhafte Menschen und Handlungen, an eine F�lle des unpers�nlichen Wohlwollens in der Welt die Menschen besser gemacht, insofern er dieselben weniger misstrauisch machte. Wenn man die Helden Plutarch's mit Begeisterung nachahmt, und einen Abscheu davor empfindet, den Motiven ihres Handelns anzweifelnd nachzusp�ren, so hat zwar nicht die Wahrheit, aber die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft ihren Nutzen dabei: der psychologische Irrthum und �berhaupt die Dumpfheit auf diesem Gebiete hilft der Menschlichkeit vorw�rts, w�hrend die Erkenntniss der Wahrheit vielleicht durch die anregende Kraft einer Hypothese mehr gewinnt, wie sie La Rochefoucauld der ersten Ausgabe seiner "Sentences et maximes morales" vorangestellt hat: "Ce que le monde nomme vertu n'est d'ordinaire qu'un fant�ame form� par nos passions, � qui on donne un nom honn�te pour faire impun�ment ce qu'on veut." La Rochefoucauld und jene anderen franz�sischen Meister der Seelenpr�fung (denen sich neuerdings auch ein Deutscher, der Verfasser der "Psychologischen Beobachtungen" zugesellt hat) gleichen scharf zielenden Sch�tzen, welche immer und immer wieder in's Schwarze treffen, - aber in's Schwarze der menschlichen Natur. Ihr Geschick erregt Staunen, aber endlich verw�nscht ein Zuschauer, der nicht vom Geiste der Wissenschaft, sondern der Menschenfreundlichkeit geleitet wird, eine Kunst, welche den Sinn der Verkleinerung und Verd�chtigung in die Seelen der Menschen zu pflanzen scheint. 37. Trotzdem.- Wie es sich nun mit Rechnung und Gegenrechnung verhalte: in dem gegenw�rtigen Zustande einer bestimmten einzelnen Wissenschaft ist die Auferweckung der moralischen Beobachtung n�thig geworden, und der grausame Anblick des psychologischen Secirtisches und seiner Messer und Zangen kann der Menschheit nicht erspart bleiben. Denn hier gebietet jene Wissenschaft, welche nach Ursprung und Geschichte der sogenannten moralischen Empfindungen fragt und welche im Fortschreiten die verwickelten sociologischen Probleme aufzustellen und zu l�sen hat: - die �ltere Philosophie kennt die letzteren gar nicht und ist der Untersuchung von Ursprung und Geschichte der moralischen Empfindungen unter d�rftigen Ausfl�chten immer aus dem Wege gegangen. Mit welchen Folgen: das l�sst sich jetzt sehr deutlich �berschauen, nachdem an vielen Beispielen nachgewiesen ist, wie die Irrth�mer der gr�ssten Philosophen gew�hnlich ihren Ausgangspunct in einer falschen Erkl�rung bestimmter menschlicher Handlungen und Empfindungen haben, wie auf Grund einer irrth�mlichen Analysis, zum Beispiel der sogenannten unegoistischen Handlungen, eine falsche Ethik sich aufbaut, dieser zu Gefallen dann wiederum Religion und mythologisches Unwesen zu H�lfe genommen werden, und endlich die Schatten dieser tr�ben Geister auch in die Physik und die gesammte Weltbetrachtung hineinfallen. Steht es aber fest, dass die Oberfl�chlichkeit der psychologischen Beobachtung dem menschlichen Urtheilen und Schliessen die gef�hrlichsten Fallstricke gelegt hat und fortw�hrend von Neuem legt, so bedarf es jetzt jener Ausdauer der Arbeit, welche nicht m�de wird, Steine auf Steine, Steinchen auf Steinchen zu h�ufen, so bedarf es der enthaltsamen Tapferkeit, um sich einer solchen bescheidenen Arbeit nicht zu sch�men und jeder Missachtung derselben Trotz zu bieten. Es ist wahr: zahllose einzelne Bemerkungen �ber Menschliches und Allzumenschliches sind in Kreisen der Gesellschaft zuerst entdeckt und ausgesprochen worden, welche gewohnt waren, nicht der wissenschaftlichen Erkenntniss, sondern einer geistreichen Gefallsucht jede Art von Opfern darzubringen; und fast unl�sbar hat sich der Duft jener alten Heimath der moralistischen Sentenz - ein sehr verf�hrerischer Duft - der ganzen Gattung angeh�ngt: so dass seinetwegen der wissenschaftliche Mensch unwillk�rlich einiges Misstrauen gegen diese Gattung und ihre Ernsthaftigkeit merken l�sst. Aber es gen�gt, auf die Folgen zu verweisen: denn schon jetzt beginnt sich zu zeigen, welche Ergebnisse ernsthaftester Art auf dem Boden der psychologischen Beobachtung aufwachsen. Welches ist doch der Hauptsatz zu dem einer der k�hnsten und k�ltesten Denker, der Verfasser des Buches "Ueber den Ursprung der moralischen Empfindungen" verm�ge seiner ein- und durchschneidenden Analysen des menschlichen Handelns gelangt? "Der moralische Mensch, sagt er, steht der intelligiblen (metaphysischen) Welt nicht n�her, als der physische Mensch." Dieser Satz, hart und schneidig geworden unter dem Hammerschlag der historischen Erkenntniss, kann vielleicht einmal, in irgendwelcher Zukunft, als die Axt dienen, welche dem "metaphysischen Bed�rfniss" der Menschen an die Wurzel gelegt wird, - ob mehr zum Segen, als zum Fluche der allgemeinen Wohlfahrt, wer w�sste das zu sagen? - aber jedenfalls als ein Satz der erheblichsten Folgen, fruchtbar und furchtbar zugleich, und mit jenem Doppelgesichte in die Welt sehend, welches alle grossen Erkenntnisse haben. 38. Inwiefern n�tzlich. - Also: ob die psychologische Beobachtung mehr Nutzen oder Nachtheil �ber die Menschen bringe, das bleibe immerhin unentschieden; aber fest steht, dass sie nothwendig ist, weil die Wissenschaft ihrer nicht entrathen kann. Die Wissenschaft aber kennt keine R�cksichten auf letzte Zwecke, ebenso wenig als die Natur sie kennt: sondern wie diese gelegentlich Dinge von der h�chsten Zweckm�ssigkeit zu Stande bringt, ohne sie gewollt zu haben, so wird auch die �chte Wissenschaft, als die Nachahmung der Natur in Begriffen, den Nutzen und die Wohlfahrt der Menschen gelegentlich, ja vielfach, f�rdern und das Zweckm�ssige erreichen, - aber ebenfalls ohne es gewollt zu haben. Wem es aber bei dem Anhauche einer solchen Betrachtungsart gar zu winterlich zu Muthe wird, der hat vielleicht nur zu wenig Feuer in sich: er m�ge sich indessen umsehen und er wird Krankheiten wahrnehmen, in denen Eisumschl�ge noth thun, und Menschen, welche so aus Gluth und Geist "zusammengeknetet" sind, dass sie kaum irgendwo die Luft kalt und schneidend genug f�r sich finden. Ueberdiess: wie allzu ernste Einzelne und V�lker ein Bed�rfniss nach Leichtfertigkeiten haben, wie andere allzu Erregbare und Bewegliche zeitweilig schwere niederdr�ckende Lasten zu ihrer Gesundheit n�thig haben: sollten wir, die geistigeren Menschen eines Zeitalters, welches ersichtlich immer mehr in Brand ger�th, nicht nach allen l�schenden und k�hlenden Mitteln, die es giebt, greifen m�ssen, damit wir wenigstens so stetig, harmlos und m�ssig bleiben, als wir es noch sind, und so vielleicht einmal dazu brauchbar werden, diesem Zeitalter als Spiegel und Selbstbesinnung �ber sich zu dienen? - 39. Die Fabel von der intelligibelen Freiheit. - Die Geschichte der Empfindungen, verm�ge deren wir jemanden verantwortlich machen, also der sogenannten moralischen Empfindungen verl�uft, in folgenden Hauptphasen. Zuerst nennt man einzelne Handlungen gut oder b�se ohne alle R�cksicht auf deren Motive, sondern allein der n�tzlichen oder sch�dlichen Folgen wegen. Bald aber vergisst man die Herkunft dieser Bezeichnungen und w�hnt, dass den Handlungen an sich, ohne R�cksicht auf deren Folgen, die Eigenschaft "gut" oder "b�se" innewohne: mit demselben Irrthume, nach welchem die Sprache den Stein selber als hart, den Baum selber als gr�n bezeichnet - also dadurch, dass man, was Wirkung ist, als Ursache fasst. Sodann legt man das Gut- oder B�se-sein in die Motive hinein und betrachtet die Thaten an sich als moralisch zweideutig. Man geht weiter und giebt das Pr�dicat gut oder b�se nicht mehr dem einzelnen Motive, sondern dem ganzen Wesen eines Menschen, aus dem das Motiv, wie die Pflanze aus dem Erdreich, herausw�chst. So macht man der Reihe nach den Menschen f�r seine Wirkungen, dann f�r seine Handlungen, dann f�r seine Motive und endlich f�r sein Wesen verantwortlich. Nun entdeckt man schliesslich, dass auch dieses Wesen nicht verantwortlich sein kann, insofern es ganz und gar nothwendige Folge ist und aus den Elementen und Einfl�ssen vergangener und gegenw�rtiger Dinge concrescirt: also dass der Mensch f�r Nichts verantwortlich zu machen ist, weder f�r sein Wesen, noch seine Motive, noch seine Handlungen, noch seine Wirkungen. Damit ist man zur Erkenntniss gelangt, dass die Geschichte der moralischen Empfindungen die Geschichte eines Irrthums, des Irrthums von der Verantwortlichkeit ist: als welcher auf dem Irrthum von der Freiheit des Willens ruht. -Schopenhauer schloss dagegen so: weil gewisse Handlungen Unmuth ("Schuldbewusstsein") nach sich ziehen, so muss es eine Verantwortlichkeit geben; denn zu diesem Unmuth w�re kein Grund vorhanden, wenn nicht nur alles Handeln des Menschen mit Nothwendigkeit verliefe - wie es thats�chlich, und auch nach der Einsicht dieses Philosophen, verl�uft -, sondern der Mensch selber mit der selben Nothwendigkeit sein ganzes Wesen erlangte, - was Schopenhauer leugnet. Aus der Thatsache jenes Unmuthes glaubt Schopenhauer eine Freiheit beweisen zu k�nnen, welche der Mensch irgendwie gehabt haben m�sse, zwar nicht in Bezug auf die Handlungen, aber in Bezug auf das Wesen: Freiheit also, so oder so zu sein, nicht so oder so zu handeln. Aus dem esse, der Sph�re der Freiheit und Verantwortlichkeit, folgt nach seiner Meinung das operari, die Sph�re der strengen Causalit�t, Nothwendigkeit und Unverantwortlichkeit. Jener Unmuth beziehe sich zwar scheinbar auf das operari - insofern sei er irrth�mlich -, in Wahrheit aber auf das esse, welches die That eines freien Willens, die Grundursache der Existenz eines Individuums, sei; der Mensch werde Das, was er werden wolle, sein Wollen sei fr�her, als seine Existenz. - Hier wird der Fehlschluss gemacht, dass aus der Thatsache des Unmuthes die Berechtigung, die vern�nftige Zul�ssigkeit dieses Unmuthes geschlossen wird; und von jenem Fehlschluss aus kommt Schopenhauer zu seiner phantastischen Consequenz der sogenannten intelligibelen Freiheit. Aber der Unmuth nach der That braucht gar nicht vern�nftig zu sein: ja er ist es gewiss nicht, denn er ruht auf der irrth�mlichen Voraussetzung, dass die That eben nicht nothwendig h�tte erfolgen m�ssen. Also: weil sich der Mensch f�r frei h�lt, nicht aber weil er frei ist, empfindet er Reue und Gewissensbisse. - Ueberdiess ist dieser Unmuth Etwas, das man sich abgew�hnen kann, bei vielen Menschen ist er in Bezug auf Handlungen gar nicht vorhanden, bei welchen viele andere Menschen ihn empfinden. Er ist eine sehr wandelbare, an die Entwickelung der Sitte und Cultur gekn�pfte Sache und vielleicht nur in einer verh�ltnissm�ssig kurzen Zeit der Weltgeschichte vorhanden. -Niemand ist f�r seine Thaten verantwortlich, Niemand f�r sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht sein. Diess gilt auch, wenn das Individuum �ber sich selbst richtet. Der Satz ist so hell wie Sonnenlicht, und doch geht hier jedermann lieber in den Schatten und die Unwahrheit zur�ck: aus Furcht vor den Folgen. 40. Das Ueber-Thier. - Die Bestie in uns will belogen werden; Moral ist Nothl�ge, damit wir von ihr nicht zerrissen werden. Ohne die Irrth�mer, welche in den Annahmen der Moral liegen, w�re der Mensch Thier geblieben. So aber hat er sich als etwas H�heres genommen und sich strengere Gesetze auferlegt. Er hat desshalb einen Hass gegen die der Thierheit n�her gebliebenen Stufen: woraus die ehemalige Missachtung des Sclaven, als eines Nicht-Menschen, als einer Sache zu erkl�ren ist. 41. Der unver�nderliche Charakter. - Dass der Charakter unver�nderlich sei, ist nicht im strengen Sinne wahr; vielmehr heisst dieser beliebte Satz nur so viel, dass w�hrend der kurzen Lebensdauer eines Menschen die einwirkenden Motive gew�hnlich nicht tief genug ritzen k�nnen, um die aufgepr�gten Schriftz�ge vieler Jahrtausende zu zerst�ren. D�chte man sich aber einen Menschen von achtzigtausend Jahren, so h�tte man an ihm sogar einen absolut ver�nderlichen Charakter: so dass eine F�lle verschiedener Individuen sich nach und nach aus ihm entwickelte. Die K�rze des menschlichen Lebens verleitet zu manchen irrth�mlichen Behauptungen �ber die Eigenschaften des Menschen. 42. Die Ordnung der G�ter und die Moral. - Die einmal angenommene Rangordnung der G�ter, je nachdem ein niedriger, h�herer, h�chster Egoismus das Eine oder das Andere will, entscheidet jetzt �ber das Moralisch-sein oder Unmoralisch-sein. Ein niedriges Gut (zum Beispiel Sinnengenuss) einem h�her gesch�tzten (zum Beispiel Gesundheit) vorziehen, gilt als unmoralisch, ebenso Wohlleben der Freiheit vorziehen. Die Rangordnung der G�ter ist aber keine zu allen Zeiten feste und gleiche; wenn jemand Rache der Gerechtigkeit vorzieht, so ist er nach dem Maassstabe einer fr�heren Cultur moralisch, nach dem der jetzigen unmoralisch. "Unmoralisch" bezeichnet also, dass Einer die h�heren, feineren, geistigeren Motive, welche die jeweilen neue Cultur hinzugebracht hat, noch nicht oder noch nicht stark genug empfindet: es bezeichnet einen Zur�ckgebliebenen, aber immer nur dem Gradunterschied nach. - Die Rangordnung der G�ter selber wird nicht nach moralischen Gesichtspuncten auf- und umgestellt; wohl aber wird nach ihrer jedesmaligen Festsetzung dar�ber entschieden, ob eine Handlung moralisch oder unmoralisch sei. 43. Grausame Menschen als zur�ckgeblieben. - Die Menschen, welche jetzt grausam sind, m�ssen uns als Stufen fr�herer Culturen gelten, welche �brig geblieben sind: das Gebirge der Menschheit zeigt hier einmal die tieferen Formationen, welche sonst versteckt liegen, offen. Es sind zur�ckgebliebene Menschen, deren Gehirn, durch alle m�glichen Zuf�lle im Verlaufe der Vererbung, nicht so zart und vielseitig fortgebildet worden ist. Sie zeigen uns, was wir Alle waren, und machen uns erschrecken: aber sie selber sind so wenig verantwortlich, wie ein St�ck Granit daf�r, dass es Granit ist. In unserm Gehirne m�ssen sich auch Rinnen und Windungen finden, welche jener Gesinnung entsprechen, wie sich in der Form einzelner menschlicher Organe Erinnerungen an Fischzust�nde finden sollen. Aber diese Rinnen und Windungen sind nicht mehr das Bett, in welchem sich jetzt der Strom unserer Empfindung w�lzt. 44. Dankbarkeit und Rache. - Der Grund, wesshalb der M�chtige dankbar ist, ist dieser. Sein Wohlth�ter hat sich durch seine Wohlthat an der Sph�re des M�chtigen gleichsam vergriffen und sich in sie eingedr�ngt: nun vergreift er sich zur Vergeltung wieder an der Sph�re des Wohlth�ters durch den Act der Dankbarkeit. Es ist eine mildere Form der Rache. Ohne die Genugthuung der Dankbarkeit zu haben, w�rde der M�chtige sich unm�chtig gezeigt haben und f�rderhin daf�r gelten. Desshalb stellt jede Gesellschaft der Guten, das heisst urspr�nglich der M�chtigen, die Dankbarkeit unter die ersten Pflichten. - Swift hat den Satz hingeworfen, dass Menschen in dem selben Verh�ltniss dankbar sind, wie sie Rache hegen. 45. Doppelte Vorgeschichte von Gut und B�se. - Der Begriff gut und b�se hat eine doppelte Vorgeschichte: n�mlich einmal in der Seele der herrschenden St�mme und Kasten. Wer die Macht zu vergelten hat, Gutes mit Gutem, B�ses mit B�sem, und auch wirklich Vergeltung �bt, also dankbar und rachs�chtig ist, der wird gut genannt; wer unm�chtig ist und nicht vergelten kann, gilt als schlecht. Man geh�rt als Guter zu den "Guten", einer Gemeinde, welche Gemeingef�hl hat, weil alle Einzelnen durch den Sinn der Vergeltung mit einander verflochten sind. Man geh�rt als Schlechter zu den "Schlechten", zu einem Haufen unterworfener, ohnm�chtiger Menschen, welche kein Gemeingef�hl haben. Die Guten sind eine Kaste, die Schlechten eine Masse wie Staub. Gut und schlecht ist eine Zeit lang so viel wie vornehm und niedrig, Herr und Sclave. Dagegen sieht man den Feind nicht als b�se an: er kann vergelten. Der Troer und der Grieche sind bei Homer beide gut. Nicht Der, welcher uns Sch�dliches zuf�gt, sondern Der, welcher ver�chtlich ist, gilt als schlecht. In der Gemeinde der Guten vererbt sich das Gute; es ist unm�glich, dass ein Schlechter aus so gutem Erdreiche hervorwachse. Thut trotzdem Einer der Guten Etwas, das der Guten unw�rdig ist, so verf�llt man auf Ausfl�chte; man schiebt zum Beispiel einem Gott die Schuld zu, indem man sagt: er habe den Guten mit Verblendung und Wahnsinn geschlagen. - Sodann in der Seele der Unterdr�ckten, Machtlosen. Hier gilt jeder andere Mensch als feindlich, r�cksichtslos, ausbeutend, grausam, listig, sei er vornehm oder niedrig; b�se ist das Charakterwort f�r Mensch, ja f�r jedes lebende Wesen, welches man voraussetzt, zum Beispiel f�r einen Gott; menschlich, g�ttlich gilt so viel wie teuflisch, b�se. Die Zeichen der G�te, H�lfebereitschaft, Mitleid, werden angstvoll als T�cke, Vorspiel eines schrecklichen Ausgangs, Bet�ubung und Ueberlistung aufgenommen, kurz als verfeinerte Bosheit. Bei einer solchen Gesinnung des Einzelnen kann kaum ein Gemeinwesen entstehen, h�chstens die roheste Form desselben: so dass �berall, wo diese Auffassung von gut und b�se herrscht, der Untergang der Einzelnen, ihrer St�mme und Rassen nahe ist. - Unsere jetzige Sittlichkeit ist auf dem Boden der herrschenden St�mme und Kasten aufgewachsen. 46. Mitleiden st�rker als Leiden. - Es giebt F�lle, wo das Mitleiden st�rker ist, als das eigentliche Leiden. Wir empfinden es zum Beispiel schmerzlicher, wenn einer unserer Freunde sich etwas Schm�hliches zu Schulden kommen l�sst, als wenn wir selbst es thun. Einmal n�mlich glauben wir mehr an die Reinheit seines Charakters, als er; sodann ist unsere Liebe zu ihm, wahrscheinlich eben dieses Glaubens wegen, st�rker, als seine Liebe zu sich selbst. Wenn auch wirklich sein Egoismus mehr dabei leidet, als unser Egoismus, insofern er die �belen Folgen seines Vergehens st�rker zu tragen hat, so wird das Unegoistische in uns - dieses Wort ist nie streng zu verstehen, sondern nur eine Erleichterung des Ausdrucks - doch st�rker durch seine Schuld betroffen, als das Unegoistische in ihm. 47. Hypochondrie.- Es giebt Menschen, welche aus Mitgef�hl und Sorge f�r eine andere Person hypochondrisch werden; die dabei entstehende Art des Mitleidens ist nichts Anderes, als eine Krankheit. So giebt es auch eine christliche Hypochondrie, welche jene einsamen, religi�s bewegten Leute bef�llt, die sich das Leiden und Sterben Christi fortw�hrend vor Augen stellen. 48. Oekonomie der G�te. - Die G�te und Liebe als die heilsamsten Kr�uter und Kr�fte im Verkehre der Menschen sind so kostbare Funde, dass man wohl w�nschen m�chte, es werde in der Verwendung dieser balsamischen Mittel so �konomisch wie m�glich verfahren: doch ist diess unm�glich. Die Oekonomie der G�te ist der Traum der verwegensten Utopisten. 49. Wohlwollen.- Unter die kleinen, aber zahllos h�ufigen und desshalb sehr wirkungsvollen Dinge, auf welche die Wissenschaft mehr Acht zu geben hat, als auf die grossen seltenen Dinge, ist auch das Wohlwollen zu rechnen; ich meine jene Aeusserungen freundlicher Gesinnung im Verkehr, jenes L�cheln des Auges, jene H�ndedr�cke, jenes Behagen, von welchem f�r gew�hnlich fast alles menschliche Thun umsponnen ist. Jeder Lehrer, jeder Beamte bringt diese Zuthat zu dem, was f�r ihn Pflicht ist, hinzu; es ist die fortw�hrende Beth�tigung der Menschlichkeit, gleichsam die Wellen ihres Lichtes, in denen Alles w�chst; namentlich im engsten Kreise, innerhalb der Familie, gr�nt und bl�ht das Leben nur durch jenes Wohlwollen. Die Gutm�thigkeit, die Freundlichkeit, die H�flichkeit des Herzens sind immerquellende Ausfl�sse des unegoistischen Triebes und haben viel m�chtiger an der Cultur gebaut, als jene viel ber�hmteren Aeusserungen desselben, die man Mitleiden, Barmherzigkeit und Aufopferung nennt. Aber man pflegt sie geringzusch�tzen, und in der That: es ist nicht gerade viel Unegoistisches daran. Die Summe dieser geringen Dosen ist trotzdem gewaltig, ihre gesammte Kraft geh�rt zu den st�rksten Kr�ften. - Ebenso findet man viel mehr Gl�ck in der Welt, als tr�be Augen sehen: wenn man n�mlich richtig rechnet, und nur alle jene Momente des Behagens, an welchen jeder Tag in jedem, auch dem bedr�ngtesten Menschenleben reich ist, nicht vergisst. 50. Mitleiden erregen wollen.- La Rochefoucauld trifft in der bemerkenswerthesten Stelle seines Selbst-Portraits (zuerst gedruckt 1658) gewiss das Rechte, wenn er alle Die, welche Vernunft haben, vor dem Mitleiden warnt, wenn er r�th, dasselbe den Leuten aus dem Volke zu �berlassen, die der Leidenschaften bed�rfen (weil sie nicht durch Vernunft bestimmt werden), um so weit gebracht zu werden, dem Leidenden zu helfen und bei einem Ungl�ck kr�ftig einzugreifen; w�hrend das Mitleiden, nach seinem (und Plato's) Urtheil, die Seele entkr�fte. Freilich solle man Mitleiden bezeugen, aber sich h�ten, es zu haben: denn die Ungl�cklichen seien nun einmal so dumm, dass bei ihnen das Bezeugen von Mitleid das gr�sste Gut von der Welt ausmache. - Vielleicht kann man noch st�rker vor diesem Mitleid-haben warnen, wenn man jenes Bed�rfniss der Ungl�cklichen nicht gerade als Dummheit und intellectuellen Mangel, als eine Art Geistesst�rung fasst, welche das Ungl�ck mit sich bringt (und so scheint es ja La Rochefoucauld zu fassen), sondern als etwas ganz Anderes und Bedenklicheres versteht. Vielmehr beobachte man Kinder, welche weinen und Schreien, damit sie bemitleidet werden, und desshalb den Augenblick abwarten, wo ihr Zustand in die Augen fallen kann; man lebe im Verkehr mit Kranken und Geistig-Gedr�ckten und frage sich, ob nicht das beredte Klagen und Wimmern, das Zur-Schau-tragen des Ungl�cks im Grunde das Ziel verfolgt, den Anwesenden weh zu thun: das Mitleiden, welches Jene dann �ussern, ist insofern eine Tr�stung f�r die Schwachen und Leidenden, als sie daran erkennen, doch wenigstens noch Eine Macht zu haben, trotz aller ihrer Schw�che: die Macht, wehe zu thun. Der Ungl�ckliche gewinnt eine Art von Lust in diesem Gef�hl der Ueberlegenheit, welches das Bezeugen des Mitleides ihm zum Bewusstsein bringt; seine Einbildung erhebt sich, er ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen. Somit ist der Durst nach Mitleid ein Durst nach Selbstgenuss, und zwar auf Unkosten der Mitmenschen; es zeigt den Menschen in der ganzen R�cksichtslosigkeit seines eigensten lieben Selbst: nicht aber gerade in seiner "Dummheit", wie La Rochefoucauld meint. - Im Zwiegespr�che der Gesellschaft werden Dreiviertel aller Fragen gestellt, aller Antworten gegeben, um dem Unterredner ein klein Wenig weh zu thun; desshalb d�rsten viele Menschen so nach Gesellschaft: sie giebt ihnen das Gef�hl ihrer Kraft. In solchen unz�hligen, aber sehr kleinen Dosen, in welchen die Bosheit sich geltend macht, ist sie ein m�chtiges Reizmittel des Lebens: ebenso wie das Wohlwollen, in gleicher Form durch die Menschenwelt hin verbreitet, das allezeit bereite Heilmittel ist. - Aber wird es viele Ehrliche geben, welche zugestehen, dass es Vergn�gen macht, wehe zu thun? dass man sich nicht selten damit unterh�lt - und gut unterh�lt -, anderen Menschen wenigstens in Gedanken Kr�nkungen zuzuf�gen und die Schrotk�rner der kleinen Bosheit nach ihnen zu schiessen? Die Meisten sind zu unehrlich und ein paar Menschen sind zu gut, um von diesem Pudendum Etwas zu wissen; diese m�gen somit immerhin leugnen, dass Prosper M�rim�e Recht habe, wenn er sagt: "Sachez aussi qu'il n'y a rien de plus commun que de faire le mal pour le plaisir de le faire." 51. Wie der Schein zum Sein wird. - Der Schauspieler kann zuletzt auch beim tiefsten Schmerz nicht aufh�ren, an den Eindruck seiner Person und den gesammten scenischen Effect zu denken, zum Beispiel selbst beim Begr�bniss seines Kindes; er wird �ber seinen eignen Schmerz und dessen Aeusserungen weinen, als sein eigener Zuschauer. Der Heuchler, welcher immer ein und die selbe Rolle spielt, h�rt zuletzt auf, Heuchler zu sein; zum Beispiel Priester, welche als junge M�nner gew�hnlich bewusst oder unbewusst Heuchler sind, werden zuletzt nat�rlich und sind dann wirklich, ohne alle Affectation, eben Priester; oder wenn es der Vater nicht so weit bringt, dann vielleicht der Sohn, der des Vaters Vorsprung benutzt, seine Gew�hnung erbt. Wenn Einer sehr lange und hartn�ckig Etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas Anderes zu sein. Der Beruf fast jedes Menschen, sogar des K�nstlers, beginnt mit Heuchelei, mit einem Nachmachen von Aussen her, mit einem Copiren des Wirkungsvollen. Der, welcher immer die Maske freundlicher Mienen tr�gt, muss zuletzt eine Gewalt �ber wohlwollende Stimmungen bekommen, ohne welche der Ausdruck der Freundlichkeit nicht zu erzwingen ist, - und zuletzt wieder bekommen diese �ber ihn Gewalt, er ist wohlwollend. 52. Der Punct der Ehrlichkeit beim Betruge. - Bei allen grossen Betr�gern ist ein Vorgang bemerkenswerth, dem sie ihre Macht verdanken. Im eigentlichen Acte des Betruges unter all den Vorbereitungen, dem Schauerlichen in Stimme, Ausdruck, Geb�rden, inmitten der wirkungsvollen Scenerie, �berkommt sie der Glaube an sich selbst: dieser ist es, der dann so wundergleich und bezwingend zu den Umgebenden spricht. Die Religionsstifter unterscheiden sich dadurch von jenen grossen Betr�gern, dass sie aus diesem Zustande der Selbstt�uschung nicht herauskommen: oder sie haben ganz selten einmal jene helleren Momente, wo der Zweifel sie �berw�ltigt; gew�hnlich tr�sten sie sich aber, diese helleren Momente dem b�sen Widersacher zuschiebend. Selbstbetrug muss da sein, damit Diese und jene grossartig wirken. Denn die Menschen glauben an die Wahrheit dessen, was ersichtlich stark geglaubt wird. 53. Angebliche Stufen der Wahrheit. - Einer der gew�hnlichen Fehlschl�sse ist der: weil Jemand wahr und aufrichtig gegen uns ist, so sagt er die Wahrheit. So glaubt das Kind an die Urtheile der Eltern, der Christ an die Behauptungen des Stifters der Kirche. Ebenso will man nicht zugeben, dass alles jenes, was die Menschen mit Opfern an Gl�ck und Leben in fr�heren Jahrhunderten vertheidigt haben, Nichts als Irrth�mer waren: vielleicht sagt man, es seien Stufen der Wahrheit gewesen. Aber im Grunde meint man, wenn Jemand ehrlich an Etwas geglaubt und f�r seinen Glauben gek�mpft hat und gestorben ist, w�re es doch gar zu unbillig, wenn eigentlich nur ein Irrthum ihn beseelt habe. So ein Vorgang scheint der ewigen Gerechtigkeit zu widersprechen; desshalb decretirt das Herz empfindender Menschen immer wieder gegen ihren Kopf den Satz: zwischen moralischen Handlungen und intellectuellen Einsichten muss durchaus ein nothwendiges Band sein. Es ist leider anders; denn es giebt keine ewige Gerechtigkeit. 54. Die L�ge. - Wesshalb sagen zu allermeist die Menschen im allt�glichen Leben die Wahrheit? - Gewiss nicht, weil ein Gott das L�gen verboten hat. Sondern erstens: weil es bequemer ist; denn die L�ge erfordert Erfindung, Verstellung und Ged�chtniss. (Wesshalb Swift sagt: wer eine L�ge berichtet, merkt selten die schwere Last, die er �bernimmt; er muss n�mlich, um eine L�ge zu behaupten, zwanzig andere erfinden.) Sodann: weil es in schlichten Verh�ltnissen vortheilhaft ist, direct zu sagen: ich will diess, ich habe diess gethan, und dergleichen; also weil der Weg des Zwangs und der Autorit�t sicherer ist, als der der List. - Ist aber einmal ein Kind in verwickelten h�uslichen Verh�ltnissen aufgezogen worden, so handhabt es ebenso nat�rlich die L�ge und sagt unwillk�rlich immer Das, was seinem Interesse entspricht; ein Sinn f�r Wahrheit, ein Widerwille gegen die L�ge an sich ist ihm ganz fremd und unzug�nglich, und so l�gt es in aller Unschuld. 55. Des Glaubens wegen die Moral verd�chtigen. - Keine Macht l�sst sich behaupten, wenn lauter Heuchler sie vertreten; die katholische Kirche mag noch so viele "weltliche" Elemente besitzen, ihre Kraft beruht auf jenen auch jetzt noch zahlreichen priesterlichen Naturen, welche sich das Leben schwer und bedeutungstief machen, und deren Blick und abgeh�rmter Leib von Nachtwachen, Hungern, gl�hendem Gebete, vielleicht selbst von Geisselhieben redet; Diese ersch�ttern die Menschen und machen ihnen Angst: wie, wenn es n�thig w�re, so zu leben? - diess ist die schauderhafte Frage, welche ihr Anblick auf die Zunge legt. Indem sie diesen Zweifel verbreiten, gr�nden sie immer von Neuem wieder einen Pfeiler ihrer Macht; selbst die Freigesinnten wagen es nicht, dem derartig Selbstlosen mit hartem Wahrheitssinn zu widerstehen und zu sagen: "Betrogner du, betr�ge nicht!" - Nur die Differenz der Einsichten trennt sie von ihm, durchaus keine Differenz der G�te oder Schlechtigkeit; aber was man nicht mag, pflegt man gew�hnlich auch ungerecht zu behandeln. So spricht man von der Schlauheit und der verruchten Kunst der Jesuiten, aber �bersieht, welche Selbst�berwindung jeder einzelne Jesuit sich auferlegt und wie die erleichterte Lebenspraxis, welche die jesuitischen Lehrb�cher predigen, durchaus nicht ihnen, sondern dem Laienstande zu Gute kommen soll. Ja man darf fragen, ob wir Aufgekl�rten bei ganz gleicher Taktik und Organisation eben so gute Werkzeuge, ebenso bewundernsw�rdig durch Selbstbesiegung, Unerm�dlichkeit, Hingebung sein w�rden. 56. Sieg der Erkenntniss �ber das radicale B�se. - Es tr�gt Dem, der weise werden will, einen reichlichen Gewinn ein, eine Zeit lang einmal die Vorstellung vom gr�ndlich b�sen und verderbten Menschen gehabt zu haben: sie ist falsch, wie die entgegengesetzte; aber ganze Zeitstrecken hindurch besass sie die Herrschaft und ihre Wurzeln haben sich bis in uns und unsere Welt hinein ver�stet. Um uns zu begreifen, m�ssen wir sie begreifen; um aber dann h�her zu steigen, m�ssen wir �ber sie hinwegsteigen. Wir erkennen dann, dass es keine S�nden im metaphysischen Sinne giebt; aber, im gleichen Sinne, auch keine Tugenden; dass dieses ganze Bereich sittlicher Vorstellungen fortw�hrend im Schwanken ist, dass es h�here und tiefere Begriffe von gut und b�se, sittlich und unsittlich giebt. Wer nicht viel mehr von den Dingen begehrt, als Erkenntniss derselben, kommt leicht mit seiner Seele zur Ruhe und wird h�chstens aus Unwissenheit, aber schwerlich aus Begehrlichkeit fehlgreifen (oder s�ndigen, wie die Welt es heisst). Er wird die Begierden nicht mehr verketzern und ausrotten wollen; aber sein einziges ihn v�llig beherrschendes Ziel, zu aller Zeit so gut wie m�glich zu erkennen, wird ihn k�hl machen und alle Wildheit in seiner Anlage bes�nftigen. Ueberdiess ist er einer Menge qu�lender Vorstellungen losgeworden, er empfindet Nichts mehr bei dem Worte H�llenstrafen, S�ndhaftigkeit, Unf�higkeit zum Guten: er erkennt darin nur die verschwebenden Schattenbilder falscher Welt- und Lebensbetrachtungen. 57. Moral als Selbstzertheilung des Menschen. - Ein guter Autor, der wirklich das Herz f�r seine Sache hat, w�nscht, dass jemand komme und ihn selber dadurch vernichte, dass er dieselbe Sache deutlicher darstelle und die in ihr enthaltenen Fragen ohne Rest beantworte. Das liebende M�dchen w�nscht, dass sie die hingebende Treue ihrer Liebe an der Untreue des Geliebten bew�hren k�nne. Der Soldat w�nscht, dass er f�r sein siegreiches Vaterland auf dem Schlachtfeld falle.- denn in dem Siege seines Vaterlandes siegt sein h�chstes W�nschen mit. Die Mutter giebt dem Kinde, was sie sich selber entzieht, Schlaf, die beste Speise, unter Umst�nden ihre Gesundheit, ihr Verm�gen. - Sind das Alles aber unegoistische Zust�nde? Sind diese Thaten der Moralit�t Wunder, weil sie, nach dem Ausdrucke Schopenhauer's, "unm�glich und doch wirklich" sind? Ist es nicht deutlich, dass in all diesen F�llen der Mensch Etwas von sich, einen Gedanken, ein Verlangen, ein Erzeugniss mehr liebt, als etwas Anderes von sich, dass er also sein Wesen zertheilt und dem einen Theil den anderen zum Opfer bringt? Ist es etwas wesentlich Verschiedenes, wenn ein Trotzkopf sagt: "ich will lieber �ber den Haufen geschossen werden, als diesem Menschen da einen Schritt aus dem Wege gehn?" - Die Neigung zu Etwas (Wunsch, Trieb, Verlangen) ist in allen genannten F�llen vorhanden; ihr nachzugeben, mit allen Folgen, ist jedenfalls nicht "unegoistisch". - In der Moral behandelt sich der Mensch nicht als individuum, sondern als dividuum. 58. Was man versprechen kann. - Man kann Handlungen versprechen, aber keine Empfindungen; denn diese sind unwillk�rlich. Wer jemandem verspricht, ihn immer zu lieben oder immer zu hassen oder ihm immer treu zu sein, verspricht Etwas, das nicht in seiner Macht steht; wohl aber kann er solche Handlungen versprechen, welche zwar gew�hnlich die Folgen der Liebe, des Hasses, der Treue sind, aber auch aus anderen Motiven entspringen k�nnen: denn zu einer Handlung f�hren mehrere Wege und Motive. Das Versprechen, jemanden immer zu lieben, heisst also: so lange ich dich liebe, werde ich dir die Handlungen der Liebe erweisen; liebe ich dich nicht mehr, so wirst du doch die selben Handlungen, wenn auch aus anderen Motiven, immerfort von mir empfangen: so dass der Schein in den K�pfen der Mitmenschen bestehen bleibt, dass die Liebe unver�ndert und immer noch die selbe sei. - Man verspricht also die Andauer des Anscheines der Liebe, wenn man ohne Selbstverblendung jemandem immerw�hrende Liebe gelobt. 59. Intellect und Moral. - Man muss ein gutes Ged�chtniss haben, um gegebene Versprechen halten zu k�nnen. Man muss eine starke Kraft der Einbildung haben, um Mitleid haben zu k�nnen. So eng ist die Moral an die G�te des Intellects gebunden. 60. Sich r�chen wollen und -sich r�chen. -Einen Rachegedanken haben und ausf�hren heisst einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vor�bergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Muth, ihn auszuf�hren, heisst ein chronisches Leiden, eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen. Die Moral, welche nur auf die Absichten sieht, taxirt beide F�lle gleich; f�r gew�hnlich taxirt man den ersten Fall als den schlimmeren (wegen der b�sen Folgen, welche die That der Rache vielleicht nach sich zieht). Beide Sch�tzungen sind kurzsichtig. 61. Warten-k�nnen. - Das Warten-k�nnen ist so schwer, dass die gr�ssten Dichter es nicht verschm�ht haben, das Nicht-warten-k�nnen zum Motiv ihrer Dichtungen zu machen. So Shakespeare im Othello, Sophokles im Ajax: dessen Selbstmord ihm, wenn er nur einen Tag noch seine Empfindung h�tte abk�hlen lassen, nicht mehr n�thig geschienen h�tte, wie der Orakelspruch andeutet; wahrscheinlich w�rde er den schrecklichen Einfl�sterungen der verletzten Eitelkeit ein Schnippchen geschlagen und zu sich gesprochen haben - wer hat denn nicht schon, in meinem Falle, ein Schaf f�r einen Helden angesehen? ist es denn so etwas Ungeheures? Im Gegentheil, es ist nur etwas allgemein Menschliches: Ajax durfte sich dergestalt Trost zusprechen. Die Leidenschaft will nicht warten; das Tragische im Leben grosser M�nner liegt h�ufig nicht in ihrem Conflicte mit der Zeit und der Niedrigkeit ihrer Mitmenschen, sondern in ihrer Unf�higkeit, ein Jahr, zwei Jahre ihr Werk zu verschieben; sie k�nnen nicht warten. - Bei allen Duellen haben die zurathenden Freunde das Eine festzustellen, ob die betheiligten Personen noch warten k�nnen: ist diess nicht der Fall, so ist ein Duell vern�nftig, insofern Jeder von Beiden sich sagt: "entweder lebe ich weiter, dann muss jener augenblicklich sterben, oder umgekehrt." Warten hiesse in solchem Falle an jener furchtbaren Marter der verletzten Ehre angesichts ihres Verletzers noch l�nger leiden; und diess kann eben mehr Leiden sein, als das Leben �berhaupt werth ist. 62. Schwelgerei der Rache. -Grobe Menschen, welche sich beleidigt f�hlen, pflegen den Grad der Beleidigung so hoch als m�glich zu nehmen und erz�hlen die Ursache mit stark �bertreibenden Worten, um nur in dem einmal erweckten Hass- und Rachegef�hl sich recht ausschwelgen zu k�nnen. 63. Werth der Verkleinerung. - Nicht wenige, vielleicht die allermeisten Menschen haben, um ihre Selbstachtung und eine gewisse T�chtigkeit im Handeln bei sich aufrecht zu erhalten, durchaus n�thig, alle ihnen bekannten Menschen in ihrer Vorstellung herabzusetzen und zu verkleinern. Da aber die geringen Naturen in der Ueberzahl sind und es sehr viel daran liegt, ob sie jene T�chtigkeit haben oder verlieren, so - 64. Der Auf brausende. - Vor Einem, der gegen uns aufbraust, soll man sich in Acht nehmen, wie vor Einem, der uns einmal nach dem Leben getrachtet hat: denn dass wir noch leben, das liegt an der Abwesenheit der Macht zu t�dten; gen�gten Blicke, so w�re es l�ngst um uns geschehen. Es ist ein St�ck roher Cultur, durch Sichtbarwerdenlassen der physischen Wildheit, durch Furchterregen Jemanden zum Schweigen zu bringen. - Ebenso ist jener kalte Blick, welchen Vornehme gegen ihre Bedienten haben, ein Ueberrest jener kastenm�ssigen Abgr�nzungen zwischen Mensch und Mensch, ein St�ck rohen Alterthums; die Frauen, die Bewahrerinnen des Alten, haben auch dieses Survival treuer bewahrt. 65. Wohin die Ehrlichkeit f�hren kann. -Jemand hatte die �ble Angewohnheit, sich �ber die Motive, aus denen er handelte und die so gut und so schlecht waren wie die Motive aller Menschen, gelegentlich ganz ehrlich auszusprechen. Er erregte erst Anstoss, dann Verdacht, wurde allm�hlich geradezu verfehmt und in die Acht der Gesellschaft erkl�rt, bis endlich die Justiz sich eines so verworfenen Wesens erinnerte, bei Gelegenheiten, wo sie sonst kein Auge hatte, oder dasselbe zudr�ckte. Der Mangel an Schweigsamkeit �ber das allgemeine Geheimniss und der unverantwortliche Hang, zu sehen, was Keiner sehen will - sich selber - brachten ihn zu Gef�ngniss und fr�hzeitigem Tod. 66. Str�flich, nie gestraft. - Unser Verbrechen gegen Verbrecher besteht darin, dass wir sie wie Schufte behandeln. 67. Sancta simplicitas der Tugend. - Jede Tugend hat Vorrechte: zum Beispiel diess, zu dem Scheiterhaufen eines Verurtheilten ihr eigenes B�ndchen Holz zu liefern. 68. Moralit�t und Erfolg. - Nicht nur die Zuschauer einer That bemessen h�ufig das Moralische oder Unmoralische an derselben nach dem Erfolge: nein, der Th�ter selbst thut diess. Denn die Motive und Absichten sind selten deutlich und einfach genug, und mitunter scheint selbst das Ged�chtniss durch den Erfolg der That getr�bt, so dass man seiner That selber falsche Motive unterschiebt oder die unwesentlichen Motive als wesentliche behandelt. Der Erfolg giebt oft einer That den vollen ehrlichen Glanz des guten Gewissens, ein Misserfolg legt den Schatten von Gewissensbissen �ber die achtungsw�rdigste Handlung. Daraus ergiebt sich die bekannte Praxis des Politikers, welcher denkt: "gebt mir nur den Erfolg: mit ihm habe ich auch alle ehrlichen Seelen auf meine Seite gebracht - und mich vor mir selber ehrlich gemacht." - Auf �hnliche Weise soll der Erfolg die bessere Begr�ndung ersetzen. Noch jetzt meinen viele Gebildete, der Sieg des Christenthums �ber die griechische Philosophie sei ein Beweis f�r die gr�ssere Wahrheit des ersteren, - obwohl in diesem Falle nur das Gr�bere und Gewaltsamere �ber das Geistigere und Zarte gesiegt hat. Wie es mit der gr�sseren Wahrheit steht, ist daraus zu ersehen, dass die erwachenden Wissenschaften Punct um Punct an Epikur's Philosophie angekn�pft, das Christenthum aber Punct um Punct zur�ckgewiesen haben. 69. Liebe und Gerechtigkeit. - Warum �bersch�tzt man die Liebe zu Ungunsten der Gerechtigkeit und sagt die sch�nsten Dinge von ihr, als ob sie ein viel h�heres Wesen als jene sei? Ist sie denn nicht ersichtlich d�mmer als jene? - Gewiss, aber gerade desshalb um so viel angenehmer f�r Alle. Sie ist dumm und besitzt ein reiches F�llhorn; aus ihm theilt sie ihre Gaben aus, an jedermann, auch wenn er sie nicht verdient, ja ihr nicht einmal daf�r dankt. Sie ist unparteiisch wie der Regen, welcher, nach der Bibel und der Erfahrung, nicht nur den Ungerechten, sondern unter Umst�nden auch den Gerechten bis auf die Haut nass macht. 70. Hinrichtung. - Wie kommt es, dass jede Hinrichtung uns mehr beleidigt, als ein Mord? Es ist die K�lte der Richter, die peinliche Vorbereitung, die Einsicht, dass hier ein Mensch als Mittel benutzt wird, um andere abzuschrecken. Denn die Schuld wird nicht bestraft, selbst wenn es eine g�be: diese liegt in Erziehern, Eltern, Umgebungen, in uns, nicht im M�rder, - ich meine die veranlassenden Umst�nde. 71. Die Hoffnung. - Pandora brachte das Fass mit den Uebeln und �ffnete es. Es war das Geschenk der G�tter an die Menschen, von Aussen ein sch�nes verf�hrerisches Geschenk und "Gl�cksfass" zubenannt. Da flogen all die Uebel, lebendige beschwingte Wesen heraus: von da an schweifen sie nun herum und thun den Menschen Schaden bei Tag und Nacht. Ein einziges Uebel war noch nicht aus dem Fass herausgeschl�pft: da schlug Pandora nach Zeus' Willen den Deckel zu und so blieb es darin. F�r immer hat der Mensch nun das Gl�cksfass im Hause und meint Wunder was f�r einen Schatz er in ihm habe; es steht ihm zu Diensten, er greift darnach: wenn es ihn gel�stet; denn er weiss nicht, dass jenes Fass, welches Pandora brachte, das Fass der Uebel war, und h�lt das zur�ckgebliebene Uebel f�r das gr�sste Gl�cksgut, - es ist die Hoffnung. - Zeus wollte n�mlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Uebel gequ�lt, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem qu�len zu lassen. Dazu giebt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das �belste der Uebel, weil sie die Qual der Menschen verl�ngert. 72. Grad der moralischen Erhitzbarkeit unbekannt. - Daran, dass man gewisse ersch�tternde Anblicke und Eindr�cke gehabt oder nicht gehabt hat, zum Beispiel eines unrecht gerichteten, get�dteten oder gemarterten Vaters, einer untreuen Frau, eines grausamen feindlichen Ueberfalls, h�ngt es ab, ob unsere Leidenschaften zur Gl�hhitze kommen und das ganze Leben lenken oder nicht. Keiner weiss, wozu ihn die Umst�nde, das Mitleid, die Entr�stung treiben k�nnen, er kennt den Grad seiner Erhitzbarkeit nicht. Erb�rmliche kleine Verh�ltnisse machen erb�rmlich; es ist gew�hnlich nicht die Qualit�t der Erlebnisse, sondern ihre Quantit�t, von welcher der niedere und h�here Mensch abh�ngt, im Guten und B�sen. 73. Der M�rtyrer wider Willen. - In einer Partei gab es einen Menschen, der zu �ngstlich und feige war, um je seinen Kameraden zu widersprechen: man brauchte ihn zu jedem Dienst, man erlangte von ihm Alles, weil er sich vor der schlechten Meinung bei seinen Gesellen mehr als vor dem Tode f�rchtete; es war eine erb�rmliche schwache Seele. Sie erkannten diess und machten auf Grund der erw�hnten Eigenschaften aus ihm einen Heros und zuletzt gar einen M�rtyrer. Obwohl der feige Mensch innerlich immer Nein sagte, sprach er mit den Lippen immer ja, selbst noch auf dem Schaffot, als er f�r die Ansichten seiner Partei starb: neben ihm n�mlich stand einer seiner alten Genossen, der ihn durch Wort und Blick so tyrannisirte, dass er wirklich auf die anst�ndigste Weise den Tod erlitt und seitdem als M�rtyrer und grosser Charakter gefeiert wird. 74. Alltags-Maassstab. - Man wird selten irren, wenn man extreme Handlungen auf Eitelkeit, mittelm�ssige auf Gew�hnung und kleinliche auf Furcht zur�ckf�hrt. 75. Missverst�ndniss �ber die Tugend. - Wer die Untugend in Verbindung mit der Lust kennen gelernt hat, wie Der, welcher eine genusss�chtige Jugend hinter sich hat, bildet sich ein, dass die Tugend mit der Unlust verbunden sein m�sse. Wer dagegen von seinen Leidenschaften und Lastern sehr geplagt worden ist, ersehnt in der Tugend die Ruhe und das Gl�ck der Seele. Daher ist es m�glich, dass zwei Tugendhafte einander gar nicht verstehen. 76. Der Asket. - Der Asket macht aus der Tugend eine Noth. 77. Die Ehre von der Person auf die Sache �bertragen. - Man ehrt allgemein die Handlungen der Liebe und Aufopferung zu Gunsten des N�chsten, wo sie sich auch immer zeigen. Dadurch vermehrt man die Sch�tzung der Dinge, welche in jener Art geliebt werden oder f�r welche man sich aufopfert: obwohl sie vielleicht an sich nicht viel werth sind. Ein tapferes Heer �berzeugt von der Sache, f�r welche es k�mpft. 78. Ehrgeiz ein Surrogat des moralischen Gef�hls. - Das moralische Gef�hl darf in solchen Naturen nicht fehlen, welche keinen Ehrgeiz haben. Die Ehrgeizigen behelfen sich auch ohne dasselbe, mit fast gleichem Erfolge. - Desshalb werden S�hne aus bescheidenen, dem Ehrgeiz abgewandten Familien, wenn sie einmal das moralische Gef�hl verlieren, gew�hnlich in schneller Steigerung zu vollkommenen Lumpen. 79. Eitelkeit bereichert. - Wie arm w�re der menschliche Geist ohne die Eitelkeit! So aber gleicht er einem wohlgef�llten und immer neu sich f�llenden Waarenmagazin, welches K�ufer jeder Art anlockt: Alles fast k�nnen sie finden, Alles haben, vorausgesetzt, dass sie die g�ltige M�nzsorte (Bewunderung) mit sich bringen. 80. Greis und Tod.- Abgesehen von den Forderungen, welche die Religion stellt, darf man wohl fragen: warum sollte es f�r einen alt gewordenen Mann, welcher die Abnahme seiner Kr�fte sp�rt, r�hmlicher sein, seine langsame Ersch�pfung und Aufl�sung abzuwarten, als sich mit vollem Bewusstsein ein Ziel zu setzen? Die Selbstt�dtung ist in diesem Falle eine ganz nat�rliche naheliegende Handlung, welche als ein Sieg der Vernunft billigerweise Ehrfurcht erwecken sollte: und auch erweckt hat, in jenen Zeiten als die H�upter der griechischen Philosophie und die wackersten r�mischen Patrioten durch Selbstt�dtung zu sterben pflegten. Die Sucht dagegen, sich mit �ngstlicher Berathung von Aerzten und peinlichster Lebensart von Tag zu Tage fortzufristen, ohne Kraft, dem eigentlichen Lebensziel noch n�her zu kommen, ist viel weniger achtbar. - Die Religionen sind reich an Ausfl�chten vor der Forderung der Selbstt�dtung: dadurch schmeicheln sie sich bei Denen ein, welche in das Leben verliebt sind. 81. Irrth�mer des Leidenden und des Th�ters. - Wenn der Reiche dem Armen ein Besitzthum nimmt (zum Beispiel ein F�rst dem Plebejer die Geliebte), so entsteht in dem Armen ein Irrthum; er meint, jener m�sse ganz verrucht sein, um ihm das Wenige, was er habe, zu nehmen. Aber jener empfindet den Werth eines einzelnen Besitzthums gar nicht so tief, weil er gew�hnt ist, viele zu haben: so kann er sich nicht in die Seele des Armen versetzen und thut lange nicht so sehr Unrecht, als dieser glaubt. Beide haben von einander eine falsche Vorstellung. Das Unrecht des M�chtigen, welches am meisten in der Geschichte emp�rt, ist lange nicht so gross, wie es scheint. Schon die angeerbte Empfindung, ein h�heres Wesen mit h�heren Anspr�chen zu sein, macht ziemlich kalt und l�sst das Gewissen ruhig: wir Alle sogar empfinden, wenn der Unterschied zwischen uns und einem andern Wesen sehr gross ist, gar Nichts mehr von Unrecht und t�dten eine M�cke zum Beispiel ohne jeden Gewissensbiss. So ist es kein Zeichen von Schlechtigkeit bei Xerxes (den selbst alle Griechen als hervorragend edel schildern), wenn er dem Vater seinen Sohn nimmt und ihn zerst�ckeln l�sst, weil dieser ein �ngstliches, omin�ses Misstrauen gegen den ganzen Heerzug ge�ussert hatte: der Einzelne wird in diesem Falle wie ein unangenehmes Insect beseitigt, er steht zu niedrig, um l�nger qu�lende Empfindungen bei einem Weltherrscher erregen zu d�rfen. Ja, jeder Grausame ist nicht in dem Maasse grausam, als es der Misshandelte glaubt; die Vorstellung des Schmerzes ist nicht das Selbe wie das Leiden desselben. Ebenso steht es mit dem ungerechten Richter, mit dem Journalisten, welcher mit kleinen Unredlichkeiten die �ffentliche Meinung irre f�hrt. Ursache und Wirkung sind in allen diesen F�llen von ganz verschiedenen Empfindungs- und Gedankengruppen umgeben; w�hrend man unwillk�rlich voraussetzt, dass Th�ter und Leidender gleich denken und empfinden, und gem�ss dieser Voraussetzung die Schuld des Einen nach dem Schmerz des Andern misst. 82. Haut der Seele. - Wie die Knochen, Fleischst�cke, Eingeweide und Blutgef�sse mit einer Haut umschlossen sind, die den Anblick des Menschen ertr�glich macht, so werden die Regungen und Leidenschaften der Seele durch die Eitelkeit umh�llt: sie ist die Haut der Seele. 83. Schlaf der Tugend. - Wenn die Tugend geschlafen hat, wird sie frischer aufstehen. 84. Feinheit der Scham. - Die Menschen sch�men sich nicht, etwas Schmutziges zu denken, aber wohl, wenn sie sich vorstellen, dass man ihnen diese schmutzigen Gedanken zutraue. 85. Bosheit ist selten. - Die meisten Menschen sind viel zu sehr mit sich besch�ftigt, um boshaft zu sein. 86. Das Z�nglein an der Wage. - Man lobt oder tadelt, je nachdem das Eine oder das Andere mehr Gelegenheit giebt, unsere Urtheilskraft leuchten zu lassen. 87. Lucas 18,14 verbessert. - Wer sich selbst erniedrigt, will erh�het werden. 88. Verhinderung des Selbstmordes. - Es giebt ein Recht, wonach wir einem Menschen das Leben nehmen, aber keines, wonach wir ihm das Sterben nehmen: diess ist nur Grausamkeit. 89. Eitelkeit.- Uns liegt an der guten Meinung der Menschen, einmal weil sie uns n�tzlich ist, sodann weil wir ihnen Freude machen wollen (Kinder den Eltern, Sch�ler den Lehrern und wohlwollende Menschen �berhaupt allen �brigen Menschen). Nur wo jemandem die gute Meinung der Menschen wichtig ist, abgesehen vom Vortheil oder von seinem Wunsche, Freude zu machen, reden wir von Eitelkeit. In diesem Falle will sich der Mensch selber eine Freude machen, aber auf Unkosten seiner Mitmenschen, indem er diese entweder zu einer falschen Meinung �ber sich verf�hrt oder es gar auf einen Grad der "guten Meinung" absieht, wo diese allen Anderen peinlich werden muss (durch Erregung von Neid). Der Einzelne will gew�hnlich durch die Meinung Anderer die Meinung, die er von sich hat, beglaubigen und vor sich selber bekr�ftigen; aber die m�chtige Gew�hnung an Autorit�t - eine Gew�hnung, die so alt als der Mensch ist - bringt Viele auch dazu, ihren eigenen Glauben an sich auf Autorit�t zu st�tzen, also erst aus der Hand Anderer anzunehmen: sie trauen der Urtheilskraft Anderer mehr, als der eigenen. - Das Interesse an sich selbst, der Wunsch, sich zu vergn�gen, erreicht bei dem Eitelen eine solche H�he, dass er die Anderen zu einer falschen, allzu hohen Taxation seiner selbst verf�hrt und dann doch sich an die Autorit�t der Anderen h�lt: also den Irrthum herbeif�hrt und doch ihm Glauben schenkt. - Man muss sich also eingestehen, dass die eitelen Menschen nicht sowohl Anderen gefallen wollen, als sich selbst, und dass sie so weit gehen, ihren Vortheil dabei zu vernachl�ssigen; denn es liegt ihnen oft daran, ihre Mitmenschen ung�nstig, feindlich, neidisch, also sch�dlich gegen sich stimmen, nur um die Freude an sich selber, den Selbstgenuss, zu haben. 90. Gr�nze der Menschenliebe. - Jeder, welcher sich daf�r erkl�rt hat, dass der Andere ein Dummkopf, ein schlechter Geselle sei, �rgert sich, wenn Jener schliesslich zeigt, dass er es nicht ist. 91. Moralit� larmoyante. - Wie viel Vergn�gen macht die Moralit�t! Man denke nur, was f�r ein Meer angenehmer Thr�nen schon bei Erz�hlungen edler, grossm�thiger Handlungen geflossen ist! - Dieser Reiz des Lebens w�rde schwinden, wenn der Glaube an die v�llige Unverantwortlichkeit �berhand n�hme. 92. Ursprung der Gerechtigkeit. - Die Gerechtigkeit (Billigkeit) nimmt ihren Ursprung unter ungef�hr gleich M�chtigen, wie diess Thukydides (in dem furchtbaren Gespr�che der athenischen und melischen Gesandten) richtig begriffen hat; wo es keine deutlich erkennbare Uebergewalt giebt und ein Kampf zum erfolglosen, gegenseitigen Sch�digen w�rde, da entsteht der Gedanke sich zu verst�ndigen und �ber die beiderseitigen Anspr�che zu verhandeln: der Charakter des Tausches ist der anf�ngliche Charakter der Gerechtigkeit. Jeder stellt den Andern zufrieden, indem jeder bekommt, was er mehr sch�tzt als der Andere. Man giebt jedem, was er haben will als das nunmehr Seinige, und empf�ngt dagegen das Gew�nschte. Gerechtigkeit ist also Vergeltung und Austausch unter der Voraussetzung einer ungef�hr gleichen Machtstellung: so geh�rt urspr�nglich die Rache in den Bereich der Gerechtigkeit, sie ist ein Austausch. Ebenso die Dankbarkeit. - Gerechtigkeit geht nat�rlich auf den Gesichtspunct einer einsichtigen Selbsterhaltung zur�ck, also auf den Egoismus jener Ueberlegung: "wozu sollte ich mich nutzlos sch�digen und mein Ziel vielleicht doch nicht erreichen?" - Soviel vom Ursprung der Gerechtigkeit. Dadurch, dass die Menschen, ihrer intellectuellen Gewohnheit gem�ss, den urspr�nglichen Zweck sogenannter gerechter, billiger Handlungen vergessen haben und namentlich weil durch Jahrtausende hindurch die Kinder angelernt worden sind, solche Handlungen zu bewundern und nachzuahmen, ist allm�hlich der Anschein entstanden, als sei eine gerechte Handlung eine unegoistische: auf diesem Anschein aber beruht die hohe Sch�tzung derselben, welche �berdiess, wie alle Sch�tzungen, fortw�hrend noch im Wachsen ist: denn etwas Hochgesch�tztes wird mit Aufopferung erstrebt, nachgeahmt, vervielf�ltigt und w�chst dadurch, dass der Werth der aufgewandten M�he und Beeiferung von jedem Einzelnen noch zum Werthe des gesch�tzten Dinges hinzugeschlagen wird. - Wie wenig moralisch s�he die Welt ohne die Vergesslichkeit aus! Ein Dichter k�nnte sagen, dass Gott die Vergesslichkeit als Th�rh�terin an die Tempelschwelle der Menschenw�rde hingelagert habe. 93. Vom Rechte des Schw�cheren. - Wenn sich jemand unter Bedingungen einem M�chtigeren unterwirft, zum Beispiel eine belagerte Stadt, so ist die Gegenbedingung die, dass man sich vernichten, die Stadt verbrennen und so dem M�chtigen eine grosse Einbusse machen kann. Desshalb entsteht hier eine Art Gleichstellung, auf Grund welcher Rechte festgesetzt werden k�nnen. Der Feind hat seinen Vortheil an der Erhaltung. - Insofern giebt es auch Rechte zwischen Sclaven und Herren, das heisst genau in dem Maasse, in welchem der Besitz des Sclaven seinem Herrn n�tzlich und wichtig ist. Das Recht geht urspr�nglich soweit, als Einer dem Andern werthvoll, wesentlich, unverlierbar, unbesiegbar und dergleichen erscheint. In dieser Hinsicht hat auch der Schw�chere noch Rechte, aber geringere. Daher das ber�hmte unusquisque tantum juris habet, quantum potentia valet (oder genauer: quantum potentia valere creditur). 94. Die drei Phasen der bisherigen Moralit�t. - Es ist das erste Zeichen, dass das Thier Mensch geworden ist, wenn sein Handeln nicht mehr auf das augenblickliche Wohlbefinden, sondern auf das dauernde sich bezieht, dass der Mensch also n�tzlich, zweckm�ssig wird.- da bricht zuerst die freie Herrschaft der Vernunft heraus. Eine noch h�here Stufe ist erreicht, wenn er nach dem Princip der Ehre handelt; verm�ge desselben ordnet er sich ein, unterwirft sich gemeinsamen Empfindungen, und das erhebt ihn hoch �ber die Phase, in der nur die pers�nlich verstandene N�tzlichkeit ihn leitete: er achtet und will geachtet werden, das heisst: er begreift den Nutzen als abh�ngig von dem, was er �ber Andere, was Andere �ber ihn meinen. Endlich handelt er, auf der h�chsten Stufe der bisherigen Moralit�t nach seinem Maassstab �ber die Dinge und Menschen, er selber bestimmt f�r sich und Andere, was ehrenvoll, was n�tzlich ist; er ist zum Gesetzgeber der Meinungen geworden, gem�ss dem immer h�her entwickelten Begriff des N�tzlichen und Ehrenhaften. Die Erkenntnis bef�higt ihn, das N�tzlichste, das heisst den allgemeinen dauernden Nutzen dem pers�nlichen, die ehrende Anerkennung von allgemeiner dauernder Geltung der momentanen voranzustellen; er lebt und handelt als Collectiv-Individuum. 95. Moral des reifen Individuums. - Man hat bisher als das eigentliche Kennzeichen der moralischen Handlung das Unpers�nliche angesehen; und es ist nachgewiesen, dass zu Anfang die R�cksicht auf den allgemeinen Nutzen es war, derentwegen man alle unpers�nlichen Handlungen lobte und auszeichnete. Sollte nicht eine bedeutende Umwandelung dieser Ansichten bevorstehen, jetzt wo immer besser eingesehen wird, dass gerade in der m�glichst pers�nlichen R�cksicht auch der Nutzen f�r das Allgemeine am gr�ssten ist: so dass gerade das streng pers�nliche Handeln dem jetzigen Begriff der Moralit�t (als einer allgemeinen N�tzlichkeit) entspricht? Aus sich eine ganze Person machen und in Allem, was man thut, deren h�chstes Wohl in's Auge fassen - das bringt weiter, als jene mitleidigen Regungen und Handlungen zu Gunsten Anderer. Wir Alle leiden freilich noch immer an der allzugeringen Beachtung des Pers�nlichen an uns, es ist schlecht ausgebildet, - gestehen wir es uns ein: man hat vielmehr unsern Sinn gewaltsam von ihm abgezogen und dem Staate, der Wissenschaft, dem H�lfebed�rftigen zum Opfer angeboten, wie als ob es das Schlechte w�re, das geopfert werden m�sste. Auch jetzt wollen wir f�r unsere Mitmenschen arbeiten, aber nur so weit, als wir unsern eigenen h�chsten Vortheil in dieser Arbeit finden, nicht mehr, nicht weniger. Es kommt nur darauf an, was man als seinen Vortheil versteht; gerade das unreife, unentwickelte, rohe Individuum wird ihn auch am rohesten verstehen. 96. Sitte und sittlich.- Moralisch, sittlich, ethisch sein heisst Gehorsam gegen ein altbegr�ndetes Gesetz oder Herkommen haben. Ob man mit M�he oder gern sich ihm unterwirft, ist dabei gleichg�ltig, genug, dass man es thut. "Gut" nennt man Den, welcher wie von Natur, nach langer Vererbung, also leicht und gern das Sittliche thut, je nachdem diess ist (zum Beispiel Rache �bt, wenn Rache-�ben, wie bei den �lteren Griechen, zur guten Sitte geh�rt). Er wird gut genannt, weil er "wozu" gut ist; da aber Wohlwollen, Mitleiden und dergleichen in dem Wechsel der Sitten immer als "gut wozu", als n�tzlich empfunden wurde, so nennt man jetzt vornehmlich den Wohlwollenden, H�lfreichen "gut". B�se ist "nicht sittlich" (unsittlich) sein, Unsitte �ben, dem Herkommen widerstreben, wie vern�nftig oder dumm dasselbe auch sei; das Sch�digen des N�chsten ist aber in allen den Sittengesetzen der verschiedenen Zeiten vornehmlich als sch�dlich empfunden worden, so dass wir jetzt namentlich bei dem Wort "b�se" an die freiwillige Sch�digung des N�chsten denken. Nicht das "Egoistische" und das "Unegoistische" ist der Grundgegensatz, welcher die Menschen zur Unterscheidung von sittlich und unsittlich, gut und b�se gebracht hat, sondern: Gebundensein an ein Herkommen, Gesetz, und L�sung davon. Wie das Herkommen entstanden ist, das ist dabei gleichg�ltig, jedenfalls ohne R�cksicht auf gut und b�se oder irgend einen immanenten kategorischen Imperativ, sondern vor Allem zum Zweck der Erhaltung einer Gemeinde, eines Volkes; jeder abergl�ubische Brauch, der auf Grund eines falsch gedeuteten Zufalls entstanden ist, erzwingt ein Herkommen, welchem zu folgen sittlich ist; sich von ihm l�sen ist n�mlich gef�hrlich, f�r die Gemeinschaft noch mehr sch�dlich als f�r den Einzelnen (weil die Gottheit den Frevel und jede Verletzung ihrer Vorrechte an der Gemeinde und nur insofern auch am Individuum straft). Nun wird jedes Herkommen fortw�hrend ehrw�rdiger, je weiter der Ursprung abliegt, je mehr dieser vergessen ist; die ihm gezollte Verehrung h�uft sich von Generation zu Generation auf, das Herkommen wird zuletzt heilig und erweckt Ehrfurcht; und so ist jedenfalls die Moral der Piet�t eine viel �ltere Moral, als die, welche unegoistische Handlungen verlangt. 97. Die Lust in der Sitte. - Eine wichtige Gattung der Lust und damit der Quelle der Moralit�t entsteht aus der Gewohnheit. Man thut das Gewohnte leichter, besser, also lieber, man empfindet dabei eine Lust, und weiss aus der Erfahrung, dass das Gewohnte sich bew�hrt hat, also n�tzlich ist; eine Sitte, mit der sich leben l�sst, ist als heilsam, f�rderlich bewiesen, im Gegensatz zu allen neuen, noch nicht bew�hrten Versuchen. Die Sitte ist demnach die Vereinigung des Angenehmen und des N�tzlichen, �berdiess macht sie kein Nachdenken n�thig. Sobald der Mensch Zwang aus�ben kann, �bt er ihn aus, um seine Sitten durchzusetzen und einzuf�hren, denn f�r ihn sind sie die bew�hrte Lebensweisheit. Ebenso zwingt eine Gemeinschaft von Individuen jedes einzelne zur selben Sitte. Hier ist der Fehlschluss: weil man sich mit einer Sitte wohl f�hlt oder wenigstens weil man vermittelst derselben seine Existenz durchsetzt, so ist diese Sitte nothwendig, denn sie gilt als die einzige M�glichkeit, unter der man sich wohl f�hlen kann; das Wohlgef�hl des Lebens scheint allein aus ihr hervorzuwachsen. Diese Auffassung des Gewohnten als einer Bedingung des Daseins wird bis auf die kleinsten Einzelheiten der Sitte durchgef�hrt: da die Einsicht in die wirkliche Causalit�t bei den niedrig stehenden V�lkern und Culturen sehr gering ist, so sieht man mit abergl�ubischer Furcht darauf, dass Alles seinen gleichen Gang gehe; selbst wo die Sitte schwer, hart, l�stig ist, wird sie ihrer scheinbar h�chsten N�tzlichkeit wegen bewahrt. Man weiss nicht, dass der selbe Grad von Wohlbefinden auch bei anderen Sitten bestehen kann und dass selbst h�here Grade sich erreichen lassen. Wohl aber nimmt man wahr, dass alle Sitten, auch die h�rtesten, mit der Zeit angenehmer und milder werden, und dass auch die strengste Lebensweise zur Gewohnheit und damit zur Lust werden kann. 98. Lust und socialer Instinct. - Aus seinen Beziehungen zu andern Menschen gewinnt der Mensch eine neue Gattung von Lust zu jenen Lustempfindungen hinzu, welche er aus sich selber nimmt; wodurch er das Reich der Lustempfindung �berhaupt bedeutend umf�nglicher macht. Vielleicht hat er mancherlei, das hierher geh�rt, schon von den Thieren her �berkommen, welche ersichtlich Lust empfinden, wenn sie mit einander spielen, namentlich die M�tter mit den jungen. Sodann gedenke man der geschlechtlichen Beziehungen, welche jedem M�nnchen ungef�hr jedes Weibchen interessant in Ansehung der Lust erscheinen lassen, und umgekehrt. Die Lustempfindung auf Grund menschlicher Beziehungen macht im Allgemeinen den Menschen besser; die gemeinsame Freude, die Lust mitsammen genossen, erh�ht dieselbe, sie giebt dem Einzelnen Sicherheit, macht ihn gutm�thiger, l�st das Misstrauen, den Neid: denn man f�hlt sich selber wohl und sieht den Andern in gleicher Weise sich wohl f�hlen. Die gleichartigen Aeusserungen der Lust erwecken die Phantasie der Mitempfindung, das Gef�hl etwas Gleiches zu sein: das Selbe thun auch die gemeinsamen Leiden, die selben Unwetter, Gefahren, Feinde. Darauf baut sich dann wohl das �lteste B�ndniss auf: dessen Sinn die gemeinsame Beseitigung und Abwehr einer drohenden Unlust zum Nutzen jedes Einzelnen ist. Und so w�chst der sociale Instinct aus der Lust heraus. 