The Project Gutenberg EBook of Nachtstuecke, by E.T.A. Hoffmann

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Title: Nachtstuecke

Author: E.T.A. Hoffmann

Release Date: August, 2004  [EBook #6341]
[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
[This file was first posted on November 28, 2002]

Edition: 10

Language: German

Character set encoding: ASCII

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE ***




This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE"
(http://www.gutenberg2000.de/etahoff/nachtst.htm), prepared by
Gerd Bouillon (gerd.bouillon@t-online.de), (reuter@abc.de), and
Gunter Hille (hille@abc.de).




Nachtstuecke



Erzaehlungen von E.T.A. Hoffmann



Erster Teil
    Der Sandmann
    Ignaz Denner
    Die Jesuitenkirche in G.
    Das Sanctus

Zweiter Teil
    Das oede Haus
    Das Majorat
    Das Geluebde
    Das steinerne Herz



Erster Teil



Der Sandmann

Nathanael an Lothar

Gewiss seid Ihr alle voll Unruhe, dass ich so lange - lange nicht
geschrieben. Mutter zuernt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier
in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir
in Herz und Sinn eingepraegt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht
so; taeglich und stuendlich gedenke ich Eurer aller und in suessen
Traeumen geht meines holden Claerchens freundliche Gestalt vorueber
und laechelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl
pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn
Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir
bisher alle Gedanken verstoerte! - Etwas Entsetzliches ist in mein
Leben getreten! - Dunkle Ahnungen eines graesslichen mir drohenden
Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten ueber mich aus,
undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich Dir
sagen, was mir widerfuhr. Ich muss es, das sehe ich ein, aber nur
es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. - Ach mein herzlieber
Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermassen empfinden zu
lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich
mein Leben so feindlich zerstoeren konnte! Waerst Du nur hier, so
koenntest Du selbst schauen; aber jetzt haeltst Du mich gewiss fuer
einen aberwitzigen Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche,
was mir geschah, dessen toedlichen Eindruck zu vermeiden ich
mich vergebens bemuehe, besteht in nichts anderm, als dass vor
einigen Tagen, naemlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein
Wetterglashaendler in meine Stube trat und mir seine Ware anbot. Ich
kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen, worauf er aber
von selbst fortging.

Du ahnest, dass nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende
Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben koennen, ja, dass wohl die
Person jenes unglueckseligen Kraemers gar feindlich auf mich wirken
muss. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen,
um ruhig und geduldig Dir aus meiner fruehern Jugendzeit so viel
zu erzaehlen, dass Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in
leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, hoere ich
Dich lachen und Clara sagen: "Das sind ja rechte Kindereien!" - Lacht,
ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! - ich bitt Euch sehr!
- Aber Gott im Himmel! die Haare straeuben sich mir und es ist, als
flehe ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie
Franz Moor den Daniel. - Nun fort zur Sache!

Ausser dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tagueber
den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel beschaeftigt sein.
Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemaess schon um sieben Uhr
aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters
Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte
Tabak und trank ein grosses Glas Bier dazu. Oft erzaehlte er uns viele
wunderbare Geschichten und geriet darueber so in Eifer, dass ihm die
Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder
anzuenden musste, welches mir denn ein Hauptspass war. Oft gab er
uns aber Bilderbuecher in die Haende, sass stumm und starr in seinem
Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, dass wir alle wie im
Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und
kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: "Nun Kinder! - zu Bette!
zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon." Wirklich hoerte
ich dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe
heraufpoltern; das musste der Sandmann sein. Einmal war mir jenes
dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter,
indem sie uns fortfuehrte: "Ei Mama! wer ist denn der boese Sandmann,
der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?" - "Es
gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind", erwiderte die Mutter: "wenn
ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heissen, ihr seid
schlaefrig und koennt die Augen nicht offen behalten, als haette man
euch Sand hineingestreut." - Der Mutter Antwort befriedigte mich
nicht, ja in meinem kindischen Gemuet entfaltete sich deutlich der
Gedanke, dass die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns
vor ihm nicht fuerchten sollten, ich hoerte ihn ja immer die Treppe
heraufkommen. Voll Neugierde, Naeheres von diesem Sandmann und seiner
Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau,
die meine juengste Schwester wartete: was denn das fuer ein Mann sei,
der Sandmann? "Ei Thanelchen", erwiderte diese, "weisst du das noch
nicht? Das ist ein boeser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie
nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Haendevoll Sand in die
Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann
in den Sack und traegt sie in den Halbmond zur Atzung fuer seine
Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnaebel, wie
die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf."
- Graesslich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen
Sandmanns aus; sowie es abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich
vor Angst und Entsetzen. Nichts als den unter Traenen hergestotterten
Ruf. "Der Sandmann! der Sandmann! " konnte die Mutter aus mir
herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze
Nacht ueber quaelte mich die fuerchterliche Erscheinung des Sandmanns.
- Schon alt genug war ich geworden, um einzusehen, dass das mit
dem Sandmann und seinem Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die
Wartefrau erzaehlt hatte, wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben
koenne; indessen blieb mir der Sandmann ein fuerchterliches Gespenst,
und Grauen - Entsetzen ergriff mich, wenn ich ihn nicht allein die
Treppe heraufkommen, sondern auch meines Vaters Stubentuer heftig
aufreissen und hineintreten hoerte. Manchmal blieb er lange weg,
dann kam er oefter hintereinander. Jahrelang dauerte das, und nicht
gewoehnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher
wurde in mir das Bild des grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem
Vater fing an meine Fantasie immer mehr und mehr zu beschaeftigen:
den Vater darum zu befragen hielt mich eine unueberwindliche Scheu
zurueck, aber selbst - selbst das Geheimnis zu erforschen, den
fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr
die Lust in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des
Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im
kindlichen Gemuet sich einnistet. Nichts war mir lieber, als
schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Daeumlingen usw. zu
hoeren oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich
in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten ueberall auf Tische,
Schraenke und Waende mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn
Jahre alt geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein
Kaemmerchen, das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag.
Noch immer mussten wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener
Unbekannte im Hause hoeren liess, schnell entfernen. In meinem
Kaemmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald
darauf war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner seltsam
riechender Dampf. Immer hoeher mit der Neugierde wuchs der Mut, auf
irgend eine Weise des Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft schlich
ich schnell aus dem Kaemmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter
voruebergegangen, aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war
der Sandmann schon zur Tuere hinein, wenn ich den Platz erreicht
hatte, wo er mir sichtbar werden musste. Endlich von unwiderstehlichem
Drange getrieben, beschloss ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu
verbergen und den Sandmann zu erwarten.

An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines
Abends, dass der Sandmann kommen werde; ich schuetzte daher grosse
Muedigkeit vor, verliess schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg
mich dicht neben der Tuere in einen Schlupfwinkel. Die Haustuer
knarrte, durch den Flur ging es, langsamen, schweren, droehnenden
Schrittes nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir
vorueber. Leise - leise oeffnete ich des Vaters Stubentuer. Er sass,
wie gewoehnlich, stumm und starr den Ruecken der Tuere zugekehrt, er
bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine,
die einem gleich neben der Tuere stehenden offnen Schrank, worin
meines Vaters Kleider hingen, vorgezogen war. - Naeher - immer naeher
droehnten die Tritte - es hustete und scharrte und brummte seltsam
draussen. Das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht
vor der Tuere ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke,
die Tuer springt rasselnd auf! - Mit Gewalt mich ermannend gucke ich
behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor meinem
Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der
Sandmann, der fuerchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius,
der manchmal bei uns zu Mittage isst!

Aber die graesslichste Gestalt haette mir nicht tieferes Entsetzen
erregen koennen, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen grossen
breitschultrigen Mann mit einem unfoermlich dicken Kopf, erdgelbem
Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar
gruenliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, grosser, starker ueber
die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum
haemischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote
Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton faehrt durch die
zusammengekniffenen Zaehne. Coppelius erschien immer in einem
altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und
gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Struempfe und Schuhe mit
kleinen Steinschnallen. Die kleine Peruecke reichte kaum bis ueber den
Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch ueber den grossen roten
Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken
weg, so dass man die silberne Schnalle sah, die die gefaeltelte
Halsbinde schloss. Die ganze Figur war ueberhaupt widrig und
abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine grossen knotigten,
haarigten Faeuste zuwider, so dass wir, was er damit beruehrte, nicht
mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend
ein Stueckchen Kuchen, oder eine suesse Frucht, die uns die gute
Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem
Vorwande zu beruehren, dass wir, helle Traenen in den Augen, die
Naescherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr geniessen mochten
vor Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der
Vater ein klein Glaeschen suessen Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr
er schnell mit der Faust herueber, oder brachte wohl gar das Glas an
die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Aerger
nur leise schluchzend aeussern durften. Er pflegte uns nur immer die
kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut
von uns geben und verwuenschten den haesslichen, feindlichen Mann, der
uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb.
Die Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwaertigen Coppelius zu
hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres
unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, duestern Ernst. Der Vater
betrug sich gegen ihn, als sei er ein hoeheres Wesen, dessen Unarten
man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten muesse.
Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und
seltene Weine kredenzt.

Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in
meiner Seele auf, dass ja niemand anders, als er, der Sandmann sein
koenne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem
Ammenmaerchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung
holt - nein! - ein haesslicher gespenstischer Unhold, der ueberall, wo
er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt.

Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich
dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend
durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius
feierlich. "Auf! - zum Werk", rief dieser mit heiserer, schnurrender
Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen
Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel.
Wo sie die hernahmen, hatte ich uebersehen. Der Vater oeffnete die
Fluegeltuer eines Wandschranks; aber ich sah, dass das, was ich
solange dafuer gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine
schwarze Hoehlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat
hinzu und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei
seltsames Geraete stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter
Vater zum Feuer herabbueckte, da sah er ganz anders aus. Ein
graesslicher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Zuege
zum haesslichen widerwaertigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah
dem Coppelius aehnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte
damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig
haemmerte. Mir war es als wuerden Menschengesichter ringsumher
sichtbar, aber ohne Augen - scheussliche, tiefe schwarze Hoehlen statt
ihrer. "Augen her, Augen her!" rief Coppelius mit dumpfer droehnender
Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfasst
und stuerzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff
mich Coppelius, "kleine Bestie! - kleine Bestie!" meckerte er
zaehnfletschend! - riss mich auf und warf mich auf den Herd, dass die
Flamme mein Haar zu sengen begann: "Nun haben wir Augen - Augen - ein
schoen Paar Kinderaugen." So fluesterte Coppelius, und griff mit den
Faeusten glutrote Koerner aus der Flamme, die er mir in die Augen
streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Haende empor und rief.
"Meister! Meister! lass meinem Nathanael die Augen - lass sie ihm!"
Coppelius lachte gellend auf und rief. "Mag denn der Junge die Augen
behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch
den Mechanismus der Haende und der Fuesse recht observieren." Und
damit fasste er mich gewaltig, dass die Gelenke knackten, und schrob
mir die Haende ab und die Fuesse und setzte sie bald hier, bald dort
wieder ein. "'s steht doch ueberall nicht recht! 's gut so wie es
war! - Der Alte hat's verstanden!" So zischte und lispelte Coppelius;
aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein jaeher Krampf
durchzuckte Nerv und Gebein - ich fuehlte nichts mehr. Ein sanfter
warmer Hauch glitt ueber mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem
Todesschlaf, die Mutter hatte sich ueber mich hingebeugt. "Ist der
Sandmann noch da?" stammelte ich. "Nein, mein liebes Kind, der ist
lange, lange fort, der tut dir keinen Schaden!" - So sprach die Mutter
und kuesste und herzte den wiedergewonnenen Liebling.

Was soll ich Dich ermueden, mein herzlieber Lothar! was soll ich
so weitlaeufig einzelnes hererzaehlen, da noch so vieles zu sagen
uebrig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von
Coppelius gemisshandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein
hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag.
"Ist der Sandmann noch da?" - Das war mein erstes gesundes Wort
und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den
schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzaehlen;
dann wirst Du ueberzeugt sein, dass es nicht meiner Augen Bloedigkeit
ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, dass ein dunkles
Verhaengnis wirklich einen trueben Wolkenschleier ueber mein Leben
gehaengt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreisse.

Coppelius liess sich nicht mehr sehen, es hiess, er habe die Stadt
verlassen.

Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveraenderten Sitte
gemaess abends an dem runden Tische sassen. Der Vater war sehr heiter
und erzaehlte viel Ergoetzliches von den Reisen, die er in seiner
Jugend gemacht. Da hoerten wir, als es neune schlug, ploetzlich die
Haustuer in den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte
droehnten durch den Hausflur die Treppe herauf. "Das ist Coppelius",
sagte meine Mutter erblassend. "Ja! - es ist Coppelius", wiederholte
der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Traenen stuerzten der
Mutter aus den Augen. "Aber Vater, Vater!" rief sie, "muss es denn so
sein?" - "Zum letzten Male!" erwiderte dieser, "zum letzten Male kommt
er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht
- geht zu Bette! Gute Nacht!"

Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepresst - mein
Atem stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich
stehen blieb: "Komm Nathanael, komme nur!" Ich liess mich fortfuehren,
ich trat in meine Kammer. "Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins
Bette! - schlafe - schlafe", rief mir die Mutter nach; aber von
unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequaelt, konnte ich kein
Auge zutun. Der verhasste abscheuliche Coppelius stand vor mir mit
funkelnden Augen und lachte mich haemisch an, vergebens trachtete ich
sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als
ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschuetz losgefeuert
wuerde. Das ganze Haus erdroehnte, es rasselte und rauschte bei meiner
Tuere vorueber, die Haustuere wurde klirrend zugeworfen. "Das ist
Coppelius!" rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte
es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stuerzte ich nach des
Vaters Zimmer, die Tuere stand offen, erstickender Dampf quoll mir
entgegen, das Dienstmaedchen schrie: "Ach, der Herr! - der Herr!" -
Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz
verbranntem graesslich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten
und winselten die Schwestern - die Mutter ohnmaechtig daneben! -
"Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!" - So
schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf
meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtszuege wieder mild
und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Troestend ging es in
meiner Seele auf, dass sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn
nicht ins ewige Verderben gestuerzt haben koenne.

Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar
und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung
vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden.

Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! dass jener
Wetterglashaendler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir
es nicht verargen, dass ich die feindliche Erscheinung als schweres
Unheil bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur
und Gesichtszuege sind zu tief in mein Innerstes eingepraegt, als dass
hier ein Irrtum moeglich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal
seinen Namen geaendert. Er gibt sich hier, wie ich hoere, fuer einen
piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.

Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu
raechen, mag es denn nun gehen wie es will.

Der Mutter erzaehle nichts von dem Erscheinen des graesslichen Unholds
- Gruesse meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer
Gemuetsstimmung. Lebe wohl etc. etc.


Clara an Nathanael

Wahr ist es, dass Du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber
dennoch glaube ich, dass Du mich in Sinn und Gedanken traegst. Denn
meiner gedachtest Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief
an Bruder Lothar absenden wolltest und die Aufschrift, statt an ihn an
mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrtum
erst bei den Worten inne: "Ach mein herzlieber Lothar!" - Nun haette
ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen.
Aber, hast Du mir auch sonst manchmal in kindischer Neckerei
vorgeworfen, ich haette solch ruhiges, weiblich besonnenes Gemuet,
dass ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einsturz, noch vor
schneller Flucht ganz geschwinde einen falschen Kniff in der
Fenstergardine glattstreichen wuerde, so darf ich doch wohl kaum
versichern, dass Deines Briefes Anfang mich tief erschuetterte.
Ich konnte kaum atmen, es flimmerte mir vor den Augen. - Ach, mein
herzgeliebter Nathanael! was konnte so Entsetzliches in Dein Leben
getreten sein! Trennung von Dir, Dich niemals wiedersehen, der Gedanke
durchfuhr meine Brust wie ein gluehender Dolchstich. - Ich las
und las! - Deine Schilderung des widerwaertigen Coppelius ist
graesslich. Erst jetzt vernahm ich, wie Dein guter alter Vater solch
entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder Lothar, dem ich sein
Eigentum zustellte, suchte mich zu beruhigen, aber es gelang ihm
schlecht. Der fatale Wetterglashaendler Giuseppe Coppola verfolgte
mich auf Schritt und Tritt und beinahe schaeme ich mich, es zu
gestehen, dass er selbst meinen gesunden, sonst so ruhigen Schlaf in
allerlei wunderlichen Traumgebilden zerstoeren konnte. Doch bald,
schon den andern Tag, hatte sich alles anders in mir gestaltet. Sei
mir nur nicht boese, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa sagen
moechte, dass ich trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius werde Dir
etwas Boeses antun, ganz heitern unbefangenen Sinnes bin, wie immer.

Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen, dass, wie ich meine, alles
Entsetzliche und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur in Deinem
Innern vorging, die wahre wirkliche Aussenwelt aber daran wohl wenig
teilhatte. Widerwaertig genug mag der alte Coppelius gewesen sein,
aber dass er Kinder hasste, das brachte in Euch Kindern wahren Abscheu
gegen ihn hervor.

Natuerlich verknuepfte sich nun in Deinem kindischen Gemuet der
schreckliche Sandmann aus dem Ammenmaerchen mit dem alten Coppelius,
der Dir, glaubtest Du auch nicht an den Sandmann, ein gespenstischer,
Kindern vorzueglich gefaehrlicher, Unhold blieb. Das unheimliche
Treiben mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als
dass beide insgeheim alchymistische Versuche machten, womit die Mutter
nicht zufrieden sein konnte, da gewiss viel Geld unnuetz verschleudert
und obendrein, wie es immer mit solchen Laboranten der Fall sein
soll, des Vaters Gemuet ganz von dem truegerischen Drange nach hoher
Weisheit erfuellt, der Familie abwendig gemacht wurde. Der Vater hat
wohl gewiss durch eigne Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeigefuehrt,
und Coppelius ist nicht schuld daran: Glaubst Du, dass ich den
erfahrnen Nachbar Apotheker gestern frug, ob wohl bei chemischen
Versuchen eine solche augenblicklich toetende Explosion moeglich sei?
Der sagte: "Ei allerdings" und beschrieb mir nach seiner Art gar
weitlaeufig und umstaendlich, wie das zugehen koenne, und nannte dabei
so viel sonderbar klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten
vermochte. - Nun wirst Du wohl unwillig werden ueber Deine Clara,
Du wirst sagen: "In dies kalte Gemuet dringt kein Strahl des
Geheimnisvollen, das den Menschen oft mit unsichtbaren Armen umfasst;
sie erschaut nur die bunte Oberflaeche der Welt und freut sich, wie
das kindische Kind ueber die goldgleissende Frucht, in deren Innern
toedliches Gift verborgen."

Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubst Du denn nicht, dass auch in
heitern - unbefangenen - sorglosen Gemuetern die Ahnung wohnen koenne
von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Selbst zu
verderben strebt? - Aber verzeih es mir, wenn ich einfaeltig Maedchen
mich unterfange, auf irgend eine Weise Dir anzudeuten, was ich
eigentlich von solchem Kampfe im Innern glaube. - Ich finde wohl gar
am Ende nicht die rechten Worte und Du lachst mich aus, nicht, weil
ich was Dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt anstelle,
es zu sagen.

Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verraeterisch
einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und
fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst
nicht betreten haben wuerden - gibt es eine solche Macht, so muss sie
in uns sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn
nur _so_ glauben wir an sie und raeumen ihr den Platz ein, dessen sie
bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen, durch
das heitre Leben gestaerkten, Sinn genug, um fremdes feindliches
Einwirken als solches stets zu erkennen und den Weg, in den uns
Neigung und Beruf geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht
wohl jene unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach der
Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild sein sollte. Es ist auch
gewiss, fuegt Lothar hinzu, dass die dunkle psychische Macht, haben
wir uns durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die
Aussenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, so,
dass wir selbst nur den Geist entzuenden, der, wie wir in wunderlicher
Taeuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Phantom
unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe
Einwirkung auf unser Gemuet uns in die Hoelle wirft, oder in den
Himmel verzueckt. - Du merkst, mein herzlieber Nathanael! dass wir,
ich und Bruder Lothar uns recht ueber die Materie von dunklen Maechten
und Gewalten ausgesprochen haben, die mir nun, nachdem ich nicht ohne
Muehe das Hauptsaechlichste aufgeschrieben, ordentlich tiefsinnig
vorkommt. Lothars letzte Worte verstehe ich nicht ganz, ich ahne
nur, was er meint, und doch ist es mir, als sei alles sehr wahr. Ich
bitte Dich, schlage Dir den haesslichen Advokaten Coppelius und den
Wetterglasmann Giuseppe Coppola ganz aus dem Sinn. Sei ueberzeugt,
dass diese fremden Gestalten nichts ueber Dich vermoegen; nur der
Glaube an ihre feindliche Gewalt kann sie Dir in der Tat feindlich
machen. Spraeche nicht aus jeder Zeile Deines Briefes die tiefste
Aufregung Deines Gemuets, schmerzte mich nicht Dein Zustand recht in
innerster Seele, wahrhaftig, ich koennte ueber den Advokaten Sandmann
und den Wetterglashaendler Coppelius scherzen. Sei heiter - heiter! -
Ich habe mir vorgenommen, bei Dir zu erscheinen, wie Dein Schutzgeist,
und den haesslichen Coppola, sollte er es sich etwa beikommen lassen,
Dir im Traum beschwerlich zu fallen, mit lautem Lachen fortzubannen.
Ganz und gar nicht fuerchte ich mich vor ihm und vor seinen garstigen
Faeusten, er soll mir weder als Advokat eine Naescherei, noch als
Sandmann die Augen verderben.

Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc.


Nathanael an Lothar

Sehr unlieb ist es mir, dass Clara neulich den Brief an Dich aus,
freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und
las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief
geschrieben, worin sie ausfuehrlich beweiset, dass Coppelius und
Coppola nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind,
die augenblicklich zerstaeuben, wenn ich sie als solche erkenne. In
der Tat, man sollte gar nicht glauben, dass der Geist, der aus solch
hellen holdlaechelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher suesser
Traum, hervorleuchtet, so gar verstaendig, so magistermaessig
distinguieren koenne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt ueber mich
gesprochen. Du liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles
fein sichten und sondern lerne. - Lass das bleiben! - Uebrigens ist es
wohl gewiss, dass der Wetterglashaendler Giuseppe Coppola keinesweges
der alte Advokat Coppelius ist. Ich hoere bei dem erst neuerdings
angekommenen Professor der Physik, der, wie jener beruehmte
Naturforscher, Spalanzani heisst und italienischer Abkunft ist,
Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren und ueberdem
hoert man es auch seiner Aussprache an, dass er wirklich Piemonteser
ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich duenkt, kein
ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich
immerhin fuer einen duestern Traeumer, aber nicht los kann ich den
Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht.
Ich bin froh, dass er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt.
Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher
Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase,
aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in
jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er
von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht,
anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die
Treppe herauf und nehme wahr, dass die sonst einer Glastuere dicht
vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt laesst. Selbst weiss
ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes,
sehr schlank im reinsten Ebenmass gewachsenes, herrlich gekleidetes
Frauenzimmer sass im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide
Aerme, die Haende zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie sass der Tuere
gegenueber, so, dass ich ihr engelschoenes Gesicht ganz erblickte. Sie
schien mich nicht zu bemerken, und ueberhaupt hatten ihre Augen etwas
Starres, beinahe moecht ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als
schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb
schlich ich leise fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher
erfuhr ich, dass die Gestalt, die ich gesehen, Spalanzanis Tochter,
Olimpia war, die er sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so,
dass durchaus kein Mensch in ihre Naehe kommen darf. - Am Ende hat es
eine Bewandtnis mit ihr, sie ist vielleicht bloedsinnig oder sonst.
- Weshalb schreibe ich Dir aber das alles? Besser und ausfuehrlicher
haette ich Dir das muendlich erzaehlen koennen. Wisse naemlich, dass
ich ueber vierzehn Tage bei Euch bin. Ich muss mein suesses liebes
Engelsbild, meine Clara, wiedersehen. Weggehaucht wird dann die
Verstimmung sein, die sich (ich muss das gestehen) nach dem fatalen
verstaendigen Briefe meiner bemeistern wollte. Deshalb schreibe ich
auch heute nicht an sie.

Tausend Gruesse etc. etc. etc.


Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige
ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten
Nathanael, zugetragen, und was ich dir, guenstiger Leser! zu erzaehlen
unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das
deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfuellte, alles andere
daraus verdraengend? Es gaerte und kochte in dir, zur siedenden Glut
entzuendet sprang das Blut durch die Adern und faerbte hoeher deine
Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem
andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloss in
dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: "Wie ist Ihnen, Verehrter?
- Was haben Sie, Teurer?" Und nun wolltest du das innere Gebilde mit
allen gluehenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und
muehtest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war
dir, als muesstest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare,
Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen,
recht zusammengreifen, so dass es, wie ein elektrischer Schlag, alle
treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und
frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst,
und die nuechternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige
Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verloeschen will.
Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen
Strichen, den Umriss deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du
mit leichter Muehe immer gluehender und gluehender die Farben auf und
das lebendige Gewuehl mannigfacher Gestalten riss die Freunde fort und
sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemuet
hervorgegangen! - Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen
muss, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael
gefragt; du weisst ja aber wohl, dass ich zu dem wunderlichen
Geschlechte der Autoren gehoere, denen, tragen sie etwas so in sich,
wie ich es vorhin beschrieben, so zumute wird, als frage jeder, der
in ihre Naehe kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: "Was
ist es denn? Erzaehlen Sie Liebster?" - So trieb es mich denn gar
gewaltig, von Nathanaels verhaengnisvollem Leben zu dir zu sprechen.
Das Wunderbare, Seltsame davon erfuellte meine ganze Seele, aber eben
deshalb und weil ich dich, o mein Leser! gleich geneigt machen musste,
Wunderliches zu ertragen, welches nichts Geringes ist, quaelte ich
mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend - originell, ergreifend,
anzufangen: "Es war einmal" - der schoenste Anfang jeder Erzaehlung,
zu nuechtern! - "In der kleinen Provinzialstadt S. lebte" - etwas
besser, wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder gleich medias in res:
"'Scher er sich zum Teufel', rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick,
der Student Nathanael, als der Wetterglashaendler Giuseppe Coppola" -
Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden
Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu verspueren
glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spasshaft. Mir kam keine
Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des
innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloss gar nicht anzufangen.
Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir
guetigst mitteilte, fuer den Umriss des Gebildes, in das ich nun
erzaehlend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemuehen
werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter
Portraetmaler, so aufzufassen, dass du es aehnlich findest, ohne das
Original zu kennen, ja dass es dir ist, als haettest du die Person
recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen. Vielleicht wirst du, o
mein Leser! dann glauben, dass nichts wunderlicher und toller sei, als
das wirkliche Leben und dass dieses der Dichter doch nur, wie in eines
matt geschliffnen Spiegels dunklem Widerschein, auffassen koenne.

Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen noetig, ist jenen
Briefen noch hinzuzufuegen, dass bald darauf, als Nathanaels Vater
gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitlaeuftigen Verwandten,
der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels
Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael fassten eine
heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas
einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort
verliess um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in
seinem letzten Brief und hoert Kollegia bei dem beruehmten Professor
Physices, Spalanzani.

Nun koennte ich getrost in der Erzaehlung fortfahren; aber in dem
Augenblick steht Claras Bild so lebendig mir vor Augen, dass ich nicht
wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdlaechelnd
anblickte. - Fuer schoen konnte Clara keinesweges gelten; das meinten
alle, die sich von Amtswegen auf Schoenheit verstehen. Doch lobten die
Architekten die reinen Verhaeltnisse ihres Wuchses, die Maler fanden
Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten
sich dagegen saemtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten
ueberhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein
wirklicher Fantast, verglich aber hoechstseltsamer Weise Claras Augen
mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines
Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes,
heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und
sprachen: "Was See - was Spiegel! - Koennen wir denn das Maedchen
anschauen, ohne dass uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische
Gesaenge und Klaenge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen,
dass da alles wach und rege wird? Singen wir selbst dann nichts
wahrhaft Gescheutes, so ist ueberhaupt nicht viel an uns und das lesen
wir denn auch deutlich in dem um Claras Lippen schwebenden feinen
Laecheln, wenn wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkelieren,
das so tun will als sei es Gesang, unerachtet nur einzelne Toene
verworren durcheinander springen." Es war dem so. Clara hatte die
lebenskraeftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes,
ein tiefes weiblich zartes Gemuet, einen gar hellen scharf sichtenden
Verstand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr boeses Spiel; denn
ohne zu viel zu reden, was ueberhaupt in Claras schweigsamer Natur
nicht lag, sagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironische
Laecheln: Lieben Freunde! wie moeget ihr mir denn zumuten, dass ich
eure verfliessende Schattengebilde fuer wahre Gestalten ansehen
soll, mit Leben und Regung? - Clara wurde deshalb von vielen kalt,
gefuehllos, prosaisch gescholten; aber andere, die das Leben in klarer
Tiefe aufgefasst, liebten ungemein das gemuetvolle, verstaendige,
kindliche Maedchen, doch keiner so sehr, als Nathanael, der sich in
Wissenschaft und Kunst kraeftig und heiter bewegte. Clara hing an dem
Geliebten mit ganzer Seele; die ersten Wolkenschatten zogen durch ihr
Leben, als er sich von ihr trennte. Mit welchem Entzuecken flog sie
in seine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es
verheissen, wirklich in seiner Vaterstadt ins Zimmer der Mutter
eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt; denn in dem Augenblick,
als er Clara wiedersah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius,
noch an Claras verstaendigen Brief, jede Verstimmung war verschwunden.

Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb,
dass des widerwaertigen Wetterglashaendlers Coppola Gestalt recht
feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fuehlten das, da Nathanael
gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus veraendert
sich zeigte. Er versank in duestre Traeumereien, und trieb es bald so
seltsam, wie man es niemals von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze
Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie
jeder Mensch, sich frei waehnend, nur dunklen Maechten zum grausamen
Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, demuetig muesse
man sich dem fuegen, was das Schicksal verhaengt habe. Er ging so
weit, zu behaupten, dass es toericht sei, wenn man glaube, in Kunst
und Wissenschaft nach selbsttaetiger Willkuer zu schaffen; denn die
Begeisterung, in der man nur zu schaffen faehig sei, komme nicht aus
dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines ausser uns
selbst liegenden hoeheren Prinzips.