99. Das Unschuldige an den sogenannten b�sen Handlungen. - Alle "b�sen" Handlungen sind motivirt durch den Trieb der Erhaltung oder, noch genauer, durch die Absicht auf Lust und Vermeidung der Unlust des Individuums; als solchermaassen motivirt, aber nicht b�se. "Schmerz bereiten an sich" existirt nicht, ausser im Gehirn der Philosophen, ebensowenig "Lust bereiten an sich" (Mitleid im Schopenhauerischen Sinne). In dem Zustand vor dem Staate t�dten wir das Wesen, sei es Affe oder Mensch, welches uns eine Frucht des Baumes vorwegnehmen will, wenn wir gerade Hunger haben und auf den Baum zulaufen: wie wir es noch jetzt bei Wanderungen in unwirthlichen Gegenden mit dem Thiere thun w�rden. - Die b�sen Handlungen, welche uns jetzt am meisten emp�ren, beruhen auf dem Irrthume, dass der Andere, welcher sie uns zuf�gt, freien Willen habe, also dass es in seinem Belieben gelegen habe, uns diess Schlimme nicht anzuthun. Dieser Glaube an das Belieben erregt den Hass, die Rachlust, die T�cke, die ganze Verschlechterung der Phantasie, w�hrend wir einem Thiere viel weniger z�rnen, weil wir diess als unverantwortlich betrachten. Leid thun nicht aus Erhaltungstrieb, sondern zur Vergeltung - ist Folge eines falschen Urtheils und desshalb ebenfalls unschuldig. Der Einzelne kann im Zustande, welcher vor dem Staate liegt, zur Abschreckung andere Wesen hart und grausam behandeln: um seine Existenz durch solche abschreckende Proben seiner Macht sicher zu stellen. So handelt der Gewaltth�tige, M�chtige, der urspr�ngliche Staatengr�nder, welcher sich die Schw�cheren unterwirft. Er hat dazu das Recht, wie es jetzt noch der Staat sich nimmt; oder vielmehr: es giebt kein Recht, welches diess hindern kann. Es kann erst dann der Boden f�r alle Moralit�t zurecht gemacht werden, wenn ein gr�sseres Individuum oder ein Collectiv-Individuum, zum Beispiel die Gesellschaft, der Staat, die Einzelnen unterwirft, also aus ihrer Vereinzelung herauszieht und in einen Verband einordnet. Der Moralit�t geht der Zwang voraus, ja sie selber ist noch eine Zeit lang Zwang, dem man sich, zur Vermeidung der Unlust, f�gt. Sp�ter wird sie Sitte, noch sp�ter freier Gehorsam, endlich beinahe Instinct: dann ist sie wie alles lang Gew�hnte und Nat�rliche mit Lust verkn�pft - und heisst nun Tugend. 100. Scham.- Die Scham existirt �berall, wo es ein "Mysterium" giebt; diess aber ist ein religi�ser Begriff, welcher in der �lteren Zeit der menschlichen Cultur einen grossen Umfang hatte. Ueberall gab es umgr�nzte Gebiete, zu welchen das g�ttliche Recht den Zutritt versagte, ausser unter bestimmten Bedingungen: zu allererst ganz r�umlich, insofern gewisse St�tten vom Fusse der Uneingeweihten nicht zu betreten waren und in deren N�he Diese Schauder und Angst empfanden. Diess Gef�hl wurde vielfach auf andere Verh�ltnisse �bertragen, zum Beispiel auf die geschlechtlichen Verh�ltnisse, welche als ein Vorrecht und Adyton des reiferen Alters den Blicken der Jugend, zu deren Vortheil, entzogen werden sollten: Verh�ltnisse, zu deren Schutz und Heilighaltung viele G�tter th�tig und im ehelichen Gemache als W�chter aufgestellt gedacht wurden. (Im T�rkischen heisst desshalb diess Gemach Harem "Heiligthum", wird also mit demselben Worte bezeichnet, welches f�r die Vorh�fe der Moscheen �blich ist.) So ist das K�nigthum als ein Centrum, von wo Macht und Glanz ausstrahlt, dem Unterworfenen ein Mysterium voller Heimlichkeit und Scham: wovon viele Nachwirkungen noch jetzt, unter V�lkern, die sonst keineswegs zu den versch�mten geh�ren, zu f�hlen sind. Ebenso ist die ganze Welt innerer Zust�nde, die sogenannte "Seele", auch jetzt noch f�r alle Nicht-Philosophen ein Mysterium, nachdem diese, endlose Zeit hindurch, als g�ttlichen Ursprungs, als g�ttlichen Verkehrs w�rdig geglaubt wurde: sie ist demnach ein Adyton und erweckt Scham. 101. Richtet nicht. - Man muss sich h�ten, bei der Betrachtung fr�herer Perioden nicht in ein ungerechtes Schimpfen zu gerathen. Die Ungerechtigkeit in der Sclaverei, die Grausamkeit in der Unterwerfung von Personen und V�lkern ist nicht mit unserem Maasse zu messen. Denn damals war der Instinct der Gerechtigkeit noch nicht so weit gebildet. Wer darf dem Genfer Calvin die Verbrennung des Arztes Servet vorwerfen? Es war eine consequente aus seinen Ueberzeugungen fliessende Handlung, und ebenso hatte die Inquisition ein gutes Recht; nur waren die herrschenden Ansichten falsch und ergaben eine Consequenz, welche uns hart erscheint, weil uns jene Ansichten fremd geworden sind. Was ist �brigens Verbrennen eines Einzelnen im Vergleich mit ewigen H�llenstrafen f�r fast Alle! Und doch beherrschte diese Vorstellung damals alle Welt, ohne mit ihrer viel gr�sseren Schrecklichkeit der Vorstellung von einem Gotte wesentlich Schaden zu thun. Auch bei uns werden politische Sectirer hart und grausam behandelt, aber weil man an die Nothwendigkeit des Staates zu glauben gelernt hat, so empfindet man hier die Grausamkeit nicht so sehr wie dort, wo wir die Anschauungen verwerfen. Die Grausamkeit gegen Thiere bei Kindern und Itali�nern geht auf Unverst�ndniss zur�ck; das Thier ist namentlich durch die Interessen der kirchlichen Lehre zu weit hinter den Menschen zur�ckgesetzt worden. - Auch mildert sich vieles Schreckliche und Unmenschliche in der Geschichte, an welches man kaum glauben m�chte, durch die Betrachtung, dass der Befehlende und der Ausf�hrende andere Personen sind: ersterer hat den Anblick nicht und daher nicht den starken Phantasie-Eindruck, letzterer gehorcht einem Vorgesetzten und f�hlt sich unverantwortlich. Die meisten F�rsten und Milit�rchefs erscheinen, aus Mangel an Phantasie, leicht grausam und hart, ohne es zu sein. - Der Egoismus ist nicht b�se, weil die Vorstellung vom "N�chsten" -das Wort ist christlichen Ursprungs und entspricht der Wahrheit nicht - in uns sehr schwach ist; und wir uns gegen ihn beinahe wie gegen Pflanze und Stein frei und unverantwortlich f�hlen. Dass der Andere leidet, ist zu lernen: und v�llig kann es nie gelernt werden. 102. "Der Mensch handelt immer gut." - Wir klagen die Natur nicht als unmoralisch an, wenn sie uns ein Donnerwetter schickt und uns nass macht: warum nennen wir den sch�digenden Menschen unmoralisch? Weil wir hier einen willk�rlich waltenden, freien Willen, dort Nothwendigkeit annehmen. Aber diese Unterscheidung ist ein Irrthum. Sodann: selbst das absichtliche Sch�digen nennen wir nicht unter allen Umst�nden unmoralisch; man t�dtet z.B. eine M�cke unbedenklich mit Absicht, blos weil uns ihr Singen missf�llt, man straft den Verbrecher absichtlich und thut ihm Leid an, um uns und die Gesellschaft zu sch�tzen. Im ersten Falle ist es das Individuum, welches, um sich zu erhalten oder selbst um sich keine Unlust zu machen, absichtlich Leid thut; im zweiten der Staat. Alle Moral l�sst absichtliches Schadenthun gelten bei Nothwehr: das heisst wenn es sich um die Selbsterhaltung handelt! Aber diese beiden Gesichtspuncte gen�gen, um alle b�sen Handlungen gegen Menschen, von Menschen ausge�bt, zu erkl�ren: man will f�r sich Lust oder will Unlust abwehren; in irgend einem Sinne handelt es sich immer um Selbsterhaltung. Sokrates und Plato haben Recht: was auch der Mensch thue, er thut immer das Gute, das heisst: Das, was ihm gut (n�tzlich) scheint, je nach dem Grade seines Intellectes, dem jedesmaligen Maasse seiner Vern�nftigkeit. 103. Das Harmlose an der Bosheit. - Die Bosheit hat nicht das Leid des Andern an sich zum Ziele, sondern unsern eigenen Genuss, zum Beispiel als Rachegef�hl oder als st�rkere Nervenaufregung. Schon jede Neckerei zeigt, wie es Vergn�gen macht, am Andern unsere Macht auszulassen und es zum lustvollen Gef�hle des Uebergewichts zu bringen. Ist nun das Unmoralische daran, Lust auf Grund der Unlust Anderer zu haben? Ist Schadenfreude teuflisch, wie Schopenhauer sagt? Nun machen wir uns in der Natur Lust durch Zerbrechen von Zweigen, Abl�sen von Steinen, Kampf mit wilden Thieren und zwar, um unserer Kraft dabei bewusst zu werden. Das Wissen darum, dass ein Anderer durch uns leidet, soll hier die selbe Sache, in Bezug auf welche wir uns sonst unverantwortlich f�hlen, unmoralisch machen? Aber w�sste man diess nicht, so h�tte man die Lust an seiner eigenen Ueberlegenheit auch nicht dabei, diese kann eben sich nur im Leide des Anderen zuerkennen geben, zum Beispiel bei der Neckerei. Alle Lust an sich selber ist weder gut noch b�se; woher sollte die Bestimmung kommen, dass man, um Lust an sich selber zu haben, keine Unlust Anderer erregen d�rfe? Allein vom Gesichtspuncte des Nutzens her, das heisst aus R�cksicht auf die Folgen, auf eventuelle Unlust, wenn der Gesch�digte oder der stellvertretende Staat Ahndung und Rache erwarten l�sst: nur Diess kann urspr�nglich den Grund abgegeben haben, solche Handlungen sich zu versagen. - Das Mitleid hat ebensowenig die Lust des Andern zum Ziele, als, wie gesagt, die Bosheit den Schmerz des Andern an sich. Denn es birgt mindestens zwei (vielleicht mehr) Elemente einer pers�nlichen Lust in sich und ist dergestalt Selbstgenuss: einmal als Lust der Emotion, welcher Art Mitleid in der Trag�die ist, und dann, wenn es zur That treibt, als Lust der Befriedigung in der Aus�bung der Macht. Steht uns �berdiess eine leidende Person sehr nahe, so nehmen durch Aus�bung mitleidvoller Handlungen uns selbst ein Leid ab. - Abgesehen von einigen Philosophen, so haben die Menschen das Mitleid, in der Rangfolge moralischer Empfindungen immer ziemlich tief gestellt: mit Recht. 104. Nothwehr.- Wenn man �berhaupt die Nothwehr als moralisch gelten l�sst, so muss man fast alle Aeusserungen des sogenannten unmoralischen Egoismus' auch gelten lassen: man thut Leid an, raubt oder t�dtet, um sich zu erhalten oder um sich zu sch�tzen, dem pers�nlichen Unheil vorzubeugen; man l�gt, wo List und Verstellung das richtige Mittel der Selbsterhaltung sind. Absichtlich sch�digen, wenn es sich um unsere Existenz oder Sicherheit (Erhaltung unseres Wohlbefindens) handelt, wird als moralisch concedirt; der Staat sch�digt selber unter diesem Gesichtspunct, wenn er Strafen verh�ngt. Im unabsichtlichen Sch�digen kann nat�rlich das Unmoralische nicht liegen, da regiert der Zufall. Giebt es denn eine Art des absichtlichen Sch�digens, wo es sich nicht um unsere Existenz, um die Erhaltung unseres Wohlbefindens handelt? Giebt es ein Sch�digen aus reiner Bosheit, zum Beispiel bei der Grausamkeit? Wenn man nicht weiss, wie weh eine Handlung thut, so ist sie keine Handlung der Bosheit; so ist das Kind gegen das Thier nicht boshaft, nicht b�se: es untersucht und zerst�rt dasselbe wie sein Spielzeug. Weiss man aber je v�llig, wie weh eine Handlung einem Andern thut? So weit unser Nervensystem reicht, h�ten wir uns vor Schmerz: reichte es weiter, n�mlich bis in die Mitmenschen hinein, so w�rden wir Niemandem ein Leides thun (ausser in solchen F�llen, wo wir es uns selbst thun, also wo wir uns der Heilung halber schneiden, der Gesundheit halber uns m�hen und anstrengen). Wir schliessen aus Analogie, dass Etwas jemandem weh thut, und durch die Erinnerung und die St�rke der Phantasie kann es uns dabei selber �bel werden. Aber welcher Unterschied bleibt immer zwischen dem Zahnschmerz und dem Schmerze (Mitleiden), welchen der Anblick des Zahnschmerzes hervorruft? Also: bei dem Sch�digen aus sogenannter Bosheit ist der Grad des erzeugten Schmerzes uns jedenfalls unbekannt; insofern aber eine Lust bei der Handlung ist (Gef�hl der eignen Macht, der eignen starken Erregung), geschieht die Handlung, um das Wohlbefinden des Individuums zu erhalten und f�llt somit unter einen �hnlichen Gesichtspunct wie die Nothwehr, die Nothl�ge. Ohne Lust kein Leben; der Kampf um die Lust ist der Kampf um das Leben. Ob der Einzelne diesen Kampf so k�mpft, dass die Menschen ihn gut, oder so, dass sie ihn b�se nennen, dar�ber entscheidet das Maass und die Beschaffenheit seines Intellects. 105. Die belohnende Gerechtigkeit. - Wer vollst�ndig die Lehre von der v�lligen Unverantwortlichkeit begriffen hat, der kann die sogenannte strafende und belohnende Gerechtigkeit gar nicht mehr unter den Begriff der Gerechtigkeit unterbringen: falls diese darin besteht, dass man jedem das Seine giebt. Denn Der, welcher gestraft wird, verdient die Strafe nicht: er wird nur als Mittel benutzt, um f�rderhin von gewissen Handlungen abzuschrecken; ebenso verdient Der, welchen man belohnt, diesen Lohn nicht: er konnte ja nicht anders handeln, als er gehandelt hat. Also hat der Lohn nur den Sinn einer Aufmunterung f�r ihn und Andere, um also zu sp�teren Handlungen ein Motiv abzugeben; das Lob wird dem Laufenden in der Rennbahn zugerufen, nicht Dem, welcher am Ziele ist. Weder Strafe noch Lohn sind Etwas, das Einem als das Seine zukommt; sie werden ihm aus N�tzlichkeitsgr�nden gegeben, ohne dass er mit Gerechtigkeit Anspruch auf sie zu erheben h�tte. Man muss ebenso sagen "der Weise belohnt nicht, weil gut gehandelt worden ist", als man gesagt hat "der Weise straft nicht, weil schlecht gehandelt worden ist, sondern damit nicht schlecht gehandelt werde". Wenn Strafe und Lohn fortfielen, so fielen die kr�ftigsten Motive, welche von gewissen Handlungen weg, zu gewissen Handlungen hin treiben, fort; der Nutzen der Menschen erheischt ihre Fortdauer; und insofern Strafe und Lohn, Tadel und Lob am empfindlichsten auf die Eitelkeit wirken, so erheischt der selbe Nutzen auch die Fortdauer der Eitelkeit. 106. Am Wasserfall. - Beim Anblick eines Wasserfalles meinen wir in den zahllosen Biegungen, Schl�ngelungen, Brechungen der Wellen Freiheit des Willens und Belieben zu sehen; aber Alles ist nothwendig, jede Bewegung mathematisch auszurechnen. So ist es auch bei den menschlichen Handlungen; man m�sste jede einzelne Handlung vorher ausrechnen k�nnen, wenn man allwissend w�re, ebenso jeden Fortschritt der Erkenntniss, jeden Irrthum, jede Bosheit. Der Handelnde selbst steckt freilich in der Illusion der Willk�r; wenn in einem Augenblick das Rad der Welt still st�nde und ein allwissender, rechnender Verstand da w�re, um diese Pausen zu ben�tzen, so k�nnte er bis in die fernsten Zeiten die Zukunft jedes Wesens weitererz�hlen und jede Spur bezeichnen, auf der jenes Rad noch rollen wird. Die T�uschung des Handelnden �ber sich, die Annahme des freien Willens, geh�rt mit hinein in diesen auszurechnenden Mechanismus. 107. Unverantwortlichkeit und Unschuld. - Die v�llige Unverantwortlichkeit des Menschen f�r sein Handeln und sein Wesen ist der bitterste Tropfen, welchen der Erkennende schlucken muss, wenn er gewohnt war, in der Verantwortlichkeit und der Pflicht den Adelsbrief seines Menschenthums zu sehen. Alle seine Sch�tzungen, Auszeichnungen, Abneigungen sind dadurch entwerthet und falsch geworden: sein tiefstes Gef�hl, das er dem Dulder, dem Helden entgegenbrachte, hat einem Irrthume gegolten; er darf nicht mehr loben, nicht tadeln, denn es ist ungereimt, die Natur und die Nothwendigkeit zu loben und zu tadeln. So wie er das gute Kunstwerk liebt, aber nicht lobt, weil es Nichts f�r sich selber kann, wie er vor der Pflanze steht, so muss er vor den Handlungen der Menschen, vor seinen eignen stehen. Er kann Kraft, Sch�nheit, F�lle an ihnen bewundern, aber darf keine Verdienste darin finden: der chemische Process und der Streit der Elemente, die Qual des Kranken, der nach Genesung lechzt, sind ebensowenig Verdienste, als jene Seelenk�mpfe und Nothzust�nde, bei denen man durch verschiedene Motive hin- und hergerissen wird, bis man sich endlich f�r das m�chtigste entscheidet - wie man sagt (in Wahrheit aber, bis das m�chtigste Motiv �ber uns entscheidet). Alle diese Motive aber, so hohe Namen wir ihnen geben, sind aus den selben Wurzeln gewachsen, in denen wir die b�sen Gifte wohnend glauben; zwischen guten und b�sen Handlungen giebt es keinen Unterschied der Gattung, sondern h�chstens des Grades. Gute Handlungen sind sublimirte b�se; b�se Handlungen sind vergr�berte, verdummte gute. Das einzige Verlangen des Individuums nach Selbstgenuss (sammt der Furcht, desselben verlustig zu gehen) befriedigt sich unter allen Umst�nden, der Mensch mag handeln, wie er kann, das heisst wie er muss: sei es in Thaten der Eitelkeit, Rache, Lust, N�tzlichkeit, Bosheit, List, sei es in Thaten der Aufopferung, des Mitleids, der Erkenntniss. Die Grade der Urtheilsf�higkeit entscheiden, wohin Jemand sich durch diess Verlangen hinziehen l�sst; fortw�hrend ist jeder Gesellschaft, jedem Einzelnen eine Rangordnung der G�ter gegenw�rtig, wonach er seine Handlungen bestimmt und die der Anderen beurtheilt. Aber dieser Maassstab wandelt sich fortw�hrend, viele Handlungen werden b�se genannt und sind nur dumm, weil der Grad der Intelligenz, welcher sich f�r sie entschied, sehr niedrig war. Ja, in einem bestimmten Sinne sind auch jetzt noch alle Handlungen dumm, denn der h�chste Grad von menschlicher Intelligenz, der jetzt erreicht werden kann, wird sicherlich noch �berboten werden: und dann wird, bei einem R�ckblick, all unser Handeln und Urtheilen so beschr�nkt und �bereilt erscheinen, wie uns jetzt das Handeln und Urtheilen zur�ckgebliebener wilder V�lkerschaften beschr�nkt und �bereilt vorkommt. - Diess Alles einzusehen, kann tiefe Schmerzen machen, aber darnach giebt es einen Trost: solche Schmerzen sind Geburtswehen. Der Schmetterling will seine H�lle durchbrechen, er zerrt an ihr, er zerreisst sie: da blendet und verwirrt ihn das unbekannte Licht, das Reich der Freiheit. In solchen Menschen, welche jener Traurigkeit f�hig sind - wie wenige werden es sein! - wird der erste Versuch gemacht, ob die Menschheit aus einer moralischen sich in eine weise Menschheit umwandeln k�nne. Die Sonne eines neuen Evangeliums wirft ihren ersten Strahl auf die h�chsten Gipfel in der Seele jener Einzelnen: da ballen sich die Nebel dichter, als je, und neben einander lagert der hellste Schein und die tr�bste D�mmerung. Alles ist Nothwendigkeit, - so sagt die neue Erkenntniss: und diese Erkenntniss selber ist Nothwendigkeit. Alles ist Unschuld: und die Erkenntniss ist der Weg zur Einsicht in diese Unschuld. Sind Lust, Egoismus, Eitelkeit nothwendig zur Erzeugung der moralischen Ph�nomene und ihrer h�chsten Bl�the, des Sinnes f�r Wahrheit und Gerechtigkeit der Erkenntniss, war der Irrthum und die Verirrung der Phantasie das einzige Mittel, durch welches die Menschheit sich allm�hlich zu diesem Grade von Selbsterleuchtung und Selbsterl�sung zu erheben vermochte - wer d�rfte jene Mittel geringsch�tzen? Wer d�rfte traurig sein, wenn er das Ziel, zu dem jene Wege f�hren, gewahr wird? Alles auf dem Gebiete der Moral ist geworden, wandelbar, schwankend, Alles ist im Flusse, es ist wahr: - aber Alles ist auch im Strome: nach Einem Ziele hin. Mag in uns die vererbte Gewohnheit des irrth�mlichen Sch�tzens, Liebens, Hassens immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluss der wachsenden Erkenntniss wird sie schw�cher werden: eine neue Gewohnheit, die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens, Ueberschauens, pflanzt sich allm�hlich in uns auf dem selben Boden an und wird in Tausenden von Jahren vielleicht m�chtig genug sein, um der Menschheit die Kraft zu geben, den weisen, unschuldigen (unschuld-bewussten) Menschen ebenso regelm�ssig hervorzubringen, wie sie jetzt den unweisen, unbilligen, schuldbewussten Menschen - das heisst die nothwendige Vorstufe, nicht den Gegensatz von jenem - hervorbringt. Drittes Hauptst�ck. Das religi�se Leben. 108. Der doppelte Kampf gegen das Uebel. -Wenn uns ein Uebel trifft, so kann man entweder so �ber dasselbe hinwegkommen, dass man seine Ursache hebt, oder so, dass man die Wirkung, welche es auf unsere Empfindung macht, ver�ndert: also durch ein Umdeuten des Uebels in ein Gut, dessen Nutzen vielleicht erst sp�ter ersichtlich sein wird. Religion und Kunst (auch die metaphysische Philosophie) bem�hen sich, auf die Aenderung der Empfindung zu wirken, theils durch Aenderung unseres Urtheils �ber die Erlebnisse (zum Beispiel mit H�lfe des Satzes: "wen Gott lieb hat, den z�chtigt er"), theils durch Erweckung einer Lust am Schmerz, an der Emotion �berhaupt (woher die Kunst des Tragischen ihren Ausgangspunct nimmt). Je mehr Einer dazu neigt, umzudeuten und zurechtzulegen, um so weniger wird er die Ursachen des Uebels in's Auge fassen und beseitigen; die augenblickliche Milderung und Narkotisirung, wie sie zum Beispiel bei Zahnschmerz gebr�uchlich ist, gen�gt ihm auch in ernsteren Leiden. Je mehr die Herrschaft der Religionen und aller Kunst der Narkose abnimmt, um so strenger fassen die Menschen die wirkliche Beseitigung der Uebel in's Auge, was freilich schlimm f�r die Trag�diendichter ausf�llt - denn zur Trag�die findet sich immer weniger Stoff, weil das Reich des unerbittlichen, unbezwinglichen Schicksals immer enger wird -, noch schlimmer aber f�r die Priester: denn diese lebten bisher von der Narkotisirung menschlicher Uebel. 109. Gram ist Erkenntniss. - Wie gern m�chte man die falschen Behauptungen der Priester, es gebe einen Gott, der das Gute von uns verlangte, W�chter und Zeuge jeder Handlung, jedes Augenblickes, jedes Gedankens sei, der uns liebe, in allem Ungl�ck unser Bestes wolle, - wie gern m�chte man diese mit Wahrheiten vertauschen, welche ebenso heilsam, beruhigend und wohlthuend w�ren, wie jene Irrth�mer! Doch solche Wahrheiten giebt es nicht; die Philosophie kann ihnen h�chstens wiederum metaphysische Scheinbarkeiten (im Grunde ebenfalls Unwahrheiten) entgegensetzen. Nun ist aber die Trag�die die, dass man jene Dogmen der Religion und Metaphysik nicht glauben kann, wenn man die strenge Methode der Wahrheit im Herzen und Kopfe hat, andererseits durch die Entwickelung der Menschheit so zart, reizbar, leidend geworden ist, um Heil- und Trostmittel der h�chsten Art n�thig zu haben; woraus also die Gefahr entsteht, dass der Mensch sich an der erkannten Wahrheit verblute. Diess dr�ckt Byron in unsterblichen Versen aus: Sorrow is knowledge: they who know the most must mourn the deepst o'er the fatal truth, the tree of knowledge is not that of life. Gegen solche Sorgen hilft kein Mittel besser, als den feierlichen Leichtsinn Horazens, wenigstens f�r die schlimmsten Stunden und Sonnenfinsternisse der Seele, heraufzubeschw�ren und mit ihm zu sich selber zu sagen: quid aeternis minorem consiliis animum fatigas? cur non sub alta vel platano vel hac pinu jacentes - Sicherlich aber ist Leichtsinn oder Schwermuth jeden Grades besser, als eine romantische R�ckkehr und Fahnenflucht, eine Ann�herung an das Christenthum in irgend einer Form: denn mit ihm kann man sich, nach dem gegenw�rtigen Stande der Erkenntniss, schlechterdings nicht mehr einlassen, ohne sein in intellectuales Gewissen heillos zu beschmutzen und vor sich und Anderen preiszugeben. Jene Schmerzen m�gen peinlich genug sein: aber man kann ohne Schmerzen nicht zu einem F�hrer und Erzieher der Menschheit werden; und wehe Dem, welcher diess versuchen m�chte und jenes reine Gewissen nicht mehr h�tte! 110. Die Wahrheit in der Religion. - In der Periode der Aufkl�rung war man der Bedeutung der Religion nicht gerecht geworden, daran ist nicht zu zweifeln: aber ebenso steht fest, dass man, in dem darauffolgenden Widerspiel der Aufkl�rung, wiederum um ein gutes St�ck �ber die Gerechtigkeit hinausgieng, indem man die Religionen mit Liebe, selbst mit Verliebtheit behandelte und ihnen zum Beispiel ein tieferes, ja das allertiefste Verst�ndniss der Welt zuerkannte; welches die Wissenschaft des dogmatischen Gewandes zu entkleiden habe, um dann in unmythischer Form die "Wahrheit" zu besitzen. Religionen sollen also - diess war die Behauptung aller Gegner der Aufkl�rung - sensu allegorico, mit R�cksicht auf das Verstehen der Menge, jene uralte Weisheit aussprechen, welche die Weisheit an sich sei, insofern alle wahre Wissenschaft der neueren Zeit immer zu ihr hin, anstatt von ihr weg, gef�hrt habe: so dass zwischen den �ltesten Weisen der Menschheit und allen sp�teren Harmonie, ja Gleichheit der Einsichten walte und ein Fortschritt der Erkenntnisse - falls man von einem solchen reden wolle - sich nicht auf das Wesen, sondern die Mittheilung desselben beziehe. Diese ganze Auffassung von Religion und Wissenschaft ist durch und durch irrth�mlich; und Niemand w�rde jetzt noch zu ihr sich zu bekennen wagen, wenn nicht Schopenhauer's Beredtsamkeit sie in Schutz genommen h�tte: diese laut t�nende und doch erst nach einem Menschenalter ihre H�rer erreichende Beredtsamkeit. So gewiss man aus Schopenhauer's religi�s-moralischer Menschen- und Weltdeutung sehr viel f�r das Verst�ndniss des Christenthums und anderer Religionen gewinnen kann, so gewiss ist es auch, dass er �ber den Werth der Religion f�r die Erkenntniss sich geirrt hat. Er selbst war darin ein nur zu folgsamer Sch�ler der wissenschaftlichen Lehrer seiner Zeit, welche allesammt der Romantik huldigten und dem Geiste der Aufkl�rung abgeschworen hatten; in unsere jetzige Zeit hineingeboren, w�rde er unm�glich vom sensus allegoricus der Religion haben reden k�nnen; er w�rde vielmehr der Wahrheit die Ehre gegeben haben, wie er es pflegte, mit den Worten: noch nie hat eine Religion, weder mittelbar, noch unmittelbar, weder als Dogma, noch als Gleichniss, eine Wahrheit enthalten. Denn aus der Angst und dem Bed�rfniss ist eine jede geboren, auf Irrg�ngen der Vernunft hat sie sich in's Dasein geschlichen; sie hat vielleicht einmal, im Zustande der Gef�hrdung durch die Wissenschaft, irgend eine philosophische Lehre in ihr System hineingelogen, damit man sie sp�ter darin vorfinde: aber diess ist ein Theologenkunstst�ck, aus der Zeit, in welcher eine Religion schon an sich selber zweifelt. Diese Kunstst�cke der Theologie, welche freilich im Christenthum, als der Religion eines gelehrten, mit Philosophie durchtr�nkten Zeitalters, sehr fr�h schon ge�bt wurden, haben auf jenen Aberglauben vom sensus allegoricus hingeleitet, noch mehr aber die Gewohnheit der Philosophen (namentlich er Halbwesen, der dichterischen Philosophen und der philosophirenden K�nstler), alle die Empfindungen, welche sie in sich vorfanden, als Grundwesen des Menschen �berhaupt zu behandeln und somit auch ihren eigenen religi�sen Empfindungen einen bedeutenden Einfluss auf den Gedankenbau ihrer Systeme zu gestatten. Weil die Philosophen vielfach unter dem Herkommen religi�ser Gewohnheiten, oder mindestens unter der altvererbten Macht jenes "metaphysischen Bed�rfnisses" philosophirten, so gelangten sie zu Lehrmeinungen, welche in der That den j�dischen oder christlichen oder indischen Religionsmeinungen sehr �hnlich sahen, - �hnlich n�mlich, wie Kinder den M�ttern zu sehen pflegen, nur dass in diesem Falle die V�ter sich nicht �ber jene Mutterschaft klar waren, wie diess wohl vorkommt, - sondern in der Unschuld ihrer Verwunderung von einer Familien-Aehnlichkeit aller Religion und Wissenschaft fabelten. In der That besteht zwischen der Religion und der wirklichen Wissenschaft nicht Verwandtschaft, noch Freundschaft, noch selbst Feindschaft: sie leben auf verschiedenen Sternen. Jede Philosophie, welche einen religi�sen Kometenschweif in die Dunkelheit ihrer letzten Aussichten hinaus ergl�nzen l�sst, macht Alles an sich verd�chtig, was sie als Wissenschaft vortr�gt: es ist diess Alles vermuthlich ebenfalls Religion, wenngleich unter dem Aufputz der Wissenschaft. - Uebrigens: wenn alle V�lker �ber gewisse religi�se Dinge, zum Beispiel die Existenz eines Gottes, �bereinstimmten (was, beil�ufig gesagt, in Betreff dieses Punctes nicht der Fall ist), so w�rde diess doch eben nur ein Gegenargument gegen jene behaupteten Dinge, zum Beispiel die Existenz eines Gottes sein: der consensus gentium und �berhaupt hominum kann billigerweise nur einer Narrheit gelten. Dagegen giebt es einen consensus omnium sapientium gar nicht, in Bezug auf kein einziges Ding, mit jener Ausnahme, von welcher der Goethe'sche Vers spricht: Alle die Weisesten aller der Zeiten l�cheln und winken und stimmen mit ein: Th�richt, auf Bess'rung der Thoren zu harren! Kinder der Klugheit, o habet die Narren eben zum Narren auch, wie sich's geh�rt! Ohne Vers und Reim gesprochen und auf unseren Fall angewendet: der consensus sapientium besteht darin, dass der consensus gentium einer Narrheit gilt. 111. Ursprung des religi�sen Cultus'. - Versetzen wir uns in die Zeiten zur�ck, in welchen das religi�se Leben am kr�ftigsten aufbl�hte, so finden wir eine Grund�berzeugung vor, welche wir jetzt nicht mehr theilen und derentwegen wir ein f�r alle Mal die Thore zum religi�sen Leben uns verschlossen sehen: sie betrifft die Natur und den Verkehr mit ihr. Man weiss in jenen Zeiten noch Nichts von Naturgesetzen; weder f�r die Erde noch f�r den Himmel giebt es ein M�ssen; eine Jahreszeit, der Sonnenschein, der Regen kann kommen oder auch ausbleiben. Es fehlt �berhaupt jeder Begriff der nat�rlichen Causalit�t. Wenn man rudert, ist es nicht das Rudern, was das Schiff bewegt, sondern Rudern ist nur eine magische Ceremonie, durch welche man einen D�mon zwingt, das Schiff zu bewegen. Alle Erkrankungen, der Tod selbst ist Resultat magischer Einwirkungen. Es geht bei Krankwerden und Sterben nie nat�rlich zu; die ganze Vorstellung vom "nat�rlichen Hergang" fehlt, - sie d�mmert erst bei den �lteren Griechen, das heisst in einer sehr sp�ten Phase der Menschheit, in der Conception der �ber den G�ttern thronenden Moira. Wenn Einer mit dem Bogen schiesst, so ist immer noch eine irrationelle Hand und Kraft dabei; versiegen pl�tzlich die Quellen, so denkt man zuerst an unterirdische D�monen und deren T�cken; der Pfeil eines Gottes muss es sein, unter dessen unsichtbarer Wirkung ein Mensch auf einmal niedersinkt. In Indien pflegt (nach Lubbock) ein Tischler seinem Hammer, seinem Beil und den �brigen Werkzeugen Opfer darzubringen; ein Brahmane behandelt den Stift, mit dem er schreibt, ein Soldat die Waffen, die er im Felde braucht, ein Maurer seine Kelle, ein Arbeiter seinen Pflug in gleicher Weise. Die ganze Natur ist in der Vorstellung religi�ser Menschen eine Summe von Handlungen bewusster und wollender Wesen, ein ungeheurer Complex von Willk�rlichkeiten. Es ist in Bezug auf Alles, was ausser uns ist, kein Schluss gestattet, dass irgend Etwas so und so sein werde, so und so kommen m�sse; das ungef�hr Sichere, Berechenbare sind wir: der Mensch ist die Regel, die Natur die Regellosigkeit, - dieser Satz enth�lt die Grund�berzeugung, welche rohe, religi�s productive Urculturen beherrscht. Wir jetzigen Menschen empfinden gerade v�llig umgekehrt: je reicher jetzt der Mensch sich innerlich f�hlt, je polyphoner sein Subject ist, um so gewaltiger wirkt auf ihn das Gleichmaass der Natur; wir Alle erkennen mit Goethe in der Natur das grosse Mittel der Beschwichtigung f�r die moderne Seele, wir h�ren den Pendelschlag der gr�ssten Uhr mit einer Sehnsucht nach Ruhe, nach Heimisch- und Stillewerden an, als ob wir dieses Gleichmaass in uns hineintrinken und dadurch zum Genuss unser selbst erst kommen k�nnten. Ehemals war es umgekehrt: denken wir an rohe, fr�he Zust�nde von V�lkern zur�ck oder sehen wir die jetzigen Wilden in der N�he, so finden wir sie auf das st�rkste durch das Gesetz, das Herkommen bestimmt: das Individuum ist fast automatisch an dasselbe gebunden und bewegt sich mit der Gleichf�rmigkeit eines Pendels. Ihm muss die Natur - die unbegriffene, schreckliche, geheimnissvolle Natur - als das Reich der Freiheit, der Willk�r, der h�heren Macht erscheinen, ja gleichsam als eine �bermenschliche Stufe des Daseins, als Gott. Nun aber f�hlt jeder Einzelne solcher Zeiten und Zust�nde, wie von jenen Willk�rlichkeiten der Natur seine Existenz, sein Gl�ck, das der Familie, des Staates, das Gelingen aller Unternehmungen abh�ngen: einige Naturvorg�nge m�ssen zur rechten Zeit eintreten, andere zur rechten Zeit ausbleiben. Wie kann man einen Einfluss auf diese furchtbaren Unbekannten aus�ben, wie kann man das Reich der Freiheit binden? so fragt er sich, so forscht er �ngstlich: giebt es denn keine Mittel, jene M�chte ebenso durch ein Herkommen und Gesetz regelm�ssig zu machen, wie du selber regelm�ssig bist? - Das Nachdenken der magie- und wundergl�ubigen Menschen geht dahin, der Natur ein Gesetz auf zulegen -: und kurz gesagt, der religi�se Cultus ist das Ergebniss dieses Nachdenkens. Das Problem, welches jene Menschen sich vorlegen, ist auf das engste verwandt mit diesem: wie kann der schw�chere Stamm dem st�rkeren doch Gesetze dictiren, ihn bestimmen, seine Handlungen (im Verhalten zum schw�cheren) leiten? Man wird zuerst sich der harmlosesten Art eines Zwanges erinnern, jenes Zwanges, den man aus�bt, wenn man jemandes Neigung erworben hat. Durch Flehen und Gebete, durch Unterwerfung, durch die Verpflichtung zu regelm�ssigen Abgaben und Geschenken, durch schmeichelhafte Verherrlichungen ist es also auch m�glich, auf die M�chte der Natur einen Zwang auszu�ben, insofern man sie sich geneigt macht: Liebe bindet und wird gebunden. Dann kann man Vertr�ge schliessen, wobei man sich zu bestimmtem Verhalten gegenseitig verpflichtet, Pf�nder stellt und Schw�re wechselt. Aber viel wichtiger ist eine Gattung gewaltsameren Zwanges, durch Magie und Zauberei. Wie der Mensch mit H�lfe des Zauberers einem st�rkeren Feind doch zu schaden weiss und ihn vor sich in Angst erh�lt, wie der Liebeszauber in die Ferne wirkt, so glaubt der schw�chere Mensch auch die m�chtigeren Geister der Natur bestimmen zu k�nnen. Das Hauptmittel aller Zauberei ist, dass man Etwas in Gewalt bekommt, das jemandem zu eigen ist, Haare, N�gel, etwas Speise von seinem Tisch, ja selbst sein Bild, seinen Namen. Mit solchem Apparate kann man dann zaubern; denn die Grundvoraussetzung lautet: zu allem Geistigen geh�rt etwas K�rperliches; mit dessen H�lfe vermag man den Geist zu binden, zu Sch�digen, zu vernichten; das K�rperliche giebt die Handhabe ab, mit der man das Geistige fassen kann. So wie nun der Mensch den Menschen bestimmt, so bestimmt er auch irgend einen Naturgeist; denn dieser hat auch sein K�rperliches, an dem er zu fassen ist. Der Baum und, verglichen mit ihm, der Keim, aus dem er entstand, - dieses r�thselhafte Nebeneinander scheint zu beweisen, dass in beiden Formen sich ein und der selbe Geist eingek�rpert habe, bald klein, bald gross. Ein Stein, der pl�tzlich rollt, ist der Leib, in welchem ein Geist wirkt; liegt auf einsamer Haide ein Block, erscheint es unm�glich, an Menschenkraft zu denken, die ihn hierher gebracht habe, so muss also der Stein sich selbst hinbewegt haben, das heisst: er muss einen Geist beherbergen. Alles, was einen Leib hat, ist der Zauberei zug�nglich, also auch die Naturgeister. Ist ein Gott geradezu an sein Bild gebunden, so kann man auch ganz directen Zwang (durch Verweigerung der Opfernahrung, Geisseln, in-Fesseln-Legen und Aehnliches) gegen ihn aus�ben. Die geringen Leute in China umwinden, um die fehlende Gunst ihres Gottes zu ertrotzen, das Bild desselben, der sie in Stich gelassen hat, mit Stricken, reissen es nieder, schleifen es �ber die Strassen durch Lehm- und D�ngerhaufen; "du Hund von einem Geiste, sagen sie, wir liessen dich in einem pr�chtigen Tempel wohnen, wir vergoldeten dich h�bsch, wir f�tterten dich gut, wir brachten dir Opfer und doch bist du so undankbar." Aehnliche Gewaltmaassregeln gegen Heiligen- und Muttergottesbilder, wenn sie etwa bei Pestilenzen oder Regenmangel ihre Schuldigkeit nicht thun wollten, sind noch w�hrend dieses Jahrhunderts in katholischen L�ndern vorgekommen. - Durch alle diese zauberischen Beziehungen zur Natur sind unz�hlige Ceremonien in's Leben gerufen: und endlich, wenn der Wirrwarr derselben zu gross geworden ist, bem�ht man sich, sie zu ordnen, zu systematisiren, so dass man den g�nstigen Verlauf des gesammten Ganges der Natur, namentlich des grossen Jahreskreislaufs, sich durch einen entsprechenden Verlauf eines Proceduren-Systems zu verb�rgen meint. Der Sinn des religi�sen Cultus' ist, die Natur zu menschlichem Vortheil zu bestimmen und zu bannen, also ihr eine Gesetzlichkeit einzupr�gen, die sie von vornherein nicht hat; w�hrend in der jetzigen Zeit man die Gesetzlichkeit der Natur erkennen will, um sich in sie zu schicken. Kurz, der religi�se Cultus ruht auf den Vorstellungen der Zauberei zwischen Mensch und Mensch; und der Zauberer ist �lter, als der Priester. Aber ebenso ruht er auf anderen und edleren Vorstellungen; er setzt das sympathische Verh�ltniss von Mensch zu Mensch, das Dasein von Wohlwollen, Dankbarkeit, Erh�rung Bittender, von Vertr�gen zwischen Feinden, von Verleihung der Unterpf�nder, von Anspruch auf Schutz des Eigenthums voraus. Der Mensch steht auch in sehr niederen Culturstufen nicht der Natur als ohnm�chtiger Sclave gegen�ber, er ist nicht nothwendig der willenlose Knecht derselben: auf der griechischen Stufe der Religion, besonders im Verhalten zu den olympischen G�ttern, ist sogar an ein Zusammenleben von zwei Kasten, einer vornehmeren, m�chtigeren und einer weniger vornehmen zu denken; aber beide geh�ren, ihrer Herkunft nach, irgendwie zusammen und sind Einer Art, sie brauchen sich vor einander nicht zu sch�men. Das ist das Vornehme in der griechischen Religiosit�t. 112. Beim Anblick gewisser antiker Opferger�thschaften. - Wie manche Empfindungen uns verloren gehen, ist zum Beispiel an der Vereinigung des Possenhaften, selbst des Obsc�nen, mit dem religi�sen Gef�hl zu sehen: die Empfindung f�r die M�glichkeit dieser Mischung schwindet, wir begreifen es nur noch historisch, dass sie existirte, bei den Demeter- und Dionysosfesten, bei den christlichen Osterspielen und Mysterien: aber auch wir kennen noch das Erhabene im Bunde mit dem Burlesken und dergleichen, das R�hrende mit dem L�cherlichen verschmolzen: was vielleicht eine sp�tere Zeit auch nicht mehr verstehen wird. 113. Christenthum als Alterthum. - Wenn wir eines Sonntag Morgens die alten Glocken brummen h�ren, da fragen wir uns: ist es nur m�glich! diess gilt einem vor zwei Jahrtausenden gekreuzigten Juden, welcher sagte, er sei Gottes Sohn. Der Beweis f�r eine solche Behauptung fehlt. - Sicherlich ist innerhalb unserer Zeiten die christliche Religion ein aus ferner Vorzeit hereinragendes Alterthum, und dass man jene Behauptung glaubt, - w�hrend man sonst so streng in der Pr�fung von Anspr�chen ist -, ist vielleicht das �lteste St�ck dieses Erbes. Ein Gott, der mit einem sterblichen Weibe Kinder erzeugt; ein Weiser, der auffordert, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr Gericht zu halten, aber auf die Zeichen des bevorstehenden Weltunterganges zu achten; eine Gerechtigkeit, die den Unschuldigen als stellvertretendes Opfer annimmt; jemand, der seine j�nger sein Blut trinken heisst; Gebete um Wundereingriffe; S�nden an einem Gott ver�bt, durch einen Gott geb�sst; Furcht vor einem jenseits, zu welchem der Tod die Pforte ist; die Gestalt des Kreuzes als Symbol inmitten einer Zeit, welche die Bestimmung und die Schmach des Kreuzes nicht mehr kennt, - wie schauerlich weht uns diess Alles, wie aus dem Grabe uralter Vergangenheit, an! Sollte man glauben, dass so Etwas noch geglaubt wird? 114. Das Ungriechische im Christenthum. - Die Griechen sahen �ber sich die homerischen G�tter nicht als Herren und sich unter ihnen nicht als Knechte, wie die Juden. Sie sahen gleichsam nur das Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer eigenen Kaste, also ein Ideal, keinen Gegensatz des eigenen Wesens. Man f�hlt sich mit einander verwandt, es besteht ein gegenseitiges Interesse, eine Art Symmachie. Der Mensch denkt vornehm von sich, wenn er sich solche G�tter giebt, und stellt sich in ein Verh�ltniss, wie das des niedrigeren Adels zum h�heren ist; w�hrend die italischen V�lker eine rechte Bauern-Religion haben, mit fortw�hrender Aengstlichkeit gegen b�se und launische Machtinhaber und Qu�lgeister. Wo die olympischen G�tter zur�cktraten, da war auch das griechische Leben d�sterer und �ngstlicher. - Das Christenthum dagegen zerdr�ckte und zerbrach den Menschen vollst�ndig und versenkte ihn wie in tiefen Schlamm: in das Gef�hl v�lliger Verworfenheit liess es dann mit Einem Male den Glanz eines g�ttlichen Erbarmens hineinleuchten, so dass der Ueberraschte, durch Gnade Bet�ubte, einen Schrei des Entz�ckens ausstiess und f�r einen Augenblick den ganzen Himmel in sich zu tragen glaubte. Auf diesen krankhaften Excess des Gef�hls, auf die dazu n�thige tiefe Kopf- und Herz-Corruption wirken alle psychologischen Erfindungen des Christenthums hin: es will vernichten, zerbrechen, bet�uben, berauschen, es will nur Eins nicht: das Maass, und desshalb ist es im tiefsten Verstande barbarisch, asiatisch, unvornehm, ungriechisch. 115. Mit Vortheil religi�s sein. - Es giebt n�chterne und gewerbst�chtige Leute, denen die Religion wie ein Saum h�heren Menschenthums angestickt ist: diese thun sehr wohl, religi�s zu bleiben, es versch�nert sie. - Alle Menschen, welche sich nicht auf irgend ein Waffenhandwerk verstehen - Mund und Feder als Waffen eingerechnet - werden servil: f�r solche ist die christliche Religion sehr n�tzlich, denn die Servilit�t nimmt darin den Anschein einer christlichen Tugend an und wird erstaunlich versch�nert. - Leute, welchen ihr t�gliches Leben zu leer und eint�nig vorkommt, werden leicht religi�s: diess ist begreiflich und verzeihlich, nur haben sie kein Recht, Religiosit�t von Denen zu fordern, denen das t�gliche Leben nicht leer und eint�nig verfliesst. 116. Der Alltags-Christ. - Wenn das Christenthum mit seinen S�tzen vom r�chenden Gotte, der allgemeinen S�ndhaftigkeit, der Gnadenwahl und der Gefahr einer ewigen Verdammniss, Recht h�tte, so w�re es ein Zeichen von Schwachsinn und Charakterlosigkeit, nicht Priester, Apostel oder Einsiedler zu werden und mit Furcht und Zittern einzig am eigenen Heile zu arbeiten; es w�re unsinnig, den ewigen Vortheil gegen die zeitliche Bequemlichkeit so aus dem Auge zu lassen. Vorausgesetzt, dass �berhaupt geglaubt wird, so ist der Alltags-Christ eine erb�rmliche Figur, ein Mensch, der wirklich nicht bis drei z�hlen kann, und der �brigens, gerade wegen seiner geistigen Unzurechnungsf�higkeit, es nicht verdiente, so hart bestraft zu werden, als das Christenthum ihm verheisst. 117. Von der Klugheit des Christenthums. - Es ist ein Kunstgriff des Christenthums, die v�llige Unw�rdigkeit, S�ndhaftigkeit und Ver�chtlichkeit des Menschen �berhaupt so laut zu lehren, dass die Verachtung der Mitmenschen dabei nicht mehr m�glich ist. "Er mag s�ndigen, wie er wolle, er unterscheidet sich doch nicht wesentlich von mir: ich bin es, der in jedem Grade unw�rdig und ver�chtlich ist," so sagt sich der Christ. Aber auch dieses Gef�hl hat seinen spitzigsten Stachel verloren, weil der Christ nicht an seine individuelle Ver�chtlichkeit glaubt: er ist b�se als Mensch �berhaupt und beruhigt sich ein Wenig bei dem Satze: Wir Alle sind Einer Art. 118. Personenwechsel. - Sobald eine Religion herrscht, hat sie alle Die zu ihren Gegnern, welche ihre ersten j�nger gewesen w�ren. 119. Schicksal des Christenthums. - Das Christenthum entstand, um das Herz zu erleichtern; aber jetzt m�sste es das Herz erst beschweren, um es nachher erleichtern zu k�nnen. Folglich wird es zu Grunde gehen. 120. Der Beweis der Lust. - Die angenehme Meinung wird als wahr angenommen: diess ist der Beweis der Lust (oder, wie die Kirche sagt, der Beweis der Kraft), auf welchen alle Religionen so stolz sind, w�hrend sie sich dessen doch sch�men sollten. Wenn der Glaube nicht selig machte, so w�rde er nicht geglaubt werden: wie wenig wird er also werth sein! 121. Gef�hrliches Spiel. - Wer jetzt der religi�sen Empfindung wieder in sich Raum giebt, der muss sie dann auch wachsen lassen, er kann nicht anders. Da ver�ndert sich allm�hlich sein Wesen, es bevorzugt das dem religi�sen Element Anh�ngende, Benachbarte, der ganze Umkreis des Urtheilens und Empfindens wird umw�lkt, mit religi�sen Schatten �berflogen. Die Empfindung kann nicht still stehen; man nehme sich also in Acht. 122. Die blinden Sch�ler. - So lange Einer sehr gut die St�rke und, Schw�che seiner Lehre, seiner Kunstart, seiner Religion kennt, ist deren Kraft noch gering. Der Sch�ler und Apostel, welcher f�r die Schw�che der Lehre, der Religion und so weiter, kein Auge hat, geblendet durch das Ansehen des Meisters und durch seine Piet�t gegen ihn, hat desshalb gew�hnlich mehr Macht, als der Meister. Ohne die blinden Sch�ler ist noch nie der Einfluss eines Mannes und seines Werkes gross geworden. Einer Erkenntniss zum Siege verhelfen heisst oft nur: sie so mit der Dummheit verschwistern, dass das Schwergewicht der letzteren auch den Sieg f�r die erstere erzwingt. 123. Abbruch der Kirchen. - Es ist nicht genug an Religion in der Welt, um die Religionen auch nur zu vernichten. 124. S�ndlosigkeit des Menschen. - Hat man begriffen, "wie die S�nde in die Welt gekommen" ist, n�mlich durch Irrth�mer der Vernunft, verm�ge deren die Menschen unter einander, ja der einzelne Mensch sich selbst f�r viel schw�rzer und b�ser nimmt, als es thats�chlich der Fall ist, so wird die ganze Empfindung sehr erleichtert, und Menschen und Welt erscheinen mitunter in einer Glorie von Harmlosigkeit, dass es Einem von Grund aus wohl dabei wird. Der Mensch ist inmitten der Natur immer das Kind an sich. Diess Kind tr�umt wohl einmal einen schweren be�ngstigenden Traum, wenn es aber die Augen aufschl�gt, so sieht es sich immer wieder im Paradiese. 125. Irreligiosit�t der K�nstler. - Homer ist unter seinen G�ttern so zu Hause: und hat als Dichter ein solches Behagen an ihnen, dass er jedenfalls tief unreligi�s gewesen sein muss; mit dem, was der Volksglaube ihm entgegenbrachte - einen d�rftigen, rohen, zum Theil schauerlichen Aberglauben - verkehrte er so frei, wie der Bildhauer mit seinem Thon, also mit der selben Unbefangenheit, welche Aeschylus und Aristophanes besassen und durch welche sich in neuerer Zeit die grossen K�nstler der Renaissance, sowie Shakespeare und Goethe auszeichneten. 126. Kunst und Kraft der falschen Interpretation. - Alle die Visionen, Schrecken, Ermattungen, Entz�ckungen des Heiligen sind bekannte Krankheits-Zust�nde, welche von ihm, auf Grund eingewurzelter religi�ser und psychologischer Irrth�mer, nur ganz anders, n�mlich nicht als Krankheiten, gedeutet werden. - So ist vielleicht auch das D�monion des Sokrates ein Ohrenleiden, das er sich, gem�ss seiner herrschenden moralischen Denkungsart, nur anders, als es jetzt geschehen w�rde, auslegt. Nicht anders steht es mit dem Wahnsinn und Wahnreden der Propheten und Orakelpriester; es ist immer der Grad von Wissen, Phantasie, Bestrebung, Moralit�t in Kopf und Herz der Interpreten, welcher daraus so viel gemacht hat. Zu den gr�ssten Wirkungen der Menschen, welche man Genie's und Heilige nennt, geh�rt es, dass sie sich Interpreten erzwingen, welche sie zum Heile der Menschheit missverstehen. 127. Verehrung des Wahnsinns. - Weil man bemerkte, dass eine Erregung h�ufig den Kopf heller machte und gl�ckliche Einf�lle hervorrief, so meinte man, durch die h�chsten Erregungen werde man der gl�cklichsten Einf�lle und Eingebungen theilhaftig: und so verehrte man den Wahnsinnigen als den Weisen und Orakelgebenden. Hier liegt ein falscher Schluss zu Grunde. 128. Verheissungen der Wissenschaft. - Die moderne Wissenschaft hat als Ziel: so wenig Schmerz wie m�glich, so lange leben wie m�glich, - also eine Art von ewiger Seligkeit, freilich eine sehr bescheidene im Vergleich mit den Verheissungen der Religionen. 129. Verbotene Freigebigkeit. - Es ist nicht genug Liebe und G�te in der Welt, um noch davon an eingebildete Wesen wegschenken zu d�rfen. 130. Fortleben des religi�sen Cultus' im Gem�th. - Die katholische Kirche, und vor ihr aller antike Cultus, beherrschte das ganze Bereich von Mitteln, durch welche der Mensch in ungew�hnliche Stimmungen versetzt wird und der kalten Berechnung des Vortheils oder dem reinen Vernunft-Denken entrissen wird. Eine durch tiefe T�ne erzitternde Kirche, dumpfe, regelm�ssige, zur�ckhaltende Anrufe einer priesterlichen Schaar, welche ihre Spannung unwillk�rlich auf die Gemeinde �bertr�gt und sie fast angstvoll lauschen l�sst, wie als wenn eben ein Wunder sich vorbereitete, der Anhauch der Architektur, welche als Wohnung einer Gottheit sich in's Unbestimmte ausreckt und in allen dunklen R�umen das Sich-Regen derselben f�rchten l�sst, - wer wollte solche Vorg�nge den Menschen zur�ckbringen, wenn die Voraussetzungen dazu nicht mehr geglaubt werden? Aber die Resultate von dem Allen sind trotzdem nicht verloren: die innere Welt der erhabenen, ger�hrten, ahnungsvollen, tiefzerknirschten, hoffnungsseligen Stimmungen ist den Menschen vornehmlich durch den Cultus eingeboren worden; was jetzt davon in der Seele existirt, wurde damals, als er keimte, wuchs und bl�hte, gross gez�chtet. 131. Religi�se Nachwehen. - Glaubt man sich noch so sehr der Religion entw�hnt zu haben, so ist es doch nicht in dem Grade geschehen, dass man nicht Freude h�tte, religi�sen Empfindungen und Stimmungen ohne begrifflichen Inhalt zu begegnen, zum Beispiel in der Musik; und wenn eine Philosophie uns die Berechtigung von metaphysischen Hoffnungen, von dem dorther zu erlangenden tiefen Frieden der Seele aufzeigt und zum Beispiel von "dem ganzen sichern Evangelium im Blick der Madonnen bei Rafael" spricht, so kommen wir solchen Ausspr�chen und Darlegungen mit besonders herzlicher Stimmung entgegen: der Philosoph hat es hier leichter, zu beweisen, er entspricht mit dem, was er geben will, einem Herzen, welches gern nehmen will. Daran bemerkt man, wie die weniger bedachtsamen Freigeister eigentlich nur an den Dogmen Anstoss nehmen, aber recht wohl den Zauber der religi�sen Empfindung kennen; es thut ihnen wehe, letztere fahren zu lassen, um der ersteren willen. - Die wissenschaftliche Philosophie muss sehr auf der Hut sein, nicht auf Grund jenes Bed�rfnisses - eines gewordenen und folglich auch verg�nglichen Bed�rfnisses - Irrth�mer einzuschmuggeln: selbst Logiker sprechen von "Ahnungen" der Wahrheit in Moral und Kunst (zum Beispiel von der Ahnung, "dass das Wesen der Dinge Eins ist"): was ihnen doch verboten sein sollte. Zwischen den sorgsam erschlossenen Wahrheiten und solchen" geahnten" Dingen bleibt un�berbr�ckbar die Kluft, dass jene dem Intellect, diese dem Bed�rfniss verdankt werden. Der Hunger beweist nicht, dass es zu seiner S�ttigung eine Speise giebt, aber er w�nscht die Speise. "Ahnen" bedeutet nicht das Dasein einer Sache in irgend einem Grade erkennen, sondern dasselbe f�r m�glich halten, insofern man sie w�nscht oder f�rchtet; die "Ahnung" tr�gt keinen Schritt weit in's Land der Gewissheit. - Man glaubt unwillk�rlich, die religi�s gef�rbten Abschnitte einer Philosophie seien besser bewiesen, als die anderen; aber es ist im Grunde umgekehrt, man hat nur den inneren Wunsch, dass es so sein m�ge, - also dass das Beseligende auch das Wahre sei. Dieser Wunsch verleitet uns, schlechte Gr�nde als gute einzukaufen. 132. Von dem christlichen Erl�sungsbed�rfniss. - Bei sorgsamer Ueberlegung muss es m�glich sein, dem Vorgange in der Seele eines Christen, welchen man Erl�sungsbed�rfniss nennt, eine Erkl�rung abzugewinnen, die frei von Mythologie ist: also eine rein psychologische. Bis jetzt sind freilich die psychologischen Erkl�rungen religi�ser Zust�nde und Vorg�nge in einigem Verrufe gewesen, insoweit eine sich frei nennende Theologie auf diesem Gebiete ihr unerspriessliches Wesen trieb: denn bei ihr war es von vornherein, sowie es der Geist ihres Stifters, Schleiermacher's, vermuthen l�sst, auf die Erhaltung der christlichen Religion und das Fortbestehen der christlichen Theologen abgesehen; als welche in der psychologischen Analysis der religi�sen "Thatsachen" einen neuen Ankergrund und vor Allem eine neue Besch�ftigung gewinnen sollten. Unbeirrt von solchen Vorg�ngern, wagen wir folgende Auslegung des bezeichneten Ph�nomens. Der Mensch ist sich gewisser Handlungen bewusst, welche in der gebr�uchlichen Rangordnung der Handlungen tief stehen, ja er entdeckt in sich einen Hang zu dergleichen Handlungen, der ihm fast so unver�nderlich wie sein ganzes Wesen erscheint. Wie gerne versuchte er sich in jener anderen Gattung von Handlungen, welche in der allgemeinen Sch�tzung als die obersten und h�chsten anerkannt sind, wie gerne f�hlte er sich voll des guten Bewusstseins, welches einer selbstlosen Denkweise folgen soll! Leider aber bleibt es eben bei diesem Wunsche: die Unzufriedenheit dar�ber, demselben nicht gen�gen zu k�nnen, kommt zu allen �brigen Arten von Unzufriedenheit hinzu, welche sein Lebensloos �berhaupt oder die Folgen jener b�se genannten Handlungen in ihm erregt haben; so dass eine tiefe Verstimmung entsteht, mit dem Ausblicke nach einem Arzte, der diese, und alle ihre Ursachen, zu heben verm�chte. - Dieser Zustand w�rde nicht so bitter empfunden werden, wenn der Mensch sich nur mit anderen Menschen unbefangen vergliche: dann n�mlich h�tte er keinen Grund, mit sich in einem besonderen Maasse unzufrieden zu sein, er tr�ge eben nur an der allgemeinen Last der menschlichen Unbefriedigung und Unvollkommenheit. Aber er vergleicht sich mit einem Wesen, welches allein jener Handlungen f�hig ist, die unegoistisch genannt werden, und im fortw�hrenden Bewusstsein einer selbstlosen Denkweise lebt, mit Gott; dadurch, dass er in diesen hellen Spiegel schaut, erscheint ihm sein Wesen so tr�be, so ungew�hnlich verzerrt. Sodann �ngstigt ihn der Gedanke an das selbe Wesen, insofern dieses als strafende Gerechtigkeit vor seiner Phantasie schwebt: in allen m�glichen kleinen und grossen Erlebnissen glaubt er seinen Zorn, seine Drohung zu erkennen, ja die Geisselschl�ge seines Richter- und Henkerthums schon vorzuempfinden. Wer hilft ihm in dieser Gefahr, welche durch den Hinblick auf eine unermessliche Zeitdauer der Strafe an Gr�sslichkeit alle anderen Schrecknisse der Vorstellung �berbietet? 133. Bevor wir diesen Zustand in seinen weiteren Folgen uns vorlegen, wollen wir es doch uns eingestehen, dass der Mensch in diesen Zustand nicht durch seine "Schuld" und "S�nde", sondern durch eine Reihe von Irrth�mern der Vernunft gerathen ist, dass es der Fehler des Spiegels war, wenn ihm sein Wesen in jenem Grade dunkel und hassenswerth vorkam, und dass jener Spiegel sein Werk, das sehr unvollkommene Werk der menschlichen Phantasie und Urtheilskraft war. Erstens ist ein Wesen, welches einzig rein unegoistischer Handlungen f�hig w�re, noch fabelhafter als der Vogel Ph�nix; es ist deutlich nicht einmal vorzustellen, schon desshalb, weil der ganze Begriff "unegoistische Handlung" bei strenger Untersuchung in die Luft verstiebt. Nie hat ein Mensch Etwas gethan, das allein f�r Andere und ohne jeden pers�nlichen Beweggrund gethan w�re; ja wie sollte er Etwas thun k�nnen, das ohne Bezug zu ihm w�re, also ohne innere N�thigung (welche ihren Grund doch in einem pers�nlichen Bed�rfniss haben m�sste)? Wie verm�chte das ego ohne ego zu handeln? - Ein Gott, der dagegen ganz Liebe ist, wie gelegentlich angenommen wird, w�re keiner einzigen unegoistischen Handlung f�hig: wobei man sich an einen Gedanken Lichtenberg's, der freilich einer niedrigeren Sph�re entnommen ist, erinnern sollte: "Wir k�nnen unm�glich f�r Andere f�hlen, wie man zu sagen pflegt; wir f�hlen nur f�r uns. Der Satz klingt hart, er ist es aber nicht, wenn er nur recht verstanden wird. Man liebt weder Vater, noch Mutter, noch Frau, noch Kind, sondern die angenehmen Empfindungen, die sie uns machen", oder wie La Rochefoucauld sagt: "si on croit aimer sa ma�tresse pour l'amour d'elle, on est bien trompe'." Wesshalb Handlungen der Liebe h�her gesch�tzt werden, als andere, n�mlich nicht ihres Wesens, sondern ihrer N�tzlichkeit halber, dar�ber vergleiche man die schon vorher erw�hnten Untersuchungen "�ber den Ursprung der moralischen Empfindungen". Sollte aber ein Mensch w�nschen, ganz wie jener Gott, Liebe zu sein, Alles f�r Andere, Nichts f�r sich zu thun, zu wollen, so ist letzteres schon desshalb unm�glich, weil er sehr viel f�r sich thun muss, um �berhaupt Anderen Etwas zu Liebe thun zu k�nnen. Sodann setzt es voraus, dass der Andere Egoist genug ist, um jene Opfer, jenes Leben f�r ihn, immer und immer wieder anzunehmen: so dass die Menschen der Liebe und Aufopferung ein Interesse an dem Fortbestehen der liebelosen und aufopferungsunf�higen Egoisten haben, und die h�chste Moralit�t, um bestehen zu k�nnen, f�rmlich die Existenz der Unmoralit�t erzwingen m�sste (wodurch sie sich freilich selber aufheben w�rde). - Weiter. die Vorstellung eines Gottes beunruhigt und dem�thigt so lange, als sie geglaubt wird, aber wie sie entstanden ist, dar�ber kann bei dem jetzigen Stande der v�lkervergleichenden Wissenschaft kein Zweifel mehr sein; und mit der Einsicht in jene Entstehung f�llt jener Glaube dahin. Es geht dem Christen, welcher sein Wesen mit dem Gotte vergleicht, so, wie dem Don Quixote, der seine eigne Tapferkeit untersch�tzt, weil er die Wunderthaten der Helden aus den Ritterromanen im Kopfe hat; der Maassstab, mit welchem in beiden F�llen gemessen wird, geh�rt in's Reich der Fabel. F�llt aber die Vorstellung des Gottes weg, so auch das Gef�hl der "S�nde" als eines Vergehens gegen g�ttliche Vorschriften, als eines Fleckens an einem gottgeweihten Gesch�pfe. Dann bleibt wahrscheinlich noch jener Unmuth �brig, welcher mit der Furcht vor Strafen der weltlichen Gerechtigkeit, oder vor der Missachtung der Menschen, sehr verwachsen und verwandt ist; der Unmuth der Gewissensbisse, der sch�rfste Stachel im Gef�hl der Schuld, ist immerhin abgebrochen, wenn man einsieht, dass man sich durch seine Handlungen wohl gegen menschliches Herkommen, menschliche Satzungen und Ordnungen vergangen habe, aber damit noch nicht das "ewige Heil der Seele" und ihre Beziehung zur Gottheit gef�hrdet habe. Gelingt es dem Menschen zuletzt noch, die philosophische Ueberzeugung von der unbedingten Nothwendigkeit aller Handlungen und ihrer v�lligen Unverantwortlichkeit zu gewinnen und in Fleisch und Blut aufzunehmen, so verschwindet auch jener Rest von Gewissensbissen. 134. Ist nun der Christ, wie gesagt, durch einige Irrth�mer in das Gef�hl der Selbstverachtung gerathen, also durch eine falsche unwissenschaftliche Auslegung seiner Handlungen und Empfindungen, so muss er mit h�chstem Erstaunen bemerken, wie jener Zustand der Verachtung, der Gewissensbisse, der Unlust �berhaupt, nicht anh�lt, wie gelegentlich Stunden kommen, wo ihm dies Alles von der Seele weggeweht ist und er sich wieder frei und muthig f�hlt. In Wahrheit hat die Lust an sich selber das Wohlbehagen an der eigenen Kraft, im Bunde mit der nothwendigen Abschw�chung jeder tiefen Erregung, den Sieg davongetragen; der Mensch liebt sich wieder, er f�hlt es, - aber gerade diese Liebe, diese neue Selbstsch�tzung, kommt ihm unglaublich vor, er kann in ihr allein das g�nzlich unverdiente Herabstr�men eines Gnadenglanzes von Oben sehen. Wenn er fr�her in allen Begebnissen Warnungen, Drohungen, Strafen und jede Art von Anzeichen des g�ttlichen Zornes zu erblicken glaubte, so deutet er jetzt in seine Erfahrungen die g�ttliche G�te hinein: diess Ereigniss kommt ihm liebevoll, jenes wie ein h�lfreicher Fingerzeig, ein drittes und namentlich seine ganze freudige Stimmung als Beweis vor, dass Gott gn�dig sei. Wie er fr�her im Zustande des Unmuthes namentlich seine Handlungen falsch ausdeutete, so jetzt namentlich seine Erlebnisse; die getr�stete Stimmung fasst er als Wirkung einer ausser ihm waltenden Macht auf, die Liebe, mit der er sich im Grunde selbst liebt, erscheint als g�ttliche Liebe; Das, was er Gnade und Vorspiel der Erl�sung nennt, ist in Wahrheit Selbstbegnadigung, Selbsterl�sung. 135. Also: eine bestimmte falsche Psychologie, eine gewisse Art von Phantastik in der Ausdeutung der Motive und Erlebnisse ist die nothwendige Voraussetzung davon, dass Einer zum Christen werde und das Bed�rfniss der Erl�sung empfinde. Mit der Einsicht in diese Verirrung der Vernunft und Phantasie h�rt man auf, Christ zu sein. 136. Von der christlichen Askese und Heiligkeit. - So sehr einzelne Denker sich bem�ht haben, in den seltenen Erscheinungen der Moralit�t, welche man Askese und Heiligkeit zu nennen pflegt, ein Wunderding hinzustellen, dem die Leuchte einer vern�nftigen Erkl�rung in's Gesicht zu halten, beinahe schon Frevel und Entweihung sei: so stark ist hinwiederum die Verf�hrung zu diesem Frevel. Ein m�chtiger Antrieb der Natur hat zu allen Zeiten dazu gef�hrt, gegen jene Erscheinungen �berhaupt zu protestiren; die Wissenschaft, insofern sie, wie fr�her gesagt, eine Nachahmung der Natur ist, erlaubt sich wenigstens gegen die behauptete Unerkl�rbarkeit, ja Unnahbarkeit derselben Einsprache zu erheben. Freilich gelang es ihr bis jetzt nicht: jene Erscheinungen sind immer noch unerkl�rt, zum grossen Vergn�gen der erw�hnten Verehrer des moralisch-Wunderbaren. Denn, allgemein gesprochen: das Unerkl�rte soll durchaus unerkl�rlich, das Unerkl�rliche durchaus unnat�rlich, �bernat�rlich, wunderhaft sein, - so lautet die Forderung in den Seelen aller Religi�sen und Metaphysiker (auch der K�nstler, falls sie zugleich Denker sind); w�hrend der wissenschaftliche Mensch in dieser Forderung das "b�se Princip" sieht. - Die allgemeine erste Wahrscheinlichkeit, auf welche man bei Betrachtung der Askese und Heiligkeit zuerst ger�th, ist diese, dass ihre Natur eine complicirte ist: denn fast �berall, innerhalb der physischen Welt sowohl wie in der moralischen, hat man mit Gl�ck das angeblich Wunderbare auf das Complicirte und mehrfach Bedingte zur�ckgef�hrt. Wagen wir es also, einzelne Antriebe in der Seele der Heiligen und Asketen zun�chst zu isoliren und zum Schluss sie in einander uns verwachsen zu denken. 