Der verstaendigen Clara war diese mystische Schwaermerei im hoechsten
Grade zuwider, doch schien es vergebens, sich auf Widerlegung
einzulassen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, dass Coppelius das boese
Prinzip sei, was ihn in dem Augenblick erfasst habe, als er hinter
dem Vorhange lauschte, und dass dieser widerwaertige _Daemon_ auf
entsetzliche Weise ihr Liebesglueck stoeren werde, da wurde Clara sehr
ernst und sprach: "Ja Nathanael! du hast recht, Coppelius ist ein
boeses feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, wie eine
teuflische Macht, die sichtbarlich in das Leben trat, aber nur dann,
wenn du ihn nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. Solange du an ihn
glaubst, _ist_ er auch und wirkt, nur dein Glaube ist seine Macht." -
Nathanael, ganz erzuernt, dass Clara die Existenz des _Daemons_ nur
in seinem eignen Innern statuiere, wollte dann hervorruecken mit
der ganzen mystischen Lehre von Teufeln und grausen Maechten, Clara
brach aber verdruesslich ab, indem sie irgend etwas Gleichgueltiges
dazwischen schob, zu Nathanaels nicht geringem Aerger. _Der_ dachte,
kalten unempfaenglichen Gemuetern verschliessen sich solche tiefe
Geheimnisse, ohne sich deutlich bewusst zu sein, dass er Clara eben zu
solchen untergeordneten Naturen zaehle, weshalb er nicht abliess mit
Versuchen, sie in jene Geheimnisse einzuweihen. Am fruehen Morgen,
wenn Clara das Fruehstueck bereiten half, stand er bei ihr und las ihr
aus allerlei mystischen Buechern vor, dass Clara bat: "Aber lieber
Nathanael, wenn ich _dich_ nun das boese Prinzip schelten wollte, das
feindlich auf meinen Kaffee wirkt? - Denn, wenn ich, wie du es willst,
alles stehen und liegen lassen und dir, indem du liesest, in die Augen
schauen soll, so laeuft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle
kein Fruehstueck!" - Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte
voll Unmut fort in sein Zimmer. Sonst hatte er eine besondere Staerke
in anmutigen, lebendigen Erzaehlungen, die er aufschrieb, und die
Clara mit dem innigsten Vergnuegen anhoerte, jetzt waren seine
Dichtungen duester, unverstaendlich, gestaltlos, so dass, wenn Clara
schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fuehlte, wie wenig sie
davon angesprochen wurde. Nichts war fuer Clara toetender, als
das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu
besiegende geistige Schlaefrigkeit aus. Nathanaels Dichtungen waren in
der Tat sehr langweilig. Sein Verdruss ueber Claras kaltes prosaisches
Gemuet stieg hoeher, Clara konnte ihren Unmut ueber Nathanaels dunkle,
duestere, langweilige Mystik nicht ueberwinden, und so entfernten
beide im Innern sich immer mehr voneinander, ohne es selbst zu
bemerken. Die Gestalt des haesslichen Coppelius war, wie Nathanael
selbst es sich gestehen musste, in seiner Fantasie erbleicht und es
kostete ihm oft Muehe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser
Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig zu kolorieren. Es kam ihm
endlich ein, jene duestre Ahnung, dass Coppelius sein Liebesglueck
stoeren werde, zum Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte
sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann
war es, als griffe eine schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend
eine Freude heraus, die ihnen aufgegangen. Endlich, als sie schon am
Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und beruehrt
Claras holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige
Funken sengend und brennend, Coppelius fasst ihn und wirft ihn in
einen flammenden Feuerkreis, der sich dreht mit der Schnelligkeit des
Sturmes und ihn sausend und brausend fortreisst. Es ist ein Tosen,
als wenn der Orkan grimmig hineinpeitscht in die schaeumenden
Meereswellen, die sich wie schwarze, weisshauptige Riesen emporbaeumen
in wuetendem Kampfe. Aber durch dies wilde Tosen hoert er Claras
Stimme: "Kannst du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat dich
getaeuscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust
brannten, das waren ja gluehende Tropfen deines eignen Herzbluts - ich
habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!" - Nathanael denkt: Das
ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. - Da ist es, als fasst der
Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, dass er stehen bleibt, und
im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getoese. Nathanael blickt in
Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich
anschaut.

Waehrend Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen,
er feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen
Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend
sich fuegte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht
fuer sich laut las, da fasste ihn Grausen und wildes Entsetzen und er
schrie auf. "Wessen grauenvolle Stimme ist das?" - Bald schien ihm
jedoch das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es
war ihm, als muesse Claras kaltes Gemuet dadurch entzuendet werden,
wiewohl er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara entzuendet, und wozu
es denn nun eigentlich fuehren solle, sie mit den grauenvollen Bildern
zu aengstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstoerendes
Geschick weissagten. Sie, Nathanael und Clara, sassen in der Mutter
kleinem Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei
Tagen, in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen
Traeumen und Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und
froh von lustigen Dingen wie sonst, so, dass Clara sagte: "Nun erst
habe ich dich ganz wieder, siehst du es wohl, wie wir den haesslichen
Coppelius vertrieben haben?" Da fiel dem Nathanael erst ein, dass er
ja die Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er
zog auch sogleich die Blaetter hervor und fing an zu lesen: Clara,
etwas Langweiliges wie gewoehnlich vermutend und sich darein ergebend,
fing an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwaerzer und
schwaerzer das duestre Gewoelk aufstieg, liess sie den Strickstrumpf
sinken und blickte starr dem Nathanael ins Auge. _Den_ riss seine
Dichtung unaufhaltsam fort, hochrot faerbte seine Wangen die
innere Glut, Traenen quollen ihm aus den Augen. - Endlich hatte er
geschlossen, er stoehnte in tiefer Ermattung - er fasste Claras Hand
und seufzte wie aufgeloest in trostlosem Jammer: "Ach! - Clara -
Clara!" - Clara drueckte ihn sanft an ihren Busen und sagte leise,
aber sehr langsam und ernst: "Nathanael - mein herzlieber Nathanael!
- wirf das tolle - unsinnige - wahnsinnige Maerchen ins Feuer." Da
sprang Nathanael entruestet auf und rief, Clara von sich stossend: "Du
lebloses, verdammtes Automat!" Er rannte fort, bittre Traenen vergoss
die tief verletzte Clara: "Ach er hat mich niemals geliebt, denn er
versteht mich nicht", schluchzte sie laut. - Lothar trat in die Laube;
Clara musste ihm erzaehlen was vorgefallen; er liebte seine Schwester
mit ganzer Seele, jedes Wort ihrer Anklage fiel wie ein Funke in sein
Inneres, so, dass der Unmut, den er wider den traeumerischen Nathanael
lange im Herzen getragen, sich entzuendete zum wilden Zorn. Er lief
zu Nathanael, er warf ihm das unsinnige Betragen gegen die geliebte
Schwester in harten Worten vor, die der aufbrausende Nathanael ebenso
erwiderte. Ein fantastischer, wahnsinniger Geck wurde mit einem
miserablen, gemeinen Alltagsmenschen erwidert. Der Zweikampf war
unvermeidlich. Sie beschlossen, sich am folgenden Morgen hinter dem
Garten nach dortiger akademischer Sitte mit scharfgeschliffenen
Stossrapieren zu schlagen. Stumm und finster schlichen sie umher,
Clara hatte den heftigen Streit gehoert und gesehen, dass der
Fechtmeister in der Daemmerung die Rapiere brachte. Sie ahnte was
geschehen sollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten Lothar
und Nathanael soeben duesterschweigend die Roecke abgeworfen,
blutduerstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie gegeneinander
ausfallen, als Clara durch die Gartentuer herbeistuerzte. Schluchzend
rief sie laut: "Ihr wilden entsetzlichen Menschen! - stosst mich nur
gleich nieder, ehe ihr euch anfallt; denn wie soll ich denn laenger
leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bruder, oder wenn der Bruder
den Geliebten ermordet hat!" - Lothar liess die Waffe sinken und
sah schweigend zur Erde nieder, aber in Nathanaels Innern ging in
herzzerreissender Wehmut alle Liebe wieder auf, wie er sie jemals
in der herrlichen Jugendzeit schoensten Tagen fuer die holde Clara
empfunden. Das Mordgewehr entfiel seiner Hand, er stuerzte zu Claras
Fuessen. "Kannst du mir denn jemals verzeihen, du meine einzige, meine
herzgeliebte Clara! - Kannst du mir verzeihen, mein herzlieber Bruder
Lothar!" - Lothar wurde geruehrt von des Freundes tiefem Schmerz;
unter tausend Traenen umarmten sich die drei versoehnten Menschen und
schwuren, nicht voneinander zu lassen in steter Liebe und Treue.

Dem Nathanael war es zumute, als sei eine schwere Last, die ihn zu
Boden gedrueckt, von ihm abgewaelzt, ja als habe er, Widerstand
leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Sein, dem
Vernichtung drohte, gerettet. Noch drei selige Tage verlebte er bei
den Lieben, dann kehrte er zurueck nach G., wo er noch ein Jahr zu
bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zurueckzukehren
gedachte.

Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen
worden; denn man wusste, dass sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken
konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab.


Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, dass
das ganze Haus niedergebrannt war, so dass aus dem Schutthaufen nur
die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem
Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen
war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch
den kuehnen, ruestigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in
Nathanaels im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Buecher,
Manuskripte, Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in
ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen,
welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete er
darauf, dass er dem Professor Spalanzani gegenueber wohnte, und
ebensowenig schien es ihm etwas Besonderes, als er bemerkte, dass er
aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia
einsam sass, so, dass er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl
die Zuege des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es
ihm endlich auf, dass Olimpia oft stundenlang in derselben Stellung,
wie er sie einst durch die Glastuere entdeckte, ohne irgend eine
Beschaeftigung an einem kleinen Tische sass und dass sie offenbar
unverwandten Blickes nach ihm herueberschaute; er musste sich auch
selbst gestehen, dass er nie einen schoeneren Wuchs gesehen; indessen,
Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia hoechst
gleichgueltig und nur zuweilen sah er fluechtig ueber sein Kompendium
herueber nach der schoenen Bildsaeule, das war alles. - Eben schrieb
er an Clara, als es leise an die Tuere klopfte; sie oeffnete sich auf
seinen Zuruf und Coppolas widerwaertiges Gesicht sah hinein. Nathanael
fuehlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm
Spalanzani ueber den Landsmann Coppola gesagt und was er auch
ruecksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig
versprochen, schaemte er sich aber selbst seiner kindischen
Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so
sanft und gelassen, als moeglich: "Ich kaufe kein Wetterglas, mein
lieber Freund! gehen Sie nur!" Da trat aber Coppola vollends in die
Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum
haesslichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen
langen Wimpern stechend hervorfunkelten: "Ei, nix Wetterglas, nix
Wetterglas! - hab auch skoene Oke - skoene Oke!" - Entsetzt rief
Nathanael: "Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen?
-" Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine Wetterglaeser beiseite
gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und
Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - "Nu - Nu - Brill - Brill
auf der Nas su setze, das sein meine Oke - skoene Oke!" - Und damit
holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, dass es auf dem
ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen
blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber
er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte
Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke
durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in Nathanaels Brust.
Uebermannt von tollem Entsetzen schrie er auf.- "Halt ein! halt ein,
fuerchterlicher Mensch!" - Er hatte Coppola, der eben in die Tasche
griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der
ganze Tisch ueberdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte
sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: "Ah!
- nix fuer Sie - aber hier skoene Glas" - hatte er alle Brillen
zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine
Menge grosser und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen
fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah
er wohl ein, dass der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern
hervorgegangen, sowie dass Coppola ein hoechst ehrlicher Mechanikus
und Optikus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltgaenger und
Revenant sein koenne. Zudem hatten alle Glaeser, die Coppola nun
auf den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas
Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen,
beschloss Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er
ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und
sah, um es zu pruefen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein
Glas vorgekommen, das die Gegenstaende so rein, scharf und deutlich
dicht vor die Augen rueckte. Unwillkuerlich sah er hinein in
Spalanzanis Zimmer; Olimpia sass, wie gewoehnlich, vor dem kleinen
Tisch, die Arme darauf gelegt, die Haende gefaltet. - Nun erschaute
Nathanael erst Olimpias wunderschoen geformtes Gesicht. Nur die Augen
schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schaerfer
und schaerfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in
Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun
erst die Sehkraft entzuendet wuerde; immer lebendiger und lebendiger
flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer
fort und fort die himmlisch-schoene Olimpia betrachtend. Ein Raeuspern
und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter
ihm: "Tre Zechini - drei Dukat" - Nathanael hatte den Optikus rein
vergessen, rasch zahlte er das Verlangte. "Nick so? - skoene Glas -
skoene Glas!" frug Coppola mit seiner widerwaertigen heisern Stimme
und dem haemischen Laecheln. "Ja ja, ja!" erwiderte Nathanael
verdriesslich. "Adieu, lieber Freund!" - Coppola verliess nicht ohne
viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er hoerte ihn
auf der Treppe laut lachen. "Nun ja", meinte Nathanael, "er lacht mich
aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiss viel zu teuer bezahlt
habe - zu teuer bezahlt!" - Indem er diese Worte leise sprach, war
es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer,
Nathanaels Atem stockte vor innerer Angst. - Er hatte ja aber selbst
so aufgeseufzt, das merkte er wohl. "Clara", sprach er zu sich selber,
"hat wohl recht, dass sie mich fuer einen abgeschmackten Geisterseher
haelt; aber naerrisch ist es doch - ach wohl mehr, als naerrisch,
dass mich der dumme Gedanke, ich haette das Glas dem Coppola zu teuer
bezahlt, noch jetzt so sonderbar aengstigt; den Grund davon sehe ich
gar nicht ein." - Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu
enden, aber ein Blick durchs Fenster ueberzeugte ihn, dass Olimpia
noch dasaesse und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt
getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht
los von Olimpias verfuehrerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder
Siegmund abrief ins Kollegium bei dem Professor Spalanzani. Die
Gardine vor dem verhaengnisvollen Zimmer war dicht zugezogen, er
konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden folgenden Tage
hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster
verliess und fortwaehrend durch Coppolas Perspektiv hinueberschaute.
Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhaengt. Ganz verzweifelt
und getrieben von Sehnsucht und gluehendem Verlangen lief er hinaus
vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in den Lueften und
trat aus dem Gebuesch, und guckte ihn an mit grossen strahlenden
Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus seinem Innern
gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und
weinerlich: "Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist du mir
denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu
lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht?"

Als er zurueckkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzanis
Hause ein geraeuschvolles Treiben gewahr. Die Tueren standen offen,
man trug allerlei Geraete hinein, die Fenster des ersten Stocks waren
ausgehoben, geschaeftige Maegde kehrten und staeubten mit grossen
Haarbesen hin- und herfahrend, inwendig klopften und haemmerten
Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der
Strasse stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: "Nun, was
sagst du zu unserem alten Spalanzani?" Nathanael versicherte, dass er
gar nichts sagen koenne, da er durchaus nichts vom Professor wisse,
vielmehr mit grosser Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen
duestern Hause ein tolles Treiben und Wirtschaften losgegangen; da
erfuhr er denn von Siegmund, dass Spalanzani morgen ein grosses
Fest geben wolle, Konzert und Ball, und dass die halbe Universitaet
eingeladen sei. Allgemein verbreite man, dass Spalanzani seine Tochter
Olimpia, die er so lange jedem menschlichen Auge recht aengstlich
entzogen, zum erstenmal erscheinen lassen werde.

Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen
zur bestimmten Stunde, als schon die Wagen rollten und die Lichter in
den geschmueckten Saelen schimmerten, zum Professor. Die Gesellschaft
war zahlreich und glaenzend. Olimpia erschien sehr reich und
geschmackvoll gekleidet. Man musste ihr schoengeformtes Gesicht,
ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Ruecken, die
wespenartige Duenne des Leibes schien von zu starkem Einschnueren
bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes
und Steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange
zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. Das Konzert begann. Olimpia
spielte den Fluegel mit grosser Fertigkeit und trug ebenso eine
Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor.
Nathanael war ganz entzueckt; er stand in der hintersten Reihe und
konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpias Zuege nicht ganz erkennen.
Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppolas Glas hervor und schaute hin
nach der schoenen Olimpia. Ach! - da wurde er gewahr, wie sie voll
Sehnsucht nach ihm heruebersah, wie jeder Ton erst deutlich aufging
in dem Liebesblick, der zuendend sein Inneres durchdrang. Die
kuenstlichen Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des
in Liebe verklaerten Gemuets, und als nun endlich nach der Kadenz der
lange Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie
von gluehenden Aermen ploetzlich erfasst sich nicht mehr halten, er
musste vor Schmerz und Entzuecken laut aufschreien: "Olimpia!" - Alle
sahen sich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber
noch ein finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloss: "Nun nun!"
- Das Konzert war zu Ende, der Ball fing an. "Mit ihr zu tanzen! -
mit ihr!" das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wuensche, alles
Strebens; aber wie sich erheben zu dem Mut, sie, die Koenigin des
Festes, aufzufordern? Doch! - er selbst wusste nicht wie es geschah,
dass er, als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die
noch nicht aufgefordert worden, und dass er, kaum vermoegend einige
Worte zu stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpias Hand, er
fuehlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia
ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in
dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse
zu schlagen und des Lebensblutes Stroeme zu gluehen. Und auch in
Nathanaels Innerm gluehte hoeher auf die Liebeslust, er umschlang
die schoene Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte
sonst recht taktmaessig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen
rhythmischen Festigkeit, womit Olimpia tanzte und die ihn oft
ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie sehr ihm
der Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem andern Frauenzimmer
mehr tanzen und haette jeden, der sich Olimpia naeherte, um sie
aufzufordern, nur gleich ermorden moegen. Doch nur zweimal geschah
dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf Olimpia bei jedem Tanze
sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder sie aufzuziehen. Haette
Nathanael ausser der schoenen Olimpia noch etwas andres zu sehen
vermocht, so waere allerlei fataler Zank und Streit unvermeidlich
gewesen; denn offenbar ging das halbleise, muehsam unterdrueckte
Gelaechter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den jungen
Leuten erhob, auf die schoene Olimpia, die sie mit ganz kuriosen
Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz
und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle
ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er sass neben Olimpia, ihre Hand in
der seinigen und sprach hochentflammt und begeistert von seiner Liebe
in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese
vielleicht; denn sie sah ihm unverrueckt ins Auge und seufzte einmal
uebers andere: "Ach - Ach - Ach!" - worauf denn Nathanael also sprach:
"O du herrliche, himmlische Frau! - du Strahl aus dem verheissenen
Jenseits der Liebe - du tiefes Gemuet, in dem sich mein ganzes Sein
spiegelt" und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte bloss immer
wieder: "Ach, Ach!" - Der Professor Spalanzani ging einigemal bei den
Gluecklichen vorueber und laechelte sie ganz seltsam zufrieden an.
Dem Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt
befand, mit einemmal, als wuerd es hienieden beim Professor Spalanzani
merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht
geringen Schreck gewahr, dass eben die zwei letzten Lichter in dem
leeren Saal herniederbrennen und ausgehen wollten. Laengst hatten
Musik und Tanz aufgehoert. "Trennung, Trennung", schrie er ganz wild
und verzweifelt, er kuesste Olimpias Hand, er neigte sich zu ihrem
Munde, eiskalte Lippen begegneten seinen gluehenden! - So wie, als er
Olimpias kalte Hand beruehrte, fuehlte er sich von innerem Grausen
erfasst, die Legende von der toten Braut ging ihm ploetzlich durch den
Sinn; aber fest hatte ihn Olimpia an sich gedrueckt, und in dem Kuss
schienen die Lippen zum Leben zu erwarmen. - Der Professor Spalanzani
schritt langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl
wieder und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte
ein grauliches gespenstisches Ansehen. "Liebst du mich - liebst du
mich Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst du mich?" So fluesterte
Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: "Ach - Ach!"
- "Ja du mein holder, herrlicher Liebesstern", sprach Nathanael, "bist
mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklaeren mein Inneres
immerdar!" - "Ach, ach!" replizierte Olimpia fortschreitend.
Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. "Sie haben sich
ausserordentlich lebhaft mit meiner Tochter unterhalten", sprach
dieser laechelnd: "Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie
Geschmack daran, mit dem bloeden Maedchen zu konvergieren, so sollen
mir Ihre Besuche willkommen sein." - Einen ganzen hellen strahlenden
Himmel in der Brust schied Nathanael von dannen. Spalanzanis Fest war
der Gegenstand des Gespraechs in den folgenden Tagen. Unerachtet der
Professor alles getan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wussten
doch die lustigen Koepfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem
zu erzaehlen, das sich begeben, und vorzueglich fiel man ueber die
todstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schoenen Aeussern
unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden
wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael
vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte
er, wuerde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, dass eben
ihr eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpias tiefes herrliches
Gemuet zu erkennen hindert? "Tu mir den Gefallen, Bruder", sprach
eines Tages Siegmund, "tu mir den Gefallen und sage, wie es dir
gescheuten Kerl moeglich war, dich in das Wachsgesicht, in die
Holzpuppe da drueben zu vergaffen?" Nathanael wollte zornig auffahren,
doch schnell besann er sich und erwiderte: "Sage _du_ mir Siegmund,
wie deinem, sonst alles Schoene klar auffassenden Blick, deinem regen
Sinn, Olimpias himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb
habe ich, Dank sei es dem Geschick, dich nicht zum Nebenbuhler; denn
sonst muesste einer von uns blutend fallen." Siegmund merkte wohl, wie
es mit dem Freunde stand, lenkte geschickt ein, und fuegte, nachdem er
geaeussert, dass in der Liebe niemals ueber den Gegenstand zu richten
sei, hinzu: "Wunderlich ist es doch, dass viele von uns ueber Olimpia
ziemlich gleich urteilen. Sie ist uns - nimm es nicht uebel, Bruder!
- auf seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs ist
regelmaessig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! - Sie koennte fuer
schoen gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl,
ich moechte sagen, ohne Sehkraft waere. Ihr Schritt ist sonderbar
abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen
Raederwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm
richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und ebenso ist ihr
Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz unheimlich geworden, wir mochten
nichts mit ihr zu schaffen haben, es war uns als tue sie nur so wie
ein lebendiges Wesen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandtnis."
- Nathanael gab sich dem bittern Gefuehl, das ihn bei diesen Worten
Siegmunds ergreifen wollte, durchaus nicht hin, er wurde Herr seines
Unmuts und sagte bloss sehr ernst: "Wohl mag euch, ihr kalten
prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich sein. Nur dem poetischen
Gemuet entfaltet sich das gleich organisierte! - Nur _mir_ ging ihr
Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und Gedanken, nur in Olimpias
Liebe finde ich mein Selbst wieder. Euch mag es nicht recht sein,
dass sie nicht in platter Konversation faselt, wie die andern flachen
Gemueter. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen
Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und
hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen
Jenseits. Doch fuer alles das habt ihr keinen Sinn und alles sind
verlorne Worte." - "Behuete dich Gott, Herr Bruder", sagte Siegmund
sehr sanft, beinahe wehmuetig, "aber mir scheint es, du seist auf
boesem Wege. Auf mich kannst du rechnen, wenn alles - Nein, ich mag
nichts weiter sagen! -" Dem Nathanael war es ploetzlich, als meine der
kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit ihm, er schuettelte daher
die ihm dargebotene Hand recht herzlich.

Nathanael hatte rein vergessen, dass es eine Clara in der Welt gebe,
die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem
Gedaechtnis entschwunden, er lebte nur fuer Olimpia, bei der er
taeglich stundenlang sass und von seiner Liebe, von zum Leben
ergluehter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte,
welches alles Olimpia mit grosser Andacht anhoerte. Aus dem tiefsten
Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals
geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzaehlungen, das
wurde taeglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten,
Stanzen, Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang
hintereinander vor, ohne zu ermueden. Aber auch noch nie hatte er eine
solche herrliche Zuhoererin gehabt. Sie stickte und strickte nicht,
sie sah nicht durchs Fenster, sie fuetterte keinen Vogel, sie spielte
mit keinem Schosshuendchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte
keine Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein
Gaehnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! -
stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins
Auge, ohne sich zu ruecken und zu bewegen und immer gluehender, immer
lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und
ihr die Hand, auch wohl den Mund kuesste, sagte sie: "Ach, Ach!" -
dann aber: "Gute Nacht, mein Lieber!" - "O du herrliches, du tiefes
Gemuet", rief Nathanael auf seiner Stube: "nur von dir, von dir allein
werd ich ganz verstanden." Er erbebte vor innerm Entzuecken, wenn er
bedachte, welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias
Gemuet taeglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia
ueber seine Werke, ueber seine Dichtergabe ueberhaupt recht tief aus
seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern
selbst herausgetoent. Das musste denn wohl auch sein; denn mehr Worte
als vorhin erwaehnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch
Nathanael in hellen nuechternen Augenblicken, z.B. morgens gleich
nach dem Erwachen, wirklich an Olimpias gaenzliche Passivitaet und
Wortkargheit, so sprach er doch: "Was sind Worte - Worte! - Der Blick
ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag
denn ueberhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen
Kreis, den ein klaegliches irdisches Beduerfnis gezogen?" - Professor
Spalanzani schien hocherfreut ueber das Verhaeltnis seiner Tochter
mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines
Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine
Verbindung mit Olimpia anzuspielen, laechelte dieser mit dem ganzen
Gesicht und meinte: er werde seiner Tochter voellig freie Wahl
lassen. - Ermutigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen,
beschloss Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzusehen, dass
sie das unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was laengst ihr
holder Liebesblick ihm gesagt, dass sie sein eigen immerdar sein
wolle. Er suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die Mutter
geschenkt, um ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr
aufkeimenden, bluehenden Lebens darzureichen. Claras, Lothars Briefe
fielen ihm dabei in die Haende; gleichgueltig warf er sie beiseite,
fand den Ring, steckte ihn ein und rannte herueber zu Olimpia. Schon
auf der Treppe, auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getoese; es
schien aus Spalanzanis Studierzimmer herauszuschallen. - Ein Stampfen
- ein Klirren - ein Stossen - Schlagen gegen die Tuer, dazwischen
Flueche und Verwuenschungen. Lass los - lass los - Infamer -
Verruchter! - Darum Leib und Leben daran gesetzt? - ha ha ha ha! -
so haben wir nicht gewettet - ich, ich hab die Augen gemacht - ich
das Raederwerk - dummer Teufel mit deinem Raederwerk - verfluchter
Hund von einfaeltigem Uhrmacher - fort mit dir - Satan - halt -
Peipendreher - teuflische Bestie! - halt - fort - lass los! - Es
waren Spalanzanis und des graesslichen Coppelius Stimmen, die so
durcheinander schwirrten und tobten. Hinein stuerzte Nathanael von
namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine weibliche Figur
bei den Schultern gepackt, der Italiener Coppola bei den Fuessen, die
zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller Wut um den
Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurueck, als er die
Figur fuer Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den
Wuetenden die Geliebte entreissen, aber in dem Augenblick wand Coppola
sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus den Haenden
und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fuerchterlichen Schlag,
dass er ruecklings ueber den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten,
Flaschen, glaeserne Zylinder standen, taumelte und hinstuerzte; alles
Geraet klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die
Figur ueber die Schulter und rannte mit fuerchterlich gellendem
Gelaechter rasch fort die Treppe herab, so dass die haesslich
herunterhaengenden Fuesse der Figur auf den Stufen hoelzern klapperten
und droehnten. - Erstarrt stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er
gesehen, Olimpias toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt
ihrer schwarze Hoehlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani waelzte
sich auf der Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm
zerschnitten, wie aus Springquellen stroemte das Blut empor. Aber er
raffte seine Kraefte zusammen. - "Ihm nach - ihm nach, was zauderst
du? - Coppelius - Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt
- Zwanzig Jahre daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt -
das Raederwerk - Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir
gestohlen. - Verdammter - Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia -
da hast du die Augen! -" Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen
auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der
unverletzten Hand und warf sie nach ihm, dass sie seine Brust trafen.
- Da packte ihn der Wahnsinn mit gluehenden Krallen und fuhr in sein
Inneres hinein Sinn und Gedanken zerreissend. "Hui - hui - hui! -
_Feuerkreis_ - _Feuerkreis_! dreh dich _Feuerkreis_ - lustig - lustig!
- Holzpueppchen hui schoen Holzpueppchen dreh dich -" damit warf er
sich auf den Professor und drueckte ihm die Kehle zu. Er haette ihn
erwuergt, aber das Getoese hatte viele Menschen herbeigelockt, die
drangen ein, rissen den wuetenden Nathanael auf und retteten so
den Professor, der gleich verbunden wurde. Siegmund, so stark er
war, vermochte nicht den Rasenden zu baendigen; der schrie mit
fuerchterlicher Stimme immerfort: "Holzpueppchen dreh dich" und schlug
um sich mit geballten Faeusten. Endlich gelang es der vereinten Kraft
mehrerer, ihn zu ueberwaeltigen, indem sie ihn zu Boden warfen und
banden. Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischen Gebruell.
So in graesslicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhause
gebracht.

Ehe ich, guenstiger Leser! dir zu erzaehlen fortfahre, was sich weiter
mit dem ungluecklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du
einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten
Spalanzani nehmen, versichern, dass er von seinen Wunden voellig
geheilt wurde. Er musste indes die Universitaet verlassen, weil
Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein fuer
gaenzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernuenftigen Teezirkeln
(Olimpia hatte sie mit Glueck besucht) statt der lebendigen Person
eine Holzpuppe einzuschwaerzen. Juristen nannten es sogar einen feinen
und um so haerter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum
gerichtet und so schlau angelegt worden, dass kein Mensch (ganz kluge
Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise
tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen
verdaechtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich
nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z.B. wohl irgend jemanden
verdaechtig vorgekommen sein, dass nach der Aussage eines eleganten
Teeisten Olimpia gegen alle Sitte oefter genieset, als gegaehnt hatte?
Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen
Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor
der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu,
raeusperte sich und sprach feierlich: "Hochzuverehrende Herren und
Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze
ist eine Allegorie - eine fortgefuehrte Metapher! - Sie verstehen
mich! - Sapienti sat!" Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten
sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer
Seele Wurzel gefasst und es schlich sich in der Tat abscheuliches
Misstrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz ueberzeugt zu
werden, dass man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern
verlangt, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie
beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Moepschen spiele usw. vor allen
Dingen aber, dass sie nicht bloss hoere, sondern auch manchmal in der
Art spreche, dass dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden
voraussetze. Das Liebesbuendnis vieler wurde fester und dabei
anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. "Man kann
wahrhaftig nicht dafuer stehen", sagte dieser und jener. In den Tees
wurde unglaublich gegaehnt und niemals genieset, um jedem Verdacht
zu begegnen. - Spalanzani musste, wie gesagt, fort, um der
Kriminaluntersuchung wegen [des] der menschlichen Gesellschaft
betrueglicherweise eingeschobenen Automats zu entgehen. Coppola war
auch verschwunden.

Nathanael erwachte wie aus schwerem, fuerchterlichem Traum, er schlug
die Augen auf und fuehlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefuehl
mit sanfter himmlischer Waerme ihn durchstroemte. Er lag in seinem
Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich ueber
ihn hingebeugt und unfern standen die Mutter und Lothar. "Endlich,
endlich, o mein herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von
schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein!" - So sprach Clara recht
aus tiefer Seele und fasste den Nathanael in ihre Arme. Aber dem
quollen vor lauter Wehmut und Entzuecken die hellen gluehenden Traenen
aus den Augen und er stoehnte tief auf. "Meine - meine Clara!" -
Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in grosser Not,
trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: "Du treuer Bruder
hast mich doch nicht verlassen." - Jede Spur des Wahnsinns war
verschwunden, bald erkraeftigte sich Nathanael in der sorglichen
Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glueck war
unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von
dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst
einem nicht unbedeutenden Vermoegen ein Guetchen in einer angenehmen
Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die
Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte,
und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er
je gewesen und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines,
herrliches Gemuet. Niemand erinnerte ihn auch nur durch den leisesten
Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm schied, sprach
Nathanael: "Bei Gott Bruder! ich war auf schlimmen Wege, aber zu
rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! - Ach es war
ja Clara! -" Siegmund liess ihn nicht weiter reden, aus Besorgnis,
tief verletzende Erinnerungen moechten ihm zu hell und flammend
aufgehen. - Es war an der Zeit, dass die vier gluecklichen Menschen
nach dem Guetchen ziehen wollten. Zur Mittagsstunde gingen sie durch
die Strassen der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe
Ratsturm warf seinen Riesenschatten ueber den Markt. "Ei!" sagte
Clara: "steigen wir doch noch einmal herauf und schauen in das ferne
Gebirge hinein!" Gesagt, getan! Beide, Nathanael und Clara, stiegen
herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach Hause, und Lothar,
nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten warten.
Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf der hoechsten Galerie
des Turmes und schauten hinein in die duftigen Waldungen, hinter denen
das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich erhob.

"Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich
auf uns los zu schreiten scheint", frug Clara. - Nathanael fasste
mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv, er
schaute seitwaerts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es
krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara
an, aber bald gluehten und spruehten Feuerstroeme durch die rollenden
Augen, graesslich bruellte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang
er hoch in die Luefte und grausig dazwischen lachend schrie er in
schneidendem Ton: "Holzpueppchen dreh dich - Holzpueppchen dreh
dich" - und mit gewaltiger Kraft fasste er Clara und wollte sie
herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst
fest an das Gelaender. Lothar hoerte den Rasenden toben, er hoerte
Claras Angstgeschrei, graessliche Ahnung durchflog ihn, er rannte
herauf, die Tuer der zweiten Treppe war verschlossen - staerker hallte
Claras Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stiess er gegen die
Tuer, die endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras
Laute: "Huelfe - rettet - rettet -" so erstarb die Stimme in den
Lueften. "Sie ist hin - ermordet von dem Rasenden", so schrie Lothar.
Auch die Tuer zur Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm
Riesenkraft, er sprengte die Tuer aus den Angeln. Gott im Himmel -
Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfasst ueber der Galerie
in den Lueften - nur mit einer Hand hatte sie noch die Eisenstaebe
umklammert. Rasch wie der Blitz erfasste Lothar die Schwester, zog sie
hinein, und schlug im demselben Augenblick mit geballter Faust dem
Wuetenden ins Gesicht, dass er zurueckprallte und die Todesbeute
fallen liess.

Lothar rannte herab, die ohnmaechtige Schwester in den Armen. - Sie
war gerettet. - Nun raste Nathanael herum auf der Galerie und sprang
hoch in die Luefte und schrie "_Feuerkreis_ dreh dich - _Feuerkreis_
dreh dich" - Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen;
unter ihnen ragte riesengross der Advokat Coppelius hervor, der eben
in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten
war. Man wollte herauf, um sich des Rasenden zu bemaechtigen, da
lachte Coppelius sprechend: "Ha ha - wartet nur, der kommt schon
herunter von selbst", und schaute wie die uebrigen hinauf. Nathanael
blieb ploetzlich wie erstarrt stehen, er bueckte sich herab, wurde
den Coppelius gewahr und mit dem gellenden Schrei: "Ha! Skoene Oke -
Skoene Oke", sprang er ueber das Gelaender.

Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war
Coppelius im Gewuehl verschwunden.

Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen
haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der
Tuere eines schoenen Landhauses sass und vor ihr zwei muntre Knaben
spielten. Es waere daraus zu schliessen, dass Clara das ruhige
haeusliche Glueck noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn
zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals haette
gewaehren koennen.



Ignaz Denner

Vor alter laengst verflossner Zeit lebte in einem wilden einsamen
Forst des Fuldaischen Gebiets ein wackrer Jaegersmann, Andres mit
Namen. Er war sonst Leibjaeger des Herrn Grafen Aloys von Vach
gewesen, den er auf weiten Reisen durch das schoene Welschland
begleitet, und einmal, als sie auf den unsichern Wegen in dem
Koenigreich Neapel von Strassenraeubern angefallen wurden, durch seine
Klugheit und Tapferkeit aus grosser Lebensgefahr gerettet hatte. In
dem Wirtshause zu Neapel, wo sie eingekehrt waren, befand sich ein
armes, bildschoenes Maedchen, die von dem Hauswirt, der sie als eine
Waise aufgenommen, gar hart behandelt und zu den niedrigsten Arbeiten
in Hof und Kueche gebraucht wurde. Andres suchte sie, so gut er sich
ihr verstaendlich machen konnte, mit trostreichen Worten aufzurichten,
und das Maedchen fasste solche Liebe zu ihm, dass sie sich nicht mehr
von ihm trennen, sondern mitziehen wollte nach dem kalten Deutschland.
Der Graf von Vach, geruehrt von Andres' Bitten und Giorginas Traenen,
erlaubte, dass sie sich zu dem geliebten Andres auf den Kutschbock
setzen, und so die beschwerliche Reise machen durfte. Schon ehe sie
ueber die Grenzen von Italien hinausgekommen, liess sich Andres mit
seiner Giorgina trauen und als sie dann nun endlich zurueckgekehrt
waren auf die Gueter des Grafen von Vach, glaubte dieser den treuen
Diener recht zu belohnen, da er ihn zu seinem Revierjaeger ernannte.
Mit seiner Giorgina und einem alten Knecht zog er in den einsamen
rauhen Wald, den er schuetzen sollte wider die Freijaeger und
Holzdiebe. Statt des geholten Wohlstandes, den ihm der Graf von
Vach verheissen, fuehrte er aber ein beschwerliches, muehseliges,
duerftiges Leben und geriet bald in Kummer und Elend. Der kleine Lohn
an barem Geld, den er von dem Grafen erhielt, reichte kaum hin, sich
und seine Giorgina zu kleiden; die geringen Gefaelle, die ihm bei
Holzverkaeufen zukamen, waren selten und ungewiss und den Garten, auf
dessen Bebauung und Benutzung er angewiesen, verwuesteten oft die
Woelfe und die wilden Schweine, er mochte mit seinem Knecht auf der
Hut sein, wie er wollte, so dass bisweilen in einer Nacht die letzte
Hoffnung des Lebensunterhalts vereitelt ward. Dabei war sein Leben
stets bedroht von den Holzdieben und Freischuetzen. Jeder Lockung
widerstand er als ein wackrer frommer Mann, der lieber darben, als
ungerechtes Gut an sich bringen wollte und verwaltete sein Amt
getreulich und tapfer, deshalb stellten sie ihm nach auf gefaehrliche
Weise, und nur seine treuen Doggen schuetzten ihn vor naechtlichem
Ueberfall des Raubgesindels. Giorgina, des Klimas und der Lebensweise
in dem wilden Forst ganz ungewohnt, welkte zusehends hin. Ihre
braeunliche Gesichtsfarbe verwandelte sich in fahles Gelb, ihre
lebhaften blitzenden Augen wurden duester, und ihr voller, ueppiger
Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte sie in mondheller
Nacht. Schuesse krachten in der Ferne durch den Wald, die Doggen
heulten, leise erhob sich der Mann vom Lager und schlich mit dem
Knecht murmelnd hinaus in den Forst. Dann betete sie inbruenstig
zu Gott und zu den Heiligen, dass sie und ihr treuer Mann errettet
werden moechten aus dieser schrecklichen Einoede und aus der steten
Todesgefahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das
Krankenlager, und immer schwaecher und schwaecher werdend, sah sie ihr
Ende vor Augen. Dumpf in sich hinbruetend, schlich der unglueckliche
Andres umher; alles Glueck war mit der Krankheit seines Weibes von ihm
gewichen. Wie neckendes, gespenstisches Wesen guckte das Wild aus den
Bueschen; sowie er sein Gewehr abdrueckte, war es verstoben in der
Luft. Er konnte kein Tier mehr treffen und nur sein Knecht, ein
geuebter Schuetze, beschaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach
zu liefern gehalten war. Einst sass er an Giorginas Bette, den starren
Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr
atmete. In dumpfem, lautlosem Schmerz hatte er ihre Hand gefasst und
hoerte nicht das Aechzen des Knaben, der nahrungslos verschmachten
wollte. Der Knecht ging schon am fruehen Morgen nach Fulda, um
fuer das letzte Ersparnis einige Erquickung fuer die Kranke
herbeizuschaffen. Kein menschliches troestendes Wesen war weit und
breit zu finden, nur der Sturm heulte in schneidenden Toenen des
entsetzlichen Jammers durch die schwarzen Tannen und die Doggen
winselten, wie in trostloser Klage, um den ungluecklichen Herrn.
Da hoerte Andres auf einmal es vor dem Hause daherschreiten, wie
menschliche Fusstritte. Er glaubte, es waere der zurueckkehrende
Knecht, unerachtet er ihn nicht so frueh erwarten konnte, aber die
Hunde sprangen heraus und bellten heftig. Es musste ein Fremder sein.
Andres ging selbst vor die Tuer: da trat ihm ein langer, hagerer
Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reisemuetze tief ins Gesicht
gedrueckt. "Ei", sagte der Fremde: "wie bin ich doch hier im Walde so
irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab, wir bekommen ein
schrecklich Wetter. Moechtet Ihr nicht erlauben, lieber Herr! dass ich
in Euer Haus eintreten und mich von dem beschwerlichen Wege erholen
und erquicken duerfte zur weitern Reise?" - "Ach Herr", erwiderte der
betruebte Andres, "Ihr kommt in ein Haus der Not und des Elends und
ausser dem Stuhl, auf dem Ihr ausruhen koennt, vermag ich kaum Euch
irgend eine Erquickung anzubieten; meinem armen kranken Weibe mangelt
es selbst daran, und mein Knecht, den ich nach Fulda geschickt, wird
erst am spaeten Abend etwas zur Labung herbeibringen." Unter diesen
Worten waren sie in die Stube getreten. Der Fremde legte seine
Reisemuetze und seinen Mantel ab, unter dem er ein Felleisen und ein
Kistchen trug. Er zog auch ein Stilett und ein paar Terzerole hervor,
die er auf den Tisch legte. Andres war an Giorginas Bett getreten, sie
lag in bewusstlosem Zustande. Der Fremde trat ebenfalls hinzu, schaute
die Kranke lange mit scharfen, bedaechtigen Blicken an und ergriff
ihre Hand, den Puls sorglich erforschend. Als nun Andres voll
Verzweiflung ausrief: "Ach Gott, nun stirbt sie wohl!" da sagte der
Fremde: "Mit nichten, lieber Freund! seid ganz ruhig. Euerm Weibe
fehlt nichts als kraeftige, gute Nahrung, und vor der Hand wird ihr
ein Mittel, das zugleich reizt und staerkt, die besten Dienste tun.
Ich bin zwar kein Arzt, sondern vielmehr ein Kaufmann, allein doch
in der Arzneiwissenschaft nicht unerfahren, und besitze aus uralter
Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir fuehre und auch wohl
verkaufe." Damit oeffnete der Fremde sein Kistchen, holte eine Phiole
heraus, troepfelte von dem ganz dunkelroten Liquor etwas auf Zucker
und gab es der Kranken. Dann holte er aus dem Felleisen eine kleine
geschliffene Flasche koestlichen Rheinweins und floesste der Kranken
ein paar Loeffel voll ein. Den Knaben, befahl er, nur dicht an
der Mutter Brust gelehnt ins Bette zu legen und beide der Ruhe
zu ueberlassen. Dem Andres war es zumute, als sei ein Heiliger
herabgestiegen in die Einoede, ihm Trost und Huelfe zu bringen.
Anfangs hatte ihn der stechende, falsche Blick des Fremden
abgeschreckt, jetzt wurde er durch die sorgliche Teilnahme, durch die
augenscheinliche Huelfe, die er der armen Giorgina leistete, zu ihm
hingezogen. Er erzaehlte dem Fremden unverhohlen, wie er eben durch
die Gnade, die ihm sein Herr, der Graf von Vach, angedeihen lassen
wollen, in Not und Elend geraten sei und wie er wohl Zeit seines
Lebens nicht aus drueckender Armut und Duerftigkeit kommen werde. Der
Fremde troestete ihn dagegen und meinte, wie oft ein unverhofftes
Glueck dem Hoffnungslosesten alle Gueter des Lebens bringe, und dass
man wohl etwas wagen muesse, das Glueck selbst sich dienstbar zu
machen. "Ach lieber Herr!" erwiderte Andres, "ich vertraue Gott und
der Fuersprache der Heiligen, zu denen wir, ich und mein treues Weib,
jeden Tag mit Inbrunst beten. Was soll ich denn tun, um mir Geld und
Gut zu verschaffen? Ist es mir nach Gottes Weisheit nicht beschieden,
so waere es ja suendlich, darnach zu trachten; soll ich aber noch
in dieser Welt zu Guetern gelangen, welches ich meines armen Weibes
halber wuensche, die ihr schoenes Vaterland verlassen, um mir in diese
wilde Einoede zu folgen, so kommt es wohl, ohne dass ich Leib und
Leben wage um schnoedes, weltliches Gut." Der Fremde laechelte bei
diesen Reden des frommen Andres auf ganz seltsame Weise und war im
Begriff, etwas zu erwidern, als Giorgina mit einem tiefen Seufzer
aus dem Schlaf, in den sie versunken, erwachte. Sie fuehlte sich
wunderbarlich gestaerkt; auch der Knabe laechelte hold und lieblich an
ihrer Brust. Andres war ausser sich vor Freude, er weinte, er betete,
er jubelte durch das Haus. Der Knecht war indessen zurueckgekommen und
bereitete, so gut er es vermochte, von den mitgebrachten Lebensmitteln
das Mahl, an dem nun der Fremde teilnehmen sollte. Der Fremde kochte
selbst eine Kraftsuppe fuer Giorgina, und man sah, dass er allerlei
Gewuerz und andere Ingredienzien hineinwarf, die er bei sich getragen.
Es war spaeter Abend worden, der Fremde musste daher bei dem Andres
uebernachten, und er bat, dass man ihm in derselben Stube, wo Andres
und Giorgina schliefen, ein Strohlager bereiten moege. Das geschah.
Andres, den die Besorgnis um Giorgina nicht schlafen liess, bemerkte,
wie der Fremde beinahe bei jedem staerkeren Atemzuge Giorginas
auffuhr, wie er stuendlich aufstand, leise sich ihrem Bette naeherte,
ihren Puls erforschte und ihr Arznei eintroepfelte.

Als der Morgen angebrochen, war Giorgina wieder zusehends besser
geworden. Andres dankte dem Fremden, den er seinen Schutzengel nannte,
aus der Fuelle seines Herzens. Auch Giorgina aeusserte, wie ihn wohl,
auf ihr inbruenstiges Gebet, Gott selbst gesendet habe zu ihrer
Rettung. Dem Fremden schienen diese lebhaften Ausbrueche des Danks in
gewisser Art beschwerlich zu fallen; er war sichtlich verlegen und
aeusserte ein Mal ueber das andere, wie er ja ein Unmensch sein
muesse, wenn er nicht der Kranken mit seiner Kenntnis und den
Arzneimitteln, die er bei sich fuehre, habe beistehen sollen.
Uebrigens sei nicht Andres, sondern er zum Dank verpflichtet, da
man ihn, der Not unerachtet, die im Hause herrsche, so gastlich
aufgenommen, und er wolle auch keineswegs diese Pflicht unerfuellt
lassen. Er zog einen wohlgefuellten Beutel hervor und nahm einige
Goldstuecke heraus, die er dem Andres hinreichte. "Ei Herr", sagte
Andres, "wie und wofuer sollte ich denn so vieles Geld von Euch
annehmen? Euch in meinem Hause zu beherbergen, da Ihr Euch in dem
wilden weitlaeufigen Forst verirrt hattet, das war ja Christenpflicht,
und duenkte Euch das irgend eines Dankes wert, so habt Ihr mich ja
ueberreich, ja mehr, als ich es nur mit Worten sagen mag, dadurch
belohnt, dass Ihr als ein weiser kunsterfahrner Mann mein liebes Weib
vom augenscheinlichen Tode rettetet. Ach Herr! was Ihr an mir getan,
werde ich Euch ewiglich nicht vergessen, und Gott moege es mir
verleihen, dass ich die edle Tat Euch mit meinem Leben und Blut lohnen
koenne." Bei diesen Worten des wackern Andres fuhr es wie ein rascher
funkelnder Blitz aus den Augen des Fremden. "Ihr muesst, braver Mann",
sprach er, "durchaus das Geld annehmen. Ihr seid das schon Euerm Weibe
schuldig, der Ihr damit bessere Nahrungsmittel und Pflege verschaffen
koennt; denn dieser bedarf sie nunmehro, um nicht wieder in ihren
vorigen Zustand zurueckzufallen, und Euerm Knaben Nahrung geben zu
koennen." - "Ach Herr", erwiderte Andres, "verzeiht es, aber eine
innere Stimme sagt mir, dass ich Euer unverdientes Geld nicht nehmen
darf. Diese innere Stimme, der ich, wie der hoehern Eingebung meines
Schutzheiligen, immer vertraut, hat mich bisher sicher durch das Leben
gefuehrt und mich beschuetzt vor allen Gefahren des Leibes und der
Seele. Wollt Ihr grossmuetig handeln und an mir Armen ein uebriges
tun, so lasst mir ein Flaeschlein von Eurer wundervollen Arznei
zurueck, damit durch ihre Kraft mein Weib ganz genese." Giorgina
richtete sich im Bette auf, und der schmerzvolle wehmuetige Blick, den
sie auf Andres warf, schien ihn anzusehen, diesmal nicht so strenge
auf sein inneres Widerstreben zu achten, sondern die Gabe des
mildtaetigen Mannes anzunehmen. Der Fremde bemerkte das und sprach:
"Nun wenn Ihr denn durchaus mein Geld nicht annehmen wollt, so schenke
ich es Euerm lieben Weibe, die meinen guten Willen, Euch aus der
bittern Not zu retten, nicht verschmaehen wird." Damit griff er noch
einmal in den Beutel, und sich der Giorgina naehernd, gab er ihr wohl
noch einmal so viel Geld, als er vorhin dem Andres angeboten hatte.
Giorgina sah das schoene funkelnde Gold mit vor Freude leuchtenden
Augen, sie konnte kein Wort des Danks herausbringen, die hellen
Traenen schossen ihr die Wangen herab. Der Fremde wandte sich schnell
von ihr weg, und sprach zu Andres: "Seht, lieber Mann! Ihr koennet
meine Gabe getrost annehmen, da ich nur etwas von grossem Ueberfluss
Euch mitteile. Gestehen will ich Euch, dass ich das nicht bin, was
ich scheine. Nach meiner schlichten Kleidung, und da ich wie ein
duerftiger wandernder Kraemer zu Fuss reise, glaubt Ihr gewiss, dass
ich arm bin und mich nur kuemmerlich von kleinem Verdienst auf Messen
und Jahrmaerkten naehre: ich muss Euch jedoch sagen, dass ich durch
gluecklichen Handel mit den trefflichsten Kleinodien, den ich seit
vielen Jahren treibe, ein sehr reicher Mann geworden, und nur die
einfache Lebensweise aus alter Gewohnheit beibehalten habe. In diesem
kleinen Felleisen und dem Kistchen bewahre ich Juwelen und koestliche,
zum Teil noch im grauen Altertum geschnittene Steine, welche viele,
viele Tausende wert sind. Ich habe diesmal in Frankfurt sehr
glueckliche Geschaefte gemacht, so dass das wohl noch lange nicht
der hundertste Teil des Gewinns sein mag, was ich Euerm lieben Weibe
schenkte. Ueberdem gebe ich Euch das Geld keineswegs umsonst, sondern
verlange von Euch dafuer allerlei Gefaelligkeiten. Ich wollte, wie
gewoehnlich, von Frankfurt nach Kassel gehen und kam von Schluechtern
aus vom richtigen Wege ab. Indessen habe ich gefunden, dass der Weg
durch diesen Forst, den sonst die Reisenden scheuen, gerade fuer einen
Fussgaenger recht anmutig ist, weshalb ich denn kuenftig auf gleicher
Reise immer diese Strasse einschlagen und bei Euch einsprechen will.
Ihr werdet daher mich jaehrlich zweimal bei Euch eintreffen sehen;
naemlich zu Ostern, wenn ich von Frankfurt nach Kassel wandere, und
im spaeten Herbst, wenn ich von der Leipziger Michaelismesse nach
Frankfurt und von dort nach der Schweiz und wohl auch nach Welschland
gehe. Dann sollt Ihr mich fuer gute Bezahlung - einen - zwei auch wohl
drei Tage bei Euch beherbergen und das ist die erste Gefaelligkeit, um
die ich Euch ersuche.

Ferner bitte ich Euch, dieses kleine Kistchen, worin Waren sind, die
ich in Kassel nicht brauche, und das mir beim Wandern hinderlich ist,
zu behalten, bis ich kuenftigen Herbst wieder bei Euch einspreche.
Nicht verhehlen will ich, dass die Waren viele Tausende wert sind,
aber ich mag Euch deshalb doch kaum groessere Sorglichkeit empfehlen,
da ich nach der Treue und Froemmigkeit, die Ihr an den Tag legt, Euch
zutraue, dass Ihr auch das Geringste, was ich Euch zurueckliesse,
sorgfaeltig aufbewahren wuerdet; zumal werdet Ihr das bei Sachen
von solch grossem Werte, als die sind, welche in dem Kistchen
verschlossen, sicherlich tun. Seht, das ist der zweite Dienst, den
ich von Euch fordere. Das Dritte, was ich verlange, wird Euch wohl
am schwersten fallen, unerachtet es mir jetzt am noetigsten tut. Ihr
sollt Euer liebes Weib nur auf diesen Tag verlassen und mich aus
dem Forst bis auf die Strasse nach Hirschfeld geleiten, wo ich bei
Bekannten einsprechen und dann meine Reise nach Kassel fortsetzen
will. Denn ausser dem, dass ich des Weges im Forst nicht recht kundig
bin und mich daher zum zweitenmal verirren koennte, ohne von einem so
wackern Mann, wie Ihr es seid, aufgenommen zu werden, ist es auch in
der Gegend nicht recht geheuer. Euch als einem Jaegersmann aus der
Gegend wird man nichts anhaben, aber ich, als einsamer Wanderer,
koennte wohl gefaehrdet werden. Man sprach in Frankfurt davon, dass
eine Raeuberbande, die sonst die Gegend von Schaffhausen unsicher
machte und sich bis nach Strassburg herauf ausdehnte, nunmehr sich
ins Fuldaische geworfen haben soll, da die von Leipzig nach Frankfurt
reisenden Kaufleute ihnen reicheren Gewinst versprachen, als sie dort
finden konnten. Wie leicht waer es moeglich, dass sie mich schon von
Frankfurt aus als reichen Juwelenhaendler kennten. Hab ich also ja
durch die Rettung Eures Weibes Dank verdient, so koennt Ihr mich
dadurch reichlich lohnen, dass Ihr aus diesem Forste mich auf Weg und
Steg leitet." Andres war mit Freuden bereit, alles zu erfuellen, was
man von ihm verlangte, und machte sich gleich, wie es der Fremde
wuenschte, zur Wanderung fertig, indem er seine Jaegeruniform anzog,
seine Doppelbuechse und seinen tuechtigen Hirschfaenger umschnallte
und dem Knecht befahl, zwei von den Doggen anzukuppeln. Der Fremde
hatte unterdessen das Kistchen geoeffnet und die praechtigsten
Geschmeide, Halsketten - Ohrringe - Spangen herausgenommen, die er auf
Giorginas Bette ausbreitete, so dass sie ihre Verwunderung und Freude
gar nicht bergen konnte. Als nun aber der Fremde sie aufforderte, doch
eine der schoensten Halsketten umzuhaengen, die reichen Spangen auf
ihre wunderschoen geformten Aerme zu streifen, und ihr dann einen
kleinen Taschenspiegel vorhielt, worin sie sich nach Herzenslust
beschauen konnte, so dass sie in kindischer Lust aufjauchzte, da sagte
Andres zu dem Fremden: "Ach lieber Herr! wie moeget Ihr doch in meinem
armen Weibe solche Luesternheit erregen, dass sie sich mit Dingen
putzt, die ihr nimmermehr zukommen, und auch gar nicht anstehen. Nehmt
mir es nicht uebel, Herr! aber die einfache rote Korallenschnur, die
meine Giorgina um den Hals gehaengt hatte, als ich sie zum erstenmal
in Neapel sah, ist mir tausendmal lieber, als das funkelnde blitzende
Geschmeide, das mir recht eitel und truegerisch vorkommt." - "Ihr seid
auch gar zu strenge", erwiderte der Fremde hoehnisch laechelnd, "dass
Ihr Euerm Weibe nicht einmal in ihrer Krankheit die unschuldige Freude
lassen wollt, sich mit meinen schoenen Geschmeiden herauszuputzen, die
keineswegs truegerisch, sondern wahrhaft echt sind. Wisst Ihr denn
nicht, dass eben den Weibern solche Dinge rechte Freude verursachen?
Und was Ihr da sagt, dass solcher Prunk Eurer Giorgina nicht zukomme,
so muss ich das Gegenteil behaupten. Euer Weib ist huebsch genug, sich
so herauszuputzen und Ihr wisst ja nicht, ob sie nicht einmal auch
noch reich genug sein wird, dergleichen Schmuck selbst zu besitzen und
zu tragen." Andres sprach mit sehr ernstem nachdruecklichen Ton: "Ich
bitte Euch, Herr! fuehrt nicht solche geheimnisvolle verfaengliche
Reden! Wollt Ihr denn mein armes Weib betoeren, dass sie von eitlem
Geluest nach solchem weltlichen Prunk und Staat nur drueckender unsere
Armut fuehle und um alle Lebensruhe, um alle Heiterkeit gebracht
werde? Packt nur Eure schoene Sachen ein, lieber Herr! ich will sie
Euch treulich bewahren, bis Ihr zurueckkommt. Aber sagt mir nun, wenn,
wie es der Himmel verhueten moege! Euch unterdessen ein Unglueck
zustossen sollte, so dass Ihr nicht mehr zurueckkehrtet in mein Haus,
wohin soll ich dann das Kistchen abliefern, und wie lange soll ich auf
Euch warten, ehe ich die Juwelen _dem_ einhaendige, den Ihr mir nennen
werdet, so wie ich Euch jetzt um Euern Namen bitte?" - "Ich heisse",
erwiderte der Fremde, "Ignaz Denner, und bin, wie Ihr schon wisset,
Kauf- und Handelsmann. Ich habe weder Weib, noch Kinder, und meine
Verwandte wohnen im Walliser Lande. _Die_ kann ich aber keineswegs
lieben und achten, da sie sich, als ich noch arm und beduerftig war,
um mich gar nicht gekuemmert haben. Sollte ich in drei Jahren mich
nicht sehen lassen, so behaltet das Kistchen ruhig an Euch und, da ich
wohl weiss, dass beide, Ihr und Giorgina, Euch straeuben werdet, das
reiche Vermaechtnis von mir anzunehmen, so schenke ich in jenem Fall
das Kaestchen mit Kleinodien Euerm Knaben, dem ich, wenn Ihr ihn
firmeln lasst, den Namen Ignatius beizugeben bitte." Andres wusste in
der Tat nicht, was er aus der seltenen Freigebigkeit und Grossmut des
fremden Mannes machen sollte. Er stand ganz verstummt vor ihm, indes
Giorgina ihm fuer seinen guten Willen dankte und versicherte, zu Gott
und den Heiligen fleissig beten zu wollen, dass sie ihn auf seinen
weiten beschwerlichen Reisen beschuetzen und ihn stets gluecklich in
ihr Haus zurueckfuehren moechten. Der Fremde laechelte, so wie es
seine Art war, auf seltsame Weise und meinte, dass wohl das Gebet
einer schoenen Frau mehr Kraft haben moege, als das seinige. Das
Beten wolle er daher ihr ueberlassen und uebrigens seinem kraeftigen
abgehaerteten Koerper und seinen guten Waffen vertrauen.

Dem frommen Andres missfiel diese Aeusserung des Fremden hoechlich;
indessen verschwieg er das, was er darauf zu erwidern schon im Begriff
stand, und trieb vielmehr den Fremden an, jetzt die Wanderung durch
den Forst zu beginnen, da er sonst erst in spaeter Nacht in sein Haus
zurueckkehren und seine Giorgina in Furcht und Angst setzen wuerde.

Der Fremde sagte beim Abschied noch Giorginen: dass er ausdruecklich
ihr erlaube, sich, wenn es ihr Vergnuegen mache, mit seinen
Geschmeiden zu schmuecken, da es ihr ja ohnedies in diesem einsamen
wilden Forst an jeder Belustigung mangle. Giorgina erroetete vor
innerm Vergnuegen, da sie freilich die ihrer Nation eigne Lust
an glaenzendem Staat und vorzueglich an kostbaren Steinen nicht
unterdruecken konnte. - Nun schritten Denner und Andres rasch
vorwaerts durch den finstern oeden Wald. In dem dicksten Gebuesch
schnupperten die Doggen umher und klafften, den Herrn mit klugen
beredten Augen anschauend. "Hier ist es nicht geheuer", sprach Andres,
spannte den Hahn seiner Buechse und schritt mit den Hunden bedaechtig
vor dem fremden Kaufmann her. Oft war es ihm, als rausche es in den
Baeumen und bald erblickte er in der Ferne finstre Gestalten, die
gleich wieder in dem Gebuesch verschwanden. Er wollte seine Doggen
loskuppeln. "Tut das nicht, lieber Mann!" rief Denner, "denn ich kann
Euch versichern, dass wir nicht das mindeste zu fuerchten haben." Kaum
hatte er diese Worte gesprochen, als nur wenige Schritte von ihnen ein
grosser schwarzer Kerl mit struppigen Haaren und grossem Knebelbart,
eine Buechse in der Hand, aus dem Gebuesch heraustrat. Andres machte
sich schussfertig; "schiesst nicht, schiesst nicht!" rief Denner; der
schwarze Kerl nickte ihm freundlich zu und verlor sich in den Baeumen.
Endlich waren sie aus dem Walde heraus, auf der lebhaften Landstrasse.
"Nun danke ich Euch herzlich fuer Euer Geleite", sprach Denner;
"kehrt nur jetzt in Eure Wohnung zurueck; sollten Euch wieder solche
Gestalten aufstossen, wie wir sie gesehen, so zieht ruhig Eure Strasse
fort, ohne Euch darum zu kuemmern. Tut, als wenn Ihr gar nichts
bemerktet, behaltet Eure Doggen am Strick, Ihr werdet ohne alle Gefahr
Eure Wohnung erreichen." Andres wusste nicht, was er von dem allen
und von dem wunderlichen Kaufmann denken sollte, der, wie ein
Geisterbeschwoerer, den Feind zu bannen und von sich abzuhalten
schien. Er konnte nicht begreifen, warum er denn erst sich habe durch
den Wald geleiten lassen. Getrost schritt Andres durch den Forst
zurueck, es stiess ihm durchaus nichts Verdaechtiges auf und er kam
wohlbehalten in sein Haus, wo ihm seine Giorgina, die sich munter und
kraeftig aus dem Bette gemacht, voll Freude in die Arme fiel.

Durch die Freigebigkeit des fremden Kaufmanns bekam die kleine
Haushaltung des Andres eine ganz andere Gestalt. Kaum war naemlich
Giorgina ganz genesen, als er mit ihr nach Fulda ging und ausser den
noetigsten Beduerfnissen noch manches Stueck einkaufte, das ihrer
haeuslichen Einrichtung abging und wodurch diese das Ansehen eines
gewissen Wohlstandes erhielt. Dazu kam, dass seit dem Besuch des
Fremden die Freijaeger und Holzdiebe aus der Gegend gebannt schienen,
und Andres seinem Posten ruhig vorstehen konnte. Auch sein Jagdglueck
war wiedergekehrt, so dass er, wie sonst, beinahe niemals einen
Fehlschuss tat. Der Fremde stellte sich zu Michaelis wieder ein und
blieb drei Tage. Der hartnaeckigen Weigerung der Wirtsleute unerachtet
war er doch wieder so freigebig, wie das erstemal. Er versicherte, es
sei nun einmal seine Absicht, sie in Wohlstand zu versetzen, und so
sich selbst das Absteigequartier im Walde freundlicher und angenehmer
zu machen.

Nun konnte die bildhuebsche Giorgina sich besser kleiden; sie gestand
dem Andres, dass sie der Fremde mit einer zierlich gearbeiteten
goldnen Nadel, wie sie die Maedchen und Weiber in mancher Gegend
Italiens durch das in Zoepfen zusammengeflochtene aufgewirbelte Haar
zu stecken pflegen, beschenkt habe. Andres zog ein finstres Gesicht,
aber in dem Augenblick war Giorgina zur Tuer herausgesprungen und
nicht lange dauerte es, so kehrte sie zurueck ganz so gekleidet und
geschmueckt, wie Andres sie in Neapel gesehen hatte. Die schoene
goldne Nadel prangte in dem schwarzen Haar, in das sie mit malerischem
Sinn bunte Blumen geflochten, und Andres musste sich nun selbst
gestehen, dass der Fremde sein Geschenk recht sinnig gewaehlt hatte,
um seine Giorgina wahrhaft zu erfreuen.

Andres aeusserte dies unverhohlen und Giorgina meinte, dass der Fremde
wohl ihr Schutzengel sei, der sie aus der tiefsten Duerftigkeit zum
Wohlstande erhebe, und dass sie gar nicht begreife, wie Andres so
wortkarg, so verschlossen gegen den Fremden und ueberhaupt so traurig,
so in sich gekehrt, bleiben koenne. "Ach, liebes Herzensweib!" sprach
Andres, "die innere Stimme, welche mir damals so laut sagte, dass ich
durchaus nichts von dem Fremden annehmen duerfe, die schweigt bis
jetzt keineswegs. Ich werde oft von innern Vorwuerfen gemartert; es
ist mir, als ob mit dem Gelde des Fremden unrechtes Gut in mein Haus
gekommen sei und deshalb kann mich nichts recht freuen, was dafuer
angeschafft wurde. Ich kann mich jetzt wohl oefter mit einer
kraeftigen Speise, mit einem Glase Wein erlaben; glaube mir aber,
liebe Giorgina! war einmal ein guter Holzverkauf vorgefallen und hatte
mir der liebe Gott ein paar ehrlich verdiente Groschen mehr beschert,
als gewoehnlich, dann schmeckte mir ein Glas geringen Weins viel
besser, als jetzt der gute Wein, den der Fremde uns mitbringt. Ich
kann mich mit diesem sonderbaren Kaufmann durchaus nicht befreunden,
ja es ist mir in seiner Gegenwart oft ganz unheimlich zumute. Hast
du wohl bemerkt, liebe Giorgina! dass er niemanden fest anzuschauen
vermag? Und dabei blitzt es zuweilen aus seinen tiefliegenden kleinen
Augen so sonderbar heraus, und dann kann er bei unsern schlichten
Reden oft so - buebisch moecht ich sagen, lachen, dass es mich eiskalt
ueberlaeuft. - Ach, moechten nur nicht meine innern Gedanken wahr
werden, aber oft ist es mir, als liege allerlei schwarzes Unheil im
Hintergrunde, das nun der Fremde mit einemmal hervorrufen werde,
nachdem er uns in seinen kuenstlichen Schlingen gefangen."

Giorgina suchte ihrem Mann die schwarzen Vorstellungen auszureden,
indem sie versicherte, wie sie oft in ihrem Vaterlande und vorzueglich
bei ihren Pflegeeltern im Wirtshause, Personen kennen gelernt, deren
Aeusseres noch viel widriger gewesen sei, unerachtet es am Ende
grundgute Menschen waren. Andres schien getroestet, im Innern
beschloss er aber auf der Hut zu sein.

Der Fremde sprach bei Andres wieder ein, als sein Knabe, ein
wunderschoenes Kind, ganz der Mutter Ebenbild, gerade neun Monate alt
geworden. Es war Giorginas Namenstag; sie hatte den Kleinen fremdartig
und sonderbar herausgeputzt, sich selbst in ihre liebe neapolitanische
Tracht geworfen und ein besseres Mahl, als gewoehnlich, bereitet, wozu
der Fremde eine Flasche koestlichen Weins aus dem Felleisen hergab.
Als sie nun froehlich bei Tische sassen und der kleine Knabe mit solch
wunderbar verstaendigen Augen umherblickte, hub der Fremde an: "Euer
Kind verspricht in der Tat mit seinem besondern Wesen schon jetzt
recht viel und es ist schade, dass ihr nicht imstande sein werdet, es
gehoerig zu erziehen. Ich haette euch wohl einen Vorschlag zu tun, ihr
werdet ihn aber verwerfen wollen, unerachtet ihr bedenken moechtet,
dass er nur euer Glueck, euern Wohlstand bezweckt. Ihr wisst, dass ich
reich und ohne Kinder bin, ich fuehle eine ganz besondere Liebe und
Zuneigung zu euerm Knaben - Gebt mir ihn! - Ich bringe ihn nach
Strassburg, wo er von einer Freundin von mir, einer alten ehrbaren
Frau, auf das beste erzogen werden und mir sowie euch grosse Freude
machen soll. Ihr werdet mit euerm Kinde einer grossen Last frei; doch
muesst ihr euern Entschluss schnell fassen, da ich genoetigt bin, noch
heute abend abzureisen. Auf meinen Armen trage ich das Kind bis in
das naechste Dorf; dort nehme ich dann ein Fuhrwerk." Bei diesen
Worten des Fremden riss Giorgina das Kind, das er auf seinen Knien
geschaukelt hatte, hastig fort und drueckte es an ihren Busen, indem
ihr die Traenen in die Augen traten. "Seht, lieber Herr!" sprach
Andres, "wie meine Frau Euch auf Euern Vorschlag antwortet, und ebenso
bin auch ich gesinnt. Eure Absicht mag recht gut sein; aber wie moeget
Ihr doch uns das Liebste rauben wollen, das wir auf Erden besitzen?
wie moeget Ihr doch das eine Last nennen, was unser Leben aufheitern
wuerde, waeren wir auch noch in der tiefsten Duerftigkeit, aus der uns
Eure Guete gerissen? Seht, lieber Herr! Ihr sagtet selbst, dass Ihr
ohne Frau und ohne Kinder waeret; Euch ist daher wohl die Seligkeit
fremd, die gleichsam aus der Glorie des offnen Himmelreichs
herabstroemt auf Mann und Weib bei der Geburt eines Kindes. Es ist ja
die reinste Liebe und Himmelswonne selbst, von der die Eltern erfuellt
werden, wenn sie ihr Kind schauen, das stumm und still an der Mutter
Brust liegend, doch mit gar beredten Zungen von ihrer Liebe, von ihrem
hoechsten Lebensglueck spricht. - Nein, lieber Herr! so gross auch die
Wohltaten sind, die Ihr uns erzeigt habt, so wiegen sie doch lange
nicht das auf, was uns unser Kind wert ist; denn wo gaebe es Schaetze
der Welt, die diesem Besitz gleichzustellen? Scheltet uns daher nicht
undankbar, lieber Herr! dass wir Euch Euer Ansinnen so ganz und gar
abschlagen. Waeret Ihr selbst Vater, so beduerfte es weiter gar keiner
Entschuldigung fuer uns." - "Nun, nun", erwiderte der Fremde, indem
er finster seitwaerts blickte, "ich glaubte Euch wohlzutun, indem
ich Euern Sohn reich und gluecklich machte. Seid ihr nicht damit
zufrieden, so ist davon weiter nicht die Rede." - Giorgina kuesste und
herzte den Knaben, als sei er aus grosser Gefahr errettet, und ihr
wiedergegeben worden. Der Fremde strebte sichtlich wieder unbefangen
und heiter zu scheinen; man merkte es indessen doch nur zu deutlich,
wie sehr ihn die Weigerung seiner Wirtsleute, ihm den Knaben zu
geben, verdrossen hatte. Statt, wie er gesagt, noch denselben Abend
fortzureisen, blieb er wieder drei Tage, in welchen er jedoch nicht
so, wie sonst bei Giorgina verweilte, sondern mit Andres auf die Jagd
zog und sich bei dieser Gelegenheit viel von dem Grafen Aloys von
Vach erzaehlen liess. Als in der Folge Ignaz Denner wieder bei seinem
Freunde Andres einsprach, dachte er nicht mehr an seinen Plan, den
Knaben mit sich zu nehmen. Er war nach seiner Art freundlich wie
vorher, und fuhr fort, Giorgina reichlich zu beschenken, die er noch
ueberdem wiederholt aufforderte, so oft sie Lust habe sich mit den
Juwelen aus dem Kistchen, das er Andres in Verwahrung gegeben, zu
schmuecken, welches sie auch wohl dann und wann heimlich tat. Oft
wollte Denner, wie sonst, mit dem Knaben spielen; dieser straeubte
sich aber und weinte, durchaus mochte er nicht mehr zu dem Fremden
gehen, als wisse er etwas von dem feindlichen Anschlag, ihn seinen
Eltern zu entfuehren. - Zwei Jahre hindurch hatte der Fremde nun auf
seinen Wanderungen den Andres besucht, und Zeit und Gewohnheit hatten
die Scheu, das Misstrauen wider Denner endlich ueberwunden, so dass
Andres seinen Wohlstand ruhig und heiter genoss. Im Herbst des dritten
Jahres, als die Zeit, in der Denner gewoehnlich einzusprechen pflegte,
schon vorueber war, pochte es in einer stuermischen Nacht hart
an Andres' Tuer, und mehrere rauhe Stimmen riefen seinen Namen.
Erschrocken sprang er aus dem Bette; als er aber zum Fenster
herausfrug, wer ihn in finstrer Nacht so stoere und wie er gleich
seine Doggen loslassen werde, um solche ungebetene Gaeste wegzuhetzen,
da sagte einer, er moege nur aufmachen, ein Freund sei da, und Andres
erkannte Denners Stimme. Als er nun mit dem Licht in der Hand die
Haustuer oeffnete, trat ihm Denner allein entgegen. Andres aeusserte,
wie es ihm vorgekommen, als ob mehrere Stimmen seinen Namen gerufen
haetten; Denner meinte dagegen, dass den Andres das Heulen des Windes
getaeuscht haben muesse. Als sie in die Stube traten, erstaunte Andres
nicht wenig, als er den Denner naeher betrachtete und seinen ganz
veraenderten Anzug gewahr wurde. Statt der grauen schlichten Kleidung
und des Mantels trug er ein dunkelrotes Wams und einen breiten
ledernen Gurt, in dem ein Stilett und vier Pistolen staken; ausserdem
war er noch mit einem Saebel bewaffnet, selbst das Gesicht schien
veraendert, indem auf der sonst glatten Stirn nun buschichte
Augenbrauen lagen und ein starker schwarzer Bart sich ueber Lippe
und Wangen zog. "Andres!" sprach Denner, indem er ihn mit seinen
funkelnden Augen anblitzte, "Andres! als ich vor beinahe drei Jahren
dein Weib vom Tode errettet hatte, da wuenschtest du, dass Gott es
dir verleihen moege, mir die dir erzeigte Wohltat mit deinem Blut und
Leben lohnen zu koennen. Dein Wunsch ist erfuellt; denn es ist nunmehr
der Augenblick gekommen, in dem du mir deine Dankbarkeit, deine Treue
beweisen kannst. Kleide dich an; nimm deine Buechse und komme mit
mir, nur wenige Schritte von deiner Wohnung sollst du das uebrige
erfahren." Andres wusste nicht, was er von Denners Zumutung halten
sollte; der Worte, die er ihm vorhielt, indessen wohl eingedenk,
versicherte er, wie er bereit sei, alles nur moegliche fuer ihn
zu unternehmen, sobald es nicht der Rechtschaffenheit, Tugend und
Religion zuwiderlaufe. "Darueber kannst du ganz ruhig sein", rief
Denner, indem er ihm laechelnd auf die Schulter klopfte; und da er
bemerkte, dass Giorgina aufgesprungen war, und vor Angst zitternd und
bebend ihren Mann umklammerte, nahm er sie bei den Armen und sprach,
sie sanft zurueckziehend: "Lasst Euern Mann nur immer mit mir ziehen,
in wenigen Stunden ist er wieder gesund bei Euch, und bringt Euch
vielleicht was Schoenes mit. Hab ich es denn jemals boese mit euch
gemeint? Habe ich selbst dann, wenn ihr mich verkanntet, nicht immer
euch Gutes erzeigt? Wahrhaftig, ihr seid recht besondere misstrauische
Leute." Andres zauderte noch immer sich anzukleiden, da wandte Denner
sich zu ihm und sprach mit zornigem Blick: "Ich hoffe du wirst deine
Zusage halten, denn es gilt nunmehr, das zu beweisen mit der Tat, was
du gesprochen!" Schnell war nun Andres angekleidet, und indem er mit
Denner zur Tuere herausschritt, sprach er noch einmal: "Alles, lieber
Herr! will ich fuer Euch tun, doch etwas Unrechtes werdet Ihr wohl von
mir nicht fordern, da ich auch das Kleinste, was wider mein Gewissen
liefe, nicht vollbringen wuerde." Denner antwortete nichts, sondern
schritt rasch vorwaerts. Sie waren durch das Dickicht gedrungen bis
auf einen ziemlich geraeumigen Rasenplatz; da pfiff Denner dreimal,
dass der Ton ringsumher aus den schaurigen Klueften widerhallte und
ueberall in den Bueschen flackerten Windlichter auf und es rauschte
und klirrte in den dunklen Gaengen, bis sich schwarze graessliche
Gestalten gespenstisch hervordraengten und den Denner im Kreise
umringten. Einer aus dem Kreise trat hervor und sprach auf Andres
hindeutend: "Das ist ja wohl unser neuer Geselle, nicht wahr
Hauptmann?" - "Ja", antwortete Denner, "ich hab ihn aus dem Bette
geholt, er soll sein Probestueck machen, es kann nun gleich vorwaerts
gehen." Andres erwachte bei diesen Worten wie aus dumpfer Betaeubung,
kalter Schweiss stand ihm auf der Stirne; aber er ermannte sich und
rief heftig: "Was, du schaendlicher Betrueger, fuer einen Kaufmann
gabst du dich aus, und treibst ein hoellisches verruchtes Gewerbe, und
bist ein verworfener Raeuber? Nimmermehr will ich dein Geselle sein
und teilnehmen an deinen Schandtaten, zu denen du mich, wie der Satan
selbst, auf kuenstliche haemische Weise verlocken wolltest? - Lass
mich gleich fort, du frevelicher Boesewicht, und raeume mit deiner
Rotte dies Gebiet, sonst verrate ich deine Schlupfwinkel der
Obrigkeit, und du bekommst den Lohn fuer deine Schandtaten; denn nun
weiss ich es wohl, dass du selbst der schwarze Ignaz bist, der mit
seiner Bande an der Grenze gehauset und geraubt, und gemordet hat. -
Gleich lasse mich fort, ich will dich nie mehr schauen." Denner lachte
laut auf. "Was, du feiger Bube?" sprach er: "du unterstehst dich, mir
zu trotzen, dich meinem Willen, meinem Machtwort entziehen zu wollen?
Bist du nicht laengst schon unser Geselle? lebst du nicht schon seit
beinahe drei Jahren von unserm Gelde? schmueckt sich dein Weib nicht
mit unserm Raube? Nun stehst du unter uns und willst nicht arbeiten
dafuer was du genossen? Folgst du uns nun nicht, zeigst du dich nicht
gleich als unsern ruestigen Kumpan, so lasse ich dich gebunden in
unsere Hoehle werfen und meine Gesellen ziehen nach deiner Wohnung,
zuenden sie an und ermorden dein Weib und deinen Knaben. Doch ich
werde wohl diese Massregel, die nur eine Folge deiner Halsstarrigkeit
sein wuerde, nicht ergreifen duerfen. Nun! - waehle! - es ist Zeit,
wir muessen fort!" - Andres sah nun wohl ein, dass die mindeste
Weigerung seiner geliebten Giorgina und dem Knaben das Leben kosten
wuerde; den verraeterischen buebischen Denner im Innern zur Hoelle
verfluchend, beschloss er daher, in seinen Willen sich scheinbar
zu fuegen, rein von Diebstahl und Mord zu bleiben und das tiefere
Eindringen in die Schlupfwinkel der Bande nur dazu zu benutzen, bei
der ersten guenstigen Gelegenheit ihre Aufhebung und Einziehung zu
bewirken. Nach diesem im stillen gefassten Entschluss erklaerte er dem
Denner, wie trotz seines innern Widerstrebens doch die Dankbarkeit
fuer Giorginas Rettung ihn verpflichte, etwas zu wagen, und er wolle
daher die Expedition mitmachen, wobei er nur bitte, ihn als einen
Neuling, soviel moeglich mit dem taetigen Anteil daran zu verschonen.
Denner lobte seinen Entschluss, indem er hinzufuegte, wie er
keineswegs verlange, dass er foermlich zur Bande uebertreten solle,
vielmehr muesse er Revierjaeger bleiben; denn so waere er ihm und der
Bande schon jetzt von grossem Nutzen gewesen, was denn auch kuenftig
der Fall sein wuerde.

Es war auf nichts Geringeres abgesehen, als die Wohnung eines reichen
Pachters, die von dem Dorfe abgelegen, unfern dem Walde, stand, zu
ueberfallen und auszupluendern. Man wusste, dass der Pachter ausser
dem vielen Gelde und den Kostbarkeiten, die er besass, eben jetzt fuer
verkauftes Getreide eine sehr bedeutende Summe eingenommen hatte, die
er bei sich bewahrte und um so mehr versprachen sich die Raeuber einen
reichen Fang. Die Windlichter wurden ausgeloescht und still zogen die
Raeuber durch die engen Schleichwege, bis sie dicht an dem Gebaeude
standen, welches einige von der Bande umringten. Andere dagegen
stiegen ueber die Mauer, und sprengten von innen das Hoftor; einige
wurden auf Wache ausgestellt, und unter diesen befand sich Andres.
Bald hoerte er, wie die Raeuber die Tueren erbrachen und ins Haus
stuermten, er vernahm ihr Fluchen, ihr Geschrei, das Geheul der
Gemisshandelten. Es fiel ein Schuss; der Pachter, ein beherzter Mann,
mochte sich zur Wehre setzen - dann wurde es stiller - aufgesprengte
Schloesser klirrten, Raeuber schleppten Kisten zum Hoftor heraus.
Einer von des Pachters Leuten musste in der Finsternis entwischt und
ins Dorf gerannt sein; denn auf einmal toente die Sturmglocke durch
die Nacht, und bald darauf stroemten Haufen mit hellauflodernden
Lichtern die Strasse herauf nach der Pachterwohnung. Nun fiel Schuss
auf Schuss, die Raeuber sammelten sich im Hofe und streckten alles
nieder, was sich der Mauer naeherte. Sie hatten ihre Windfackeln
angezuendet. Andres, der auf einer Anhoehe stand, konnte alles
uebersehen. Mit Entsetzen erblickte er unter den Bauern, Jaeger in der
Liverei seines Herrn, des Grafen von Vach! - Was sollte er tun? - Sich
zu ihnen zu begeben, war unmoeglich, nur die schnellste Flucht konnte
ihn retten; aber wie festgezaubert stand er da hinstarrend in den
Pachterhof, wo das Gefecht immer moerderischer wurde; denn durch eine
kleine Pforte an der andern Seite waren die Vachschen Jaeger gedrungen
und mit den Raeubern handgemein geworden. Die Raeuber mussten zurueck,
sie draengten sich fechtend durch das Tor nach der Gegend hin, wo
Andres stand. Er sah Dennern, der unaufhoerlich lud und schoss und
niemals fehlte. Ein junger reichgekleideten Mann, von Vachschen
Jaegern umgeben, schien den Anfuehrer zu machen; auf ihn legte Denner
an, aber noch ehe er abdrueckte, stuerzte er von einer Kugel getroffen
mit einem dumpfen Schrei nieder. Die Raeuber flohen - schon stuerzten
die Vachschen Jaeger herbei, da sprang, wie von unwiderstehlicher
Macht getrieben, Andres herbei und rettete Dennern, den er, stark wie
er war, auf die Schultern warf und schnell forteilte. Ohne verfolgt zu
werden, erreichte er gluecklich den Wald. Nur einzelne Schuesse fielen
hin und wieder und bald wurde es ganz still; ein Zeichen, dass es
den Raeubern, die nicht verwundet auf dem Platze liegen geblieben,
geglueckt war, in den Wald zu entkommen und dass es den Jaegern und
Bauern nicht ratsam schien, in das Dickicht einzubrechen. "Setze mich
nur nieder, Andres! " sprach Denner, "ich bin in den Fuss verwundet
und verdammt, dass ich umstuerzte, denn, unerachtet mich die Wunde
sehr schmerzt, glaub ich doch nicht einmal, dass sie bedeutend ist."
Andres tat es, Denner holte eine kleine Phiole aus der Tasche und als
er sie oeffnete, strahlte ein helles Licht heraus, bei dem Andres die
Wunde genau untersuchen konnte: Denner hatte recht; nur ein starker
Streifschuss hatte den rechten Fuss getroffen, der stark blutete.
Andres verband die Wunde mit seinem Schnupftuch, Denner liess seine
Pfeife ertoenen, aus der Ferne wurde geantwortet und nun bat er den
Andres, ihn sachte den schmalen Waldweg heraufzufuehren, denn bald
wuerden sie an Ort und Stelle sein. Wirklich dauerte es auch nicht
lange, so sahen sie den Schein von Windlichtern durch das dunkle
Gebuesch brechen und hatten jenen Rasenplatz erreicht, von dem
sie ausgegangen und wo sie die uebriggebliebenen Raeuber bereits
versammelt fanden. Alle jauchzten vor Freude auf, als Denner unter sie
trat und ruehmten den Andres, der, tief in sich gekehrt, kein Wort
vorzubringen vermochte. Es fand sich, dass ueber die Haelfte der Bande
tot, oder hart verwundet auf dem Platze liegen geblieben war; indessen
hatten einige von den Raeubern, die dazu bestimmt waren, den Raub in
Sicherheit zu bringen, mitten im Gefecht wirklich mehrere Kisten mit
kostbarem Geraet, sowie eine ansehnliche Summe Geld, fortzuschaffen
gewusst, so dass, unerachtet das Unternehmen schlimm ausgegangen, doch
die Beute ansehnlich blieb. Als nun das Noetige besprochen, wandte
sich Denner, den man unterdessen ordentlich verbunden hatte, und
der kaum irgend einen Schmerz mehr zu fuehlen schien, zu Andres und
sprach: "Ich habe dein Weib vom Tode errettet, du hast mich in dieser
Nacht der Gefangenschaft entzogen und mich folglich auch von dem mir
gewissen Tode befreit, wir sind quitt! du kannst in deine Wohnung
zurueckkehren. In den naechsten Tagen, vielleicht schon morgen,
verlassen wir die Gegend; du magst daher ganz ruhig darueber sein,
dass wir dir Aehnliches, so wie heute, zumuten werden. Du bist ja so
ein gottesfuerchtiger Narr und uns nicht brauchbar. Es ist indessen
billig, dass du teil am heutigen Raube nehmest und ueberdem fuer
meine Rettung belohnt werdest. Nimm daher diesen Beutel mit Gold und
behalte mich in gutem Andenken; denn uebers Jahr hoffe ich bei dir
einzusprechen." - "Gott der Herr soll mich behueten", erwiderte Andres
heftig, "dass ich auch nur einen Pfennig von Eurem schaendlichen
Raube nehmen sollte. Habt Ihr mich doch nur durch die abscheulichsten
Drohungen gezwungen mitzugehen, welches ich ewiglich bereuen werde.
Wohl mag es Suende gewesen sein, dass ich dich, du schaendlicher
Boesewicht! der gerechten Strafe entzogen habe; aber Gott im Himmel
mag es mir nach seiner Langmut verzeihen. Es war, als flehe in dem
Augenblick meine Giorgina um dein Leben, da du das ihrige errettet,
und ich konnte nicht anders, als dass ich dich mit Gefahr meines
Lebens und meiner Ehre, ja das Wohl und Weh meines Weibes und meines
Kindes aufs Spiel setzend, der Gefahr entriss. Denn sprich, was waere
aus mir, wenn man mich verwundet, ja was waere aus meinem armen
Weibe, meinem Knaben geworden, wenn man mich erschlagen unter deiner
verruchten Moerderbande gefunden haette? - Aber sei ueberzeugt, dass,
wenn du die Gegend nicht verlaessest, wenn nur ein einziger hier
geschehener Raub, oder Mord mir kund wird, ich augenblicklich nach
Fulda gehe und der Obrigkeit deine Schlupfwinkel verrate." - Die
Raeuber wollten ueber den Andres herfallen, um ihn fuer seine Reden zu
zuechtigen; Denner verbot es ihnen jedoch, indem er sagte: "Lasst doch
den albernen Kerl schwatzen, was tut das uns? - Andres", fuhr Denner
fort, "du bist in meiner Gewalt, so wie dein Weib und dein Knabe.
Du sowohl, als diese, sollen aber ungefaehrdet bleiben, wenn du mir
versprichst, dich ruhig in deiner Wohnung zu halten und ueber deine
Mitwissenschaft von dem Vorfall dieser Nacht gaenzlich zu schweigen.
Das letzte rate ich dir um so mehr, als meine Rache dich furchtbar
treffen und ueberdem die Obrigkeit dir selbst wohl deine Huelfe bei
der Tat, sowie, dass du schon lange von meinem Reichtum genossest,
nicht so hingehen lassen wuerde. Dagegen verspreche ich dir noch
einmal, dass ich die Gegend gaenzlich raeumen will und wenigstens
von mir und meiner Bande hier kein Unternehmen mehr ausgefuehrt
werden soll." Nachdem Andres notgedrungen diese Bedingungen des
Raeuberhauptmanns eingegangen war und feierlich versprochen hatte zu
schweigen, wurde er von zwei Raeubern durch wildverwachsne Fusssteige
auf den breiten Waldweg gefuehrt und es war laengst heller Morgen
worden, als er in sein Haus trat und die vor Sorge und Angst
totenbleiche Giorgina umarmte. Er sagte ihr nur im allgemeinen, dass
sich ihm Denner als der verruchteste Boesewicht offenbart, und er
daher alle Gemeinschaft mit ihm abgebrochen habe; nie solle er mehr
seine Schwelle betreten. "Aber das Juwelenkaestchen?" unterbrach ihn
Giorgina. Da fiel es dem Andres wie eine schwere Last aufs Herz. An
die Kleinodien, die Denner bei ihm zurueckgelassen, hatte er nicht
gedacht, und unerklaerlich schien es ihm, dass Dennern auch nicht ein
Wort darueber entfallen war. Er ging mit sich zu Rate, was er wohl mit
diesem Kaestchen anfangen solle. Zwar dachte er daran, es nach Fulda
zu bringen und der Obrigkeit zu uebergeben; wie sollte er aber den
Besitz desselben beschoenigen, ohne sich wenigstens dringender Gefahr
auszusetzen, das dem Denner einmal gegebene Wort zu brechen? Er
beschloss endlich, diesen Schatz getreulich zu bewahren, bis
der Zufall ihm Gelegenheit darbieten wuerde, es Dennern wieder
zuzustellen, oder besser noch, es, ohne sein Wort zu brechen, an die
Obrigkeit zu bringen.

Der Ueberfall der Pachterwohnung hatte nicht geringen Schreck in der
ganzen Gegend verursacht; denn es war das kuehnste Wagestueck, das
die Raeuber seit Jahren unternommen und ein sichrer Beweis, dass die
Bande, welche sich erst durch gemeine Diebereien, dann durch das
Anhalten und Berauben einzelner Reisenden kund tat, [sich] bedeutend
verstaerkt haben musste. Nur dem Zufall, dass der Neffe des Grafen von
Vach, von mehreren Leuten seines Oheims begleitet, eben in dem Dorfe,
das unfern der Pachterwohnung lag, uebernachtete und auf den ersten
Laerm den Bauern, die gegen die Raeuber auszogen, zu Huelfe eilte,
hatte der Pachter die Rettung seines Lebens und des groessten Teils
seiner Barschaft zu verdanken. Drei von den Raeubern, die auf dem
Platz geblieben waren, lebten noch den andern Tag und gaben Hoffnung,
von ihren Wunden zu genesen. Man hatte sie sorgfaeltig verbunden und
in das Dorfgefaengnis gesperrt; als man indessen am fruehen Morgen des
dritten Tages sie abfuehren wollte, fand man sie durch viele Stiche
ermordet, ohne dass man haette erraten koennen, wie das zugegangen.
Jede Hoffnung der Gerichte, von den Gefangenen naeheren Aufschluss
ueber die Bande zu erhalten, war daher vereitelt. Andres schauderte im
Innern, als er das alles erzaehlen hoerte, als er vernahm, wie mehrere
Bauern und Jaeger des Grafen von Vach zum Teil getoetet, zum Teil
schwer verwundet worden. - Starke Patrouillen von Fuldaischen Reitern
durchstreiften den Wald, und sprachen oefters bei ihm ein; jeden
Augenblick musste Andres befuerchten, dass man Dennern selbst, oder
wenigstens einen von der Bande einbringen, und dieser ihn dann als
Genosse jener kuehnen Freveltat erkennen und angeben werde. Zum
erstenmal in seinem Leben fuehlte er die folternde Qual des boesen
Gewissens, und doch hatte ihn nur die Liebe zu seinem Weibe, zu dem
Knaben, gezwungen, dem frevelichen Ansinnen Denners nachzugeben.