137. Es giebt einen Trotz gegen sich selbst, zu dessen sublimirtesten Aeusserungen manche Formen der Askese geh�ren. Gewisse Menschen haben n�mlich ein so hohes Bed�rfniss, ihre Gewalt und Herrschsucht auszu�ben, dass sie, in Ermangelung anderer Objecte, oder, weil es ihnen sonst immer misslungen ist, endlich darauf verfallen, gewisse Theile ihres eigenen Wesens, gleichsam Ausschnitte oder Stufen ihrer selbst, zu tyrannisiren. So bekennt sich mancher Denker zu Ansichten, welche ersichtlich nicht dazu dienen, seinen Ruf zu vermehren oder zu verbessern; mancher beschw�rt f�rmlich die Missachtung Anderer auf sich herab, w�hrend er es leicht h�tte, durch Stillschweigen ein geachteter Mann zu bleiben; andere widerrufen fr�here Meinungen und scheuen es nicht, f�rderhin inconsequent genannt zu werden: im Gegentheil, sie bem�hen sich darum und benehmen sich wie �berm�thige Reiter, welche das Pferd, erst wenn es wild geworden, mit Schweiss bedeckt, scheu gemacht ist, am liebsten m�gen. So steigt der Mensch auf gef�hrlichen Wegen in die h�chsten Gebirge, um �ber seine Aengstlichkeit und seine schlotternden Kniee Hohn zu lachen; so bekennt sich der Philosoph zu Ansichten der Askese, Demuth und Heiligkeit, in deren Glanze sein eigenes Bild auf das �rgste verh�sslicht wird. Dieses Zerbrechen seiner selbst, dieser Spott �ber die eigene Natur, dieses spernere se sperni, aus dem die Religionen so viel gemacht haben, ist eigentlich ein sehr hoher Grad der Eitelkeit. Die ganze Moral der Bergpredigt geh�rt hierher: der Mensch hat eine wahre Wollust darin, sich durch �bertriebene Anspr�che zu vergewaltigen und dieses tyrannisch fordernde Etwas in seiner Seele nachher zu verg�ttern. In jeder asketischen Moral betet der Mensch einen Theil von sich als Gott an und hat dazu n�thig, den �brigen Theil zu diabolisiren. - 138. Der Mensch ist nicht zu allen Stunden gleich moralisch, diess ist bekannt: beurtheilt man seine Moralit�t nach der F�higkeit zu grosser aufopfernder Entschliessung und Selbstverleugnung (welche, dauernd und zur Gewohnheit geworden, Heiligkeit ist), so ist er im Affect am moralischsten; die h�here Erregung reicht ihm ganz neue Motive dar, welcher er, n�chtern und kalt wie sonst, vielleicht nicht einmal f�hig zu sein glaubte. Wie kommt diess? Wahrscheinlich aus der Nachbarschaft alles Grossen und hoch Erregenden; ist der Mensch einmal in eine ausserordentliche Spannung gebracht, so kann er ebensowohl zu einer furchtbaren Rache, als zu einer furchtbaren Brechung seines Rachebed�rfnisses sich entschliessen. Er will, unter dem Einflusse der gewaltigen Emotion, jedenfalls das Grosse, Gewaltige, Ungeheure, und wenn er zuf�llig merkt, dass ihm die Aufopferung seiner selbst ebenso oder noch mehr genugthut, als die Opferung des Anderen, so w�hlt er sie. Eigentlich liegt ihm also nur an der Entladung seiner Emotion; da fasst er wohl, um seine Spannung zu erleichtern, die Speere der Feinde zusammen und begr�bt sie in seine Brust. Dass in der Selbstverleugnung, und nicht nur in der Rache, etwas Grosses liege, musste der Menschheit erst in langer Gew�hnung anerzogen werden; eine Gottheit, welche sich selbst opfert, war das st�rkste und wirkungsvollste Symbol dieser Art von Gr�sse. Als die Besiegung des schwerst zu besiegenden Feindes, die pl�tzliche Bemeisterung eines Affectes, - als Diess erscheint diese Verleugnung; und insofern gilt sie als der Gipfel des Moralischen. In Wahrheit handelt es sich bei ihr um die Vertauschung der einen Vorstellung mit der andern, w�hrend das Gem�th seine gleiche H�he, seinen gleichen Fluthstand, beh�lt. Ern�chterte, vom Affect ausruhende Menschen verstehen die Moralit�t jener Augenblicke nicht mehr, aber die Bewunderung Aller, die jene miterlebten, h�lt sie aufrecht; der Stolz ist ihr Trost, wenn der Affect und das Verst�ndniss ihrer That weicht. Also: im Grunde sind auch jene Handlungen der Selbstverleugnung nicht moralisch, insofern sie nicht streng in Hinsicht auf Andere gethan sind; vielmehr giebt der Andere dem hochgespannten Gem�the nur eine Gelegenheit, sich zu erleichtern, durch jene Verleugnung. 139. In mancher Hinsicht sucht sich auch der Asket das Leben leicht zu machen, und zwar gew�hnlich durch die vollkommene Unterordnung unter einen fremden Willen oder unter ein umf�ngliches Gesetz und Ritual; etwa in der Art, wie der Brahmane durchaus Nichts seiner eigenen Bestimmung �berl�sst und sich in jeder Minute durch eine heilige Vorschrift bestimmt. Diese Unterordnung ist ein m�chtiges Mittel, um �ber sich Herr zu werden; man ist besch�ftigt, also ohne Langeweile, und hat doch keine Anregung des Eigenwillens und der Leidenschaft dabei; nach vollbrachter That fehlt das Gef�hl der Verantwortung und damit die Qual der Reue. Man hat ein f�r alle Mal auf eigenen Willen verzichtet, und diess ist leichter, als nur gelegentlich einmal zu verzichten; sowie es auch leichter ist, einer Begierde ganz zu entsagen, als in ihr Maass zu halten. Wenn wir uns der jetzigen Stellung des Mannes zum Staate erinnern, so finden wir auch da, dass der unbedingte Gehorsam bequemer ist, als der bedingte. Der Heilige also erleichtert sich durch jenes v�llige Aufgeben der Pers�nlichkeit sein Leben, und man t�uscht sich, wenn man in jenem Ph�nomen das h�chste Heldenst�ck der Moralit�t bewundert. Es ist in jedem Falle schwerer, seine Pers�nlichkeit ohne Schwanken und Unklarheit durchzusetzen, als sich von ihr in der erw�hnten Weise zu l�sen; �berdiess verlangt es viel mehr Geist und Nachdenken. 140. Nachdem ich, in vielen der schwerer erkl�rbaren Handlungen, Aeusserungen jener Lust an der Emotion an sich gefunden habe, m�chte ich auch in Betreff der Selbstverachtung, welche zu den Merkmalen der Heiligkeit geh�rt, und ebenso in den Handlungen der Selbstqu�lerei (durch Hunger und Geisselschl�ge, Verrenkungen der Glieder, Erheuchelung des Wahnsinns) ein Mittel erkennen, durch welches jene Naturen gegen die allgemeine Erm�dung ihres Lebenswillens (ihrer Nerven) ank�mpfen: sie bedienen sich der schmerzhaftesten Reizmittel und Grausamkeiten, um f�r Zeiten wenigstens aus jener Dumpfheit und Langenweile aufzutauchen, in welche ihre grosse geistige Indolenz und jene geschilderte Unterordnung unter einen fremden Willen sie so h�ufig verfallen l�sst. 141. Das gew�hnlichste Mittel, welches der Asket und Heilige anwendet, um sich das Leben doch noch ertr�glich und unterhaltend zu machen, besteht in gelegentlichem Kriegf�hren und in dem Wechsel von Sieg und Niederlage. Dazu braucht er einen Gegner und findet ihn in dem sogenannten "inneren Feinde". Namentlich n�tzt er seinen Hang zur Eitelkeit, Ehr- und Herrschsucht, sodann seine sinnlichen Begierden aus, um sein Leben wie eine fortgesetzte Schlacht und sich wie ein Schlachtfeld ansehen zu d�rfen, auf dem gute und b�se Geister mit wechselndem Erfolge ringen. Bekanntlich wird die sinnliche Phantasie durch die Regelm�ssigkeit des geschlechtlichen Verkehrs gem�ssigt, ja fast unterdr�ckt, umgekehrt, durch Enthaltsamkeit oder Unordnung im Verkehre entfesselt und w�st. Die Phantasie vieler christlichen Heiligen war in ungew�hnlichem Maasse schmutzig; verm�ge jener Theorie, dass diese Begierden wirkliche D�monen seien, die in ihnen w�theten, f�hlten sie sich nicht allzusehr verantwortlich dabei; diesem Gef�hle verdanken wir die so belehrende Aufrichtigkeit ihrer Selbstzeugnisse. Es war in ihrem Interesse, dass dieser Kampf in irgend einem Grade immer unterhalten wurde, weil durch ihn, wie gesagt, ihr �des Leben unterhalten wurde. Damit der Kampf aber wichtig genug erscheine, um andauernde Theilnahme und Bewunderung bei den Nicht-Heiligen zu erregen, musste die Sinnlichkeit immer mehr verketzert und gebrandmarkt werden, ja die Gefahr ewiger Verdammnis wurde so eng an diese Dinge gekn�pft, dass h�chstwahrscheinlich durch ganze Zeitalter hindurch die Christen mit b�sem Gewissen Kinder zeugten; wodurch gewiss der Menschheit ein grosser Schade angethan worden ist. Und doch steht hier die Wahrheit ganz auf dem Kopfe: was f�r die Wahrheit besonders unschicklich ist. Zwar hatte das Christenthum gesagt: jeder Mensch sei in S�nden empfangen und geboren, und im unausstehlichen Superlativ-Christenthume des Calderon hatte sich dieser Gedanke noch einmal zusammengeknotet und verschlungen, so dass er die verdrehteste Paradoxie wagte, die es giebt, in dem bekannten Verse: die gr�sste Schuld des Menschen ist, dass er geboren ward. In allen pessimistischen Religionen wird der Zeugungsact als schlecht an sich empfunden, aber keineswegs ist diese Empfindung eine allgemein-menschliche; selbst nicht einmal das Urtheil aller Pessimisten ist sich hierin gleich. Empedokles zum Beispiel weiss gar Nichts vom Besch�menden, Teuflischen, S�ndhaften in allen erotischen Dingen; er sieht vielmehr auf der grossen Wiese des Unheils eine einzige heil- und hoffnungsvolle Erscheinung, die Aphrodite; sie gilt ihm als B�rgschaft, dass der Streit nicht ewig herrschen, sondern einem milderen D�mon einmal das Scepter �berreichen werde. Die christlichen Pessimisten der Praxis hatten, wie gesagt, ein Interesse daran, dass eine andere Meinung in der Herrschaft blieb; sie brauchten f�r die Einsamkeit und die geistige W�stenei ihres Lebens einen immer lebendigen Feind: und einen allgemein anerkannten Feind, durch dessen Bek�mpfung und Ueberw�ltigung sie dem Nicht-Heiligen sich immer von Neuem wieder als halb unbegreifliche, �bernat�rliche Wesen darstellten. Wenn dieser Feind endlich, in Folge ihrer Lebensweise und ihrer zerst�rten Gesundheit, die Flucht f�r immer ergriff, so verstanden sie es sofort, ihr Inneres mit neuen D�monen bev�lkert zu sehen. Das Auf- und Niederschwanken der Wagschalen Hochmuth und Demuth unterhielt ihre gr�belnden K�pfe so gut, wie der Wechsel von Begierde und Seelenruhe. Damals diente die Psychologie dazu, alles Menschliche nicht nur zu verd�chtigen, sondern zu l�stern, zu geisseln, zu kreuzigen; man wollte sich m�glichst schlecht und b�se finden, man suchte die Angst um das Heil der Seele, die Verzweiflung an der eignen Kraft. Alles Nat�rliche, an welches der Mensch die Vorstellung des Schlechten, S�ndhaften anh�ngt (wie er es zum Beispiel noch jetzt in Betreff des Erotischen gew�hnt ist), bel�stigt, verd�stert die Phantasie, giebt einen scheuen Blick, l�sst den Menschen mit sich selber hadern und macht ihn unsicher und vertrauenslos; selbst seine Tr�ume bekommen einen Beigeschmack des gequ�lten Gewissens. Und doch ist dieses Leiden am Nat�rlichen in der Realit�t der Dinge v�llig unbegr�ndet: es ist nur die Folge von Meinungen �ber die Dinge. Man erkennt leicht, wie die Menschen dadurch schlechter werden, dass sie das unvermeidlich-Nat�rliche als schlecht bezeichnen und sp�ter immer als so beschaffen empfinden. Es ist der Kunstgriff der Religion und jener Metaphysiker, welche den Menschen als b�se und s�ndhaft von Natur wollen, ihm die Natur zu verd�chtigen und so ihn selber schlecht zu machen: denn so lernt er sich als schlecht empfinden, da er das Kleid der Natur nicht ausziehen kann. Allm�hlich f�hlt er sich, bei einem langen Leben im Nat�rlichen, von einer solchen Last von S�nden bedr�ckt, dass �bernat�rliche M�chte n�thig werden, um diese Last heben zu k�nnen; und damit ist das schon besprochene Erl�sungsbed�rfniss auf den Schauplatz getreten, welches gar keiner wirklichen, sondern nur einer eingebildeten S�ndhaftigkeit entspricht. Man gehe die einzelnen moralischen Aufstellungen der Urkunden des Christenthums durch und man wird �berall finden, dass die Anforderungen �berspannt sind, damit der Mensch ihnen nicht gen�gen k�nne; die Absicht ist nicht, dass er moralischer werde, sondern dass er sich m�glichst s�ndhaft f�hle. Wenn dem Menschen diess Gef�hl nicht angenehm gewesen w�re, - wozu h�tte er eine solche Vorstellung erzeugt und sich so lange an sie geh�ngt? Wie in der antiken Welt eine unermessliche Kraft von Geist und Erfindungsgabe verwendet worden ist, um die Freude am Leben durch festliche Culte zu mehren: so ist in der Zeit des Christenthums ebenfalls unermesslich viel Geist einem andern Streben geopfert worden: der Mensch sollte auf alle Weise sich s�ndhaft f�hlen und dadurch �berhaupt erregt, belebt, beseelt werden. Erregen, beleben, beseelen, um jeden Preis - ist das nicht das Losungswort einer erschlafften, �berreifen, �bercultivirten Zeit? Der Kreis aller nat�rlichen Empfindungen war hundertmal durchlaufen, die Seele war ihrer m�de geworden: da erfanden der Heilige und der Asket eine neue Gattung von Lebensreizen. Sie stellten sich vor Aller Augen hin, nicht eigentlich zur Nachahmung f�r Viele, sondern als schauderhaftes und doch entz�ckendes Schauspiel, welches an jenen Gr�nzen zwischen Welt und Ueberwelt aufgef�hrt wurde, wo Jedermann damals bald himmlische Lichtblicke, bald unheimliche, aus der Tiefe lodernde Flammenzungen zu erblicken glaubte. Das Auge des Heiligen, hingerichtet auf die in jedem Betracht furchtbare Bedeutung des kurzen Erdenlebens, auf die N�he der letzten Entscheidung �ber endlose neue Lebensstrecken, diess verkohlende Auge, in einem halb vernichteten Leibe, machte die Menschen der alten Welt bis in alle Tiefen erzittern; hinblicken, schaudernd wegblicken, von Neuem den Reiz des Schauspiels sp�ren, ihm nachgeben, sich an ihm ers�ttigen, bis die Seele in Gluth und Fieberfrost erbebt, - das war die letzte Lust, welche das Alterthum erfand, nachdem es selbst gegen den Anblick von Thier- und Menschenk�mpfen stumpf geworden war. 142. Um das Gesagte zusammenzufassen: jener Seelenzustand, dessen sich der Heilige oder Heiligwerdende erfreut, setzt sich aus Elementen zusammen, welche wir Alle recht wohl kennen, nur dass sie sich unter dem Einfluss anderer als religi�ser Vorstellungen anders gef�rbt zeigen und dann den Tadel der Menschen ebenso stark zu erfahren pflegen, wie sie, in jener Verbr�mung mit Religion und letzter Bedeutsamkeit des Daseins, auf Bewunderung, ja Anbetung rechnen d�rfen, - mindestens in fr�heren Zeiten rechnen durften. Bald �bt der Heilige jenen Trotz gegen sich selbst, der ein naher Verwandter der Herrschsucht ist und auch dem Einsamsten noch das Gef�hl der Macht giebt; bald springt seine angeschwellte Empfindung aus dem Verlangen, seine Leidenschaften dahinschiessen zu lassen, �ber in das Verlangen, sie wie wilde Rosse zusammenst�rzen zu machen, unter dem m�chtigen Druck einer stolzen Seele; bald will er ein v�lliges Aufh�ren aller st�renden, qu�lenden, reizenden Empfindungen, einen wachen Schlaf, ein dauerndes Ausruhen im Schoosse einer dumpfen, thier- und pflanzenhaften Indolenz; bald sucht er den Kampf und entz�ndet ihn in sich, weil ihm die Langeweile ihr g�hnendes Gesicht entgegenh�lt: er geisselt seine Selbstverg�tterung mit Selbstverachtung und Grausamkeit, er freut sich an dem wilden Aufruhre seiner Begierden, an dem scharfen Schmerz der S�nde, ja an der Vorstellung des Verlorenseins, er versteht es, seinem Affect, zum Beispiel dem der �ussersten Herrschsucht, einen Fallstrick zu legen, so dass er in den der �ussersten Erniedrigung �bergeht und seine aufgehetzte Seele durch diesen Contrast aus allen Fugen gerissen wird; und zuletzt: wenn es ihn gar nach Visionen, Gespr�chen mit Todten oder g�ttlichen Wesen gel�stet, so ist es im Grunde eine seltene Art von Wollust, welche er begehrt, aber vielleicht jene Wollust, in der alle anderen in einen Knoten zusammengeschlungen sind. Novalis, eine der Autorit�ten in Fragen der Heiligkeit durch Erfahrung und Instinct, spricht das ganze Geheimniss einmal mit naiver Freude aus: "Es ist wunderbar genug, dass nicht l�ngst die Association von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat." 143. Nicht Das, was der Heilige ist, sondern Das, was er in den Augen der Nicht-Heiligen bedeutet, giebt ihm seinen welthistorischen Werth. Dadurch, dass man sich �ber ihn irrte, dass man seine Seelenzust�nde falsch auslegte und ihn von sich so stark als m�glich abtrennte, als etwas durchaus Unvergleichliches und fremdartig-Uebermenschliches: dadurch gewann er die ausserordentliche Kraft, mit welcher er die Phantasie ganzer V�lker, ganzer Zeiten beherrschen konnte. Er selbst kannte sich nicht; er selbst verstand die Schriftz�ge seiner Stimmungen, Neigungen, Handlungen nach einer Kunst der Interpretation, welche ebenso �berspannt und k�nstlich war, wie die pneumatische Interpretation der Bibel. Das Verschrobene und Kranke in seiner Natur, mit ihrer Zusammenkoppelung von geistiger Armuth, schlechtem Wissen, verdorbener Gesundheit, �berreizten Nerven, blieb seinem Blick ebenso wie dem seiner Beschauer verborgen. Er war kein besonders guter Mensch, noch weniger ein besonders weiser Mensch: aber er bedeutete Etwas, das �ber menschliches Maass in G�te und Weisheit hinausreiche. Der Glaube an ihn unterst�tzte den Glauben an G�ttliches und Wunderhaftes, an einen religi�sen Sinn alles Daseins, an einen bevorstehenden letzten Tag des Gerichtes. In dem abendlichen Glanze einer Weltuntergangs-Sonne, welche �ber die christlichen V�lker hinleuchtete, wuchs die Schattengestalt des Heiligen in's Ungeheure: ja bis zu einer solchen H�he, dass selbst in unserer Zeit, die nicht mehr an Gott glaubt, es noch genug Denker giebt, welche an den Heiligen glauben. 144. Es versteht sich von selbst, dass dieser Zeichnung des Heiligen, welche nach dem Durchschnitt der ganzen Gattung entworfen ist, manche Zeichnung entgegengestellt werden kann, welche eine angenehmere Empfindung hervorbringen m�chte. Einzelne Ausnahmen jener Gattung heben sich heraus, sei es durch grosse Milde und Menschenfreundlichkeit, sei es durch den Zauber ungew�hnlicher Thatkraft; andere sind im h�chsten Grade anziehend, weil bestimmte Wahnvorstellungen �ber ihr ganzes Wesen Lichtstr�me ausgiessen: wie es zum Beispiel mit dem ber�hmten Stifter des Christenthums der Fall ist, der sich f�r den eingeborenen Sohn Gottes hielt und desshalb sich s�ndlos f�hlte; so dass er durch eine Einbildung - die man nicht zu hart beurtheilen m�ge, weil das ganze Alterthum von G�tters�hnen wimmelt - das selbe Ziel erreichte, das Gef�hl v�lliger S�ndlosigkeit, v�lliger Unverantwortlichkeit, welches jetzt durch die Wissenschaft Jedermann sich erwerben kann. - Ebenfalls habe ich abgesehen von den indischen Heiligen, welche auf einer Zwischenstufe zwischen dem christlichen Heiligen und dem griechischen Philosophen stehen und insofern keinen reinen Typus darstellen: die Erkenntniss, die Wissenschaft - soweit es eine solche gab -, die Erhebung �ber die anderen Menschen durch die logische Zucht und Schulung des Denkens wurde bei den Buddhaisten als ein Kennzeichen der Heiligkeit ebenso gefordert, wie die selben Eigenschaften in der christlichen Welt, als Kennzeichen der Unheiligkeit, abgelehnt und verketzert werden. Viertes Hauptst�ck. Aus der Seele der K�nstler und Schriftsteller. 145. Das Vollkommene soll nicht geworden sein. - Wir sind gew�hnt, bei allem Vollkommenen die Frage nach dem Werden zu unterlassen: sondern uns des Gegenw�rtigen zu freuen, wie als ob es auf einen Zauberschlag aus dem Boden aufgestiegen sei. Wahrscheinlich stehen wir hier noch unter der Nachwirkung einer uralten mythologischen Empfindung. Es ist uns beinahe noch so zu Muthe (zum Beispiel in einem griechischen Tempel wie der von P�stum), als ob eines Morgens ein Gott spielend aus solchen ungeheuren Lasten sein Wohnhaus gebaut habe: anderemale als ob eine Seele urpl�tzlich in einen Stein hineingezaubert sei und nun durch ihn reden wolle. Der K�nstler weiss, dass sein Werk nur voll wirkt, wenn es den Glauben an eine Improvisation, an eine wundergleiche Pl�tzlichkeit der Entstehung erregt; und so hilft er wohl dieser Illusion nach und f�hrt jene Elemente der begeisterten Unruhe, der blind greifenden Unordnung, des aufhorchenden Tr�umens beim Beginn der Sch�pfung in die Kunst ein, als Trugmittel, um die Seele des Schauers oder H�rers so zu stimmen, dass sie an das pl�tzliche Hervorspringen des Vollkommenen glaubt. - Die Wissenschaft der Kunst hat dieser Illusion, wie es sich von selbst versteht, auf das bestimmteste zu widersprechen und die Fehlschl�sse und Verw�hnungen des Intellects aufzuzeigen, verm�ge welcher er dem K�nstler in das Netz l�uft. 146. Der Wahrheitssinn des K�nstlers. - Der K�nstler hat in Hinsicht auf das Erkennen der Wahrheiten eine schw�chere Moralit�t, als der Denker; er will sich die gl�nzenden, tiefsinnigen Deutungen des Lebens durchaus nicht nehmen lassen und wehrt sich gegen n�chterne, schlichte Methoden und Resultate. Scheinbar k�mpft er f�r die h�here W�rde und Bedeutung des Menschen; in Wahrheit will er die f�r seine Kunst wirkungsvollsten Voraussetzungen nicht aufgeben, also das Phantastische, Mythische, Unsichere, Extreme, den Sinn f�r das Symbolische, die Uebersch�tzung der Person, den Glauben an etwas Wunderartiges im Genius: er h�lt also die Fortdauer seiner Art des Schaffens f�r wichtiger, als die wissenschaftliche Hingebung an das Wahre in jeder Gestalt, erscheine diese auch noch so schlicht. 147. Die Kunst als Todtenbeschw�rerin. - Die Kunst versieht nebenbei die Aufgabe zu conserviren, auch wohl erloschene, verblichene Vorstellungen ein Wenig wieder aufzuf�rben; sie flicht, wenn sie diese Aufgabe l�st, ein Band um verschiedene Zeitalter und macht deren Geister wiederkehren. Zwar ist es nur ein Scheinleben wie �ber Gr�bern, welches hierdurch entsteht, oder wie die Wiederkehr geliebter Todten im Traume, aber wenigstens auf Augenblicke wird die alte Empfindung noch einmal rege und das Herz klopft nach einem sonst vergessenen Tacte. Nun muss man wegen dieses allgemeinen Nutzens der Kunst dem K�nstler selber es nachsehen, wenn er nicht in den vordersten Reihen der Aufkl�rung und der fortschreitenden Verm�nnlichung der Menschheit steht: er ist zeitlebens ein Kind oder ein J�ngling geblieben und auf dem Standpunct zur�ckgehalten, auf welchem er von seinem Kunsttriebe �berfallen wurde; Empfindungen der ersten Lebensstufen stehen aber zugestandenermaassen denen fr�herer Zeitl�ufte n�her, als denen des gegenw�rtigen Jahrhunderts. Unwillk�rlich wird es zu seiner Aufgabe, die Menschheit zu verkindlichen; diess ist sein Ruhm und seine Begr�nztheit. 148. Dichter als Erleichterer des Lebens. - Die Dichter, insofern auch sie das Leben der Menschen erleichtern wollen, wenden den Blick entweder von der m�hseligen Gegenwart ab oder verhelfen der Gegenwart durch ein Licht, das sie von der Vergangenheit herstrahlen machen, zu neuen Farben. Um diess zu k�nnen, m�ssen sie selbst in manchen Hinsichten r�ckw�rts gewendete Wesen sein: so dass man sie als Br�cken zu ganz fernen Zeiten und Vorstellungen, zu absterbenden oder abgestorbenen Religionen und Culturen gebrauchen kann. Sie sind eigentlich immer und nothwendig Epigonen. Es ist freilich von ihren Mitteln zur Erleichterung des Lebens einiges Ung�nstige zu sagen: sie beschwichtigen und heilen nur vorl�ufig, nur f�r den Augenblick; sie halten sogar die Menschen ab, an einer wirklichen Verbesserung ihrer Zust�nde zu arbeiten, indem sie gerade die Leidenschaft der Unbefriedigten, welche zur That dr�ngen, aufheben und palliativisch entladen. 149. Der langsame Pfeil der Sch�nheit. - Die edelste Art der Sch�nheit ist die, welche nicht auf einmal hinreisst, welche nicht st�rmische und berauschende Angriffe macht (eine solche erweckt leicht Ekel), sondern jene langsam einsickernde, welche man fast unbemerkt mit sich forttr�gt und die Einem im Traum einmal wiederbegegnet, endlich aber, nachdem sie lange mit Bescheidenheit an unserm Herzen gelegen, von uns ganz Besitz nimmt, unser Auge mit Thr�nen, unser Herz mit Sehnsucht f�llt. - Wonach sehnen wir uns beim Anblick der Sch�nheit? Darnach, sch�n zu sein: wir w�hnen, es m�sse viel Gl�ck damit verbunden sein. - Aber das ist ein Irrthum. 150. Beseelung der Kunst. - Die Kunst erhebt ihr Haupt, wo die Religionen nachlassen. Sie �bernimmt eine Menge durch die Religion erzeugter Gef�hle und Stimmungen, legt sie an ihr Herz und wird jetzt selber tiefer, seelenvoller, so dass sie Erhebung und Begeisterung mitzutheilen vermag, was sie vordem noch nicht konnte. Der zum Strome angewachsene Reichthum des religi�sen Gef�hls bricht immer wieder aus und will sich neue Reiche erobern: aber die wachsende Aufkl�rung hat die Dogmen der Religion ersch�ttert und ein gr�ndliches Misstrauen eingefl�sst: so wirft sich das Gef�hl, durch die Aufkl�rung aus der religi�sen Sph�re hinausgedr�ngt, in die Kunst; in einzelnen F�llen auch auf das politische Leben, ja selbst direct auf die Wissenschaft. Ueberall, wo man an menschlichen Bestrebungen eine h�here d�stere F�rbung wahrnimmt darf man vermuthen, dass Geistergrauen, Weihrauchduft und Kirchenschatten daran h�ngen geblieben sind. 151. Wodurch das Metrum versch�nert. - Das Metrum legt Flor �ber die Realit�t; es veranlasst einige K�nstlichkeit des Geredes und Unreinheit des Denkens; durch den Schatten, den es auf den Gedanken wirft, verdeckt es bald, bald hebt es hervor. Wie Schatten n�thig ist, um zu versch�nern, so ist das "Dumpfe" n�thig, um zu verdeutlichen. - Die Kunst macht den Anblick des Lebens ertr�glich, dadurch dass sie den Flor des unreinen Denkens �ber dasselbe legt. 152. Kunst der h�sslichen Seele. - Man zieht der Kunst viel zu enge Schranken, wenn man verlangt, dass nur die geordnete, sittlich im Gleichgewicht schwebende Seele sich in ihr aussprechen d�rfe. Wie in den bildenden K�nsten, so auch giebt es in der Musik und Dichtung eine Kunst der h�sslichen Seele, neben der Kunst der sch�nen Seele; und die m�chtigsten Wirkungen der Kunst, das Seelenbrechen, Steinebewegen und Thierevermenschlichen ist vielleicht gerade jener Kunst am meisten gelungen. 153. Die Kunst macht dem Denker das Herz schwer. - Wie stark das metaphysische Bed�rfniss ist und wie sich noch zuletzt die Natur den Abschied von ihm schwer macht, kann man daraus entnehmen, dass noch im Freigeiste, wenn er sich alles Metaphysischen entschlagen hat, die h�chsten Wirkungen der Kunst leicht ein Miterklingen der lange verstummten, ja zerrissenen metaphysischen Saite hervorbringen, sei es zum Beispiel, dass er bei einer Stelle der neunten Symphonie Beethoven's sich �ber der Erde in einem Sternendome schweben f�hlt, mit dem Traume der Unsterblichkeit im Herzen: alle Sterne scheinen um ihn zu flimmern und die Erde immer tiefer hinabzusinken. - Wird er sich dieses Zustandes bewusst, so f�hlt er wohl einen tiefen Stich im Herzen und seufzt nach dem Menschen, welcher ihm die verlorene Geliebte, nenne man sie nun Religion oder Metaphysik, zur�ckf�hre. In solchen Augenblicken wird sein intellectualer Charakter auf die Probe gestellt. 154. Mit dem Leben spielen. - Die Leichtigkeit und Leichtfertigkeit der homerischen Phantasie war n�thig, um das �berm�ssig leidenschaftliche Gem�th und den �berscharfen Verstand des Griechen zu beschwichtigen und zeitweilig aufzuheben. Spricht bei ihnen der Verstand: wie herbe und grausam erscheint dann das Leben! Sie t�uschen sich nicht, aber sie umspielen absichtlich das Leben mit L�gen. Simonides rieth seinen Landsleuten, das Leben wie ein Spiel zu nehmen; der Ernst war ihnen als Schmerz allzubekannt (das Elend der Menschen ist ja das Thema, �ber welches die G�tter so gern singen h�ren) und sie wussten, dass einzig durch die Kunst selbst das Elend zum Genusse werden k�nne. Zur Strafe f�r diese Einsicht waren sie aber von der Lust, zu fabuliren, so geplagt, dass es ihnen im Alltagsleben schwer wurde, sich von Lug und Trug frei zu halten, wie alles Poetenvolk eine solche Lust an der L�ge hat und obendrein noch die Unschuld dabei. Die benachbarten V�lker fanden das wohl mitunter zum Verzweifeln. 155. Glaube an Inspiration. - Die K�nstler haben ein Interesse daran, dass man an die pl�tzlichen Eingebungen, die sogenannten Inspirationen glaubt; als ob die Idee des Kunstwerks, der Dichtung, der Grundgedanke einer Philosophie, wie ein Gnadenschein vom Himmel herableuchte. In Wahrheit producirt die Phantasie des guten K�nstlers oder Denkers fortw�hrend, Gutes, Mittelm�ssiges und Schlechtes, aber seine Urtheilskraft, h�chst gesch�rft und ge�bt, verwirft, w�hlt aus, kn�pft zusammen; wie man jetzt aus den Notizb�chern Beethoven's ersieht, dass er die herrlichsten Melodien allm�hlich zusammengetragen und aus vielfachen Ans�tzen gewissermaassen ausgelesen hat. Wer weniger streng scheidet und sich der nachbildenden Erinnerung gern �berl�sst, der wird unter Umst�nden ein grosser Improvisator werden k�nnen; aber die k�nstlerische Improvisation steht tief im Verh�ltniss zum ernst und m�hevoll erlesenen Kunstgedanken. Alle Grossen waren grosse Arbeiter, unerm�dlich nicht nur im Erfinden, sondern auch im Verwerfen, Sichten, Umgestalten, Ordnen. 156. Nochmals die Inspiration. - Wenn sich die Productionskraft eine Zeit lang angestaut hat und am Ausfliessen durch ein Hemmnis gehindert worden ist, dann giebt es endlich einen so pl�tzlichen Erguss, als ob eine unmittelbare Inspiration, ohne vorhergegangenes inneres Arbeiten, also ein Wunder sich vollziehe. Diess macht die bekannte T�uschung aus, an deren Fortbestehen, wie gesagt, das Interesse aller K�nstler ein wenig zu sehr h�ngt. Das Capital hat sich eben nur angeh�uft, es ist nicht auf einmal vom Himmel gefallen. Es giebt �brigens auch anderw�rts solche scheinbare Inspiration, zum Beispiel im Bereiche der G�te, der Tugend, des Lasters. 157. Die Leiden des Genius' und ihr Werth. - Der k�nstlerische Genius will Freude machen, aber wenn er auf einer sehr hohen Stufe steht, so fehlen ihm leicht die Geniessenden; er bietet Speisen, aber man will sie nicht. Das giebt ihm ein unter Umst�nden l�cherlich-r�hrendes Pathos; denn im Grunde hat er kein Recht, die Menschen zum Vergn�gen zu zwingen. Seine Pfeife t�nt, aber Niemand will tanzen: kann das tragisch sein? - Vielleicht doch. Zuletzt hat er als Compensation f�r diese Entbehrung mehr Vergn�gen beim Schaffen, als die �brigen Menschen bei allen anderen Gattungen der Th�tigkeit haben. Man empfindet seine Leiden �bertrieben, weil der Ton seiner Klage lauter, sein Mund beredter ist; und in mitunter sind seine Leiden wirklich sehr gross, aber nur desshalb, weil sein Ehrgeiz, sein Neid so gross ist. Der wissende Genius, wie Kepler und Spinoza, ist f�r gew�hnlich nicht so begehrlich und macht von seinen wirklich gr�sseren Leiden und Entbehrungen kein solches Aufheben. Er darf mit gr�sserer Sicherheit auf die Nachwelt rechnen und sich der Gegenwart entschlagen; w�hrend ein K�nstler, der diess thut, immer ein verzweifeltes Spiel spielt, bei dem ihm wehe um's Herz werden muss. In ganz seltenen F�llen, - dann, wenn im selben Individuum der Genius des K�nnens und des Erkennens und der moralische Genius sich verschmelzen - kommt zu den erw�hnten Schmerzen noch die Gattung von Schmerzen hinzu, welche als die absonderlichsten Ausnahmen in der Welt zu nehmen sind: die ausser- und �berpers�nlichen, einem Volke, der Menschheit, der gesammten Cultur, allem leidenden Dasein zugewandten Empfindungen: welche ihren Werth durch die Verbindung mit besonders schwierigen und entlegenen Erkenntnissen erlangen (Mitleid an sich ist wenig werth). - Aber welchen Maassstab, welche Goldwage giebt es f�r deren Aechtheit? Ist es nicht fast geboten, misstrauisch gegen Alle zu sein, welche von Empfindungen dieser Art bei sich reden? 158. Verh�ngniss der Gr�sse. - Jeder grossen Erscheinung folgt die Entartung nach, namentlich im Bereiche der Kunst. Das Vorbild des Grossen reizt die eitleren Naturen zum �usserlichen Nachmachen oder zum Ueberbieten; dazu haben alle grossen Begabungen das Verh�ngnissvolle an sich, viele schw�chere Kr�fte und Keime zu erdr�cken und um sich herum gleichsam die Natur zu ver�den. Der gl�cklichste Fall in der Entwickelung einer Kunst ist der, dass mehrere Genie's sich gegenseitig in Schranken halten; bei diesem Kampfe wird gew�hnlich den schw�cheren und zarteren Naturen auch Luft und Licht geg�nnt. 159. Die Kunst dem K�nstler gef�hrlich. - Wenn die Kunst ein Individuum gewaltig ergreift, dann zieht es dasselbe zu Anschauungen solcher Zeiten zur�ck, wo die Kunst am kr�ftigsten bl�hte, sie wirkt dann zur�ckbildend. Der K�nstler kommt immer mehr in eine Verehrung der pl�tzlichen Erregungen, glaubt an G�tter und D�monen, durchseelt die Natur, hasst die Wissenschaft, wird wechselnd in seinen Stimmungen, wie die Menschen des Alterthums, und begehrt einen Umsturz aller Verh�ltnisse, welche der Kunst nicht g�nstig sind, und zwar diess mit der Heftigkeit und Unbilligkeit eines Kindes. An sich ist nun der K�nstler schon ein zur�ckbleibendes Wesen, weil er beim Spiel stehen bleibt, welches zur Jugend und Kindheit geh�rt: dazu kommt noch, dass er allm�hlich in andere Zeiten zur�ckgebildet wird. So entsteht zuletzt ein heftiger Antagonismus zwischen ihm und den gleichalterigen Menschen seiner Periode und ein tr�bes Ende; so wie, nach den Erz�hlungen der Alten, Homer und Aeschylus in Melancholie zuletzt lebten und starben. 160. Geschaffene Menschen. - Wenn man sagt, der Dramatiker (und der K�nstler �berhaupt) schaffe wirklich Charaktere, so ist diess eine sch�ne T�uschung und Uebertreibung, in deren Dasein und Verbreitung die Kunst einen ihrer ungewollten, gleichsam �bersch�ssigen Triumphe feiert. In der That verstehen wir von einem wirklichen lebendigen Menschen nicht viel und generalisiren sehr oberfl�chlich, wenn wir ihm diesen und jenen Charakter zuschreiben: dieser unserer sehr unvollkommenen Stellung zum Menschen entspricht nun der Dichter, indem er ebenso oberfl�chliche Entw�rfe zu Menschen macht (in diesem Sinne "Schafft"), als unsere Erkenntniss der Menschen oberfl�chlich ist. Es ist viel Blendwerk bei diesen geschaffenen Charakteren der K�nstler; es sind durchaus keine leibhaftigen Naturproducte, sondern �hnlich wie die gemalten Menschen ein Wenig allzu d�nn, sie vertragen den Anblick aus der N�he nicht. Gar wenn man sagt, der Charakter des gew�hnlichen lebendigen Menschen widerspreche sich h�ufig, der vom Dramatiker geschaffene sei das Urbild, welches der Natur vorgeschwebt habe, so ist diess ganz falsch. Ein wirklicher Mensch ist etwas ganz und gar Nothwendiges (selbst in jenen sogenannten Widerspr�chen), aber wir erkennen diese Nothwendigkeit nicht immer. Der erdichtete Mensch, das Phantasma, will etwas Nothwendiges bedeuten, doch nur vor Solchen, welche auch einen wirklichen Menschen nur in einer rohen, unnat�rlichen Simplification verstehen: so dass ein paar starke, oft wiederholte Z�ge, mit sehr viel Licht darauf und sehr viel Schatten und Halbdunkel herum, ihren Anspr�chen vollst�ndig gen�gen. Sie sind also leicht bereit, das Phantasma als wirklichen, nothwendigen Menschen zu behandeln, weil sie gew�hnt sind, beim wirklichen Menschen ein Phantasma, einen Schattenriss, eine willk�rliche Abbreviatur f�r das Ganze zu nehmen. - Dass gar der Maler und der Bildhauer die "Idee" des Menschen ausdr�cke, ist eitel Phantasterei und Sinnentrug: man wird vom Auge tyrannisirt, wenn man so Etwas sagt, da dieses vom menschlichen Leibe selbst nur die Oberfl�che, die Haut sieht; der innere Leib geh�rt aber eben so sehr zur Idee. Die bildende Kunst will Charaktere auf der Haut sichtbar werden lassen; die redende Kunst nimmt das Wort zu dem selben Zwecke, sie bildet den Charakter im Laute ab. Die Kunst geht von der nat�rlichen Unwissenheit des Menschen �ber sein Inneres (in Leib und Charakter) aus: sie ist nicht f�r Physiker und Philosophen da. 161. Selbst�bersch�tzung im Glauben an K�nstler und Philosophen. - Wir Alle meinen, es sei die G�te eines Kunstwerks, eines K�nstlers bewiesen, wenn er uns ergreift, ersch�ttert. Aber da m�sste doch erst unsere eigene G�te in Urtheil und Empfindung bewiesen sein: was nicht der Fall ist. Wer hat mehr im Reiche der bildenden Kunst ergriffen und entz�ckt, als Bernini, wer m�chtiger gewirkt, als jener nachdemosthenische Rhetor, welcher den asianischen Stil einf�hrte und durch zwei Jahrhunderte zur Herrschaft brachte? Diese Herrschaft �ber ganze Jahrhunderte beweist Nichts f�r die G�te und dauernde G�ltigkeit eines Stils; desshalb soll man nicht zu sicher in seinem guten Glauben an irgend einen K�nstler sein: ein solcher ist ja nicht nur der Glaube an die Wahrhaftigkeit unserer Empfindung, sondern auch an die Unfehlbarkeit unseres Urtheils, w�hrend Urtheil oder Empfindung oder beides selber zu grob oder zu fein geartet, �berspannt oder roh sein k�nnen. Auch die Segnungen und Beseligungen einer Philosophie, einer Religion beweisen f�r ihre Wahrheit Nichts: ebensowenig als das Gl�ck, welches der Irrsinnige von seiner fixen Idee her geniesst, Etwas f�r die Vern�nftigkeit dieser Idee beweist. 162. Cultus des Genius' aus Eitelkeit. - Weil wir gut von uns denken, aber doch durchaus nicht von uns erwarten, dass wir je den Entwurf eines Rafaelischen Gem�ldes oder eine solche Scene wie die eines Shakespeare'schen Drama's machen k�nnten, reden wir uns ein, das Verm�gen dazu sei ganz �berm�ssig wunderbar, ein ganz seltener Zufall, oder, wenn wir noch religi�s empfinden, eine Begnadigung von Oben. So f�rdert unsere Eitelkeit, unsere Selbstliebe, den Cultus des Genius': denn nur wenn dieser ganz fern von uns gedacht ist, als ein miraculum, verletzt er nicht (selbst Goethe, der Neidlose, nannte Shakespeare seinen Stern der fernsten H�he; wobei man sich jenes Verses erinnern mag: "die Sterne, die begehrt man nicht"). Aber von jenen Einfl�sterungen unserer Eitelkeit abgesehen, so erscheint die Th�tigkeit des Genie's durchaus nicht als etwas Grundverschiedenes von der Th�tigkeit des mechanischen Erfinders, des astronomischen oder historischen Gelehrten, des Meisters der Taktik. Alle diese Th�tigkeiten erkl�ren sich, wenn man sich Menschen vergegenw�rtigt, deren Denken in Einer Richtung th�tig ist, die Alles als Stoff ben�tzen, die immer ihrem innern Leben und dem Anderer mit Eifer zusehen, die �berall Vorbilder, Anreizungen erblicken, die in der Combination ihrer Mittel nicht m�de werden. Das Genie thut auch Nichts, als dass es erst Steine setzen, dann bauen lernt, dass es immer nach Stoff sucht und immer an ihm herumformt. Jede Th�tigkeit des Menschen ist zum Verwundern complicirt, nicht nur die des Genie's: aber keine ist ein "Wunder." - Woher nun der Glaube, dass es allein beim K�nstler, Redner und Philosophen Genie gebe? dass nur sie "Intuition" haben? (womit man ihnen eine Art von Wunder-Augenglas zuschreibt, mit dem sie direct in's "Wesen" sehen!) Die Menschen sprechen ersichtlich dort allein von Genius, wo ihnen die Wirkungen des grossen Intellectes am angenehmsten sind und sie wiederum nicht Neid empfinden wollen. Jemanden "g�ttlich" nennen heisst "hier brauchen wir nicht zu wetteifern". Sodann: alles Fertige, Vollkommene wird angestaunt, alles Werdende untersch�tzt. Nun kann Niemand beim Werke des K�nstlers zusehen, wie es geworden ist; das ist sein Vortheil, denn �berall, wo man das Werden sehen kann, wird man etwas abgek�hlt. Die vollendete Kunst der Darstellung weist alles Denken an das Werden ab; es tyrannisirt als gegenw�rtige Vollkommenheit. Desshalb gelten die K�nstler der Darstellung vornehmlich als genial, nicht aber die wissenschaftlichen Menschen. In Wahrheit ist jene Sch�tzung und diese Untersch�tzung nur eine Kinderei der Vernunft. 163. Der Ernst des Handwerks. - Redet nur nicht von Begabung, angeborenen Talenten! Es sind grosse M�nner aller Art zu nennen, welche wenig begabt waren. Aber sie bekamen Gr�sse, wurden "Genie's" (wie man sagt), durch Eigenschaften, von deren Mangel Niemand gern redet, der sich ihrer bewusst ist: sie hatten Alle jenen t�chtigen Handwerker-Ernst, welcher erst lernt, die Theile vollkommen zu bilden, bis er es wagt, ein grosses Ganzes zu machen; sie gaben sich Zeit dazu, weil sie mehr Lust am Gutmachen des Kleinen, Nebens�chlichen hatten, als an dem Effecte eines blendenden Ganzen. Das Recept zum Beispiel, wie Einer ein guter Novellist werden kann, ist leicht zu geben, aber die Ausf�hrung setzt Eigenschaften voraus, �ber die man hinwegzusehen pflegt, wenn man sagt "ich habe nicht genug Talent". Man mache nur hundert und mehr Entw�rfe zu Novellen, keinen l�nger als zwei Seiten, doch von solcher Deutlichkeit, dass jedes Wort darin nothwendig ist; man schreibe t�glich Anekdoten nieder, bis man es lernt, ihre pr�gnanteste, wirkungsvollste Form zu finden, man sei unerm�dlich im Sammeln und Ausmalen menschlicher Typen und Charaktere, man erz�hle vor Allem so oft es m�glich ist und h�re erz�hlen, mit scharfem Auge und Ohr f�r die Wirkung auf die anderen Anwesenden, man reise wie ein Landschaftsmaler und Cost�mzeichner, man excerpire sich aus einzelnen Wissenschaften alles Das, was k�nstlerische Wirkungen macht, wenn es gut dargestellt wird, man denke endlich �ber die Motive der menschlichen Handlungen nach, verschm�he keinen Fingerzeig der Belehrung hier�ber und sei ein Sammler von dergleichen Dingen bei Tag und Nacht. In dieser mannichfachen Uebung lasse man einige zehn Jahre vor�bergehen: was dann aber in der Werkst�tte geschaffen wird, darf auch hinaus in das Licht der Strasse. - Wie machen es aber die Meisten? Sie fangen nicht mit dem Theile, sondern mit dem Ganzen an. Sie thun vielleicht einmal einen guten Griff, erregen Aufmerksamkeit und thun von da an immer schlechtere Griffe, aus guten, nat�rlichen Gr�nden. - Mitunter, wenn Vernunft und Charakter fehlen, um einen solchen k�nstlerischen Lebensplan zu gestalten, �bernimmt das Schicksal und die Noth die Stelle derselben und f�hrt den zuk�nftigen Meister schrittweise durch alle Bedingungen seines Handwerks. 164. Gefahr und Gewinn im Cultus des Genius'. - Der Glaube an grosse, �berlegene, fruchtbare Geister ist nicht nothwendig, aber sehr h�ufig noch mit jenem ganz- oder halbreligi�sen Aberglauben verbunden, dass jene Geister �bermenschlichen Ursprungs seien und gewisse wunderbare Verm�gen bes�ssen, vermittelst deren sie ihrer Erkenntnisse auf ganz anderem Wege theilhaftig w�rden, als die �brigen Menschen. Man schreibt ihnen wohl einen unmittelbaren Blick in das Wesen der Welt, gleichsam durch ein Loch im Mantel der Erscheinung, zu und glaubt, dass sie ohne die M�hsal und Strenge der Wissenschaft, verm�ge dieses wunderbaren Seherblickes, etwas Endg�ltiges und Entscheidendes �ber Mensch und Welt mittheilen k�nnten. So lange das Wunder im Bereiche der Erkenntniss noch Gl�ubige findet, kann man vielleicht zugeben, dass dabei f�r die Gl�ubigen selber ein Nutzen herauskomme, insofern diese durch ihre unbedingte Unterordnung unter die grossen Geister, ihrem eigenen Geiste f�r die Zeit der Entwickelung die beste Disciplin und Schule verschaffen. Dagegen ist mindestens fraglich, ob der Aberglaube vom Genie, von seinen Vorrechten und Sonderverm�gen f�r das Genie selber von Nutzen sei, wenn er in ihm sich einwurzelt. Es ist jedenfalls ein gef�hrliches Anzeichen, wenn den Menschen jener Schauder vor sich selbst �berf�llt, sei es nun jener ber�hmte C�saren-Schauder oder der hier in Betracht kommende Genie-Schauder; wenn der Opferduft, welchen man billigerweise allein einem Gotte bringt, dem Genie in's Gehirn dringt, so dass er zu schwanken und sich f�r etwas Uebermenschliches zu halten beginnt. Die langsamen Folgen sind: das Gef�hl der Unverantwortlichkeit, der exceptionellen Rechte, der Glaube, schon durch seinen Umgang zu begnadigen, wahnsinnige Wuth bei dem Versuche, ihn mit Anderen zu vergleichen oder gar ihn niedriger zu taxiren und das Verfehlte seines Werkes in's Licht zu setzen. Dadurch, dass er aufh�rt, Kritik gegen sich selbst zu �ben, f�llt zuletzt aus seinem Gefieder eine der Schwungfedern nach der anderen aus: jener Aberglaube gr�bt die Wurzeln seiner Kraft an und macht ihn vielleicht gar zum Heuchler, nachdem seine Kraft von ihm gewichen ist. F�r grosse Geister selbst ist es also wahrscheinlich n�tzlicher, wenn sie �ber ihre Kraft und deren Herkunft zur Einsicht kommen, wenn sie also begreifen, welche rein menschlichen Eigenschaften in ihnen zusammengeflossen sind, welche Gl�cksumst�nde hinzutraten - also einmal anhaltende Energie, entschlossene Hinwendung zu einzelnen Zielen, grosser pers�nlicher Muth, sodann das Gl�ck einer Erziehung, welche die besten Lehrer, Vorbilder, Methoden fr�hzeitig darbot. Freilich, wenn ihr Ziel ist, die gr�sstm�gliche Wirkung zu machen, so hat die Unklarheit �ber sich selbst und jene Beigabe eines halben Wahnsinns immer viel gethan; denn bewundert und beneidet hat man zu allen Zeiten gerade jene Kraft an ihnen, verm�ge deren sie die Menschen willenlos machen und zum Wahne fortreissen, dass �bernat�rliche F�hrer vor ihnen her giengen. Ja, es erhebt und begeistert die Menschen, jemanden im Besitz �bernat�rlicher Kr�fte zu glauben: insofern hat der Wahnsinn, wie Plato sagt, die gr�ssten Segnungen �ber die Menschen gebracht. - In einzelnen seltenen F�llen mag dieses St�ck Wahnsinn wohl auch das Mittel gewesen sein, durch welches eine solche nach allen Seiten hin excessive Natur fest zusammengehalten wurde: auch im Leben der Individuen haben die Wahnvorstellungen h�ufig den Werth von Heilmitteln, welche an sich Gifte sind; doch zeigt sich endlich, bei jedem "Genie", das an seine G�ttlichkeit glaubt, das Gift in dem Grade, als das "Genie" alt wird: man m�ge sich zum Beispiel Napoleon's erinnern, dessen Wesen sicherlich gerade durch seinen Glauben an sich und seinen Stern und durch die aus ihm fliessende Verachtung der Menschen zu der m�chtigen Einheit zusammenwuchs, welche ihn aus allen modernen Menschen heraushebt, bis endlich aber dieser selbe Glaube in einen fast wahnsinnigen Fatalismus �bergieng, ihn seines Schnell- und Scharfblickes beraubte und die Ursache seines Unterganges wurde. 165. Das Genie und das Nichtige. - Gerade die originellen, aus sich sch�pfenden K�pfe unter den K�nstlern k�nnen unter Umst�nden das ganz Leere und Schaale hervorbringen, w�hrend die abh�ngigeren Naturen, die sogenannten Talente, voller Erinnerungen an alles m�gliche Gute stecken und auch im Zustand der Schw�che etwas Leidliches produciren. Sind die Originellen aber von sich selber verlassen, so giebt die Erinnerung ihnen keine H�lfe: sie werden leer. 166. Das Publicum. - Von der Trag�die begehrt das Volk eigentlich nicht mehr, als recht ger�hrt zu werden, um sich einmal ausweinen zu k�nnen; der Artist dagegen, der die neue Trag�die sieht, hat seine Freude an den geistreichen technischen Erfindungen und Kunstgriffen, an der Handhabung und Vertheilung des Stoffes, an der neuen Wendung alter Motive, alter Gedanken. Seine Stellung ist die �sthetische Stellung zum Kunstwerk, die des Schaffenden; die erstbeschriebene, mit alleiniger R�cksicht auf den Stoff, die des Volkes. Von dem Menschen dazwischen ist nicht zu reden, er ist weder Volk noch Artist und weiss nicht, was er will: so ist auch seine Freude unklar und gering. 167. Artistische Erziehung des Publicums. - Wenn das selbe Motiv nicht hundertf�ltig durch verschiedene Meister behandelt wird, lernt das Publicum nicht �ber das Interesse des Stoffes hinauskommen; aber zuletzt wird es selbst die Nuancen, die zarten, neuen Erfindungen in der Behandlung dieses Motives fassen und geniessen, wenn es also das Motiv l�ngst aus zahlreichen Bearbeitungen kennt und dabei keinen Reiz der Neuheit, der Spannung mehr empfindet. 168. K�nstler und sein Gefolge m�ssen Schritt halten. - Der Fortgang von einer Stufe des Stils zur andern muss so langsam sein, dass nicht nur die K�nstler, sondern auch die Zuh�rer und Zuschauer diesen Fortgang mitmachen und genau wissen, was vorgeht. Sonst entsteht auf einmal jene grosse Kluft zwischen dem K�nstler, der auf abgelegener H�he seine Werke schafft, und dem Publicum, welches nicht mehr zu jener H�he hinaufkann und endlich missmuthig wieder tiefer hinabsteigt. Denn wenn der K�nstler sein Publicum nicht mehr hebt, so sinkt es schnell abw�rts, und zwar st�rzt es um so tiefer und gef�hrlicher, je h�her es ein Genius getragen hat, dem Adler vergleichbar, aus dessen F�ngen die in die Wolken hinaufgetragene Schildkr�te zu ihrem Unheil hinabf�llt. 169. Herkunft des Komischen. - Wenn man erw�gt, dass der Mensch manche hunderttausend Jahre lang ein im h�chsten Grade der Furcht zug�ngliches Thier war und dass alles Pl�tzliche, Unerwartete ihn kampfbereit, vielleicht todesbereit sein hiess, ja dass selbst sp�ter, in socialen Verh�ltnissen, alle Sicherheit auf dem Erwarteten, auf dem Herkommen in Meinung und Th�tigkeit beruhte, so darf man sich nicht wundern, dass bei allem Pl�tzlichen, Unerwarteten in Wort und That, wenn es ohne Gefahr und Schaden hereinbricht, der Mensch ausgelassen wird, in's Gegentheil der Furcht �bergeht: das vor Angst zitternde, zusammengekr�mmte Wesen schnellt empor, entfaltet sich weit, - der Mensch lacht. Diesen Uebergang aus momentaner Angst in kurz dauernden Uebermuth nennt man das Komische. Dagegen geht im Ph�nomen des Tragischen der Mensch schnell aus grossem, dauerndem Uebermuth in grosse Angst �ber; da aber unter Sterblichen der grosse dauernde Uebermuth viel seltener, als der Anlass zur Angst ist, so giebt es viel mehr des Komischen, als des Tragischen in der Welt; man lacht viel �fter, als dass man ersch�ttert ist. 170. K�nstler-Ehrgeiz. - Die griechischen K�nstler, zum Beispiel die Tragiker dichteten, um zu siegen; ihre ganze Kunst ist nicht ohne Wettkampf zu denken: die hesiodische gute Eris, der Ehrgeiz, gab ihrem Genius die Fl�gel. Nun verlangte dieser Ehrgeiz vor Allem, dass ihr Werk die h�chste Vortrefflichkeit vor ihren eigenen Augen erhalte, sowie sie also die Vortrefflichkeit verstanden, ohne R�cksicht auf einen herrschenden Geschmack und die allgemeine Meinung �ber das Vortreffliche an einem Kunstwerk; und so blieben Aeschylus und Euripides lange Zeit ohne Erfolg, bis sie sich endlich Kunstrichter erzogen hatten, welche ihr Werk nach den Maassst�ben w�rdigten, welche sie selber anlegten. Somit erstreben sie den Sieg �ber Nebenbuhler nach ihrer eigenen Sch�tzung, vor ihrem eigenen Richterstuhl, sie wollen wirklich vortrefflicher sein; dann fordern sie von Aussen her Zustimmung zu dieser eigenen Sch�tzung, Best�tigung ihres Urtheils. Ehre erstreben heisst hier "sich �berlegen machen und w�nschen, dass es auch �ffentlich so erscheine". Fehlt das Erstere und wird das Zweite trotzdem begehrt, so spricht man von Eitelkeit. Fehlt das Letztere und wird es nicht vermisst, so redet man von Stolz. 171. Das Nothwendige am Kunstwerk. - Die, welche so viel von dem Nothwendigen an einem Kunstwerk reden, �bertreiben, wenn sie K�nstler sind, in majorem artis gloriam, oder wenn sie Laien sind, aus Unkenntniss. Die Formen eines Kunstwerkes, welche seine Gedanken zum Reden bringen, also seine Art zu sprechen sind, haben immer etwas L�ssliches, wie alle Art Sprache. Der Bildhauer kann viele kleine Z�ge hinzuthun oder weglassen: ebenso der Darsteller, sei es ein Schauspieler oder, in Betreff der Musik, ein Virtuos oder Dirigent. Diese vielen kleinen Z�ge und Ausfeilungen machen ihm heute Vergn�gen, morgen nicht, sie sind mehr des K�nstlers als der Kunst wegen da, denn auch er bedarf, bei der Strenge und Selbstbezwingung, welche die Darstellung des Hauptgedankens von ihm fordert, gelegentlich des Zuckerbrodes und der Spielsachen, um nicht m�rrisch zu werden. 172. Den Meister vergessen machen. - Der Clavierspieler, der das Werk eines Meisters zum Vortrag bringt, wird am besten gespielt haben, wenn er den Meister vergessen liess und wenn es so erschien, als ob er eine Geschichte seines Lebens erz�hle oder jetzt eben Etwas erlebe. Freilich: wenn er nichts Bedeutendes ist, wird jedermann seine Geschw�tzigkeit verw�nschen, mit der er uns aus seinem Leben erz�hlt. Also muss er verstehen, die Phantasie des Zuh�rers f�r sich einzunehmen. Daraus wiederum erkl�ren sich alle Schw�chen und Narrheiten des "Virtuosenthums". 173. Corriger la fortune. - Es giebt schlimme Zuf�lligkeiten im Leben grosser K�nstler, welche zum Beispiel den Maler zwingen, sein bedeutendstes Bild nur als fl�chtigen Gedanken zu skizziren oder zum Beispiel Beethoven zwangen, uns in manchen grossen Sonaten (wie in der grossen B-dur) nur den ungen�genden Clavierauszug einer Symphonie zu hinterlassen. Hier soll der sp�terkommende K�nstler das Leben der Grossen nachtr�glich zu corrigiren suchen: was zum Beispiel Der thun w�rde, welcher, als ein Meister aller Orchesterwirkungen, uns jene, dem Clavier-Scheintode verfallene Symphonie zum Leben erweckte. 174. Verkleinern. - Manche Dinge, Ereignisse oder Personen, vertragen es nicht, im kleinen Maassstabe behandelt zu werden. Man kann die Laokoon-Gruppe nicht zu einer Nippesfigur verkleinern; sie hat Gr�sse nothwendig. Aber viel seltener ist es, dass etwas von Natur Kleines die Vergr�sserung vertr�gt; wesshalb es Biographen immer noch eher gelingen wird, einen grossen Mann klein darzustellen, als einen kleinen gross. 175. Sinnlichkeit in der Kunst der Gegenwart. - Die K�nstler verrechnen sich jetzt h�ufig, wenn sie auf eine sinnliche Wirkung ihrer Kunstwerke hinarbeiten; denn ihre Zuschauer oder Zuh�rer haben nicht mehr ihre vollen Sinne und gerathen, ganz wider die Absicht des K�nstlers, durch sein Kunstwerk in - eine "Heiligkeit" der Empfindung, welche der Langweiligkeit nahe verwandt ist. - Ihre Sinnlichkeit f�ngt vielleicht dort an, wo die des K�nstlers gerade aufh�rt, sie begegnen sich also h�chstens an Einem Puncte. 176. Shakespeare als Moralist. - Shakespeare hat �ber die Leidenschaften viel nachgedacht und wohl von seinem Temperamente her zu vielen einen sehr nahen Zugang gehabt (Dramatiker sind im Allgemeinen ziemlich b�se Menschen). Aber er vermochte nicht, wie Montaigne, dar�ber zu reden, sondern legte die Beobachtungen �ber die Passionen den passionirten Figuren in den Mund: was zwar wider die Natur ist, aber seine Dramen so gedankenvoll macht, dass sie alle anderen leer erscheinen lassen und leicht einen allgemeinen Widerwillen gegen sie erwecken. - Die Sentenzen Schiller's (welchen fast immer falsche oder unbedeutende Einf�lle zu Grunde liegen) sind eben Theatersentenzen und wirken als solche sehr stark: w�hrend die Sentenzen Shakespeare's seinem Vorbilde Montaigne Ehre machen und ganz ernsthafte Gedanken in geschliffener Form enthalten, desshalb aber f�r die Augen des Theaterpublicums zu fern und zu fein, also unwirksam sind. 177. Sich gut zu Geh�r bringen. - Man muss nicht nur verstehen, gut zu spielen, sondern auch sich gut zu Geh�r zu bringen. Die Geige in der Hand des gr�ssten Meisters giebt nur ein Gezirp von sich, wenn der Raum zu gross ist; man kann da den Meister mit jedem St�mper verwechseln. 178. Das Unvollst�ndige als das Wirksame. - Wie Relieffiguren dadurch so stark auf die Phantasie wirken, dass sie gleichsam auf dem Wege sind, aus der Wand herauszutreten und pl�tzlich, irgend wodurch gehemmt, Halt machen: so ist mitunter die reliefartig unvollst�ndige Darstellung eines Gedankens, einer ganzen Philosophie wirksamer, als die ersch�pfende Ausf�hrung: man �berl�sst der Arbeit des Beschauers mehr, er wird aufgeregt, das, was in so starkem Licht und Dunkel vor ihm sich abhebt, fortzubilden, zu Ende zu denken und jenes Hemmniss selber zu �berwinden, welches ihrem v�lligen Heraustreten bis dahin hinderlich war. 179. Gegen die Originalen. - Wenn die Kunst sich in den abgetragensten Stoff kleidet, erkennt man sie am besten als Kunst. 180. Collectivgeist. - Ein guter Schriftsteller hat nicht nur seinen eigenen Geist, sondern auch noch den Geist seiner Freunde. 181. Zweierlei Verkennung. - Das Ungl�ck scharfsinniger und klarer Schriftsteller ist, dass man sie f�r flach nimmt und desshalb ihnen keine M�he zuwendet: und das Gl�ck der unklaren, dass der Leser sich an ihnen abm�ht und die Freude �ber seinen Eifer ihnen zu Gute schreibt. 182. Verh�ltniss zur Wissenschaft. - Alle Die haben kein wirkliches Interesse an einer Wissenschaft, welche erst dann anfangen, f�r sie warm zu werden, wenn sie selbst Entdeckungen in ihr gemacht haben. 183. Der Schl�ssel. - Der eine Gedanke, auf den ein bedeutender Mensch, zum Gel�chter und Spott der Unbedeutenden, grossen Werth legt, ist f�r ihn ein Schl�ssel zu verborgenen Schatzkammern, f�r jene nicht mehr, als ein St�ck alten Eisens. 184. Un�bersetzbar. - Es ist weder das Beste, noch das Schlechteste an einem Buche, was an ihm un�bersetzbar ist. 185. Paradoxien des Autors. - Die sogenannten Paradoxien des Autors, an welchen ein Leser Anstoss nimmt, stehen h�ufig gar nicht im Buche des Autors, sondern im Kopfe des Lesers. 186. Witz. - Die witzigsten Autoren erzeugen das kaum bemerkbarste L�cheln. 187. Die Antithese. - Die Antithese ist die enge Pforte, durch welche sich am liebsten der Irrthum zur Wahrheit schleicht. 188. Denker als Stilisten. - Die meisten Denker schreiben schlecht, weil sie uns nicht nur ihre Gedanken, sondern auch das Denken der Gedanken mittheilen. 189. Gedanken im Gedicht. - Der Dichter f�hrt seine Gedanken festlich daher, auf dem Wagen des Rhythmus': gew�hnlich desshalb, weil diese zu Fuss nicht gehen k�nnen. 190. S�nde wider den Geist des Lesers. - Wenn der Autor sein Talent verleugnet, blos um sich dem Leser gleich zu stellen, so begeht er die einzige Tods�nde, welche ihm Jener nie verzeiht: im Fall er n�mlich Etwas davon merkt. Man darf dem Menschen sonst alles B�se nachsagen: aber in der Art, wie man es sagt, muss man seine Eitelkeit wieder aufzurichten wissen. 191. Gr�nze der Ehrlichkeit. - Auch dem ehrlichsten Schriftsteller entf�llt ein Wort zu viel, wenn er eine Periode abrunden will. 192. Der beste Autor. - Der beste Autor wird der sein, welcher sich sch�mt, Schriftsteller zu werden. 193. Drakonisches Gesetz gegen Schriftsteller. - Man sollte einen Schriftsteller als einen Misseth�ter ansehen, der nur in den seltensten F�llen Freisprechung oder Begnadigung verdient: das w�re ein Mittel gegen das Ueberhandnehmen der B�cher. 194. Die Narren der modernen Cultur. - Die Narren der mittelalterlichen H�fe entsprechen unseren Feuilletonisten; es ist die selbe Gattung Menschen, halbvern�nftig, witzig, �bertrieben, albern, mitunter nur dazu da, das Pathos der Stimmung durch Einf�lle, durch Geschw�tz zu mildern und den allzu schweren, feierlichen Glockenklang grosser Ereignisse durch Geschrei zu �bert�uben; ehemals im Dienste der F�rsten und Adeligen, jetzt im Dienste von Parteien (wie in Partei-Sinn und Partei-Zucht ein guter Theil der alten Unterth�nigkeit im Verkehr des Volkes mit dem F�rsten jetzt noch fortlebt). Der ganze moderne Litteratenstand steht aber den Feuilletonisten sehr nahe, es sind die "Narren der modernen Cultur", welche man milder beurtheilt, wenn man sie als nicht ganz zurechnungsf�hig nimmt. Schriftstellerei als Lebensberuf zu betrachten, sollte billigerweise als eine Art Tollheit gelten. 195. Den Griechen nach. - Der Erkenntniss steht es gegenw�rtig sehr im Wege, dass alle Worte durch hundertj�hrige Uebertreibung des Gef�hls dunstig und aufgeblasen geworden sind. Die h�here Stufe der Cultur, welche sich unter die Herrschaft (wenn auch nicht unter die Tyrannei) der Erkenntniss stellt, hat eine grosse Ern�chterung des Gef�hls und eine starke Concentration aller Worte vonn�then; worin uns die Griechen im Zeitalter des Demosthenes vorangegangen sind. Das Ueberspannte bezeichnet alle modernen Schriften; und selbst wenn sie einfach geschrieben sind, so werden die Worte in denselben noch zu excentrisch gef�hlt. Strenge Ueberlegung, Gedr�ngtheit, K�lte, Schlichtheit, selbst absichtlich bis an die Gr�nze hinab, �berhaupt An-sich-halten des Gef�hls und Schweigsamkeit, - das kann allein helfen. - Uebrigens ist diese kalte Schreib- und Gef�hlsart, als Gegensatz, jetzt sehr reizvoll: und darin liegt freilich eine neue Gefahr. Denn die scharfe K�lte ist so gut ein Reizmittel, als ein hoher W�rmegrad. 196. Gute Erz�hler schlechte Erkl�rer. - Bei guten Erz�hlern steht oft eine bewunderungsw�rdige psychologische Sicherheit und Consequenz, soweit diese in den Handlungen ihrer Personen hervortreten kann, in einem geradezu l�cherlichen Gegensatz zu der Unge�btheit ihres psychologischen Denkens: so dass ihre Cultur in dem einen Augenblicke ebenso ausgezeichnet hoch, als im n�chsten bedauerlich tief erscheint. Es kommt gar zu h�ufig vor, dass sie ihre eigenen Helden und deren Handlungen ersichtlich falsch erkl�ren, - es ist daran kein Zweifel, so unwahrscheinlich die Sache klingt. Vielleicht hat der gr�sste Clavierspieler nur wenig �ber die technischen Bedingungen und die specielle Tugend, Untugend, Nutzbarkeit und Erziehbarkeit jedes Fingers (daktylische Ethik) nachgedacht, und macht grobe Fehler, wenn er von solchen Dingen redet. 197. Die Schriften von Bekannten und ihre Leser. - Wir lesen Schriften von Bekannten (Freunden und Feinden) doppelt, insofern fortw�hrend unsere Erkenntniss daneben fl�stert: "das ist von ihm, ein Merkmal seines inneren Wesens, seiner Erlebnisse, seiner Begabung", und wiederum eine andere Art Erkenntniss dabei festzustellen sucht, was der Ertrag jenes Werkes an sich ist, welche Sch�tzung es �berhaupt, abgesehen von seinem Verfasser, verdient, welche Bereicherung des Wissens es mit sich bringt. Diese beiden Arten des Lesens und Erw�gens st�ren sich, wie das sich von selbst versteht, gegenseitig. Auch eine Unterhaltung mit einem Freunde wird dann erst gute Fr�chte der Erkenntniss zeitigen, wenn Beide endlich nur noch an die Sache denken, und vergessen, dass sie Freunde sind. 198. Rhythmische Opfer. - Gute Schriftsteller ver�ndern den Rhythmus mancher Periode blos desshalb, weil sie den gew�hnlichen Lesern nicht die F�higkeit zuerkennen, den Tact, welchem die Periode in ihrer ersten Fassung folgte, zu begreifen: desshalb erleichtern sie es ihnen, indem sie bekannteren Rhythmen den Vorzug geben. - Diese R�cksicht auf das rhythmische Unverm�gen der jetzigen Leser hat schon manche Seufzer entlockt, denn ihr ist viel schon zum Opfer gefallen. - Ob es guten Musikern nicht �hnlich ergeht? 199. Das Unvollst�ndige als k�nstlerisches Reizmittel. - Das Unvollst�ndige ist oft wirksamer als die Vollst�ndigkeit, so namentlich in der Lobrede: f�r ihre Zwecke braucht man gerade eine anreizende Unvollst�ndigkeit, als ein irrationales Element, welches der Phantasie des H�rers ein Meer vorspiegelt und gleich einem Nebel die gegen�berliegende K�ste, also die Begr�nztheit des zu lobenden Gegenstandes, verdeckt. Wenn man die bekannten Verdienste eines Menschen erw�hnt und dabei ausf�hrlich und breit ist, so l�sst diess immer den Argwohn aufkommen, es seien die einzigen Verdienste. Der vollst�ndig Lobende stellt sich �ber den Gelobten, er scheint ihn zu �bersehen. Desshalb wirkt das Vollst�ndige abschw�chend. 200. Vorsicht im Schreiben und Lehren. - Wer erst geschrieben hat und die Leidenschaft des Schreibens in sich f�hlt, lernt fast aus Allem, was er treibt und erlebt, nur Das noch heraus, was schriftstellerisch mittheilbar ist. Er denkt nicht mehr an sich, sondern an den Schriftsteller und sein Publicum; er will die Einsicht, aber nicht zum eigenen Gebrauche. Wer Lehrer ist, ist meistens unf�hig, etwas Eigenes noch f�r sein eigenes Wohl zu treiben, er denkt immer an das Wohl seiner Sch�ler und jede Erkenntniss erfreut ihn nur, so weit er sie lehren kann. Er betrachtet sich zuletzt als einen Durchweg des Wissens und �berhaupt als Mittel, so dass er den Ernst f�r sich verloren hat. 201. Schlechte Schriftsteller nothwendig. - Es wird immer schlechte Schriftsteller geben m�ssen, denn sie entsprechen dem Geschmack der unentwickelten, unreifen Altersclassen; diese haben so gut ihr Bed�rfniss wie die reifern. W�re das menschliche Leben l�nger, so w�rde die Zahl der reif gewordenen Individuen �berwiegend oder mindestens gleich gross mit der der unreifen ausfallen; so aber sterben bei Weitem die meisten zu jung, das heisst es giebt immer viel mehr unentwickelte Intellecte mit schlechtem Geschmack. Diese begehren �berdiess, mit der gr�sseren Heftigkeit der Jugend, nach Befriedigung ihres Bed�rfnisses, und sie erzwingen sich schlechte Autoren. 202. Zu nah und zu fern. - Der Leser und der Autor verstehen sich h�ufig desshalb nicht, weil der Autor sein Thema zu gut kennt und es beinahe langweilig findet, so dass er sich die Beispiele erl�sst, die er zu Hunderten weiss; der Leser aber ist der Sache fremd und findet sie leicht schlecht begr�ndet, wenn ihm die Beispiele vorenthalten werden. 203. Eine verschwundene Vorbereitung zur Kunst. - An Allem, was das Gymnasium trieb, war das Werthvollste die Uebung im lateinischen Stil: diese war eben eine Kunst�bung, w�hrend alle anderen Besch�ftigungen nur das Wissen zum Zweck hatten. Den deutschen Aufsatz voranzustellen, ist Barbarei, denn wir haben keinen musterg�ltigen, an �ffentlicher Beredtsamkeit emporgewachsenen deutschen Stil; will man aber durch den deutschen Aufsatz die Uebung im Denken f�rdern, so ist es gewiss besser, wenn man einstweilen von Stil dabei �berhaupt absieht, also zwischen der Uebung im Denken und der im Darstellen scheidet. Letztere sollte sich auf mannichfache Fassung eines gegebenen Inhaltes beziehen und nicht auf selbst�ndiges Erfinden eines Inhaltes. Die blose Darstellung bei gegebenem Inhalte war die Aufgabe des lateinischen Stils, f�r welchen die alten Lehrer eine l�ngst verloren gegangene Feinheit des Geh�rs besassen. Wer ehemals gut in einer modernen Sprache schreiben lernte, verdankte es dieser Uebung (jetzt muss man sich nothgedrungen zu den �lteren Franzosen in die Schule schicken); aber noch mehr: er bekam einen Begriff von der Hoheit und Schwierigkeit der Form und wurde f�r die Kunst �berhaupt auf dem einzig richtigen Wege vorbereitet, durch Praxis. 204. Dunkles und Ueberhelles neben einander. - Schriftsteller, welche im Allgemeinen ihren Gedanken keine Deutlichkeit zu geben verstehen, werden im Einzelnen mit Vorliebe die st�rksten, �bertriebensten Bezeichnungen und Superlative w�hlen: dadurch entsteht eine Lichtwirkung, wie bei Fackelbeleuchtung auf verworrenen Waldwegen. 205. Schriftstellerisches Malerthum. - Einen bedeutenden Gegenstand wird man am besten darstellen, wenn man die Farben zum Gem�lde aus dem Gegenstande selber, wie ein Chemiker, nimmt und sie dann wie ein Artist verbraucht: so dass man die Zeichnung aus den Gr�nzen und Ueberg�ngen der Farben erwachsen l�sst. So bekommt das Gem�lde Etwas von dem hinreissenden Naturelement, welches den Gegenstand selber bedeutend macht. 206. B�cher, welche tanzen lehren. - Es giebt Schriftsteller, welche dadurch, dass sie Unm�gliches als m�glich darstellen und vom Sittlichen und Genialen so reden, als ob beides nur eine Laune, ein Belieben sei, ein Gef�hl von �berm�thiger Freiheit hervorbringen, wie wenn der Mensch sich auf die Fussspitzen stellte und vor innerer Lust durchaus tanzen m�sste. 207. Nicht fertig gewordene Gedanken. - Ebenso wie nicht nur das Mannesalter, sondern auch Jugend und Kindheit einen Werth an sich haben und gar nicht nur als Durchg�nge und Br�cken zu sch�tzen sind, so haben auch die nicht fertig gewordenen Gedanken ihren Werth. Man muss desshalb einen Dichter nicht mit subtiler Auslegung qu�len und sich an der Unsicherheit seines Horizontes vergn�gen, wie als ob der Weg zu mehreren Gedanken noch offen sei. Man steht an der Schwelle; man wartet wie bei der Ausgrabung eines Schatzes: es ist, als ob ein Gl�cksfund von Tiefsinn eben gemacht werden sollte. Der Dichter nimmt Etwas von der Lust des Denkers beim Finden eines Hauptgedankens vorweg und macht uns damit begehrlich, so dass wir nach diesem haschen; der aber gaukelt an unserm Kopf vor�ber und zeigt die sch�nsten Schmetterlingsfl�gel - und doch entschl�pft er uns. 208. Das Buch fast zum Menschen geworden. - Jeden Schriftsteller �berrascht es von Neuem, wie das Buch, sobald es sich von ihm gel�st hat, ein eigenes Leben f�r sich weiterlebt; es ist ihm zu Muthe, als w�re der eine Theil eines Insectes losgetrennt und gienge nun seinen eigenen Weg weiter. Vielleicht vergisst er es fast ganz, vielleicht erhebt er sich �ber die darin niedergelegten Ansichten, vielleicht selbst versteht er es nicht mehr und hat jene Schwingen verloren, auf denen er damals flog, als er jenes Buch aussann: w�hrenddem sucht es sich seine Leser, entz�ndet Leben, begl�ckt, erschreckt, erzeugt neue Werke, wird die Seele von Vors�tzen und Handlungen - kurz: es lebt wie ein mit Geist und Seele ausgestattetes Wesen und ist doch kein Mensch. - Das gl�cklichste Loos hat der Autor gezogen, welcher, als alter Mann, sagen kann, dass Alles, was von lebenzeugenden, kr�ftigenden, erhebenden, aufkl�renden Gedanken und Gef�hlen in ihm war, in seinen Schriften noch fortlebe und dass er selber nur noch die graue Asche bedeute, w�hrend das Feuer �berall hin gerettet und weiter getragen sei. - Erw�gt man nun gar, dass jede Handlung eines Menschen, nicht nur ein Buch, auf irgend eine Art Anlass zu anderen Handlungen, Entschl�ssen, Gedanken wird, dass Alles, was geschieht, unl�sbar fest sich mit Allem, was geschehen wird, verknotet, so erkennt man die wirkliche Unsterblichkeit, die es giebt, die der Bewegung: was einmal bewegt hat, ist in dem Gesammtverbande alles Seienden, wie in einem Bernstein ein Insect, eingeschlossen und verewigt. 209. Freude im Alter. - Der Denker und ebenso der K�nstler, welcher sein besseres Selbst in Werke gefl�chtet hat, empfindet eine fast boshafte Freude, wenn er sieht, wie sein Leib und Geist langsam von der Zeit angebrochen und zerst�rt werden, als ob er aus einem Winkel einen Dieb an seinem Geldschranke arbeiten s�he, w�hrend er weiss, dass dieser leer ist und alle Sch�tze gerettet sind. 210. Ruhige Fruchtbarkeit. - Die geborenen Aristokraten des Geistes sind nicht zu eifrig; ihre Sch�pfungen erscheinen und fallen an einem ruhigen Herbstabend vom Baume, ohne hastig begehrt, gef�rdert, durch Neues verdr�ngt zu werden. Das unabl�ssige Schaffenwollen ist gemein und zeigt Eifersucht, Neid, Ehrgeiz an. Wenn man Etwas ist, so braucht man eigentlich Nichts zu machen, - und thut doch sehr viel. Es giebt �ber dem "productiven" Menschen noch eine h�here Gattung. 211. Achilles und Homer. - Es ist immer wie zwischen Achilles und Homer: der Eine hat das Erlebniss, die Empfindung, der Andere beschreibt sie. Ein wirklicher Schriftsteller giebt dem Affect und der Erfahrung Anderer nur Worte, er ist K�nstler, um aus dem Wenigen, was er empfunden hat, viel zu errathen. K�nstler sind keineswegs die Menschen der grossen Leidenschaft, aber h�ufig geben sie sich als solche in der unbewussten Empfindung, dass man ihrer gemalten Leidenschaft mehr traut, wenn ihr eigenes Leben f�r ihre Erfahrung auf diesem Gebiete spricht. Man braucht sich ja nur gehen zu lassen, sich nicht zu beherrschen, seinem Zorn, seiner Begierde offenen Spielraum zu g�nnen, sofort schreit alle Welt: wie leidenschaftlich ist er! Aber mit der tiefw�hlenden, das Individuum anzehrenden und oft verschlingenden Leidenschaft hat es Etwas auf sich: wer sie erlebt, beschreibt sie gewiss nicht in Dramen, T�nen oder Romanen. K�nstler sind h�ufig z�gellose Individuen, soweit sie eben nicht K�nstler sind: aber das ist etwas Anderes. 212. Alte Zweifel �ber die Wirkung der Kunst. - Sollten Mitleid und Furcht wirklich, wie Aristoteles will, durch die Trag�die entladen werden, so dass der Zuh�rer k�lter und ruhiger nach Hause zur�ckkehre? Sollten Geistergeschichten weniger furchtsam und abergl�ubisch machen? Es ist bei einigen physischen Vorg�ngen, zum Beispiel bei dem Liebesgenuss, wahr, dass mit der Befriedigung eines Bed�rfnisses eine Linderung und zeitweilige Herabstimmung des Triebes eintritt. Aber die Furcht und das Mitleid sind nicht in diesem Sinne Bed�rfnisse bestimmter Organe, welche erleichtert werden wollen. Und auf die Dauer wird selbst jeder Trieb durch Uebung in seiner Befriedigung gest�rkt, trotz jener periodischen Linderungen. Es w�re m�glich, dass Mitleid und Furcht in jedem einzelnen Falle durch die Trag�die gemildert und entladen w�rden: trotzdem k�nnten sie im Ganzen durch die tragische Einwirkung �berhaupt gr�sser werden, und Plato behielte doch Recht, wenn er meint, dass man durch die Trag�die insgesammt �ngstlicher und r�hrseliger werde. Der tragische Dichter selbst w�rde dann nothwendig eine d�stere, furchtvolle Weltbetrachtung und eine weiche, reizbare, thr�nens�chtige Seele bekommen, desgleichen w�rde es zu Plato's Meinung stimmen, wenn die tragischen Dichter und ebenso die ganzen Stadtgemeinden, welche sich besonders an ihnen erg�tzen, zu immer gr�sserer Maass- und Z�gellosigkeit ausarten. - Aber welches Recht hat unsere Zeit �berhaupt, auf die grosse Frage Plato's nach dem moralischen Einfluss der Kunst eine Antwort zu geben? H�tten wir selbst die Kunst, - wo haben wir den Einfluss, irgend einen Einfluss der Kunst? 213. Freude am Unsinn. - Wie kann der Mensch Freude am Unsinn haben? So weit n�mlich auf der Welt gelacht wird, ist diess der Fall; ja man kann sagen, fast �berall wo es Gl�ck giebt, giebt es Freude am Unsinn. Das Umwerfen der Erfahrung in's Gegentheil, des Zweckm�ssigen in's Zwecklose, des Nothwendigen in's Beliebige, doch so, dass dieser Vorgang keinen Schaden macht und nur einmal aus Uebermuth vorgestellt wird, erg�tzt, denn es befreit uns momentan von dem Zwange des Nothwendigen, Zweckm�ssigen und Erfahrungsgem�ssen, in denen wir f�r gew�hnlich unsere unerbittlichen Herren sehen; wir spielen und lachen dann, wenn das Erwartete (das gew�hnlich bange macht und spannt) sich, ohne zu sch�digen, entladet. Es ist die Freude der Sclaven am Saturnalienfeste. 214. Veredelung der Wirklichkeit. - Dadurch, dass die Menschen in dem aphrodisischen Triebe eine Gottheit sahen und ihn mit anbetender Dankbarkeit in sich wirkend f�hlten, ist im Verlaufe der Zeit jener Affect mit h�heren Vorstellungsreihen durchzogen und dadurch thats�chlich sehr veredelt worden. So haben sich einige V�lker, verm�ge dieser Kunst des Idealisirens, aus Krankheiten grosse H�lfsm�chte der Cultur geschaffen: zum Beispiel die Griechen, welche in fr�heren Jahrhunderten an grossen Nerven-Epidemien (in der Art der Epilepsie und des Veitstanzes) litten und daraus den herrlichen Typus der Bacchantin herausgebildet haben. - Die Griechen besassen n�mlich Nichts weniger, als eine vierschr�tige Gesundheit; - ihr Geheimniss war, auch die Krankheit, wenn sie nur Macht hatte, als Gott zu verehren. 215. Musik. - Die Musik ist nicht an und f�r sich so bedeutungsvoll f�r unser Inneres, so tief erregend, dass sie als unmittelbare Sprache des Gef�hls gelten d�rfte; sondern ihre uralte Verbindung mit der Poesie hat so viel Symbolik in die rhythmische Bewegung, in St�rke und Schw�che des Tones gelegt, dass wir jetzt w�hnen, sie spr�che direct zu in Inneren und k�me aus dem Inneren. Die dramatische Musik ist erst m�glich, wenn sich die Tonkunst ein ungeheures Bereich symbolischer Mittel erobert hat, durch Lied, Oper und hundertf�ltige Versuche der Tonmalerei. Die "absolute Musik" ist entweder Form an sich, im rohen Zustand der Musik, wo das Erklingen in Zeitmaass und verschiedener St�rke �berhaupt Freude macht, oder die ohne Poesie schon zum Verst�ndniss redende Symbolik der Formen, nachdem in langer Entwickelung beide K�nste verbunden waren und endlich die musicalische Form ganz mit Begriffs- und Gef�hlsf�den durchsponnen ist. Menschen, welche in der Entwickelung der Musik zur�ckgeblieben sind, k�nnen das selbe Tonst�ck rein formalistisch empfinden, wo die Fortgeschrittenen Alles symbolisch verstehen. An sich ist keine Musik tief und bedeutungsvoll, sie spricht nicht vom "Willen", vom "Dinge an sich"; das konnte der Intellect erst in einem Zeitalter w�hnen, welches den ganzen Umfang des inneren Lebens f�r die musicalische Symbolik erobert hatte. Der Intellect selber hat diese Bedeutsamkeit erst in den Klang hineingelegt, wie er in die Verh�ltnisse von Linien und Massen bei der Architektur ebenfalls Bedeutsamkeit gelegt hat, welche aber an sich den mechanischen Gesetzen ganz fremd ist. 216. Geb�rde und Sprache. - Aelter als die Sprache ist das Nachmachen von Geb�rden, welches unwillk�rlich vor sich geht und jetzt noch, bei einer allgemeinen Zur�ckdr�ngung der Geb�rdensprache und gebildeten Beherrschung der Muskeln, so stark ist, dass wir ein bewegtes Gesicht nicht ohne Innervation unseres Gesichts ansehen k�nnen (man kann beobachten, dass fingirtes G�hnen bei Einem, der es sieht, nat�rliches G�hnen hervorruft). Die nachgeahmte Geb�rde leitete Den, der nachahmte, zu der Empfindung zur�ck, welche sie im Gesicht oder K�rper des Nachgeahmten ausdr�ckte. So lernte man sich verstehen: so lernt noch das Kind die Mutter verstehen. Im Allgemeinen m�gen schmerzhafte Empfindungen wohl auch durch Geb�rden ausgedr�ckt worden sein, welche Schmerz ihrerseits verursachen (zum Beispiel durch Haar ausraufen, die-Brust-schlagen, gewaltsame Verzerrungen und Anspannungen der Gesichtsmuskeln). Umgekehrt: Geb�rden der Lust waren selber lustvoll und eigneten sich dadurch leicht zum Mittheilen des Verst�ndnisses (Lachen als Aeusserung des Gekitzeltwerdens, welches lustvoll ist, diente wiederum zum Ausdruck anderer lustvoller Empfindungen). - Sobald man sich in Geb�rden verstand, konnte wiederum eine Symbolik der Geb�rde entstehen: ich meine, man konnte �ber eine Tonzeichensprache sich verst�ndigen, so zwar, dass man zuerst Ton und Geb�rde (zu der er symbolisch hinzutrat), sp�ter nur den Ton hervorbrachte. - Es scheint sich da in fr�her Zeit das Selbe oftmals ereignet zu haben, was jetzt vor unseren Augen und Ohren in der Entwickelung der Musik, namentlich der dramatischen Musik, vor sich geht: w�hrend zuerst die Musik, ohne erkl�renden Tanz und Mimus (Geb�rdensprache), leeres Ger�usch ist, wird durch lange Gew�hnung an jenes Nebeneinander von Musik und Bewegung das Ohr zur sofortigen Ausdeutung der Tonfiguren eingeschult und kommt endlich auf eine H�he des schnellen Verst�ndnisses, wo es der sichtbaren Bewegung gar nicht mehr bedarf und den Tondichter ohne dieselbe versteht. Man redet dann von absoluter Musik, das heisst von Musik, in der Alles ohne weitere Beih�lfe sofort symbolisch verstanden wird. 217. Die Entsinnlichung der h�heren Kunst. - Unsere Ohren sind, verm�ge der ausserordentlichen Uebung des Intellects durch die Kunstentwickelung der neuen Musik, immer intellectualer geworden. Desshalb ertragen wir jetzt viel gr�ssere Tonst�rke, viel mehr "L�rm", weil wir viel besser einge�bt sind, auf die Vernunft in ihm hin zu horchen, als unsere Vorfahren. Thats�chlich sind nun alle unsere Sinne eben dadurch, dass sie sogleich nach der Vernunft, also nach dem "es bedeutet" und nicht mehr nach dem "es ist" fragen, etwas abgestumpft worden: wie sich eine solche Abstumpfung zum Beispiel in der unbedingten Herrschaft der Temperatur der T�ne verr�th; denn jetzt geh�ren Ohren, welche die feineren Unterscheidungen, zum Beispiel zwischen cis und des, noch machen, zu den Ausnahmen. In dieser Hinsicht ist unser Ohr vergr�bert worden. Sodann ist die h�ssliche, den Sinnen urspr�nglich feindselige Seite der Welt f�r die Musik erobert worden; ihr Machtbereich, namentlich zum Ausdruck des Erhabenen, Furchtbaren, Geheimnissvollen, hat sich damit erstaunlich erweitert; unsere Musik bringt jetzt Dinge zum Reden, welche fr�her keine Zunge hatten. In �hnlicher Weise haben einige Maler das Auge intellectualer gemacht und sind weit �ber Das hinausgegangen, was man fr�her Farben- und Formenfreude nannte. Auch hier ist die urspr�nglich als h�sslich geltende Seite der Welt vom k�nstlerischen Verstande erobert worden. - Was ist von alledem die Consequenz? je gedankenf�higer Auge und Ohr werden, um so mehr kommen sie an die Gr�nze, wo sie unsinnlich werden: die Freude wird in's Gehirn verlegt, die Sinnesorgane selbst werden stumpf und schwach, das Symbolische tritt immer mehr an Stelle des Seienden, - und so gelangen wir auf diesem Wege so sicher zur Barbarei, wie auf irgend einem anderen. Einstweilen heisst es noch: die Welt ist h�sslicher als je, aber sie bedeutet eine sch�nere Welt als je gewesen. Aber je mehr der Ambraduft der Bedeutung sich zerstreut und verfl�chtigt, um so seltener werden Die, welche ihn noch wahrnehmen: und die Uebrigen bleiben endlich bei dem H�sslichen stehen und suchen es direct zu geniessen, was ihnen aber immer misslingen muss. So giebt es in Deutschland eine doppelte Str�mung der musicalischen Entwickelung: hier eine Schaar von Zehntausend mit immer h�heren, zarteren Anspr�chen und immer mehr nach dem "es bedeutet" hinh�rend, und dort die ungeheuere Ueberzahl, welche allj�hrlich immer unf�higer wird, das Bedeutende auch in der Form der sinnlichen H�sslichkeit zu verstehen und desshalb nach dem an sich H�sslichen und Ekelhaften, das heisst dem niedrig Sinnlichen, in der Musik mit immer mehr Behagen greifen lernt. 218. Der Stein ist mehr Stein als fr�her. - Wir verstehen im Allgemeinen Architektur nicht mehr, wenigstens lange nicht in der Weise, wie wir Musik verstehen. Wir sind aus der Symbolik der Linien und Figuren herausgewachsen, wie wir der Klangwirkungen der Rhetorik entw�hnt sind, und haben diese Art von Muttermilch der Bildung nicht mehr vom ersten Augenblick unseres Lebens an eingesogen. An einem griechischen oder christlichen Geb�ude bedeutete urspr�nglich Alles Etwas, und zwar in Hinsicht auf eine h�here Ordnung der Dinge: diese Stimmung einer unaussch�pflichen Bedeutsamkeit lag um das Geb�ude gleich einem zauberhaften Schleier. Sch�nheit kam nur nebenbei in das System hinein, ohne die Grundempfindung des Unheimlich-Erhabenen, des durch G�ttern�he und Magie Geweihten, wesentlich zu beeintr�chtigen; Sch�nheit milderte h�chstens das Grauen, - aber dieses Grauen war �berall die Voraussetzung. - Was ist uns jetzt die Sch�nheit eines Geb�udes? Das Selbe wie das sch�ne Gesicht einer geistlosen Frau: etwas Maskenhaftes. 219. Religi�se Herkunft der neueren Musik. - Die seelenvolle Musik entsteht in dem wiederhergestellten Katholicismus nach dem tridentinischen Concil, durch Palestrina, welcher dem neu erwachten innigen und tief bewegten Geiste zum Klange verhalf; sp�ter, mit Bach, auch im Protestantismus, soweit dieser durch die Pietisten vertieft und von seinem urspr�nglich dogmatischen Grundcharakter losgebunden worden war. Voraussetzung und nothwendige Vorstufe f�r beide Entstehungen ist die Befassung mit Musik, wie sie dem Zeitalter der Renaissance und Vor-Renaissance zu eigen war, namentlich jene gelehrte Besch�ftigung mit Musik, jene im Grunde wissenschaftliche Lust an den Kunstst�cken der Harmonik und Stimmf�hrung. Andererseits musste auch die Oper vorhergegangen sein: in welcher der Laie seinen Protest gegen eine zu gelehrt gewordene kalte Musik zu erkennen gab und der Polyhymnia wieder eine Seele schenken wollte. - Ohne jene tief religi�se Umstimmung, ohne das Ausklingen des innerlichst-erregten Gem�thes w�re die Musik gelehrt oder opernhaft geblieben; der Geist der Gegenreformation ist der Geist der modernen Musik (denn jener Pietismus in Bach's Musik ist auch eine Art Gegenreformation). So tief sind wir dem religi�sen Leben verschuldet. - Die Musik war die Gegenrenaissance im Gebiete der Kunst, zu ihr geh�rt die sp�tere Malerei des Murillo, zu ihr vielleicht auch der Barockstil: mehr jedenfalls als die Architektur der Renaissance oder des Alterthums. Und noch jetzt d�rfte man fragen: wenn unsere neuere Musik die Steine bewegen k�nnte, w�rde sie diese zu einer antiken Architektur zusammensetzen? Ich zweifle sehr. Denn Das, was in dieser Musik regiert, der Affect, die Lust an erh�hten, weit gespannten Stimmungen, das Lebendig-werden-wollen um jeden Preis, der rasche Wechsel der Empfindung, die starke Reliefwirkung in Licht und Schatten, die Nebeneinanderstellung der Ekstase und des Naiven, - das hat Alles schon einmal in den bildenden K�nsten regiert und neue Stilgesetze geschaffen: - es war aber weder im Alterthum noch in der Zeit der Renaissance. 220. Das Jenseits in der Kunst. - Nicht ohne tiefen Schmerz gesteht man sich ein, dass die K�nstler aller Zeiten in ihrem h�chsten Aufschwunge gerade jene Vorstellungen zu einer himmlischen Verkl�rung hinaufgetragen haben, welche wir jetzt als falsch erkennen: sie sind die Verherrlicher der religi�sen und philosophischen Irrth�mer der Menschheit, und sie h�tten diess nicht sein k�nnen ohne den Glauben an die absolute Wahrheit derselben. Nimmt nun der Glaube an eine solche Wahrheit �berhaupt ab, verblassen die Regenbogenfarben um die �ussersten Enden des menschlichen Erkennens und W�hnens: so kann jene Gattung von Kunst nie wieder aufbl�hen, welche, wie die divina commedia, die Bilder Rafael's, die Fresken Michelangelo's, die gothischen M�nster, nicht nur eine kosmische, sondern auch eine metaphysische Bedeutung der Kunstobjecte voraussetzt. Es wird eine r�hrende Sage daraus werden, dass es eine solche Kunst, einen solchen K�nstlerglauben gegeben habe. 221. Die Revolution in der Poesie. - Der strenge Zwang, welchen sich die franz�sischen Dramatiker auferlegten, in Hinsicht auf Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit, auf Stil, Vers- und Satzbau, Auswahl der Worte und Gedanken, war eine so wichtige Schule, wie die des Contrapuncts und der Fuge in der Entwickelung der modernen Musik oder wie die Gorgianischen Figuren in der griechischen Beredtsamkeit. Sich so zu binden, kann absurd erscheinen; trotzdem giebt es kein anderes Mittel, um aus dem Naturalisiren herauszukommen, als sich zuerst auf das allerst�rkste (vielleicht allerwillk�rlichste) zu beschr�nken. Man lernt so allm�hlich mit Grazie selbst auf den schmalen Stegen schreiten, welche schwindelnde Abgr�nde �berbr�cken, und bringt die h�chste Geschmeidigkeit der Bewegung als Ausbeute mit heim: wie die Geschichte der Musik vor den Augen aller Jetztlebenden beweist. Hier sieht man, wie Schritt vor Schritt die Fesseln lockerer werden, bis sie endlich ganz abgeworfen scheinen k�nnen: dieser Schein ist das h�chste Ergebniss einer nothwendigen Entwickelung in der Kunst. In der modernen Dichtkunst gab es keine so gl�ckliche allm�hliche Herauswickelung aus den selbstgelegten Fesseln. Lessing machte die franz�sische Form, das heisst die einzige moderne Kunstform, zum Gesp�tt in Deutschland und verwies auf Shakespeare, und so verlor man die Stetigkeit jener Entfesselung und machte einen Sprung in den Naturalismus - das heisst in die Anf�nge der Kunst zur�ck. Aus ihm versuchte sich Goethe zu retten, indem er sich immer von Neuem wieder auf verschiedene Art zu binden wusste; aber auch der Begabteste bringt es nur zu einem fortw�hrenden Experimentiren, wenn der Faden der Entwickelung einmal abgerissen ist. Schiller verdankt die ungef�hre Sicherheit seiner Form dem unwillk�rlich verehrten, wenn auch verleugneten Vorbilde der franz�sischen Trag�die und hielt sich ziemlich unabh�ngig von Lessing (dessen dramatische Versuche er bekanntlich ablehnte). Den Franzosen selber fehlten nach Voltaire auf einmal die grossen Talente, welche die Entwickelung der Trag�die aus dem Zwange zu jenem Scheine der Freiheit fortgef�hrt h�tten; sie machten sp�ter nach deutschem Vorbilde auch den Sprung in eine Art von Rousseau'schem Naturzustand der Kunst und experimentirten. Man lese nur von Zeit zu Zeit Voltaire's Mahomet, um sich klar vor die Seele zu stellen, was durch jenen Abbruch der Tradition ein f�r alle Mal der europ�ischen Cultur verloren gegangen ist. Voltaire war der letzte der grossen Dramatiker, welcher seine vielgestaltige, auch den gr�ssten tragischen Gewitterst�rmen gewachsene Seele durch griechisches Maass b�ndigte, - er vermochte Das, was noch kein Deutscher vermochte, weil die Natur des Franzosen der griechischen viel verwandter ist, als die Natur des Deutschen -; wie er auch der letzte grosse Schriftsteller war, der in der Behandlung der Prosa-Rede griechisches Ohr, griechische K�nstler-Gewissenhaftigkeit, griechische Schlichtheit und Anmuth hatte; ja wie er einer der letzten Menschen gewesen ist, welche die h�chste Freiheit des Geistes und eine schlechterdings unrevolution�re Gesinnung in sich vereinigen k�nnen, ohne inconsequent und feige zu sein. Seitdem ist der moderne Geist mit seiner Unruhe, seinem Hass gegen Maass und Schranke, auf allen Gebieten zur Herrschaft gekommen, zuerst entz�gelt durch das Fieber der Revolution und dann wieder sich Z�gel anlegend, wenn ihn Angst und Grauen vor sich selber anwandelte, - aber die Z�gel der Logik, nicht mehr des k�nstlerischen Maasses. Zwar geniessen wir durch jene Entfesselung eine Zeit lang die Poesien aller V�lker, alles an verborgenen Stellen Aufgewachsene, Urw�chsige, Wildbl�hende, Wunderlich-Sch�ne und Riesenhaft-Unregelm�ssige, vom Volksliede an bis zum "grossen Barbaren" Shakespeare hinauf; wir schmecken die Freuden der Localfarbe und des Zeitcost�ms, die allen k�nstlerischen V�lkern bisher fremd waren; wir benutzen reichlich die "barbarischen Avantagen" unserer Zeit, welche Goethe gegen Schiller geltend machte, um die Formlosigkeit seines Faust in das g�nstigste Licht zu stellen. Aber auf wie lange noch? Die hereinbrechende Fluth von Poesien aller Stile aller V�lker muss ja allm�hlich das Erdreich hinwegschwemmen, auf dem ein stilles verborgenes Wachsthum noch m�glich gewesen w�re; alle Dichter m�ssen ja experimentirende Nachahmer, wagehalsige Copisten werden, mag ihre Kraft von Anbeginn noch so gross sein; das Publicum endlich, welches verlernt hat, in der B�ndigung der darstellenden Kraft, in der organisirenden Bew�ltigung aller Kunstmittel die eigentlich k�nstlerische That zu sehen, muss immer mehr die Kraft um der Kraft willen, die Farbe um der Farbe willen, den Gedanken um des Gedankens willen, ja die Inspiration um der Inspiration willen sch�tzen, es wird demgem�ss die Elemente und Bedingungen des Kunstwerks gar nicht, wenn nicht isolirt, geniessen und zu guterletzt die nat�rliche Forderung stellen, dass der K�nstler isolirt sie ihm auch darreichen m�sse. Ja, man hat die "unvern�nftigen" Fesseln der franz�sisch-griechischen Kunst abgeworfen, aber unvermerkt sich daran gew�hnt, alle Fesseln, alle Beschr�nkung unvern�nftig zu finden; - und so bewegt sich die Kunst ihrer Aufl�sung entgegen und streift dabei - was freilich h�chst belehrend ist - alle Phasen ihrer Anf�nge, ihrer Kindheit, ihrer Unvollkommenheit, ihrer einstmaligen Wagnisse und Ausschreitungen: sie interpretirt, im Zu-Grunde-gehen, ihre Entstehung, ihr Werden. Einer der Grossen, auf dessen Instinct man sich wohl verlassen kann und dessen Theorie Nichts weiter, als ein dreissig Jahre Mehr von Praxis fehlte, - Lord Byron hat einmal ausgesprochen: "Was die Poesie im Allgemeinen anlangt, so bin ich, je mehr ich dar�ber nachdenke, immer fester der Ueberzeugung, dass wir allesammt auf dem falschen Wege sind, Einer wie der Andere. Wir folgen Alle einem innerlich falschen revolution�ren System, - unsere oder die n�chste Generation wird noch zu der selben Ueberzeugung gelangen." Es ist diess der selbe Byron, welcher sagt: "Ich betrachte Shakespeare als das schlechteste Vorbild, wenn auch als den ausserordentlichsten Dichter." Und sagt im Grunde Goethe's gereifte k�nstlerische Einsicht aus der zweiten H�lfte seines Lebens nicht genau das Selbe? - jene Einsicht, mit welcher er einen solchen Vorsprung �ber eine Reihe von Generationen gewann, dass man im Grossen und Ganzen behaupten kann, Goethe habe noch gar nicht gewirkt und seine Zeit werde erst kommen? Gerade weil seine Natur ihn lange Zeit in der Bahn der poetischen Revolution festhielt, gerade weil er am gr�ndlichsten auskostete, was Alles indirect durch jenen Abbruch der Tradition an neuen Funden, Aussichten, H�lfsmitteln entdeckt und gleichsam unter den Ruinen der Kunst ausgegraben worden war, so wiegt seine sp�tere Umwandelung und Bekehrung so viel: sie bedeutet, dass er das tiefste Verlangen empfand, die Tradition der Kunst wieder zu gewinnen und den stehen gebliebenen Tr�mmern und S�uleng�ngen des Tempels mit der Phantasie des Auges wenigstens die alte Vollkommenheit und Ganzheit anzudichten, wenn die Kraft des Armes sich viel zu schwach erweisen sollte, zu bauen, wo so ungeheure Gewalten schon zum Zerst�ren n�thig waren. So lebte er in der Kunst als in der Erinnerung an die wahre Kunst: sein Dichten war zum H�lfsmittel der Erinnerung, des Verst�ndnisses alter, l�ngst entr�ckter Kunstzeiten geworden. Seine Forderungen waren zwar in Hinsicht auf die Kraft des neuen Zeitalters unerf�llbar; der Schmerz dar�ber wurde aber reichlich durch die Freude aufgewogen, dass sie einmal erf�llt gewesen sind und dass auch wir noch an dieser Erf�llung theilnehmen k�nnen. Nicht Individuen, sondern mehr oder weniger idealische Masken; keine Wirklichkeit, sondern eine allegorische Allgemeinheit; Zeitcharaktere, Localfarben zum fast Unsichtbaren abged�mpft und mythisch gemacht; das gegenw�rtige Empfinden und die Probleme der gegenw�rtigen Gesellschaft auf die einfachsten Formen zusammengedr�ngt, ihrer reizenden, spannenden, pathologischen Eigenschaften entkleidet, in jedem andern als dem artistischen Sinne wirkungslos gemacht; keine neuen Stoffe und Charaktere, sondern die alten, l�ngst gewohnten in immerfort w�hrender Neubeseelung und Umbildung: das ist die Kunst, so wie sie Goethe sp�ter verstand, so wie sie die Griechen, ja auch die Franzosen �bten. 222. Was von der Kunst �brig bleibt. - Es ist wahr, bei gewissen metaphysischen Voraussetzungen hat die Kunst viel gr�sseren Werth, zum Beispiel wenn der Glaube gilt, dass der Charakter unver�nderlich sei und das Wesen der Welt sich in allen Charakteren und Handlungen fortw�hrend ausspreche: da wird das Werk des K�nstlers zum Bild des ewig Beharrenden, w�hrend f�r unsere Auffassung der K�nstler seinem Bilde immer nur G�ltigkeit f�r eine Zeit geben kann, weil der Mensch im Ganzen geworden und wandelbar und selbst der einzelne Mensch nichts Festes und Beharrendes ist. - Ebenso steht es bei einer andern metaphysischen Voraussetzung: gesetzt, dass unsere sichtbare Welt nur Erscheinung w�re, wie es die Metaphysiker annehmen, so k�me die Kunst der wirklichen Welt ziemlich nahe zu stehen: denn zwischen der Erscheinungswelt und der Traumbild-Welt des K�nstlers g�be es dann gar zu viel Aehnliches; und die �brigbleibende Verschiedenheit stellte sogar die Bedeutung der Kunst h�her, als die Bedeutung der Natur, weil die Kunst das Gleichf�rmige, die Typen und Vorbilder der Natur darstellte. - Jene Voraussetzungen sind aber falsch: welche Stellung bleibt nach dieser Erkenntniss jetzt noch der Kunst? Vor Allem hat sie durch Jahrtausende hindurch gelehrt, mit Interesse und Lust auf das Leben in jeder Gestalt zu sehen und unsere Empfindung so weit zu bringen, dass wir endlich rufen: "wie es auch sei, das Leben, es ist gut." Diese Lehre der Kunst, Lust am Dasein zu haben und das Menschenleben wie ein St�ck Natur, ohne zu heftige Mitbewegung, als Gegenstand gesetzm�ssiger Entwickelung anzusehen, - diese Lehre ist in uns hineingewachsen, sie kommt jetzt als allgewaltiges Bed�rfniss des Erkennens wieder an's Licht. Man k�nnte die Kunst aufgeben, w�rde damit aber nicht die von ihr gelernte F�higkeit einb�ssen: ebenso wie man die Religion aufgegeben hat, nicht aber die durch sie erworbenen Gem�ths-Steigerungen und Erhebungen. Wie die bildende Kunst und die Musik der Maassstab des durch die Religion wirklich erworbenen und hinzugewonnenen Gef�hls-Reichthumes ist, so w�rde nach einem Verschwinden der Kunst die von ihr gepflanzte Intensit�t und Vielartigkeit der Lebensfreude immer noch Befriedigung fordern. Der wissenschaftliche Mensch ist die Weiterentwickelung des k�nstlerischen. 223. Abendr�the der Kunst. - Wie man sich im Alter der Jugend erinnert und Ged�chtnissfeste feiert, so steht bald die Menschheit zur Kunst im Verh�ltniss einer r�hrenden Erinnerung an die Freuden der Jugend. Vielleicht dass niemals fr�her die Kunst so tief und seelenvoll erfasst wurde, wie jetzt, wo die Magie des Todes dieselbe zu umspielen scheint. Man denke an jene griechische Stadt in Unteritalien, welche an Einem Tage des Jahres noch ihre griechischen Feste feierte, unter Wehmuth und Thr�nen dar�ber, dass immer mehr die ausl�ndische Barbarei �ber ihre mitgebrachten Sitten triumphire; niemals hat man wohl das Hellenische so genossen, nirgendswo diesen goldenen Nektar mit solcher Wollust geschl�rft, als unter diesen absterbenden Hellenen. Den K�nstler wird man bald als ein herrliches Ueberbleibsel ansehen und ihm, wie einem wunderbaren Fremden, an dessen Kraft und Sch�nheit das Gl�ck fr�herer Zeiten hieng, Ehren erweisen, wie wir sie nicht leicht Unseresgleichen g�nnen. Das Beste an uns ist vielleicht aus Empfindungen fr�herer Zeiten vererbt, zu denen wir jetzt auf unmittelbarem Wege kaum mehr kommen k�nnen; die Sonne ist schon hinuntergegangen, aber der Himmel unseres Lebens gl�ht und leuchtet noch von ihr her, ob wir sie schon nicht mehr sehen. F�nftes Hauptst�ck. Anzeichen h�herer und niederer Cultur. 224. Veredelung durch Entartung. - Aus der Geschichte ist zu lernen, dass der Stamm eines Volkes sich am besten erh�lt, in welchem die meisten Menschen lebendigen Gemeinsinn in Folge der Gleichheit ihrer gewohnten und undiscutirbaren Grunds�tze, also in Folge ihres gemeinsamen Glaubens haben. Hier erstarkt die gute, t�chtige Sitte, hier wird die Unterordnung des Individuums gelernt und dem Charakter Festigkeit schon als Angebinde gegeben und nachher noch anerzogen. Die Gefahr dieser starken, auf gleichartige, charaktervolle Individuen gegr�ndeten Gemeinwesen ist die allm�hlich durch Vererbung gesteigerte Verdummung, welche nun einmal aller Stabilit�t wie ihr Schatten folgt. Es sind die ungebundneren, viel unsichereren und moralisch schw�cheren Individuen, an denen das geistige Fortschreiten in solchen Gemeinwesen h�ngt: es sind die Menschen, welche Neues und �berhaupt Vielerlei versuchen. Unz�hlige dieser Art gehen, ihrer Schw�che wegen, ohne sehr ersichtliche Wirkung zu Grunde; aber im Allgemeinen, zumal wenn sie Nachkommen haben, lockern sie auf und bringen von Zeit zu Zeit dem stabilen Elemente eines Gemeinwesens eine Wunde bei. Gerade an dieser wunden und schwach gewordenen Stelle wird dem gesammten Wesen etwas Neues gleichsam inoculirt; seine Kraft im Ganzen muss aber stark genug sein, um dieses Neue in sein Blut aufzunehmen und sich zu assimiliren. Die abartenden Naturen sind �berall da von h�chster Bedeutung, wo ein Fortschritt erfolgen soll. Jedem Fortschritt im Grossen muss eine theilweise Schw�chung vorhergehen. Die st�rksten Naturen halten den Typus fest, die schw�cheren helfen ihn fortbilden. - Etwas Aehnliches ergiebt sich f�r den einzelnen Menschen; selten ist eine Entartung, eine Verst�mmelung, selbst ein Laster und �berhaupt eine k�rperliche oder sittliche Einbusse ohne einen Vortheil auf einer anderen Seite. Der kr�nkere Mensch zum Beispiel wird vielleicht, inmitten eines kriegerischen und unruhigen Stammes, mehr Veranlassung haben, f�r sich zu sein und dadurch ruhiger und weiser zu werden, der Ein�ugige wird Ein st�rkeres Auge haben, der Blinde wird tiefer in's Innere schauen und jedenfalls sch�rfer h�ren. Insofern scheint mir der ber�hmte Kampf um's Dasein nicht der einzige Gesichtspunct zu sein, aus dem das Fortschreiten oder St�rkerwerden eines Menschen, einer Rasse erkl�rt werden kann. Vielmehr muss zweierlei zusammen kommen: einmal die Mehrung der stabilen Kraft durch Bindung der Geister in Glauben und Gemeingef�hl; sodann die M�glichkeit, zu h�heren Zielen zu gelangen, dadurch dass entartende Naturen und, in Folge derselben, theilweise Schw�chungen und Verwundungen der stabilen Kraft vorkommen; gerade die schw�chere Natur, als die zartere und freiere, macht alles Fortschreiten �berhaupt m�glich. Ein Volk, das irgendwo anbr�ckelt und schwach wird, aber im Ganzen noch stark und gesund ist, vermag die Infection des Neuen aufzunehmen und sich zum Vortheil einzuverleiben. Bei dem einzelnen Menschen lautet die Aufgabe der Erziehung so: ihn so fest und sicher hinzustellen, dass er als Ganzes gar nicht mehr aus seiner Bahn abgelenkt werden kann. Dann aber hat der Erzieher ihm Wunden beizubringen oder die Wunden, welche das Schicksal ihm schl�gt, zu benutzen, und wenn so der Schmerz und das Bed�rfniss entstanden sind, so kann auch in die verwundeten Stellen etwas Neues und Edles inoculirt werden. Seine gesammte Natur wird es in sich hineinnehmen und sp�ter, in ihren Fr�chten, die Veredelung sp�ren lassen. - Was den Staat betrifft, so sagt Macchiavelli, dass "die Form der Regierungen von sehr geringer Bedeutung ist, obgleich halbgebildete Leute anders denken. Das grosse Ziel der Staatskunst sollte Dauer sein, welche alles Andere aufwiegt, indem sie weit werthvoller ist, als Freiheit". Nur bei sicher begr�ndeter und verb�rgter gr�sster Dauer ist stetige Entwickelung und veredelnde Inoculation �berhaupt m�glich. Freilich wird gew�hnlich die gef�hrliche Genossin aller Dauer, die Autorit�t, sich dagegen wehren. 225. Freigeist ein relativer Begriff. - Man nennt Den einen Freigeist, welcher anders denkt, als man von ihm auf Grund seiner Herkunft, Umgebung, seines Standes und Amtes oder auf Grund der herrschenden Zeitansichten erwartet. Er ist die Ausnahme, die gebundenen Geister sind die Regel; diese werfen ihm vor, dass seine freien Grunds�tze ihren Ursprung entweder in der Sucht, aufzufallen, haben oder gar auf freie Handlungen, das heisst auf solche, welche mit der gebundenen Moral unvereinbar sind, schliessen lassen. Bisweilen sagt man auch, diese oder jene freien Grunds�tze seien aus Verschrobenheit und Ueberspanntheit des Kopfes herzuleiten; doch spricht so nur die Bosheit, welche selber an Das nicht glaubt, was sie sagt, aber damit schaden will: denn das Zeugniss f�r die gr�ssere G�te und Sch�rfe seines Intellectes ist dem Freigeist gew�hnlich in's Gesicht geschrieben, so lesbar, dass es die gebundenen Geister gut genug verstehen. Aber die beiden andern Ableitungen der Freigeisterei sind redlich gemeint; in der That entstehen auch viele Freigeister auf die eine oder die andere Art. Desshalb k�nnten aber die S�tze, zu denen sie auf jenen Wegen gelangten, doch wahrer und zuverl�ssiger sein, als die der gebundenen Geister. Bei der Erkenntniss der Wahrheit kommt es darauf an, dass man sie hat, nicht darauf, aus welchem Antrieb man sie gesucht, auf welchem Wege man sie gefunden hat. Haben die Freigeister Recht, so haben die gebundenen Geister Unrecht, gleichg�ltig, ob die ersteren aus Unmoralit�t zur Wahrheit gekommen sind, die anderen aus Moralit�t bisher an der Unwahrheit festgehalten haben. - Uebrigens geh�rt es nicht zum Wesen des Freigeistes, dass er richtigere Ansichten hat, sondern vielmehr, dass er sich von dem Herk�mmlichen gel�st hat, sei es mit Gl�ck oder mit einem Misserfolg. F�r gew�hnlich wird er aber doch die Wahrheit oder mindestens den Geist der Wahrheitsforschung auf seiner Seite haben: er fordert Gr�nde, die Anderen Glauben. 226. Herkunft des Glaubens. - Der gebundene Geist nimmt seine Stellung nicht aus Gr�nden ein, sondern aus Gew�hnung; er ist zum Beispiel Christ, nicht weil er die Einsicht in die verschiedenen Religionen und die Wahl zwischen ihnen gehabt h�tte; er ist Engl�nder, nicht weil er sich f�r England entschieden hat, sondern er fand das Christenthum und das Engl�nderthum vor und nahm sie an ohne Gr�nde, wie jemand, der in einem Weinlande geboren wurde, ein Weintrinker wird. Sp�ter, als er Christ und Engl�nder war, hat er vielleicht auch einige Gr�nde zu Gunsten seiner Gew�hnung ausfindig gemacht; man mag diese Gr�nde umwerfen, damit wirft man ihn in seiner ganzen Stellung nicht um. Man n�thige zum Beispiel einen gebundenen Geist, seine Gr�nde gegen die Bigamie vorzubringen, dann wird man erfahren, ob sein heiliger Eifer f�r die Monogamie auf Gr�nden oder auf Angew�hnung beruht. Angew�hnung geistiger Grunds�tze ohne Gr�nde nennt man Glauben. 227. Aus den Folgen auf Grund und Ungrund zur�ckgeschlossen. - Alle Staaten und Ordnungen der Gesellschaft: die St�nde, die Ehe, die Erziehung, das Recht, alles diess hat seine Kraft und Dauer allein in dem Glauben der gebundenen Geister an sie, - also in der Abwesenheit der Gr�nde, mindestens in der Abwehr des Fragens nach Gr�nden. Das wollen die gebundenen Geister nicht gern zugeben und sie f�hlen wohl, dass es ein Pudendum ist. Das Christenthum, das sehr unschuldig in seinen intellectuellen Einf�llen war, merkte von diesem Pudendum Nichts, forderte Glauben und Nichts als Glauben und wies das Verlangen nach Gr�nden mit Leidenschaft ab; es zeigte auf den Erfolg des Glaubens hin: ihr werdet den Vortheil des Glaubens schon sp�ren, deutete es an, ihr sollt durch ihn selig werden. Thats�chlich verf�hrt der Staat ebenso und jeder Vater erzieht in gleicher Weise seinen Sohn: halte diess nur f�r wahr, sagt er, du wirst sp�ren, wie gut diess thut. Diess bedeutet aber, dass aus dem pers�nlichen Nutzen, den eine Meinung eintr�gt, ihre Wahrheit erwiesen werden soll, die Zutr�glichkeit einer Lehre soll f�r die intellectuelle Sicherheit und Begr�ndetheit Gew�hr leisten. Es ist diess so, wie wenn der Angeklagte vor Gericht spr�che: mein Vertheidiger sagt die ganze Wahrheit, denn seht nur zu, was aus seiner Rede folgt: ich werde freigesprochen. - Weil die gebundenen Geister ihre Grunds�tze ihres Nutzens wegen haben, so vermuthen sie auch beim Freigeist, dass er mit seinen Ansichten ebenfalls seinen Nutzen suche und nur Das f�r wahr halte, was ihm gerade frommt. Da ihm aber das Entgegengesetzte von dem zu n�tzen scheint, was seinen Landes- oder Standesgenossen n�tzt, so nehmen diese an, dass seine Grunds�tze ihnen gef�hrlich sind; sie sagen oder f�hlen: er darf nicht Recht haben, denn er ist uns sch�dlich. 228. Der starke, gute Charakter. - Die Gebundenheit der Ansichten, durch Gew�hnung zum Instinct geworden, f�hrt zu dem, was man Charakterst�rke nennt. Wenn jemand aus wenigen, aber immer aus den gleichen Motiven handelt, so erlangen seine Handlungen eine grosse Energie; stehen diese Handlungen im Einklange mit den Grunds�tzen der gebundenen Geister, so werden sie anerkannt und erzeugen nebenbei in Dem, der sie thut, die Empfindung des guten Gewissens. Wenige Motive, energisches Handeln und gutes Gewissen machen Das aus, was man Charakterst�rke nennt. Dem Charakterstarken fehlt die Kenntniss der vielen M�glichkeiten und Richtungen des Handelns; sein Intellect ist unfrei, gebunden, weil er ihm in einem gegebenen Falle vielleicht nur zwei M�glichkeiten zeigt; zwischen diesen muss er jetzt gem�ss seiner ganzen Natur mit Nothwendigkeit w�hlen, und er thut diess leicht und schnell, weil er nicht zwischen f�nfzig M�glichkeiten zu w�hlen hat. Die erziehende Umgebung will jeden Menschen unfrei machen, indem sie ihm immer die geringste Zahl von M�glichkeiten vor Augen stellt. Das Individuum wird von seinen Erziehern behandelt, als ob es zwar etwas Neues sei, aber eine Wiederholung werden solle. Erscheint der Mensch zun�chst als etwas Unbekanntes, nie Dagewesenes, so soll er zu etwas Bekanntem, Dagewesenem gemacht werden. Einen guten Charakter nennt man an einem Kinde das Sichtbarwerden der Gebundenheit durch das Dagewesene; indem das Kind sich auf die Seite der gebundenen Geister stellt, bekundet es zuerst seinen erwachenden Gemeinsinn; auf der Grundlage dieses Gemeinsinns aber wird es sp�ter seinem Staate oder Stande n�tzlich. 229. Maass der Dinge bei den gebundenen Geistern. - Von vier Gattungen der Dinge sagen die gebundenen Geister, sie seien im Rechte. Erstens: alle Dinge, welche Dauer haben, sind im Recht; zweitens: alle Dinge, welche uns nicht l�stig fallen, sind im Recht; drittens: alle Dinge, welche uns Vortheil bringen, sind im Recht; viertens: alle Dinge, f�r welche wir Opfer gebracht haben, sind im Recht. Letzteres erkl�rt zum Beispiel, wesshalb ein Krieg, der wider Willen des Volkes begonnen wurde, mit Begeisterung fortgef�hrt wird, sobald erst Opfer gebracht sind. - Die Freigeister, welche ihre Sache vor dem Forum der gebundenen Geister f�hren, haben nachzuweisen, dass es immer Freigeister gegeben hat, also dass die Freigeisterei Dauer hat, sodann, dass sie nicht l�stig fallen wollen, und endlich, dass sie den gebundenen Geistern im Ganzen Vortheil bringen; aber weil sie von diesem Letzten die gebundenen Geister nicht �berzeugen k�nnen, n�tzt es ihnen Nichts, den ersten und zweiten Punct bewiesen zu haben. 230. Esprit fort. - Verglichen mit Dem, welcher das Herkommen auf seiner Seite hat und keine Gr�nde f�r sein Handeln braucht, ist der Freigeist immer schwach, namentlich im Handeln; denn er kennt zu viele Motive und Gesichtspuncte und hat desshalb eine unsichere, unge�bte Hand. Welche Mittel giebt es nun, um ihn doch verh�ltnissm�ssig stark zu machen, so dass er sich wenigstens durchsetzt und nicht wirkungslos zu Grunde geht? Wie entsteht der starke Geist (esprit fort)? Es ist diess in einem einzelnen Falle die Frage nach der Erzeugung des Genius'. Woher kommt die Energie, die unbeugsame Kraft, die Ausdauer, mit welcher der Einzelne, dem Herkommen entgegen, eine ganz individuelle Erkenntniss der Welt zu erwerben trachtet? 231. Die Entstehung des Genie's. - Der Witz des Gefangenen, mit welchem er nach Mitteln zu seiner Befreiung sucht, die kaltbl�tigste und langwierigste Ben�tzung jedes kleinsten Vortheils kann lehren, welcher Handhabe sich mitunter die Natur bedient, um das Genie - ein Wort, das ich bitte, ohne allen mythologischen und religi�sen Beigeschmack zu verstehen - zu Stande zu bringen: sie f�ngt es in einen Kerker ein und reizt seine Begierde, sich zu befreien, auf das �usserste. - Oder mit einem anderen Bilde: jemand, der sich auf seinem Wege im Walde v�llig verirrt hat, aber mit ungemeiner Energie nach irgend einer Richtung hin in's Freie strebt, entdeckt mitunter einen neuen Weg, welchen Niemand kennt: so entstehen die Genies, denen man Originalit�t nachr�hmt. - Es wurde schon erw�hnt, dass eine Verst�mmelung, Verkr�ppelung, ein erheblicher Mangel eines Organs h�ufig die Veranlassung dazu giebt, dass ein anderes Organ sich ungew�hnlich gut entwickelt, weil es seine eigene Function und noch eine andere zu versehen hat. Hieraus ist der Ursprung mancher gl�nzenden Begabung zu errathen. - Aus diesen allgemeinen Andeutungen �ber die Entstehung des Genius' mache man die Anwendung auf den speciellen Fall, die Entstehung des vollkommenen Freigeistes. 232. Vermuthung �ber den Ursprung der Freigeisterei. - Ebenso wie die Gletscher zunehmen, wenn in den Aequatorialgegenden die Sonne mit gr�sserer Gluth als fr�her auf die Meere niederbrennt, so mag auch wohl eine sehr starke, um sich greifende Freigeisterei Zeugniss daf�r sein, dass irgendwo die Gluth der Empfindung ausserordentlich gewachsen ist. 233. Die Stimme der Geschichte. - Im Allgemeinen scheint die Geschichte �ber die Erzeugung des Genius' folgende Belehrung zu geben: misshandelt und qu�lt die Menschen, - so ruft sie den Leidenschaften Neid, Hass und Wetteifer zu - treibt sie zum Aeussersten, den Einen wider den Andern, das Volk gegen das Volk, und zwar durch Jahrhunderte hindurch, dann flammt vielleicht, gleichsam aus einem bei Seite fliegenden Funken der dadurch entz�ndeten furchtbaren Energie, auf einmal das Licht des Genius' empor; der Wille, wie ein Ross durch den Sporn des Reiters wild gemacht, bricht dann aus und springt auf ein anderes Gebiet �ber. - Wer zum Bewusstsein �ber die Erzeugung des Genius' k�me und die Art, wie die Natur gew�hnlich verf�hrt, auch praktisch durchf�hren wollte, w�rde gerade so b�se und r�cksichtslos wie die Natur sein m�ssen. - Aber vielleicht haben wir uns verh�rt. 234. Werth der Mitte des Wegs. - Vielleicht ist die Erzeugung des Genius' nur einem begr�nzten Zeitraume der Menschheit vorbehalten. Denn man darf von der Zukunft der Menschheit nicht zugleich alles Das erwarten, was ganz bestimmte Bedingungen irgend welcher Vergangenheit allein hervorzubringen vermochten; zum Beispiel nicht die erstaunlichen Wirkungen des religi�sen Gef�hles. Dieses selbst hat seine Zeit gehabt und vieles sehr Gute kann nie wieder wachsen, weil es allein aus ihm wachsen konnte. So wird es nie wieder einen religi�s umgr�nzten Horizont des Lebens und der Cultur geben. Vielleicht ist selbst der Typus des Heiligen nur bei einer gewissen Befangenheit des Intellectes m�glich, mit der es, wie es scheint, f�r alle Zukunft vorbei ist. Und so ist die H�he der Intelligenz vielleicht einem einzelnen Zeitalter der Menschheit aufgespart gewesen: sie trat hervor - und tritt hervor, denn wir leben noch in diesem Zeitalter -, als eine ausserordentliche, lang angesammelte Energie des Willens sich ausnahmsweise auf geistige Ziele durch Vererbung �bertrug. Es wird mit jener H�he vorbei sein, wenn diese Wildheit und Energie nicht mehr gross gez�chtet werden. Die Menschheit kommt vielleicht auf der Mitte ihres Weges, in der mittleren Zeit ihrer Existenz, ihrem eigentlichen Ziele n�her, als am Ende. Es k�nnten Kr�fte, durch welche zum Beispiel die Kunst bedingt ist, geradezu aussterben; die Lust am L�gen, am Ungenauen, am Symbolischen, am Rausche, an der Ekstase k�nnte in Missachtung kommen. Ja, ist das Leben erst im vollkommenen Staate geordnet, so ist aus der Gegenwart gar kein Motiv zur Dichtung mehr zu entnehmen, und es w�rden allein die zur�ckgebliebenen Menschen sein, welche nach dichterischer Unwirklichkeit verlangten. Diese w�rden dann jedenfalls mit Sehnsucht r�ckw�rts schauen, nach den Zeiten des unvollkommenen Staates, der halb-barbarischen Gesellschaft nach unseren Zeiten. 235. Genius und idealer Staat in Widerspruch. - Die Socialisten begehren f�r m�glichst Viele ein Wohlleben herzustellen. Wenn die dauernde Heimath dieses Wohllebens, der vollkommene Staat, wirklich erreicht w�re, so w�rde durch dieses Wohlleben der Erdboden, aus dem der grosse Intellect und �berhaupt das m�chtige Individuum w�chst, zerst�rt sein: ich meine die starke Energie. Die Menschheit w�rde zu matt geworden sein, wenn dieser Staat erreicht ist, um den Genius noch erzeugen zu k�nnen. M�sste man somit nicht w�nschen, dass das Leben seinen gewaltsamen Charakter behalte und dass immer von Neuem wieder wilde Kr�fte und Energien hervorgerufen werden? Nun will das warme, mitf�hlende Herz gerade die Beseitigung jenes gewaltsamen und wilden Charakters, und das w�rmste Herz, das man sich denken kann, w�rde eben darnach am leidenschaftlichsten verlangen: w�hrend doch gerade seine Leidenschaft aus jenem wilden und gewaltsamen Charakter des Lebens ihr Feuer, ihre W�rme, ja ihre Existenz genommen hat; das w�rmste Herz will also Beseitigung seines Fundamentes, Vernichtung seiner selbst, das heisst doch: es will etwas Unlogisches, es ist nicht intelligent. Die h�chste Intelligenz und das w�rmste Herz k�nnen nicht in einer Person beisammen sein, und der Weise, welcher �ber das Leben das Urtheil spricht, stellt sich auch �ber die G�te und betrachtet diese nur als Etwas, das bei der Gesammtrechnung des Lebens mit abzusch�tzen ist. Der Weise muss jenen ausschweifenden W�nschen der unintelligenten G�te widerstreben, weil ihm an dem Fortleben seines Typus' und an dem endlichen Entstehen des h�chsten Intellectes gelegen ist; mindestens wird er der Begr�ndung des "vollkommenen Staates" nicht f�rderlich sein, insofern in ihm nur ermattete Individuen Platz haben. Christus dagegen, den wir uns einmal als das w�rmste Herz denken wollen, f�rderte die Verdummung der Menschen, stellte sich auf die Seite der geistig Armen und hielt die Erzeugung des gr�ssten Intellectes auf: und diess war consequent. Sein Gegenbild, der vollkommene Weise - diess darf man wohl vorhersagen - wird ebenso nothwendig der Erzeugung eines Christus hinderlich sein. - Der Staat ist eine kluge Veranstaltung zum Schutz der Individuen gegen einander: �bertreibt man seine Veredelung, so wird zuletzt das Individuum durch ihn geschw�cht, ja aufgel�st, - also der urspr�ngliche Zweck des Staates am gr�ndlichsten vereitelt. 236. Die Zonen der Cultur. - Man kann gleichnissweise sagen, dass die Zeitalter der Cultur den G�rteln der verschiedenen Klimate entsprechen, nur dass diese hinter einander und nicht, wie die geographischen Zonen, neben einander liegen. Im Vergleich mit der gem�ssigten Zone der Cultur, in welche �berzugehen unsere Aufgabe ist, macht die vergangene im Ganzen und Grossen den Eindruck eines tropischen Klima's. Gewaltsame Gegens�tze, schroffer Wechsel von Tag und Nacht, Gluth und Farbenpracht, die Verehrung alles Pl�tzlichen, Geheimnissvollen, Schrecklichen, die Schnelligkeit der hereinbrechenden Unwetter, �berall das verschwenderische Ueberstr�men der F�llh�rner der Natur: und dagegen, in unserer Cultur, ein heller, doch nicht leuchtender Himmel, reine, ziemlich gleich verbleibende Luft, Sch�rfe, ja K�lte gelegentlich: so heben sich beide Zonen gegen einander ab. Wenn wir dort sehen, wie die w�thendsten Leidenschaften durch metaphysische Vorstellungen mit unheimlicher Gewalt niedergerungen und zerbrochen werden, so ist es uns zu Muthe, als ob vor unsern Augen in den Tropen wilde Tiger unter den Windungen ungeheurer Schlangen zerdr�ckt w�rden; unserem geistigen Klima fehlen solche Vorkommnisse, unsere Phantasie ist gem�ssigt, selbst im Traume kommt uns Das nicht bei, was fr�here V�lker im Wachen sahen. Aber sollten wir �ber diese Ver�nderung nicht gl�cklich sein d�rfen, selbst zugegeben, dass die K�nstler durch das Verschwinden der tropischen Cultur wesentlich beeintr�chtigt sind und uns Nicht-K�nstler ein Wenig zu n�chtern finden? Insofern haben K�nstler wohl das Recht, den "Fortschritt" zu leugnen, denn in der That: ob die letzten drei Jahrtausende in den K�nsten einen fortschreitenden Verlauf zeigen, das l�sst sich mindestens bezweifeln; ebenso wird ein metaphysischer Philosoph, wie Schopenhauer, keinen Anlass haben, den Fortschritt zu erkennen, wenn er die letzten vier Jahrtausende in Bezug auf metaphysische Philosophie und Religion �berblickt. - Uns gilt aber die Existenz der gem�ssigten Zone der Cultur selbst als Fortschritt. 237. Renaissance und Reformation. - Die itali�nische Renaissance bar - in sich alle die positiven Gewalten, welchen man die moderne Cultur verdankt - also Befreiung des Gedankens, Missachtung der Autorit�ten, Sieg der Bildung �ber den D�nkel der Abkunft, - Begeisterung f�r die Wissenschaft und die wissenschaftliche Vergangenheit der Menschen, Entfesselung des Individuums, eine Gluth der Wahrhaftigkeit und Abneigung gegen Schein und blosen Effect (welche Gluth in einer ganzen F�lle k�nstlerischer Charaktere hervorloderte, die Vollkommenheit in ihren Werken und Nichts als Vollkommenheit mit h�chster sittlicher Reinheit von sich forderten); ja, die Renaissance hatte positive Kr�fte, welche in unserer bisherigen modernen Cultur noch nicht wieder so m�chtig geworden sind. Es war das goldene Zeitalter dieses Jahrtausends, trotz aller Flecken und Laster. Dagegen hebt sich nun die deutsche Reformation ab als ein energischer Protest zur�ckgebliebener Geister, welche die Weltanschauung des Mittelalters noch keineswegs satt hatten und die Zeichen seiner Aufl�sung, die ausserordentliche Verflachung und Ver�usserlichung des religi�sen Lebens, anstatt mit Frohlocken, wie sich geb�hrt, mit tiefem Unmuthe empfanden. Sie warfen mit ihrer nordischen Kraft und Halsstarrigkeit die Menschen wieder zur�ck, erzwangen die Gegenreformation, das heisst ein katholisches Christenthum der Nothwehr, mit den Gewaltsamkeiten eines Belagerungszustandes und verz�gerten um zwei bis drei Jahrhunderte ebenso das v�llige Erwachen und Herrschen der Wissenschaften, als sie das v�llige In-Eins-Verwachsen des antiken und des modernen Geistes vielleicht f�r immer unm�glich machten. Die grosse Aufgabe der Renaissance konnte nicht zu Ende gebracht werden, der Protest des inzwischen zur�ckgebliebenen deutschen Wesens (welches im Mittelalter Vernunft genug gehabt hatte, um immer und immer wieder zu seinem Heile �ber die Alpen zu steigen) verhinderte diess. Es lag in dem Zufall einer ausserordentlichen Constellation der Politik, dass damals Luther erhalten blieb und jener Protest Kraft gewann: denn der Kaiser sch�tzte ihn, um seine Neuerung gegen den Papst als Werkzeug des Druckes zu verwenden, und ebenfalls beg�nstigte ihn im Stillen der Papst, um die protestantischen Reichsf�rsten als Gegengewicht gegen den Kaiser zu benutzen. Ohne diess seltsame Zusammenspiel der Absichten w�re Luther verbrannt worden wie Huss - und die Morgenr�the der Aufkl�rung vielleicht etwas fr�her und mit sch�nerem Glanze, als wir jetzt ahnen k�nnen, aufgegangen. 238. Gerechtigkeit gegen den werdenden Gott. - Wenn sich die ganze Geschichte der Cultur vor den Blicken aufthut als ein Gewirr von b�sen und edlen, wahren und falschen Vorstellungen und es Einem beim Anblick dieses Wellenschlags fast seekrank zu Muthe wird, so begreift man, was f�r ein Trost in der Vorstellung eines werdenden Gottes liegt: dieser enth�llt sich immer mehr in den Verwandelungen und Schicksalen der Menschheit, es ist nicht Alles blinde Mechanik, sinn- und zweckloses Durcheinanderspielen von Kr�ften. Die Vergottung des Werdens ist ein metaphysischer Ausblick - gleichsam von einem Leuchtthurm am Meere der Geschichte herab -, an welchem eine allzuviel historisirende Gelehrtengeneration ihren Trost fand; dar�ber darf man nicht b�se werden, so irrth�mlich jene Vorstellung auch sein mag. Nur wer, wie Schopenhauer, die Entwickelung leugnet, f�hlt auch Nichts von dem Elend dieses historischen Wellenschlags und darf desshalb, weil er von jenem werdenden Gotte und dem Bed�rfniss seiner Annahme Nichts weiss, Nichts f�hlt, billigerweise seinen Spott auslassen. 239. Die Fr�chte nach der Jahreszeit. - Jede bessere Zukunft, welche man der Menschheit anw�nscht, ist nothwendigerweise auch in manchem Betracht eine schlechtere Zukunft: denn es ist Schw�rmerei, zu glauben, dass eine h�here neue Stufe der Menschheit alle die Vorz�ge fr�herer Stufen in sich vereinigen werde und zum Beispiel auch die h�chste Gestaltung der Kunst erzeugen m�sse. Vielmehr hat jede Jahreszeit ihre Vorz�ge und Reize f�r sich und schliesst die der anderen aus. Das, was aus der Religion und in ihrer Nachbarschaft gewachsen ist, kann nicht wieder wachsen, wenn diese zerst�rt ist; h�chstens k�nnen verirrte, sp�t kommende Absenker zur T�uschung dar�ber verleiten, ebenso wie die zeitweilig ausbrechende Erinnerung an die alte Kunst: ein Zustand, der wohl das Gef�hl des Verlustes, der Entbehrung verr�th, aber kein Beweis f�r die Kraft ist, aus der eine neue Kunst geboren werden k�nnte. 240. Zunehmende Severit�t der Welt. - je h�her die Cultur eines Menschen steigt, um so mehr Gebiete entziehen sich dem Scherz, dem Spotte. Voltaire war f�r die Erfindung der Ehe und der Kirche von Herzen dem Himmel dankbar: als welcher damit so gut f�r unsere Aufheiterung gesorgt habe. Aber er und seine Zeit, und vor ihm das sechszehnte Jahrhundert, haben diese Themen zu Ende gespottet; es ist Alles, was jetzt Einer auf diesem Gebiete noch witzelt, versp�tet und vor Allem gar zu wohlfeil, als dass es die K�ufer begehrlich machen k�nnte. Jetzt fragt man nach den Ursachen; es ist das Zeitalter des Ernstes. Wem liegt jetzt noch daran, die Differenzen zwischen Wirklichkeit und anspruchsvollem Schein, zwischen dem, was der Mensch ist und was er vorstellen will, in scherzhaftem Lichte zu sehen; das Gef�hl dieser Contraste wirkt alsbald ganz anders, wenn man nach den Gr�nden sucht. Je gr�ndlicher Jemand das Leben versteht, desto weniger wird er spottet, nur dass er zuletzt vielleicht noch �ber die "Gr�ndlichkeit seines Verstehens" spottet. 241. Genius der Cultur. - Wenn jemand einen Genius der Cultur imaginiren wollte, wie w�rde dieser beschaffen sein? Er handhabt die L�ge, die Gewalt, den r�cksichtslosesten Eigennutz so sicher als seine Werkzeuge, dass er nur ein b�ses d�monisches Wesen zu nennen w�re; aber seine Ziele, welche hie und da durchleuchten, sind gross und gut. Es ist ein Centaur, halb Thier, halb Mensch und hat noch Engelsfl�gel dazu am Haupte. 