Alle Nachforschungen blieben fruchtlos, es war unmoeglich den Raeubern
auf die Spur zu kommen, und Andres ueberzeugte sich bald, dass Denner
Wort gehalten und die Gegend mit seiner Bande verlassen hatte. Das
Geld, welches er noch von Denners Geschenken uebrig behalten, sowie
die goldene Nadel, legte er zu den Kleinodien in das Kistchen; denn er
wollte nicht noch mehr Suende auf sich laden und von geraubtem Gelde
sich guetlich tun. So kam es denn, dass Andres bald wieder in die
vorige Duerftigkeit und Armut geriet; aber immer mehr erheiterte sich
sein Inneres, je laengere Zeit verstrich, ohne dass irgend etwas sein
ruhiges Leben verstoert haette. Nach zwei Jahren gebar ihm sein Weib
noch einen Knaben, ohne jedoch, wie das erstemal, zu erkranken,
wiewohl sie sich herzlich nach jener bessern Kost und Pflege sehnte,
die ihr damals so wohl getan. Andres sass einst in der Abenddaemmerung
traulich mit seinem Weibe zusammen, die den juengstgebornen Knaben
an der Brust hatte, waehrend der aeltere sich mit dem grossen Hunde
herumbalgte, der, als Liebling seines Herrn, wohl in der Stube sein
durfte. Da kam der Knecht hinein und sagte, wie ein Mensch, der ihm
ganz verdaechtig vorkomme, schon seit beinahe einer Stunde um das
Haus herumschleiche. Andres war im Begriff mit seiner Buechse
hinauszugehen, als er vor dem Hause seinen Namen rufen hoerte. Er
oeffnete das Fenster und erkannte auf den ersten Blick den verhassten
Ignaz Denner, der sich wieder in den grauen Kaufmannshabit geworfen
hatte, und ein Felleisen unter dem Arme trug. "Andres", rief Denner,
"du musst mir diese Nacht Herberge geben in deinem Hause, morgen
ziehe ich weiter." - "Was? Du unverschaemter verruchter Boesewicht?"
rief Andres in vollem Zorn, "du wagst es dich wieder hier sehen zu
lassen? Habe ich dir nicht treulich Wort gehalten, nur damit du dein
Versprechen erfuellen und auf immer diese Gegend verlassen solltest?
Du darfst nicht mehr meine Schwelle betreten - entferne dich schnell,
oder ich schiesse dich moerderischen Buben nieder! - Doch warte,
ich will dir dein Gold, dein Geschmeide, womit du Satan mein Weib
verblenden wolltest, hinabwerfen; dann magst du schnell forteilen. Ich
lasse dir drei Tage Zeit, spuere ich aber dann nur auf irgend eine
Weise deine und deiner Bande Gegenwart, so eile ich schnell nach Fulda
und entdecke alles, was ich weiss, der Obrigkeit. Magst du nun deine
Drohungen gegen mich und mein Weib erfuellen wollen, ich verlasse mich
auf den Beistand Gottes, und werde dich Boesewicht mit meinem guten
Gewehr zu treffen wissen." Nun holte Andres schnell das Kaestchen
herbei, um es hinabzuwerfen; als er aber ans Fenster trat, war Denner
verschwunden, und unerachtet die Doggen die ganze Gegend rings ums
Haus durchspueren mussten, war es doch nicht moeglich ihn aufzufinden.
Andres sah nun wohl ein, wie er, Denners Bosheit ausgesetzt, nun
in grosser Gefahr schwebe; er war daher allnaechtlich auf seiner
Hut, indessen blieb alles ruhig und Andres ueberzeugte sich, dass
Denner nur allein den Wald durchstrichen hatte. Um indessen seinen
aengstlichen Zustand zu enden, ja um sein Gewissen zu beruhigen,
das ihn mit Vorwuerfen quaelte, beschloss er nun nicht laenger zu
schweigen, sondern dem Rat in Fulda sein ganzes unverschuldetes
Verhaeltnis mit Denner zu berichten und zugleich das Kistchen mit den
Kleinodien abzuliefern. Andres wusste wohl, dass er ohne Strafe nicht
abkommen wuerde, jedoch verliess er sich auf sein reuiges Bekenntnis
eines Fehltritts, zu dem ihn der verruchte Ignaz Denner, wie der Satan
selbst, verlockt und gezwungen, sowie auf die Fuersprache seines
Herrn, des Grafen von Vach, der dem treuen Diener ein guenstiges
Zeugnis nicht versagen konnte. Er hatte mit seinem Knechte
mehrmals den Wald durchstreift und nie war ihm etwas Verdaechtiges
aufgestossen; fuer sein Weib war daher jetzt keine Gefahr vorhanden
und er wollte nun ungesaeumt nach Fulda gehen, um seinen Vorsatz
auszufahren. An dem Morgen, als er sich zur Reise bereit gemacht,
kam ein Bote von dem Grafen von Vach, der ihn augenblicklich auf das
Schloss seines Herrn mitgehen hiess. Statt nach Fulda wanderte er also
fort mit dem Boten nach dem Schloss, nicht ohne Bangigkeit, was wohl
dieser ganz ungewoehnliche Ruf seines Herrn zu bedeuten haben werde.
Als er in dem Schloss angekommen, musste er gleich in das Zimmer des
Grafen treten. "Freue dich, Andres", rief dieser ihm entgegen, "dich
hat ein ganz unerwartetes Glueck getroffen. Erinnerst du dich wohl
noch unsers alten muerrischen Hauswirts in Neapel, des Pflegevaters
deiner Giorgina? Der ist gestorben; aber auf dem Sterbebette hatte
ihn noch das Gewissen geruehrt wegen der abscheulichen Behandlung des
armen verwaisten Kindes, und deshalb hat er ihr zweitausend Dukaten
vermacht, die bereits in Wechselbriefen in Frankfurt angekommen sind
und die du bei meinem Bankier heben kannst. Willst du dich gleich
nach Frankfurt aufmachen, so lasse ich dir auf der Stelle das noetige
Zertifikat ausfertigen, damit dir das Geld ohne Anstand ausgezahlt
werde." Den Andres machte die Freude sprachlos, und der Graf von Vach
ergoetzte sich nicht wenig an dem Entzuecken seines treuen Dieners.
Andres beschloss, als er sich gefasst hatte, seinem Weibe eine
unvermutete Freude zu bereiten; er nahm daher seines Herrn gnaediges
Anerbieten an, und machte sich, nachdem er die Urkunde zu seiner
Legitimation erhalten, auf den Weg nach Frankfurt.

Seinem Weibe liess er sagen, wie ihn der Graf mit wichtigen Auftraegen
verschickt habe, und er daher einige Tage ausbleiben werde. - Als er
in Frankfurt angekommen, wies ihn der Bankier des Grafen, bei dem er
sich meldete, an einen andern Kaufmann, der mit der Auszahlung des
Legats beauftragt sein sollte. Andres fand ihn endlich und erhielt die
ansehnliche Summe wirklich ausgezahlt. Immer nur an Giorgina denkend,
immer darnach trachtend, ihre Freude recht vollkommen zu machen,
kaufte er fuer sie allerlei schoene Sachen und auch eine goldene
Nadel, der ganz gleich, welche ihr Denner geschenkt hatte, und da
er nun das schwere Felleisen nicht wohl als Fussgaenger fortbringen
konnte, verschaffte er sich ein Pferd. So trat er nun, nachdem er
sechs Tage abwesend gewesen, wohlgemut seine Rueckreise an. Bald
hatte er den Forst und seine Wohnung erreicht. Er fand das Haus
fest verschlossen. Laut rief er den Knecht, seine Giorgina, niemand
antwortete: die Hunde winselten im Hause eingesperrt. Da ahnete er
grosses Unglueck und schlug heftig an die Tuer und schrie laut:
"Giorgina! - Giorgina!" - Nun rauschte es am Bodenfenster, Giorgina
schaute heraus und rief.- "Ach Gott! - Ach Gott! Andres, bist du es?
Gepriesen sei die Macht des Himmels, dass du nur wieder da bist."
Als Andres nun durch die geoeffnete Tuer eintrat, fiel ihm sein Weib
totenbleich und laut heulend in die Arme. Regungslos stand er da;
endlich fasste er sein Weib, die mit erschlafften Gliedern zu Boden
sinken wollte, und trug sie in die Stube. Aber wie mit eisigen Krallen
packte ihn das Entsetzen bei dem graesslichen Anblick. Die ganze Stube
voller Blutflecke an dem Boden, an den Waenden, sein juengster Knabe
mit zerschnittener Brust tot auf seinem Bettchen! - "Wo ist George, wo
ist George?" schrie Andres endlich auf in wilder Verzweiflung, aber in
dem Augenblick hoerte er, wie der Knabe die Treppe herabtrippelte und
nach dem Vater rief. - Zerbrochene Glaeser, Flaschen, Teller lagen
umher. Der grosse schwere Tisch, sonst an der Wand stehend, war in
die Mitte des Zimmers gerueckt, eine sonderbar geformte Kohlpfanne,
mehrere Phiolen und eine Schuessel mit geronnenem Blut standen auf
demselben. Andres nahm sein armes Knaeblein aus dem Bette. Giorgina
verstand ihn, sie holte Tuecher herbei, in die sie den Leichnam
wickelten und im Garten begruben. Andres schnitt ein kleines Kreuz
aus Eichenholz und setzte es auf den Grabhuegel. Kein Wort, kein Laut
entfloh den Lippen der ungluecklichen Eltern. In dumpfem duesterem
Schweigen hatten sie die Arbeit vollendet und sassen nun vor dem Hause
in der Abenddaemmerung, den starren Blick in die Ferne gerichtet. Erst
den andern Tag konnte Giorgina den Verlauf dessen, was sich in Andres'
Abwesenheit zugetragen, erzaehlen. Am vierten Tage, nachdem Andres
sein Haus verlassen, hatte der Knecht zur Mittagszeit wieder allerlei
verdaechtige Gestalten durch den Wald wanken gesehen, und Giorgina
deshalb des Mannes Rueckkehr herzlich gewuenscht. Mitten in der Nacht
wurde sie durch lautes Toben und Schreien dicht vor dem Hause aus dem
Schlafe geweckt, der Knecht stuerzte herein und verkuendete voller
Schreck, dass das ganze Haus von Raeubern umringt und an eine
Gegenwehr gar nicht zu denken sei. Die Doggen wueteten, aber bald
schien es, als wuerden sie beschwichtigt und man rief laut: "Andres! -
Andres!" - Der Knecht fasste sich ein Herz, oeffnete ein Fenster und
rief herab, dass der Revierjaeger Andres nicht zu Hause sei. "Nun,
es tut nichts", antwortete eine Stimme von unten herauf, "oeffne
nur die Tuer, denn wir muessen bei euch einkehren, Andres wird bald
nachfolgen." Was blieb dem Knecht uebrig, als die Tuer zu oeffnen; da
stroemte der helle Haufe der Raeuber herein und begruesste Giorgina
als die Frau ihres Kameraden, dem der Hauptmann Freiheit und Leben zu
danken habe. Sie verlangten, dass Giorgina ihnen ein tuechtiges Essen
bereiten moege, weil sie nachts ein schweres Stueck Arbeit vollbracht,
das aber herrlich gelungen sei. Zitternd und bebend machte Giorgina
in der Kueche ein grosses Feuer an und bereitete das Mahl, wozu sie
Wildpret, Wein und allerlei andere Ingredienzien von einem der Raeuber
empfing, der der Kuechen- und Kellermeister der Bande zu sein schien.
Der Knecht musste den Tisch decken und das Geschirr herbeibringen. Er
nahm den Augenblick wahr und schlich sich fort zu seiner Frau in die
Kueche. "Ach wisst Ihr wohl", fing er voller Entsetzen an, "was fuer
eine Tat die Raeuber in dieser Nacht veruebt haben? Nach langer
Abwesenheit und nach langer Vorbereitung haben sie vor etlichen
Stunden das Schloss des Herrn Grafen von Vach ueberfallen, und nach
tapferer Gegenwehr mehrere seiner Leute und ihn selbst getoetet, das
Schloss aber angezuendet." Giorgina schrie unaufhoerlich: "Ach mein
Mann, wenn mein Mann nur auf dem Schlosse gewesen waere - Ach, der
arme Herr!" - Die Raeuber tobten und sangen unterdessen in der
Stube und liessen sich den Wein wohl schmecken, bis ihnen das Mahl
aufgetragen wurde. Der Morgen fing schon an zu daemmern als der
verhasste Denner erschien; nun wurden die Kisten und Felleisen, die
sie auf ihren Packpferden mitgebracht hatten, geoeffnet. Giorgina
hoerte, wie sie vieles Geld zaehlten und wie die Silbergeschirre
klirrten; es schien alles verzeichnet zu werden. Endlich als es schon
Lichter Tag geworden, brachen die Raeuber auf, nur Denner blieb
zurueck. Er nahm eine freundliche leutselige Miene an, und sprach zu
Giorgina: "Ihr seid wohl recht erschreckt worden, liebe Frau; denn
Euer Mann scheint Euch nicht gesagt zu haben, dass er schon seit
geraumer Zeit unser Kamerad geworden. Es tut mir in der Tat leid, dass
er nicht zu Hause gekommen ist; er muss einen andern Weg eingeschlagen
und uns verfehlt haben. Er war mit uns auf dem Schlosse des
Boesewichts, des Grafen von Vach, der uns vor zwei Jahren auf alle nur
moegliche Weise verfolgt hat und an dem in voriger Nacht wir Rache
nahmen. - Er fiel, kaempfend, von Eures Mannes Hand. Beruhigt Euch
nur, liebe Frau, und sagt dem Andres, dass er mich nun so bald nicht
wieder sehen wuerde, da die Bande sich auf einige Zeit trennt. Heute
abend verlasse ich Euch. - Ihr habt lauter huebsche Kinder, liebe
Frau! Das ist ja wieder ein herrlicher Knabe." Mit diesen Worten nahm
er den Kleinen von Giorginas Arm und wusste mit ihm so freundlich zu
spielen, dass das Kind lachte und jauchzte und gern bei ihm blieb, bis
er es wieder der Mutter zurueckgab. Schon war es Abend geworden, als
Denner zu Giorgina sagte: "Ihr merkt wohl, dass ich, unerachtet ich
kein Weib und keine Kinder habe, welches mir manchmal recht nahe geht,
doch gar zu gern mit kleinen Kindern spiele und taendle. Gebt mir
doch Euern Kleinen auf die wenigen Augenblicke, die ich noch bei Euch
zubringe. Nicht wahr? der Kleine ist jetzt gerade neun Wochen alt."
Giorgina bejahte das und gab, jedoch nicht ohne inneres Widerstreben,
den kleinen Knaben Dennern hin, der sich mit ihm vor die Haustuer
setzte und Giorgina bat, ihm nun das Abendessen zu bereiten, weil
er in einer Stunde fort muesste. Kaum war Giorgina in die Kueche
getreten, als sie sah, wie Denner mit dem Kinde auf dem Arm in die
Stube ging. Bald darauf verbreitete sich ein seltsam riechender Dampf
durch das Haus, der aus der Stube zu quirlen schien. Giorgina wurde
von unbeschreiblicher Angst ergriffen; sie lief schnell nach der Stube
und fand die Tuer von innen verriegelt. Es war ihr, als hoere sie
das Kind leise wimmern. "Rette, rette mein Kind aus den Klauen des
Boesewichts!" so schrie sie, eine graessliche Tat ahnend, dem Knecht
entgegen, der eben in das Haus trat. Dieser ergriff schnell die Axt
und sprengte die Tuer. Dicker stinkender Dampf schlug ihnen entgegen.
Mit einem Sprunge war Giorgina im Zimmer; der Knabe lag nackt ueber
einer Schuessel, in die sein Blut troepfelte. Sie sah nur noch, wie
der Knecht mit der Axt ausholte, um den Denner zu treffen, wie dieser
dem Schlage auswich, den Knecht unterlief und mit ihm rang. Es war
ihr, als hoere sie jetzt mehrere Stimmen dicht vor den Fenstern,
bewusstlos sank sie zu Boden. Als sie wieder erwachte, war es finstre
Nacht worden, aber ganz betaeubt vermochte sie nicht die erstarrten
Glieder zu regen. Endlich wurde es Tag und nun sah sie mit Entsetzen,
wie das Blut im Zimmer schwamm. Stuecke von Denners Kleidern lagen
ueberall umher - ein ausgerissener Schopf von des Knechts Haaren -
die Axt blutig daneben - der Knabe vom Tische herabgeschleudert mit
zerschnittener Brust. Aufs neue wurde Giorgina ohnmaechtig, sie
glaubte zu sterben, aber sie erwachte wie aus dem Todesschlummer, als
es schon Mittag geworden. Sie raffte sich muehsam auf, sie rief laut
den Georg, aber als niemand antwortete, glaubte sie, auch Georg sei
ermordet. Die Verzweiflung gab ihr Kraefte, sie floh aus dem Zimmer in
den Hof und schrie laut: "Georg! - Georg!" Da antwortete es mit matter
klaeglicher Stimme vom Bodenfenster herab: "Mutter, ach liebe Mutter,
bist du denn da? Komm herauf zu mir! mich hungert sehr!" - Schnell
sprang jetzt Giorgina hinauf und fand den Kleinen, der vor Angst bei
dem Laerm im Hause in die Bodenkammer gekrochen war und nicht gewagt
hatte herauszukommen. Mit Entzuecken drueckte Giorgina den Kleinen
an die Brust. Sie verschloss das Haus und wartete nun von Stunde zu
Stunde in der Bodenkammer auf Andres, den sie auch verloren glaubte.
Der Knabe hatte von oben herab gesehen, wie mehrere Maenner ins Haus
gingen und mit Dennern einen toten Menschen heraustrugen. - Endlich
bemerkte auch Giorgina das Geld und die schoenen Sachen, die Andres
mitgebracht hatte. "Ach, so ist es doch wahr?" schrie sie entsetzt
auf, "so bist du doch -" Andres liess sie nicht ausreden, sondern
erzaehlte ausfuehrlich, welches Glueck sie betroffen und wie er in
Frankfurt gewesen sei, wo er sich ihre Erbschaft habe auszahlen
lassen. Der Neffe des ermordeten Grafen von Vach war nun Besitzer der
Gueter worden; bei diesem wollte sich Andres melden, getreulich alles
Geschehene erzaehlen, Denners Schlupfwinkel entdecken und bitten, ihn
seines Dienstes zu entlassen, der ihm so viel Not und Gefahr bringe.
Giorgina durfte mit dem Knaben im Hause nicht zurueckbleiben. Andres
beschloss daher, seine besten leicht fortzuschaffenden Sachen auf
einen kleinen Leiterwagen zu packen, das Pferd vorzuspannen und so mit
seinem Weibe und Kinde eine Gegend auf immer zu verlassen, die ihm nur
die schrecklichsten Erinnerungen erregen und ueberdem niemals Ruhe und
Sicherheit gewaehren konnte. Der dritte Tag war zur Abreise bestimmt,
und eben packten sie einen Kasten, als ein starkes Pferdegetrappel
immer naeher und naeher kam. Andres erkannte den Vachschen Foerster,
der bei dem Schlosse wohnte; hinter ihm ritt ein Kommando Fuldaischer
Dragoner. "Nun da finden wir ja den Boesewicht gerade bei der Arbeit,
seinen Raub in Sicherheit zu bringen", rief der Kommissarius des
Gerichts, der mitgekommen. Andres erstarrte vor Staunen und Schreck.
Giorgina war halb ohnmaechtig. Sie fielen ueber ihn her, banden ihn
und sein Weib mit Stricken und warfen sie auf den Leiterwagen, der
schon vor dem Hause stand. Giorgina jammerte laut um den Knaben und
flehte um Gottes willen, dass man ihn ihr mitgeben moege. "Damit du
deine Brut auch noch ins hoellische Verderben bringen kannst?" sprach
der Kommissarius und riss den Knaben mit Gewalt aus Giorginas Armen.
Schon sollte es fortgehen, da trat der alte Foerster, ein rauher aber
biederer Mann, noch einmal an den Wagen und sagte: "Andres, Andres,
wie hast du dich denn von dem Satan verlocken lassen, solche
Freveltaten zu begehen? Immer warst du ja sonst so fromm und ehrlich!"
- "Ach lieber Herr!" schrie Andres auf im hoechsten Jammer, "so wahr
Gott im Himmel lebt, so wie ich dereinst selig zu sterben hoffe, ich
bin unschuldig. Ihr habt mich ja gekannt von frueher Jugend her; wie
sollte ich, der ich niemals Unrechtes getan, solch ein abscheulicher
Boesewicht geworden sein? - denn ich weiss wohl, dass Ihr mich fuer
einen verruchten Raeuber und Teilnehmer an der Freveltat haltet, die
auf dem Schlosse meines geliebten ungluecklichen Herrn veruebt worden
ist. Aber ich bin unschuldig bei meinem Leben und meiner Seligkeit!" -
"Nun", sagte der alte Foerster, "wenn du unschuldig bist, so wird das
an den Tag kommen, mag auch noch so viel wider dich sprechen. Deines
Knaben und des Besitztums, was du zuruecklaessest, will ich mich
getreulich annehmen, so dass, wenn deine und deines Weibes Unschuld
erwiesen, du den Jungen frisch und munter und deine Sachen unversehrt
wiederfinden sollst." Das Geld nahm der Kommissarius des Gerichts in
Beschlag. Unterweges frug Andres Giorginen, wo sie denn das Kaestchen
verwahrt habe; sie gestand, wie es ihr jetzt leid tue, dass sie es
dem Denner ueberliefert, da es jetzt der Obrigkeit haette uebergeben
werden koennen. In Fulda trennte man den Andres von seinem Weibe und
warf ihn in ein tiefes finstres Gefaengnis. Nach einigen Tagen wurde
er zum Verhoer gefuehrt. Man beschuldigte ihn der Teilnahme an dem im
Vachschen Schlosse veruebten Raubmorde und ermahnte ihn die Wahrheit
zu gestehen, da schon alles wider ihn so gut als ausgemittelt sei.
Andres erzaehlte nun getreulich alles, was sich mit ihm zugetragen,
von dem ersten Eintritt des abscheulichen Denners in sein Haus bis
zu dem Augenblick seiner Verhaftung. Er klagte sich selbst voll Reue
des einzigen Vergehens an, dass er, um Weib und Kind zu retten, bei
der Pluenderung des Pachters zugegen war, und den Denner von der
Gefangennehmung befreite, und beteuerte seine gaenzliche Unschuld
ruecksichts des letzten von der Dennerschen Bande veruebten
Raubmordes, da er zu ebenderselben Zeit in Frankfurt gewesen sei.
Jetzt oeffneten sich die Tueren des Gerichtssaals und der abscheuliche
Denner wurde hereingefuehrt. Als er den Andres erblickte, lachte
er auf in teuflischem Hohn und sprach: "Nun, Kamerad, hast du dich
auch erwischen lassen? Hat dir deines Weibes Gebet denn nicht
herausgeholfen?" Die Richter forderten Dennern auf, sein Bekenntnis
ruecksichts des Andres zu wiederholen und er sagte aus, dass eben der
Vachsche Revierjaeger Andres, der jetzt vor ihm stehe, schon seit
fuenf Jahren mit ihm verbunden und das Jaegerhaus sein bester und
sicherster Schlupfwinkel gewesen sei. Andres habe immer den ihm
gebuehrenden Anteil vom Raube erhalten, wiewohl er nur zweimal taetig
bei den Raeubereien mitgewirkt. Einmal naemlich bei der Beraubung des
Pachters, wo er ihn, den Denner, aus der dringendsten Gefahr errettet,
und dann bei dem Unternehmen gegen den Grafen Aloys von Vach, der eben
durch einen gluecklichen Schuss des Andres getoetet worden sei. -
Andres geriet in Wut, als er diese schaendliche Luege hoerte. "Was?"
schrie er, "du verruchter teuflischer Boesewicht, du wagst es, mich
der Ermordung meines lieben armen Herrn anzuklagen, die du selbst
veruebt? - Ja! ich weiss es, nur du selbst bist solcher Tat faehig;
aber deine Rache verfolgt mich, weil ich aller Gemeinschaft mit dir
entsagt habe, weil ich drohte, dich als einen verruchten Raeuber und
Moerder niederzuschiessen, so wie du meine Schwelle betreten wuerdest.
Darum hast du mit deiner Bande mein Haus ueberfallen, als ich abwesend
war; darum hast du mein armes unschuldiges Kind und meinen braven
Knecht ermordet! - Aber du wirst der schrecklichen Strafe des
gerechten Gottes nicht entgehen, sollte ich auch deiner Bosheit
unterliegen." Nun wiederholte Andres sein voriges Bekenntnis unter den
heiligsten Beteurungen der Wahrheit; aber Denner lachte hoehnisch und
meinte, warum er denn aus allzugrosser Furcht vor dem Tode noch erst
das Gericht zu beluegen sich unterfange, und dass es sich schlecht mit
der Froemmigkeit, von der er so viel Aufhebens mache, vereinbare, dass
er Gott und die Heiligen zur Bekraeftigung seiner falschen Aussagen
anrufe. Die Richter wussten in der Tat nicht, was sie von dem Andres,
dessen Miene und Sprache die Wahrheit seiner Aussage zu bestaetigen
schien, sowie von Denners kalter Festigkeit denken sollten. - Nun
wurde Giorgina vorgefuehrt, die in namenlosem Jammer laut weinend auf
den Mann zustuerzte. Sie wusste nur Unzusammenhaengendes zu erzaehlen,
und unerachtet sie den Denner des entsetzlichen Mordes ihres
Knaben anklagte, schien Denner doch keineswegs entruestet, sondern
behauptete, wie er schon frueher getan, dass Giorgina nie etwas von
den Unternehmungen ihres Mannes gewusst habe, sondern ganz unschuldig
sei. Andres wurde in sein Gefaengnis zurueckgefuehrt.

Einige Tage nachher sagte ihm der ziemlich gutmuetige Gefangenwaerter,
dass sein Weib, da sowohl Denner, als die uebrigen Raeuber
fortwaehrend ihre Unschuld behauptet, sonst auch nichts wider sie
ausgemittelt worden, der Haft entlassen sei. Der junge Graf von Vach,
ein edelmuetiger Herr, der sogar an seiner, des Andres, Schuld zu
zweifeln scheinen habe Kaution gestellt, und der alte Foerster
Giorginen in einem schoenen Wagen abgeholt. Vergebens habe Giorgina
gebeten, ihren Mann sehen zu duerfen; das sei ihr vom Gericht
gaenzlich abgeschlagen worden. Den armen Andres troestete diese
Nachricht nicht wenig, da mehr, als sein Unglueck ihm seines
Weibes elender Zustand im Gefaengnis zu Herzen ging. Sein Prozess
verschlimmerte sich indessen von Tage zu Tage. Es war erwiesen, dass
eben, wie Denner es angegeben, seit fuenf Jahren Andres in einen
gewissen Wohlstand geriet, dessen Quelle nur die Teilnahme an
den Raeubereien sein konnte. Ferner gestand Andres selbst seine
Abwesenheit von Hause waehrend der auf dem Vachschen Schlosse
veruebten Tat, und seine Angabe wegen seiner Erbschaft und seines
Aufenthalts in Frankfurt blieb verdaechtig, weil er den Namen des
Kaufmanns, von dem er das Geld ausgezahlt erhalten haben wollte,
durchaus nicht anzugeben wusste. Der Bankier des Grafen von Vach,
sowie der Hauswirt in Frankfurt, bei dem Andres eingekehrt war,
versicherten einstimmig, wie sie sich des beschriebenen Revierjaegers
gar nicht erinnern koennten; der Gerichtshalter des Grafen von Vach,
der das Zertifikat fuer den Andres ausgefertigt hatte, war gestorben,
und niemand von den Vachschen Dienern wusste etwas von der Erbschaft,
da der Graf nichts davon geaeussert, Andres aber auch davon
geschwiegen, weil er, aus Frankfurt zurueckkehrend, sein Weib mit dem
Gelde ueberraschen wollte. So blieb alles, was Andres vorbrachte, um
nachzuweisen, dass er zur Zeit des Raubes in Frankfurt gewesen und das
Geld ehrlich erworben sei, unausgemittelt. Denner blieb dagegen bei
seiner fruehern Behauptung und ihm stimmten saemtliche Raeuber, die
eingefangen worden, in allem bei. Alles dieses haette aber die Richter
noch nicht so von der Schuld des ungluecklichen Andres ueberzeugt, als
die Aussage von zwei Vachschen Jaegern, die bei dem Schein der Flammen
ganz genau den Andres erkannt und gesehen haben wollten, wie von
ihm der Graf niedergestreckt wurde. Nun war Andres in den Augen des
Gerichts ein verstockter heuchlerischer Boesewicht und gestuetzt auf
das Resultat aller jener Aussagen und Beweise wurde ihm die Tortur
zuerkannt, um seinen starren Sinn zu beugen, und ihn zum Gestaendnis
zu bringen. Schon ueber ein Jahr schmachtete Andres im Kerker, der
Gram hatte seine Kraefte aufgezehrt, und sein sonst robuster starker
Koerper war schwach und ohnmaechtig geworden. Der schreckliche Tag,
an dem die Pein ihm das Gestaendnis einer Tat, welche er niemals
begangen, abdringen sollte, kam heran. Man fuehrte ihn in die
Folterkammer, wo die entsetzlichen mit sinnreicher Grausamkeit
erfundenen Instrumente lagen, und die Henkersknechte sich bereiteten,
den Ungluecklichen zu martern. Nochmals wurde Andres ermahnt, die Tat,
deren er so dringend verdaechtig, ja deren er durch das Zeugnis jener
Jaeger ueberfuehrt worden, zu gestehen. Er beteuerte wiederum seine
Unschuld, und wiederholte alle Umstaende seiner Bekanntschaft mit
Dennern in denselben Worten, wie er es im ersten Verhoer getan. Da
ergriffen ihn die Knechte, banden ihn mit Stricken und marterten ihn,
indem sie seine Glieder ausrenkten und Stacheln einbohrten in das
gedehnte Fleisch. Andres vermochte nicht die Qual zu ertragen: vom
Schmerz gewaltsam zerrissen, den Tod wuenschend, gestand er alles was
man wollte, und wurde ohnmaechtig in den Kerker zurueckgeschleppt. Man
staerkte ihn, wie es nach erlittener Tortur gewoehnlich, mit Wein und
er fiel in einen zwischen Wachen und Schlafen hinbruetenden Zustand.
Da war es ihm als loesten sich die Steine aus der Mauer, und als
fielen sie krachend herab auf den Boden des Kerkers. Ein blutroter
Schimmer drang durch und in ihm trat eine Gestalt hinein, die,
unerachtet sie Denners Zuege hatte, ihm doch nicht Denner zu sein
schien. Gluehender funkelten die Augen, schwaerzer starrte das
struppige Haar auf der Stirn empor und tiefer senkten sich die
finstern Augenbrauen in die dicke Muskel herab, die ueber der
krummgebogenen Habichtsnase lag. Auf graesslich seltsame Weise war
das Gesicht verschrumpft und verzerrt, und die Kleidung fremd und
abenteuerlich, wie er Dennern niemals gesehen. Ein feuerroter mit
Gold stark verbraemter weiter Mantel hing in bauschichten Falten der
Gestalt ueber die Schultern, ein breiter niedergekrempter spanischer
Hut mit herabhaengender roter Feder sass schief auf dem Kopfe, ein
langer Stossdegen hing an der Seite, und unter dem linken Arm trug die
Gestalt ein kleines Kistchen. So schritt der gespenstische Unhold auf
Andres zu in hohlem dumpfen Tone sprechend: "Nun, Kamerad, wie hat dir
die Folter geschmeckt? Du hast das alles bloss deinem Eigensinn zu
verdanken; haettest du dich als zur Bande gehoerig bekannt, so waerst
du nun schon gerettet. Versprichst du aber, dich mir und meiner
Leitung ganz zu ergeben, und gewinnst du es ueber dich, von diesen
Tropfen zu trinken, die aus deines Kindes Herzblut gekocht sind, so
bist du augenblicklich aller Qual entledigt. Du fuehlst dich gesund
und kraeftig, und fuer deine weitere Rettung will ich dann sorgen." -
Andres konnte vor Schreck, Angst und Ermattung nicht sprechen; er sah,
wie seines Kindes Blut in der Phiole, die ihm die Gestalt hinhielt,
in roten Flaemmchen spielte; inbruenstig betete er zu Gott und den
Heiligen, dass sie ihn retten moechten aus den Klauen des Satans,
der ihn verfolge und um die ewige Seligkeit bringen wolle, die er zu
erlangen hoffe, sollte er auch eines schimpflichen Todes sterben. Nun
lachte die Gestalt, dass es im Kerker widergellte, und verschwand
im dicken Dampf. Andres erwachte endlich aus dumpfer Betaeubung, er
vermochte sich aufzurichten vom Lager; aber wie ward ihm, als er
sah, dass das Stroh, was unter seinem Haupte gelegen, sich staerker
und staerker zu ruehren begann und endlich weggeschoben wurde. Er
gewahrte, dass ein Stein aus dem Fussboden von unten herausgedraengt
worden und hoerte mehrmals seinen Namen leise rufen. Er erkannte
Denners Stimme und sprach: "Was willst du von mir? Lass mich ruhen,
ich habe mit dir nichts zu schaffen!"- "Andres", sprach Denner, "ich
bin durch mehrere Gewoelbe gedrungen, um dich zu retten; denn, wenn
du auf den Richtplatz kommst, von dem ich errettet wurde, bist du
verloren. Bloss um deines Weibes willen, die mir mehr angehoert, als
du wohl denken magst, helfe ich dir. Du bist ein mutloser Feigling.
Was hat dir nun dein erbaermliches Leugnen gefruchtet? Bloss, dass du
vom Vachschen Schloss nicht zu rechter Zeit nach Hause zurueckkehrtest
und ich mich zu lange bei deinem Weibe aufhielt, ist schuld, dass
man mich auffing! Da! nimm die Feile und die Saege, befreie dich
in kuenftiger Nacht von den Ketten und durchsage das Schloss der
Kerkertuere; schleiche durch den Gang! Die aeussere Tuer linker Hand
wird offen stehn, und draussen wirst du einen von uns finden, der dich
weiter geleitet. Halte dich gut!" Andres nahm die Saege und die Feile,
die ihm Denner hineinreichte und hob dann den Stein wieder in die
Oeffnung. Er war entschlossen, _das_ zu tun, wozu ihn die innere
Stimme des Gewissens aufforderte. - Als es Tag geworden und der
Gefangenwaerter hineintrat, da sagte er, wie er sehnlich wuensche vor
den Richter gefuehrt zu werden, indem er Wichtiges zu entdecken habe.
Noch an demselben Vormittage wurde sein Verlangen erfuellt, weil man
nicht anders glaubte, als dass Andres neue, bisher noch unbekannt
gebliebene, Freveltaten der Bande gestehen werde. Andres ueberreichte
den Richtern die von Dennern erhaltenen Instrumente, und erzaehlte den
Vorgang der Nacht. "Unerachtet ich gewiss und wahrhaftig unschuldig
leide, so soll mich doch Gott behueten, dass ich darnach trachten
sollte, meine Freiheit auf unerlaubte Weise zu erlangen; denn das
wuerde mich ja dem verruchten Denner, der mich in Schande und Tod
gestuerzt hat, in die Haende liefern und ich dann erst durch mein
suendliches freveliches Unternehmen die Strafe verdienen, die ich
jetzt unschuldig leiden werde." So beschloss Andres seinen Vortrag.
Die Richter schienen erstaunt und von Mitleid fuer den Ungluecklichen
durchdrungen, wiewohl sie durch die mannigfachen Tatsachen, die wider
ihn sprachen, zu sehr von seiner Schuld ueberzeugt waren, um sein
jetziges Benehmen nicht auch fuer zweifelhaft zu halten. Die
Aufrichtigkeit des Andres und vorzueglich der Umstand, dass nach jener
Anzeige der von Denner beabsichtigten Flucht, in der Stadt und zwar in
der naechsten Umgebung des Gefaengnisses wirklich noch einige von der
Bande ertappt und aufgegriffen wurden, hatte jedoch den wohltaetigen
Einfluss auf ihn, dass er aus dem unterirdischen Kerker, in
den er gesperrt gewesen, herausgenommen wurde, und eine lichte
Gefaengnisstube neben der Wohnung des Gefangenwaerters erhielt. Da
brachte er seine Zeit mit Gedanken an sein treues Weib, an seinen
Knaben, und mit gottseligen Betrachtungen hin, und bald fuehlte er
sich ermutigt, das Leben auch auf schmerzliche Weise, wie eine Buerde,
abzuwerfen. Nicht genug konnte sich der Gefangenwaerter ueber den
frommen Verbrecher wundern und er musste notgedrungen beinahe an seine
Unschuld glauben.