242. Wunder-Erziehung. - Das Interesse in der Erziehung wird erst von dem Augenblick an grosse St�rke bekommen, wo man den Glauben an einen Gott und seine F�rsorge aufgiebt: ebenso wie die Heilkunst erst erbl�hen konnte, als der Glaube an Wunder-Curen aufh�rte. Bis jetzt glaubt aber alle Welt noch an die Wunder-Erziehung: aus der gr�ssten Unordnung, Verworrenheit der Ziele, Ungunst der Verh�ltnisse sah man ja die fruchtbarsten, m�chtigsten Menschen erwachsen: wie konnte diess doch mit rechten Dingen zugehen? - jetzt wird man, bald auch in diesen F�llen, n�her zusehen, sorgsamer pr�fen: Wunder wird man dabei niemals entdecken. Unter gleichen Verh�ltnissen gehen fortw�hrend zahlreiche Menschen zu Grunde, das einzelne gerettete Individuum ist daf�r gew�hnlich st�rker geworden, weil es diese schlimmen Umst�nde verm�ge unverw�stlicher eingeborener Kraft ertrug und diese Kraft noch ge�bt und vermehrt hat: so erkl�rt sich das Wunder. Eine Erziehung, welche an kein Wunder mehr glaubt, wird auf dreierlei zu achten haben: erstens, wie viel Energie ist vererbt? zweitens, wodurch kann noch neue Energie entz�ndet werden? drittens, wie kann das Individuum jenen so �beraus vielartigen Anspr�chen der Cultur angepasst werden, ohne dass diese es beunruhigen und seine Einartigkeit zersplittern, - kurz, wie kann das Individuum in den Contrapunct der privaten und �ffentlichen Cultur eingereiht werden, wie kann es zugleich die Melodie f�hren und als Melodie begleiten? 243. Die Zukunft des Arztes. - Es giebt jetzt keinen Beruf, der eine so hohe Steigerung zuliesse, wie der des Arztes; namentlich nachdem die geistlichen Aerzte, die sogenannten Seelsorger ihre Beschw�rungsk�nste nicht mehr unter �ffentlichem Beifall treiben d�rfen und ein Gebildeter ihnen aus dem Wege geht. Die h�chste geistige Ausbildung eines Arztes ist jetzt nicht erreicht, wenn er die besten neuesten Methoden kennt und auf sie einge�bt ist und jene fliegenden Schl�sse von Wirkungen auf Ursachen zu machen versteht, derentwegen die Diagnostiker ber�hmt sind: er muss ausserdem eine Beredtsamkeit haben, die sich jedem Individuum anpasst und ihm das Herz aus dem Leibe zieht, eine M�nnlichkeit, deren Anblick schon den Kleinmuth (den Wurmfrass aller Kranken) verscheucht, eine Diplomaten-Geschmeidigkeit im Vermitteln zwischen Solchen, welche Freude zu ihrer Genesung n�thig haben und Solchen, die aus Gesundheitsgr�nden Freude machen m�ssen (und k�nnen), die Feinheit eines Polizeiagenten und Advocaten, die Geheimnisse einer Seele zu verstehen, ohne sie zu verrathen, - kurz ein guter Arzt bedarf jetzt der Kunstgriffe und Kunstvorrechte aller andern Berufsclassen: so ausger�stet, ist er dann im Stande, der ganzen Gesellschaft ein Wohlth�ter zu werden, durch Vermehrung guter Werke, geistiger Freude und Fruchtbarkeit, durch Verh�tung von b�sen Gedanken, Vors�tzen, Schurkereien (deren ekler Quell so h�ufig der Unterleib ist), durch Herstellung einer geistig-leiblichen Aristokratie (als Ehestifter und Eheverhinderer), durch wohlwollende Abschneidung aller sogenannten Seelenqualen und Gewissensbisse: so erst wird er aus einem "Medicinmann" ein Heiland und braucht doch keine Wunder zu thun, hat auch nicht n�thig, sich kreuzigen zu lassen. 244. In der Nachbarschaft des Wahnsinns. - Die Summe der Empfindungen, Kenntnisse, Erfahrungen, also die ganze Last der Cultur, ist so gross geworden, dass eine Ueberreizung der Nerven- und Denkkr�fte die allgemeine Gefahr ist, ja dass die cultivirten Classen der europ�ischen L�nder durchweg neurotisch sind und fast jede ihrer gr�sseren Familien in einem Gliede dem Irrsinn nahe ger�ckt ist. Nun kommt man zwar der Gesundheit jetzt auf alle Weise entgegen; aber in der Hauptsache bleibt eine Verminderung jener Spannung des Gef�hls, jener niederdr�ckenden Cultur-Last vonn�then, welche, wenn sie selbst mit schweren Einbussen erkauft werden sollte, uns doch zu der grossen Hoffnung einer neuen Renaissance Spielraum giebt. Man hat dem Christenthum, den Philosophen, Dichtern, Musikern eine Ueberf�lle tief erregter Empfindungen zu danken: damit diese uns nicht �berwuchern, m�ssen wir den Geist der Wissenschaft beschw�ren, welcher im Ganzen etwas k�lter und skeptischer macht und namentlich den Gluthstrom des Glaubens an letzte endg�ltige Wahrheiten abk�hlt; er ist vornehmlich durch das Christenthum so wild geworden. 245. Glockenguss der Cultur. - Die Cultur ist entstanden wie eine Glocke, innerhalb eines Mantels von gr�berem, gemeinerem Stoffe: Unwahrheit, Gewaltsamkeit, unbegr�nzte Ausdehnung aller einzelnen Ich's, aller einzelnen V�lker, waren dieser Mantel. Ist es an der Zeit, ihn jetzt abzunehmen? Ist das Fl�ssige erstarrt, sind die guten, n�tzlichen Triebe, die Gewohnheiten des edleren Gem�thes so sicher und allgemein geworden, dass es keiner Anlehnung an Metaphysik und die Irrth�mer der Religionen mehr bedarf, keiner H�rten und Gewaltsamkeiten als m�chtigster Bindemittel zwischen Mensch und Mensch, Volk und Volk? - Zur Beantwortung dieser Frage ist kein Wink eines Gottes uns mehr h�lfreich: unsere eigene Einsicht muss da entscheiden. Die Erdregierung des Menschen im Grossen hat der Mensch selber in die Hand zu nehmen, seine "Allwissenheit" muss �ber dem weiteren Schicksal der Cultur mit scharfem Auge wachen. 246. Die Cyklopen der Cultur. - Wer jene zerfurchten Kessel sieht, in denen Gletscher gelagert haben, h�lt es kaum f�r m�glich, dass eine Zeit kommt, wo an der selben Stelle ein Wiesen- und Waldthal mit B�chen darin sich hinzieht. So ist es auch in der Geschichte der Menschheit; die wildesten Kr�fte brechen Bahn, zun�chst zerst�rend, aber trotzdem war ihre Th�tigkeit n�thig, damit sp�ter eine mildere Gesittung hier ihr Haus aufschlage. Die schrecklichen Energien - Das, was man das B�se nennt - sind die cyklopischen Architekten und Wegebauer der Humanit�t. 247. Kreislauf des Menschenthums. - Vielleicht ist das ganze Menschenthum nur eine Entwickelungsphase einer bestimmten Thierart von begr�nzter Dauer. so dass der Mensch aus dem Affen geworden ist und wieder zum Affen werden wird, w�hrend Niemand da ist, der an diesem verwunderlichen Kom�dienausgang irgend ein Interesse nehme. So wie mit dem Verfalle der r�mischen Cultur und seiner wichtigsten Ursache, der Ausbreitung des Christenthums, eine allgemeine Verh�sslichung des Menschen innerhalb des r�mischen Reiches �berhand nahm, so k�nnte auch durch den einstmaligen Verfall der allgemeinen Erdcultur eine viel h�her gesteigerte Verh�sslichung und endlich Verthierung des Menschen, bis in's Affenhafte, herbeigef�hrt werden. - Gerade weil wir diese Perspective in's Auge fassen k�nnen, sind wir vielleicht im Stande, einem solchen Ende der Zukunft vorzubeugen. 248. Trostrede eines desperaten Fortschritts. - Unsere Zeit macht den Eindruck eines Interim-Zustandes; die alten Weltbetrachtungen, die alten Culturen sind noch theilweise vorhanden, die neuen noch nicht sicher und gewohnheitsm�ssig und daher ohne Geschlossenheit und Consequenz. Es sieht aus, als ob Alles chaotisch w�rde, das Alte verloren gienge, das Neue nichts tauge und immer schw�chlicher werde. Aber so geht es dem Soldaten, welcher marschiren lernt; er ist eine Zeit lang unsicherer und unbeholfener als je, weil die Muskeln bald nach dem alten System, bald nach dem neuen bewegt werden und noch keines entschieden den Sieg behauptet. Wir schwanken, aber es ist n�thig, dadurch nicht �ngstlich zu werden und das Neu-Errungene etwa preiszugeben. Ueberdiess k�nnen wir in's Alte nicht zur�ck, wir haben die Schiffe verbrannt; es bleibt nur �brig, tapfer zu sein, mag nun dabei diess oder jenes herauskommen. - Schreiten wir nur zu, kommen wir nur von der Stelle! Vielleicht sieht sich unser Gebahren doch einmal wie Fortschritt an; wenn aber nicht, so mag Friedrich's des Grossen Wort auch zu uns gesagt sein und zwar zum Troste: Ah, mon cher Sulzer, vous ne connaissez pas assez cette race maudite, � laquelle nous appartenons. 249. An der Vergangenheit der Cultur leiden. - Wer sich das Problem der Cultur klar gemacht hat, leidet dann an einem �hnlichen Gef�hle wie Der, welcher einen durch unrechtm�ssige Mittel erworbenen Reichthum ererbt hat, oder wie der F�rst, der durch Gewaltthat seiner Vorfahren regiert. Er denkt mit Trauer an seinen Ursprung und ist oft besch�mt, oft reizbar. Die ganze Summe von Kraft, Lebenswillen, Freude, welche er seinem Besitze zuwendet, balancirt sich oft mit einer tiefen M�digkeit: er kann seinen Ursprung nicht vergessen. Die Zukunft sieht er wehm�thig an, seine Nachkommen, er weiss es voraus, werden an der Vergangenheit leiden wie er. 250. Manieren. - Die guten Manieren verschwinden in dem Maasse, in welchem der Einfluss des Hofes und einer abgeschlossenen Aristokratie nachl�sst: man kann diese Abnahme von Jahrzehnt zu Jahrzehnt deutlich beobachten, wenn man ein Auge f�r die �ffentlichen Acte hat: als welche ersichtlich immer p�belhafter werden. Niemand versteht mehr, auf geistreiche Art zu huldigen und zu schmeicheln; daraus ergiebt sich die l�cherliche Thatsache, dass man in F�llen, wo man gegenw�rtig Huldigungen darbringen muss (zum Beispiel einem grossen Staatsmanne oder K�nstler), die Sprache des tiefsten Gef�hls, der treuherzigen, ehrenfesten Biederkeit borgt - aus Verlegenheit und Mangel an Geist und Grazie. So scheint die �ffentliche festliche Begegnung der Menschen immer ungeschickter, aber gef�hlvoller und biederer, ohne diess zu sein. - Sollte es aber mit den Manieren immerfort bergab gehen? Es scheint mir vielmehr, dass die Manieren eine tiefe Curve machen und wir uns ihrem niedrigsten Stande n�hern. Wenn erst die Gesellschaft ihrer Absichten und Principien sicherer geworden ist, so dass diese formbildend wirken (w�hrend jetzt die angelernten Manieren fr�herer formbildender Zust�nde immer schw�cher vererbt und angelernt werden), so wird es Manieren des Umgangs, Geb�rden und Ausdr�cke des Verkehrs geben, welche so nothwendig und schlicht nat�rlich erscheinen m�ssen, als es diese Absichten und Principien sind. Die bessere Vertheilung der Zeit und Arbeit, die zur Begleiterin jeder sch�nen Mussezeit umgewandelte gymnastische Uebung, das vermehrte und strenger gewordene Nachdenken, welches selbst dem K�rper Klugheit und Geschmeidigkeit giebt, bringt diess Alles mit sich. - Hier k�nnte man nun freilich mit einigem Spotte unserer Gelehrten gedenken, ob denn sie, die doch Vorl�ufer jener neuen Cultur sein wollen, sich in der That durch bessere Manieren auszeichnen? Es ist diess wohl nicht der Fall, obgleich ihr Geist willig genug dazu sein mag: aber ihr Fleisch ist schwach. Die Vergangenheit ist noch zu m�chtig in ihren Muskeln: sie stehen noch in einer unfreien Stellung und sind zur H�lfte weltliche Geistliche, zur H�lfte abh�ngige Erzieher vornehmer Leute und St�nde, und �berdiess durch Pedanterie der Wissenschaft, durch veraltete geistlose Methoden verkr�ppelt und unlebendig gemacht. Sie sind also, jedenfalls ihrem K�rper nach und oft auch zu Dreiviertel ihres Geistes, immer noch die H�flinge einer alten, ja greisenhaften Cultur und als solche selber greisenhaft; der neue Geist, der gelegentlich in diesen alten Geh�usen rumort, dient einstweilen nur dazu, sie unsicherer und �ngstlicher zu machen. In ihnen gehen sowohl die Gespenster der Vergangenheit, als die Gespenster der Zukunft um: was Wunder, wenn sie dabei nicht die beste Miene machen, nicht die gef�lligste Haltung haben? 251. Zukunft der Wissenschaft. - Die Wissenschaft giebt Dem, welcher in ihr arbeitet und sucht, viel Vergn�gen, Dem, welcher ihre Ergebnisse lernt, sehr wenig. Da allm�hlich aber alle wichtigen Wahrheiten der Wissenschaft allt�glich und gemein werden m�ssen, so h�rt auch dieses wenige Vergn�gen auf: so wie wir beim Lernen des so bewunderungsw�rdigen Einmaleins l�ngst aufgeh�rt haben, uns zu freuen. Wenn nun die Wissenschaft immer weniger Freude durch sich macht und immer mehr Freude, durch Verd�chtigung der tr�stlichen Metaphysik, Religion und Kunst, nimmt: so verarmt jene gr�sste Quelle der Lust, welcher die Menschheit fast ihr gesammtes Menschenthum verdankt. Desshalb muss eine h�here Cultur dem Menschen ein Doppelgehirn, gleichsam zwei Hirnkammern geben, einmal um Wissenschaft, sodann um Nicht-Wissenschaft zu empfinden: neben einander liegend, ohne Verwirrung, trennbar, abschliessbar; es ist diess eine Forderung der Gesundheit. Im einen Bereiche liegt die Kraftquelle, im anderen der Regulator: mit Illusionen, Einseitigkeiten, Leidenschaften muss geheizt werden, mit H�lfe der erkennenden Wissenschaft muss den b�sartigen und gef�hrlichen Folgen einer Ueberheizung vorgebeugt werden. - Wird dieser Forderung der h�heren Cultur nicht gen�gt, so ist der weitere Verlauf der menschlichen Entwickelung fast mit Sicherheit vorherzusagen: das Interesse am Wahren h�rt auf, je weniger es Lust gew�hrt; die Illusion, der Irrthum, die Phantastik erk�mpfen sich Schritt um Schritt, weil sie mit Lust verbunden sind, ihren ehemals behaupteten Boden: der Ruin der Wissenschaften, das Zur�cksinken in Barbarei ist die n�chste Folge; von Neuem muss die Menschheit wieder anfangen, ihr Gewebe zu weben, nachdem sie es, gleich Penelope, des Nachts zerst�rt hat. Aber wer b�rgt uns daf�r, dass sie immer wieder die Kraft dazu findet? 252. Die Lust am Erkennen. - Wesshalb ist das Erkennen, das Element des Forschers und Philosophen, mit Lust verkn�pft? Erstens und vor Allem, weil man sich dabei seiner Kraft bewusst wird, also aus dem selben Grunde, aus dem gymnastische Uebungen auch ohne Zuschauer lustvoll sind. Zweitens, weil man, im Verlauf der Erkenntniss, �ber �ltere Vorstellungen und deren Vertreter, hinauskommt, Sieger wird oder wenigstens es zu sein glaubt. Drittens, weil wir uns durch eine noch so kleine neue Erkenntniss �ber Alle erhaben und uns als die Einzigen f�hlen, welche hierin das Richtige wissen. Diese drei Gr�nde zur Lust sind die wichtigsten, doch giebt es, je nach der Natur des Erkennenden, noch viele Nebengr�nde. - Ein nicht unbetr�chtliches Verzeichniss von solchen giebt, an einer Stelle, wo man es nicht suchen w�rde, meine paraenetische Schrift �ber Schopenhauer: mit deren Aufstellungen sich jeder erfahrene Diener der Erkenntniss zufrieden geben kann, sei es auch, dass er den ironischen Anflug, der auf jenen Seiten zu liegen scheint, wegw�nschen wird. Denn wenn es wahr ist, dass zum Entstehen des Gelehrten "eine Menge sehr menschlicher Triebe und Triebchen zusammengegossen werden muss", dass der Gelehrte zwar ein sehr edles, aber kein reines Metall ist und "aus einem verwickelten Geflecht sehr verschiedener Antriebe und Reize besteht": so gilt doch das Selbe ebenfalls von Entstehung und Wesen des K�nstlers, Philosophen, moralischen Genie's - und wie die in jener Schrift glorificirten grossen Namen lauten. Alles Menschliche verdient in Hinsicht auf seine Entstehung die ironische Betrachtung: desshalb ist die Ironie in der Welt so �berfl�ssig. 253. Treue als Beweis der Stichhaltigkeit. - Es ist ein vollkommenes Zeichen f�r die G�te einer Theorie, wenn ihr Urheber vierzig Jahre lang kein Misstrauen gegen sie bekommt; aber ich behaupte, dass es noch keinen Philosophen gegeben hat, welcher auf die Philosophie, die seine Jugend erfand, nicht endlich mit Geringsch�tzung - mindestens mit Argwohn - herabgesehen h�tte. - Vielleicht hat er aber nicht �ffentlich von dieser Umstimmung gesprochen, aus Ehrsucht oder - wie es bei edlen Naturen wahrscheinlicher ist - aus zarter Schonung seiner Anh�nger. 254. Zunahme des Interessanten. - Im Verlaufe der h�heren Bildung wird dem Menschen Alles interessant, er weiss die belehrende Seite einer Sache rasch zu finden und den Punct anzugeben, wo eine L�cke seines Denkens mit ihr ausgef�llt oder ein Gedanke durch sie best�tigt werden kann. Dabei verschwindet immer mehr die Langeweile, dabei auch die �berm�ssige Erregbarkeit des Gem�thes. Er geht zuletzt wie ein Naturforscher unter Pflanzen, so unter Menschen herum und nimmt sich selber als ein Ph�nomen wahr, welches nur seinen erkennenden Trieb stark anregt. 255. Aberglauben im Gleichzeitigen. - Etwas Gieichzeitiges h�ngt zusammen, meint man. Ein Verwandter stirbt in der Ferne, zu gleicher Zeit tr�umen wir von ihm, - also! Aber zahllose Verwandte sterben und wir tr�umen nicht von ihnen. Es ist wie bei den Schiffbr�chigen, welche Gel�bde thun: man sieht sp�ter im Tempel die Votivtafeln Derer, welche zu Grunde giengen, nicht. - Ein Mensch stirbt, eine Eule kr�chzt, eine Uhr steht still, alles in Einer Nachtstunde: sollte da nicht ein Zusammenhang sein? Eine solche Vertraulichkeit mit der Natur, wie diese Ahnung sie annimmt, schmeichelt den Menschen. - Diese Gattung des Aberglaubens findet sich in verfeinerter Form bei Historikern und Culturmalern wieder, welche vor allem sinnlosen Nebeneinander, an dem doch das Leben der Einzelnen und der V�lker so reich ist, eine Art Wasserscheu zu haben pflegen. 256. Das K�nnen, nicht das Wissen, durch die Wissenschaft ge�bt. - Der Werth davon, dass man zeitweilig eine strenge Wissenschaft streng betrieben hat, beruht nicht gerade auf deren Ergebnissen: denn diese werden, im Verh�ltniss zum Meere des Wissenswerthen, ein verschwindend kleiner Tropfen sein. Aber es ergiebt einen Zuwachs an Energie, an Schlussverm�gen, an Z�higkeit der Ausdauer; man hat gelernt, einen Zweck zweckm�ssig zu erreichen. Insofern ist es sehr sch�tzbar, in Hinsicht auf Alles, was man sp�ter treibt, einmal ein wissenschaftlicher Mensch gewesen zu sein. 257. Jugendreiz der Wissenschaft. - Das Forschen nach Wahrheit hat jetzt noch den Reiz, dass sie sich �berall stark gegen den grau und langweilig gewordenen Irrthum abhebt; dieser Reiz verliert sich immer mehr; jetzt zwar leben wir noch im Jugendzeitalter der Wissenschaft und pflegen der Wahrheit wie einem sch�nen M�dchen nachzugehen; wie aber, wenn sie eines Tages zum �ltlichen, m�rrisch blickenden Weibe geworden ist? Fast in allen Wissenschaften ist die Grundeinsicht entweder erst in j�ngster Zeit gefunden oder wird noch gesucht; wie anders reizt diess an, als wenn alles Wesentliche gefunden ist und nur noch eine k�mmerliche Herbstnachlese dem Forscher �brig bleibt (welche Empfindung man in einigen historischen Disciplinen kennen lernen kann). 258. Die Statue der Menschheit. - Der Genius der Cultur verf�hrt wie Cellini, als dieser den Guss seiner Perseus-Statue machte: die fl�ssige Masse drohte, nicht auszureichen, aber sie sollte es: so warf er Sch�sseln und Teller und was ihm sonst in die H�nde kam, hinein. Und ebenso wirft jener Genius Irrth�mer, Laster, Hoffnungen, Wahnbilder und andere Dinge von schlechterem wie von edlerem Metalle hinein, denn die Statue der Menschheit muss herauskommen und fertig werden; was liegt daran, dass hie und da geringerer Stoff verwendet wurde? 259. Eine Cultur der M�nner. - Die griechische Cultur der classischen Zeit ist eine Cultur der M�nner. Was die Frauen anlangt, so sagt Perikles in der Grabrede Alles mit den Worten: sie seien am besten, wenn unter M�nnern so wenig als m�glich von ihnen gesprochen werde. - Die erotische Beziehung der M�nner zu den J�nglingen war in einem, unserem Verst�ndniss unzug�nglichen Grade die nothwendige, einzige Voraussetzung aller m�nnlichen Erziehung (ungef�hr wie lange Zeit alle h�here Erziehung der Frauen bei uns erst durch die Liebschaft und Ehe herbeigef�hrt wurde), aller Idealismus der Kraft der griechischen Natur warf sich auf jenes Verh�ltniss, und wahrscheinlich sind junge Leute niemals wieder so aufmerksam, so liebevoll, so durchaus in Hinsicht auf ihr Bestes (virtus) behandelt worden, wie im sechsten und f�nften Jahrhundert, - also gem�ss dem sch�nen Spruche H�lderlin's "denn liebend giebt der Sterbliche vom Besten". Je h�her dieses Verh�ltniss genommen wurde, um so tiefer sank der Verkehr mit der Frau: der Gesichtspunct der Kindererzeugung und der Wollust - Nichts weiter kam hier in Betracht; es gab keinen geistigen Verkehr, nicht einmal eine eigentliche Liebschaft. Erw�gt man ferner, dass sie selbst vom Wettkampfe und Schauspiele jeder Art ausgeschlossen waren, so bleiben nur die religi�sen Culte als einzige h�here Unterhaltung der Weiber. - Wenn man nun allerdings in der Trag�die Elektra und Antigone vorf�hrte, so ertrug man diess eben in der Kunst, obschon man es im Leben nicht mochte: so wie wir jetzt alles Pathetische im Leben nicht vertragen, aber in der Kunst gern sehen. - Die Weiber hatten weiter keine Aufgabe, als Sch�ne, machtvolle Leiber hervorzubringen, in denen der Charakter des Vaters m�glichst ungebrochen weiter lebte, und damit der �berhand nehmenden Nerven�berreizung einer so hochentwickelten Cultur entgegenzuwirken. Diess hielt die griechische Cultur verh�ltnissm�ssig so lange jung; denn in den griechischen M�ttern kehrte immer wieder der griechische Genius zur Natur zur�ck. 260. Das Vorurtheil Zu Gunsten der Gr�sse. - Die Menschen �bersch�tzen ersichtlich alles Grosse und Hervorstechende. Diess kommt aus der bewussten oder unbewussten Einsicht her, dass sie es sehr n�tzlich finden, wenn Einer alle Kraft auf Ein Gebiet wirft und aus sich gleichsam Ein monstr�ses Organ macht. Sicherlich ist dem Menschen selber eine gleichm�ssige Ausbildung seiner Kr�fte n�tzlicher und gl�ckbringender; denn jedes Talent ist ein Vampyr, welcher den �brigen Kr�ften Blut und Kraft aussaugt, und eine �bertriebene Production kann den begabtesten Menschen fast zur Tollheit bringen. Auch innerhalb der K�nste erregen die extremen Naturen viel zu sehr die Aufmerksamkeit; aber es ist auch eine viel geringere Cultur n�thig, um von ihnen sich fesseln zu lassen. Die Menschen unterwerfen sich aus Gewohnheit Allem, was Macht haben will. 261. Die Tyrannen des Geistes. - Nur wohin der Strahl des mythus f�llt, da leuchtet das Leben der Griechen; sonst ist es d�ster. Nun berauben sich die griechischen Philosophen eben dieses Mythus': ist es nicht, als ob sie aus dem Sonnenschein sich in den Schatten, in die D�sterkeit setzen wollten? Aber keine Pflanze geht dem Lichte aus dem Wege; im Grunde suchten jene Philosophen nur eine hellere Sonne, der Mythus war ihnen nicht rein, nicht leuchtend genug. Sie fanden diess Licht in ihrer Erkenntniss, in dem, was jeder von ihnen seine "Wahrheit" nannte. Damals aber hatte die Erkenntniss noch einen gr�sseren Glanz; sie war noch jung und wusste noch wenig von allen Schwierigkeiten und Gefahren ihrer Pfade; sie konnte damals noch hoffen, mit einem einzigen Sprung an den Mittelpunct alles Seins zu kommen und von dort aus das R�thsel der Welt zu l�sen. Diese Philosophen hatten - einen handfesten Glauben an sich und ihre "Wahrheit" und warfen mit ihr alle ihre Nachbarn und Vorg�nger nieder; jeder von ihnen war ein streitbarer gewaltth�tiger Tyrann. Vielleicht war das Gl�ck im Glauben an den Besitz der Wahrheit nie gr�sser in der Welt, aber auch nie die H�rte, der Uebermuth, das Tyrannische und B�se eines solchen Glaubens. Sie waren Tyrannen, also Das, was jeder Grieche sein wollte und was jeder war, wenn er es sein konnte. Vielleicht macht nur Solon eine Ausnahme; in seinen Gedichten sagt er es, wie er die pers�nliche Tyrannis verschm�ht habe. Aber er that es aus Liebe zu seinem Werke, zu seiner Gesetzgebung; und Gesetzgeber sein ist eine sublimirtere Form des Tyrannenthums. Auch Parmenides gab Gesetze, wohl auch Pythagoras und Empedokles; Anaximander gr�ndete eine Stadt. Plato war der fleischgewordene Wunsch, der h�chste philosophische Gesetzgeber und Staatengr�nder zu werden; er scheint schrecklich an der Nichterf�llung seines Wesens gelitten zu haben, und seine Seele wurde gegen sein Ende hin voll der schw�rzesten Galle. Je mehr das griechische Philosophenthum an Macht verlor, um so mehr litt es innerlich durch diese Galligkeit und Schm�hsucht; als erst die verschiedenen Secten ihre Wahrheiten auf den Strassen verfochten, da waren die Seelen aller dieser Freier der Wahrheit durch Eifer- und Geifersucht v�llig verschlammt, das tyrannische Element w�thete jetzt als Gift in ihrem K�rper. Diese vielen kleinen Tyrannen h�tten sich roh fressen m�gen; es war kein Funke mehr von Liebe und allzuwenig Freude an ihrer eigenen Erkenntniss in ihnen �brig geblieben. - Ueberhaupt gilt der Satz, dass Tyrannen meistens ermordet werden und dass ihre Nachkommenschaft kurz lebt, auch von den Tyrannen des Geistes. Ihre Geschichte ist kurz, gewaltsam, ihre Nachwirkung bricht pl�tzlich ab. Fast von allen grossen Hellenen kann man sagen, dass sie zu sp�t gekommen scheinen, so von Aeschylus, von Pindar, von Demosthenes, von Thukydides; ein Geschlecht nach ihnen - und dann ist es immer v�llig vorbei. Das ist das St�rmische und Unheimliche in der griechischen Geschichte. Jetzt zwar bewundert man das Evangelium der Schildkr�te. Geschichtlich denken heisst jetzt fast so viel, als ob zu allen Zeiten nach dem Satze Geschichte gemacht worden w�re: "m�glichst wenig in m�glichst langer Zeit!" Ach, die griechische Geschichte l�uft so rasch! Es ist nie wieder so verschwenderisch, so maasslos gelebt worden. Ich kann mich nicht �berzeugen, dass die Geschichte der Griechen jenen nat�rlichen Verlauf genommen habe, der so an ihr ger�hmt wird. Sie waren viel zu mannichfach begabt dazu, um in jener schrittweisen Manier allm�hlich zu sein, wie es die Schildkr�te im Wettlauf mit Achilles ist: und das nennt man ja nat�rliche Entwickelung. Bei den Griechen geht es schnell vorw�rts, aber eben so schnell abw�rts; die Bewegung der ganzen Maschine ist so gesteigert, dass ein einziger Stein, in ihre R�der geworfen, sie zerspringen macht. Ein solcher Stein war zum Beispiel Sokrates; in einer Nacht war die bis dahin so wunderbar regelm�ssige, aber freilich allzu schleunige Entwickelung der philosophischen Wissenschaft zerst�rt. Es ist keine m�ssige Frage, ob nicht Plato, von der sokratischen Verzauberung frei geblieben, einen noch h�heren Typus des philosophischen Menschen gefunden h�tte, der uns auf immer verloren ist. Man sieht in die Zeiten vor ihm wie in einer Bildner-Werkst�tte solcher Typen hinein. Das sechste und f�nfte Jahrhundert scheint aber doch noch mehr und H�heres zu verheissen, als es selber hervorgebracht hat; aber es blieb bei dem Verheissen und Ank�ndigen. Und doch giebt es kaum einen schwereren Verlust, als den Verlust eines Typus', einer neuen, bis dahin unentdeckt gebliebenen h�chsten M�glichkeit des philosophischen Lebens. Selbst von den �lteren Typen sind die meisten schlecht �berliefert; es scheinen mir alle Philosophen von Thales bis Demokrit ausserordentlich schwer erkennbar; wem es aber gelingt, diese Gestalten nachzuschaffen, der wandelt unter Gebilden von m�chtigstem und reinstem Typus. Diese F�higkeit ist freilich selten, sie fehlte selbst den sp�teren Griechen, welche sich mit der Kunde der �lteren Philosophie befassten; Aristoteles zumal scheint seine Augen nicht im Kopfe zu haben, wenn er vor den Bezeichneten steht. Und so scheint es, als ob diese herrlichen Philosophen umsonst gelebt h�tten oder als ob sie gar nur die streit- und redelustigen Schaaren der sokratischen Schulen h�tten vorbereiten sollen. Es ist hier, wie gesagt, eine L�cke, ein Bruch in der Entwickelung; irgend ein grosses Ungl�ck muss geschehen sein und die einzige Statue, an welcher man Sinn und Zweck jener grossen bildnerischen Vor�bung erkannt haben w�rde, zerbrach oder misslang: was eigentlich geschehen ist, ist f�r immer ein Geheimniss der Werkst�tte geblieben. - Das, was bei den Griechen sich ereignete - dass jeder grosse Denker im Glauben daran, Besitzer der absoluten Wahrheit zu sein, zum Tyrannen wurde, so dass auch die Geschichte des Geistes bei den Griechen jenen gewaltsamen, �bereilten und gef�hrlichen Charakter bekommen hat, den ihre politische Geschichte zeigt - diese Art von Ereignissen war damit nicht ersch�pft: es hat sich vieles Gleiche bis in die neueste Zeit hinein begeben, obwohl allm�hlich seltener und jetzt schwerlich mehr mit dem reinen naiven Gewissen der griechischen Philosophen. Denn im Ganzen redet jetzt die Gegenlehre und die Skepsis zu m�chtig, zu laut. Die Periode der Tyrannen des Geistes ist vorbei. In den Sph�ren der h�heren Cultur wird es freilich immer eine Herrschaft geben m�ssen, - aber diese Herrschaft liegt von jetzt ab in den H�nden der Oligarchen des Geistes. Sie bilden, trotz aller r�umlichen und politischen Trennung, eine zusammengeh�rige Gesellschaft, deren Mitglieder sich erkennen und anerkennen, was auch die �ffentliche Meinung und die Urtheile der auf die Masse wirkenden Tages- und Zeitschriftsteller f�r Sch�tzungen der Gunst oder Abgunst in Umlauf bringen m�gen. Die geistige Ueberlegenheit, welche fr�her trennte und verfeindete, pflegt jetzt zu binden: wie k�nnten die Einzelnen sich selbst behaupten und auf eigener Bahn, allen Str�mungen entgegen, durch das Leben schwimmen, wenn sie nicht ihres Gleichen hier und dort unter gleichen Bedingungen leben s�hen und deren Hand ergriffen, im Kampfe eben so sehr gegen den ochlokratischen Charakter des Halbgeistes und der Halbbildung, als gegen die gelegentlichen Versuche, mit H�lfe der Massenwirkung eine Tyrannei aufzurichten? Die Oligarchen sind einander n�thig, sie haben an einander ihre beste Freude, sie verstehen ihre Abzeichen, - aber trotzdem ist ein jeder von ihnen frei, er k�mpft und siegt an seiner Stelle und geht lieber unter, als sich zu unterwerfen. 262. Homer. - Die gr�sste Thatsache in der griechischen Bildung bleibt doch die, dass Homer so fr�hzeitig panhellenisch wurde. Alle geistige und menschliche Freiheit, welche die Griechen erreichten, geht auf diese Thatsache zur�ck. Aber zugleich ist es das eigentliche Verh�ngniss der griechischen Bildung gewesen, denn Homer verflachte, indem er centralisirte, und l�ste die ernsteren Instincte der Unabh�ngigkeit auf. Von Zeit zu Zeit erhob sich aus dem tiefsten Grunde des Hellenischen der Widerspruch gegen Homer; aber er blieb immer siegreich. Alle grossen geistigen M�chte �ben neben ihrer befreienden Wirkung auch eine unterdr�ckende aus; aber freilich ist es ein Unterschied, ob Homer oder die Bibel oder die Wissenschaft die Menschen tyrannisiren. 263. Begabung. - In einer so hoch entwickelten Menschheit, wie die jetzige ist, bekommt von Natur Jeder den Zugang zu vielen Talenten mit. Jeder hat angeborenes Talent, aber nur Wenigen ist der Grad von Z�higkeit, Ausdauer, Energie angeboren und anerzogen, so dass er wirklich ein Talent wird, also wird, was er ist, das heisst: es in Werken und Handlungen entladet. 264. Der Geistreiche entweder �bersch�tzt oder untersch�tzt. - Unwissenschaftliche, aber begabte Menschen sch�tzen jedes Anzeichen von Geist, sei es nun, dass er auf wahrer oder falscher F�hrte ist; sie wollen vor Allem, dass der Mensch, der mit ihnen verkehrt, sie gut mit seinem Geist unterhalte, sie ansporne, entflamme, zu Ernst und Scherz fortreisse und jedenfalls vor der Langenweile als kr�ftigstes Amulet sch�tze. Die wissenschaftlichen Naturen wissen dagegen, dass die Begabung, allerhand Einf�lle zu haben, auf das strengste durch den Geist der Wissenschaft gez�gelt werden m�sse; nicht Das, was gl�nzt, scheint, erregt, sondern die oft unscheinbare Wahrheit ist die Frucht, welche er vom Baum der Erkenntniss zu sch�tteln w�nscht. Er darf, wie Aristoteles, zwischen "Langweiligen" und "Geistreichen" keinen Unterschied machen, sein D�mon f�hrt ihn durch die W�ste ebenso wie durch tropische Vegetation, damit er �berall nur an dem Wirklichen, Haltbaren, Aechten seine Freude habe. - Daraus ergiebt sich, bei unbedeutenden Gelehrten, eine Missachtung und Verd�chtigung des Geistreichen �berhaupt, und wiederum haben geistreiche Leute h�ufig eine Abneigung gegen die Wissenschaft: wie zum Beispiel fast alle K�nstler. 265. Die Vernunft in der Schule. - Die Schule hat keine wichtigere Aufgabe, als strenges Denken, vorsichtiges Urtheilen, consequentes Schliessen zu lehren: desshalb hat sie von allen Dingen abzusehen, die nicht f�r diese Operationen tauglich sind, zum Beispiel von der Religion. Sie kann ja darauf rechnen, dass menschliche Unklarheit, Gew�hnung und Bed�rfniss sp�ter doch wieder den Bogen des allzustraffen Denkens abspannen. Aber so lange ihr Einfluss reicht, soll sie Das erzwingen, was das Wesentliche und Auszeichnende am Menschen ist- "Vernunft und Wissenschaft des Menschen allerh�chste Kraft" - wie wenigstens Goethe urtheilt. - Der grosse Naturforscher von Baer findet die Ueberlegenheit aller Europ�er im Vergleich zu Asiaten in der eingeschulten F�higkeit, dass sie Gr�nde f�r Das, was sie glauben, angeben k�nnen, wozu Diese aber v�llig unf�hig sind. Europa ist in die Schule des consequenten und kritischen Denkens gegangen, Asien weiss immer noch nicht zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden und ist sich nicht bewusst, ob seine Ueberzeugungen aus eigener Beobachtung und regelrechtem Denken oder aus Phantasien stammen. - Die Vernunft in der Schule hat Europa zu Europa gemacht: im Mittelalter war es auf dem Wege, wieder zu einem St�ck und Anh�ngsel Asiens zu werden, - also den wissenschaftlichen Sinn, welchen es den Griechen verdankte, einzub�ssen. 266. Untersch�tzte Wirkung des gymnasialen Unterrichts. - Man sucht den Werth des Gymnasiums selten in den Dingen, welche wirklich dort gelernt und von ihm unverlierbar heimgebracht werden, sondern in denen, welche man lehrt, welche der Sch�ler sich aber nur mit Widerwillen aneignet, um sie, so schnell er darf, von sich abzusch�tteln. Das Lesen der Classiker - das giebt jeder Gebildete zu - ist so, wie es �berall getrieben wird, eine monstr�se Procedur: vor jungen Menschen, welche in keiner Beziehung dazu reif sind, von Lehrern, welche durch jedes Wort, oft durch ihr Erscheinen schon einen Mehlthau �ber einen guten Autor legen. Aber darin liegt der Werth, der gew�hnlich verkannt wird, - dass diese Lehrer die abstracte Sprache der h�hern Cultur reden, schwerf�llig und schwer zum Verstehen, wie sie ist, aber eine hohe Gymnastik des Kopfes; dass Begriffe, Kunstausdr�cke, Methoden, Anspielungen in ihrer Sprache fortw�hrend vorkommen, welche die jungen Leute im Gespr�che ihrer Angeh�rigen und auf der Gasse fast nie h�ren. Wenn die Sch�ler nur h�ren, so wird ihr Intellect zu einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise unwillk�rlich pr�formirt. Es ist nicht m�glich, aus dieser Zucht v�llig unber�hrt von der Abstraction als reines Naturkind herauszukommen. 267. Viele Sprachen lernen. - Viele Sprachen lernen f�llt das Ged�chtniss mit Worten, statt mit Thatsachen und Gedanken, aus, w�hrend diess ein Beh�ltniss ist, welches bei jedem Menschen nur eine bestimmt begr�nzte Masse von Inhalt aufnehmen kann. Sodann schadet das Lernen vieler Sprachen, insofern es den Glauben, Fertigkeiten zu haben, erweckt und thats�chlich auch ein gewisses verf�hrerisches Ansehen im Verkehre verleiht; es schadet sodann auch indirect dadurch, dass es dem Erwerben gr�ndlicher Kenntnisse und der Absicht, auf redliche Weise die Achtung der Menschen zu verdienen, entgegenwirkt. Endlich ist es die Axt, welche dem feineren Sprachgef�hl innerhalb der Muttersprache an die Wurzel gelegt wird: diess wird dadurch unheilbar besch�digt und zu Grunde gerichtet. Die beiden V�lker, welche die gr�ssten Stilisten erzeugten, Griechen und Franzosen, lernten keine fremden Sprachen. - Weil aber der Verkehr der Menschen immer kosmopolitischer werden muss, und zum Beispiel ein rechter Kaufmann in London jetzt schon sich in acht Sprachen schriftlich und m�ndlich verst�ndlich zu machen hat, so ist freilich das Viele-Sprachen-lernen ein nothwendiges Uebel; welches aber zuletzt zum Aeussersten kommend, die Menschheit zwingen wird, ein Heilmittel zu finden: und in irgend einer fernen Zukunft wird es eine neue Sprache, zuerst als Handelssprache, dann als Sprache des geistigen Verkehres �berhaupt, f�r Alle geben, so gewiss, als es einmal Luft-Schifffahrt giebt. Wozu h�tte auch die Sprachwissenschaft ein Jahrhundert lang die Gesetze der Sprache studirt und das Nothwendige, Werthvolle, Gelungene an jeder einzelnen Sprache abgesch�tzt! 268. Zur Kriegsgeschichte des Individuums. - Wir finden in ein einzelnes Menschenleben, welches durch mehrere Culturen geht, den Kampf zusammengedr�ngt, welcher sich sonst zwischen zwei Generationen, zwischen Vater und Sohn, abspielt: die N�he der Verwandtschaft versch�rft diesen Kampf, weil jede Partei schonungslos das ihr so gut bekannte Innere der anderen Partei mit hineinzieht; und so wird dieser Kampf im einzelnen Individuum am erbittertsten sein; hier schreitet jede neue Phase �ber die fr�heren mit grausamer Ungerechtigkeit und Verkennung von deren Mitteln und Zielen hinweg. 269. Um eine Viertelstunde fr�her. - Man findet gelegentlich Einen, der mit seinen Ansichten �ber seiner Zeit steht, aber doch nur um so viel, dass er die Vulg�ransichten des n�chsten Jahrzehnts vorwegnimmt. Er hat die �ffentliche Meinung eher, als sie �ffentlich ist, das heisst: er ist einer Ansicht, die es verdient trivial zu werden, eine Viertelstunde eher in die Arme gefallen, als Andere. Sein Ruhm pflegt aber viel lauter zu sein, als der Ruhm der wirklichen Grossen und Ueberlegenen. 270. Die Kunst, zu lesen. - jede starke Richtung ist einseitig; sie n�hert sich der Richtung der geraden Linie und ist wie diese ausschliessend, das heisst sie ber�hrt nicht viele andere Richtungen, wie diess schwache Parteien und Naturen in ihrem wellenhaften Hin- und Hergehen thun: das muss man also auch den Philologen nachsehen, dass sie einseitig sind. Herstellung und Reinhaltung der Texte, nebst der Erkl�rung derselben, in einer Zunft jahrhundertelang fortgetrieben, hat endlich jetzt die richtigen Methoden finden lassen; das ganze Mittelalter war tief unf�hig zu einer streng philologischen Erkl�rung, das heisst zum einfachen Verstehenwollen dessen, was der Autor sagt, - es war Etwas, diese Methoden zu finden, man untersch�tze es nicht! Alle Wissenschaft hat dadurch erst Continuit�t und Stetigkeit gewonnen, dass die Kunst des richtigen Lesens, das heisst die Philologie, auf ihre H�he kam. 271. Die Kunst, zu schliessen. - Der gr�sste Fortschritt, den die Menschen gemacht haben, liegt darin, dass sie richtig schliessen lernen. Das ist gar nicht so etwas Nat�rliches, wie Schopenhauer annimmt, wenn er sagt: "zu schliessen sind Alle, zu urtheilen Wenige f�hig", sondern ist sp�t erlernt und jetzt noch nicht zur Herrschaft gelangt. Das faische Schliessen ist in �lteren Zeiten die Regel: und die Mythologien aller V�lker, ihre Magie und ihr Aberglaube, ihr religi�ser Cultus, ihr Recht sind die unersch�pflichen Beweis-Fundst�tten f�r diesen Satz. 272. Jahresringe der individuellen Cultur. - Die St�rke und Schw�che der geistigen Productivit�t h�ngt lange nicht so an der angeerbten Begabung, als an dem mitgegebenen Maasse von Spannkraft. Die meisten jungen Gebildeten von dreissig Jahren gehen um diese Fr�hsonnenwende ihres Lebens zur�ck und sind f�r neue geistige Wendungen von da an unlustig. Desshalb ist dann gleich wieder zum Heile einer fort und fort wachsenden Cultur eine neue Generation n�thig, die es nun aber ebenfalls nicht weit bringt: denn um die Cultur des Vaters nachzuholen, muss der Sohn die angeerbte Energie, welche der Vater auf jener Lebensstufe, als er den Sohn zeugte, selber besass, fast aufbrauchen; mit dem kleinen Ueberschuss kommt er weiter (denn weil hier der Weg zum zweiten Mal gemacht wird, geht es ein Wenig schneller vorw�rts; der Sohn verbraucht, um das Selbe zu lernen, was der Vater wusste, nicht ganz so viel Kraft). Sehr spannkr�ftige M�nner, wie zum Beispiel Goethe, durchmessen so viel als kaum vier Generationen hinter einander verm�gen; desshalb kommen sie aber zu schnell voraus, so dass die anderen Menschen sie erst in dem n�chsten Jahrhundert einholen, vielleicht nicht einmal v�llig, weil durch die h�ufigen Unterbrechungen die Geschlossenheit der Cultur, die Consequenz der Entwickelung geschw�cht worden ist. - Die gew�hnlichen Phasen der geistigen Cultur, welche im Verlauf der Geschichte errungen ist, holen die Menschen immer schneller nach. Sie beginnen gegenw�rtig in die Cultur als religi�s bewegte Kinder einzutreten und bringen es vielleicht im zehnten Lebensjahre zur h�chsten Lebhaftigkeit dieser Empfindungen, gehen dann in abgeschw�chtere Formen (Pantheismus) �ber, w�hrend sie sich der Wissenschaft n�hern; kommen �ber Gott, Unsterblichkeit und dergleichen ganz hinaus, aber verfallen den Zaubern einer metaphysischen Philosophie. Auch diese wird ihnen endlich unglaubw�rdig; die Kunst scheint dagegen immer mehr zu gew�hren, so dass eine Zeit lang die Metaphysik kaum noch in einer Umwandelung zur Kunst oder als k�nstlerisch verkl�rende Stimmung �brig bleibt und fortlebt. Aber der wissenschaftliche Sinn wird immer gebieterischer und f�hrt den Mann hin zur Naturwissenschaft und Historie und namentlich zu den strengsten Methoden des Erkennens, w�hrend der Kunst eine immer mildere und anspruchslosere Bedeutung zuf�llt. Diess Alles pflegt sich jetzt innerhalb der ersten dreissig Jahre eines Mannes zu ereignen. Es ist die Recapitulation eines Pensums, an welchem die Menschheit vielleicht dreissigtausend Jahre sich abgearbeitet hat. 273. Zur�ckgegangen, nicht zur�ckgeblieben. - Wer gegenw�rtig seine Entwickelung noch aus religi�sen Empfindungen heraus anhebt und vielleicht l�ngere Zeit nachher in Metaphysik und Kunst weiterlebt, der hat sich allerdings ein gutes St�ck zur�ckbegeben und beginnt sein Wettrennen mit anderen modernen Menschen unter ung�nstigen Voraussetzungen: er verliert scheinbar Raum und Zeit. Aber dadurch, dass er sich in jenen Bereichen aufhielt, wo Gluth und Energie entfesselt werden und fortw�hrend Macht als vulcanischer Strom aus unversiegbarer Quelle str�mt, kommt er dann, sobald er sich nur zur rechten Zeit von jenen Gebieten getrennt hat, um so schneller vorw�rts, sein Fuss ist befl�gelt, seine Brust hat ruhiger, l�nger, ausdauernder athmen gelernt. - Er hat sich nur zur�ckgezogen, um zu seinem Sprunge gen�genden Raum zu haben: so kann selbst etwas F�rchterliches, Drohendes in diesem R�ckgange liegen. 274. Ein Ausschnitt unseres Selbst als k�nstlerisches Object. - Es ist ein Zeichen �berlegener Cultur, gewisse Phasen der Entwickelung, welche die geringeren Menschen fast gedankenlos durchleben und von der Tafel ihrer Seele dann wegwischen, mit Bewusstsein festzuhalten und ein getreues Bild davon zu entwerfen: denn diess ist die h�here Gattung der Malerkunst, welche nur Wenige verstehen. Dazu wird es n�thig, jene Phasen k�nstlich zu isoliren. Die historischen Studien bilden die Bef�higung zu diesem Malerthum aus, denn sie fordern uns fortw�hrend auf, bei Anlass eines St�ckes Geschichte, eines Volkes - oder Menschenlebens uns einen ganz bestimmten Horizont von Gedanken, eine bestimmte St�rke von Empfindungen, das Vorwalten dieser, das Zur�cktreten jener vorzustellen. Darin, dass man solche Gedanken- und Gef�hlssysteme aus gegebenen Anl�ssen schnell reconstruiren kann, wie den Eindruck eines Tempels aus einigen zuf�llig stehen gebliebenen S�ulen und Mauerresten, besteht der historische Sinn. Das n�chste Ergebniss desselben ist, dass wir unsere Mitmenschen als ganz bestimmte solche Systeme und Vertreter verschiedener Culturen verstehen, das heisst als nothwendig, aber als ver�nderlich. Und wiederum, dass wir in unserer eigenen Entwickelung St�cke heraustrennen und selbst�ndig hinstellen k�nnen. 275. Cyniker und Epikureer. - Der Cyniker erkennt den Zusammenhang zwischen den vermehrten und st�rkeren Schmerzen des h�her cultivirten Menschen und der F�lle von Bed�rfnissen; er begreift also, dass die Menge von Meinungen �ber das Sch�ne, Schickliche, Geziemende, Erfreuende ebenso sehr reiche Genuss-, aber auch Unlustquellen entspringen lassen musste. Gem�ss dieser Einsicht bildet er sich zur�ck, indem er viele dieser Meinungen aufgiebt und sich gewissen Anforderungen der Cultur entzieht; damit gewinnt er ein Gef�hl der Freiheit und der Kr�ftigung; und allm�hlich, wenn die Gewohnheit ihm seine Lebensweise ertr�glich macht, hat er in der That seltnere und schw�chere Unlustempfindungen, als die cultivirten Menschen, und n�hert sich dem Hausthier an; �berdiess empfindet er Alles im Reiz des Contrastes und - schimpfen kann er ebenfalls nach Herzenslust; so dass er dadurch wieder hoch �ber die Empfindungswelt des Thieres hinauskommt. - Der Epikureer hat den selben Gesichtspunct wie der Cyniker; zwischen ihm und jenem ist gew�hnlich nur ein Unterschied des Temperamentes. Sodann benutzt der Epikureer seine h�here Cultur, um sich von den herrschenden Meinungen unabh�ngig zu machen; er erhebt sich �ber dieselben, w�hrend der Cyniker nur in der Negation bleibt. Er wandelt gleichsam in windstillen, wohlgesch�tzten, halbdunkelen G�ngen, w�hrend �ber ihm, im Winde, die Wipfel der B�ume brausen und ihm verrathen, wie heftig bewegt da draussen die Welt ist. Der Cyniker dagegen geht gleichsam nackt draussen im Windeswehen umher und h�rtet sich bis zur Gef�hllosigkeit ab. 276. Mikrokosmus und Makrokosmus der Cultur. - Die besten Entdeckungen �ber die Cultur macht der Mensch in sich selbst, wenn er darin zwei heterogene M�chte waltend findet. Gesetzt, es lebe Einer eben so sehr in der Liebe zur bildenden Kunst oder zur Musik als er vom Geiste der Wissenschaft fortgerissen werde, und er sehe es als unm�glich an, diesen Widerspruch durch Vernichtung der einen und volle Entfesselung der anderen Macht aufzuheben: so bleibt ihm nur �brig, ein so grosses Geb�ude der Cultur aus sich zu gestalten, dass jene beiden M�chte, wenn auch an verschiedenen Enden desselben, in ihm wohnen k�nnen, w�hrend zwischen ihnen vers�hnende Mittelm�chte, mit �berwiegender Kraft, um n�thigen falls den ausbrechenden Streit zu schlichten, ihre Herberge haben. Ein solches Geb�ude der Cultur im einzelnen Individuum wird aber die gr�sste Aehnlichkeit mit dem Culturbau in ganzen Zeitperioden haben und eine fortgesetzte analogische Belehrung �ber denselben abgeben. Denn �berall, wo sich die grosse Architektur der Cultur entfaltet hat, war ihre Aufgabe, die einander widerstrebenden M�chte zur Eintracht verm�ge einer �berm�chtigen Ansammelung der weniger unvertr�glichen �brigen M�chte zu zwingen, ohne sie desshalb zu unterdr�cken und in Fesseln zu schlagen. 277. Gl�ck und Cultur. - Der Anblick der Umgebungen unserer Kindheit ersch�ttert uns: das Gartenhaus, die Kirche mit den Gr�bern, der Teich und der Wald, - diess sehen wir immer als Leidende wieder. Mitleid mit uns selbst ergreift uns, denn was haben wir seitdem Alles durchgelitten! Und hier steht jegliches noch so still, so ewig da: nur wir sind so anders, so bewegt; selbst etliche Menschen finden wir wieder, an welchen die Zeit nicht mehr ihren Zahn gewetzt hat, als an einem Eichenbaume: Bauern, Fischer, Waldbewohner - sie sind die selben. - Ersch�tterung, Selbstmitleid im Angesichte der niederen Cultur ist das Zeichen der h�heren Cultur; woraus sich ergiebt, dass durch diese das Gl�ck jedenfalls nicht gemehrt worden ist. Wer eben Gl�ck und Behagen vom Leben ernten will, der mag nur immer der h�heren Cultur aus dem Wege gehen. 278. Gleichniss vom Tanze. - Jetzt ist es als das entscheidende Zeichen grosser Cultur zu betrachten, wenn jemand jene Kraft und Biegsamkeit besitzt, um ebenso rein und streng im Erkennen zu sein als, in andern Momenten, auch bef�higt, der Poesie, Religion und Metaphysik gleichsam hundert Schritte vorzugeben und ihre Gewalt und Sch�nheit nachzuempfinden. Eine solche Stellung zwischen zwei so verschiedenen Anspr�chen ist sehr schwierig, denn die Wissenschaft dr�ngt zur absoluten Herrschaft ihrer Methode, und wird diesem Dr�ngen nicht nachgegeben, so entsteht die andere Gefahr eines schw�chlichen Auf- und Niederschwankens zwischen verschiedenen Antrieben. Indessen: um wenigstens mit einem Gleichniss einen Blick auf die L�sung dieser Schwierigkeit zu er�ffnen, m�ge man sich doch daran erinnern, dass der Tanz nicht das Selbe wie ein mattes Hin- und Hertaumeln zwischen verschiedenen Antrieben ist. Die hohe Cultur wird einem k�hnen Tanze �hnlich sehen: wesshalb, wie gesagt, viel Kraft und Geschmeidigkeit noth thut. 279. Von der Erleichterung des Lebens. - Ein Hauptmittel, um sich das Leben zu erleichtern, ist das Idealisiren aller Vorg�nge desselben; man soll sich aber aus der Malerei recht deutlich machen, was idealisiren heisst. Der Maler verlangt, dass der Zuschauer nicht zu genau, zu scharf zusehe, er zwingt ihn in eine gewisse Ferne zur�ck, damit er von dort aus betrachte; er ist gen�thigt, eine ganz bestimmte Entfernung des Betrachters vom Bilde vorauszusetzen; ja er muss sogar ein ebenso bestimmtes Maass von Sch�rfe des Auges bei seinem Betrachter annehmen; in solchen Dingen darf er durchaus nicht schwanken. Jeder also, der sein Leben idealisiren will, muss es nicht zu genau sehen wollen und seinen Blick immer in eine gewisse Entfernung zur�ckbannen. Dieses Kunstst�ck verstand zum Beispiel Goethe. 280. Erschwerung als Erleichterung und umgekehrt. - Vieles, was auf gewissen Stufen des Menschen Erschwerung des Lebens ist, dient einer h�heren Stufe als Erleichterung, weil solche Menschen st�rkere Erschwerungen des Lebens kennen gelernt haben. Ebenso kommt das Umgekehrte vor: so hat zum Beispiel die Religion ein doppeltes Gesicht, je nachdem ein Mensch zu ihr hinaufblickt, um von ihr sich seine Last und Noth abnehmen zu lassen, oder auf sie hinabsieht, wie auf die Fessel, welche ihm angelegt ist, damit er nicht zu hoch in die L�fte steige. 281. Die h�here Cultur wird nothwendig missverstanden. - Wer sein Instrument nur mit zwei Saiten bespannt hat, wie die Gelehrten, welche ausser dem Wissenstrieb nur noch einen anerzogenen religi�sen haben, der versteht solche Menschen nicht, welche auf mehr Saiten spielen k�nnen. Es liegt im Wesen der h�heren vielsaitigeren Cultur, dass sie von der niederen immer falsch gedeutet wird; wie diess zum Beispiel geschieht, wenn die Kunst als eine verkappte Form des Religi�sen gilt. Ja Leute, die nur religi�s sind, verstehen selbst die Wissenschaft als Suchen des religi�sen Gef�hls, so wie Taubstumme nicht wissen, was Musik ist, wenn nicht sichtbare Bewegung. 282. Klagelied. - Es sind vielleicht die Vorz�ge unserer Zeiten, welche ein Zur�cktreten und eine gelegentliche Untersch�tzung der vita contemplativa mit sich bringen. Aber eingestehen muss man es sich, dass unsere Zeit arm ist an grossen Moralisten, dass Pascal, Epictet, Seneca, Plutarch wenig noch gelesen werden, dass Arbeit und Fleiss - sonst im Gefolge der grossen G�ttin Gesundheit - mitunter wie eine Krankheit zu W�then scheinen. Weil Zeit zum Denken und Ruhe im Denken fehlt, so erw�gt man abweichende Ansichten nicht mehr: man begn�gt sich, sie zu hassen. Bei der ungeheuren Beschleunigung des Lebens wird Geist und Auge an ein halbes oder falsches Sehen und Urtheilen gew�hnt, und jedermann gleicht den Reisenden, welche Land und Volk von der Eisenbahn aus kennen lernen. Selbst�ndige und vorsichtige Haltung der Erkenntniss sch�tzt man beinahe als eine Art Verr�cktheit ab, der Freigeist ist in Verruf gebracht, namentlich durch Gelehrte, welche an seiner Kunst, die Dinge zu betrachten, ihre Gr�ndlichkeit und ihren Ameisenfleiss vermissen und ihn gern in einen einzelnen Winkel der Wissenschaft bannen m�chten: w�hrend er die ganz andere und h�here Aufgabe hat, von einem einsam gelegenen Standorte aus den ganzen Heerbann der wissenschaftlichen und gelehrten Menschen zu befehligen und ihnen die Wege und Ziele der Cultur zu zeigen. - Eine solche Klage, wie die eben abgesungene, wird wahrscheinlich ihre Zeit haben und von selber einmal, bei einer gewaltigen R�ckkehr des Genius' der Meditation, verstummen. 283. Hauptmangel der th�tigen Menschen. - Den Th�tigen fehlt gew�hnlich die h�here Th�tigkeit: ich meine die individuelle. Sie sind als Beamte, Kaufleute, Gelehrte, das heisst als Gattungswesen th�tig, aber nicht als ganz bestimmte einzelne und einzige Menschen; in dieser Hinsicht sind sie faul. - Es ist das Ungl�ck der Th�tigen, dass ihre Th�tigkeit fast immer ein Wenig unvern�nftig ist. Man darf zum Beispiel bei dem geldsammelnden Banquier nach dem Zweck seiner rastlosen Th�tigkeit nicht fragen: sie ist unvern�nftig. Die Th�tigen rollen, wie der Stein rollt, gem�ss der Dummheit der Mechanik. - Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten so auch jetzt noch, in Sclaven und Freie; denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel f�r sich hat, ist ein Sclave, er sei �brigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter. 284. Zu Gunsten der M�ssigen. - Zum Zeichen daf�r, dass die Sch�tzung des beschaulichen Lebens abgenommen hat, wetteifern die Gelehrten jetzt mit den th�tigen Menschen in einer Art von hastigem Genusse, so dass sie also diese Art, zu geniessen, h�her zu sch�tzen scheinen, als die, welche ihnen eigentlich zukommt und welche in der That viel mehr Genuss ist. Die Gelehrten sch�men sich des otium. Es ist aber ein edel Ding um Musse und M�ssiggehen. - Wenn M�ssiggang wirklich der Anfang aller Laster ist, so befindet er sich also wenigstens in der n�chsten N�he aller Tugenden; der m�ssige Mensch ist immer noch ein besserer Mensch als der th�tige. - Ihr meint doch nicht, dass ich mit Musse und M�ssiggehen auf euch ziele, ihr Faulthiere? - 285. Die moderne Unruhe. - Nach dem Westen zu wird die moderne Bewegtheit immer gr�sser, so dass den Amerikanern die Bewohner Europa's insgesammt sich als ruheliebende und geniessende Wesen darstellen, w�hrend diese doch selbst wie Bienen und Wespen durcheinander fliegen. Diese Bewegtheit wird so gross, dass die h�here Cultur ihre Fr�chte nicht mehr zeitigen kann; es ist, als ob die Jahreszeiten zu rasch auf einander folgten. Aus Mangel an Ruhe l�uft unsere Civilisation in eine neue Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Th�tigen, das heisst die Ruhelosen, mehr gegolten. Es geh�rt desshalb zu den nothwendigen Correcturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in grossem Maasse zu verst�rken. Doch hat schon jeder Einzelne, welcher in Herz und Kopf ruhig und stetig ist, das Recht zu glauben, dass er nicht nur ein gutes Temperament, sondern eine allgemein n�tzliche Tugend besitze und durch die Bewahrung dieser Tugend sogar eine h�here Aufgabe erf�lle. 286. Inwiefern der th�tige faul ist. - Ich glaube, dass jeder �ber jedes Ding, �ber welches Meinungen m�glich sind, eine eigene Meinung haben muss, weil er selber ein eigenes, nur einmaliges Ding ist, das zu allen anderen Dingen eine neue, nie dagewesene Stellung einnimmt. Aber die Faulheit, welche im Grunde der Seele des Th�tigen liegt, verhindert den Menschen, das Wasser aus seinem eigenen Brunnen zu sch�pfen. - Mit der Freiheit der Meinungen steht es wie mit der Gesundheit: beide sind individuell, von beiden kann kein allgemein g�ltiger Begriff aufgestellt werden. Das, was das eine Individuum zu seiner Gesundheit n�thig hat, ist f�r ein anderes schon Grund zur Erkrankung, und manche Mittel und Wege zur Freiheit des Geistes d�rfen h�her entwickelten Naturen als Wege und Mittel zur Unfreiheit gelten. 287. Censor vitae. Der Wechsel von Liebe und Hass bezeichnet f�r eine lange Zeit den inneren Zustand eines Menschen, welcher frei in seinem Urtheile �ber das Leben werden will; er vergisst nicht und tr�gt den Dingen Alles nach, Gutes und B�ses. Zuletzt, wenn die ganze Tafel seiner Seele mit Erfahrungen voll geschrieben ist, wird er das Dasein nicht verachten und hassen, aber es auch nicht lieben, sondern �ber ihm liegen bald mit dem Auge der Freude, bald mit dem der Trauer, und, wie die Natur, bald sommerlich, bald herbstlich gesinnt sein. 288. Nebenerfolg. - Wer ernstlich frei werden will, wird dabei ohne allen Zwang die Neigung zu Fehlern und Lastern mit verlieren; auch Aerger und Verdruss werden ihn immer seltener anfallen. Sein Wille n�mlich will Nichts angelegentlicher, als Erkennen und das Mittel dazu, das heisst: den andauernden Zustand, in dem er am t�chtigsten zum Erkennen ist. 289. Werth der Krankheit. - Der Mensch, der krank zu Bette liegt, kommt mitunter dahinter, dass er f�r gew�hnlich an seinem Amte, Gesch�fte oder an seiner Gesellschaft krank ist und durch sie jede Besonnenheit �ber sich verloren hat: er gewinnt diese Weisheit aus der Musse, zu welcher ihn seine Krankheit zwingt. 290. Empfindung auf dem Lande. - Wenn man nicht feste, ruhige Linien am Horizonte seines Lebens hat, Gebirgs- und Waldlinien gleichsam, so wird der innerste Wille des Menschen selber unruhig, zerstreut und begehrlich wie das Wesen des St�dters: er hat kein Gl�ck und giebt kein Gl�ck. 291. Vorsicht der freien Geister. - Freigesinnte, der Erkenntniss allein lebende Menschen werden ihr �usserliches Lebensziel, ihre endg�ltige Stellung zu Gesellschaft und Staat bald erreicht finden und zum Beispiel mit einem kleinen Amte oder einem Verm�gen, das gerade zum Leben ausreicht, gerne sich zufrieden geben; denn sie werden sich einrichten so zu leben, dass eine grosse Verwandelung der �usseren G�ter, ja ein Umsturz der politischen Ordnungen ihr Leben nicht mit umwirft. Auf alle diese Dinge verwenden sie so wenig wie m�glich an Energie, damit sie mit der ganzen angesammelten Kraft und gleichsam mit einem langen Athem in das Element des Erkennens hinabtauchen. So k�nnen sie hoffen, tief zu tauchen und auch wohl auf den Grund zu sehen. - Von einem Ereigniss wird ein solcher Geist gerne nur einen Zipfel nehmen, er liebt die Dinge in der ganzen Breite und Weitschweifigkeit ihrer Falten nicht: denn er will sich nicht in diese verwickeln. - Auch er kennt die Wochentage der Unfreiheit, der Abh�ngigkeit, der Dienstbarkeit. Aber von Zeit zu Zeit muss ihm ein Sonntag der Freiheit kommen, sonst wird er das Leben nicht aushalten. - Es ist wahrscheinlich, dass selbst seine Liebe zu den Menschen vorsichtig und etwas kurzathmig sein wird, denn er will sich nur, so weit es zum Zwecke der Erkenntniss n�thig ist, mit der Welt der Neigungen und der Blindheit einlassen. Er muss darauf vertrauen, dass der Genius der Gerechtigkeit Etwas f�r seinen J�nger und Sch�tzling sagen wird, wenn anschuldigende Stimmen ihn arm an Liebe nennen sollten. - Es giebt in seiner Lebens- und Denkweise einen verfeinerten Heroismus, welcher es verschm�ht, sich der grossen Massen-Verehrung, wie sein gr�berer Bruder es thut, anzubieten und still durch die Welt und aus der Welt zu gehen pflegt. Was f�r Labyrinthe er auch durchwandert, unter welchen Felsen sich auch sein Strom zeitweilig durchgequ�lt hat - kommt er an's Licht, so geht er hell, leicht und fast ger�uschlos seinen Gang und l�sst den Sonnenschein bis in seinen Grund hinab spielen. 292. Vorw�rts. - Und damit vorw�rts auf der Bahn der Weisheit, guten Schrittes, guten Vertrauens! Wie du auch bist, so diene dir selber als Quell der Erfahrung! Wirf das Missvergn�gen �ber dein Wesen ab, verzeihe dir dein eignes Ich, denn in jedem Falle hast du an dir eine Leiter mit hundert Sprossen, auf welchen du zur Erkenntniss steigen kannst. Das Zeitalter, in welches du dich mit Leidwesen geworfen f�hlst, preist dich selig dieses Gl�ckes wegen; es ruft dir zu, dass dir jetzt noch an Erfahrungen zu Theil werde, was Menschen sp�terer Zeit vielleicht entbehren m�ssen. Missachte es nicht, noch religi�s gewesen zu sein; ergr�nde es v�llig, wie du noch einen �chten Zugang zur Kunst gehabt hast. Kannst du nicht gerade mit H�lfe dieser Erfahrungen ungeheuren Wegstrecken der fr�heren Menschheit verst�ndnisvoller nachgehen? Sind nicht gerade auf dem Boden, welcher dir mitunter so missf�llt, auf dem Boden des unreinen Denkens, viele der herrlichsten Fr�chte �lterer Cultur aufgewachsen? Man muss Religion und Kunst wie Mutter und Amme geliebt haben, - sonst kann man nicht weise werden. Aber man muss �ber sie hinaus sehen, ihnen entwachsen k�nnen; bleibt man in ihrem Banne, so versteht man sie nicht. Ebenso muss dir die Historie vertraut sein und das vorsichtige Spiel mit den Wagschalen: "einerseits-andererseits". Wandle zur�ck, in die Fussstapfen tretend, in welchen die Menschheit ihren leidvollen grossen Gang durch die W�ste der Vergangenheit machte: so bist du am gewissesten belehrt, wohin alle sp�tere Menschheit nicht wieder gehen kann oder darf. Und indem du mit aller Kraft vorausersp�hen willst, wie der Knoten der Zukunft noch gekn�pft wird, bekommt dein eigenes Leben den Werth eines Werkzeuges und Mittels zur Erkenntniss. Du hast es in der Hand zu erreichen, dass all dein Erlebtes: die Versuche, Irrwege, Fehler, T�uschungen, Leidenschaften, deine Liebe und deine Hoffnung, in deinem Ziele ohne Rest aufgehn. Dieses Ziel ist, selber eine nothwendige Kette von Cultur-Ringen zu werden und von dieser Nothwendigkeit aus auf die Nothwendigkeit im Gange der allgemeinen Cultur zu schliessen. Wenn dein Blick stark genug geworden ist, den Grund in dem dunklen Brunnen deines Wesens und deiner Erkenntnisse zu sehen, so werden dir vielleicht auch in seinem Spiegel die fernen Sternbilder zuk�nftiger Culturen sichtbar werden. Glaubst du, ein solches Leben mit einem solchen Ziele sei zu m�hevoll, zu ledig aller Annehmlichkeiten? So hast du noch nicht gelernt, dass kein Honig s�sser als der der Erkenntniss ist und dass die h�ngenden Wolken der Tr�bsal dir noch zum Euter dienen m�ssen, aus dem du die Milch zu deiner Labung melken wirst. Kommt das Alter, so merkst du erst recht, wie du der Stimme der Natur Geh�r gegeben, jener Natur, welche die ganze Welt durch Lust beherrscht: das selbe Leben, welches seine Spitze im Alter hat, hat auch seine Spitze in der Weisheit, in jenem milden Sonnenglanz einer best�ndigen geistigen Freudigkeit; beiden, dem Alter und der Weisheit, begegnest du auf Einem Bergr�cken des Lebens, so wollte es die Natur. Dann ist es Zeit und kein Anlass zum Z�rnen, dass der Nebel des Todes naht. Dem Lichte zu - deine letzte Bewegung; ein jauchzen der Erkenntniss - dein letzter Laut. Sechstes Hauptst�ck. Der Mensch im Verkehr. 293. Wohlwollende Verstellung. - Es ist h�ufig im Verkehre mit Menschen eine wohlwollende Verstellung n�thig, als ob wir die Motive ihres Handelns nicht durchschauten. 294. Copien. - Nicht selten begegnet man Copien bedeutender Menschen; und den Meisten gefallen, wie bei Gem�lden, so auch hier, die Copien besser als die Originale. 295. Der Redner. - Man kann h�chst passend reden und doch so, dass alle Weldt �ber das Gegentheil schreit: n�mlich dann, wenn man nicht zu aller Welt redet. 296. Mangel an Vertraulichkeit. - Mangel an Vertraulichkeit unter Freunden ist ein Fehler, der nicht ger�gt werden kann, ohne unheilbar zu werden. 297. Zur Kunst des Schenkens. - Eine Gabe ausschlagen zu m�ssen, blos weil sie nicht auf die rechte Weise angeboten wurde, erbittert gegen den Geber. 298. Der gef�hrlichste Parteimann. - In jeder Partei ist Einer, der durch sein gar zu gl�ubiges Aussprechen der Parteigrunds�tze die Uebrigen zum Abfall reizt. 299. Rathgeber des Kranken. Wer einem Kranken seine Rathschl�ge giebt, erwirbt sich ein Gef�hl von Ueberlegenheit �ber ihn, sei es, dass sie angenommen oder dass sie verworfen werden. Desshalb hassen reizbare und stolze Kranke die Rathgeber noch mehr als ihre Krankheit. 300. Doppelte Art der Gleichheit. - Die Sucht nach Gleichheit kann sich so �ussern, dass man entweder alle Anderen zu sich hinunterziehen m�chte (durch Verkleinern, Secretiren, Beinstellen) oder sich mit Allen hinauf (durch Anerkennen, Helfen, Freude an fremdem Gelingen). 301. Gegen Verlegenheit. - Das beste Mittel, sehr verlegenen Leuten zu H�lfe zu kommen und sie zu beruhigen, besteht darin, dass man sie entschieden lobt. 302. Vorliebe f�r einzelne Tugenden. - Wir legen nicht eher besonderen Werth auf den Besitz einer Tugend, bis wir deren v�llige Abwesenheit an unserem Gegner wahrnehmen. 303. Warum man widerspricht. - Man widerspricht oft einer Meinung, w�hrend uns eigentlich nur der Ton, mit dem sie vorgetragen wurde, unsympathisch ist. 304. Vertrauen und Vertraulichkeit. - Wer die Vertraulichkeit mit einer anderen Person geflissentlich zu erzwingen sucht, ist gew�hnlich nicht sicher dar�ber, ob er ihr Vertrauen besitzt. Wer des Vertrauens sicher ist, legt auf Vertraulichkeit wenig Werth. 305. Gleichgewicht der Freundschaft. - Manchmal kehrt, im Verh�ltniss von uns zu einem andern Menschen, das rechte Gleichgewicht der Freundschaft zur�ck, wenn wir in unsre eigene Wagschale einige Gran Unrecht legen. 306. Die gef�hrlichsten Aerzte. - Die gef�hrlichsten Aerzte sind die, welche es dem geborenen Arzte als geborene Schauspieler mit vollkommener Kunst der T�uschung nachmachen. 307. Wann Paradoxien am Platze sind. - Geistreichen Personen braucht man mitunter, um sie f�r einen Satz zu gewinnen, denselben nur in der Form einer ungeheuerlichen Paradoxie vorzulegen. 308. Wie muthige Leute gewonnen werden. - Muthige Leute �berredet man dadurch zu einer Handlung, dass man dieselbe gef�hrlicher darstellt, als sie ist. 309. Artigkeiten. - Unbeliebten Personen rechnen wir die Artigkeiten, welche sie uns erweisen, zum Vergehen an. 310. Warten lassen. - Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen b�se Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen. Diess macht unmoralisch. 311. Gegen die Vertraulichen. - Leute, welche uns ihr volles Vertrauen schenken, glauben dadurch ein Recht auf das unsrige zu haben. Diess ist ein Fehlschluss; durch Geschenke erwirbt man keine Rechte. 312. Ausgleichsmittel. - Es gen�gt oft, einem Andern, dem man einen Nachtheil zugef�gt hat, Gelegenheit zu einem Witze �ber uns zu geben, um ihm pers�nlich Genugthuung zu schaffen, ja um ihn f�r uns gut zu stimmen. 313. Eitelkeit der Zunge. - Ob der Mensch seine schlechten Eigenschaften und Laster verbirgt oder mit Offenheit sie eingesteht, so w�nscht doch in beiden F�llen seine Eitelkeit einen Vortheil dabei zu haben: man beachte nur, wie fein er unterscheidet, vor wem er jene Eigenschaften verbirgt, vor wem er ehrlich und offenherzig wird. 314. R�cksichtsvoll. - Niemanden kr�nken, Niemanden beeintr�chtigen wollen kann ebensowohl das Kennzeichen einer gerechten, als einer �ngstlichen Sinnesart sein. 315. Zum Disputiren erforderlich. - Wer seine Gedanken nicht auf Eis zu legen versteht, der soll sich nicht in die Hitze des Streites begeben. 316. Umgang und Anmaassung. - Man verlernt die Anmaassung, wenn man sich immer unter verdienten Menschen weiss; Allein-sein pflanzt Uebermuth. Junge Leute sind anmaassend, denn sie gehen mit Ihresgleichen um, welche alle Nichts sind, aber gerne viel bedeuten. 317. Motiv des Angriffs. - Man greift nicht nur an, um jemandem wehe zu thun, ihn zu besiegen, sondern vielleicht auch nur, um sich seiner Kraft bewusst zu werden. 318. Schmeichelei. - Personen, welche unsere Vorsicht im Verkehr mit ihnen durch Schmeicheleien bet�uben wollen, wenden ein gef�hrliches Mittel an, gleichsam einen Schlaftrunk, welcher, wenn er nicht einschl�fert, nur um so mehr wach erh�lt. 319. Guter Briefschreiber. - Der, welcher keine B�cher schreibt, viel denkt und in unzureichender Gesellschaft lebt, wird gew�hnlich ein guter Briefschreiber sein. 320. Am h�sslichsten. - Es ist zu bezweifeln, ob ein Vielgereister irgendwo in der Welt h�sslichere Gegenden gefunden hat, als im menschlichen Gesichte. 321. Die Mitleidigen. - Die mitleidigen, im Ungl�ck jederzeit h�lfreichen Naturen sind selten zugleich die sich mitfreuenden: beim Gl�ck der Anderen haben sie Nichts zu thun, sind �berfl�ssig, f�hlen sich nicht im Besitz ihrer Ueberlegenheit und zeigen desshalb leicht Missvergn�gen. 322. Verwandte eines Selbstm�rders. - Verwandte eines Selbstm�rders rechnen es ihm �bel an, dass er nicht aus R�cksicht auf ihren Ruf am Leben geblieben ist. 323. Undank vorauszusehen. - Der, welcher etwas Grosses schenkt, findet keine Dankbarkeit; denn der Beschenkte hat schon durch das Annehmen zu viel Last. 324. In geistloser Gesellschaft. - Niemand dankt dem geistreichen Menschen die H�flichkeit, wenn er sich einer Gesellschaft gleichstellt, in der es nicht h�flich ist, Geist zu zeigen. 325. Gegenwart von Zeugen. - Man springt einem Menschen, der in's Wasser f�llt, noch einmal so gern nach, wenn Leute zugegen sind, die es nicht wagen. 326. Schweigen. - Die f�r beide Parteien unangenehmste Art, eine Polemik zu erwidern, ist, sich �rgern und schweigen: denn der Angreifende erkl�rt sich das Schweigen gew�hnlich als Zeichen der Verachtung. 327. Das Geheimniss des Freundes. - Es wird Wenige geben, welche, wenn sie um Stoff zur Unterhaltung verlegen sind, nicht die geheimeren Angelegenheiten ihrer Freunde preisgeben. 328. Humanit�t. - Die Humanit�t der Ber�hmtheiten des Geistes besteht darin, im Verkehre mit Unber�hmten auf eine verbindliche Art Unrecht zu behalten. 329. Der Befangene. - Menschen, die sich in der Gesellschaft nicht sicher f�hlen, benutzen jede Gelegenheit, um an einem Nahegestellten, dem sie �berlegen sind, diese Ueberlegenheit �ffentlich, vor der Gesellschaft, zu zeigen, zum Beispiel durch Neckereien. 330. Dank. - Eine feine Seele bedr�ckt es, sich Jemanden zum Dank verpflichtet zu wissen; eine grobe, sich Jemandem. 331. Merkmal der Entfremdung. - Das st�rkste Anzeichen von Entfremdung der Ansichten bei zwei Menschen ist diess, dass beide sich gegenseitig einiges Ironische sagen, aber keiner von beiden das Ironische daran f�hlt. 332. Anmaassung bei Verdiensten. - Anmaassung bei Verdiensten beleidigt noch mehr, als Anmaassung von Menschen ohne Verdienst. denn schon das Verdienst beleidigt. 333. Gefahr in der Stimme. - Mitunter macht uns im Gespr�che der Klang der eigenen Stimme verlegen und verleitet uns zu Behauptungen, welche gar nicht unserer Meinung entsprechen. 334. Im Gespr�che. - Ob man im Gespr�che dem Andern vornehmlich Recht giebt oder Unrecht, ist durchaus die Sache der Angew�hnung: das Eine wie das Andere hat Sinn. 335. Furcht vor dem N�chsten. - Wir f�rchten die feindselige Stimmung des N�chsten, weil wir bef�rchten, dass er durch diese Stimmung hinter unsere Heimlichkeiten kommt. 336. Durch Tadel auszeichnen. - Sehr angesehene Personen ertheilen selbst ihren Tadel so, dass sie uns damit auszeichnen wollen. Es soll uns aufmerksam machen, wie angelegentlich sie sich mit uns besch�ftigen. Wir verstehen sie ganz falsch, wenn wir ihren Tadel sachlich nehmen und uns gegen ihn vertheidigen; wir �rgern sie dadurch und entfremden uns ihnen. 337. Verdruss am Wohlwollen Anderer. - Wir irren uns �ber den Grad, in welchem wir uns gehasst, gef�rchtet glauben: weil wir selber zwar gut den Grad unserer Abweichung von einer Person, Richtung, Partei kennen, jene Andern aber uns sehr oberfl�chlich kennen und desshalb auch nur oberfl�chlich hassen. Wir begegnen oft einem Wohlwollen, welches uns unerkl�rlich ist; verstehen wir es aber, so beleidigt es uns, weil es zeigt, dass man uns nicht ernst, nicht wichtig genug nimmt. 338. Sich kreuzende Eitelkeiten. - Zwei sich begegnende Personen, deren Eitelkeit gleich gross ist, behalten hinterdrein von einander einen schlechten Eindruck, weil jede so mit dem Eindruck besch�ftigt war, den sie bei der andern hervorbringen wollte, dass die andere auf sie keinen Eindruck machte; beide merken endlich, dass ihr Bem�hen verfehlt ist und schieben je der andern die Schuld zu. 339. Unarten als gute Anzeichen. - Der �berlegene Geist hat an den Tactlosigkeiten, Anmaassungen, ja Feindseligkeiten ehrgeiziger J�nglinge gegen ihn sein Vergn�gen; es sind die Unarten feuriger Pferde, welche noch keinen Reiter getragen haben und doch in Kurzem so stolz sein werden, ihn zu tragen. 340. Wann es rathsam ist, Unrecht zu behalten. - Man thut gut, gemachte Anschuldigungen, selbst wenn sie uns Unrecht thun, ohne Widerlegung hinzunehmen, im Fall der Anschuldigende darin ein noch gr�sseres Unrecht unsererseits sehen w�rde, wenn wir ihm widerspr�chen und etwa gar ihn widerlegten. Freilich kann Einer auf diese Weise immer Unrecht haben und immer Recht behalten und zuletzt mit dem besten Gewissen von der Welt der unertr�glichste Tyrann und Qu�lgeist werden; und was vom Einzelnen gilt, kann auch bei ganzen Classen der Gesellschaft vorkommen. 341. Zuwenig geehrt. - Sehr eingebildete Personen, denen man Zeichen von geringerer Beachtung gegeben hat, als sie erwarteten, versuchen lange, sich selbst und Andere dar�ber irre zu f�hren und werden spitzfindige Psychologiker, um herauszubekommen, dass der Andere sie doch gen�gend geehrt hat: erreichen sie ihr Ziel nicht, reisst der Schleier der T�uschung, so geben sie sich einer um so gr�sseren Wuth hin. 342. Urzust�nde in der Rede nachklingend. - In der Art, wie jetzt die M�nner im Verkehre Behauptungen aufstellen, erkennt man oft einen Nachklang der Zeiten, wo dieselben sich besser auf Waffen, als auf irgend Etwas verstanden: sie handhaben ihre Behauptungen bald wie zielende Sch�tzen ihr Gewehr, bald glaubt man das Sausen und Klirren der Klingen zu h�ren; und bei einigen M�nnern poltert eine Behauptung herab wie ein derber Kn�ttel. - Frauen dagegen sprechen so, wie Wesen, welche Jahrtausende lang am Webstuhl sassen oder die Nadel f�hrten oder mit Kindern kindisch waren. 343. Der Erz�hler. - Wer Etwas erz�hlt, l�sst leicht merken, ob er erz�hlt, weil ihn das Factum interessirt oder weil er durch die Erz�hlung interessiren will. Im letzteren Falle wird er �bertreiben, Superlative gebrauchen und Aehnliches thun. Er erz�hlt dann gew�hnlich schlechter, weil er nicht so sehr an die Sache, als an sich denkt. 344. Der Vorleser. - Wer dramatische Dichtungen vorliest, macht Entdeckungen �ber seinen Charakter: er findet f�r gewisse Stimmungen und Scenen seine Stimme nat�rlicher, als f�r andere, etwa f�r alles Pathetische oder f�r das Scurrile, w�hrend er vielleicht im gew�hnlichen Leben nur nicht Gelegenheit hatte, Pathos oder Scurrilit�t zu zeigen. 345. Eine Lustspiel-Scene, welche im Leben vorkommt. - Jemand denkt sich eine geistreiche Meinung �ber ein Thema aus, um sie in einer Gesellschaft vorzutragen. Nun w�rde man im Lustspiel anh�ren und ansehen, wie er mit allen Segeln an den Punct zu kommen und die Gesellschaft dort einzuschiffen sucht, wo er seine Bemerkung machen kann: wie er fortw�hrend die Unterhaltung nach Einem Ziele schiebt, gelegentlich die Richtung verliert, sie wiedergewinnt, endlich den Augenblick erreicht: fast versagt ihm der Athem - und da nimmt ihm Einer aus der Gesellschaft die Bemerkung vom Munde weg. Was wird er thun? Seiner eigenen Meinung opponiren? 346. Wider Willen unh�flich. - Wenn jemand wider Willen einen Andern unh�flich behandelt, zum Beispiel nicht gr�sst, weil er ihn nicht erkennt, so wurmt ihn diess, obwohl er nicht seiner Gesinnung einen Vorwurf machen kann; ihn kr�nkt die schlechte Meinung, welche er bei dem Andern erzeugt hat, oder er f�rchtet die Folgen einer Verstimmung, oder ihn schmerzt es, den Andern verletzt zu haben, - also Eitelkeit, Furcht oder Mitleid k�nnen rege werden, vielleicht auch alles zusammen. 347. Verr�ther-Meisterst�ck. - Gegen den Mitverschworenen den kr�nkenden Argwohn zu �ussern, ob man nicht von ihm verrathen werde, und diess gerade in dem Augenblicke, wo man selbst Verrath �bt, ist ein Meisterst�ck der Bosheit, weil es den Andern pers�nlich occupirt und ihn zwingt, eine Zeit lang sich sehr unverd�chtig und offen zu benehmen, so dass der wirkliche Verr�ther sich freie Hand gemacht hat. 348. Beleidigen und beleidigt werden. - Es ist weit angenehmer, zu beleidigen und sp�ter um Verzeihung zu bitten, als beleidigt zu werden und Verzeihung zu gew�hren. Der, welcher das Erste thut, giebt ein Zeichen von Macht und nachher von G�te des Charakters. Der Andere, wenn er nicht als inhuman gelten will, muss schon verzeihen; der Genuss an der Dem�thigung des Anderen ist dieser N�thigung wegen gering. 349. Im Disput. - Wenn man zugleich einer anderen Meinung widerspricht und dabei seine eigene entwickelt, so verr�ckt gew�hnlich die fortw�hrende R�cksicht auf die andere Meinung die nat�rliche Haltung der eigenen: sie erscheint absichtlicher, sch�rfer, vielleicht etwas �bertrieben. 350. Kunstgriff. - Wer etwas Schwieriges von einem Andern erlangen will, muss die Sache �berhaupt nicht als Problem fassen, sondern schlicht seinen Plan hinlegen, als sei er die einzige M�glichkeit; er muss es verstehen, wenn im Auge des Gegners der Einwand, der Widerspruch d�mmert, schnell abzubrechen und ihm keine Zeit zu geben. 351. Gewissensbisse nach Gesellschaften. - Warum haben wir nach gew�hnlichen Gesellschaften Gewissensbisse? Weil wir wichtige Dinge leicht genommen haben, weil wir bei der Besprechung von Personen nicht mit voller Treue gesprochen oder weil wir geschwiegen haben, wo wir reden sollten, weil wir gelegentlich nicht aufgesprungen und fortgelaufen sind, kurz weil wir uns in der Gesellschaft benahmen, als ob wir zu ihr geh�rten. 352. Man wird falsch beurtheilt. - Wer immer darnach hinhorcht, wie er beurtheilt wird, hat immer Aerger. Denn wir werden schon von Denen, welche uns am n�chsten stehen ("am besten kennen"), falsch beurtheilt. Selbst gute Freunde lassen ihre Verstimmung mitunter in einem missg�nstigen Worte aus; und w�rden sie unsere Freunde sein, wenn sie uns genau kennten? - Die Urtheile der Gleichg�ltigen thun sehr weh, weil sie so unbefangen, fast sachlich klingen. Merken wir aber gar, dass Jemand, der uns feind ist, uns in einem geheim gehaltenen Puncte so gut kennt, wie wir uns, wie gross ist dann erst der Verdruss! 353. Tyrannei des Portraits. - K�nstler und Staatsm�nner, die schnell aus einzelnen Z�gen das ganze Bild eines Menschen oder Ereignisses combiniren, sind am meisten dadurch ungerecht, dass sie hinterdrein verlangen, das Ereigniss oder der Mensch m�sse wirklich so sein, wie sie es malten; sie verlangen geradezu, dass Einer so begabt, so verschlagen, so ungerecht sei, wie er in ihrer Vorstellung lebt. 354. Der Verwandte als der beste Freund. - Die Griechen, die so gut wussten, was ein Freund sei, - sie allein von allen V�lkern haben eine tiefe, vielfache philosophische Er�rterung der Freundschaft; sodass ihnen zuerst, und bis jetzt zuletzt, der Freund als ein l�senswerthes Problem erschienen ist - diese selben Griechen haben die Verwandten mit einem Ausdrucke bezeichnet, welcher der Superlativ des Wortes "Freund" ist. Diess bleibt mir unerkl�rlich. 355. Verkannte Ehrlichkeit. - Wenn jemand im Gespr�che sich selber citirt ("ich sagte damals", "ich pflege zu sagen"), so macht diess den Eindruck der Anmaassung, w�hrend es h�ufiger gerade aus der entgegengesetzten Quelle hervorgeht, mindestens aus Ehrlichkeit, welche den Augenblick nicht mit den Einf�llen schm�cken und herausputzen will, welche einem fr�heren Augenblicke angeh�ren. 356. Der Parasit. - Es bezeichnet einen v�lligen Mangel an vornehmer Gesinnung, wenn Jemand lieber in Abh�ngigkeit, auf Anderer Kosten, leben will, um nur nicht arbeiten zu m�ssen, gew�hnlich mit einer heimlichen Erbitterung gegen Die, von denen er abh�ngt. - Eine solche Gesinnung ist viel h�ufiger bei Frauen als bei M�nnern, auch viel verzeihlicher (aus historischen Gr�nden). 357. Auf dem Altar der Vers�hnung. - Es giebt Umst�nde, wo man eine Sache von einem Menschen nur so erlangt, dass man ihn beleidigt und sich verfeindet: dieses Gef�hl, einen Feind zu haben, qu�lt ihn so, dass er gern das erste Anzeichen einer milderen Stimmung zur Vers�hnung ben�tzt und jene Sache auf dem Altar dieser Vers�hnung opfert, an der ihm fr�her so viel gelegen war, dass er sie um keinen Preis geben wollte. 358. Mitleid fordern als Zeichen der Anmaassung. - Es giebt Menschen, welche, wenn sie in Zorn gerathen und die Anderen beleidigen, dabei erstens verlangen, dass man ihnen Nichts �bel nehme und zweitens, dass man mit ihnen Mitleid habe, weil sie so heftigen Paroxysmen unterworfen sind. So weit geht die menschliche Anmaassung. 359. K�der. - "Jeder Mensch hat seinen Preis", - das ist nicht wahr. Aber es findet sich wohl f�r Jeden ein K�der, an den er anbeissen muss. So braucht man, um manche Personen f�r eine Sache zu gewinnen, dieser Sache nur den Glanz des Menschenfreundlichen, Edlen, Mildth�tigen, Aufopfernden zu geben - und welcher Sache k�nnte man ihn nicht geben? - Es ist das Zuckerwerk und die N�scherei ihrer Seele; andere haben anderes. 360. Verhalten beim Lobe. - Wenn gute Freunde die begabte Natur loben, so wird sie sich �fters aus H�flichkeit und Wohlwollen dar�ber erfreut zeigen, aber in Wahrheit ist es ihr gleichg�ltig. Ihr eigentliches Wesen ist ganz tr�ge dagegen und um keinen Schritt dadurch aus der Sonne oder dem Schatten, in dem sie liegt, herauszuw�lzen; aber die Menschen wollen durch Lob eine Freude machen und man w�rde sie betr�ben, wenn man sich �ber ihr Lob nicht freute. 361. Die Erfahrung des Sokrates. - Ist man in einer Sache Meister geworden, so ist man gew�hnlich eben dadurch in den meisten andern Sachen ein v�lliger St�mper geblieben; aber man urtheilt gerade umgekehrt, wie diess schon Sokrates erfuhr. Diess ist der Uebelstand, welcher den Umgang mit Meistern unangenehm macht. 362. Mittel der Verthierung. - Im Kampf mit der Dummheit werden die billigsten und sanftesten Menschen zuletzt brutal. Sie sind damit vielleicht auf dem rechten Wege der Vertheidigung; denn an die dumme Stirn geh�rt, als Argument, von Rechtswegen die geballte Faust. Aber weil, wie gesagt, ihr Charakter sanft und billig ist, so leiden sie durch diese Mittel der Nothwehr mehr als sie Leid zuf�gen. 363. Neugierde. - Wenn die Neugierde nicht w�re, w�rde wenig f�r das Wohl des N�chsten gethan werden. Aber die Neugierde schleicht sich unter dem Namen der Pflicht oder des Mitleides in das Haus des Ungl�cklichen und Bed�rftigen. - Vielleicht ist selbst an der vielber�hmten Mutterliebe ein gut St�ck Neugierde. 364. Verrechnung in der Gesellschaft. - Dieser w�nscht interessant zu sein durch seine Urtheile, jener durch seine Neigungen und Abneigungen, der Dritte durch seine Bekanntschaften, ein Vierter durch seine Vereinsamung - und sie verrechnen sich Alle. Denn Der, vor dem das Schauspiel aufgef�hrt wird, meint selber dabei das einzig in Betracht kommende Schauspiel zu sein. 365. Duell. - Zu Gunsten aller Ehrenh�ndel und Duelle ist zu sagen, dass, wenn Einer ein so reizbares Gef�hl hat, nicht leben zu wollen, wenn Der und Der das und das �ber ihn sagt oder denkt, er ein Recht hat, die Sache auf den Tod des Einen oder des Andern ankommen zu lassen. Dar�ber, dass er so reizbar ist, ist gar nicht zu rechten, damit sind wir die Erben der Vergangenheit, ihrer Gr�sse sowohl wie ihrer Uebertreibungen, ohne welche es nie eine Gr�sse gab. Existirt nun ein Ehren-Kanon, welcher Blut an Stelle des Todes gelten l�sst, so dass nach einem regelm�ssigen Duell das Gem�th erleichtert ist, so ist diess eine grosse Wohlthat, weil sonst viele Menschenleben in Gefahr w�ren. - So eine Institution erzieht �brigens die Menschen in Vorsicht auf ihre Aeusserungen und macht den Umgang mit ihnen m�glich. 366. Vornehmheit und Dankbarkeit. - Eine vornehme Seele wird sich gern zur Dankbarkeit verpflichtet f�hlen und den Gelegenheiten, bei denen sie sich verpflichtet, nicht �ngstlich aus dem Wege zu gehen; ebenso wird sie nachher gelassen in den Aeusserungen der Dankbarkeit sein; w�hrend niedere Seelen sich gegen alles Verpflichtet werden str�uben oder nachher in den Aeusserungen ihrer Dankbarkeit �bertrieben und allzu sehr beflissen sind. Letzteres kommt �brigens auch bei Personen von niederer Herkunft oder gedr�ckter Stellung vor: eine Gunst, ihnen erwiesen, deucht ihnen ein Wunder von Gnade. 367. Die Stunden der Beredtsamkeit. - Der Eine hat, um gut zu sprechen, jemanden n�thig, der ihm entschieden und anerkannt �berlegen ist, der Andere kann nur vor Einem, den er �berragt, v�llige Freiheit der Rede und gl�ckliche Wendungen der Beredtsamkeit finden: in beiden F�llen ist es der selbe Grund; jeder von ihnen redet nur gut, wenn er sans g�ne redet, der Eine, weil er vor dem H�heren den Antrieb der Concurrenz, des Wettbewerbs nicht f�hlt, der Andere ebenfalls desshalb angesichts des Niederen. - Nun giebt es eine ganz andere Gattung von Menschen, die nur gut reden, wenn sie im Wetteifer, mit der Absicht zu siegen, reden. Welche von beiden Gattungen ist die ehrgeizigere: die, welche aus erregter Ehrsucht gut, oder die, welche aus eben diesen Motiven schlecht oder gar nicht spricht? 368. Das Talent zur Freundschaft. - Unter den Menschen, welche eine besondere Gabe zur Freundschaft haben, treten zwei Typen hervor. Der Eine ist in einem fortw�hrenden Aufsteigen und findet f�r jede Phase seiner Entwickelung einen genau zugeh�rigen Freund. Die Reihe von Freunden, welche er auf diese Weise erwirbt, ist unter sich selten im Zusammenhang, mitunter in Misshelligkeit und Widerspruch: ganz dem entsprechend, dass die sp�teren Phasen in seiner Entwickelung die fr�heren Phasen aufheben oder beeintr�chtigen. Ein solcher Mensch mag im Scherz eine Leiter heissen. - Den andern Typus vertritt Der, welcher eine Anziehungskraft auf sehr verschiedene Charaktere und Begabungen aus�bt, so dass er einen ganzen Kreis von Freunden gewinnt; diese aber kommen dadurch selber unter einander in freundschaftliche Beziehung, trotz aller Verschiedenheit. Einen solchen Menschen nenne man einen Kreis: denn in ihm muss jene Zusammengeh�rigkeit so verschiedener Anlagen und Naturen irgendwie vorgebildet sein. - Uebrigens ist die Gabe, gute Freunde zu haben, in manchem Menschen viel gr�sser, als die Gabe, ein guter Freund zu sein. 369. Taktik im Gespr�ch. - Nach einem Gespr�ch mit jemandem ist man am besten auf den Mitunterredner zu sprechen, wenn man Gelegenheit hatte, seinen Geist, seine Liebensw�rdigkeit vor ihm im ganzen Glanze zu zeigen. Diess benutzen kluge Menschen, welche jemanden sich g�nstig stimmen wollen, indem sie bei der Unterredung ihm die besten Gelegenheiten zu einem guten Witz und dergleichen zuschieben. Es w�re ein lustiges Gespr�ch zwischen zwei sehr Klugen zu denken, welche sich gegenseitig g�nstig stimmen wollen und sich desshalb die sch�nen Gelegenheiten im Gespr�ch hin und her zuwerfen, w�hrend keiner sie annimmt: so dass das Gespr�ch im Ganzen geistlos und unliebensw�rdig verliefe, weil Jeder dem Andern die Gelegenheit zu Geist und Liebensw�rdigkeit zuwiese. 370. Entladung des Unmuthes. - Der Mensch, dem Etwas misslingt, f�hrt diess Misslingen lieber auf den b�sen Willen eines Anderen, als auf den Zufall zur�ck. Seine gereizte Empfindung wird dadurch erleichtert, eine Person und nicht eine Sache sich als Grund seines Misslingens zu denken; denn an Personen kann man sich r�chen, die Unbilden des Zufalls aber muss man hinunterw�rgen. Die Umgebung eines F�rsten pflegt desshalb, wenn diesem Etwas misslungen ist, einen einzelnen Menschen als angebliche Ursache ihm zu bezeichnen und im Interesse aller H�flinge aufzuopfern; denn der Missmuth des F�rsten w�rde sich sonst an ihnen Allen auslassen, da er ja an der Schicksalsg�ttin selber keine Rache nehmen kann. 371. Die Farbe der Umgebung annehmen. - Warum ist Neigung und Abneigung so ansteckend, dass man kaum in der N�he einer stark empfindenden Person leben kann, ohne wie ein Gef�ss mit ihrem F�r und Wider angef�llt zu werden? Erstens ist die v�llige Enthaltung des Urtheils sehr schwer, mitunter f�r unsere Eitelkeit geradezu unertr�glich; sie tr�gt da gleiche Farbe mit der Gedanken- und Empfindungsarmuth oder mit der Aengstlichkeit, der Unm�nnlichkeit: und so werden wir wenigstens dazu fortgerissen, Partei zu nehmen, vielleicht gegen die Richtung unserer Umgebung, wenn diese Stellung unserm Stolze mehr Vergn�gen macht. Gew�hnlich aber - das ist das Zweite - bringen wir uns den Uebergang von Gleichg�ltigkeit zu Neigung oder Abneigung gar nicht zum Bewusstsein, sondern allm�hlich gew�hnen wir uns an die Empfindungsweise unserer Umgebung, und weil sympathisches Zustimmen und Sichverstehen so angenehm ist, tragen wir bald alle Zeichen und Parteifarben dieser Umgebung. 372. Ironie. - Die Ironie ist nur als p�dagogisches Mittel am Platze, von seiten eines Lehrers im Verkehr mit Sch�lern irgend welcher Art: ihr Zweck ist Dem�thigung, Besch�mung, aber von jener heilsamen Art, welche gute Vors�tze erwachen l�sst und Dem, welcher uns so behandelte, Verehrung, Dankbarkeit als einem Arzte entgegenbringen heisst. Der Ironische stellt sich unwissend und zwar so gut, dass die sich mit ihm unterredenden Sch�ler, get�uscht sind und in ihrem guten Glauben an ihr eigenes Besserwissen dreist werden und sich Bl�ssen aller Art geben; sie verlieren die Behutsamkeit und zeigen sich, wie sie sind, - bis in einem Augenblick die Leuchte, die sie dem Lehrer in's Gesicht hielten, ihre Strahlen sehr dem�thigend auf sie selbst zur�ckfallen l�sst. - Wo ein solches Verh�ltniss, wie zwischen Lehrer und Sch�ler, nicht stattfindet, ist sie eine Unart, ein gemeiner Affect. Alle ironischen Schriftsteller rechnen auf die alberne Gattung von Menschen, welche sich gerne allen Anderen mit dem Autor zusammen �berlegen f�hlen wollen, als welchen sie f�r das Mundst�ck ihrer Anmaassung ansehen. - Die Gew�hnung an Ironie, ebenso wie die an Sarkasmus, verdirbt �brigens den Charakter, sie verleiht allm�hlich die Eigenschaft einer schadenfrohen Ueberlegenheit: man ist zuletzt einem bissigen Hunde gleich, der noch das Lachen gelernt hat, ausser dem Beissen. 373. Anmaassung. - Vor Nichts soll man sich so h�ten, als vor dem Aufwachsen jenes Unkrautes, welches Anmaassung heisst und uns jede gute Ernte verdirbt; denn es giebt Anmaassung in der Herzlichkeit, in der Ehrenbezeigung, in der wohlwollenden Vertraulichkeit, in der Liebkosung, im freundschaftlichen Rathe, im Eingestehen von Fehlern, in dem Mitleid f�r Andere, und alle diese sch�nen Dinge erwecken Widerwillen, wenn jenes Kraut dazwischen w�chst. Der Anmaassende, das heisst Der, welcher mehr bedeuten will als er ist oder gilt, macht immer eine falsche Berechnung. Zwar hat er den augenblicklichen Erfolg f�r sich, insofern die Menschen, vor denen er anmaassend ist, ihm gew�hnlich das Maass von Ehre zollen, welches er fordert, aus Angst oder Bequemlichkeit; aber sie nehmen eine schlimme Rache daf�r, insofern sie ebensoviel, als er �ber das Maass forderte, von dem Werthe subtrahiren, den sie ihm bis jetzt beilegten. Es ist Nichts, was die Menschen sich theurer bezahlen lassen, als Dem�thigung. Der Anmaassende kann sein wirkliches grosses Verdienst so in den Augen der Andern verd�chtigen und klein machen, dass man mit staubigen F�ssen darauf tritt. Selbst ein stolzes Benehmen sollte man sich nur dort erlauben, wo man ganz sicher sein kann, nicht missverstanden und als anmaassend betrachtet zu werden, zum Beispiel vor Freunden und Gattinnen. Denn es giebt im Verkehre mit Menschen keine gr�ssere Thorheit, als sich den Ruf der Anmaassung zuzuziehen; es ist noch schlimmer, als wenn man nicht gelernt hat, h�flich zu l�gen. 374. Zwiegespr�ch. - Das Zwiegespr�ch ist das vollkommene Gespr�ch, weil Alles, was der Eine sagt, seine bestimmte Farbe, seinen Klang, seine begleitende Geb�rde in strenger R�cksicht auf den Anderen, mit dem gesprochen wird, erh�lt, also dem entsprechend, was beim Briefverkehr geschieht, dass ein und der selbe zehn Arten des seelischen Ausdrucks zeigt, je nachdem er bald an Diesen, bald an Jenen schreibt. Beim Zwiegespr�ch giebt es nur eine einzige Strahlenbrechung des Gedankens: diese bringt der Mitunterredner hervor, als der Spiegel, in welchem wir unsere Gedanken m�glichst sch�n wiedererblicken wollen. Wie aber ist es bei zweien, bei dreien und mehr Mitunterrednern? Da verliert nothwendig das Gespr�ch an individualisirender Feinheit, die verschiedenen R�cksichten kreuzen sich, heben sich auf; die Wendung, welche dem Einen wohlthut, ist nicht der Sinnesart des Andern gem�ss. Desshalb wird der Mensch im Verkehr mit Mehreren gezwungen, sich auf sich zur�ckzuziehen, die Thatsachen hinzustellen, wie sie sind, aber jenen spielenden Aether der Humanit�t den Gegenst�nden zu nehmen, welcher ein Gespr�ch zu den angenehmsten Dingen der Welt macht. Man h�re nur den Ton, in welchem M�nner im Verkehr mit ganzen Gruppen von M�nnern zu reden pflegen, es ist als ob der Grundbass aller Rede der sei: "das bin ich, das sage ich, nun haltet davon, was ihr wollt!" Diess ist der Grund, wesshalb geistreiche Frauen bei Dem, welcher sie in der Gesellschaft kennen lernte, meistens einen befremdenden, peinlichen, abschreckenden Eindruck hinterlassen: es ist das Reden zu Vielen, vor Vielen, welches sie aller geistigen Liebensw�rdigkeit beraubt und nur das bewusste Beruhen auf sich selbst, ihre Taktik und die Absicht auf �ffentlichen Sieg in grellem Lichte zeigt: w�hrend die selben Frauen im Zwiegespr�che wieder zu Weibern werden und ihre geistige Anmuth wiederfinden. 375. Nachruhm. - Auf die Anerkennung einer fernen Zukunft hoffen, hat nur Sinn, wenn man die Annahme macht, dass die Menschheit wesentlich unver�ndert bleibe und dass alles Grosse nicht f�r Eine, sondern f�r alle Zeiten als gross empfunden werden m�sse. Diess ist aber ein Irrthum; die Menschheit, in allem Empfinden und Urtheilen �ber Das, was sch�n und gut ist, verwandelt sich sehr stark; es ist Phantasterei, von sich zu glauben, dass man eine Meile Wegs voraus sei und dass die gesammte Menschheit unsere Strasse ziehe. Zudem: ein Gelehrter, der verkannt wird, darf jetzt bestimmt darauf rechnen, dass seine Entdeckung von Anderen auch gemacht wird, und dass ihm besten Falls einmal sp�ter von einem Historiker zuerkannt wird, er habe diess und jenes auch schon gewusst, sei aber nicht im Stande gewesen, seinem Satz Glauben zu verschaffen. Nicht-anerkannt-werden wird von der Nachwelt immer als Mangel an Kraft ausgelegt. - Kurz, man soll der hochm�thigen Vereinsamung nicht so leicht das Wort reden. Es giebt �brigens Ausnahmef�lle; aber zumeist sind es unsere Fehler, Schw�chen und Narrheiten, welche die Anerkennung unserer grossen Eigenschaften verhindern. 376. Von den Freunden. - Ueberlege nur mit dir selber einmal, wie verschieden die Empfindungen, wie getheilt die Meinungen selbst unter den n�chsten Bekannten sind; wie selbst gleiche Meinungen in den K�pfen deiner Freunde eine ganz andere Stellung oder St�rke haben, als in deinem; wie hundertf�ltig der Anlass kommt zum Missverstehen, zum feindseligen Auseinanderfliehen. Nach alledem wirst du dir sagen: wie unsicher ist der Boden, auf dem alle unsere B�ndnisse und Freundschaften ruhen, wie nahe sind kalte Regeng�sse oder b�se Wetter, wie vereinsamt ist jeder Mensch! Sieht Einer diess ein und noch dazu, dass alle Meinungen und deren Art und St�rke bei seinen Mitmenschen ebenso nothwendig und unverantwortlich sind wie ihre Handlungen, gewinnt er das Auge f�r diese innere Nothwendigkeit der Meinungen aus der unl�sbaren Verflechtung von Charakter, Besch�ftigung, Talent, Umgebung, - so wird er vielleicht die Bitterkeit und Sch�rfe jener Empfindung los, mit der jener Weise rief: "Freunde, es giebt keine Freunde!" Er wird sich vielmehr eingestehen: ja es giebt Freunde, aber der Irrthum, die T�uschung �ber dich f�hrte sie dir zu; und Schweigen m�ssen sie gelernt haben, um dir Freund zu bleiben; denn fast immer beruhen solche menschliche Beziehungen darauf, dass irgend ein paar Dinge nie gesagt werden, ja dass an sie nie ger�hrt wird; kommen diese Steinchen aber in's Rollen, so folgt die Freundschaft hinterdrein und zerbricht. Giebt es Menschen, welche nicht t�dtlich zu verletzen sind, wenn sie erf�hren, was ihre vertrautesten Freunde im Grunde von ihnen wissen? - Indem wir uns selbst erkennen und unser Wesen selber als eine wandelnde Sph�re der Meinungen und Stimmungen ansehen und somit ein Wenig geringsch�tzen lernen, bringen wir uns wieder in's Gleichgewicht mit den Uebrigen. Es ist wahr, wir haben gute Gr�nde, jeden unserer Bekannten, und seien es die gr�ssten, gering zu achten; aber eben so gute, diese Empfindung gegen uns selber zu kehren. - Und so wollen wir es mit einander aushalten, da wir es ja mit uns aushalten; und vielleicht kommt jedem auch einmal die freudigere Stunde, wo er sagt: "Freunde, es giebt keine Freunde!" so rief der sterbende Weise; "Feinde, es giebt keinen Feind!" - ruf' ich, der lebende Thor. Siebentes Hauptst�ck. Weib und Kind. 377. Das vollkommene Weib. - Das vollkommene Weib ist ein h�herer Typus des Menschen, als der vollkommene Mann: auch etwas viel Selteneres. - Die Naturwissenschaft der Thiere bietet ein Mittel, diesen Satz wahrscheinlich zu machen. 378. Freundschaft und Ehe. - Der beste Freund wird wahrscheinlich die beste Gattin bekommen, weil die gute Ehe auf dem Talent zur Freundschaft beruht. 379. Fortleben der Eltern. - Die unaufgel�sten Dissonanzen im Verh�ltniss von Charakter und Gesinnung der Eltern klingen in dem Wesen des Kindes fort und machen seine innere Leidensgeschichte aus. 380. Von der Mutter her. - Jedermann tr�gt ein Bild des Weibes von der Mutter her in sich: davon wird er bestimmt, die Weiber �berhaupt zu verehren oder sie geringzusch�tzen oder gegen sie im Allgemeinen gleichg�ltig zu sein. 381. Die Natur corrigiren. - Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen. 382. V�ter und S�hne. - V�ter haben viel zu thun, um es wieder gut zu machen, dass sie S�hne haben. 383. Irrthum vornehmer Frauen. - Die vornehmen Frauen denken, dass eine Sache gar nicht da ist, wenn es nicht m�glich ist, von ihr in der Gesellschaft zu sprechen. 384. Eine M�nnerkrankheit. - Gegen die M�nnerkrankheit der Selbstverachtung hilft es am sichersten, von einem klugen Weibe geliebt zu werden. 385. Eine Art der Eifersucht. - M�tter sind leicht eifers�chtig auf die Freunde ihrer S�hne, wenn diese besondere Erfolge haben. Gew�hnlich liebt eine Mutter sich mehr in ihrem Sohn, als den Sohn selber. 386. Vern�nftige Unvernunft. - In der Reife des Lebens und des Verstandes �berkommt den Menschen das Gef�hl, dass sein Vater Unrecht hatte, ihn zu zeugen. 387. M�tterliche G�te. - Manche Mutter braucht gl�ckliche geehrte Kinder, manche ungl�ckliche: sonst kann sich ihre G�te als Mutter nicht zeigen. 388. Verschiedene Seufzer. - Einige M�nner haben �ber die Entf�hrung ihrer Frauen geseufzt, die meisten dar�ber, dass Niemand sie ihnen entf�hren wollte. 389. Liebesheirathen. - Die Ehen, welche aus Liebe geschlossen werden (die sogenannten Liebesheirathen), haben den Irrthum zum Vater und die Noth (das Bed�rfniss) zur Mutter. 390. Frauenfreundschaft. - Frauen k�nnen recht gut mit einem Manne Freundschaft schliessen; aber um diese aufrecht zu erhalten - dazu muss wohl eine kleine physische Antipathie mithelfen. 391. Langeweile. - Viele Menschen, namentlich Frauen, empfinden die Langeweile nicht, weil sie niemals ordentlich arbeiten gelernt haben. 392. Ein Element der Liebe. - In jeder Art der weiblichen Liebe kommt auch Etwas von der m�tterlichen Liebe zum Vorschein. 393. Die Einheit des Ortes und das Drama. - Wenn die Ehegatten nicht beisammen lebten, w�rden die guten Ehen h�ufiger sein. 394. Gew�hnliche Folgen der Ehe. - Jeder Umgang, der nicht hebt, zieht nieder, und umgekehrt; desshalb sinken gew�hnlich die M�nner etwas, wenn sie Frauen nehmen, w�hrend die Frauen etwas gehoben werden. Allzu geistige M�nner bed�rfen eben so sehr der Ehe, als sie ihr wie einer widrigen Medicin widerstreben. 395. Befehlen lehren. - Kinder aus bescheidenen Familien muss man eben so sehr das Befehlen durch Erziehung lehren, wie andere Kinder das Gehorchen. 396. Verliebt werden wollen. - Verlobte, welche die Convenienz zusammengef�gt hat, bem�hen sich h�ufig, verliebt zu werden, um �ber den Vorwurf der kalten, berechnenden N�tzlichkeit hinwegzukommen. Ebenso bem�hen sich Solche, die ihres Vortheils wegen zum Christenthum umlenken, wirklich fromm zu werden; denn so wird das religi�se Mienenspiel ihnen leichter. 397. Kein Stillstand in der Liebe. - Ein Musiker, der das langsame Tempo liebt, wird die selben Tonst�cke immer langsamer nehmen. So giebt es in keiner Liebe ein Stillstehen. 398. Schamhaftigkeit. - Mit der Sch�nheit der Frauen nimmt im Allgemeinen ihre Schamhaftigkeit zu. 399. Ehe von gutem Bestand. - Eine Ehe, in der Jedes durch das Andere ein individuelles Ziel erreichen will, h�lt gut zusammen, zum Beispiel wenn die Frau durch den Mann ber�hmt, der Mann durch die Frau beliebt werden will. 400. Proteus-Natur.- Weiber werden aus Liebe ganz zu dem, als was sie in der Vorstellung der M�nner, von denen sie geliebt werden, leben. 401. Lieben und besitzen. - Frauen lieben meistens einen bedeutenden Mann so, dass sie ihn allein haben wollen. Sie w�rden ihn gern in Verschluss legen, wenn nicht ihre Eitelkeit widerriethe: diese will, dass er auch vor Anderen bedeutend erscheine. 402. Probe einer guten Ehe. - Die G�te einer Ehe bew�hrt sich dadurch, dass sie einmal eine "Ausnahme" vertr�gt. 403. Mittel, Alle zu Allem zu bringen. - Man kann Jedermann so durch Unruhen, Aengste, Ueberh�ufung von Arbeit und Gedanken abmatten und schwach machen, dass er einer Sache, die den Schein des Complicirten hat, nicht mehr widersteht, sondern ihr nachgiebt, - das wissen die Diplomaten und die Weiber. 404. Ehrbarkeit und Ehrlichkeit. - Jene M�dchen, welche allein ihrem Jugendreize die Versorgung f�r's ganze Leben verdanken wollen und deren Schlauheit die gewitzigten M�tter noch souffliren, wollen ganz das Selbe wie die Het�ren, nur dass sie kl�ger und unehrlicher als diese sind. 405. Masken. - Es giebt Frauen, die, wo man bei ihnen auch nachsucht, kein Inneres haben, sondern reine Masken sind. Der Mann ist zu beklagen, der sich mit solchen fast gespenstischen, nothwendig unbefriedigenden Wesen einl�sst, aber gerade sie verm�gen das Verlangen des Mannes auf das st�rkste zu erregen: er sucht nach ihrer Seele - und sucht immer fort. 406. Die Ehe als langes Gespr�ch. - Man soll sich beim Eingehen einer Ehe die Frage vorlegen: glaubst du, dich mit dieser Frau bis in's Alter hinein gut zu unterhalten? Alles Andere in der Ehe ist transitorisch, aber die meiste Zeit des Verkehrs geh�rt dem Gespr�che an. 407. M�dchentr�ume. - Unerfahrene M�dchen schmeicheln sich mit der Vorstellung, dass es in ihrer Macht stehe, einen Mann gl�cklich zu machen; sp�ter lernen sie, dass es so viel heisst als: einen Mann geringsch�tzen, wenn man annimmt, dass es nur eines M�dchens bed�rfe, um ihn gl�cklich zu machen. - Die Eitelkeit der Frauen verlangt, dass ein Mann mehr sei, als ein gl�cklicher Gatte. 408. Aussterben von Faust und Gretchen. - Nach der sehr einsichtigen Bemerkung eines Gelehrten �hneln die gebildeten M�nner des gegenw�rtigen Deutschland einer Mischung von Mephistopheles und Wagner, aber durchaus nicht Fausten: welchen die Grossv�ter (in ihrer Jugend wenigstens) in sich rumoren f�hlten. Zu ihnen passen also - um jenen Satz fortzusetzen - aus zwei Gr�nden die Gretchen nicht. Und weil sie nicht mehr begehrt werden, so sterben sie, scheint es, aus. 409. M�dchen als Gymnasiasten. - Um Alles in der Welt nicht noch unsere Gymnasialbildung auf die M�dchen �bertragen! Sie, die h�ufig aus geistreichen, wissbegierigen, feurigen jungen - Abbilder ihrer Lehrer macht! 410. Ohne Nebenbuhlerinnen. - Frauen merken es einem Manne leicht an, ob seine Seele schon in Besitz genommen ist; sie wollen ohne Nebenbuhlerinnen geliebt sein und verargen ihm die Ziele seines Ehrgeizes, seine politischen Aufgaben, seine Wissenschaften und K�nste, wenn er eine Leidenschaft zu solchen Sachen hat. Es sei denn, dass er durch diese gl�nze, - dann erhoffen sie, im Falle einer Liebesverbindung mit ihm, zugleich einen Zuwachs ihres Glanzes; wenn es so steht, beg�nstigen sie den Liebhaber. 411. Der weibliche Intellect. - Der Intellect der Weiber zeigt sich als vollkommene Beherrschung, Gegenw�rtigkeit des Geistes, Benutzung aller Vortheile. Sie vererben ihn als ihre Grundeigenschaft auf ihre Kinder, und der Vater giebt den dunkleren Hintergrund des Willens dazu. Sein Einfluss bestimmt gleichsam Rhythmus und Harmonie, mit denen das neue Leben abgespielt werden soll; aber die Melodie desselben stammt vom Weibe. - F�r Solche gesagt, welche Etwas sich zurecht zu legen wissen: die Weiber haben den Verstand, die M�nner das Gem�th und die Leidenschaft. Dem widerspricht nicht, dass die M�nner thats�chlich es mit ihrem Verstande so viel weiterbringen: sie haben die tieferen, gewaltigeren Antriebe; diese tragen ihren Verstand, der an sich etwas Passives ist, so weit. Die Weiber wundern sich im Stillen oft �ber die grosse Verehrung, welche die M�nner ihrem Gem�the zollen. Wenn die M�nner vor Allem nach einem tiefen, gem�thvollen Wesen, die Weiber aber nach einem klugen, geistesgegenw�rtigen und gl�nzenden Wesen bei der Wahl ihres Ehegenossen suchen, so sieht man im Grunde deutlich, wie der Mann nach dem idealisirten Manne, das Weib nach dem idealisirten Weibe sucht, also nicht nach Erg�nzung, sondern nach Vollendung der eigenen Vorz�ge. 412. Ein Urtheil Hesiod's bekr�ftigt. - Ein Zeichen f�r die Klugheit der Weiber ist es, dass sie es fast �berall verstanden haben, sich ern�hren zu lassen, wie Drohnen im Bienenkorbe. Man erw�ge doch, was das aber urspr�nglich bedeuten will und warum die M�nner sich nicht von den Frauen ern�hren lassen. Gewiss weil die m�nnliche Eitelkeit und Ehrsucht gr�sser als die weibliche Klugheit ist; denn die Frauen haben es verstanden, sich durch Unterordnung doch den �berwiegenden Vortheil, ja die Herrschaft zu sichern. Selbst das Pflegen der Kinder k�nnte urspr�nglich von der Klugheit der Weiber als Vorwand benutzt sein, um sich der Arbeit m�glichst zu entziehen. Auch jetzt noch verstehen sie, wenn sie wirklich th�tig sind, zum Beispiel als Haush�lterinnen, davon ein sinnverwirrendes Aufheben zu machen: so dass von den M�nnern das Verdienst ihrer Th�tigkeit zehnfach �bersch�tzt zu werden pflegt. 413. Die Kurzsichtigen sind verliebt. - Mitunter gen�gt schon eine st�rkere Brille, um den Verliebten zu heilen; und wer die Kraft der Einbildung h�tte, um ein Gesicht, eine Gestalt sich zwanzig Jahre �lter vorzustellen, gienge vielleicht sehr ungest�rt durch das Leben. 414. Frauen im Hass. - Im Zustande des Hasses sind Frauen gef�hrlicher, als M�nner; zuv�rderst weil sie durch keine R�cksicht auf Billigkeit in ihrer einmal erregten feindseligen Empfindung gehemmt werden, sondern ungest�rt ihren Hass bis zu den letzten Consequenzen anwachsen lassen, sodann weil sie darauf einge�bt sind, wunde Stellen (die jeder Mensch, jede Partei hat) zu finden und dort hinein zu stechen: wozu ihnen ihr dolchspitzer Verstand treffliche Dienste leistet (w�hrend die M�nner beim Anblick von Wunden zur�ckhaltend, oft grossm�thig und vers�hnlich gestimmt werden). 415. Liebe. - Die Abg�tterei, welche die Frauen mit der Liebe treiben, ist im Grunde und urspr�nglich eine Erfindung der Klugheit, insofern sie ihre Macht durch alle jene Idealisirungen der Liebe erh�hen und sich in den Augen der M�nner als immer begehrenswerther darstellen. Aber durch die Jahrhundertelange Gew�hnung an diese �bertriebene Sch�tzung der Liebe ist es geschehen, dass sie in ihr eigenes Netz gelaufen sind und jenen Ursprung vergessen haben. Sie selber sind jetzt noch mehr die Get�uschten, als die M�nner, und leiden desshalb auch mehr an der Entt�uschung, welche fast nothwendig im Leben jeder Frau eintreten wird - sofern sie �berhaupt Phantasie und Verstand genug hat, um get�uscht und entt�uscht werden zu k�nnen. 416. Zur Emancipation der Frauen. - K�nnen die Frauen �berhaupt gerecht sein, wenn sie so gewohnt sind, zu lieben, gleich f�r oder wider zu empfinden? Daher sind sie auch seltener f�r Sachen, mehr f�r Personen eingenommen: sind sie es aber f�r Sachen, so werden sie sofort deren Parteig�nger und verderben damit die reine unschuldige Wirkung derselben. So entsteht eine nicht geringe Gefahr, wenn ihnen die Politik und einzelne Theile der Wissenschaft anvertraut werden (zum Beispiel Geschichte). Denn was w�re seltener, als eine Frau, welche wirklich w�sste, was Wissenschaft ist? Die besten n�hren sogar im Busen gegen sie eine heimliche Geringsch�tzung, als ob sie irgend wodurch ihr �berlegen w�ren. Vielleicht kann diess Alles anders werden, einstweilen ist es so. 417. Die Inspiration im Urtheile der Frauen. - Jene pl�tzlichen Entscheidungen �ber das F�r und Wider, welche Frauen zu geben pflegen, die blitzschnellen Erhellungen pers�nlicher Beziehungen durch ihre hervorbrechenden Neigungen und Abneigungen, kurz die Beweise der weiblichen Ungerechtigkeit sind von liebenden M�nnern mit einem Glanz umgeben worden, als ob alle Frauen Inspirationen von Weisheit h�tten, auch ohne den delphischen Kessel und die Lorbeerbinde: und ihre Ausspr�che werden noch lange nachher wie sibyllinische Orakel interpretirt und zurechtgelegt. Wenn man aber erw�gt, dass f�r jede Person, f�r jede Sache sich etwas geltend machen l�sst, aber ebenso gut auch Etwas gegen sie, dass alle Dinge nicht nur zwei-, sondern drei- und vierseitig sind, so ist es beinahe Schwer, mit solchen pl�tzlichen Entscheidungen g�nzlich fehl zu greifen; ja man k�nnte sagen: die Natur der Dinge ist so eingerichtet, dass die Frauen immer Recht behalten. 418. Sich lieben lassen. - Weil die eine von zwei liebenden Personen gew�hnlich die liebende, die andere die geliebte Person ist, so ist der Glaube entstanden, es g�be in jedem Liebeshandel ein gleichbleibendes Maass von Liebe: je mehr eine davon an sich reisse, um so weniger bleibe f�r die andere Person �brig. Ausnahmsweise kommt es vor, dass die Eitelkeit jede der beiden Personen �berredet, sie sei die, welche geliebt werden m�sse; so dass sich beide lieben lassen wollen: woraus sich namentlich in der Ehe mancherlei halb drollige, halb absurde Scenen ergeben. 419. Widerspr�che in weiblichen K�pfen. - Weil die Weiber so viel mehr pers�nlich als sachlich sind, vertragen sich in ihrem Gedankenkreise Richtungen, die logisch mit einander in Widerspruch sind: sie pflegen sich eben f�r die Vertreter dieser Richtungen der Reihe nach zu begeistern und nehmen deren Systeme in Bausch und Bogen an; doch so, dass �berall dort eine todte Stelle entsteht, wo eine neue Pers�nlichkeit sp�ter das Uebergewicht bekommt. Es kommt vielleicht vor, dass die ganze Philosophie im Kopf einer alten Frau aus lauter solchen todten Stellen besteht. 420. Wer leidet mehr? - Nach einem pers�nlichen Zwiespalt und Zanke zwischen einer Frau und einem Manne leidet der eine Theil am meisten bei der Vorstellung, dem anderen Wehe gethan zu haben; w�hrend jener am meisten bei der Vorstellung leidet, dem andern nicht genug Wehe gethan zu haben, wesshalb er sich bem�ht, durch Thr�nen, Schluchzen und verst�rte Mienen, ihm noch hinterdrein das Herz schwer zu machen. 421. Gelegenheit zu weiblicher Grossmuth. - Wenn man sich �ber die Anspr�che der Sitte einmal in Gedanken hinwegsetzt, so k�nnte man wohl erw�gen, ob nicht Natur und Vernunft den Mann auf mehrfache Verheirathung nach einander anweist, etwa in der Gestalt, dass er zuerst im Alter von zwei und zwanzig Jahren ein �lteres M�dchen heirathet, das ihm geistig und sittlich �berlegen ist und seine F�hrerin durch die Gefahren der zwanziger Jahre (Ehrgeiz, Hass, Selbstverachtung, Leidenschaften aller Art) werden kann. Die Liebe dieser w�rde sp�ter ganz in das M�tterliche �bertreten, und sie ertr�ge es nicht nur, sondern f�rderte es auf die heilsamste Weise, wenn der Mann in den dreissiger Jahren mit einem ganz jungen M�dchen eine Verbindung eingienge, dessen Erziehung er selber in die Hand n�hme. - Die Ehe ist f�r die zwanziger Jahre einn�thiges, f�r die dreissiger ein n�tzliches, aber nicht n�thiges Institut: f�r das sp�tere Leben wird sie oft sch�dlich und bef�rdert die geistige R�ckbildung des Mannes. 422. Trag�die der Kindheit. - Es kommt vielleicht nicht selten vor, dass edel- und hochstrebende Menschen ihren h�rtesten Kampf in der Kindheit zu bestehen haben: etwa dadurch, dass sie ihre Gesinnung gegen einen niedrig denkenden, dem Schein und der L�gnerei ergebenen Vater durchsetzen m�ssen, oder fortw�hrend, wie Lord Byron, im Kampfe mit einer kindischen und zornw�thigen Mutter leben. Hat man so Etwas erlebt, so wird man sein Leben lang es nicht verschmerzen, zu wissen, wer Einem eigentlich der gr�sste, der gef�hrlichste Feind gewesen ist. 423. Eltern-Thorheit. - Die gr�bsten Irrth�mer in der Beurtheilung eines Menschen werden von dessen Eltern gemacht: diess ist eine Thatsache, aber wie soll man sie erkl�ren? Haben die Eltern zu viele Erfahrung von dem Kinde und k�nnen sie diese nicht mehr zu einer Einheit zusammenbringen? Man bemerkt, dass Reisende unter fremden V�lkern nur in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes die allgemeinen unterscheidenden Z�ge eines Volkes richtig erfassen; je mehr sie das Volk kennen lernen, desto mehr verlernen sie, das Typische und Unterscheidende an ihm zu sehen. Sobald sie nah-sichtig werden, h�ren ihre Augen auf, fern-sichtig zu sein. Sollten die Eltern desshalb falsch �ber das Kind urtheilen, weil sie ihm nie fern genug gestanden haben? - Eine ganz andere Erkl�rung w�re folgende: die Menschen pflegen �ber das N�chste, was sie umgiebt, nicht mehr nachzudenken, sondern es nur hinzunehmen. Vielleicht ist die gewohnheitsm�ssige Gedankenlosigkeit der Eltern der Grund, wesshalb sie, einmal gen�thigt �ber ihre Kinder zu urtheilen, so schief urtheilen. 424. Aus der Zukunft der Ehe. - Jene edlen, freigesinnten Frauen, welche die Erziehung und Erhebung des weiblichen Geschlechtes sich zur Aufgabe stellen, sollen einen Gesichtspunct nicht �bersehen: die Ehe in ihrer h�heren Auffassung gedacht, als Seelenfreundschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, also so, wie sie von der Zukunft erhofft wird, zum Zweck der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation geschlossen, - eine solche Ehe, welche das Sinnliche gleichsam nur als ein seltenes, gelegentliches Mittel f�r einen gr�sseren Zweck gebraucht, bedarf wahrscheinlich, wie man besorgen muss, einer nat�rlichen Beih�lfe, des Concubinats; denn wenn aus Gr�nden der Gesundheit des Mannes das Eheweib auch zur alleinigen Befriedigung des geschlechtlichen Bed�rfnisses dienen soll, so wird bei der Wahl einer Gattin schon ein falscher, den angedeuteten Zielen entgegengesetzter Gesichtspunct maassgebend sein: die Erzielung der Nachkommenschaft wird zuf�llig, die gl�ckliche Erziehung h�chst unwahrscheinlich. Eine gute Gattin, welche Freundin, Geh�lfin, Geb�rerin, Mutter, Familienhaupt, Verwalterin sein soll, ja vielleicht abgesondert von dem Manne ihrem eigenen Gesch�ft und Amte vorzustehen hat, kann nicht zugleich Concubine sein: es hiesse im Allgemeinen zu viel von ihr verlangen. Somit k�nnte in Zukunft das Umgekehrte dessen eintreten, was zu Perikles' Zeiten in Athen sich begab: die M�nner, welche damals an ihren Eheweibern nicht viel mehr als Concubinen hatten, wandten sich nebenbei zu den Aspasien, weil sie nach den Reizen einer kopf- und herzbefreienden Geselligkeit verlangten, wie eine solche nur die Anmuth und geistige Biegsamkeit der Frauen zu schaffen vermag. Alle menschlichen Institutionen, wie die Ehe, gestatten nur einen m�ssigen Grad von praktischer Idealisirung, widrigenfalls sofort grobe Remeduren n�thig werden. 425. Sturm- und Drangperiode der Frauen. - Man kann in den drei oder vier civilisirten L�ndern Europa's aus den Frauen durch einige Jahrhunderte von Erziehung Alles machen, was man will, selbst M�nner, freilich nicht in geschlechtlichem Sinne, aber doch in jedem anderen Sinne. Sie werden unter einer solchen Einwirkung einmal alle m�nnlichen Tugenden und St�rken angenommen haben, dabei allerdings auch deren Schw�chen und Laster mit in den Kauf nehmen m�ssen: so viel, wie gesagt, kann man erzwingen. Aber wie werden wir den dadurch herbeigef�hrten Zwischenzustand aushalten, welcher vielleicht selber ein paar Jahrhunderte dauern kann, w�hrend denen die weiblichen Narrheiten und Ungerechtigkeiten, ihr uraltes Angebinde, noch die Uebermacht �ber alles Hinzugewonnene, Angelernte behaupten? Diese Zeit wird es sein, in welcher der Zorn den eigentlich m�nnlichen Affect ausmacht, der Zorn dar�ber, dass alle K�nste und Wissenschaften durch einen unerh�rten Dilettantismus �berschwemmt und verschlammt sind, die Philosophie durch sinnverwirrendes Geschw�tz zu Tode geredet, die Politik phantastischer und parteiischer als je, die Gesellschaft in voller Aufl�sung ist, weil die Bewahrerinnen der alten Sitte sich selber l�cherlich geworden und in jeder Beziehung ausser der Sitte zu stehen bestrebt sind. Hatten n�mlich die Frauen ihre gr�sste Macht in der Sitte, wonach werden sie greifen m�ssen, um eine �hnliche F�lle der Macht wiederzugewinnen, nachdem sie die Sitte aufgegeben haben? 426. Freigeist und Ehe. - Ob die Freigeister mit Frauen leben werden? Im Allgemeinen glaube ich, dass sie, gleich den wahrsagenden V�geln des Alterthums, als die Wahrdenkenden, Wahrheit-Redenden der Gegenwart es vorziehen m�ssen, allein zu fliegen. 427. Gl�ck der Ehe. - Alles Gewohnte zieht ein immer fester werdendes Netz von Spinneweben um uns zusammen; und alsobald merken wir, dass die F�den zu Stricken geworden sind und dass wir selber als Spinne in der Mitte sitzen, die sich hier gefangen hat und von ihrem eigenen Blute zehren muss. Desshalb hasst der Freigeist alle Gew�hnungen und Regeln, alles Dauernde und Definitive, desshalb reisst er, mit Schmerz, das Netz um sich immer wieder auseinander: wiewohl er in Folge dessen an zahlreichen kleinen und grossen Wunden leiden wird, - denn jene F�den muss er von sich, von seinem Leibe, seiner Seele abreissen. Er muss dort lieben lernen, wo er bisher hasste, und umgekehrt. Ja es darf f�r ihn nichts Unm�gliches sein, auf das selbe Feld Drachenz�hne auszus�en, auf welches er vorher die F�llh�rner seiner G�te ausstr�men liess. - Daraus l�sst sich abnehmen, ob er f�r das Gl�ck der Ehe geschaffen ist. 428. Zunahe. - Leben wir zu nahe mit einem Menschen zusammen, so geht es uns so, wie wenn wir einen guten Kupferstich immer wieder mit blossen Fingern anfassen: eines Tages haben wir schlechtes beschmutztes Papier und Nichts weiter mehr in den H�nden. Auch die Seele eines Menschen wird durch best�ndiges Angreifen endlich abgegriffen; mindestens erscheint sie uns endlich so, - wir sehen ihre urspr�ngliche Zeichnung und Sch�nheit nie wieder. - Man verliert immer durch den allzuvertraulichen Umgang mit Frauen und Freunden; und mitunter verliert man die Perle seines Lebens dabei. 429. Die goldene Wiege. - Der Freigeist wird immer aufathmen, wenn er sich endlich entschlossen hat, jenes mutterhafte Sorgen und Bewachen, mit welchem die Frauen um ihn walten, von sich abzusch�tteln. Was schadet ihm denn ein rauherer Luftzug, den man so �ngstlich von ihm wehrte, was bedeutet ein wirklicher Nachtheil, Verlust, Unfall, eine Erkrankung, Verschuldung, Beth�rung mehr oder weniger in seinem Leben, verglichen mit der Unfreiheit der goldenen Wiege, des Pfauenschweif-Wedels und der dr�ckenden Empfindung, noch dazu dankbar sein zu m�ssen, weil er wie ein S�ugling gewartet und verw�hnt wird? Desshalb kann sich die Milch, welche die m�tterliche Gesinnung der ihn umgebenden Frauen reicht, so leicht in Galle verwandeln. 430. Freiwilliges Opferthier. - Durch Nichts erleichtern bedeutende Frauen ihren M�nnern, falls diese ber�hmt und gross sind, das Leben so sehr, als dadurch dass sie gleichsam das Gef�ss der allgemeinen Ungunst und gelegentlichen Verstimmung der �brigen Menschen werden. Die Zeitgenossen pflegen ihren grossen M�nnern viel Fehlgriffe und Narrheiten, ja Handlungen grober Ungerechtigkeit nachzusehen, wenn sie nur Jemanden finden, den sie als eigentliches Opferthier zur Erleichterung ihres Gem�thes misshandeln und schlachten d�rfen. Nicht selten findet eine Frau den Ehrgeiz in sich, sich zu dieser Opferung anzubieten, und dann kann freilich der Mann sehr zufrieden sein, - falls er n�mlich Egoist genug ist, um sich einen solchen freiwilligen Blitz-, Sturm- und Regenableiter in seiner N�he gefallen zu lassen. 431. Angenehme Widersacher. - Die naturgem�sse Neigung der Frauen zu ruhigem, gleichm�ssigem, gl�cklich zusammenstimmendem Dasein und Verkehren, das Oelgleiche und Beschwichtigende ihrer Wirkungen auf dem Meere des Lebens, arbeitet unwillk�rlich dem heroischeren inneren Drange des Freigeistes entgegen. Ohne dass sie es merken, handeln die Frauen so, als wenn man dem wandernden Mineralogen die Steine vom Wege nimmt, damit sein Fuss nicht daran stosse, - w�hrend er gerade ausgezogen ist, um daran zu stossen. 432. Missklang zweier Consonanzen. - Die Frauen wollen dienen und haben darin ihr Gl�ck: und der Freigeist will nicht bedient sein und hat darin sein Gl�ck. 433. Xanthippe. - Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, - aber auch er h�tte sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt h�tte: so weit w�re auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen. Thats�chlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigenth�mlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unh�uslich und unheimlich machte: sie lehrte ihn, auf den Gassen und �berall dort zu leben, wo man schw�tzen und m�ssig sein konnte und bildete ihn damit zum gr�ssten athenischen Gassen-Dialektiker aus: der sich zuletzt selber mit einer zudringlichen Bremse vergleichen musste, welche dem sch�nen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen. 434. F�r die Ferne blind. - Ebenso wie die M�tter eigentlich nur Sinn und Auge f�r die augen- und sinnf�lligen Schmerzen ihrer Kinder haben, so verm�gen die Gattinnen hoch strebender M�nner es nicht �ber sich zu gewinnen, ihre Ehegenossen leidend, darbend und gar missachtet zu sehen, - w�hrend vielleicht alles diess nicht nur die Wahrzeichen einer richtigen Wahl ihrer Lebenshaltung, sondern schon die B�rgschaften daf�r sind, dass ihre grossen Ziele irgendwann einmal erreicht werden m�ssen. Die Frauen intriguiren im Stillen immer gegen die h�here Seele ihrer M�nner; sie wollen dieselbe um ihre Zukunft, zu Gunsten einer schmerzlosen, behaglichen Gegenwart, betr�gen. 435. Macht und Freiheit. - So hoch Frauen ihre M�nner ehren, so ehren sie doch die von der Gesellschaft anerkannten Gewalten und Vorstellungen noch mehr: sie sind seit Jahrtausenden gewohnt, vor allem Herrschenden geb�ckt, die H�nde auf die Brust gefaltet, einherzugehen und missbilligen alle Auflehnung gegen die �ffentliche Macht. Desshalb h�ngen sie sich, ohne es auch nur zu beabsichtigen, vielmehr wie aus Instinct, als Hemmschuh in die R�der eines freigeisterischen unabh�ngigen Strebens und machen unter Umst�nden ihre Gatten aufs H�chste ungeduldig, zumal wenn diese sich noch vorreden, dass Liebe es sei, was die Frauen im Grunde dabei antreibe. Die Mittel der Frauen missbilligen und grossm�thig die Motive dieser Mittel ehren, - das ist M�nner-Art und oft genug M�nner-Verzweiflung. 436. Ceterum censeo. - Es ist zum Lachen, wenn eine Gesellschaft von Habenichtsen die Abschaffung des Erbrechts decretirt, und nicht minder zum Lachen ist es, wenn Kinderlose an der praktischen Gesetzgebung eines Landes arbeiten: - sie haben ja nicht genug Schwergewicht in ihrem Schiffe, um sicher in den Ocean der Zukunft hineinsegeln zu k�nnen. Aber ebenso ungereimt erscheint es, wenn Der, welcher die allgemeinste Erkenntniss und die Absch�tzung des gesammten Daseins zu seiner Aufgabe erkoren hat, sich mit pers�nlichen R�cksichten auf eine Familie, auf Ern�hrung, Sicherung, Achtung von Weib und Kind, belastet und vor sein Teleskop jenen tr�ben Schleier aufspannt, durch welchen kaum einige Strahlen der fernen Gestirnwelt hindurchzudringen verm�gen. So komme auch ich zu dem Satze, dass in den Angelegenheiten der h�chsten philosophischen Art alle Verheiratheten verd�chtig sind. 437. Zuletzt. - Es giebt mancherlei Arten von Schierling, und gew�hnlich findet das Schicksal eine Gelegenheit, dem Freigeiste einen Becher dieses Giftgetr�nkes an die Lippen zu setzen, - um ihn zu "strafen", wie dann alle Welt sagt. Was thun dann die Frauen um ihn? Sie werden schreien und wehklagen und vielleicht die Sonnenuntergangs-Ruhe des Denkers st�ren: wie sie es im Gef�ngniss von Athen thaten. "O Kriton, heisse doch jemanden diese Weiber da fortf�hren!" sagte endlich Sokrates. - Achtes Hauptst�ck. Ein Blick auf den Staat. 