Endlich, nachdem beinahe noch ein Jahr verflossen, war der schwierige
verwickelte Prozess wider Denner und seine Mitschuldigen geschlossen.
Es hatte sich gefunden, dass die Bande bis an die Grenze von Italien
ausgebreitet war und schon seit geraumer Zeit ueberall raubte und
mordete. Denner sollte gehaengt, und dann sein Koerper verbrannt
werden. Auch dem ungluecklichen Andres war der Strang zuerkannt;
seiner Reue halber, und da er durch das Bekenntnis der ihm von
Denner geratenen Flucht die Entdeckung des Anschlags der Bande,
durchzubrechen, veranlasst hatte, durfte jedoch sein Koerper
herabgenommen, und auf der Gerichtsstaette verscharrt werden.

Der Morgen, an dem Denner und Andres hingerichtet werden sollten, war
angebrochen; da ging die Tuer des Gefaengnisses auf, und der junge
Graf von Vach trat hinein zum Andres, der auf den Knien lag und still
betete. "Andres", sprach der Graf, "du musst sterben. Erleichtere dein
Gewissen noch durch ein offnes Gestaendnis! Sage mir, hast du deinen
Herrn getoetet? Bist du wirklich der Moerder meines Oheims?" - Da
stuerzten dem Andres die Traenen aus den Augen, und er wiederholte
nochmals alles, was er vor Gericht ausgesagt, ehe ihm die unleidliche
Qual der Tortur eine Luege auspresste. Er rief Gott und die Heiligen
an, die Wahrheit seiner Aussage und seine gaenzliche Unschuld an dem
Tode des geliebten Herrn zu bekraeftigen.

"So ist hier", fuhr der Graf von Vach fort, "ein unerklaerliches
Geheimnis im Spiele. Ich selbst, Andres, war von deiner Unschuld
ueberzeugt, unerachtet vieles wider dich sprach; denn ich wusste
ja, dass du von Jugend auf der treuste Diener meines Oheims gewesen
bist, und ihn selbst einmal in Neapel mit Gefahr deines Lebens aus
Raeuberhaenden gerettet hast. Allein nur noch gestern haben mir die
beiden alten Jaeger meines Oheims Franz und Nikolaus geschworen, dass
sie dich leibhaftig unter den Raeubern gesehen und genau bemerkt
haetten, wie du selbst meinen Oheim niederstrecktest." Andres wurde
von den peinlichsten, schrecklichsten Gefuehlen durchbohrt; es war
ihm, als wenn der Satan selbst seine Gestalt angenommen habe, um
ihn zu verderben; denn auch Denner hatte ja sogar im Kerker davon
gesprochen, dass er den Andres wirklich gesehen, und so schien selbst
die falsche Beschuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung
zu beruhen. Andres sagte dies alles unverhohlen, indem er hinzusetzte,
dass er sich der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den
schmaehlichen Tod eines Verbrechers sterben solle, dass aber, sei
es auch lange Zeit nachher, seine Unschuld gewiss an den Tag kommen
werde. Der Graf von Vach schien tief erschuettert; er konnte kaum noch
dem Andres sagen, dass, nach seinem Wunsche, der Tag der Hinrichtung
seinem ungluecklichen Weibe verschwiegen geblieben sei, und dass
sie sich nebst dem Knaben bei dem alten Foerster aufhalte. Die
Rathausglocke erklang dumpf und schauerlich in abgemessenen Pulsen.
Andres wurde angekleidet und der Zug ging mit den gewoehnlichen
Feierlichkeiten unter dem Zustroemen unzaehligen Volks nach der
Richtstaette. Andres betete laut und ruehrte durch sein frommes
Betragen alle, die ihn sahen. Denner hatte die Miene des trotzigen
verstockten Boesewichts. Er schaute munter und kraeftig um sich, und
lachte oft den armen Andres tueckisch und schadenfroh an. Andres
sollte zuerst hingerichtet werden; er bestieg gefasst mit dem Henker
die Leiter, da kreischte ein Weib auf und sank ohnmaechtig einem alten
Mann in die Arme. Andres blickte hin, es war Giorgina; laut erflehte
er vom Himmel Fassung und Staerke. "Dort, dort, sehe ich dich wieder,
mein armes unglueckliches Weib, ich sterbe unschuldig!" rief er, indem
er den Blick sehnsuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter rief dem
Henker zu, er moege sich foerdern, denn es entstand ein Murren unter
dem Volke und es flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls schon die
Leiter bestiegen hatte und die Zuschauer verhoehnte ob ihres Mitleids
mit dem frommen Andres. Der Henker legte dem Andres den Strick um
den Hals, da scholl es aus der Ferne her: "Halt - halt - um Christus
willen halt! - Der Mann ist unschuldig! - ihr richtet einen
Unschuldigen hin!" - "Halt - halt!" schrieen tausend Stimmen und kaum
vermochte die Wache zu steuern dem Volk, das hinzudrang und den Andres
von der Leiter herabreissen wollte. Naeher sprengte nun der Mann zu
Pferde, der erst gerufen hatte, und Andres erkannte auf den ersten
Blick in dem Fremden den Kaufmann, der ihm in Frankfurt Giorginas
Erbschaft ausgezahlt hatte. Seine Brust wollte zerspringen vor Freude
und Seligkeit, kaum konnte er sich aufrecht erhalten als er von
der Leiter herabgestiegen. Der Kaufmann sagte dem Richter, dass zu
derselben Zeit, als der Raubmord im Vachschen Schlosse veruebt worden,
Andres in Frankfurt, also viele Meilen davon entfernt, gewesen
sei, und dass er dies vor Gericht auf die unzweifelhafteste Weise
durch Urkunden und Zeugen dartun wolle. Da rief der Richter: "Die
Hinrichtung des Andres kann keineswegs geschehen; denn dieser
hoechstwichtige Umstand beweiset, wenn er ausgemittelt wird, die
voellige Unschuld des Angeklagten. Man fuehre ihn sogleich nach dem
Gefaengnisse zurueck." Denner hatte alles von der Leiter herab ruhig
angesehen; als aber der Richter diese Worte gesprochen, da rollten
seine gluehenden Augen, er knirschte mit den Zaehnen, er heulte in
wilder Verzweiflung, dass es graesslich, wie der namenlose Jammer des
wuetenden Wahnsinns, durch die Luefte hallte: "Satan, Satan! du hast
mich betrogen - weh mir! weh mir! es ist aus - aus - alles verloren!"
Man brachte ihn von der Leiter herab, er fiel zu Boden und roechelte
dumpf: "Ich will alles bekennen - ich will alles bekennen!"
Auch _seine_ Hinrichtung wurde verschoben und er ins Gefaengnis
zurueckgefuehrt, wo ihm jedes Entspringen unmoeglich gemacht worden.
Der Hass seiner Waechter war die beste Schutzwehr gegen die Schlauheit
seiner Verbuendeten. - Wenige Augenblicke nachher, als Andres bei
dem Gefangenenwaerter angekommen, lag Giorgina in seinen Armen.
"Ach Andres, Andres", rief sie, "nun habe ich dich ganz wieder, da
ich weiss, dass du unschuldig bist; denn auch ich habe an deiner
Redlichkeit, an deiner Froemmigkeit gezweifelt!" - Unerachtet man
Giorginen den Tag der Hinrichtung verschwiegen, war sie doch von
unbeschreiblicher Angst, von seltsamer Ahnung getrieben, nach Fulda
geeilt, und gerade auf die Richtstaette gekommen, als ihr Mann die
verhaengnisvolle Leiter bestieg, die ihn zum Tode fuehren sollte. Der
Kaufmann war die ganze lange Zeit der Untersuchung ueber auf Reisen
in Frankreich und Italien gewesen, und jetzt ueber Wien und Prag
zurueckgekehrt. Der Zufall, oder vielmehr eine besondere Schickung des
Himmels, wollte, dass er gerade in dem entscheidendsten Augenblick auf
dem Richtplatze ankam, und den armen Andres von dem schmaehlichen Tode
des Verbrechers rettete. Im Gasthofe erfuhr er die ganze Geschichte
des Andres und es fiel ihm gleich schwer aufs Herz, dass Andres wohl
derselbe Revierjaeger sein koenne, der vor zwei Jahren eine Erbschaft,
die seinem Weibe von Neapel aus zugefallen, erhob. Schnell eilte er
fort und ueberzeugte sich, als er nur Andres sah, sogleich von der
Wahrheit seiner Vermutung. Durch die eifrigen Bemuehungen des wackern
Kaufmanns und des jungen Grafen von Vach wurde Andres' Aufenthalt in
Frankfurt bis auf die Stunde ausgemittelt, dadurch aber seine voellige
Unschuld an dem Raubmorde dargetan. Denner selbst gestand nun die
Richtigkeit der Angabe des Andres ueber das Verhaeltnis mit ihm und
meinte nur, der Satan muesse ihn geblendet haben; denn in der Tat
haette er geglaubt, Andres fechte auf dem Vachschen Schloss an seiner
Seite. Fuer die erzwungene Teilnahme an der Auspluenderung des
Pachterhofes, sowie fuer die gesetzwidrige Rettung Denners, hatte,
nach dem Ausspruch der Richter, Andres genug gebuesst durch das lange
harte Gefaengnis und durch die ausgestandene Marter und Todesangst;
er wurde daher durch Urtel und Recht von jeder weiteren Strafe
freigesprochen und eilte mit seiner Giorgina auf das Vachsche Schloss,
wo ihm der edle wohltaetige Graf im Nebengebaeude eine Wohnung
einraeumte, von ihm nur die geringen Jagddienste fordernd, die
des Grafen persoenliche Liebhaberei notwendig machte. Auch die
Gerichtskosten bezahlte der Graf, so dass Andres und Giorgina in dem
ungekraenkten Besitz ihres Vermoegens blieben.

Der Prozess wider den verruchten Ignaz Denner nahm jetzt eine ganz
andere Wendung. Die Begebenheit auf der Gerichtsstaette schien ihn
ganz umgewandelt zu haben. Sein hoehnender teuflischer Stolz war
gebeugt, und aus seinem zerknirschten Innern brachen Gestaendnisse
hervor, die den Richtern das Haar straeubten. Denner klagte sich
selbst mit allen Zeichen tiefer Reue des Buendnisses mit dem Satan
an, das er von seiner fruehen Jugendzeit unterhalten, und so wurde
vorzueglich hierauf die fernere Untersuchung mit dem Zutritt
dazu verordneter Geistlichkeit gerichtet. Ueber seine frueheren
Lebensverhaeltnisse erzaehlte Denner so viel Sonderbares, dass man es
fuer das Erzeugnis wahnsinniger Ueberspannung haette halten muessen,
wenn nicht durch die Erkundigungen, die man in Neapel, seinem
angeblichen Geburtsort, einziehen liess, alles bestaetigt worden
waere. Ein Auszug aus den von dem geistlichen Gericht in Neapel
verhandelten Akten ergab ueber Denners Herkunft folgende merkwuerdige
Umstaende.

Vor langen Jahren lebte in Neapel ein alter wunderlicher Doktor,
Trabacchio mit Namen, den man seiner geheimnisvollen stets
gluecklichen Kuren wegen insgemein den Wunderdoktor zu nennen pflegte.
Es schien, als wenn das Alter nichts ueber ihn vermoege; denn er
schritt rasch und jugendlich daher, unerachtet mehrere Eingeborne ihm
nachrechnen konnten, dass er an die achtzig Jahre alt sein muesste.
Sein Gesicht war auf eine seltsame grausige Weise verzerrt und
verschrumpft, und seinen Blick konnte man kaum ohne innern Schauer
ertragen, wiewohl er oft den Kranken wohl tat, so dass man sagte,
bloss durch den scharf auf den Kranken gehefteten Blick heile er
oftmals schwere hartnaeckige Uebel. Ueber seinen schwarzen Anzug warf
er gewoehnlich einen weiten roten Mantel mit goldnen Tressen und
Troddeln, unter dessen bauschichten Falten der lange Stossdegen
hervorragte. So lief er mit einer Kiste seiner Arzneien, die er selbst
bereitete, durch die Strassen von Neapel zu seinen Kranken, und jeder
wich ihm scheu aus. Nur in der hoechsten Not wandte man sich an ihn,
aber niemals schlug er es aus einen Kranken zu besuchen, hatte er
dabei auch nicht sonderlichen Gewinn zu hoffen. Mehrere Weiber
starben ihm schnell; immer waren sie ausnehmend schoen und insgemein
Landdirnen gewesen. Er sperrte sie ein und erlaubte ihnen, nur unter
Begleitung einer alten ekelhaft haesslichen Frau die Messe zu hoeren.
Diese Alte war unbestechlich; jeder noch so listig angelegte Versuch
junger Luestlinge, den schoenen Frauen des Doktor Trabacchio naeher zu
kommen, blieb fruchtlos. Unerachtet Doktor Trabacchio von Reichen sich
gut bezahlen liess, so stand doch seine Einnahme mit dem Reichtum an
Geld und Kleinodien, den er in seinem Hause aufgehaeuft hatte und den
er niemanden verhehlte, in keinem Verhaeltnis. Dabei war er zu Zeiten
freigebig bis zur Verschwendung, und hatte die Gewohnheit jedesmal,
wenn ihm eine Frau gestorben, ein Gastmahl zu geben, dessen Aufwand
wohl doppelt soviel betrug, als die reichste Einnahme, die ihm seine
Praxis ein ganzes Jahr hindurch verschaffte. Mit seiner letzten Frau
hatte er einen Sohn erzeugt, den er ebenso einsperrte, wie seine
Weiber; niemand bekam ihn zu sehen. Nur bei dem Gastmahl, das er nach
dem Tode dieser Frau gab, sass der kleine dreijaehrige Knabe an seiner
Seite, und alle Gaeste waren ueber die Schoenheit und die Klugheit
des Kindes [verwundert], das man, verriet sein koerperliches Ansehen
nicht sein Alter, seinem Benehmen nach wenigstens fuer zwoelfjaehrig
haette halten koennen. Eben bei diesem Gastmahl aeusserte der Doktor
Trabacchio, dass, da nunmehr sein Wunsch, einen Sohn zu haben,
erreicht sei, er nicht mehr heiraten werde. Sein uebermaessiger
Reichtum, aber noch mehr sein geheimnisvolles Wesen, seine wunderbaren
Kuren, die bis ins Unglaubliche gingen, da bloss einigen von ihm
bereiteten und eingefloessten Tropfen, ja oft bloss seiner Betastung,
seinem Blick, die hartnaeckigsten Krankheiten wichen, gaben endlich
Anlass zu allerlei seltsamen Geruechten, die sich in Neapel
verbreiteten. Man hielt den Doktor Trabacchio fuer einen Alchymisten,
fuer einen Teufelsbeschwoerer, ja man gab ihm endlich schuld, dass er
mit dem Satan im Buendnis stehe. Die letzte Sage entstand aus einer
seltsamen Begebenheit, die sich mit einigen Edelleuten in Neapel
zutrug. Diese kehrten einst spaet in der Nacht von einem Gastmahl
zurueck und gerieten, da sie im Weinrausch den Weg verfehlt, in eine
einsame verdaechtige Gegend. Da rauschte und raschelte es vor ihnen
und sie wurden mit Entsetzen gewahr, dass ein grosser leuchtendroter
Hahn, ein zackicht Hirschgeweihe auf dem Kopfe tragend, mit
ausgebreiteten Fluegeln. daherschritt, und sie mit menschlichen
funkelnden Augen anstarrte. Sie draengten sich in eine Ecke, der Hahn
schritt vorueber, und ihm folgte eine grosse Figur im glaenzenden
goldverbraemten Mantel. Sowie die Gestalten vorueber waren, sagte
einer von den Edelleuten leise: "Das war der Wunderdoktor Trabacchio."
Alle, nuechtern geworden durch den entsetzlichen Spuk, ermutigten sich
und folgten dem angeblichen Doktor mit dem Hahn, dessen Leuchten den
genommenen Weg zeigte. Sie sahen, wie die Gestalten wirklich auf das
Haus des Doktors, das auf einem fernen leeren oeden Platze stand,
zuschritten. Vor dem Hause angekommen, rauschte der Hahn in die Hoehe,
und schlug mit den Fluegeln an das grosse Fenster ueber dem Balkon,
das sich klirrend oeffnete; die Stimme eines alten Weibes meckerte:
"Kommt - kommt nach Haus - kommt nach Haus - warm ist das Bett, und
Liebchen wartet lange schon - lange schon!" Da war es, als stiege der
Doktor auf einer unsichtbaren Leiter empor, und rausche nach dem Hahn
durch das Fenster, welches zugeschlagen wurde, dass es die einsame
Strasse entlang klirrte und droehnte. Alles war im schwarzen Dunkel
der Nacht verschwunden und die Edelleute standen stumm und starr vor
Grausen und Entsetzen. Dieser Spuk, die Ueberzeugung der Edelleute,
dass die Gestalt, der der teuflische Hahn vorleuchtete, niemand
anders, als der verrufene Doktor Trabacchio gewesen, war fuer das
geistliche Gericht, dem alles zu Ohren kam, genug, dem satanischen
Wundermann sorglich in aller Stille nachzuspueren. Man brachte in
der Tat heraus, dass in den Zimmern des Doktors sich oft ein roter
Hahn befand, mit dem er auf wunderliche Weise zu sprechen und zu
disputieren schien, als spraechen Gelehrte ueber zweifelhafte
Gegenstaende ihres Wissens. Das geistliche Gericht war im Begriff den
Doktor Trabacchio einzuziehen als einen verruchten Hexenmeister; aber
das weltliche Gericht kam dem geistlichen zuvor und liess den Doktor
durch die Sbirren aufheben und ins Gefaengnis schleppen, da er eben
von dem Besuch eines Kranken heimkehrte. Die Alte war schon frueher
aus dem Hause geholt worden, den Knaben hatte man nicht finden
koennen. Die Tueren der Zimmer wurden verschlossen und versiegelt,
Wachen rings um das Haus gestellt. - Folgendes war der Grund dieses
gerichtlichen Verfahrens. Seit einiger Zeit starben mehrere angesehene
Personen in Neapel und in der umliegenden Gegend und zwar nach der
Aerzte einstimmigem Urteil an Gift. Dies hatte viele Untersuchungen
veranlasst, die fruchtlos blieben, bis endlich ein junger Mann in
Neapel, ein bekannter Luestling und Verschwender, dessen Oheim
vergiftet worden, die graessliche Tat mit dem Zusatz eingestand,
dass er das Gift von dem alten Weibe, der Haushaelterin Trabacchios,
gekauft habe. Man spuerte der Alten nach, und ertappte sie, als sie
eben ein festverschlossenes kleines Kistchen forttragen wollte, in dem
man kleine Phiolen fand, die mit dem Namen von allerlei Arzneimitteln
versehen waren, unerachtet sie fluessiges Gift enthielten. Die Alte
wollte nichts eingestehen; als man ihr indessen mit der Tortur drohte,
da bekannte sie, dass der Doktor Trabacchio schon seit vielen Jahren
jenes kuenstliche Gift, das unter dem Namen Aqua Toffana bekannt sei,
bereite, und dass der geheime Verkauf dieses Gifts, der durch sie
bewirkt worden, bestaendig seine reichste Erwerbsquelle gewesen.
Ferner sei es nur zu gewiss, dass er mit dem Satan im Buendnis stehe,
der in verschiedenen Gestalten bei ihm einkehre. Jedes seiner Weiber
habe ihm ein Kind geboren, ohne dass es jemand ausser dem Hause
geahnet. Das Kind habe er denn allemal, nachdem es neun Wochen,
oder neun Monate alt worden, unter besonderen Zuruestungen und
Feierlichkeiten auf unmenschliche Weise geschlachtet, indem er ihm die
Brust aufgeschnitten und das Herz herausgenommen. Jedesmal sei der
Satan bei dieser Operation, bald in dieser, bald in jener Gestalt,
meistens aber als Fledermaus mit menschlicher Larve, erschienen, und
habe mit breiten Fluegeln das Kohlfeuer angefacht, bei dem Trabacchio
aus des Kindes Herzblut koestliche Tropfen bereitet, die jeder
Siechheit kraeftig widerstaenden. Die Weiber haette Trabacchio bald
nachher auf diese, oder jene heimliche Weise getoetet, so dass der
schaerfste Blick des Arztes wohl nie auch die kleinste Spur der
Ermordung habe auffinden koennen. Nur Trabacchios letztes Weib, die
ihm einen Sohn geboren, der noch lebe, sei des natuerlichen Todes
gestorben.

Der Doktor Trabacchio gestand alles unverhohlen ein und schien eine
Freude daran zu finden, das Gericht mit den schauerlichen Erzaehlungen
seiner Untaten und vorzueglich der naehern Umstaende seines
entsetzlichen Buendnisses mit dem Satan in Verwirrung zu setzen,
Die Geistlichen, welche dem Gericht beiwohnten, gaben sich alle nur
ersinnliche Muehe, den Doktor zur Reue und zur Erkenntnis seiner
Suenden zu bringen; aber es blieb vergebens, da Trabacchio sie nur
verhoehnte und verlachte. Beide, die Alte und Trabacchio, wurden
zum Scheiterhaufen verurteilt. - Man hatte unterdessen das Haus des
Doktors untersucht und alle seine Reichtuemer hervorgeholt, die, nach
Abzug der Gerichtskosten, an die Hospitaeler verteilt werden sollten.
In Trabacchios Bibliothek fand man nicht ein einziges verdaechtiges
Buch und noch viel weniger gab es Geraetschaften, die auf die
satanische Kunst, die der Doktor getrieben, haetten hindeuten sollen.
Nur ein verschlossenes Gewoelbe, dessen viele durch die Mauer
herausragende Roehren das Laboratorium verrieten, widerstand, als man
es oeffnen wollte, aller Kunst und aller Gewalt. Ja, wenn Schlosser
und Maurer unter der Aufsicht des Gerichts sich eifrig bemuehten,
endlich durchzubrechen, so dass wohl der Zweck erreicht worden waere,
da kreischten im Innern des Gewoelbes entsetzliche Stimmen, es
rauschte auf und nieder, wie mit eiskalten Fluegeln schlug es an die
Gesichter der Arbeiter und ein schneidender Zugwind pfiff in gellenden
graesslichen Toenen durch den Gang, so dass von Grausen und Entsetzen
ergriffen alle flohen, und am Ende niemand mehr sich an die Tuer des
Gewoelbes wagen wollte, aus Furcht wahnsinnig zu werden vor Angst und
Schrecken. Den Geistlichen, die sich der Tuer nahten, ging es nicht
besser und es blieb nichts uebrig, als die Ankunft eines alten
Dominikaners aus Palermo zu erwarten, dessen Standhaftigkeit und
Froemmigkeit bisher alle Kuenste des Satans weichen mussten. Als
dieser Moench sich nun in Neapel befand, war er bereit den teuflischen
Spuk in Trabacchios Gewoelbe zu bekaempfen, und verfuegte sich
hin, ausgeruestet mit Kreuz und Weihwasser, begleitet von mehreren
Geistlichen und Gerichtspersonen, die aber weit von der Tuer entfernt
blieben. Der alte Dominikaner ging betend auf die Tuer los; aber da
erhob sich heftiger das Rauschen und Brausen, und die entsetzlichen
Stimmen verworfener Geister lachten gellend heraus. Der Geistliche
liess sich jedoch nicht irre machen; er betete kraeftiger das Kruzifix
emporhaltend und die Tuer mit Weihwasser besprengend. "Man gebe
mir ein Brecheisen!" rief er laut; zitternd reichte es ihm ein
Maurerbursche hin, aber kaum setzte es der alte Moench an die Tuere,
als sie mit furchtbar erschuetterndem Knall aufsprang. Blaue Flammen
leckten ueberall an den Waenden des Gewoelbes herauf und eine
betaeubende erstickende Hitze stroemte aus dem Innern. Demunerachtet
wollte der Dominikaner hineintreten; da stuerzte der Boden des
Gewoelbes ein, dass das ganze Haus erdroehnte und Flammen prasselten
aus dem Abgrunde hervor, die wuetend um sich griffen und alles rings
umher erfassten. Schnell musste der Dominikaner mit seiner Begleitung
fliehen, um nicht zu verbrennen, oder verschuettet zu werden. Kaum
waren sie auf der Strasse, als das ganze Haus des Doktor Trabacchio in
Flammen stand. Das Volk lief zusammen und jauchzte und jubelte, als es
des verruchten Hexenmeisters Wohnung brennen sah, ohne auch nur das
mindeste zur Rettung zu tun. Schon war das Dach eingestuerzt, das
inwendige Holzwerk flammte zu den Waenden heraus und nur die starken
Balken des obern Stocks widerstanden noch der Gewalt des Feuers. Aber
vor Entsetzen schrie das Volk auf, als es Trabacchios zwoelfjaehrigen
Sohn mit einem Kistchen unter dem Arm einen dieser glimmenden Balken
entlang schreiten sah. Nur einen Moment dauerte diese Erscheinung,
sie verschwand ploetzlich in den hochaufschlagenden Flammen. - Der
Doktor Trabacchio schien sich herzinniglich zu freuen, als er diese
Begebenheit erfuhr und ging mit verwegener Frechheit zum Tode. Als man
ihn an den Pfahl band, lachte er hell auf und sagte zu dem Henker, der
ihn mordlustig recht fest anschnuerte: "Sieh dich vor, Geselle, dass
diese Stricke nicht an deinen Faeusten brennen." Dem Moench, der sich
ihm zuletzt noch nahen wollte, rief er mit fuerchterlicher Stimme
zu: "Fort! - zurueck von mir! Glaubst du denn, dass ich so dumm sein
werde, euch zu Gefallen einen schmerzlichen Tod zu leiden? - noch ist
meine Stunde nicht gekommen." - Nun fing das angezuendete Holz an zu
prasseln; kaum erreichte aber die Flamme den Trabacchio, als es hell
aufloderte, wie Strohfeuer und von einer fernen Anhoehe ein gellendes
Hohngelaechter sich hoeren liess. Alles schaute hin und Grausen
ergriff das Volk, als [es] den Doktor Trabacchio leibhaftig in dem
schwarzen Kleide, dem goldverbraemten Mantel, den Stossdegen an der
Seite, den niedergekrempten spanischen Hut mit der roten Feder auf
dem Kopfe, das Kistchen unter dem Arm, ganz wie er sonst durch die
Strassen von Neapel zu laufen pflegte, erblickte. Reiter, Sbirren,
hundert andere aus dem Volk stuerzten hin nach dem Huegel, aber
Trabacchio war und blieb verschwunden. Die Alte gab ihren Geist
auf unter den entsetzlichsten Qualen, unter den graesslichsten
Verwuenschungen ihres verruchten Herrn, mit dem sie unzaehlige
Verbrechen geteilt.

Der sogenannte Ignaz Denner war nun kein anderer, als eben der Sohn
des Doktors, der sich damals durch die hoellischen Kuenste seines
Vaters mit einem Kistchen der seltensten und geheimnisvollsten
Kostbarkeiten aus den Flammen rettete. Schon seit der fruehesten
Jugend unterrichtete ihn der Vater in den geheimen Wissenschaften
und seine Seele war dem Teufel verschrieben, noch ehe er sein volles
Bewusstsein erlangt. Als man den Doktor Trabacchio ins Gefaengnis
warf, blieb der Knabe in dem geheimnisvollen verschlossenen Gewoelbe
unter den verworfenen Geistern, die des Vaters hoellischer Zauber
hineingebannt; da aber endlich dieser Zauber der Macht des
Dominikaners weichen musste, liess der Knabe die verborgenen
mechanischen Kraefte wirken, und Flammen entzuendeten sich, die in
wenigen Minuten das ganze Haus in Brand steckten, waehrend der Knabe
selbst unversehrt durch das Feuer fort zum Tore hinaus in den Wald
eilte, den ihm der Vater bezeichnet hatte. Nicht lange dauerte es, so
erschien auch Doktor Trabacchio, und floh schnell mit dem Sohne, bis
sie wohl an drei Tagereisen von Neapel in die Ruinen eines alten
roemischen Gebaeudes kamen, wo der Eingang zu einer weiten geraeumigen
Hoehle versteckt lag. Hier wurde der Doktor Trabacchio von einer
zahlreichen Raeuberbande, mit der er laengst in Verbindung gestanden,
und der er durch seine geheime Wissenschaft die wesentlichsten Dienste
geleistet, mit lautem Jubel empfangen. Die Raeuber wollten ihn mit
nichts Geringerem lohnen, als mit der Kroenung zum Raeuberkoenige,
wodurch er sich zum Oberhaupt aller Banden, die in Italien und dem
suedlichen Deutschland verbreitet waren, aufgeschwungen haette. Der
Doktor Trabacchio erklaerte, diese Wuerde nicht annehmen zu koennen,
da er der besondern Konstellation wegen, die ueber ihn walte, nunmehr
ein ganz unstetes Leben fuehren muesse, und von keinem Verhaeltnis
gebunden werden koenne; doch werde er noch immer den Raeubern mit
seiner Kunst und Wissenschaft beistehn, und sich dann und wann sehen
lassen. Da beschlossen die Raeuber, den zwoelfjaehrigen Trabacchio
zum Raeuberkoenige zu waehlen und damit war der Doktor hoechlich
zufrieden, so dass der Knabe von Stund an unter den Raeubern blieb,
und, als er funfzehn Jahr alt worden, schon als wirkliches Oberhaupt
mit ihnen auszog. Sein ganzes Leben war von nun an ein Gewebe von
Greueltaten und Teufelskuensten, in welche ihn der Vater, der sich
oftmals blicken liess und zuweilen wochenlang einsam mit seinem Sohne
in der Hoehle blieb, immer mehr einweihte. Die kraeftigen Massregeln
des Koenigs von Neapel gegen die Raeuberbanden, die immer kecker und
verwegener wurden, noch mehr aber die entstandenen Zwistigkeiten
der Raeuber hoben endlich das gefaehrliche Buendnis unter _einem_
Oberhaupte auf und den Trabacchio selbst, der sich durch seinen Stolz
und durch seine Grausamkeit verhasst gemacht hatte, konnten seine
vom Vater erlernte Teufelskuenste nicht vor den Dolchen seiner
Untergebenen schuetzen. Er floh nach der Schweiz, gab sich den Namen
Ignaz Denner, und besuchte als reisender Kaufmann die Messen und
Jahrmaerkte in Deutschland, bis sich aus den zerstreuten Gliedern
jener grossen Bande eine kleinere bildete, die den vormaligen
Raeuberkoenig zu ihrem Oberhaupt waehlte. Trabacchio versicherte, wie
sein Vater noch zur Stunde lebe, ihn noch im Gefaengnis besucht, und
Rettung von der Gerichtsstaette versprochen habe. Nur dadurch, dass,
wie er nun wohl einsehe, goettliche Schickung den Andres vom Tode
errettet, sei die Macht seines Vaters entkraeftet worden, und er wolle
nun als reuiger Suender allen Teufelskuensten abschwoeren und geduldig
die gerechte Todesstrafe erleiden.