438. Um das Wort bitten. - Der demagogische Charakter und die Absicht, auf die Massen zu wirken, ist gegenw�rtig allen politischen Parteien gemeinsam: sie alle sind gen�thigt, der genannten Absicht wegen, ihre Principien zu grossen Alfresco-Dummheiten umzuwandeln und sie so an die Wand zu malen. Daran ist Nichts mehr zu �ndern, ja es ist �berfl�ssig, auch nur einen Finger dagegen aufzuheben; denn auf diesem Gebiete gilt, was Voltaire sagt: quand la populace se m�le de raisonner, tout est perdu. Seitdem diess geschehen ist, muss man sich den neuen Bedingungen f�gen, wie man sich f�gt, wenn ein Erdbeben die alten Gr�nzen und Umrisse der Bodengestalt verr�ckt und den Werth des Besitzes ver�ndert hat. Ueberdiess: wenn es sich nun einmal bei aller Politik darum handelt, m�glichst Vielen das Leben ertr�glich zu machen, so m�gen immerhin diese M�glichst-Vielen auch bestimmen, was sie unter einem ertr�glichen Leben verstehen; trauen sie sich den Intellect zu, auch die richtigen Mittel zu diesem Ziele zu finden, was h�lfe es, daran zu zweifeln? Sie wollen nun einmal ihres Gl�ckes und Ungl�ckes eigene Schmiede sein; und wenn dieses Gef�hl der Selbstbestimmung, der Stolz auf die f�nf, sechs Begriffe, welche ihr Kopf birgt und zu Tage bringt, ihnen in der That das Leben so angenehm macht, dass sie die fatalen Folgen ihrer Beschr�nktheit gern ertragen: so ist wenig einzuwenden, vorausgesetzt, dass die Beschr�nktheit nicht so weit geht, zu verlangen, es solle Alles in diesem Sinne zur Politik werden, es solle jeder nach solchem Maassstabe leben und wirken. Zuerst n�mlich muss es Einigen mehr als je, erlaubt sein, sich der Politik zu enthalten und ein Wenig bei Seite zu treten: dazu treibt auch sie die Lust an der Selbstbestimmung, und auch ein kleiner Stolz mag damit verbunden sein, zu schweigen, wenn zu Viele oder �berhaupt nur Viele reden. Sodann muss man es diesen Wenigen nachsehen, wenn sie das Gl�ck der Vielen, verstehe man nun darunter V�lker oder Bev�lkerungsschichten, nicht so wichtig nehmen und sich hie und da eine ironische Miene zu Schulden kommen lassen; denn ihr Ernst liegt anderswo, ihr Gl�ck ist ein anderer Begriff, ihr Ziel ist nicht von jeder plumpen Hand, welche eben nur f�nf Finger hat, zu umspannen. Endlich kommt - was ihnen gewiss am schwersten zugestanden wird, aber ebenfalls zugestanden werden muss - von Zeit zu Zeit ein Augenblick, wo sie aus ihren schweigsamen Vereinsamungen heraustreten und die Kraft ihrer Lungen wieder einmal versuchen: dann rufen sie n�mlich einander zu wie Verirrte in einem Walde, um sich einander zu erkennen zu geben und zu ermuthigen; wobei freilich Mancherlei laut wird, was den Ohren, f�r welche es nicht bestimmt ist, �bel klingt. - Nun, bald darauf ist es wieder stille im Walde, so stille, dass man das Schwirren, Summen und Flattern der zahllosen Insecten, welche in, �ber und unter ihm leben, wieder deutlich vernimmt. - 439. Cultur und Kaste. - Eine h�here Cultur kann allein dort entstehen, wo es zwei unterschiedene Kasten der Gesellschaft giebt: die der Arbeitenden und die der M�ssigen, zu wahrer Musse Bef�higten; oder mit st�rkerem Ausdruck: die Kaste der Zwangs-Arbeit und die Kaste der Frei-Arbeit. Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gl�cks ist nicht wesentlich, wenn es sich um die Erzeugung einer h�heren Cultur handelt; jedenfalls aber ist die Kaste der M�ssigen die leidensf�higere, leidendere, ihr Behagen am Dasein ist geringer, ihre Aufgabe gr�sser. Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt, so, dass die stumpferen, ungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedere herabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zutritt zur h�heren erlangen: so ist ein Zustand erreicht, �ber den hinaus man nur noch das offene Meer unbestimmter W�nsche sieht. - So redet die verklingende Stimme der alten Zeit zu uns; aber wo sind noch Ohren, sie zu h�ren? 440. Von Gebl�t. - Das, was M�nner und Frauen von Gebl�t vor Anderen voraus haben und was ihnen unzweifelhaftes Anrecht auf h�here Sch�tzung giebt, sind zwei durch Vererbung immer mehr gesteigerte K�nste: die Kunst, befehlen zu k�nnen, und die Kunst des stolzen Gehorsams. - Nun entsteht �berall, wo das Befehlen zum Tagesgesch�ft geh�rt (wie in der grossen Kaufmanns- und Industrie-Welt), etwas Aehnliches wie jene Geschlechter "von Gebl�t", aber ihnen fehlt die vornehme Haltung im Gehorsam, welche bei jenen eine Erbschaft feudaler Zust�nde ist und die in unserem Cultur-Klima nicht mehr wachsen will. 441. Subordination. - Die Subordination, welche im Milit�r- und Beamtenstaate so hoch gesch�tzt wird, wird uns bald ebenso unglaublich werden, wie die geschlossene Taktik der Jesuiten es bereits geworden ist; und wenn diese Subordination nicht mehr m�glich ist, l�sst sich eine Menge der erstaunlichsten Wirkungen nicht mehr erreichen, und die Welt wird �rmer sein. Sie muss schwinden, denn ihr Fundament schwindet: der Glaube an die unbedingte Autorit�t, an die endg�ltige Wahrheit; selbst in Milit�rstaaten ist der physische Zwang nicht ausreichend, sie hervorzubringen, sondern die angeerbte Adoration vor dem F�rstlichen wie vor etwas Uebermenschlichem. - In freieren Verh�ltnissen ordnet man sich nur auf Bedingungen unter, in Folge gegenseitigen Vertrages, also mit allen Vorbehalten des Eigennutzes. 442. Volksheere. - Der gr�sste Nachtheil der jetzt so verherrlichten Volksheere besteht in der Vergeudung von Menschen der h�chsten Civilisation; nur durch die Gunst aller Verh�ltnisse giebt es deren �berhaupt, - wie sparsam und �ngstlich sollte man mit ihnen umgehen, da es grosser Zeitr�ume bedarf, um die zuf�lligen Bedingungen zur Erzeugung so zart organisirter Gehirne zu schaffen! Aber wie die Griechen in Griechenblut w�theten, so die Europ�er jetzt in Europ�erblut: und zwar werden relativ am meisten immer die H�chstgebildeten zum Opfer gebracht, Die, welche eine reichliche und gute Nachkommenschaft verb�rgen; Solche n�mlich stehen im Kampfe voran, als Befehlende, und setzen sich �berdiess, ihres h�heren Ehrgeizes wegen, den Gefahren am meisten aus. - Der grobe R�mer-Patriotismus ist jetzt, wo ganz andere und h�here Aufgaben gestellt sind, als patria und honor, entweder etwas Unehrliches oder ein Zeichen der Zur�ckgebliebenheit. 443. Hoffnung als Anmaassung. - Unsere gesellschaftliche Ordnung wird langsam wegschmelzen, wie es alle fr�heren Ordnungen gethan haben, sobald die Sonnen neuer Meinungen mit neuer Gluth �ber die Menschen hinleuchteten. W�nschen kann man diess Wegschmelzen nur, indem man hofft: und hoffen darf man vern�nftigerweise nur, wenn man sich und seinesgleichen mehr Kraft in Herz und Kopf zutraut, als den Vertretern des Bestehenden. Gew�hnlich also wird diese Hoffnung eine Anmaassung, eine Uebersch�tzung sein. 444. Krieg. - Zu Ungunsten des Krieges kann man sagen: er macht den Sieger dumm, den Besiegten boshaft. Zu Gunsten des Krieges: er barbarisirt in beiden eben genannten Wirkungen und macht dadurch nat�rlicher; er ist f�r die Cultur Schlaf oder Winterszeit, der Mensch kommt kr�ftiger zum Guten und B�sen aus ihm heraus. 445. Im Dienste des F�rsten. - Ein Staatsmann wird, um v�llig r�cksichtslos handeln zu k�nnen, am besten thun, nicht f�r sich, sondern f�r einen F�rsten sein Werk auszuf�hren. Von dem Glanze dieser allgemeinen Uneigenn�tzigkeit wird das Auge des Beschauers geblendet, so dass er jene T�cken und H�rten, welche das Werk des Staatsmannes mit sich bringt, nicht sieht. 446. Eine Frage der Macht, nicht des Rechtes. - F�r Menschen, welche bei jeder Sache den h�heren Nutzen in's Auge fassen, giebt es bei dem Socialismus, falls er wirklich die Erhebung der Jahrtausende lang Gedr�ckten, Niedergehaltenen gegen ihre Unterdr�cker ist, kein Problem des Rechtes (mit der l�cherlichen, weichlichen Frage: "wie weit soll man seinen Forderungen nachgeben?"), sondern nur ein Problem der Macht ("wie weit kann man seine Forderungen benutzen?"); also wie bei einer Naturmacht, zum Beispiel dem Dampfe, welcher entweder von dem Menschen in seine Dienste, als Maschinengott, gezwungen wird, oder, bei Fehlern der Maschine, das heisst Fehlern der menschlichen Berechnung im Bau derselben, sie und den Menschen mit zertr�mmert. Um jene Machtfrage zu l�sen, muss man wissen, wie stark der Socialismus ist, in welcher Modification er noch als m�chtiger Hebel innerhalb des jetzigen politischen Kr�ftespiels benutzt werden kann; unter Umst�nden m�sste man selbst Alles thun, ihn zu kr�ftigen. Die Menschheit muss bei jeder grossen Kraft - und sei es die gef�hrlichste - daran denken, aus ihr ein Werkzeug ihrer Absichten zu machen. - Ein Recht gewinnt sich der Socialismus erst dann, wenn es zwischen den beiden M�chten, den Vertretern des Alten und Neuen, zum Kriege gekommen zu sein scheint, wenn aber dann das kluge Rechnen auf m�glichste Erhaltung und Zutr�glichkeit auf Seiten beider Parteien das Verlangen nach einem Vertrag entstehen l�sst. Ohne Vertrag kein Recht. Bis jetzt giebt es aber auf dem bezeichneten Gebiete weder Krieg, noch Vertr�ge, also auch keine Rechte, kein "Sollen". 447. Benutzung der kleinsten Unredlichkeit. - Die Macht der Presse besteht darin, dass jeder Einzelne, der ihr dient, sich nur ganz wenig verpflichtet und verbunden f�hlt. Er sagt f�r gew�hnlich seine Meinung, aber sagt sie einmal auch nicht, um seiner Partei oder der Politik seines Landes oder endlich sich selbst zu n�tzen. Solche kleine Vergehen der Unredlichkeit oder vielleicht nur einer unredlichen Verschwiegenheit sind von dem Einzelnen nicht schwer zu tragen, doch sind die Folgen ausserordentlich, weil diese kleinen Vergehen von Vielen zu gleicher Zeit begangen werden. Jeder von Diesen sagt sich: "f�r so geringe Dienste lebe ich besser, kann ich mein Auskommen finden; durch den Mangel solcher kleinen R�cksichten mache ich mich unm�glich". Weil es beinahe sittlich gleichg�ltig erscheint, eine Zeile, noch dazu vielleicht ohne Namensunterschrift, mehr zu schreiben oder nicht zu schreiben, so kann Einer, der Geld und Einfluss hat, jede Meinung zur �ffentlichen machen. Wer da weiss, dass die meisten Menschen in Kleinigkeiten schwach sind, und seine eigenen Zwecke durch sie erreichen will, ist immer ein gef�hrlicher Mensch. 448. Allzu lauter Ton bei Beschwerden. - Dadurch, dass ein Nothstand (zum Beispiel die Gebrechen einer Verwaltung, Bestechlichkeit und Gunstwillk�r in politischen oder gelehrten K�rperschaften) stark �bertrieben dargestellt wird, verliert zwar die Darstellung bei den Einsichtigen ihre Wirkung, aber wirkt um so st�rker auf die Nichteinsichtigen (welche bei einer sorgsamen maassvollen Darlegung gleichg�ltig geblieben w�ren). Da diese aber bedeutend in der Mehrzahl sind und st�rkere Willenskr�fte, ungest�mere Lust zum Handeln in sich beherbergen, so wird jene Uebertreibung zum Anlass von Untersuchungen, Bestrafungen, Versprechen, Reorganisationen. - Insofern ist es n�tzlich, Nothst�nde �bertrieben darzustellen. 449. Die anscheinenden Wettermacher der Politik. - Wie das Volk bei Dem, welcher sich auf das Wetter versteht und es um einen Tag voraussagt, im Stillen annimmt, dass er das Wetter mache, so legen selbst Gebildete und Gelehrte mit einem Aufwand von abergl�ubischem Glauben grossen Staatsm�nnern alle die wichtigen Ver�nderungen und Conjuncturen, welche w�hrend ihrer Regierung eintraten, als deren eigenstes Werk bei, wenn es nur ersichtlich ist, dass jene Etwas davon eher wussten, als Andere, und ihre Berechnung darnach machten: sie werden also ebenfalls als Wettermacher genommen - und dieser Glaube ist nicht das geringste Werkzeug ihrer Macht. 450. Neuer und alter Begriff der Regierung. - Zwischen Regierung und Volk so zu scheiden, als ob hier zwei getrennte Machtsph�ren, eine st�rkere, h�here mit einer schw�cheren, niederen, verhandelten und sich vereinbarten, ist ein St�ck vererbter politischer Empfindung, welches der historischen Feststellung der Machtverh�ltnisse in den in eisten Staaten noch jetzt genau entspricht. Wenn zum Beispiel Bismarck die constitutionelle Form als einen Compromiss zwischen Regierung und Volk bezeichnet, so redet er gem�ss einem Princip, welches seine Vernunft- in der Geschichte hat (ebendaher freilich auch den Beisatz von Unvernunft, ohne den nichts Menschliches existiren kann). Dagegen soll man nun lernen - gem�ss einem Princip, welches rein aus dem Kopfe entsprungen ist und erst Geschichte machen soll -, dass Regierung Nichts als ein Organ des Volkes sei, nicht ein vorsorgliches, verehrungsw�rdiges "Oben" im Verh�ltniss zu einem an Bescheidenheit gew�hnten "Unten". Bevor man diese bis jetzt unhistorische und willk�rliche, wenn auch logischere Aufstellung des Begriffs Regierung annimmt, m�ge man doch ja die Folgen erw�gen: denn das Verh�ltniss zwischen Volk und Regierung ist das st�rkste vorbildliche Verh�ltniss, nach dessen Muster sich unwillk�rlich der Verkehr zwischen Lehrer und Sch�ler, Hausherrn und Dienerschaft, Vater und Familie, Heerf�hrer und Soldat, Meister und Lehrling bildet. Alle diese Verh�ltnisse gestalten sich jetzt, unter dem Einflusse der herrschenden constitutionellen Regierungsform, ein Wenig um - sie werden Compromisse. Aber wie m�ssen sie sich verkehren und verschieben, Namen und Wesen wechseln, wenn jener allerneueste Begriff �berall sich der K�pfe bemeistert hat! - wozu es aber wohl ein Jahrhundert noch brauchen d�rfte. Hierbei ist Nichts mehr zu w�nschen, als Vorsicht und langsame Entwickelung. 451. Gerechtigkeit als Parteien-Lockruf. - Wohl k�nnen edle (wenn auch nicht gerade sehr einsichtsvolle) Vertreter der berrschenden Classe sich geloben: "wir wollen die Menschen als gleich behandeln, ihnen gleiche Rechte zugestehen"; insofern ist eine socialistische Denkungsweise, welche auf Gerechtigkeit ruht, m�glich, aber wie gesagt nur innerhalb der herrschenden Classe, welche in diesem Falle die Gerechtigkeit mit Opfern und Verleugnungen �bt. Dagegen Gleichheit der Rechte fordern, wie es die Socialisten der unterworfenen Kaste thun, ist nimmermehr der Ausfluss der Gerechtigkeit, sondern der Begehrlichkeit. - Wenn man der Bestie blutige Fleischst�cke aus der N�he zeigt und wieder wegzieht, bis sie endlich br�llt: meint ihr, dass diess Gebr�ll Gerechtigkeit bedeute? 452. Besitz und Gerechtigkeit. - Wenn die Socialisten nachweisen, dass die Eigenthums-Vertheilung in der gegenw�rtigen Menschheit die Consequenz zahlloser Ungerechtigkeiten und Gewaltsamkeiten ist, und in summa die Verpflichtung gegen etwas so unrecht Begr�ndetes ablehnen: so sehen sie nur etwas Einzelnes. Die ganze Vergangenheit der alten Cultur ist auf Gewalt, Sclaverei, Betrug, Irrthum aufgebaut; wir k�nnen aber uns selbst, die Erben aller dieser Zust�nde, ja die Concrescenzen aller jener Vergangenheit, nicht wegdecretiren und d�rfen nicht ein einzelnes St�ck herausziehen wollen. Die ungerechte Gesinnung steckt in den Seelen der Nicht-Besitzenden auch, sie sind nicht besser als die Besitzenden und haben kein moralisches Vorrecht, denn irgend wann sind ihre Vorfahren Besitzende gewesen. Nicht gewaltsame neue Vertheilungen, sondern allm�hliche Umschaffungen des Sinnes thun noth, die Gerechtigkeit muss in Allen gr�sser werden, der gewaltth�tige Instinct schw�cher. 453. Der Steuermann der Leidenschaften. - Der Staatsmann erzeugt �ffentliche Leidenschaften, um den Gewinn von der dadurch erweckten Gegenleidenschaft zu haben. Um ein Beispiel zu nehmen: so weiss ein deutscher Staatsmann wohl, dass die katholische Kirche niemals mit Russland gleiche Pl�ne haben wird, ja sich viel lieber mit den T�rken verb�nden w�rde, als mit ihm; ebenso weiss er, dass Deutschland alle Gefahr von einem B�ndnisse Frankreichs mit Russland droht. Kann er es nun dazu bringen, Frankreich zum Herd und Hort der katholischen Kirche zu machen, so hat er diese Gefahr auf eine lange Zeit beseitigt. Er hat demnach ein Interesse daran, Hass gegen die Katholiken zu zeigen und durch Feindseligkeiten aller Art die Bekenner der Autorit�t des Papstes in eine leidenschaftliche politische Macht zu verwandeln, welche der deutschen Politik feindlich ist und sich naturgem�ss mit Frankreich, als dem Widersacher Deutschlands, verschmelzen muss: sein Ziel ist ebenso nothwendig die Katholisirung Frankreichs, als Mirabeau in der Dekatholisirung das Heil seines Vaterlandes sah. - Der eine Staat will also die Verdunkelung von Millionen K�pfen eines anderen Staates, um seinen Vortheil aus dieser Verdunkelung zu ziehen. Es ist diess die selbe Gesinnung, welche die republicanische Regierungsform des nachbarlichen Staates - le d�sordre organis�, wie M�rimee sagt - aus dem alleinigen Grunde unterst�tzt, weil sie von dieser annimmt, dass sie das Volk schw�cher, zerrissener und kriegsunf�higer mache. 454. Die Gef�hrlichen unter den Umsturz-Geistern. - Man theile Die, welche auf einen Umsturz der Gesellschaft bedacht sind, in Solche ein, welche f�r sich selbst, und in Solche, welche f�r ihre Kinder und Enkel Etwas erreichen wollen. Die Letzteren sind die Gef�hrlicheren; denn sie haben den Glauben und das gute Gewissen der Uneigenn�tzigkeit. Die Anderen kann man abspeisen: dazu ist die herrschende Gesellschaft immer noch reich und klug genug. Die Gefahr beginnt, sobald die Ziele unpers�nlich werden; die Revolution�re aus unpers�nlichem Interesse d�rfen alle Vertheidiger des Bestehenden als pers�nlich interessirt ansehen und sich desshalb ihnen �berlegen f�hlen. 455. Politischer Werth der Vaterschaft. - Wenn der Mensch keine S�hne hat, so hat er kein volles Recht, �ber die Bed�rfnisse eines einzelnen Staatswesens mitzureden. Man muss selber mit den Anderen sein Liebstes daran gewagt haben; das erst bindet an den Staat fest; man muss das Gl�ck seiner Nachkommen in's Auge fassen, also vor Allem Nachkommen haben, um an allen Institutionen und deren Ver�nderung rechten, nat�rlichen Antheil zu nehmen. Die Entwickelung der h�hern Moral h�ngt daran, dass Einer S�hne hat; diess stimmt ihn unegoistisch, oder richtiger: es erweitert seinen Egoismus der Zeitdauer nach, und l�sst ihn Ziele �ber seine individuelle Lebensl�nge hinaus mit Ernst verfolgen. 456. Ahnenstolz. - Auf eine ununterbrochene Reihe guter Ahnen bis zum Vater herauf darf man mit Recht stolz sein, - nicht aber auf die Reihe; denn diese hat jeder. Die Herkunft von guten Ahnen macht den �chten Geburtsadel aus; eine einzige Unterbrechung in jener Kette, Ein b�ser Vorfahr also hebt den Geburtsadel auf. Man soll jeden, welcher von seinem Adel redet, fragen: hast du keinen gewaltth�tigen, habs�chtigen, ausschweifenden, boshaften, grausamen Menschen unter deinen Vorfahren? Kann er darauf in gutem Wissen und Gewissen mit Nein antworten, so bewerbe man sich um seine Freundschaft. 457. Sclaven und Arbeiter. - Dass wir mehr Werth auf Befriedigung der Eitelkeit, als auf alles �brige Wohlbefinden (Sicherheit, Unterkommen, Vergn�gen aller Art) legen, zeigt sich in einem l�cherlichen Grade daran, dass jedermann (abgesehen von politischen Gr�nden) die Aufhebung der Sclaverei w�nscht und es auf's Aergste verabscheut, Menschen in diese Lage zu bringen: w�hrend jeder sich sagen muss, dass die Sclaven in allen Beziehungen sicherer und gl�cklicher leben, als der moderne Arbeiter, dass Sclavenarbeit sehr wenig Arbeit im Verh�ltniss zu der des "Arbeiters" ist. Man protestirt im Namen der "Menschenw�rde": das ist aber, schlichter ausgedr�ckt, jene liebe Eitelkeit, welche das Nicht-gleich-gestelltsein, das Oeffentlich-niedriger-gesch�tzt-werden, als das h�rteste Loos empfindet. - Der Cyniker denkt anders dar�ber, weil er die Ehre verachtet: - und so war Diogenes eine Zeitlang Sclave und Hauslehrer. 458. Leitende Geister und ihre Werkzeuge. - Wir sehen grosse Staatsm�nner und �berhaupt alle Die, welche sich vieler Menschen zur Durchf�hrung ihrer Pl�ne bedienen m�ssen, bald so, bald so verfahren: entweder w�hlen sie sehr fein und sorgsam die zu ihren Pl�nen passenden Menschen aus und lassen ihnen dann verh�ltnissm�ssige grosse Freiheit, weil sie wissen, dass die Natur dieser Ausgew�hlten sie eben dahin treibt, wohin sie selber Jene haben wollen; oder sie w�hlen schlecht, ja nehmen was ihnen unter die Hand kommt, formen aber aus jedem Thone etwas f�r ihre Zwecke Taugliches. Diese letzte Art ist die gewaltsamere, sie begehrt auch unterw�rfigere Werkzeuge; ihre Menschenkenntniss ist gew�hnlich viel geringer, ihre Menschenverachtung gr�sser, als bei den erstgenannten Geistern, aber die Maschine, welche sie construiren, arbeitet gemeinhin besser, als die Maschine aus der Werkst�tte jener. 459. Willk�rliches Recht nothwendig. - Die Juristen streiten, ob das am vollst�ndigsten durchgedachte Recht oder das am leichtesten zu verstehende in einem Volke zum Siege kommen solle. Das erste, dessen h�chstes Muster das r�mische ist, erscheint dem Laien als unverst�ndlich und desshalb nicht als Ausdruck seiner Rechtsempfindung. Die Volksrechte, wie zum Beispiel die germanischen, waren grob, abergl�ubisch, unlogisch, zum Theil albern, aber sie entsprachen ganz bestimmten vererbten heimischen Sitten und Empfindungen. - Wo aber Recht nicht mehr, wie bei uns, Herkommen ist, da kann es nur befohlen, Zwang sein; wir haben Alle kein herk�mmliches Rechtsgef�hl mehr, desshalb m�ssen wir uns Willk�rsrechte gefallen lassen, die der Ausdruck der Nothwendigkeit sind, dass es ein Recht geben m�sse. Das logischste ist dann jedenfalls das annehmbarste, weil es das unparteilichste ist: zugegeben selbst, dass in jedem Falle die kleinste Maasseinheit im Verh�ltniss von Vergehen und Strafe willk�rlich angesetzt ist. 460. Der grosse Mann der Masse. - Das Recept zu dem, was die Masse einen grossen Mann nennt, ist leicht gegeben. Unter allen Umst�nden verschaffe man ihr Etwas, das ihr sehr angenehm ist, oder setze ihr erst in den Kopf, dass diess und jenes sehr angenehm w�re, und gebe es ihr dann. Doch um keinen Preis sofort: sondern man erk�mpfe es mit gr�sster Anstrengung oder scheine es zu erk�mpfen. Die Masse muss den Eindruck haben, dass eine m�chtige, ja unbezwingliche Willenskraft da sei; mindestens muss sie da zu sein scheinen. Den starken Willen bewundert jedermann, weil Niemand ihn hat und Jedermann sich sagt, dass, wenn er ihn h�tte, es f�r ihn und seinen Egoismus keine Gr�nze mehr g�be. Zeigt sich nun, dass ein solcher starker Wille etwas der Masse sehr Angenehmes bewirkt, statt auf die W�nsche seiner Begehrlichkeit zu h�ren, so bewundert man noch einmal und w�nscht sich selber Gl�ck. Im Uebrigen habe er alle Eigenschaften der Masse: um so weniger sch�mt sie sich vor ihm, um so mehr ist er popul�r. Also: er sei gewaltth�tig, neidisch, ausbeuterisch, intrigant, schmeichlerisch, kriechend, aufgeblasen, je nach Umst�nden alles. 461. F�rst und Gott. - Die Menschen verkehren mit ihren F�rsten vielfach in �hnlicher Weise wie mit ihrem Gotte, wie ja vielfach auch der F�rst der Repr�sentant des Gottes, mindestens sein Oberpriester war. Diese fast unheimliche Stimmung von Verehrung und Angst und Scham war und ist viel schw�cher geworden, aber mitunter lodert sie auf und heftet sich an m�chtige Personen, �berhaupt. Der Cultus des Genius' ist ein Nachklang dieser G�tter-F�rsten-Verehrung. Ueberall, wo man sich bestrebt, einzelne Menschen in das Uebermenschliche hinaufzuheben, entsteht auch die Neigung, ganze Schichten des Volkes sich roher und niedriger vorzustellen, als sie wirklich sind. 462. Meine Utopie. - In einer besseren Ordnung der Gesellschaft wird die schwere Arbeit und Noth des Lebens Dem zuzumessen sein, welcher am wenigsten durch sie leidet, also dem Stumpfesten, und so schrittweise aufw�rts bis zu Dem, welcher f�r die h�chsten sublimirtesten Gattungen des Leidens am empfindlichsten ist und desshalb selbst noch bei der gr�ssten Erleichterung des Lebens leidet. 463. Ein Wahn in der Lehre vom Umsturz. - Es giebt politische und sociale Phantasten, welche feurig und beredt zu einem Umsturz aller Ordnungen auffordern, in dem Glauben, dass dann sofort das stolzeste Tempelhaus sch�nen Menschenthums gleichsam von selbst sich erheben werde. In diesen gef�hrlichen Tr�umen klingt noch der Aberglaube Rousseau's nach, welcher an eine wundergleiche, urspr�ngliche, aber gleichsam versch�ttete G�te der menschlichen Natur glaubt und den Institutionen der Cultur, in Gesellschaft, Staat, Erziehung, alle Schuld jener Versch�ttung beimisst. Leider weiss man aus historischen Erfahrungen, dass jeder solche Umsturz die wildesten Energien als die l�ngst begrabenen Furchtbarkeiten und Maasslosigkeiten fernster Zeitalter von Neuem zur Auferstehung bringt: dass also ein Umsturz wohl eine Kraftquelle in einer mattgewordenen Menschheit sein kann, nimmermehr aber ein Ordner, Baumeister, K�nstler, Vollender der menschlichen Natur. - Nicht Voltaire's maassvolle, dem Ordnen, Reinigen und Umbauen zugeneigte Natur, sondern Rousseau's leidenschaftliche Thorheiten und Halbl�gen haben den optimistischen Geist der Revolution wachgerufen, gegen den ich rufe: "Ecrasez l'infame!" Durch ihn ist der Geist der Aufkl�rung und der fortschreitenden Entwickelung auf lange verscheucht worden - sehen wir zu - ein Jeder bei sich selber - ob es m�glich ist, ihn wieder zur�ckzurufen! 464. Maass. - Die volle Entschiedenheit des Denkens und Forschens, also die Freigeisterei, zur Eigenschaft des Charakters geworden, macht im Handeln m�ssig: denn sie schw�cht die Begehrlichkeit, zieht viel von der vorhandenen Energie an sich, zur F�rderung geistiger Zwecke, und zeigt das Halbn�tzliche oder Unn�tze und Gef�hrliche aller pl�tzlichen Ver�nderungen. 465. Auferstehung des Geistes. - Auf dem politischen Krankenbette verj�ngt ein Volk gew�hnlich sich selbst und findet seinen Geist wieder, den es im Suchen und Behaupten der Macht allm�hlich verlor. Die Cultur verdankt das Allerh�chste den politisch geschw�chten Zeiten. 466. Neue Meinungen im alten Hause. - Dem Umsturz der Meinungen folgt der Umsturz der Institutionen nicht sofort nach, vielmehr wohnen die neuen Meinungen lange Zeit im ver�deten und unheimlich gewordenen Hause ihrer Vorg�ngerinnen und conserviren es selbst, aus Wohnungsnoth. 467. Schulwesen. - Das Schulwesen wird in grossen Staaten immer h�chstens mittelm�ssig sein, aus dem selben Grunde, aus dem in grossen K�chen besten Falls mittelm�ssig gekocht wird. 468. Unschuldige Corruption. - In allen Instituten, in welche nicht die scharfe Luft der �ffentlichen Kritik hineinweht, w�chst eine unschuldige Corruption auf, wie ein Pilz (also zum Beispiel in gelehrten K�rperschaften und Senaten). 469. Gelehrte als Politiker. - Gelehrten, welche Politiker werden, wird gew�hnlich die komische Rolle zugetheilt, das gute Gewissen einer Politik sein zu m�ssen. 470. Der Wolf hinter dem Schafe versteckt. - Fast jeder Politiker hat unter gewissen Umst�nden einmal einen ehrlichen Mann so n�thig, dass er, gleich einem heisshungrigen Wolfe, in einen Schafstall bricht: nicht aber um dann den geraubten Widder zu fressen, sondern um sich hinter seinen wolligen R�cken zu verstecken. 471. Gl�ckszeiten. - Ein gl�ckliches Zeitalter ist desshalb gar nicht m�glich, weil die Menschen es nur w�nschen wollen, aber nicht haben wollen und jeder Einzelne, wenn ihm gute Tage kommen, f�rmlich um Unruhe und Elend beten lernt. Das Schicksal der Menschen ist auf gl�ckliche Augenblicke eingerichtet - jedes Leben hat solche -, aber nicht auf gl�ckliche Zeiten. Trotzdem werden diese als "das jenseits der Berge" in der Phantasie des Menschen bestehen bleiben, als Erbst�ck der Urv�ter; denn man hat wohl den Begriff des Gl�ckszeitalters seit uralten Zeiten her jenem Zustande entnommen, in dem der Mensch, nach gewaltiger Anstrengung durch Jagd und Krieg, sich der Ruhe �bergiebt, die Glieder streckt und die Fittige des Schlafes um sich rauschen h�rt. Es ist ein falscher Schluss, wenn der Mensch jener alten Gew�hnung gem�ss sich vorstellt, dass er nun auch nach ganzen Zeitr�umen der Noth und M�hsal eines Zustandes des Gl�cks in entsprechender Steigerung und Dauer theilhaftig werden k�nne. 472. Religion und Regierung. - Solange der Staat oder, deutlicher, die Regierung sich als Vormund zu Gunsten einer unm�ndigen Menge bestellt weiss und um ihretwillen die Frage erw�gt, ob die Religion zu erhalten oder zu beseitigen sei: wird sie h�chst wahrscheinlich sich immer f�r die Erhaltung der Religion entscheiden. Denn die Religion befriedigt das einzelne Gem�th in Zeiten des Verlustes, der Entbehrung, des Schreckens, des Misstrauens, also da, wo die Regierung sich ausser Stande f�hlt, direct Etwas zur Linderung der seelischen Leiden des Privatmannes zu thun: ja selbst bei allgemeinen, unvermeidlichen und zun�chst unabwendbaren Uebeln (Hungersn�then, Geldkrisen, Kriegen) gew�hrt die Religion eine beruhigte, abwartende, vertrauende Haltung der Menge. Ueberall, wo die nothwendigen oder zuf�lligen M�ngel der Staatsregierung oder die gef�hrlichen Consequenzen dynastischer Interessen dem Einsichtigen sich bemerklich machen und ihn widersp�nstig stimmen, werden die Nicht-Einsichtigen den Finger Gottes zu sehen meinen und sich in Geduld den Anordnungen von Oben (in welchem Begriff g�ttliche und menschliche Regierungsweise gew�hnlich verschmelzen) unterwerfen: so wird der innere b�rgerliche Frieden und die Continuit�t der Entwickelung gewahrt. Die Macht, welche in der Einheit der Volksempfindung, in gleichen Meinungen und Zielen f�r Alle, liegt, wird durch die Religion besch�tzt und besiegelt, jene seltenen F�lle abgerechnet, wo eine Priesterschaft mit der Staatsgewalt sich �ber den Preis nicht einigen kann und in Kampf tritt. F�r gew�hnlich wird der Staat sich die Priester zu gewinnen wissen, weil er ihrer allerprivatesten, verborgenen Erziehung der Seelen ben�thigt ist und Diener zu sch�tzen weiss, welche scheinbar und �usserlich ein ganz anderes Interesse vertreten. Ohne Beih�lfe der Priester kann auch jetzt noch keine Macht "legitim" werden: wie Napoleon begriff. - So gehen absolute vormundschaftliche Regierung und sorgsame Erhaltung der Religion nothwendig mit einander. Dabei ist vorauszusetzen, dass die regierenden Personen und Classen �ber den Nutzen, welchen ihnen die Religion gew�hrt, aufgekl�rt werden und somit bis zu einem Grade sich ihr �berlegen f�hlen, insofern sie dieselbe als Mittel gebrauchen: wesshalb hier die Freigeisterei ihren Ursprung hat. - Wie aber, wenn jene ganz verschiedene Auffassung des Begriffes der Regierung, wie sie in demokratischen Staaten gelehrt wird, durchzudringen anf�ngt? Wenn man in ihr Nichts als das Werkzeug des Volkswillen sieht, kein Oben im Vergleich zu einem Unten, sondern lediglich eine Function des alleinigen Souverains, des Volkes? Hier kann auch nur die selbe Stellung, welche das Volk zur Religion einnimmt, von der Regierung eingenommen werden; jede Verbreitung von Aufkl�rung wird bis in ihre Vertreter hineinklingen m�ssen, eine Benutzung und Ausbeutung der religi�sen Triebkr�fte und Tr�stungen zu staatlichen Zwecken wird nicht so leicht m�glich sein (es sei denn, dass m�chtige Parteif�hrer zeitweilig einen Einfluss �ben, welcher dem des aufgekl�rten Despotismus �hnlich sieht). Wenn aber der Staat keinen Nutzen mehr aus der Religion selber ziehen darf oder das Volk viel zu mannichfach �ber religi�se Dinge denkt, als dass es der Regierung ein gleichartiges, einheitliches Vorgehen bei religi�sen Maassregeln gestatten d�rfte, - so wird nothwendig sich der Ausweg zeigen, die Religion als Privatsache zu behandeln und dem Gewissen und der Gewohnheit jedes Einzelnen zu �berantworten. Die Folge ist zu allererst diese, dass das religi�se Empfinden verst�rkt erscheint, insofern versteckte und unterdr�ckte Regungen desselben, welchen der Staat unwillk�rlich oder absichtlich keine Lebensluft g�nnte, jetzt hervorbrechen und bis in's Extreme ausschweifen; sp�ter erweist sich, dass die Religion von Secten �berwuchert wird und dass eine F�lle von Drachenz�hnen in dem Augenblicke ges�t worden ist, als man die Religion zur Privatsache machte. Der Anblick des Streites, die feindselige Bloslegung aller Schw�chen religi�ser Bekenntnisse l�sst endlich keinen Ausweg mehr zu, als dass jeder Bessere und Begabtere die Irreligiosit�t zu seiner Privatsache macht: als welche Gesinnung nun auch in dem Geiste der regierenden Personen die Ueberhand bekommt und, fast wider ihren Willen, ihren Maassregeln einen religionsfeindlichen Charakter giebt. Sobald diess eintritt, wandelt sich die Stimmung der noch religi�s bewegten Menschen, welche fr�her den Staat als etwas Halb- oder Ganzheiliges adorirten, in eine entschieden staatsfeindliche um; sie lauern den Maassregeln der Regierung auf, suchen zu hemmen, zu kreuzen, zu beunruhigen, so viel sie k�nnen, und treiben dadurch die Gegenpartei, die irreligi�se, durch die Hitze ihres Widerspruchs in eine fast fanatische Begeisterung f�r den Staat hinein; wobei im Stillen noch mitwirkt, dass in diesen Kreisen die Gem�ther seit der Trennung von der Religion eine Leere sp�ren und sich vorl�ufig durch die Hingebung an den Staat einen Ersatz, eine Art von Ausf�llung zu schaffen suchen. Nach diesen, vielleicht lange dauernden Uebergangsk�mpfen entscheidet es sich endlich, ob die religi�sen Parteien noch stark genug sind, um einen alten Zustand heraufzubringen und das Rad zur�ckzudrehen: in welchem Falle unvermeidlich der aufgekl�rte Despotismus (vielleicht weniger aufgekl�rt und �ngstlicher, als fr�her) den Staat in die H�nde bekommt, - oder ob die religionslosen Parteien sich durchsetzen und die Fortpflanzung ihrer Gegnerschaft, einige Generationen hindurch, etwa durch Schule und Erziehung, untergraben und endlich unm�glich machen. Dann aber l�sst auch bei ihnen jene Begeisterung f�r den Staat nach: immer deutlicher tritt hervor, dass mit jener religi�sen Adoration, f�r welche er ein Mysterium, eine �berweltliche Stiftung ist, auch das ehrf�rchtige und piet�tvolle Verh�ltniss zu ihm ersch�ttert ist. F�rderhin sehen die Einzelnen immer nur die Seite an ihm, wo er ihnen n�tzlich oder sch�dlich werden kann, und dr�ngen sich mit allen Mitteln heran, um Einfluss auf ihn zu bekommen. Aber diese Concurrenz wird bald zu gross, die Menschen und Parteien wechseln zu schnell, st�rzen sich gegenseitig zu wild vom Berge wieder herab, nachdem sie kaum oben angelangt sind. Es fehlt allen Maassregeln, welche von einer Regierung durchgesetzt werden, die B�rgschaft ihrer Dauer; man scheut vor Unternehmungen zur�ck, welche auf Jahrzehnte, Jahrhunderte hinaus ein stilles Wachsthum haben m�ssten, um reife Fr�chte zu zeitigen. Niemand f�hlt eine andere Verpflichtung gegen ein Gesetz mehr, als die, sich augenblicklich der Gewalt, welche ein Gesetz einbrachte, zu beugen: sofort geht man aber daran, es durch eine neue Gewalt, eine neu zu bildende Majorit�t zu unterminiren. Zuletzt - man kann es mit Sicherheit aussprechen - muss das Misstrauen gegen alles Regierende, die Einsicht in das Nutzlose und Aufreibende dieser kurzathmigen K�mpfe die Menschen zu einem ganz neuen Entschlusse dr�ngen: zur Abschaffung des Staatsbegriffs, zur Aufhebung des Gegensatzes "privat und �ffentlich". Die Privatgesellschaften ziehen Schritt vor Schritt die Staatsgesch�fte in sich hinein: selbst der z�heste Rest, welcher von der alten Arbeit des Regierens �brigbleibt (jene Th�tigkeit zum Beispiel welche die Privaten gegen die Privaten sicher stellen soll), wird zu allerletzt einmal durch Privatunternehmer besorgt werden. Die Missachtung, der Verfall und der Tod des Staates, die Entfesselung der Privatperson (ich h�te mich zu sagen: des Individuums) ist die Consequenz des demokratischen Staatsbegriffes; hier liegt seine Mission. Hat er seine Aufgabe erf�llt - die wie alles Menschliche viel Vernunft und Unvernunft im Schoosse tr�gt -, sind alle R�ckf�lle der alten Krankheit �berwunden, so wird ein neues Blatt im Fabelbuche der Menschheit entrollt, auf dem man allerlei seltsame Historien und vielleicht auch einiges Gute lesen wird. - Um das Gesagte noch einmal kurz zu sagen: das Interesse der vormundschaftlichen Regierung und das Interesse der Religion gehen mit einander Hand in Hand, so dass, wenn letztere abzusterben beginnt, auch die Grundlage des Staates ersch�ttert wird. Der Glaube an eine g�ttliche Ordnung der politischen Dinge, an ein Mysterium in der Existenz des Staates ist religi�sen Ursprungs: schwindet die Religion, so wird der Staat unvermeidlich seinen alten Isisschleier verlieren und keine Ehrfurcht mehr erwecken. Die Souver�nit�t des Volkes, in der N�he gesehen, dient dazu, auch den letzten Zauber und Aberglauben auf dem Gebiete dieser Empfindungen zu verscheuchen; die moderne Demokratie ist die historische Form vom Verfall des Staates. - Die Aussicht, welche sich durch diesen sichern Verfall ergiebt, ist aber nicht in jedem Betracht eine ungl�ckselige: die Klugheit und der Eigennutz der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet; wenn den Anforderungen dieser Kr�fte der Staat nicht mehr entspricht, so wird am wenigsten das Chaos eintreten, sondern eine noch zweckm�ssigere Erfindung, als der Staat es war, zum Siege �ber den Staat kommen. Wie manche organisirende Gewalt hat die Menschheit schon absterben sehen, - zum Beispiel die der Geschlechtsgenossenschaft, als welche Jahrtausende lang viel m�chtiger war, als die Gewalt der Familie, ja l�ngst, bevor diese bestand, schon waltete und ordnete. Wir selber sehen den bedeutenden Rechts- und Machtgedanken der Familie, welcher einmal, so weit wie r�misches Wesen reichte, die Herrschaft besass, immer blasser und ohnm�chtiger werden. So wird ein sp�teres Geschlecht auch den Staat in einzelnen Strecken der Erde bedeutungslos werden sehen, - eine Vorstellung, an welche viele Menschen der Gegenwart kaum ohne Angst und Abscheu denken k�nnen. An der Verbreitung und Verwirklichung dieser Vorstellung zu arbeiten, ist freilich ein ander Ding: man muss sehr anmaassend von seiner Vernunft denken und die Geschichte kaum halb verstehen, um schon jetzt die Hand an den Pflug zu legen, - w�hrend noch Niemand die Samenk�rner aufzeigen kann, welche auf das zerrissene Erdreich nachher gestreut werden sollen. Vertrauen wir also "der Klugheit und dem Eigennutz der Menschen", dass jetzt noch der Staat eine gute Weile bestehen bleibt und zerst�rerische Versuche �bereifriger und voreiliger Halbwisser abgewiesen werden! 473. Der Socialismus in Hinsicht auf seine Mittel. - Der Socialismus ist der phantastische j�ngere Bruder des fast abgelebten Despotismus, den er beerben will; seine Bestrebungen sind also im tiefsten Verstande reaction�r. Denn er begehrt eine F�lle der Staatsgewalt, wie sie nur je der Despotismus gehabt hat, ja er �berbietet alles Vergangene dadurch, dass er die f�rmliche Vernichtung des Individuums anstrebt: als welches ihm wie ein unberechtigter Luxus der Natur vorkommt und durch ihn in ein zweckm�ssiges Organ des Gemeinwesens umgebessert werden soll. Seiner Verwandtschaft wegen erscheint er immer in der N�he aller excessiven Machtentfaltungen, wie der alte typische Socialist Plato am Hofe des sicilischen Tyrannen; er w�nscht (und bef�rdert unter Umst�nden) den c�sarischen Gewaltstaat dieses Jahrhunderts, weil er, wie gesagt, sein Erbe werden m�chte. Aber selbst diese Erbschaft w�rde f�r seine Zwecke nicht ausreichen, er braucht die allerunterth�nigste Niederwerfung aller B�rger vor dem unbedingten Staate, wie niemals etwas Gleiches existirt hat; und da er nicht einmal auf die alte religi�se Piet�t f�r den Staat mehr rechnen darf, vielmehr an deren Beseitigung unwillk�rlich fortw�hrend arbeiten muss - n�mlich weil er an der Beseitigung aller bestehenden Staaten arbeitet -, so kann er sich nur auf kurze Zeiten, durch den �ussersten Terrorismus, hie und da einmal auf Existenz Hoffnung machen. Desshalb bereitet er sich im Stillen zu Schreckensherrschaften vor und treibt den halb gebildeten Massen das Wort "Gerechtigkeit" wie einen Nagel in den Kopf, um sie ihres Verstandes v�llig zu berauben (nachdem dieser Verstand schon durch die Halbbildung sehr gelitten hat) und ihnen f�r das b�se Spiel, das sie spielen sollen, ein gutes Gewissen zu schaffen. - Der Socialismus kann dazu dienen, die Gefahr aller Anh�ufungen von Staatsgewalt recht brutal und eindringlich zu lehren und insofern vor dem Staate selbst Misstrauen einzufl�ssen. Wenn seine rauhe Stimme in das Feldgeschrei "so viel Staat wie m�glich" einf�llt, so wird dieses zun�chst dadurch l�rmender, als je: aber bald dringt auch das entgegengesetzte mit um so gr�sserer Kraft hervor: "so wenig Staat wie m�glich". 474. Die Entwickelung des Geistes, vom Staate gef�rchtet. - Die griechische Polis war, wie jede organisirende politische Macht, ausschliessend und misstrauisch gegen das Wachsthum der Bildung, ihr gewaltiger Grundtrieb zeigte sich fast nur l�hmend und hemmend f�r dieselbe. Sie wollte keine Geschichte, kein Werden in der Bildung gelten lassen; die in dem Staatsgesetz festgestellte Erziehung sollte alle Generationen verpflichten und auf Einer Stufe festhalten. Nicht anders wollte es sp�ter auch noch Plato f�r seinen idealen Staat. Trotz der Polis entwickelte sich also die Bildung: indirect freilich und wider Willen half sie mit, weil die Ehrsucht des Einzelnen in der Polis auf's H�chste angereizt wurde, so dass er, einmal auf die Bahn geistiger Ausbildung gerathen, auch in ihr bis in's letzte Extrem fortgieng. Dagegen soll man sich nicht auf die Verherrlichungsrede des Perikles berufen: denn sie ist nur ein grosses optimistisches Trugbild �ber den angeblich nothwendigen Zusammenhang von Polis und athenischer Cultur; Thukydides l�sst sie, unmittelbar bevor die Nacht �ber Athen kommt (die Pest und der Abbruch der Tradition), noch einmal wie eine verkl�rende Abendr�the aufleuchten, bei der man den schlimmen Tag vergessen soll, der ihr vorangieng. 475. Der europ�ische Mensch und die Vernichtung der Nationen. - Der Handel und die Industrie, der B�cher- und Briefverkehr, die Gemeinsamkeit aller h�heren Cultur, das schnelle Wechseln von Ort und Landschaft, das jetzige Nomadenleben aller Nicht-Landbesitzer, - diese Umst�nde bringen nothwendig eine Schw�chung und zuletzt eine Vernichtung der Nationen, mindestens der europ�ischen, mit sich: so dass aus ihnen allen, in Folge fortw�hrender Kreuzungen, eine Mischrasse, die des europ�ischen Menschen, entstehen muss. Diesem Ziele wirkt jetzt bewusst oder unbewusst die Abschliessung der Nationen durch Erzeugung nationaler Feindseligkeiten entgegen, aber langsam geht der Gang jener Mischung dennoch vorw�rts, trotz jener zeitweiligen Gegenstr�mungen: dieser k�nstliche Nationalismus ist �brigens so gef�hrlich wie der k�nstliche Katholicismus es gewesen ist, denn er ist in seinem Wesen ein gewaltsamer Noth- und Belagerungszustand, welcher von Wenigen �ber Viele verh�ngt ist, und braucht List, L�ge und Gewalt, um sich in Ansehen zu halten. Nicht das Interesse der Vielen (der V�lker), wie man wohl sagt, sondern vor Allem das Interesse bestimmter F�rstendynastien, sodann das bestimmter Classen des Handels und der Gesellschaft, treibt zu diesem Nationalismus; hat man diess einmal erkannt, so soll man sich nur ungescheut als guten Europ�er ausgeben und durch die That an der Verschmelzung der Nationen arbeiten: wobei die Deutschen durch ihre alte bew�hrte Eigenschaft, Dolmetscher und Vermittler der V�lker zusein, mitzuhelfen verm�gen. - Beil�ufig: das ganze Problem der Juden ist nur innerhalb der nationalen Staaten vorhanden, insofern hier �berall ihre Thatkr�ftigkeit und h�here Intelligenz, ihr in langer Leidensschule von Geschlecht zu Geschlecht angeh�uftes Geist- und Willens-Capital, in einem neid- und hasserweckenden Maasse zum Uebergewicht kommen muss, so dass die litterarische Unart fast in allen jetzigen Nationen �berhand nimmt - und zwar je mehr diese sich wieder national geb�rden -, die Juden als S�ndenb�cke aller m�glichen �ffentlichen und inneren Uebelst�nde zur Schlachtbank zu f�hren. Sobald es sich nicht mehr um Conservirung von Nationen, sondern um die Erzeugung einer m�glichst kr�ftigen europ�ischen Mischrasse handelt, ist der Jude als Ingredienz ebenso brauchbar und erw�nscht, als irgend ein anderer nationaler Rest. Unangenehme, ja gef�hrliche Eigenschaften hat jede Nation, jeder Mensch; es ist grausam, zu verlangen, dass der Jude eine Ausnahme machen soll. Jene Eigenschaften m�gen sogar bei ihm in besonderem Maasse gef�hrlich und abschreckend sein; und vielleicht ist der jugendliche B�rsen-Jude die widerlichste Erfindung des Menschengeschlechtes �berhaupt. Trotzdem m�chte ich wissen, wie viel man bei einer Gesammtabrechnung einem Volke nachsehen muss, welches, nicht ohne unser Aller Schuld, die leidvollste Geschichte unter allen V�lkern gehabt hat und dem man den edelsten Menschen (Christus), den reinsten Weisen (Spinoza), das m�chtigste Buch und das wirkungsvollste Sittengesetz der Welt verdankt. Ueberdiess: in den dunkelsten Zeiten des Mittelalters, als sich die asiatische Wolkenschicht schwer �ber Europa gelagert hatte, waren es j�dische Freidenker, Gelehrte und Aerzte, welche das Banner der Aufkl�rung und der geistigen Unabh�ngigkeit unter dem h�rtesten pers�nlichen Zwange festhielten und Europa gegen Asien vertheidigten; ihren Bem�hungen ist es nicht am wenigsten zu danken, dass eine nat�rlichere, vernunftgem�ssere und jedenfalls unmythische Erkl�rung der Welt endlich wieder zum Siege kommen konnte und dass der Ring der Cultur, welcher uns jetzt mit der Aufkl�rung des griechisch-r�mischen Alterthums zusammenkn�pft, unzerbrochen blieb. Wenn das Christenthum Alles gethan hat, um den Occident zu orientalisiren, so hat das judenthum wesentlich mit dabei geholfen, ihn immer wieder zu occidentalisiren: was in einem bestimmten Sinne so viel heisst als Europa's Aufgabe und Geschichte zu einer Fortsetzung der griechischen zumachen. 476. Scheinbare Ueberlegenheit des Mittelalters. - Das Mittelalter zeigt in der Kirche ein Institut mit einem ganz universalen, die gesammte Menschheit in sich begreifenden Ziele, noch dazu einem solchen, welches den - vermeintlich - h�chsten Interessen derselben galt: dagegen gesehen, machen die Ziele der Staaten und Nationen, welche die neuere Geschichte zeigt, einen beklemmenden Eindruck; sie erscheinen kleinlich, niedrig, materiell, r�umlich beschr�nkt. Aber dieser verschiedene Eindruck auf die Phantasie soll unser Urtheil ja nicht bestimmen; denn jenes universale Institut entsprach erk�nstelten, auf Fictionen beruhenden Bed�rfnissen, welche es, wo sie noch nicht vorhanden waren, erst erzeugen musste (Bed�rfniss der Erl�sung); die neuen Institute helfen wirklichen Nothzust�nden ab; und die Zeit kommt, wo Institute entstehen, um den gemeinsamen wahren Bed�rfnissen aller Menschen zu dienen und das phantastische Urbild, die katholische Kirche, in Schatten und Vergessenheit zu stellen. 477. Der Krieg unentbehrlich. - Es ist eitel Schw�rmerei und Sch�nseelenthum, von der Menschheit noch viel (oder gar: erst recht viel) zu erwarten, wenn sie verlernt hat, Kriege zu f�hren. Einstweilen kennen wir keine anderen Mittel, wodurch mattwerdenden V�lkern jene rauhe Energie des Feldlagers, jener tiefe unpers�nliche Hass, jene M�rder-Kaltbl�tigkeit mit gutem Gewissen, jene gemeinsame organisirende Gluth in der Vernichtung des Feindes, jene stolze Gleichg�ltigkeit gegen grosse Verluste, gegen das eigene Dasein und das der Befreundeten, jenes dumpfe erdbebenhafte Ersch�ttern der Seele ebenso stark und sicher mitgetheilt werden k�nnte, wie diess jeder grosse Krieg thut: von den hier hervorbrechenden B�chen und Str�men, welche freilich Steine und Unrath aller Art mit sich w�lzen und die Wiesen zarter Culturen zu Grunde richten, werden nachher unter g�nstigen Umst�nden die R�derwerke in den Werkst�tten des Geistes mit neuer Kraft umgedreht. Die Cultur kann die Leidenschaften, Laster und Bosheiten durchaus nicht entbehren. - Als die kaiserlich gewordenen R�mer der Kriege etwas m�de wurden, versuchten sie aus Thierhetzen, Gladiatorenk�mpfen und Christenverfolgungen sich neue Kraft zu gewinnen. Die jetzigen Engl�nder, welche im Ganzen auch dem Kriege abgesagt zu haben scheinen, ergreifen ein anderes Mittel, um jene entschwindenden Kr�fte neu zu erzeugen: jene gef�hrlichen Entdeckungsreisen, Durchschiffungen, Erkletterungen, zu wissenschaftlichen Zwecken, wie es heisst, unternommen, in Wahrheit, um �bersch�ssige Kraft aus Abenteuern und Gefahren aller Art mit nach Hause zu bringen. Man wird noch vielerlei solche Surrogate des Krieges ausfindig machen, aber vielleicht durch sie immer mehr einsehen, dass eine solche hoch cultivirte und daher nothwendig matte Menschheit, wie die der jetzigen Europ�er, nicht nur der Kriege, sondern der gr�ssten und furchtbarsten Kriege - also zeitweiliger R�ckf�lle in die Barbarei - bedarf, um nicht an den Mitteln der Cultur ihre Cultur und ihr Dasein selber einzub�ssen. 478. Fleiss im S�den und Norden. - Der Fleiss entsteht auf zwei ganz verschiedene Arten. Die Handwerker im S�den werden fleissig, nicht aus Erwerbstrieb, sondern aus der best�ndigen Bed�rftigkeit der Anderen. Weil immer Einer kommt, der ein Pferd beschlagen, einen Wagen ausbessern lassen will, so ist der Schmied fleissig. K�me Niemand, so w�rde er auf dem Markte herumlungern. Sich zu ern�hren, das hat in einem fruchtbaren Lande wenig Noth, dazu brauchte er nur ein sehr geringes Maass von Arbeit, jedenfalls keinen Fleiss; schliesslich w�rde er betteln und zufrieden sein. - Der Fleiss englischer Arbeiter hat dagegen den Erwerbssinn hinter sich: er ist sich seiner selbst und seiner Ziele bewusst und will mit dem Besitz die Macht, mit der Macht die gr�sstm�gliche Freiheit und individuelle Vornehmheit. 479. Reichthum als Ursprung eines Gebl�tsadels. - Der Reichthum erzeugt nothwendig eine Aristokratie der Rasse, denn er gestattet die sch�nsten Weiber zu w�hlen, die besten Lehrer zu besolden, er g�nnt dem Menschen Reinlichkeit, Zeit zu k�rperlichen Uebungen und vor Allem Abwendung von verdumpfender k�rperlicher Arbeit. Soweit verschafft er alle Bedingungen, um, in einigen Generationen, die Menschen vornehm und sch�n sich bewegen, ja selbst handeln zu machen: die gr�ssere Freiheit des Gem�thes, die Abwesenheit des Erb�rmlich-Kleinen, der Erniedrigung vor Brodgebern, der Pfennig-Sparsamkeit. - Gerade diese negativen Eigenschaften sind das reichste Angebinde des Gl�ckes f�r einen jungen Menschen; ein ganz Armer richtet sich gew�hnlich durch Vornehmheit der Gesinnung zu Grunde, er kommt nicht vorw�rts und erwirbt Nichts, seine Rasse ist nicht lebensf�hig. - Dabei ist aber zu bedenken, dass der Reichthum fast die gleichen Wirkungen aus�bt, wenn Einer dreihundert Thaler oder dreissigtausend j�hrlich verbrauchen darf: es giebt nachher keine wesentliche Progression der beg�nstigenden Umst�nde mehr. Aber weniger zu haben, als Knabe zu betteln und sich zu erniedrigen, ist furchtbar: obwohl f�r Solche, welche ihr Gl�ck im Glanze der H�fe, in der Unterordnung unter M�chtige und Einflussreiche suchen oder welche Kirchenh�upter werden wollen, es der rechte Ausgangspunct sein mag. (- Es lehrt, geb�ckt sich in die H�hleng�nge der Gunst einzuschleichen.) 480. Neid und Tr�gheit in verschiedener Richtung. - Die beiden gegnerischen Parteien, die socialistische und die nationale - oder wie die Namen in den verschiedenen L�ndern Europa's lauten m�gen - sind einander w�rdig: Neid und Faulheit sind die bewegenden M�chte in ihnen beiden. In jenem Heerlager will man so wenig als m�glich mit den H�nden arbeiten, in diesem so wenig als m�glich mit dem Kopf; in letzterem hasst und neidet man die hervorragenden, aus sich wachsenden Einzelnen, welche sich nicht gutwillig in Reih und Glied zum Zwecke einer Massenwirkung stellen lassen; in ersterem die bessere, �usserlich g�nstiger gestellte Kaste der Gesellschaft, deren eigentliche Aufgabe, die Erzeugung der h�chsten Culturg�ter, das Leben innerlich um so viel schwerer und schmerzensreicher macht. Gelingt es freilich, jenen Geist der Massenwirkung zum Geiste der h�heren Classen der Gesellschaft zu machen, so sind die socialistischen Schaaren ganz im Rechte, wenn sie auch �usserlich zwischen sich und jenen zu nivelliren suchen, da sie ja innerlich, in Kopf und Herz, schon mit einander nivellirt sind. - Lebt als h�here Menschen und thut immerfort die Thaten der h�heren Cultur, - so gesteht euch Alles, was da lebt, euer Recht zu, und die Ordnung der Gesellschaft, deren Spitze ihr seid, ist gegen jeden b�sen Blick und Griff gefeit! 481. Grosse Politik und ihre Einbussen. - Ebenso wie ein Volk die gr�ssten Einbussen, welche Krieg und Kriegsbereitschaft mit sich bringen, nicht durch die Unkosten des Krieges, die Stauungen im Handel und Wandel erleidet, ebenso nicht durch die Unterhaltung der stehenden Heere - so gross diese Einbussen auch jetzt sein m�gen, wo acht Staaten Europa's j�hrlich die Summe von zwei bis drei Milliarden darauf verwenden -, sondern dadurch, dass Jahr aus Jahr ein die t�chtigsten, kr�ftigsten, arbeitsamsten M�nner in ausserordentlicher Anzahl ihren eigentlichen Besch�ftigungen und Berufen entzogen werden, um Soldaten zu sein: ebenso erleidet ein Volk, welches sich anschickt, grosse Politik zu treiben und unter den m�chtigsten Staaten sich eine entscheidende Stimme zu sichern, seine gr�ssten Einbussen nicht darin, worin man sie gew�hnlich findet. Es ist wahr, dass es von diesem Zeitpuncte ab fortw�hrend eine Menge der hervorragendsten Talente auf dem "Altar des Vaterlandes" oder der nationalen Ehrsucht opfert, w�hrend fr�her diesen Talenten, welche jetzt die Politik verschlingt, andere Wirkungskreise offen standen. Aber abseits von diesen �ffentlichen Hekatomben, und im Grunde viel grauenhafter als diese, begiebt sich ein Schauspiel, welches fortw�hrend in hunderttausend Acten gleichzeitig sich abspielt: jeder t�chtige, arbeitsame, geistvolle, strebende Mensch eines solchen nach politischen Ruhmeskr�nzen l�sternen Volkes wird von dieser L�sternheit beherrscht und geh�rt seiner eigenen Sache nicht mehr, wie fr�her, v�llig an: die t�glich neuen Fragen und Sorgen des �ffentlichen Wohles verschlingen eine t�gliche Abgabe von dem Kopf- und Herz-Capitale jedes B�rgers: die Summe all dieser Opfer und Einbussen an individueller Energie und Arbeit ist so ungeheuer, dass das politische Aufbl�hen eines Volkes eine geistige Verarmung und Ermattung, eine geringere Leistungsf�higkeit zu Werken, welche grosse Concentration und Einseitigkeit verlangen, fast mit Nothwendigkeit nach sich zieht. Zuletzt darf man fragen: lohnt sich denn all diese Bl�the und Pracht des Ganzen (welche ja doch nur als Furcht der anderen Staaten vor dem neuen Coloss und als dem Auslande abgerungene Beg�nstigung der nationalen Handels- und Verkehrs-Wohlfahrt zu Tage tritt), wenn dieser groben und buntschillernden Blume der Nation alle die edleren, zarteren, geistigeren Pflanzen und Gew�chse, an welchen ihr Boden bisher so reich war, zum Opfer gebracht werden m�ssen? 482. Und nochmals gesagt. - Oeffentliche Meinungen - private Faulheiten. Neuntes Hauptst�ck. Der Mensch mit sich allein. 483. Feinde der Wahrheit. - Ueberzeugungen sind gef�hrlichere Feinde der Wahrheit, als L�gen. 484. Verkehrte Welt. - Man kritisirt einen Denker sch�rfer, wenn er einen uns unangenehmen Satz hinstellt; und doch w�re es vem�nftiger, diess zu thun, wenn sein Satz uns angenehm ist. 485. Charaktervoll. - Charaktervoll erscheint ein Mensch weit h�ufiger, weil er immer seinem Temperamente, als weil er immer seinen Principien folgt. 486. Das Eine, was Noth thut. - Eins muss man haben: entweder einen von Natur leichten Sinn oder einen durch Kunst und Wissen erleichterten Sinn. 487. Die Leidenschaft f�r Sachen. - Wer seine Leidenschaft auf Sachen (Wissenschaften, Staatswohl, Culturinteressen, K�nste) richtet, entzieht seiner Leidenschaft f�r Personen viel Feuer (selbst wenn sie Vertreter jener Sachen sind, wie Staatsm�nner, Philosophen, K�nstler Vertreter ihrer Sch�pfungen sind). 488. Die Ruhe in der That. - Wie ein Wasserfall im Sturz langsamer und schwebender wird, so pflegt der grosse Mensch der That mit mehr Ruhe zu handeln, als seine st�rmische Begierde vor der That es erwarten liess. 489. Nicht zu tief. - Personen, welche eine Sache in aller Tiefe erfassen, bleiben ihr selten auf immer treu. Sie haben eben die Tiefe an's Licht gebracht: da giebt es immer viel Schlimmes zu sehen. 490. Wahn der Idealisten. - Alle Idealisten bilden sich ein, die Sachen, welchen sie dienen, seien wesentlich besser, als die anderen Sachen in der Welt, und wollen nicht glauben, dass wenn ihre Sache �berhaupt gedeihen soll, sie genau des selben �bel riechenden D�ngers bedarf, welchen alle anderen menschlichen Unternehmungen n�thig haben. 491. Selbstbeobachtung. - Der Mensch ist gegen sich selbst, gegen Auskundschaftung und Belagerung durch sich selber, sehr gut vertheidigt, er vermag gew�hnlich nicht mehr von sich, als seine Aussenwerke wahrzunehmen. Die eigentliche Festung ist ihm unzug�nglich, selbst unsichtbar, es sei denn, dass Freunde und Feinde die Verr�ther machen und ihn selber auf geheimem Wege hineinf�hren. 492. Der richtige Beruf. - M�nner halten selten einen Beruf aus, von dem sie nicht glauben oder sich einreden, er sei im Grunde wichtiger, als alle anderen. Ebenso geht es Frauen mit ihren Liebhabern. 493. Adel der Gesinnung. - Der Adel der Gesinnung besteht zu einem grossen Teil aus Gutm�thigkeit und Mangel an Misstrauen, und enth�lt also gerade Das, wor�ber sich die gewinns�chtigen und erfolgreichen Menschen so gerne mit Ueberlegenheit und Spott ergehen. 494. Ziel und Wege. - Viele sind hartn�ckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, Wenige in Bezug auf das Ziel. 495. Das Emp�rende an einer individuellen Lebensart. - Alle sehr individuellen Maassregeln des Lebens bringen die Menschen gegen Den, der sie ergreift, auf; sie f�hlen sich durch die aussergew�hnliche Behandlung, welche jener sich angedeihen l�sst, erniedrigt, als gew�hnliche Wesen. 496. Vorrecht der Gr�sse. - Es ist das Vorrecht der Gr�sse, mit geringen Gaben hoch zu begl�cken. 497. Unwillk�rlich vornehm. - Der Mensch betr�gt sich unwillk�rlich vornehm, wenn er sich gew�hnt hat, von den Menschen Nichts zu wollen und ihnen immer zu geben. 498. Bedingung des Heroenthums. - Wenn Einer zum Helden werden will, so muss die Schlange vorher zum Drachen geworden sein, sonst fehlt ihm sein rechter Feind. 499. Freund. - Mit Freude, nicht Mitleiden, macht den Freund. 500. Ebbe und Fluth zu benutzen. - Man muss zum Zwecke der Erkenntniss jene innere Str�mung zu benutzen wissen, welche uns zu einer Sache hinzieht und wiederum jene, welche uns nach einer Zeit von der Sache fortzieht. 501. Freude an sich.- "Freude an der Sache" so sagt man: aber in Wahrheit, ist es Freude an sich vermittelst einer Sache. 502. Der Bescheidene. - Wer gegen Personen bescheiden ist, zeigt gegen Sachen (Stadt, Staat, Gesellschaft, Zeit, Menschheit) um so st�rker seine Anmaassung. Das ist seine Rache. 503. Neid und Eifersucht. - Neid und Eifersucht sind die Schamtheile der menschlichen Seele. Die Vergleichung kann vielleicht fortgesetzt werden. 504. Der vornehmste Heuchler. - Gar nicht von sich zu reden, ist eine sehr vornehme Heuchelei. 505. Verdruss. - Der Verdruss ist eine k�rperliche Krankheit, welche keineswegs dadurch schon gehoben ist, dass die Veranlassung zum Verdruss hinterdrein beseitigt wird. 506. Vertreter der Wahrheit. - Nicht wenn es gef�hrlich ist, die Wahrheit zu sagen, findet sie am seltensten Vertreter, sondern wenn es langweilig ist. 507. Beschwerlicher noch, als Feinde. - Die Personen, von deren sympathischem Verhalten wir nicht unter allen Umst�nden �berzeugt sind, w�hrend uns irgend ein Grund (z.B. Dankbarkeit) verpflichtet, den Anschein der unbedingten Sympathie unsererseits aufrecht zu erhalten, qu�len unsere Phantasie viel mehr, als unsere Feinde. 508. Die freie Natur. - Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung �ber uns hat. 509. Jeder in Einer Sache �berlegen. - In civilisirten Verh�ltnissen f�hlt sich Jeder jedem Anderen in Einer Sache wenigstens �berlegen: darauf beruht das allgemeine Wohlwollen, insofern Jeder einer ist, der unter Umst�nden helfen kann und desshalb sich ohne Scham helfen lassen darf. 510. Trostgr�nde. - Bei einem Todesfall braucht man zumeist Trostgr�nde, nicht sowohl um die Gewalt des Schmerzes zu lindern, als um zu entschuldigen, dass man sich so leicht getr�stet f�hlt. 511. Die Ueberzeugungstreuen. - Wer viel zu thun hat, beh�lt seine allgemeinen Ansichten und Standpuncte fast unver�ndert bei. Ebenso jeder, der im Dienst einer Idee arbeitet: er wird die Idee selber nie mehr pr�fen, dazu hat er keine Zeit mehr; ja es geht gegen sein Interesse, sie �berhaupt noch f�r discutirbar zu halten. 512. Moralit�t und Quantit�t. - Die h�here Moralit�t des einen Menschen, im Vergleich zu der eines anderen, liegt oft nur darin, dass die Ziele quantitativ gr�sser sind. Jenen zieht die Besch�ftigung mit dem Kleinen, im engen Kreise, nieder. 513. Das Leben als Ertrag des Lebens. - Der Mensch mag sich noch so weit mit seiner Erkenntniss ausrecken, sich selber noch so objectiv vorkommen: zuletzt tr�gt er doch Nichts davon, als seine eigene Biographie. 514. Die eherne Nothwendigkeit. - Die eherne Nothwendigkeit ist ein Ding, von dem die Menschen im Verlauf der Geschichte einsehen, dass es weder ehern noch nothwendig ist. 515. Aus der Erfahrung. - Die Unvernunft einer Sache ist kein Grund gegen ihr Dasein, vielmehr eine Bedingung desselben. 