Andres, der alles dieses aus dem Munde des Grafen von Vach erfuhr,
zweifelte keinen Augenblick, dass es wohl eben Trabacchios Bande
gewesen, die ehemals im Neapolitanischen seinen Herrn anfiel, so
wie er ueberzeugt war, dass der alte Doktor Trabacchio selbst im
Gefaengnis ihm wie der leibhaftige Satan erschien und verlocken wollte
zum boesen Beginnen. Nun sah er erst recht ein, in welch grosser
Gefahr er geschwebt hatte seit der Zeit, als Trabacchio in sein Haus
getreten; wiewohl er noch immer nicht begreifen konnte, warum es denn
der Verruchte so ganz und gar auf ihn und sein Weib gemuenzt hatte,
da der Vorteil, den er aus seinem Aufenthalt in dem Jaegerhause zog,
nicht so bedeutend sein konnte.

Andres befand sich nach den entsetzlichen Stuermen nun in ruhiger
gluecklicher Lage, allein zu erschuetternd hatten jene Stuerme getobt,
um nicht in seinem ganzen Leben dumpf nachzuhallen. Ausser dem, dass
Andres, sonst ein starker kraeftiger Mann, durch den Gram, durch
das lange Gefaengnis, ja durch den unsaeglichen Schmerz der Tortur
koerperlich zugrunde gerichtet, siech und krank daherschwankte und
kaum noch die Jagd treiben konnte, so welkte auch Giorgina, deren
suedliche Natur von dem Grame, von der Angst, von dem Entsetzen wie
von brennender Glut aufgezehrt wurde, zusehends hin. Keine Huelfe war
fuer sie mehr vorhanden, sie starb wenige Monate nach ihres Mannes
Rueckkehr. Andres wollte verzweifeln und nur der wunderschoene kluge
Knabe, der Mutter getreues Ebenbild, vermochte ihn zu troesten. Um
dieses willen tat er alles, sein Leben zu erhalten, und sich soviel
als moeglich zu kraeftigen, so dass er nach Verlauf von beinahe zwei
Jahren wohl an Gesundheit zugenommen und manchen lustigen Jaegergang
in den Forst unternehmen konnte. - Der Prozess wider den Trabacchio
hatte endlich sein Ende erreicht und er war, so wie vor alter Zeit
sein Vater, zum Tode durchs Feuer verdammt worden, den er in weniger
Zeit erleiden sollte.

Andres kam eines Tages, als die Abenddaemmerung schon eingebrochen,
mit seinem Knaben aus dem Forst zurueck; schon war er dem Schlosse
nahe, als er ein klaegliches Gewimmer vernahm, das aus dem ihm nahen
ausgetrockneten Feldgraben zu kommen schien. Er eilte naeher und
erblickte einen Menschen, der in elende schmutzige Lumpen gehuellt, im
Graben lag und unter grossen Schmerzen den Geist aufgeben zu wollen
schien. Andres warf Flinte und Buechsensack ab, und zog mit Muehe
den Ungluecklichen heraus; aber als er nun dem Menschen ins Gesicht
blickte, erkannte er mit Entsetzen den Trabacchio. Zurueckschaudernd
liess er von ihm ab; aber da wimmerte Trabacchio dumpf. "Andres,
Andres, bist du es? um der Barmherzigkeit Gottes willen, der ich meine
Seele empfohlen, habe Mitleid mit mir! Wenn du mich rettest, rettest
du eine Seele von ewiger Verdammnis; denn bald ereilt mich ja der Tod,
und noch nicht vollendet ist meine Busse!" - "Verdammter Heuchler",
schrie Andres auf; "Moerder meines Kindes, meines Weibes, hat dich
nicht der Satan wieder hergefuehrt, damit du mich vielleicht noch
verderbest? Ich habe mit dir nichts zu schaffen. Stirb und vermodere
wie ein Aas, Verruchter!" Andres wollte ihn zurueckstossen in den
Graben; da heulte Trabacchio in wildem Jammer: "Andres! du rettest den
Vater deines Weibes, deiner Giorgina, die fuer mich betet am Throne
des Hoechsten!" Andres schauderte zusammen; mit Giorginas Namen
fuehlte er sich von schmerzlicher Wehmut ergriffen. Mitleid mit dem
Moerder seiner Ruhe, seines Gluecks, durchdrang ihn, er fasste den
Trabacchio, lud ihn mit Muehe auf und trug ihn nach seiner Wohnung, wo
er ihn mit staerkenden Mitteln erquickte. Bald erwachte Trabacchio aus
der Ohnmacht, in die er versunken.

In der Nacht vor der Hinrichtung ergriff den Trabacchio die
entsetzlichste Todesangst; er war ueberzeugt, dass ihn nichts mehr
von der namenlosen Marter des Feuertodes retten wuerde. Da fasste
und ruettelte er in wahnsinniger Verzweiflung die Eisenstaebe des
Gitterfensters und zerbroeckelt blieben sie in seinen Haenden. Ein
Strahl der Hoffnung fiel in seine Seele. Man hatte ihn in einen Turm
dicht neben dem trocknen Stadtgraben gesperrt; er schaute in die Tiefe
und der Entschluss sich hinabzustuerzen, und so sich zu retten, oder
zu sterben, war auf der Stelle gefasst. Der Ketten hatte er sich bald
mit geringer Anstrengung entledigt. Als er sich hinauswarf, vergingen
ihm die Sinne, er erwachte, als die Sonne hell strahlte. Da sah er,
wie er zwischen Strauchwerk in hohes Gras gefallen, aber an allen
Gliedern verstaucht und verrenkt, vermochte er sich nicht zu regen und
zu ruehren. Schmeissfliegen und anderes Ungeziefer setzten sich auf
seinen halbnackten Koerper und stachen und leckten sein Blut, ohne
dass er sie abwehren konnte. So brachte er einen martervollen Tag hin.
Erst des Nachts gelang es ihm weiter zu kriechen und er war gluecklich
genug, an eine Stelle zu kommen, wo sich etwas Regenwasser gesammelt
hatte, welches er begierig einschluerfte. Er fuehlte sich gestaerkt
und vermochte muehsam hinanzuklimmen und sich fortzuschleichen, bis
er den Forst erreichte, der unfern von Fulda anhob und sich beinahe
bis an das Vachsche Schloss erstreckte. So war er bis in die Gegend
gekommen, wo ihn Andres mit dem Tode ringend fand. Die entsetzliche
Anstrengung der letzten Kraft hatte ihn ganz erschoepft und wenige
Minuten spaeter haette ihn Andres sicherlich tot gefunden. Ohne
daran zu denken, was kuenftig mit dem Trabacchio, der der Obrigkeit
entflohen, werden sollte, brachte ihn Andres in ein einsames Zimmer
und pflegte ihn auf alle nur moegliche Weise, aber so behutsam ging
er dabei zu Werke, dass niemand die Anwesenheit des Fremden ahnte;
denn selbst der Knabe, gewohnt dem Vater blindlings zu gehorchen,
verschwieg getreulich das Geheimnis. Andres frug nun den Trabacchio,
ob er denn gewiss und wahrhaftig Giorginas Vater sei. "Allerdings bin
ich das", erwiderte Trabacchio. "In der Gegend von Neapel entfuehrte
ich einst ein bildschoenes Maedchen, die mir eine Tochter gebar. Nun
weisst du schon, Andres, dass eines der groessten Kunststuecke meines
Vaters die Bereitung jenes koestlichen wundersamen Liquors war, wozu
das Hauptingredienz das Herzblut von Kindern ist, die neun Wochen,
neun Monate, oder neun Jahre alt und von den Eltern dem Laboranten
freiwillig anvertraut sein muessen. Je naeher die Kinder mit dem
Laboranten in Beziehung stehen, desto wirkungsvoller entsteht aus
ihrem Herzblut Lebenskraft, stete Verjuengung, ja selbst die Bereitung
des kuenstlichen Goldes. Deshalb schlachtete mein Vater seine Kinder
und ich war froh, das Toechterlein, das mir mein Weib geboren, auf
solche verruchte Weise hoeheren Zwecken opfern zu koennen. Noch kann
ich nicht begreifen, auf welche Weise mein Weib die boese Absicht
ahnte; aber sie war vor Ablauf der neunten Woche verschwunden und erst
nach mehrern Jahren erfuhr ich, dass sie in Neapel gestorben sei und
ihre Tochter Giorgina bei einem graemlichen geizhalsigen Gastwirt
erzogen wuerde. Ebenso wurde mir ihre Verheiratung mit dir und dein
Aufenthalt bekannt. Nun kannst du dir erklaeren, Andres, warum ich
deinem Weibe gewogen war und warum ich, ganz erfuellt von meinen
verruchten Teufelskuensten, deinen Kindern so nachstellte. - Aber
dir, Andres, dir allein und deiner wunderbaren Rettung durch Gottes
Allmacht verdanke ich meine tiefe Reue, meine innere Zerknirschung.
Uebrigens ist das Kistchen mit Kleinodien, das ich deinem Weibe
gab, dasjenige, welches ich auf des Vaters Geheiss aus den Flammen
rettete, du kannst es getrost aufbewahren fuer deinen Knaben." - "Das
Kistchen", fiel Andres ein, "hat Euch ja Giorgina wiedergegeben an
jenem schrecklichen Tag, da Ihr den graesslichen Mord veruebtet?"

"Allerdings", erwiderte Trabacchio; "allein ohne dass es Giorgina
wusste, kam es wieder in Euern Besitz. Seht nur nach in der grossen
schwarzen Truhe, die in Euerm Hausflur steht, da werdet Ihr das
Kistchen auf dem Boden finden." Andres suchte in der Truhe und fand
das Kistchen wirklich ganz in dem Zustande wieder, wie er es damals
zum erstenmal von Trabacchio in Verwahrung erhalten.

Andres fuehlte in sich unheimlichen Unmut, ja er konnte sich des
Wunsches nicht erwehren, dass Trabacchio tot gewesen sein moege, als
er ihn im Graben fand. Freilich schien Trabacchios Reue und Busse
wahrhaft zu sein; denn ohne seine Klause zu verlassen, brachte er
seine Zeit nur damit hin, in andaechtigen Buechern zu lesen und seine
einzige Ergoetzlichkeit war die Unterhaltung mit dem kleinen Georg,
den er ueber alles zu lieben schien. Andres beschloss indessen doch
auf seiner Hut zu sein und eroeffnete bei erster Gelegenheit das
ganze Geheimnis dem Grafen von Vach, der ueber das seltene Spiel des
Schicksals nicht wenig verwundert war. So vergingen einige Monate, der
Spaetherbst war eingetreten und Andres mehr auf der Jagd, als sonst.
Der Kleine blieb gewoehnlich bei dem Grossvater und einem alten
Jaeger, der um das Geheimnis wusste. Eines Abends war Andres von der
Jagd zurueckgekehrt, als der alte Jaeger hineintrat und nach seiner
treuherzigen Weise anfing: "Herr, Ihr habt einen boesen Kumpan im
Hause. Zu dem kommt der Gottseibeiuns! durchs Fenster und geht wieder
ab in Rauch und Dampf." Dem Andres wurde es bei dieser Rede zumut, als
haett ihn ein Blitzstrahl getroffen. Er wusste nur zu genau, was das
zu bedeuten hatte; als ihm der alte Jaeger weiter erzaehlte, wie
er schon mehrere Tage hintereinander in spaeter Abenddaemmerung
in Trabacchios Zimmer seltsame Stimmen gehoert, die wie im Zank
durcheinander geplappert, und heute zum zweitenmal habe es ihm, indem
er Trabacchios Tuere schnell geoeffnet, geschienen, als rausche eine
Gestalt im roten goldverbraemten Mantel zum Fenster hinaus. In vollem
Zorn eilte Andres herauf zum Trabacchio, hielt ihm vor, was sein
Jaeger ausgesagt und kuendigte ihm an, dass er sich's gefallen lassen
muesse, ins Schlossgefaengnis gesperrt zu werden, wenn er nicht allen
boesen Tritten entsage. Trabacchio blieb ruhig, und erwiderte im
wehmuetigen Ton: "Ach, lieber Andres! nur zu wahr ist es, dass
mein Vater, dessen Stuendlein noch immer nicht gekommen, mich auf
unerhoerte Weise peinigt und quaelt. Er will, dass ich mich ihm wieder
zuwende, und der Froemmigkeit, dem Heil meiner Seele entsage, allein
ich bin standhaft geblieben, und glaube nicht, dass er wiederkehren
wird, da er gesehen, dass er nicht mehr ueber mich Macht hat. Bleibe
ruhig, lieber Sohn Andres! und lass mich bei dir als ein frommer
Christ versoehnt mit Gott sterben!" In der Tat schien auch die
feindliche Gestalt auszubleiben, indessen war es, als wuerden
Trabacchios Augen wieder gluehender, er laechelte zuweilen so seltsam
hoehnisch, wie sonst. Waehrend der Betstunde, die Andres jeden Abend
mit ihm zu halten pflegte, schien er oft krampfhaft zu erzittern;
zuweilen strich eine seltsam pfeifende Zugluft durch das Zimmer,
welche die Blaetter der Gebetbuecher raschelnd umschlug, ja die
Buecher selbst dem Andres aus den Haenden warf. "Gottloser Trabacchio,
verruchter Satan! _Du_ bist es, der hier hoellischen Spuk treibt! Was
willst du von mir? hebe dich weg, denn du hast keine Macht ueber mich!
- hebe dich weg!" - So rief Andres mit starker Stimme! Da lachte es
hoehnisch durch das Zimmer hin, und schlug wie mit schwarzen Fittigen
an das Fenster. Und doch war es nur der Regen, der an das Fenster
geschlagen, und der Herbstwind, der durch das Zimmer geheult, wie
Trabacchio meinte, als das Unwesen wieder einmal recht arg war und
Georg vor Angst weinte.

"Nein", rief Andres: "Euer gottloser Vater koennte hier nicht so
herumspuken, wenn Ihr aller und jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt
haettet. Ihr muesst fort von mir. Eure Wohnung ist Euch laengst
bereitet. Ihr muesst fort ins Schlossgefaengnis; dort moeget Ihr Euern
Spuk treiben wie Ihr wollt." Trabacchio weinte heftig, er bat um aller
Heiligen willen ihn im Hause zu dulden und Georg, ohne zu begreifen,
was das alles wohl bedeute, stimmte in seine Bitten ein. "So bleibt
denn noch morgen hier", sagte Andres, "ich will sehen, wie es mit der
Betstunde gehen wird, wenn ich heimkomme von der Jagd." Am andern Tage
gab es herrliches Herbstwetter, und Andres versprach sich eine reiche
Beute. Als er von dem Anstand zurueckkehrte, war es ganz finster
geworden. Er fuehlte sich im innersten Gemuet besonders bewegt; seine
merkwuerdigen Schicksale, Giorginas Bild, sein ermordeter Knabe
traten ihm so lebendig vor Augen, dass er tief in sich gekehrt, immer
langsamer und langsamer den Jaegern nachschlenderte, bis er sich
endlich unversehends auf einem Nebenwege allein im Forst befand.
Im Begriff zurueckzukehren in den breiten Waldweg, wurde er ein
blendendes Licht gewahr, welches durch das dickste Gebuesch flackerte.
Da ergriff ihn eine wunderbare verworrene Ahnung grosser Greueltat,
die veruebt werde; er drang durch das Dickicht, er war dem Feuer nahe,
da stand des alten Trabacchio Gestalt im goldverbraemten Mantel, den
Stossdegen an der Seite, den niedergekrempten Hut mit roter Feder auf
dem Kopfe, das Arzneikistchen unterm Arm. Mit gluehenden Augen blickte
die Gestalt in das Feuer, das wie in rot und blau flammenden Schlangen
unter einer Retorte hervorloderte. Vor dem Feuer lag Georg nackt
ausgebreitet auf einer Art Rost und der verruchte Sohn des satanischen
Doktors hatte hoch das funkelnde Messer erhoben zum Todesstoss. Andres
schrie auf vor Entsetzen; aber sowie der Moerder sich umblickte,
sauste schon die Kugel aus Andres' Buechse und Trabacchio stuerzte mit
zerschmettertem Gehirn ueber das Feuer hin, das im Augenblick erlosch.
Die Gestalt des Doktors war verschwunden. Andres sprang hinzu, stiess
den Leichnam beiseite, band den armen Georg los und trug ihn schnell
fort bis ins Haus. Dem Knaben fehlte nichts; nur die Todesangst hatte
ihn ohnmaechtig gemacht. Den Andres trieb es heraus in den Wald, er
wollte sich von Trabacchios Tode ueberzeugen und den Leichnam gleich
verscharren; er weckte daher den alten Jaeger, der in tiefen,
wahrscheinlich von Trabacchio bewirkten Schlaf gesunken, und beide
gingen mit Laterne, Hacke und Spaten an die nicht weit entlegene
Stelle. Da lag der blutige Trabacchio; aber sowie Andres sich
naeherte, richtete er sich mit halbem Leibe auf, starrte ihn
graesslich an und roechelte dumpf. "Moerder! Moerder des Vaters deines
Weibes, aber meine Teufel sollen dich quaelen!" - "Fahre zur Hoelle,
du satanischer Boesewicht", schrie Andres, der dem Entsetzen, das ihn
uebermannen wollte, widerstand; "fahre hin zur Hoelle, du, der du
den Tod hundertfaeltig verdient hast, dem ich den Tod gab, weil er
versuchten Mord an meinem Kinde, an dem Kinde seiner Tochter verueben
wollte! Du hast nur Busse und Froemmigkeit geheuchelt um schaendlichen
Verrats willen, aber nun bereitet der Satan manche Qual deiner Seele,
die du ihm verkauft." Da sank Trabacchio heulend zurueck und immer
dumpfer und dumpfer wimmernd gab er seinen Geist auf. Nun gruben die
beiden Maenner ein tiefes Loch, in das sie Trabacchios Koerper warfen.
"Sein Blut komme nicht ueber mich!" sprach Andres, "aber ich konnte
nicht anders, ich war dazu ausersehen von Gott, meinen Georg zu retten
und hundertfaeltige Frevel zu raechen. Doch will ich fuer seine Seele
beten und ein kleines Kreuz auf sein Grab stellen." Als andern Tages
Andres dieses Vorhaben ausfahren wollte, fand er die Erde aufgewuehlt,
der Leichnam war verschwunden. Ob das nun von wilden Tieren, oder wie
sonst bewirkt, blieb in Zweifel. Andres ging mit seinem Knaben und dem
alten Jaeger zum Grafen von Vach, und berichtete treulich die ganze
Begebenheit. Der Graf von Vach billigte die Tat des Andres, der zur
Rettung seines Sohnes einen Raeuber und Moerder niedergestreckt hatte
und liess den ganzen Verlauf der Sache niederschreiben und im Archiv
des Schlosses aufbewahren.

Die schreckliche Begebenheit hatte den Andres tief im Innersten
erschuettert, und wohl mochte er sich deshalb, wenn die Nacht
eingebrochen, schlaflos auf dem Lager waelzen. Aber wenn er so
zwischen Wachen und Traeumen hinbruetete, da hoerte er es im Zimmer
knistern und rauschen, und ein roter Schein fuhr hindurch und
verschwand wieder. Sowie er anfing zu horchen und zu schauen, da
murmelte es dumpf. "Nun bist du Meister - du hast den Schatz - du hast
den Schatz - gebeut ueber die Kraft, sie ist dein!" - Dem Andres war
es, als wolle ein unbekanntes Gefuehl ganz eigner Wohlbehaglichkeit
und Lebenslust in ihm aufgehen; aber sowie die Morgenroete durch die
Fenster brach, da ermannte sich Andres und betete, wie er es zu tun
gewohnt, kraeftig und inbruenstig zu dem Herrn, der seine Seele
erleuchtete. "Ich weiss was nun noch meines Amts und Berufs ist, um
den Versucher zu bannen und die Suende abzuwenden von meinem Hause!"
- So sprach Andres, nahm Trabacchios Kistchen und warf es, ohne es zu
oeffnen, in eine tiefe Bergschlucht. Nun genoss Andres eines ruhigen
heitern Alters, das keine feindliche Macht zu zerstoeren vermochte.



Die Jesuiterkirche in G.

In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten
Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich,
nach halsbrechender Fahrt, halbgeraedert, vor dem Wirtshause auf dem
Markte in G. Alles Unglueck, das mir selbst begegnen koennen, war auf
meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten
Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern
Stunden endlich mit Huelfe mehrerer Bauern und meines Bedienten
das baufaellige Reisehaus herbei; die Sachverstaendigen kamen,
schuettelten die Koepfe und meinten, dass eine Hauptreparatur noetig
sei, die zwei, auch wohl drei Tage dauern koenne. Der Ort schien mir
freundlich, die Gegend anmutig und doch erschrak ich nicht wenig ueber
den mir gedrohten Aufenthalt. Warst du, guenstiger Leser! jemals
genoetigt, in einer kleinen Stadt, wo du niemanden - niemanden
kanntest, wo du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat
nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach gemuetlicher Mitteilung
in dir weggezehrt, so wirst du mein Unbehagen mit mir fuehlen. In
dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in allem um uns
her; aber die Kleinstaedter sind wie ein in sich selbst veruebtes,
abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen
Stuecke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissoniert ihren
Ohren und bringt sie augenblicklich zum Schweigen. - Recht misslaunig
schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir ploetzlich ein,
dass ein Freund in der Heimat, der ehemals ein paar Jahre hindurch in
G. gewesen, oft von einem gelehrten geistreichen Manne sprach, mit dem
er damals viel umgegangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war
der Professor im Jesuiter-Kollegio Aloysius Walther. Ich beschloss
hinzugehen und meines Freundes Bekanntschaft fuer mich selbst zu
nutzen. Man sagte mir im Kollegio, dass Professor Walther zwar eben
lese, aber in kurzer Zeit endigen werde, und stellte mir frei, ob
ich wiederkommen, oder in den aeusseren Saelen verweilen wolle. Ich
waehlte das letzte. Ueberall sind die Kloester, die Kollegien, die
Kirchen der Jesuiten in jenem italienischen Stil gebaut, der auf
antike Form und Manier gestuetzt, die Anmut und Pracht dem heiligen
Ernst, der religioesen Wuerde vorzieht. So waren auch hier die hohen,
luftigen, hellen Saele mit reicher Architektur geschmueckt, und
sonderbar genug stachen gegen Heiligenbilder, die hie und da an den
Waenden zwischen ionischen Saeulen hingen, die Superporten ab, welche
durchgehends Genientaenze, oder gar Fruechte und Leckerbissen der
Kueche darstellten. - Der Professor trat ein, ich erinnerte ihn an
meinen Freund, und nahm auf die Zeit meines gezwungenen Aufenthalts
seine Gastlichkeit in Anspruch. Ganz, wie ihn mein Freund beschrieben,
fand ich den Professor; hellgespraechig - weltgewandt - kurz, ganz in
der Manier des hoeheren Geistlichen, der wissenschaftlich ausgebildet,
oft genug ueber das Brevier hinweg in das Leben geschaut hat, um genau
zu wissen, wie es darin hergeht. Als ich sein Zimmer auch mit moderner
Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf meine vorigen Bemerkungen in
den Saelen zurueck, die ich gegen den Professor laut werden liess.
"Es ist wahr", erwiderte er, "wir haben jenen duestern Ernst, jene
sonderbare Majestaet des niederschmetternden Tyrannen, die im
gotischen Bau unsere Brust beklemmt, ja wohl ein unheimliches Grauen
erregt, aus unseren Gebaeuden verbannt, und es ist wohl verdienstlich,
unsern Werken die regsame Heiterkeit der Alten anzueignen." - "Sollte
aber", erwiderte ich, "nicht eben jene heilige Wuerde, jene hohe zum
Himmel strebende Majestaet des gotischen Baues recht von dem wahren
Geist des Christentums erzeugt sein, der, uebersinnlich, dem
sinnlichen, nur in dem Kreis des Irdischen bleibenden Geiste der
antiken Welt geradezu widerstrebt?" - Der Professor laechelte. "Ei",
sprach er, "das hoehere Reich soll man erkennen in dieser Welt und
diese Erkenntnis darf geweckt werden durch heitere Symbole, wie sie
das Leben, ja der aus jenem Reich ins irdische Leben herabgekommene
Geist, darbietet. Unsere Heimat ist wohl dort droben; aber solange wir
hier hausen, ist unser Reich auch von dieser Welt." Jawohl, dachte
ich: in allem was ihr tatet, bewieset ihr, dass euer Reich von dieser
Welt, ja nur allein von dieser Welt ist. Ich sagte aber das, was ich
dachte, keinesweges dem Professor Aloysius Walther, welcher also
fortfuhr: "Was Sie von der Pracht unserer Gebaeude hier am Orte sagen,
moechte sich wohl nur auf die Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier,
wo der Marmor unerschwinglich ist, wo grosse Meister der Malerkunst
nicht arbeiten moegen, hat man sich, der neuern Tendenz gemaess, mit
Surrogaten behelfen muessen. Wir tun viel, wenn wir uns zum polierten
Gips versteigen, mehrenteils schafft nur der Maler die verschiedenen
Marmorarten, wie es eben jetzt in unserer Kirche geschieht, die, Dank
sei es der Freigebigkeit unserer Patronen, neu dekoriert wird." Ich
aeusserte den Wunsch, die Kirche zu sehen; der Professor fuehrte mich
hinab, und als ich in den korinthischen Saeulengang, der das Schiff
der Kirche formte, eintrat, fuehlte ich wohl den nur zu freundlichen
Eindruck der zierlichen Verhaeltnisse. Dem Hochaltare links war ein
hohes Gerueste errichtet, auf dem ein Mann stand, der die Waende
in Giallo antik uebermalte. "Nun wie geht es, Berthold?" rief der
Professor hinauf Der Maler wandte sich nach uns um, aber gleich
fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem er mit dumpfer beinahe
unvernehmbarer Stimme sprach: "Viel Plage - krummes verworrenes Zeug
- kein Lineal zu brauchen - Tiere - Affen - Menschengesichter -
Menschengesichter - o ich elender Tor!" Das letzte rief er laut mit
einer Stimme, die nur der tiefste im Innersten wuehlende Schmerz
erzeugt; ich fuehlte mich auf die seltsamste Weise angeregt, jene
Worte und der Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit er zuvor den
Professor anschaute, brachten mir das ganze zerrissene Leben eines
ungluecklichen Kuenstlers vor Augen. Der Mann mochte kaum ueber
vierzig Jahre alt sein; seine Gestalt, war sie auch durch den
unfoermlichen schmutzigen Maleranzug entstellt, hatte was
unbeschreiblich Edles, und der tiefe Gram konnte nur das Gesicht
entfaerben, das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte, aber nicht
ausloeschen. Ich frug den Professor, was es mit dem Maler wohl fuer
eine Bewandtnis haette. "Es ist ein fremder Kuenstler", erwiderte
er, "der sich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur
der Kirche beschlossen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir
ihm antrugen, mit Freuden, und in der Tat war seine Ankunft ein
Gluecksfall fuer uns; denn weder hier, noch in der Gegend weit umher
haetten wir einen Maler auftreiben koennen, der fuer alles, dessen es
hier zu malen bedarf, so tuechtig gewesen waere. Uebrigens ist es der
gutmuetigste Mensch von der Welt, den wir alle recht lieben, und so
kommt es denn, dass er in unserm Kollegio gut aufgenommen wurde.
Ausser dem ansehnlichen Honorar, das er fuer seine Arbeit erhaelt,
verkoestigen wir ihn; dies ist aber fuer uns ein sehr geringer
Aufwand, denn er ist beinahe zu maessig, welches freilich seinem
kraenklichen Koerper zusagen mag."