516. Wahrheit. - Niemand stirbt jetzt an t�dtlichen Wahrheiten: es giebt zu viele Gegengifte. 517. Grundeinsicht. - Es giebt keine pr�stabilirte Harmonie zwischen der F�rderung der Wahrheit und dem Wohle der Menschheit. 518. Menschenloos. - Wer tiefer denkt, weiss, dass er immer Unrecht hat, er mag handeln und urtheilen, wie er will. 519. Wahrheit als Circe. - Der Irrthum hat aus Thieren Menschen gemacht; sollte die Wahrheit im Stande sein, aus dem Menschen wieder ein Thier zu machen? 520. Gefahr unserer Cultur. - Wir geh�ren einer Zeit an, deren Cultur in Gefahr ist, an den Mitteln der Cultur zu Grunde zu gehen. 521. Gr�sse heisst: Richtung-geben. - Kein Strom ist durch sich selber gross und reich: sondern dass er so viele Nebenfl�sse aufnimmt und fortf�hrt, das macht ihn dazu. So steht es auch mit allen Gr�ssen des Geistes. Nur darauf kommt es an, dass Einer die Richtung angiebt, welcher dann so viele Zufl�sse folgen m�ssen; nicht darauf, ob er von Anbeginn arm oder reich begabt ist. 522. Schwaches Gewissen. - Menschen, welche von ihrer Bedeutung f�r die Menschheit sprechen, haben in Bezug auf gemeine b�rgerliche Rechtlichkeit im Halten von Vertr�gen, Versprechungen, ein schwaches Gewissen. 523. Geliebt sein wollen. - Die Forderung, geliebt zu werden, ist die gr�sste der Anmaassungen. 524. Menschenverachtung. - Das unzweideutigste Anzeichen von einer Geringsch�tzung der Menschen ist diess, dass man Jedermann nur als Mittel zu seinem Zwecke oder gar nicht gelten l�sst. 525. Anh�nger aus Widerspruch. - Wer die Menschen zur Raserei gegen sich gebracht hat, hat sich immer auch eine Partei zu seinen Gunsten erworben. 526. Erlebnisse vergessen. - Wer viel denkt, und zwar sachlich denkt, vergisst leicht seine eigenen Erlebnisse, aber nicht so die Gedanken, welche durch jene hervorgerufen wurden. 527. Festhalten einer Meinung. - Der Eine h�lt eine Meinung fest, weil er sich Etwas darauf einbildet, von selbst auf sie gekommen zu sein, der Andere, weil er sie mit M�he gelernt hat und stolz darauf ist, sie begriffen zu haben: Beide also aus Eitelkeit. 528. Das Licht scheuen. - Die gute That scheut ebenso �ngstlich das Licht, als die b�se That: diese f�rchtet, durch das Bekanntwerden komme der Schmerz (als Strafe), jene f�rchtet, durch das Bekanntwerden schwinde die Lust (jene reine Lust an sich selbst n�mlich, welche sofort aufh�rt, sobald eine Befriedigung der Eitelkeit hinzutritt). 529. Die L�nge des Tages. - Wenn man viel hineinzustecken hat, so hat ein Tag hundert Taschen. 530. Tyrannengenie. - Wenn in der Seele eine unbezwingliche Lust dazu rege ist, sich tyrannisch durchzusetzen, und das Feuer best�ndig unterh�lt, so wird selbst eine geringe Begabung (bei Politikern, K�nstlern) allm�hlich zu einer fast unwiderstehlichen Naturgewalt. 531. Das Leben des Feindes. - Wer davon lebt, einen Feind zu bek�mpfen, hat ein Interesse daran, dass er am Leben bleibt. 532. Wichtiger. - Man nimmt die unerkl�rte dunkle Sache wichtiger, als die erkl�rte helle. 533. Absch�tzung erwiesener Dienste. - Dienstleistungen, die uns jemand erweist, sch�tzen wir nach dem Werthe, den Jener darauf legt, nicht nach dem, welchen sie f�r uns haben. 534. Ungl�ck. - Die Auszeichnung, welche im Ungl�ck liegt (als ob es ein Zeichen von Flachheit, Anspruchslosigkeit, Gew�hnlichkeit sei, sich gl�cklich zu f�hlen), ist so gross, dass wenn Jemand Einem sagt: "Aber wie gl�cklich Sie sind!" man gew�hnlich protestirt. 535. Phantasie der Angst. - Die Phantasie der Angst ist jener b�se �ffische Kobold, der dem Menschen gerade dann noch auf den R�cken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat. 536. Werth abgeschmackter Gegner. - Man bleibt mitunter einer Sache nur desshalb treu, weil ihre Gegner nicht aufh�ren, abgeschmackt zu sein. 537. Werth eines Berufes. - Ein Beruf macht gedankenlos; darin liegt sein gr�sster Segen. Denn er ist eine Schutzwehr, hinter welche man sich, wenn Bedenken und Sorgen allgemeiner Art Einen anfallen, erlaubtermaassen zur�ckziehen kann. 538. Talent. - Das Talent manches Menschen erscheint geringer als es ist, weil er sich immer zu grosse Aufgaben gestellt hat. 539. Jugend. - Die Jugend ist unangenehm; denn in ihr ist es nicht m�glich oder nicht vern�nftig, productiv zu sein, in irgend einem Sinne. 540. Zugrosse Ziele. - Wer sich �ffentlich grosse Ziele stellt und hinterdrein im Geheimen einsieht, dass er dazu zu schwach ist, hat gew�hnlich auch nicht Kraft genug, jene Ziele �ffentlich zu widerrufen und wird dann unvermeidlich zum Heuchler. 541. Im Strome. - Starke Wasser reissen viel Gestein und Gestr�pp mit sich fort, starke Geister viel dumme und verworrene K�pfe. 542. Gefahren der geistigen Befreiung. - Bei der ernstlich gemeinten geistigen Befreiung eines Menschen hoffen im Stillen auch seine Leidenschaften und Begierden ihren Vortheil sich zu ersehen. 543. Verk�rperung des Geistes. - Wenn Einer viel und klug denkt, so bekommt nicht nur sein Gesicht, sondern auch sein K�rper ein kluges Aussehen. 544. Schlecht sehen und schlecht h�ren. - Wer wenig sieht, sieht immer weniger; wer schlecht h�rt, h�rt immer Einiges noch dazu. 545. Selbstgenuss in der Eitelkeit. - Der Eitele will nicht sowohl hervorragen, als sich hervorragend f�hlen, desshalb verschm�ht er kein Mittel des Selbstbetruges und der Selbst�berlistung. Nicht die Meinung der Anderen, sondern seine Meinung von Deren Meinung liegt ihm am Herzen. 546. Ausnahmsweise eitel. - Der f�r gew�hnlich Selbstgen�gsame ist ausnahmsweise eitel und f�r Ruhm- und Lobspr�che empf�nglich, wenn er k�rperlich krank ist. In dem Maasse, in welchem er sich verliert, muss er sich aus fremder Meinung, von Aussen her, wieder zu gewinnen suchen. 547. Die "Geistreichen". - Der hat keinen Geist, welcher den Geist sucht. 548. Wink f�r Parteih�upter. - Wenn man die Leute dazu treiben kann, sich �ffentlich f�r Etwas zu erkl�ren, so hat man sie meistens auch dazu gebracht, sich innerlich daf�r zu erkl�ren; sie wollen f�rderhin als consequent erfunden werden. 549. Verachtung. - Die Verachtung durch Andere ist dem Menschen empfindlicher, als die durch sich selbst. 550. Schnur der Dankbarkeit. - Es giebt sclavische Seelen, welche die Erkenntlichkeit f�r erwiesene Wohlthaten so weit treiben, dass sie sich mit der Schnur der Dankbarkeit selbst erdrosseln. 551. Kunstgriff des Propheten. - Um die Handlungsweise gew�hnlicher Menschen im Voraus zu errathen, muss man annehmen, dass sie immer den mindesten Aufwand an Geist machen, um sich aus einer unangenehmen Lage zu befreien. 552. Das einzige Menschenrecht. - Wer vom Herk�mmlichen abweicht, ist das Opfer des Aussergew�hnlichen; wer im Herk�mmlichen bleibt, ist der Sclave desselben. Zu Grunde gerichtet wird man auf jeden Fall. 553. Unter das Thier hinab. - Wenn der Mensch vor Lachen wiehert, �bertrifft er alle Thiere durch seine Gemeinheit. 554. Halbwissen. - Der, welcher eine fremde Sprache wenig spricht, hat mehr Freude daran, als Der, welcher sie gut spricht. Das Vergn�gen ist bei den Halbwissenden. 555. Gef�hrliche H�lfbereitschaft. - Es giebt Leute, welche das Leben den Menschen erschweren wollen, aus keinem andern Grunde, als um ihnen hinterdrein ihre Recepte zur Erleichterung des Lebens, zum Beispiel ihr Christenthum, anzubieten. 556. Fleiss und Gewissenhaftigkeit. - Fleiss und Gewissenhaftigkeit sind oftmals dadurch Antagonisten, dass der Fleiss die Fr�chte sauer vom Baume nehmen will, die Gewissenhaftigkeit sie aber zu lange h�ngen l�sst, bis sie herabfallen und sich zerschlagen. 557. Verd�chtigen. - Menschen, welche man nicht leiden kann, sucht man sich zu verd�chtigen. 558. Die Umst�nde fehlen. - Viele Menschen warten ihr Leben lang auf die Gelegenheit, auf ihre Art gut zu sein. 559. Mangel an Freunden. - Der Mangel an Freunden l�sst auf Neid oder Anmaassung schliessen. Mancher verdankt seine Freunde nur dem gl�cklichen Umstande, dass er keinen Anlass zum Neide hat. 560. Gefahr in der Vielheit. - Mit einem Talente mehr steht man oft unsicherer, als mit einem weniger: wie der Tisch besser auf drei, als auf vier F�ssen steht. 561. Den Andern zum Vorbild. - Wer ein gutes Beispiel geben will, muss seiner Tugend einen Gran Narrheit zusetzen: dann ahmt man nach und erhebt sich zugleich �ber den Nachgeahmten, - was die Menschen lieben. 562. Zielscheibe sein. - Die b�sen Reden Anderer �ber uns gelten oft nicht eigentlich uns, sondern sind die Aeusserungen eines Aergers, einer Verstimmung aus ganz anderen Gr�nden. 563. Leicht resignirt. - Man leidet wenig an versagten W�nschen, wenn man seine Phantasie ge�bt hat, die Vergangenheit zu verh�sslichen. 564. In Gefahr. - Man ist am Meisten in Gefahr, �berfahren zu werden, wenn man eben einem Wagen ausgewichen ist. 565. Je nach der Stimme die Rolle. - Wer gezwungen ist, lauter zu reden, als er gewohnt ist (etwa vor einem Halb-Tauben oder vor einem grossen Auditorium), �bertreibt gew�hnlich die Dinge, welche er mitzutheilen hat. - Mancher wird zum Verschw�rer, b�swilligen Nachredner, Intriguanten, blos weil seine Stimme sich am besten zu einem Gefl�ster eignet. 566. Liebe und Hass. - Liebe und Hass sind nicht blind, aber geblendet vom Feuer, das sie selber mit sich tragen. 567. Mit Vortheil angefeindet. - Menschen, welche der Welt ihre Verdienste nicht v�llig deutlich machen k�nnen, suchen sich eine starke Feindschaft zu erwecken. Sie haben dann den Trost, zu denken, dass diese zwischen ihren Verdiensten und deren Anerkennung stehe - und dass mancher Andere das Selbe vermuthe: was sehr vortheilhaft f�r ihre Geltung ist. 568. Beichte. - Man vergisst seine Schuld, wenn man sie einem Andern gebeichtet hat, aber gew�hnlich vergisst der Andere sie nicht. 569. Selbstgen�gsamkeit. - Das goldene Vliess der Selbstgen�gsamkeit sch�tzt gegen Pr�gel, aber nicht gegen Nadelstiche. 570. Schatten in der Flamme. - Die Flamme ist sich selber nicht so hell, als den Anderen, denen sie leuchtet: so auch der Weise. 571. Eigene Meinungen. - Die erste Meinung, welche uns einf�llt, wenn wir pl�tzlich �ber eine Sache befragt werden, ist gew�hnlich nicht unsere eigene, sondern nur die landl�ufige, unserer Kaste, Stellung, Abkunft zugeh�rige; die eigenen Meinungen schwimmen selten oben auf. 572. Herkunft des Muthes. - Der gew�hnliche Mensch ist muthig und unverwundbar wie ein Held, wenn er die Gefahr nicht sieht, f�r sie keine Augen hat. Umgekehrt: der Held hat die einzig verwundbare Stelle auf dem R�cken, also dort, wo er keine Augen hat. 573. Gefahr im Arzte. - Man muss f�r seinen Arzt geboren sein, sonst geht man an seinem Arzt zu Grunde. 574. Wunderliche Eitelkeit. - Wer dreimal mit Dreistigkeit das Wetter prophezeit hat und Erfolg hatte, der glaubt im Grunde seiner Seele ein Wenig an seine Prophetengabe. Wir lassen das Wunderliche, Irrationelle gelten, wenn es unserer Selbstsch�tzung schmeichelt. 575. Beruf. - Ein Beruf ist das R�ckgrat des Lebens. 576. Gefahr pers�nlichen Einflusses. - Wer f�hlt, dass er auf einen Anderen einen grossen innerlichen Einfluss aus�bt, muss ihm ganz freie Z�gel lassen, ja gelegentliches Widerstreben gern sehen und selbst herbeif�hren: sonst wird er unvermeidlich sich einen Feind machen. 577. Den Erben gelten lassen. - Wer etwas Grosses in selbstloser Gesinnung begr�ndet hat, sorgt daf�r, sich Erben zu erziehen. Es ist das Zeichen einer tyrannischen und unedlen Natur, in allen m�glichen Erben seines Werkes seine Gegner zu sehen und gegen sie im Stande der Nothwehr zu leben. 578. Halbwissen. - Das Halbwissen ist siegreicher, als das Ganzwissen: es kennt die Dinge einfacher, als sie sind, und macht daher seine Meinung fasslicher und �berzeugender. 579. Nicht geeignet zum Parteimann. - Wer viel denkt, eignet sich nicht zum Parteimann: er denkt sich zu bald durch die Partei hindurch. 580. Schlechtes Ged�chtniss. - Der Vortheil des schlechten Ged�chtnisses ist, dass man die selben guten Dinge mehrere Male zum Ersten Male geniesst. 581. Sich Schmerzen machen. - R�cksichtslosigkeit des Denkens ist oft das Zeichen einer unfriedlichen inneren Gesinnung, welche Bet�ubung begehrt. 582. M�rtyrer. - Der J�nger eines M�rtyrers leidet mehr, als der M�rtyrer. 583. R�ckst�ndige Eitelkeit. - Die Eitelkeit mancher Menschen, die es nicht n�thig h�tten, eitel zu sein, ist die �briggebliebene und gross gewachsene Gewohnheit aus der Zeit her, wo sie noch kein Recht hatten, an sich zu glauben und diesen Glauben erst von Andern in kleiner M�nze einbettelten. 584. Punctum saliens der Leidenschaft. - Wer im Begriff ist, in Zorn oder in einen heftigen Liebesaffect zu gerathen, erreicht einen Punct, wo die Seele voll ist wie ein Gef�ss: aber doch muss ein Wassertropfen noch hinzukommen, der gute Wille zur Leidenschaft (den man gew�hnlich auch den b�sen nennt). Es ist nur dieses P�nctchen n�thig, dann l�uft das Gef�ss �ber. 585. Gedanke des Unmuthes. - Es ist mit den Menschen wie mit den Kohlenmeilern im Walde. Erst wenn die jungen Menschen ausgegl�ht haben und verkohlt sind, gleich jenen, dann werden sie n�tzlich. So lange sie dampfen und rauchen, sind sie vielleicht interessanter, aber unn�tz und gar zu h�ufig unbequem. - Die Menschheit verwendet schonungslos jeden Einzelnen als Material zum Heizen ihrer grossen Maschinen: aber wozu dann die Maschinen, wenn alle Einzelnen (das heisst die Menschheit) nur dazu n�tzen, sie zu unterhalten? Maschinen, die sich selbst Zweck sind, - ist das die umana commedia? 586. Vom Stundenzeiger des Lebens. - Das Leben besteht aus seltenen einzelnen Momenten von h�chster Bedeutsamkeit und unz�hlig vielen Intervallen, in denen uns besten Falls die Schattenbilder jener Momente umschweben. Die Liebe, der Fr�hling, jede sch�ne Melodie, das Gebirge, der Mond, das Meer - Alles redet nur einmal ganz zum Herzen: wenn es �berhaupt je ganz zu Worte kommt. Denn viele Menschen haben jene Momente gar nicht und sind selber Intervalle und Pausen in der Symphonie des wirklichen Lebens. 587. Angreifen oder eingreifen. - Wir machen h�ufig den Fehler, eine Richtung oder Partei oder Zeit lebhaft anzufeinden, weil wir zuf�llig nur ihre ver�usserlichte Seite, ihre Verk�mmerung oder die ihnen nothwendig anhaftenden "Fehler ihrer Tugenden" zu sehen bekommen, - vielleicht weil wir selbst an diesen vornehmlich theilgenommen haben. Dann wenden wir ihnen den R�cken und suchen eine entgegengesetzte Richtung; aber das Bessere w�re, die starken guten Seiten aufzusuchen oder an sich selber auszubilden. Freilich geh�rt ein kr�ftigerer Blick und besserer Wille dazu, das Werdende und Unvollkommene zu f�rdern, als es in seiner Unvollkommenheit zu durchschauen und zu verleugnen. 588. Bescheidenheit. - Es giebt wahre Bescheidenheit (das heisst die Erkenntniss, dass wir nicht unsere eigenen Werke sind); und recht wohl geziemt sie dem grossen Geiste, weil gerade er den Gedanken der v�lligen Unverantwortlichkeit (auch f�r das Gute, was er schafft) fassen kann. Die Unbescheidenheit des Grossen hasst man nicht, insofern er seine Kraft f�hlt, sondern weil er seine Kraft dadurch erst erfahren will, dass er die Anderen verletzt, herrisch behandelt und zusieht, wie weit sie es aushalten. Gew�hnlich beweist diess sogar den Mangel an sicherem Gef�hl der Kraft und macht somit die Menschen an seiner Gr�sse zweifeln. Insofern ist Unbescheidenheit vom Gesichtspuncte der Klugheit aus sehr zu widerrathen. 589. Des Tages erster Gedanke. - Das beste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist: beim Erwachen daran zu denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tage eine Freude machen k�nne. Wenn diess als ein Ersatz f�r die religi�se Gew�hnung des Gebetes gelten d�rfte, so h�tten die Mitmenschen einen Vortheil bei dieser Aenderung. 590. Anmaassung als letztes Trostmittel. - Wenn man ein Missgeschick, seinen intellectuellen Mangel, seine Krankheit sich so zurecht legt, dass man hierin sein vorgezeichnetes Schicksal, seine Pr�fung oder die geheimnissvolle Strafe f�r fr�her Begangenes sieht, so macht man sich sein eigenes Wesen dadurch interessant und erhebt sich in der Vorstellung �ber seine Mitmenschen. Der stolze S�nder ist eine bekannte Figur in allen kirchlichen Secten. 591. Vegetation des Gl�ckes. - Dicht neben dem Wehe der Welt, und oft auf seinem vulcanischen Boden, hat der Mensch seine kleinen G�rten des Gl�ckes angelegt; ob man das Leben mit dem Blicke Dessen betrachtet, der vom Dasein Erkenntniss allein will, oder Dessen, der sich ergiebt und resignirt, oder Dessen, der an der �berwundenen Schwierigkeit sich freut, - �berall wird er etwas Gl�ck neben dem Unheil aufgesprosst finden - und zwar um so mehr Gl�ck, je vulcanischer der Boden war nur w�re es l�cherlich, zu sagen, dass mit diesem Gl�ck das Leiden selbst gerechtfertigt sei. 592. Die Strasse der Vorfahren. - Es ist vern�nftig, wenn jemand das Talent, auf welches sein Vater oder Grossvater M�he verwendet hat, an sich selbst weiter ausbildet und nicht zu etwas ganz Neuem umschl�gt; er nimmt sich sonst die M�glichkeit, zum Vollkommenen in irgend einem Handwerk zu gelangen. Desshalb sagt das Spr�chwort: "Welche Strasse sollst du reiten? - die deiner Vorfahren." 593. Eitelkeit und Ehrgeiz als Erzieher. - So lange Einer noch nicht zum Werkzeug des allgemeinen menschlichen Nutzens geworden ist, mag ihn der Ehrgeiz peinigen; ist jenes Ziel aber erreicht, arbeitet er mit Nothwendigkeit wie eine Maschine zum Besten Aller, so mag dann die Eitelkeit kommen; sie wird ihn im Kleinen vermenschlichen, geselliger, ertr�glicher, nachsichtiger machen, dann, wenn der Ehrgeiz die grobe Arbeit (ihn n�tzlich zu machen) an ihm vollendet hat. 594. Philosophische Neulinge. - Hat man die Weisheit eines Philosophen eben eingenommen, so geht man durch die Strassen mit dem Gef�hle, als sei man umgeschaffen und ein grosser Mann geworden; denn man findet lauter Solche, welche diese Weisheit nicht kennen, hat also �ber Alles eine neue unbekannte Entscheidung vorzutragen: weil man ein Gesetzbuch anerkennt, meint man jetzt auch sich als Richter geb�rden zu m�ssen. 595. Durch Missfallen gefallen. - Die Menschen, welche lieber auffallen und dabei missfallen wollen, begehren das Selbe wie Die, welche nicht auffallen und gefallen wollen, nur in einem viel h�heren Grade und indirect, vermittelst einer Stufe, durch welche sie sich scheinbar von ihrem Ziele entfernen. Sie wollen Einfluss und Macht, und zeigen desshalb ihre Ueberlegenheit, selbst so, dass sie unangenehm empfunden wird; denn sie wissen, dass Der, welcher endlich zur Macht gelangt ist, fast in Allem was er thut und sagt, gef�llt, und dass selbst, wo er missf�llt, er doch noch zu gefallen scheint. - Auch der Freigeist, und ebenso der Gl�ubige, wollen Macht, um durch sie einmal zu gefallen; wenn ihnen ihrer Lehre wegen ein �beles Schicksal, Verfolgung, Kerker, Hinrichtung, droht, so freuen sie sich des Gedankens, dass ihre Lehre auf diese Weise der Menschheit eingeritzt und eingebrannt wird; sie nehmen es hin als ein schmerzhaftes, aber kr�ftiges, wenngleich sp�t wirkendes Mittel, um doch noch zur Macht zu gelangen. 596. Casus belli und Aehnliches - Der F�rst, welcher zu dem gefassten Entschlusse, Krieg mit dem Nachbar zu f�hren, einen casus belli ausfindig macht, gleicht dem Vater, der seinem Kinde eine Mutter unterschiebt, welche f�rderhin als solche gelten soll. Und sind nicht fast alle �ffentlich bekannt gemachten Motive unserer Handlungen solche untergeschobene M�tter? 597. Leidenschaft und Recht. - Niemand spricht leidenschaftlicher von seinem Rechte, als Der, welcher im Grunde seiner Seele einen Zweifel an seinem Rechte hat. Indem er die Leidenschaft auf seine Seite zieht, will er den Verstand und dessen Zweifel bet�uben: so gewinnt er das gute Gewissen und mit ihm den Erfolg bei den Mitmenschen. 598. Kunstgriff des Entsagenden. - Wer gegen die Ehe protestirt nach Art der katholischen Priester wird diese nach ihrer niedrigsten, gemeinsten Auffassung zu verstehen suchen. Ebenso wer die Ehre bei den Zeitgenossen von sich abweist, wird deren Begriff niedrig fassen; so erleichtert er sich die Entbehrung und den Kampf dagegen. Uebrigens wird Der, welcher sich im Ganzen viel versagt, sich im Kleinen leicht Indulgenz geben. Es w�re m�glich, dass Der, welcher �ber den Beifall der Zeitgenossen erhaben ist, doch die Befriedigung kleiner Eitelkeiten sich nicht versagen will. 599. Lebensalter der Anmaassung. - Zwischen dem sechsundzwanzigsten und dreissigsten Jahre liegt bei begabten Menschen die eigentliche Periode der Anmaassung; es ist die Zeit der ersten Reife, mit einem starken Rest von S�uerlichkeit. Man fordert auf Grund dessen, was man in sich f�hlt, von Mensen, welche Nichts oder wenig davon sehen, Ehre und Dem�thigung, und r�cht sich, weil diese zun�chst ausbleiben, durch jenen Blick, jene Geb�rde der Anmaassung, jenen Ton der Stimme, die ein feines Ohr und Auge an allen Productionen jenes Alters, seien es Gedichte, Philosophien, oder Bilder und Musik, wiedererkennt. Aeltere erfahrene M�nner l�cheln dazu und mit R�hrung gedenken sie dieses sch�nen Lebensalters, in dem man b�se �ber das Geschick ist, so viel zu sein und so wenig zu scheinen. Sp�ter scheint man wirklich mehr, - aber man hat den guten Glauben verloren, viel zu sein: man bleibe denn zeitlebens ein unverbesserlicher Narr der Eitelkeit. 600. Tr�gerisch und doch haltbar. - Wie man, um an einem Abgrund vorbeizugehen oder einen tiefen Bach auf einem Balken zu �berschreiten, eines Gel�nders bedarf, nicht um sich daran festzuhalten, - denn es w�rde sofort mit Einem zusammenbrechen, sondern um die Vorstellung der Sicherheit f�r das Auge zu erwecken, - so bedarf man als J�ngling solcher Personen, welche uns unbewusst den Dienst jenes Gel�nders erweisen; es ist wahr, sie w�rden uns nicht helfen, wenn wir uns wirklich, in grosser Gefahr, auf sie st�tzen wollten, aber sie geben die beruhigende Empfindung des Schutzes in der N�he (zum Beispiel V�ter, Lehrer, Freunde, wie sie, alle drei, gew�hnlich sind). 601. Lieben lernen. - Man muss lieben lernen, g�tig sein lernen, und diess von Jugend auf; wenn Erziehung und Zufall uns keine Gelegenheit zur Uebung dieser Empfindungen geben, so wird unsere Seele trocken und selbst zu einem Verst�ndnisse jener zarten Erfindungen liebevoller Menschen ungeeignet. Ebenso muss der Hass gelernt und gen�hrt werden, wenn Einer ein t�chtiger Hasser werden will: sonst wird auch der Keim dazu allm�hlich absterben. 602. Die Ruine als Schmuck. - Solche, die viele geistige Wandlungen durchmachen, behalten einige Ansichten und Gewohnheiten fr�herer Zust�nde bei, welche dann wie ein St�ck unerkl�rlichen Alterthums und grauen Mauerwerks in ihr neues Denken und Handeln hineinragen: oft zur Zierde der ganzen Gegend. 603. Liebe und Ehre. - Die Liebe begehrt, die Furcht meidet. Daran liegt es, dass man nicht zugleich von derselben Person wenigstens in dem selben Zeitraume, geliebt und geehrt werden kann. Denn der Ehrende erkennt die Macht an, das heisst er f�rchtet sie: sein Zustand ist Ehrfurcht. Die Liebe aber erkennt keine Macht an, Nichts was trennt, abhebt, �ber- und unterordnet. Weil sie nicht ehrt, so sind ehrs�chtige Menschen insgeheim oder �ffentlich gegen das Geliebtwerden widersp�nstig. 604. Vorurtheil f�r die kalten Menschen. - Menschen, welche rasch Feuer fangen, werden schnell kalt und sind daher im Ganzen unzuverl�ssig. Desshalb giebt es f�r alle Die, welche immer kalt sind oder sich so stellen, das g�nstige Vorurtheil, dass es besonders vertrauenswerthe zuverl�ssige Menschen seien: man verwechselt sie mit Denen, welche langsam Feuer fangen und es lange festhalten. 605. Das Gef�hrliche an freien Meinungen. - Das leichte Befassen mit freien Meinungen giebt einen Reiz, wie eine Art jucken; giebt man ihm mehr nach, so f�ngt man an, die Stellen zu reiben; bis zuletzt eine offene schmerzende Wunde entsteht, das heisst: bis die freie Meinung uns in unserer Lebensstellung, unsern menschlichen Beziehungen zu st�ren, zu qu�len beginnt. 606. Begierde nach tiefem Schmerz. - Die Leidenschaft l�sst, wenn sie vor�ber ist, eine dunkele Sehnsucht nach sich selber zur�ck und wirft im Verschwinden noch einen verf�hrerischen Blick zu. Es muss doch eine Art von Lust gew�hrt haben, mit ihrer Geissel geschlagen worden zu sein. Die m�ssigeren Empfindungen erscheinen dagegen schaal; man will, wie es scheint, die heftigere Unlust immer noch lieber als die matte Lust. 607. Unmuth �ber andere und die Welt. - Wenn wir, wie so h�ufig, unsern Unmuth an Anderen auslassen, w�hrend wir ihn eigentlich �ber uns empfinden, erstreben wir im Grunde eine Umnebelung und T�uschung unseres Urtheils: wir wollen diesen Unmuth a posteriori motiviren durch die Versehen, M�ngel der Anderen und uns selber so aus den Augen verlieren. - Die religi�s strengen Menschen, welche gegen sich selber unerbittliche Richter sind, haben zugleich am meisten Uebles der Menschheit �berhaupt nachgesagt: ein Heiliger, welcher sich die S�nden und den Anderen die Tugenden vorbeh�lt, hat nie gelebt: ebensowenig wie jener, welcher nach Buddha's Vorschrift sein Gutes vor den Leuten verbirgt und ihnen sein B�ses allein sehen l�sst. 608. Ursache und Wirkung verwechselt. - Wir suchen unbewusst die Grunds�tze und Lehrmeinungen, welche unserem Temperamente angemessen sind, so dass es zuletzt so aussieht, als ob die Grunds�tze und Lehrmeinungen unseren Charakter geschaffen, ihm Halt und Sicherheit gegeben h�tten: w�hrend es gerade umgekehrt zugegangen ist. Unser Denken und Urtheilen soll nachtr�glich, so scheint es, zur Ursache unseres Wesens gemacht werden: aber thats�chlich ist unser Wesen die Ursache, dass wir so und so denken und urtheilen. - Und was bestimmt uns zu dieser fast unbewussten Kom�die? Die Tr�gheit und Bequemlichkeit und nicht am wenigsten der Wunsch der Eitelkeit, durch und durch als consistent, in Wesen und Denken einartig erfunden zu werden: denn diess erwirbt Achtung, giebt Vertrauen und Macht. 609. Lebensalter und Wahrheit. - junge Leute lieben das Interessante und Absonderliche, gleichg�ltig wie wahr oder falsch es ist. Reifere Geister lieben Das an der Wahrheit, was an ihr interessant und absonderlich ist. Ausgereifte K�pfe endlich lieben die Wahrheit auch in Dem, wo sie schlicht und einf�ltig erscheint und dem gew�hnlichen Menschen Langeweile macht, weil sie gemerkt haben, dass die Wahrheit das H�chste an Geist, was sie besitzt, mit der Miene der Einfalt zu sagen pflegt. 610. Die Menschen als schlechte Dichter. - So wie schlechte Dichter im zweiten Theil des Verses zum Reime den Gedanken suchen, so pflegen die Menschen in der zweiten H�lfte des Lebens, �ngstlicher geworden, die Handlungen, Stellungen, Verh�ltnisse zu suchen, welche zu denen ihres fr�heren Lebens passen, so dass �usserlich Alles wohl zusammenklingt: aber ihr Leben ist nicht mehr von einem starken Gedanken beherrscht und immer wieder neu bestimmt, sondern an die Stelle desselben tritt die Absicht, einen Reim zu finden. 611. Langeweile und Spiel. - Das Bed�rfniss zwingt uns zur Arbeit, mit deren Ertrage das Bed�rfniss gestillt wird; das immer neue Erwachen der Bed�rfnisse gew�hnt uns an die Arbeit. In den Pausen aber, in welchen die Bed�rfnisse gestillt sind und gleichsam schlafen, �berf�llt uns die Langeweile. Was ist diese? Es ist die Gew�hnung an Arbeit �berhaupt, welche sich jetzt als neues, hinzukommendes Bed�rfniss geltend macht; sie wird um so st�rker sein, je st�rker Jemand gew�hnt ist zu arbeiten, vielleicht sogar je st�rker Jemand an Bed�rfnissen gelitten hat. Um der Langeweile zu entgehen, arbeitet der Mensch entweder �ber das Maass seiner sonstigen Bed�rfnisse hinaus oder er erfindet das Spiel, das heisst die Arbeit, welche kein anderes Bed�rfniss stillen soll, als das nach Arbeit �berhaupt. Wer des Spieles �berdr�ssig geworden ist und durch neue Bed�rfnisse keinen Grund zur Arbeit hat, den �berf�llt mitunter das Verlangen nach einem dritten Zustand, welcher sich zum Spiel verh�lt, wie Schweben zum Tanzen, wie Tanzen zum Gehen, nach einer seligen, ruhigen Bewegtheit: es ist die Vision der K�nstler und Philosophen von dem Gl�ck. 612. Lehre aus Bildern. - Betrachtet man eine Reihe Bilder von sich selber, von den Zeiten der letzten Kindheit bis zu der der Mannesreife, so findet man mit einer angenehmen Verwunderung, dass der Mann dem Kinde �hnlicher sieht, als der Mann dem J�nglinge: dass also, wahrscheinlich diesem Vorgange entsprechend, inzwischen eine zeitweilige Alienation vom Grundcharakter eingetreten ist, �ber welche die gesammelte, geballte Kraft des Mannes wieder Herr wurde. Dieser Wahrnehmung entspricht die andere, dass alle die starken Einwirkungen von Leidenschaften, Lehrern, politischen Ereignissen, welche in dem J�nglingsalter uns herumziehen, sp�ter wieder auf ein festes Maass zur�ckgef�hrt erscheinen: gewiss, sie leben und wirken in uns fort, aber das Grundempfinden und Grundmeinen hat doch die Uebermacht und benutzt sie wohl als Kraftquellen, nicht aber mehr als Regulatoren, wie diess wohl in den zwanziger Jahren geschieht. So erscheint auch das Denken und Empfinden des Mannes dem seines kindlichen Lebensalters wieder gem�sser, - und diese innere Thatsache spricht sich in der erw�hnten �usseren aus. 613. Stimmklang der Lebensalter. - Der Ton, indem J�nglinge reden, loben, tadeln, dichten, missf�llt dem Aelter gewordenen, weil er zu laut ist und zwar zugleich dumpf und undeutlich wie der Ton in einem Gew�lbe, der durch die Leerheit eine solche Schallkraft bekommt; denn das Meiste, was J�nglinge denken, ist nicht aus der F�lle ihrer eigenen Natur herausgestr�mt, sondern ist Anklang, Nachklang von dem, was in ihrer N�he gedacht, geredet, gelobt, getadelt worden ist. Weil aber die Empfindungen (der Neigung und Abneigung) viel st�rker, als die Gr�nde f�r jene, in ihnen nachklingen, so entsteht, wenn sie ihre Empfindung wieder laut werden lassen, jener dumpfe, hallende Ton, welcher f�r die Abwesenheit oder die Sp�rlichkeit von Gr�nden das Kennzeichen abgiebt. Der Ton des reiferen Alters ist streng, kurz abgebrochen, m�ssig laut, aber, wie alles deutlich Articulirte, sehr weit tragend. Das Alter endlich bringt h�ufig eine gewisse Milde und Nachsicht in den Klang und verzuckert ihn gleichsam: in manchen F�llen freilich vers�uert sie ihn auch. 614. Zur�ckgebliebene und vorwegnehmende Menschen. - Der unangenehme Charakter, welcher voller Misstrauen ist, alles gl�ckliche Gelingen der Mitbewerbenden und N�chsten mit Neid f�hlt, gegen abweichende Meinungen gewaltth�tig und aufbrausend ist, zeigt, dass er einer fr�heren Stufe der Cultur zugeh�rt, also ein Ueberbleibsel ist: denn die Art, in welcher er mit den Menschen verkehrt, war die rechte und zutreffende f�r die Zust�nde eines Faustrecht-Zeitalters; es ist ein zur�ckgebliebener Mensch. Ein anderer Charakter, welcher reich an Mitfreude ist, �berall Freunde gewinnt, alles Wachsende und Werdende liebevoll empfindet, alle Ehren und Erfolge Anderer mitgeniesst und kein Vorrecht, das Wahre allein zu erkennen, in Anspruch nimmt, sondern voll eines bescheidenen Misstrauens ist, - das ist ein vorwegnehmender Mensch, welcher einer h�heren Cultur der Menschen entgegenstrebt. Der unangenehme Charakter stammt aus den Zeiten, wo die rohen Fundamente des menschlichen Verkehrs erst zu bauen waren, der andere lebt auf deren h�chsten Stockwerken, m�glichst entfernt von dem wilden Thier, welches in den Kellern, unter den Fundamenten der Cultur, eingeschlossen w�thet und heult. 615. Trost f�r Hypochonder. - Wenn ein grosser Denker zeitweilig hypochondrischen Selbstqu�lereien unterworfen ist, so mag er sich zum Troste sagen: "es ist deine eigene grosse Kraft, von der dieser Parasit sich n�hrt und w�chst; w�re sie geringer, so w�rdest du weniger zu leiden haben." Ebenso mag der Staatsmann sprechen, wenn Eifersucht und Rachegef�hl, �berhaupt die Stimmung des bellum omnium contra omnes, zu der er als Vertreter einer Nation nothwendig eine starke Begabung haben muss, sich gelegentlich auch in seine pers�nlichen Beziehungen eindr�ngt und ihm das Leben schwer macht. 616. Der Gegenwart entfremdet. - Es hat grosse Vortheile, seiner Zeit sich einmal in st�rkerem Maasse zu entfremden und gleichsam von ihrem Ufer zur�ck in den Ocean der vergangenen Weltbetrachtungen getrieben zu werden. Von dort aus nach der K�ste zu blickend, �berschaut man wohl zum ersten Male ihre gesammte Gestaltung und hat, wenn man sich ihr wieder n�hert, den Vortheil, sie besser im Ganzen zu verstehen, als Die, welche sie nie verlassen haben. 617. Auf pers�nlichen M�ngeln s�en und ernten. - Menschen wie Rousseau verstehen es, ihre Schw�chen, L�cken, Laster gleichsam als D�nger ihres Talentes zu benutzen. Wenn jener die Verdorbenheit und Entartung der Gesellschaft als leidige Folge der Cultur beklagt, so liegt hier eine pers�nliche Erfahrung zu Grunde; deren Bitterkeit giebt ihm die Sch�rfe seiner allgemeinen Verurtheilung und vergiftet die Pfeile, mit denen er schiesst; er entlastet sich zun�chst als ein Individuum und denkt ein Heilmittel zu suchen, das direct der Gesellschaft, aber indirect und vermittelst jener, auch ihm zu Nutze ist. 618. Philosophisch gesinnt sein. - Gew�hnlich strebt man darnach, f�r alle Lebenslagen und Ereignisse eine Haltung des Gem�thes, eine Gattung von Ansichten zu erwerben, - das nennt man vornehmlich philosophisch gesinnt sein. Aber f�r die Bereicherung der Erkenntniss mag es h�heren Werth haben, nicht in dieser Weise sich zu uniformiren, sondern auf die leise Stimme der verschiedenen Lebenslagen zu h�ren; diese bringen ihre eigenen Ansichten mit sich. So nimmt man erkennenden Antheil am Leben und Wesen Vieler, indem man sich selber nicht als starres, best�ndiges, Eines Individuum behandelt. 619. Im Feuer der Verachtung. - Es ist ein neuer Schritt zum Selbst�ndigwerden, wenn man erst Ansichten zu �ussern wagt, die als schm�hlich f�r Den gelten, welcher sie hegt; da pflegen auch die Freunde und Bekannten �ngstlich zu werden. Auch durch dieses Feuer muss die begabte Natur hindurch; sie geh�rt sich hinterdrein noch vielmehr selber an. 620. Aufopferung. - Die grosse Aufopferung wird, im Falle der Wahl, einer kleinen Aufopferung vorgezogen: weil wir f�r die grosse uns durch Selbstbewunderung entsch�digen, was uns bei der kleinen nicht m�glich ist. 621. Liebe als Kunstgriff. - Wer etwas Neues wirklich kennen lernen will (sei es ein Mensch, ein Ereigniss, ein Buch), der thut gut, dieses Neue mit aller m�glichen Liebe aufzunehmen, von Allem, was ihm daran feindlich, anst�ssig, falsch vorkommt, schnell das Auge abzuwenden, ja es zu vergessen: so dass man zum Beispiel dem Autor eines Buches den gr�ssten Vorsprung giebt und geradezu, wie bei einem Wettrennen, mit klopfendem Herzen danach begehrt, dass er sein Ziel erreiche. Mit diesem Verfahren dringt man n�hmlich der neuen Sache bis an ihr Herz, bis an ihren bewegenden Punct: und diess heisst eben sie kennen lernen. Ist man soweit, so macht der Verstand hinterdrein seine Restrictionen; jene Uebersch�tzung, jenes zeitweilige Aush�ngen des kritischen Pendels war eben nur der Kunstgriff, die Seele einer Sache herauszulocken. 622. Zu gut und zu schlecht von der Welt denken. - Ob man zu gut oder zu schlecht von den Dingen denkt, man hat immer den Vortheil dabei, eine h�here Lust einzuernten: denn bei einer vorgefassten zu guten Meinung legen wir gew�hnlich mehr S�ssigkeit in die Dinge (Erlebnisse) hinein, als sie eigentlich enthalten. Eine vorgefasste zu schlechte Meinung verursacht eine angenehme Entt�uschung: das Angenehme, das an sich in den Dingen lag, bekommt einen Zuwachs durch das Angenehme der Ueberraschung. - Ein finsteres Temperament wird �brigens in beiden F�llen die umgekehrte Erfahrung machen. 623. Tiefe Menschen. - Diejenigen, welche ihre St�rke in der Vertiefung der Eindr�cke haben - man nennt sie gew�hnlich tiefe Menschen - sind bei allem Pl�tzlichen verh�ltnissm�ssig gefasst und entschlossen: denn im ersten Augenblick war der Eindruck noch flach, er wird dann erst tief. Lange vorhergesehene, erwartete Dinge oder Personen regen aber solche Naturen am meisten auf und machen sie fast unf�hig, bei der endlichen Ankunft derselben noch Gegenw�rtigkeit des Geistes zu haben. 624. Verkehr mit dem h�heren Selbst. - Ein jeder hat seinen guten Tag, wo er sein h�heres Selbst findet; und die wahre Humanit�t verlangt, jemanden nur nach diesem Zustande und nicht nach den Werktagen der Unfreiheit und Knechtung zu sch�tzen. Man soll zum Beispiel einen Maler nach seiner h�chsten Vision, die er zu sehen und darzustellen vermochte, taxiren und verehren. Aber die Menschen selber verkehren sehr verschieden mit diesem ihrem h�heren Selbst und sind h�ufig ihre eigenen Schauspieler, insofern sie Das, was sie in jenen Augenblicken sind, sp�ter immer wieder nachmachen. Manche leben in Scheu und Demuth vor ihrem Ideale und m�chten es verleugnen: sie f�rchten ihr h�heres Selbst, weil es, wenn es redet, anspruchsvoll redet. Dazu hat es eine geisterhafte Freiheit zu kommen und fortzubleiben wie es will; es wird desswegen h�ufig eine Gabe der G�tter genannt, w�hrend eigentlich alles Andere Gabe der G�tter (des Zufalls) ist: jenes aber ist der Mensch selber. 625. Einsame Menschen. - Manche Menschen sind so sehr an das Alleinsein mit sich selber gew�hnt, dass sie sich gar nicht mit Anderen vergleichen, sondern in einer ruhigen, freudigen Stimmung, unter guten Gespr�chen mit sich, ja mit Lachen ihr monologisches Leben fortspinnen. Bringt man sie aber dazu, sich mit Anderen zu vergleichen, so neigen sie zu einer gr�belnden Untersch�tzung ihrer selbst: so dass sie gezwungen werden m�ssen, eine gute, gerechte Meinung �ber sich erst von Anderen wieder zu lernen: und auch von dieser erlernten Meinung werden sie immer wieder Etwas abziehen und abhandeln wollen. - Man muss also gewissen Menschen ihr Alleinsein g�nnen und nicht so albern sein, wie es h�ufig geschieht, sie desswegen zu bedauern. 626. Ohne Melodie. - Es giebt Menschen, denen ein st�tiges Beruhen in sich selbst und ein harmonisches Sich-zurecht-legen aller ihrer F�higkeiten so zu eigen ist, dass ihnen jede zielesetzende Th�tigkeit widerstrebt. Sie gleichen einer Musik, welche aus lauter langgezogenen harmonischen Accorden besteht, ohne dass je auch nur der Ansatz zu einer gegliederten bewegten Melodie sich zeigte. Alle Bewegung von Aussen her dient nur, dem Kahne sofort wieder sein neues Gleichgewicht auf dem See harmonischen Wohlklangs zu geben. Moderne Menschen werden gew�hnlich auf's Aeusserste ungeduldig, wenn sie solchen Naturen begegnen, aus denen Nichts wird, ohne dass man ihnen sagen d�rfte, dass sie Nichts sind. Aber in einzelnen Stimmungen erregt ihr Anblick jene ungew�hnliche Frage: wozu �berhaupt Melodie? Warum gen�gt es uns nicht, wenn das Leben sich ruhevoll in einem tiefen See spiegelt? - Das Mittelalter war reicher an solchen Naturen als unsere Zeit. Wie selten trifft man noch auf einen, der so recht friedlich und froh mit sich auch im Gedr�nge fortleben kann, zu sich redend wie Goethe: "das Beste ist die tiefe Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse, und gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen k�nnen." 627. Leben und Erleben. - Sieht man zu, wie Einzelne mit ihren Erlebnissen - ihren unbedeutenden allt�glichen Erlebnissen - umzugehen wissen, so dass diese zu einem Ackerland werden, das dreimal des Jahres Frucht tr�gt; w�hrend Andere - und wie Viele! - durch den Wogenschlag der aufregendsten Schicksale, der mannigfaltigsten Zeit- und Volksstr�mungen hindurchgetrieben werden und doch immer leicht, immer obenauf, wie Kork, bleiben: so ist man endlich versucht, die Menschheit in eine Minorit�t (Minimalit�t) Solcher einzutheilen, welche aus Wenigem Viel zu machen verstehen: und in eine Majorit�t Derer, welche aus Vielem Wenig zu machen verstehen; ja man trifft auf jene umgekehrten Hexenmeister, welche, anstatt die Welt aus Nichts, aus der Welt ein Nichts schaffen. 628. Ernst im Spiele. - In Genua h�rte ich zur Zeit der Abendd�mmerung von einem Thurme her ein langes Glockenspiel: das wollte nicht enden und klang, wie uners�ttlich an sich selber, �ber das Ger�usch der Gassen in den Abendhimmel und die Meerluft hinaus, so schauerlich, so kindisch zugleich, so wehmuthsvoll. Da gedachte ich der Worte Plato's und f�hlte sie auf einmal im Herzen: alles Menschliche insgesammt ist des grossen Ernstes nicht werth; trotzdem-- 629. Von der Ueberzeugung und der Gerechtigkeit. - Das, was der Mensch in der Leidenschaft sagt, verspricht, beschliesst, nachher in K�lte und N�chternheit zu vertreten - diese Forderung geh�rt zu den schwersten Lasten, welche die Menschheit dr�cken. Die Folgen des Zornes, der aufflammenden Rache, der begeisterten Hingebung in alle Zukunft hin anerkennen zu m�ssen - das kann zu einer um so gr�sseren Erbitterung gegen diese Empfindungen reizen, je mehr gerade mit ihnen allerw�rts und namentlich von den K�nstlern ein G�tzendienst getrieben wird. Diese z�chten die Sch�tzung der Leidenschaften gross und haben es immer gethan; freilich verherrlichen sie auch die furchtbaren Genugthuungen der Leidenschaft, welche Einer an sich selber nimmt, jene Racheausbr�che mit Tod, Verst�mmelung, freiwilliger Verbannung im Gefolge, und jene Resignation des zerbrochnen Herzens. Jedenfalls: halten sie die Neugierde nach den Leidenschaften wach, es ist, als ob sie sagen wollten: ihr habt ohne Leidenschaften gar Nichts erlebt. - Weil man Treue geschworen, vielleicht gar einem rein fingirten Wesen, wie einem Gotte, weil man sein Herz hingegeben hat, einem F�rsten, einer Partei, einem Weibe, einem priesterlichen Orden, einem K�nstler, einem Denker, im Zustande eines verblendeten Wahnes, welcher Entz�ckung �ber uns legte und jene Wesen als jeder Verehrung, jedes Opfers w�rdig erscheinen liess - ist man nun unentrinnbar fest gebunden? Ja haben wir uns denn damals nicht selbst betrogen? War es nicht ein hypothetisches Versprechen, unter der freilich nicht laut gewordenen Voraussetzung, dass jene Wesen, denen wir uns weihten wirklich die Wesen sind, als welche sie in unserer Vorstellung erschienen? Sind wir verpflichtet, unsern Irrth�mern treu zu sein, selbst mit der Einsicht, dass wir durch diese Treue an unserem h�heren Selbst Schaden stiften? - Nein, es giebt kein Gesetz, keine Verpflichtung der Art, wir m�ssen Verr�ther werden, Untreue �ben, unsere Ideale immer wieder preisgeben. Aus einer Periode des Lebens in die andere schreiten wir nicht, ohne diese Schmerzen des Verrathes zu machen und auch daran wieder zu leiden. W�re es n�thig, dass wir uns, um diesen Schmerzen zu entgehen, vor den Aufwallungen unserer Empfindung h�ten m�ssten? W�rde dann die Welt nicht zu �de, zu gespenstisch f�r uns werden? Vielmehr wollen wir uns fragen, ob diese Schmerzen bei einem Wechsel der Ueberzeugung nothwendig sind oder ob sie nicht von einer irrth�mlichen Meinung und Sch�tzung abh�ngen. Warum bewundert man Den, welcher seiner Ueberzeugung treu bleibt, und verachtet Den, welcher sie wechselt? Ich f�rchte, die Antwort muss sein: weil Jedermann voraussetzt, dass nur Motive gemeineren Vortheils oder pers�nlicher Angst einen solchen Wechsel veranlassen. Das heisst: man glaubt im Grunde, dass Niemand seine Meinungen ver�ndert, so lange sie ihm vortheilhaft sind, oder wenigstens so lange sie ihm keinen Schaden bringen. Steht es aber so, so liegt darin ein schlimmes Zeugniss �ber die intellectuelle Bedeutung aller Ueberzeugungen. Pr�fen wir einmal, wie Ueberzeugungen entstehen, und sehen wir zu, ob sie nicht bei Weitem �bersch�tzt werden: dabei wird sich ergeben, dass auch der Wechsel von Ueberzeugungen unter allen Umst�nden nach falschem Maasse bemessen wird und dass wir bisher zu viel an diesem Wechsel zu leiden pflegten. 630. Ueberzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Ueberzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Ueberzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist; er steht im Alter der theoretischen Unschuld vor uns und ist ein Kind, wie erwachsen er auch sonst sein m�ge. Ganze Jahrtausende aber haben in jenen kindlichen Voraussetzungen gelebt und aus ihnen sind die m�chtigsten Kraftquellen der Menschheit herausgestr�mt. jene zahllosen Menschen, welche sich f�r ihre Ueberzeugungen opferten, meinten es f�r die unbedingte Wahrheit zu thun. Sie alle hatten Unrecht darin: wahrscheinlich hat noch nie ein Mensch sich f�r die Wahrheit geopfert; mindestens wird der dogmatische Ausdruck seines Glaubens unwissenschaftlich oder halbwissenschaftlich gewesen sein. Aber eigentlich wollte man Recht behalten, weil man meinte, Recht haben zu m�ssen. Seinen Glauben sich entreissen lassen, das bedeutete vielleicht seine ewige Seligkeit in Frage stellen. Bei einer Angelegenheit von dieser �ussersten Wichtigkeit war der "Wille" gar zu h�rbar der Souffleur des Intellects. Die Voraussetzung jedes Gl�ubigen jeder Richtung war, nicht widerlegt werden zu k�nnen; erwiesen sich die Gegengr�nde als sehr stark, so blieb ihm immer noch �brig, die Vernunft �berhaupt zu verl�stern und vielleicht gar das "credo quia absurdum est" als Fahne des �ussersten Fanatismus aufzupflanzen. Es ist nicht der Kampf der Meinungen, welcher die Geschichte so gewaltth�tig gemacht hat, sondern der Kampf des Glaubens an die Meinungen, das heisst der Ueberzeugungen. Wenn doch alle Die, welche so gross von ihrer Ueberzeugung dachten, Opfer aller Art ihr brachten und Ehre, Leib und Leben in ihrem Dienste nicht schonten, nur die H�lfte ihrer Kraft der Untersuchung gewidmet h�tten, mit welchem Rechte sie an dieser oder jener Ueberzeugung hiengen, auf welchem Wege sie zu ihr gekommen seien: wie friedfertig s�he die Geschichte der Menschheit aus! Wieviel mehr des Erkannten w�rde es geben! Alle die grausamen Scenen bei der Verfolgung der Ketzer jeder Art w�ren uns aus zwei Gr�nden erspart geblieben: einmal weil die Inquisitoren vor Allem in sich selbst inquirirt h�tten und �ber die Anmaassung, die unbedingte Wahrheit zu vertheidigen, hinausgekommen w�ren; sodann weil die Ketzer selber so schlecht begr�ndeten S�tzen, wie die S�tze aller religi�sen Sectirer und "Rechtgl�ubigen" sind, keine weitere Theilnahme geschenkt haben w�rden, nachdem sie dieselben untersucht h�tten. 631. Aus den Zeiten her, in welchen Menschen daran gew�hnt waren, an den Besitz der unbedingten Wahrheit zu glauben, stammt ein tiefes Missbehagen an allen skeptischen und relativistischen Stellungen zu irgendwelchen Fragen der Erkenntniss; man zieht meistens vor, sich einer Ueberzeugung, welche Personen von Autorit�t haben (V�ter, Freunde, Lehrer, F�rsten), auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, und hat, wenn man diess nicht thut, eine Art von Gewissensbissen. Dieser Hang ist ganz begreiflich und seine Folgen geben kein Recht zu heftigen Vorw�rfen gegen die Entwickelung der menschlichen Vernunft. Allm�hlich muss aber der wissenschaftliche Geist im Menschen jene Tugend der vorsichtigen Enthaltung zeitigen, jene weise M�ssigung, welche im Gebiet des praktischen Lebens bekannter ist, als im Gebiet des theoretischen Lebens, und welche zum Beispiel Goethe im Antonio dargestellt hat, als einen Gegenstand der Erbitterung f�r alle Tasso's, das heisst f�r die unwissenschaftlichen und zugleich thatlosen Naturen. Der Mensch der Ueberzeugung hat in sich ein Recht, jenen Menschen des vorsichtigen Denkens, den theoretischen Antonio, nicht zu begreifen; der wissenschaftliche Mensch hinwiederum hat kein Recht, jenen desshalb zu tadeln, er �bersieht ihn und weiss ausserdem, im bestimmten Falle, dass jener sich an ihn noch anklammern wird, so wie es Tasso zuletzt mit Antonio thut. 632. Wer nicht durch verschiedene Ueberzeugungen hindurchgegangen ist, sondern in dem Glauben h�ngen bleibt, in dessen Netz er sich zuerst verfieng, ist unter allen Umst�nden eben wegen dieser Unwandelbarkeit ein Vertreter zur�ckgebliebener Culturen; er ist gem�ss diesem Mangel an Bildung (welche immer Bildbarkeit voraussetzt) hart, unverst�ndig, unbelehrbar, ohne Milde, ein ewiger Verd�chtiger, ein Unbedenklicher, der zu allen Mitteln greift, seine Meinung durchzusetzen, weil er gar nicht begreifen kann, dass es andere Meinungen geben m�sse; er ist, in solchem Betracht, vielleicht eine Kraftquelle und in allzu frei und schlaff gewordenen Culturen sogar heilsam, aber doch nur, weil er kr�ftig anreizt, ihm Widerpart zu halten: denn dabei wird das zartere Gebilde der neuen Cultur, welche zum Kampf mit ihm gezwungen ist, selber stark. 633. Wir sind im Wesentlichen noch dieselben Menschen, wie die des Zeitalters der Reformation: wie sollte es auch anders sein? Aber dass wir uns einige Mittel nicht mehr erlauben, um mit ihnen unsrer Meinung zum Siege zu verhelfen, das hebt uns gegen jene Zeit ab und beweist, dass wir einer h�hern Cultur angeh�ren. Wer jetzt noch, in der Art der Reformations-Menschen, Meinungen mit Verd�chtigungen, mit Wuthausbr�chen bek�mpft und niederwirft, verr�th deutlich, dass er seine Gegner verbrannt haben w�rde, falls er in anderen Zeiten gelebt h�tte, und dass er zu allen Mitteln der Inquisition seine Zuflucht genommen haben w�rde, wenn er als Gegner der Reformation gelebt h�tte. Diese Inquisition war damals vern�nftig, denn sie bedeutete nichts Anderes, als den allgemeinen Belagerungszustand, welcher �ber den ganzen Bereich der Kirche verh�ngt werden musste, und der, wie jeder Belagerungszustand, zu den �ussersten Mitteln berechtigte, unter der Voraussetzung n�mlich (welche wir jetzt nicht mehr mit jenen Menschen theilen), dass man die Wahrheit, in der Kirche, habe, und um jeden Preis mit jedem Opfer zum Heile der Menschheit bewahren m�sse. Jetzt aber giebt man Niemandem so leicht mehr zu, dass er die Wahrheit habe: die strengen Methoden der Forschung haben genug Misstrauen und Vorsicht verbreitet, so dass Jeder, welcher gewaltth�tig in Wort und Werk Meinungen vertritt, als ein Feind unserer jetzigen Cultur, mindestens als ein zur�ckgebliebener empfunden wird. In der That: das Pathos, dass man die Wahrheit habe, gilt jetzt sehr wenig im Verh�ltniss zu jenem freilich milderen und klanglosen Pathos des Wahrheit-Suchens, welches nicht m�de wird, umzulernen und neu zu pr�fen. 634. Uebrigens ist das methodische Suchen der Wahrheit selber das Resultat jener Zeiten, in denen die Ueberzeugungen mit einander in Fehde lagen. Wenn nicht dem Einzelnen an seiner "Wahrheit", das heisst an seinem Rechtbehalten gelegen h�tte, so gebe es �berhaupt keine Methode der Forschung; so aber, bei dem ewigen Kampfe der Anspr�che verschiedener Einzelner auf unbedingte Wahrheit, gieng man Schritt vor Schritt weiter, um unumst�ssliche Prinzipien zu finden, nach denen das Recht der Anspr�che gepr�ft und der Streit geschlichtet werden k�nne. Zuerst entschied man nach Autorit�ten, sp�ter, kritisirte man sich gegenseitig die Wege und Mittel, mit denen die angebliche Wahrheit gefunden worden war; dazwischen gab es eine Periode, wo man die Consequenzen des gegnerischen Satzes zog und vielleicht sie als sch�dlich und ungl�cklich machend erfand: woraus dann sich f�r Jedermanns Urtheil ergeben sollte, dass die Ueberzeugung des Gegners einen Irrthum enthalte. Der pers�nliche Kampf der Denker hat schliesslich die Methoden so versch�rft, dass wirklich Wahrheiten entdeckt werden konnten und dass die Irrg�nge fr�herer Methoden vor Jedermanns Blicken blosgelegt sind. 635. Im Ganzen sind die wissenschaftlichen Methoden mindestens ein ebenso wichtiges Ergebniss der Forschung als irgend ein sonstiges Resultat: denn auf der Einsicht in die Methode beruht der wissenschaftliche Geist, und alle Resultate der Wissenschaft k�nnten, wenn jene Methoden verloren giengen, ein erneutes Ueberhandnehmen des Aberglaubens und des Unsinns nicht verhindern. Es m�gen geistreiche Leute von den Ergebnissen der Wissenschaft lernen so viel sie wollen: man merkt es immer noch ihrem Gespr�che und namentlich den Hypothesen in demselben an, dass ihnen der wissenschaftliche Geist fehlt: sie haben nicht jenes instinctive Misstrauen gegen die Abwege des Denkens, welches in der Seele jedes wissenschaftlichen Menschen in Folge langer Uebung seine Wurzeln eingeschlagen hat. Ihnen gen�gt es, �ber eine Sache �berhaupt irgendeine Hypothese zu finden, dann sind sie Feuer und Flamme f�r dieselbe und meinen, damit sei es gethan. Eine Meinung haben heisst bei ihnen schon: daf�r sich fanatisiren und sie als Ueberzeugung f�rderhin sich an's Herz legen. Sie erhitzen sich bei einer unerkl�rten Sache f�r den ersten Einfall ihres Kopfes, der einer Erkl�rung derselben �hnlich sieht: woraus sich, namentlich auf dem Gebiete der Politik, fortw�hrend die schlimmsten Folgen ergeben. - Desshalb sollte jetzt Jedermann mindestens eine Wissenschaft von Grund aus kennen gelernt haben: dann weiss er doch, was Methode heisst und wie n�thig die �usserste Besonnenheit ist. Namentlich ist den Frauen dieser Rath zu geben; als welche jetzt rettungslos die Opfer aller Hypothesen sind, zumal wenn diese den Eindruck des Geistreichen, Hinreissenden, Belebenden, Kr�ftigenden machen. Ja bei genauerem Zusehen bemerkt man, dass der allergr�sste Theil aller Gebildeten noch jetzt von einem Denker Ueberzeugungen und Nichts als Ueberzeugungen begehrt, und dass allein eine geringe Minderheit Gewissheit will. Jene wollen stark fortgerissen werden, um dadurch selber einen Kraftzuwachs zu erlangen; diese Wenigen haben jenes sachliche Interesse, welches von pers�nlichen Vortheilen, auch von dem des erw�hnten Kraftzuwachses absieht. Auf jene bei Weitem �berwiegende Classe wird �berall dort gerechnet, wo der Denker sich als Genie benimmt und bezeichnet, also wie ein h�heres Wesen drein schaut, welchem Autorit�t zukommt. Insofern das Genie jener Art die Glut der Ueberzeugungen unterh�lt und Misstrauen gegen den vorsichtigen und bescheidenen Sinn der Wissenschaft weckt, ist es ein Feind der Wahrheit und wenn es sich auch noch so sehr als deren Freier glauben sollte. 636. Es giebt freilich auch eine ganz andere Gattung der Genialit�t, die der Gerechtigkeit; und ich kann mich durchaus nicht entschliessen, dieselbe niedriger zu sch�tzen, als irgend eine philosophische, politische oder k�nstlerische Genialit�t. Ihre Art ist es, mit herzlichem Unwillen Allem aus dem Wege zu gehen, was das Urtheil �ber die Dinge blendet und verwirrt; sie ist folglich eine Gegnerin der Ueberzeugungen, denn sie will Jedem, sei es ein Belebtes oder Todtes, Wirkliches oder Gedachtes, das Seine geben - und dazu muss sie es rein erkennen; sie stellt daher jedes Ding in das beste Licht und geht um dasselbe mit sorgsamem Auge herum. Zuletzt wird sie selbst ihrer Gegnerin, der blinden oder kurzsichtigen "Ueberzeugung" (wie M�nner sie nennen: - bei Weibern heisst sie "Glaube") geben was der Ueberzeugung ist - um der Wahrheit willen. 637. Aus den Leidenschaften wachsen die Meinungen; die Tr�gheit des Geistes l�sst diese zu Ueberzeugungen erstarren. - Wer sich aber freien, rastlos lebendigen Geistes f�hlt, kann durch best�ndigen Wechsel diese Erstarrung verhindern; und ist er gar insgesammt ein denkender Schneeballen, so wird er �berhaupt nicht Meinungen, sondern nur Gewissheiten und genau bemessene Wahrscheinlichkeiten in seinem Kopfe haben. - Aber wir, die wir gemischten Wesens sind und bald vom Feuer durchgl�ht, bald vom Geiste durchk�ltet sind, wollen vor der Gerechtigkeit knieen, als der einzigen G�ttin, welche wir �ber uns anerkennen. Das Feuer in uns macht uns f�r gew�hnlich ungerecht und, im Sinne jener G�ttin, unrein; nie d�rfen wir in diesem Zustande ihre Hand fassen, nie liegt dann das ernste L�cheln ihres Wohlgefallens auf uns. Wir verehren sie als die verh�llte Isis unsers Lebens; besch�mt bringen wir ihr unsern Schmerz als Busse und Opfer dar, wenn das Feuer uns brennt und verzehren will. Der Geist ist es, der uns rettet, dass wir nicht ganz vergl�hen und verkohlen; er reisst uns hier und da fort von dem Opferaltare der Gerechtigkeit oder h�llt uns in ein Gespinnst aus Asbest. Vom Feuer erl�st, schreiten wir dann, durch den Geist getrieben von Meinung zu Meinung, durch den Wechsel der Parteien, als edle Verr�ther aller Dinge, die �berhaupt verrathen werden k�nnen - und dennoch ohne ein Gef�hl von Schuld. 638. Der Wanderer. - Wer nur einigermaassen zur Freiheit der Vernunft gekommen ist, kann sich auf Erden nicht anders f�hlen, denn als Wanderer, - wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses giebt es nicht. Wohl aber will er zusehen und die Augen daf�r offen haben, was Alles in der Welt eigentlich vorgeht; desshalb darf er sein Herz nicht allzufest an alles Einzelne anh�ngen; es muss in ihm selber etwas Wanderndes sein, das seine Freude an dem Wechsel und der Verg�nglichkeit habe. Freilich werden einem solchen Menschen b�se N�chte kommen, wo er m�de ist und das Thor der Stadt, welche ihm Rast bieten sollte, verschlossen findet; vielleicht, dass noch dazu, wie im Orient, die W�ste bis an das Thor reicht, dass die Raubthiere bald ferner bald n�her her heulen, dass ein starker Wind sich erhebt, dass R�uber ihm seine Zugthiere wegf�hren. Dann sinkt f�r ihn wohl die schreckliche Nacht wie eine zweite W�ste auf die W�ste, und sein Herz wird des Wanderns m�de. Geht ihm dann die Morgensonne auf, gl�hend wie eine Gottheit des Zornes, �ffnet sich die Stadt, so sieht er in den Gesichtern der hier Hausenden vielleicht noch mehr W�ste, Schmutz, Trug, Unsicherheit, als vor den Thoren - und der Tag ist fast schlimmer, als die Nacht. So mag es wohl einmal dem Wanderer ergehen; aber dann kommen, als Entgelt, die wonnevollen Morgen anderer Gegenden und Tage, wo er schon im Grauen des Lichtes die Musenschw�rme im Nebel des Gebirges nahe an sich vor�bertanzen sieht, wo ihm nachher, wenn er still, in dem Gleichmaass der Vormittagsseele, unter B�umen sich ergeht, aus deren Wipfeln und Laubverstecken heraus lauter gute und helle Dinge zugeworfen werden, die Geschenke aller jener freien Geister, die in Berg, Wald und Einsamkeit zu Hause sind und welche, gleich ihm, in ihrer bald fr�hlichen bald nachdenklichen Weise, Wanderer und Philosophen sind. Geboren aus den Geheimnissen der Fr�he, sinnen sie dar�ber nach, wie der Tag zwischen dem zehnten und zw�lften Glockenschlage ein so reines, durchleuchtetes, verkl�rt-heiteres Gesicht haben k�nne: - sie suchen die Philosophie des Vormittages. Unter Freunden. Ein Nachspiel. 1. Sch�n ist's, mit einander schweigen, Sch�ner, mit einander lachen, - Unter seidenem Himmels-Tuche Hingelehnt zu Moos und Buche Lieblich laut mit Freunden lachen Und sich weisse Z�hne zeigen. Macht' ich's gut, so woll'n wir schweigen; Macht' ich's schlimm -, so woll'n wir lachen Und es immer schlimmer machen, Schlimmer machen, schlimmer lachen, Bis wir in die Grube steigen. Freunde! ja! So soll's geschehn? - Amen! Und auf Wiedersehn! 2. Kein Entschuld'gen! Kein Verzeihen! G�nnt ihr Frohen, Herzens-Freien Diesem unvern�nft'gen Buche Ohr und Herz und Unterkunft! Glaubt mir, Freunde, nicht zum Fluche Ward mir meine Unvernunft! Was ich finde, was ich suche - Stand das je in einem Buche? Ehrt in mir die Narren-Zunft! Lernt aus diesem Narrenbuche, Wie Vernunft kommt - "zur Vernunft"! Also, Freunde, soll's geschehn? - Amen! Und auf Wiedersehn! *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MENSCHLICHES, ALLZUMENSCHLICHES *** This file should be named 8msch10.txt or 8msch10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8msch11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8msch10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! As of February, 2002, contributions are being solicited from people and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin, and Wyoming. We have filed in all 50 states now, but these are the only ones that have responded. As the requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund raising will begin in the additional states. Please feel free to ask to check the status of your state. In answer to various questions we have received on this: We are constantly working on finishing the paperwork to legally request donations in all 50 states. If your state is not listed and you would like to know if we have added it since the list you have, just ask. While we cannot solicit donations from people in states where we are not yet registered, we know of no prohibition against accepting donations from donors in these states who approach us with an offer to donate. International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made deductible, and don't have the staff to handle it even if there are ways. Donations by check or money order may be sent to: Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University Ave. Oxford, MS 38655-4109 Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment method other than by check or money order. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN [Employee Identification Number] 64-622154. Donations are tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund-raising will begin in the additional states. We need your donations more than ever! You can get up to date donation information online at: http://www.gutenberg.net/donation.html *** If you can't reach Project Gutenberg, you can always email directly to: Michael S. Hart <hart@pobox.com> Prof. Hart will answer or forward your message. We would prefer to send you information by email. **The Legal Small Print** (Three Pages) ***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association (the "Project"). Among other things, this means that no one owns a United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, apply if you wish to copy and distribute this eBook under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any commercial products without permission. To create these eBooks, the Project expends considerable efforts to identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any medium they may be on may contain "Defects". 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