"Aber", fiel ich ein, "er schien heute so muerrisch - so aufgeregt."
- "Das hat seine besondere Ursache", erwiderte der Professor, "doch
lassen Sie uns einige schoene Gemaelde der Seiten-Altaere anschauen,
die vor einiger Zeit ein gluecklicher Zufall uns verschaffte. Nur
ein einziges Original, ein Dominichino, ist dabei, die anderen sind
von unbekannten Meistern der italienischen Schule, aber, sind Sie
vorurteilsfrei, so werden Sie gestehen muessen, dass jedes den
beruehmtesten Namen tragen duerfte." Ich fand es ganz so, wie der
Professor gesagt hatte. Es war seltsam, dass das einzige Original
gerade zu den schwaechern Stuecken gehoerte, war es nicht wirklich das
schwaechste, und dass dagegen die Schoenheit mancher Gemaelde ohne
Namen mich unwiderstehlich hinriss. Ueber das Gemaelde eines Altars
war eine Decke herabgelassen; ich frug nach der Ursache. "Dies Bild",
sprach der Professor, "ist das schoenste was wir besitzen, es ist das
Werk eines jungen Kuenstlers der neueren Zeit - gewiss sein letztes,
denn sein Flug ist gehemmt. - Wir mussten in diesen Tagen das Gemaelde
aus gewissen Gruenden verhaengen lassen, doch bin ich vielleicht
morgen, oder uebermorgen imstande, es Ihnen zu zeigen." - Ich wollte
weiter fragen, indessen schritt der Professor rasch durch den Gang
fort, und das war genug, um seine Unlust zu zeigen, mir weiter zu
antworten. Wir gingen in das Kollegium zurueck, und gern nahm ich des
Professors Einladung an, der mit mir nachmittags einen nahgelegenen
Lustort besuchen wollte. Spaet kehrten wir heim, ein Gewitter war
aufgestiegen, und kaum langte ich in meiner Wohnung an, als der Regen
herabstroemte. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, da klaerte sich
der Himmel auf, und nur noch entfernt murmelte der Donner. Durch die
geoeffneten Fenster wehte die laue, mit Wohlgeruechen geschwaengerte,
Luft in das dumpfe Zimmer, ich konnte der Versuchung nicht
widerstehen, unerachtet ich muede genug war, noch einen Gang zu
machen; es glueckte mir, den muerrischen Hausknecht, der schon seit
zwei Stunden schnarchen mochte, zu erwecken, und ihn zu bedeuten, dass
es kein Wahnsinn sei, noch um Mitternacht spazieren zu gehen, bald
befand ich mich auf der Strasse. Als ich bei der Jesuiterkirche
vorueberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenster
strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein
und wurde gewahr, dass vor einer hohen Blende eine Wachsfackel
brannte. Naeher gekommen bemerkte ich, dass vor der Blende ein
Netz von Bindfaden ausgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt
eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die Blende etwas
hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes
mit schwarzer Farbe genau ueberzog. Neben der Leiter auf einer hohen
Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte ueber
den sinnreichen Einfall. Bist du, guenstiger Leser, mit der edlen
Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere Erklaerung
sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold
in die Blende hineinzeichnete, fuer eine Bewandtnis hat. Berthold
sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die
kleine Zeichnung richtig in das Grosse zu uebertragen, musste er
beides, den Entwurf und die Flaeche, worauf der Entwurf ausgefuehrt
werden sollte, dem gewoehnlichen Verfahren gemaess mit einem Netz
ueberziehn. Nun war es aber keine Flaeche, sondern eine halbrunde
Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate, die
die krummen Linien des Netzes auf der Hoehlung bildeten, mit den
geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen
Verhaeltnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher
nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl
huetete ich mich vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen
Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich,
um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer,
vielleicht war es nur Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht
war geroetet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen, und
als er seine Linien fertig gezeichnet, stellte er sich mit in die
Seite gestemmten Haenden vor die Blende hin, und pfiff, die Arbeit
beschauend, ein muntres Liedchen. Nun wandte er sich um und riss das
ausgespannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Gestalt ins Auge, "he
da! he da!" rief er laut: "seid Ihr es Christian?" - Ich trat auf ihn
zu, erklaerte ihm was mich in die Kirche gelockt, und, den sinnreichen
Einfall mit dem Schattennetz hochpreisend, gab ich mich als Kenner und
Ausueber der edlen Malerkunst zu erkennen. Ohne mir darauf weiter zu
antworten, sprach Berthold: "Christian ist auch weiter nichts, als ein
Faulenzer; treu wollte er aushalten bei mir die ganze Nacht hindurch,
und nun liegt er gewiss irgendwo auf dem Ohr! - Mein Werk muss
vorruecken, denn morgen malt sich's vielleicht hier in der Blende
teufelmaessig schlecht - und allein kann ich doch jetzt nichts
machen." Ich erbot mich ihm behilflich zu sein. Er lachte laut auf,
fasste mich bei beiden Schultern und rief.- "Das ist ein exzellenter
Spass; was wird Christian sagen, wenn er morgen merkt, dass er ein
Esel ist, und ich seiner gar nicht bedurft habe? Nun so kommt, fremder
Geselle und Bruder, helft mir erst fein bauen." Er zuendete einige
Kerzen an, wir liefen durch die Kirche, schleppten Boecke und Bretter
herbei und bald stand ein hohes Geruest in der Blende.

"Nun frisch zugereicht", rief Berthold, indem er heraufstieg. Ich
erstaunte ueber die Schnelligkeit, mit der Berthold die Zeichnung ins
Grosse uebertrug; keck zog er seine Linien, niemals gefehlt, immer
richtig und rein. An dergleichen Dinge, in frueherer Zeit gewoehnt,
half ich dem Maler treulich, indem ich, bald oben, bald unter ihm
stehend, die langen Lineale in die angedeuteten Punkte einsetzte
und festhielt, die Kohlen spitz schliff und ihm zureichte usw. "Ihr
seid ja gar ein wackerer Gehuelfe", rief Berthold ganz froehlich,
"und Ihr", erwiderte ich, "in der Tat einer der geuebtesten
Architektur-Maler, die es geben mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen
kecken Faust nie andere Malerei getrieben als diese? - Verzeiht meine
Frage." - "Was meint ihr denn eigentlich?" sprach Berthold, "Nun",
erwiderte ich, "ich meine, dass Ihr zu etwas Besserem taugt, als
Kirchenwaende mit Marmorsaeulen zu bemalen. Architektur-Malerei
bleibt doch immer etwas Untergeordnetes; der Historien-Maler, der
Landschafter steht unbedingt hoeher. Geist und Fantasie, nicht in
die engen Schranken geometrischer Linien gebannt, erheben sich in
freiem Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer Malerei, die
sinnetaeuschende Perspektive, haengt von genauer Berechnung ab, und so
ist die Wirkung das Erzeugnis, nicht des genialen Gedankens, sondern
nur mathematischer Spekulation." Der Maler hatte, waehrend ich dies
sprach, den Pinsel abgesetzt und den Kopf in die Hand gestuetzt.
"Unbekannter Freund", fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an:
"Unbekannter Freund, du frevelst, wenn du die verschiedenen Zweige der
Kunst in Rangordnung stellen willst, wie die Vasallen eines stolzen
Koenigs. Und noch groesserer Frevel ist es, wenn du nur die Verwegenen
achtest, welche taub fuer das Klirren der Sklavenkette, fuehllos fuer
den Druck des Irdischen, sich frei, ja selbst sich Gott waehnen und
schaffen und herrschen wollen ueber Licht und Leben. - Kennst du die
Fabel von dem Prometheus, der Schoepfer sein wollte, und das Feuer
vom Himmel stahl, um seine toten Figuren zu beleben? - Es gelang ihm,
lebendig schritten die Gestalten daher, und aus ihren Augen strahlte
jenes himmlische Feuer, das in ihrem Innern brannte; aber rettungslos
wurde der Frevler, der sich angemasst Goettliches zu fahen, verdammt
zu ewiger fuerchterlicher Qual. Die Brust, die das Goettliche geahnt,
in der die Sehnsucht nach dem Ueberirdischen aufgegangen, zerfleischte
der Geier, den die Rache geboren und der sich nun naehrte von dem
eignen Innern des Vermessenen. Der das Himmlische gewollt, fuehlte
ewig den irdischen Schmerz." - Der Maler stand in sich versunken da.
"Aber", rief ich: "Aber Berthold, wie beziehen Sie das alles auf Ihre
Kunst? Ich glaube nicht, dass irgend jemand es fuer vermessenen Frevel
halten kann, Menschen zu bilden, sei es durch Malerei, oder Plastik."
Wie in bitterm Hohn lachte Berthold auf. "Ha ha - Kinderspiel ist kein
Frevel! - Kinderspiel ist's wie sie's machen, die Leute, die getrost
ihre Pinsel in die Farbentoepfe stecken und eine Leinwand beschmieren,
mit der wahrhaftigen Begier, Menschen darzustellen; aber es kommt
so heraus, als habe, wie es in jenem Trauerspiele steht, irgend ein
Handlanger der Natur versucht Menschen zu bilden, und es sei ihm
misslungen. - Das sind keine freveliche Suender, das sind nur arme
unschuldige Narren! Aber Herr! - wenn man nach dem Hoechsten strebt -
nicht Fleischeslust, wie Tizian - nein das Hoechste der goettlichen
Natur, der Prometheusfunken im Menschen - Herr! - es ist eine Klippe
- ein schmaler Strich, auf dem man steht - der Abgrund ist offen! -
ueber ihm schwebt der kuehne Segler und ein teuflischer Trug laesst
ihn unten - unten _das_ erblicken, was er oben ueber den Sternen
erschauen wollte!" - Tief seufzte der Maler auf, er fuhr mit der Hand
ueber die Stirn, und blickte dann in die Hoehe. "Aber was schwatze ich
mit Euch, Geselle, da drunten fuer tolles Zeug, und male nicht weiter?
- Schaut her Geselle, das nenne ich treu und ehrlich gezeichnet. Wie
herrlich ist die Regel! - alle Linien einen sich zum bestimmten Zweck,
zu bestimmter deutlich gedachter Wirkung. Nur das Gemessene ist rein
menschlich; was drueber geht, vom Uebel. Das Uebermenschliche muss
Gott, oder Teufel sein; sollten beide nicht in der Mathematik von
Menschen uebertroffen werden? Sollt es nicht denkbar sein, dass Gott
uns ausdruecklich erschaffen haette, um das, was nach gemessenen
erkennbaren Regeln darzustellen ist, kurz, das rein Kommensurable,
zu besorgen fuer seinen Hausbedarf, so wie wir unsrerseits wieder
Saegemuehlen und Spinnmaschinen bauen, als mechanische Werkmeister
unseres Bedarfs. Professor Walther behauptete neulich, dass gewisse
Tiere bloss erschaffen waeren, um von andern gefressen zu werden, und
das kaeme doch am Ende zu unserm Nutzen heraus, so wie z.B. die Katzen
den angebornen Instinkt haetten, Maeuse zu fressen, damit diese uns
nicht den Zucker, der zum Fruehstueck bereit laege, wegknappern
sollten. Am Ende hat der Professor recht - Tiere und wir selbst sind
gut eingerichtete Maschinen, um gewisse Stoffe zu verarbeiten, und
zu verknoten fuer den Tisch des unbekannten Koenigs. - Nun frisch -
frisch, Geselle - reiche mir die Toepfe! - Alle Toene hab ich gestern
beim lieben Sonnenlicht abgestimmt, damit mich der Fackelschein nicht
truege, sie stehn numeriert im Winkel. Reich mir Numero eins, mein
Junge! - Grau in Grau! - Und was waere das trockne muehselige Leben,
wenn der Herr des Himmels uns nicht so manches bunte Spielzeug in
die Haende gegeben haette! - Wer artig ist, trachtet nicht, wie der
neugierige Bube, den Kasten zu zerbrechen, in dem es orgelt, wenn er
die aeussere Schraube dreht. - Man sagt, es ist ganz natuerlich, dass
es drinnen klingt; denn ich drehe ja die Schraube! - Indem ich dies
Gebaelk richtig aus dem Augenpunkt aufgezeichnet, weiss ich bestimmt,
dass es sich dem Beschauer plastisch darstellt - Numero zwei
heraufgereicht, Junge! - Nun male ich es aus in den regelrecht
abgestimmten Farben - es erscheint vier Ellen zuruecktretend. Das
weiss ich alles gewiss; oh! man ist erstaunlich klug - wie kommt es,
dass die Gegenstaende in der Ferne sich verkleinern? Die einzige
dumme Frage eines Chinesen koennte selbst den Professor Eytelwein in
Verlegenheit setzen; doch koennte er sich mit dem orgelnden Kasten
helfen und sprechen, er habe manchmal an der Schraube gedreht, und
immer dieselbe Wirkung erfahren - Violett Numero eins, Junge! - ein
anderes Lineal - dicken ausgewaschenen Pinsel! Ach, was ist all unser
Ringen und Streben nach dem Hoeheren anders, als das unbeholfene
bewusstlose Hantieren des Saeuglings, der die Amme verletzt, die ihn
wohltaetig naehrt! - Violett Numero zwei - frisch Junge! - das Ideal
ist ein schnoeder luegnerischer Traum vom gaerenden Blute erzeugt. -
Die Toepfe weg, Junge - ich steige herab. - Der Teufel narrt uns mit
Puppen, denen er Engelsfittige angeleimt." - Nicht moeglich ist es
mir, alles das woertlich zu wiederholen, was Berthold sprach, indem er
rasch fortmalte, und mich ganz wie seinen Handlanger brauchte. In der
angegebenen Manier fuhr er fort, die Beschraenktheit alles irdischen
Beginnens auf das bitterste zu verhoehnen; ach er schaute in die
Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemuets, dessen Klage sich nur
in schneidender Ironie erhebt. Der Morgen daemmerte, der Schein der
Fackel verblasste vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold
malte eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne
Laute - zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepressten Brust. Er hatte
den ganzen Altar mit gehoeriger Farbenabstufung angelegt, und schon
jetzt, ohne weiter ausgefuehrt zu sein, sprang das Gemaelde wunderbar
hervor. "In der Tat herrlich - ganz herrlich", rief ich voll
Bewunderung aus. "Meinen Sie", sprach Berthold mit matter Stimme:
"Meinen Sie, dass etwas daraus werden wird? - Ich gab mir wenigstens
alle Muehe richtig zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr." -
"Keinen Pinselstrich weiter, lieber Berthold!" sprach ich: "es ist
beinahe unglaublich, wie Sie mit einem solchen Werk in wenigen Stunden
so weit vorruecken konnten; aber Sie greifen sich zu sehr an, und
verschwenden Ihre Kraft." - "Und doch", erwiderte Berthold, "sind das
meine gluecklichsten Stunden. - Vielleicht schwatzte ich zu viel, aber
es sind ja nur Worte, in die sich der das Innere zerreissende Schmerz
aufloest." - "Sie scheinen sich sehr ungluecklich zu fuehlen, mein
armer Freund", sprach ich: "irgend ein furchtbares Ereignis trat
feindlich zerstoerend in Ihr Leben!" - Der Maler trug langsam seine
Geraetschaften in die Kapelle, loeschte die Fackel aus, kam dann
auf mich zu, fasste meine Hand und sprach mit gebrochener Stimme:
"Koennten Sie einen Augenblick Ihres Lebens ruhigen, heitern
Geistes sein, wenn Sie sich eines graesslichen, nie zu suehnenden
Verbrechens bewusst waeren?" - Erstarrt blieb ich stehen. Die hellen
Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblasses zerstoertes
Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte
durch die kleine Pforte in das Innere des Kollegiums.

Kaum erwarten konnte ich am folgenden Tage die Stunde, die mir
Professor Walther zum Wiedersehen bestimmt hatte. Ich erzaehlte ihm
den ganzen Auftritt der vorigen Nacht, der mich nicht wenig aufgeregt
hatte; ich schilderte mit den lebendigsten Farben des Malers
wunderliches Benehmen, und verschwieg kein Wort, das er gesprochen,
selbst das nicht, was ihn selbst betroffen. Je mehr ich aber auf des
Professors Teilnahme hoffte, desto gleichgueltiger schien er mir, ja
er laechelte selbst ueber mich auf eine hoechst widrige Weise, als ich
nicht nachliess, von Berthold zu reden und in ihn zu dringen, mir ja
alles, was er von dem Ungluecklichen wuesste, zu sagen. "Es ist ein
wunderlicher Mensch, dieser Maler", fing der Professor an: "sanft -
gutmuetig - arbeitsam - nuechtern, wie ich Ihnen schon frueher sagte,
aber schwachen Verstandes; denn sonst haette er sich nicht durch
irgend ein Ereignis im Leben, sei es selbst ein Verbrechen, das
er beging, herabstimmen lassen vom herrlichen Historienmaler zum
duerftigen Wandpinsler. " Der Ausdruck Wandpinsler aergerte mich
so wie des Professors Gleichgueltigkeit ueberhaupt. Ich suchte
ihm darzutun, dass noch jetzt Berthold ein hoechst achtungswerten
Kuenstler, und der hoechsten regsamen Teilnahme wert sei. "Nun", fing
der Professor endlich an: "wenn Sie einmal unser Berthold in solch
hohem Grade interessiert, so sollen Sie alles, was ich von ihm weiss,
und das ist nicht wenig, ganz genau erfahren. Zur Einleitung dessen,
lassen Sie uns gleich in die Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht
hindurch mit Anstrengung gearbeitet hat, wird er heute vormittags
rasten. Wenn wir ihn in der Kirche faenden, waere mein Zweck
verfehlt." Wir gingen nach der Kirche, der Professor liess das Tuch
von dem verhaengten Gemaelde herunternehmen und in zauberischem Glanze
ging vor mir ein Gemaelde auf, wie ich es nie gesehen. Die Komposition
war wie Raffaels Stil, einfach und himmlisch erhaben! - Maria und
Elisabeth in einem schoenen Garten auf einem Rasen sitzend, vor ihnen
die Kinder Johannes und Christus mit Blumen spielend, im Hintergrunde
seitwaerts eine betende maennliche Figur! - Marias holdes himmlisches
Gesicht, die Hoheit und Froemmigkeit ihrer ganzen Figur erfuellten
mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie war schoen, schoener als
je ein Weib auf Erden, aber so wie Raffaels Maria in der Dresdner
Galerie verkuendete ihr Blick die hoehere Macht der Gottes-Mutter.
Ach! musste vor diesen wunderbaren, von tiefem Schatten umflossenen
Augen nicht in des Menschen Brust die ewigduerstende Sehnsucht
aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoeffneten Lippen nicht troestend,
wie in holden Engels-Melodien, von der unendlichen Seligkeit
des Himmels? - Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der
Himmels-Koenigin, trieb mich ein unbeschreibliches Gefuehl - keines
Wortes maechtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde
ohnegleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgefuehrt, an der
Figur Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen, und der betende
Mann war noch nicht uebermalt. Naeher getreten erkannte ich in
dem Gesicht dieses Mannes Bertholds Zuege. Ich ahnte, was mir der
Professor gleich darauf sagte: "Dieses Bild", sprach er, "ist
Bertholds letzte Arbeit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in
Oberschlesien, wo es von einem unserer Kollegen in einer Versteigerung
gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet ist, liessen
wir es doch statt des elenden Altarblatts, das sonst hier stand,
einfuegen. Als Berthold angekommen war und dies Gemaelde erblickte,
schrie er laut auf und stuerzte bewusstlos zu Boden. Nachher vermied
er sorgfaeltig, es anzublicken und vertraute mir, dass es seine
letzte Arbeit in diesem Fache sei. Ich hoffte ihn nach und nach zur
Vollendung des Bildes zu ueberreden, aber mit Entsetzen und Abscheu
wies er jeden Antrag der Art zurueck. Um ihn nur einigermassen heiter
und kraeftig zu erhalten, musste ich das Bild verhaengen lassen,
solange er in der Kirche arbeitet. Fiel es ihm nur von ungefaehr ins
Auge, so lief er wie von unwiderstehlicher Macht getrieben hin, warf
sich laut schluchzend nieder, bekam seinen Paroxysmus, und war auf
mehrere Tage unbrauchbar." - "Armer - armer ungluecklicher Mann!" rief
ich aus, "welch eine Teufelsfaust griff so grimmig zerstoerend in dein
Leben."-"Oh!" sprach der Professor: "die Hand samt dem Arm ist ihm
an den Leib gewachsen - ja ja! - er selbst war gewiss sein eigner
Daemon - sein Luzifer, der in sein Leben mit der Hoellenfackel
hineinleuchtete. Wenigstens geht das aus seinem Leben sehr deutlich
hervor." Ich bat den Professor, mir doch nur jetzt gleich alles zu
sagen, was er ueber des ungluecklichen Malers Leben wuesste. "Das
wuerde viel zu weitlaeufig sein, und viel zu viel Atem kosten",
erwiderte der Professor. "Verderben wir uns den heitern Tag nicht mit
dem trueben Zeuge! Lassen Sie uns fruehstuecken, und dann nach der
Muehle gehen, wo uns ein tuechtig zubereitetes Mittagsmahl erwartet."
Ich hoerte nicht auf, in den Professor zu dringen, und nach vielem
Hin- und Herreden kam es endlich heraus, dass gleich nach der Ankunft
Bertholds sich ein Juengling, der auf dem Kollegio studierte, mit
voller Liebe an ihn anschloss, dass diesem Berthold nach und nach die
Begebenheiten seines Lebens vertraute, die der junge Mann sorglich
aufschrieb und dem Professor Walther das Manuskript uebergab. "Es
war", sprach der Professor: "solch ein Enthusiast, wie Sie, mein
Herr, mit Ihrer Erlaubnis! Aber das Aufschreiben der wunderlichen
Begebenheiten des Malers diente ihm in der Tat zur trefflichen
Stiluebung." Mit vieler Muehe erhielt ich von dem Professor das
Versprechen, dass er mir abends nach geendeter Lustpartie das
Manuskript anvertrauen wolle. Sei es, dass es die gespannte Neugierde
war, oder war der Professor wirklich selbst daran schuld, kurz,
niemals hab ich mehr Langeweile empfunden, als _den_ Tag. Schon die
Eiskaelte des Professors ruecksichts Bertholds war mir fatal; aber
seine Gespraeche, die er mit den Kollegen, die an dem Mahl teilnahmen,
fuehrte, ueberzeugten mich, dass, trotz aller Gelehrsamkeit, aller
Weltgewandtheit, sein Sinn fuers Hoehere gaenzlich verschlossen, und
er der krasseste Materialist war, den es geben konnte. Das System von
dem Fressen und Gefressenwerden, wie es Berthold anfuehrte, hatte
er wirklich adoptiert. Alles geistige Streben, Erfindungs-,
Schoepfungskraft leitete er aus gewissen Konjunkturen der Eingeweide
und des Magens her, und dabei kramte er noch mehr naerrische abnorme
Einfaelle aus. Er behauptete z.B. sehr ernsthaft, dass jeder Gedanke
durch die Begattung zweier Faeserchen im menschlichen Gehirne erzeugt
wuerde. Ich begriff, auf welche Weise der Professor mit solchen tollen
Dingen den armen Berthold, der in verzweifelter Ironie alle guenstige
Einwirkung des Hoeheren anfocht, quaelen, und in die noch blutenden
Wunden spitze Dolche einsetzen musste. Endlich am Abend gab mir
der Professor ein paar beschriebene Bogen mit den Worten: "Hier,
lieber Enthusiast, ist das Studenten-Machwerk. Es ist nicht uebel
geschrieben, aber hoechst sonderbar und wider alle Regel rueckt der
Herr Verfasser, ohne es weiter anzudeuten, Reden des Malers woertlich
in der ersten Person ein. Uebrigens mache ich Ihnen mit dem Aufsatz,
ueber den ich von Amtswegen verfuegen kann, ein Geschenk, da
ich weiss, dass Sie kein Schriftsteller sind. Der Verfasser der
Fantasiestuecke in Callots Manier haette es eben nach seiner tollen
Manier arg zugeschnitten und gleich drucken lassen, welches ich nicht
von Ihnen zu erwarten habe."

Der Professor Aloysius Walther wusste nicht, dass er wirklich
den reisenden Enthusiasten vor sich hatte, wiewohl er es haette
merken koennen, und so gebe ich dir, mein guenstiger Leser! des
Jesuiten-Studenten kurze Erzaehlung von dem Maler Berthold. Die Weise,
wie er sich mir zeigte, wird dadurch ganz erklaert, und du, o mein
Leser! wirst dann auch gewahren, wie des Schicksals wunderliches Spiel
uns oft zu verderblichem Irrtum treibt.


"Lasst euern Sohn nur getrost nach Italien reisen! Schon jetzt ist
er ein wackrer Kuenstler, und es fehlt ihm hier in D. keinesweges an
Gelegenheit, nach den trefflichsten Originalen jeder Art zu studieren,
aber dennoch darf er nicht hier bleiben. Das freie Kuenstlerleben muss
ihm in dem heitern Kunstlande aufgehen, sein Studium wird dort sich
erst lebendig gestalten, und den eignen Gedanken erzeugen. Das
Kopieren allein hilft ihm nun nichts mehr. Mehr Sonne muss die
aufspriessende Pflanze erhalten, um zu gedeihen und Bluet und Frucht
zu tragen. Euer Sohn hat ein reines wahrhaftiges Kuenstlergemuet,
darum seid um alles uebrige unbesorgt!" So sprach der alte Maler
Stephan Birkner zu Bertholds Eltern. _Die_ rafften alles zusammen was
ihr duerftiger Haushalt entbehren konnte, und statteten den Juengling
aus zur langen Reise. So ward Bertholds heissester Wunsch, nach
Italien zu gehen, erfuellt.

"Als mir Birkner den Entschluss meiner Eltern verkuendete, sprang ich
hoch auf vor Freude und Entzuecken. - Wie im Traum ging ich umher die
Tage hindurch, bis zu meiner Abreise. Es war mir nicht moeglich, auf
der Galerie einen Pinsel anzusetzen. Der Inspektor, alle Kuenstler,
die in Italien gewesen, mussten mir erzaehlen von dem Lande, wo die
Kunst gedeiht. Endlich war Tag und Stunde gekommen. Schmerzlich war
der Abschied von den Eltern, die von duestrer Ahnung gequaelt, dass
sie mich nicht wiedersehen wuerden, mich nicht lassen wollten.
Selbst der Vater, sonst ein entschlossener fester Mann, hatte Muehe,
Fassung zu erringen. 'Italien - Italien wirst du sehen', riefen die
Kunstbrueder, da loderte von tiefer Wehmut nur staerker entzuendet das
Verlangen auf und rasch schritt ich fort - vor der Eltern Hause schien
mir die Bahn des Kuenstlers zu beginnen."

Berthold, in jedem Fache der Malerei vorbereitet, hatte sich doch
vorzueglich der Landschaftsmalerei ergeben, die er mit Liebe und Eifer
trieb. In Rom glaubte er reiche Nahrung fuer diesen Zweig der Kunst
zu finden; es war dem nicht so. Gerade in dem Kreis der Kuenstler
und Kunstfreunde, in dem er sich bewegte, wurde ihm unaufhoerlich
vorgeredet, dass der Historienmaler allein auf der hoechsten Spitze
stehe, und ihm alles uebrige untergeordnet sei. Man riet ihm, wolle
er ein bedeutender Kuenstler werden, doch nur gleich von seinem Fach
abzugehen und sich dem Hoeheren zuzuwenden, und, dies, verbunden
mit dem nie sonst gefehlten Eindruck, den Raffaels maechtige
Fresko-Gemaelde im Vatikan auf ihn machten, bestimmte ihn wirklich,
die Landschaft zu verlassen. Er zeichnete nach jenen Raffaels, er
kopierte kleine Oelgemaelde anderer beruehmter Meister; alles fiel
bei seiner tuechtigen Praktik recht wohl und schicklich aus, aber nur
zu sehr fuehlte er, dass das Lob der Kuenstler und Kenner ihn nur
troesten, aufmuntern sollte. Er sah es ja selbst, dass seinen
Zeichnungen, seinen Kopien alles Leben des Originals fehle. Raffaels,
Correggios himmlische Gedanken begeisterten (so glaubte er) zum
eignen Schaffen, aber sowie er sie in der Fantasie festhalten wollte,
verschwammen sie wie im Nebel, und alles, was er auswendig zeichnete,
hatte, wie jedes nur undeutlich, verworren Gedachte, kein Regen, keine
Bedeutung. Ueber dieses vergebliche Ringen und Streben schlich trueber
Unmut in seine Seele, und oft entrann er den Freunden, um in der
Gegend von Rom Baumgruppen - einzelne landschaftliche Partien heimlich
zu zeichnen und zu malen. Aber auch dies geriet nicht mehr wie sonst,
und zum erstenmal zweifelte er an seinem wahren Kuenstlerberuf.
Die schoensten Hoffnungen schienen untergehn zu wollen. "Ach mein
hochverehrter Freund und Lehrer", schrieb Berthold an Birkner, "Du
hast mir Grosses zugetraut, aber - hier, wo es erst recht licht
werden sollte in meiner Seele, bin ich inne worden, dass das, was
Du wahrhaftes Kuenstlergenie nanntest, nur etwa Talent - aeussere
Fertigkeit der Hand war. Sage meinen Eltern, dass ich bald
zurueckkehren wuerde, um irgend ein Handwerk zu erlernen, das mich
kuenftig ernaehre usw." Birkner schrieb zurueck: "Oh, koennte ich doch
bei Dir sein, mein Sohn! um Dich aufzurichten in Deinem Unmut. Aber
glaube mir, Deine Zweifel sind es gerade, die fuer Dich, fuer Deinen
Kuenstlerberuf sprechen. Der, welcher in stetem unwandelbaren
Vertrauen auf seine Kraft immer fortzuschreiten gedenkt, ist ein
bloeder Tor, der sich selbst taeuscht; denn ihm fehlt ja der
eigentliche Impuls zum Streben, der nur in dem Gedanken der
Mangelhaftigkeit ruht. Harre aus! - Bald wirst Du Dich erkraeftigen,
und dann ruhig, nicht durch das Urteil, durch den Rat der Freunde, die
Dich zu verstehen vielleicht gar nicht imstande, gezuegelt, _den_ Weg
fortwandeln, den Dir Deines Ichs eigne Natur vorgeschrieben. Ob Du
Landschafter bleiben, ob Du Historienmaler werden willst, wirst Du
dann selbst entscheiden koennen, und an keine feindliche Absonderung
der Zweige eines Stammes denken."

Es begab sich, dass gerade zu der Zeit, als Berthold diesen
troestenden Brief von seinem alten Lehrer und Freunde erhielt, sich
Philipp Hackerts Ruhm in Rom verbreitet hatte. Einige von ihm dort
aufgestellte Stuecke von wunderbarer Anmut und Klarheit bewaehrten des
Kuenstlers Ruf und selbst die Historienmaler gestanden, es laege auch
in dieser reinen Nachahmung der Natur viel Grosses und Vortreffliches.
Berthold schoepfte Atem - er hoerte nicht mehr seine Lieblingskunst
verhoehnen, er sah einen Mann, der sie trieb, hochgestellt und
verehrt; wie ein Funke fiel es in seine Seele, dass er nach Neapel
wandern und unter Hackert studieren muesse. Ganz jubilierend schrieb
er an Birkner und an seine Eltern, dass er nun nach hartem Kampf den
rechten Weg gefunden habe, und bald in seinem Fach ein tuechtiger
Kuenstler zu werden hoffe. Freundlich nahm der ehrliche deutsche
Hackert den deutschen Schueler auf, und bald strebte dieser dem Lehrer
in regem Schwunge nach. Berthold erlangte grosse Fertigkeit, die
verschiedenen Baum- und Gestraeucharten der Natur getreu darzustellen;
auch leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und Duftigen, wie es
auf Hackertschen Gemaelden zu finden. Das erwarb ihm vieles Lob, aber
auf ganz eigene Weise schien es ihm bisweilen, als wenn seinen, ja
selbst den Landschaften des Lehrers etwas fehle, das er nicht zu
nennen wusste, und das ihm doch in Gemaelden Claude Lorrains,
ja selbst in Salvator Rosas rauhen Wuesteneien entgegentrat. Es
erhoben sich allerlei Zweifel gegen den Lehrer in ihm, und er wurde
vorzueglich ganz unmutig, wenn Hackert mit angestrengter Muehe totes
Wild malte, das ihm der Koenig zugeschickt. Doch ueberwand er bald
dergleichen, wie er glaubte, freveliche Gedanken und fuhrt fort, mit
frommer Hingebung und deutschem Fleiss nach seines Lehrers Muster zu
arbeiten, so dass er in kurzer Zeit es ihm beinahe gleichtat. So kam
es denn, dass er auf Hackerts ausdruecklichen Anlass eine grosse
Landschaft, die er treu nach der Natur gemalt hatte, zu einer
Ausstellung, die mehrenteils aus Hackertschen Landschaften und
Stilleben bestand, hergeben musste. Alle Kuenstler und Kenner
bewunderten des Juenglings treue saubre Arbeit und priesen ihn laut.
Nur ein aeltlicher, sonderbar gekleideter Mann sagte selbst zu
Hackerts Gemaelden kein Wort, sondern laechelte nur bedeutsam,
wenn die Lobeserhebungen der Menge recht ausgelassen und toll
daherbrausten. Berthold bemerkte deutlich, wie der Fremde, als er vor
seiner Landschaft stand, mit einer Miene des tiefsten Bedauerns den
Kopf schuettelte und dann sich entfernen wollte. Berthold etwas
aufgeblaeht durch das allgemeine Lob, das ihm zuteil geworden, konnte
sich des innern Aergers ueber den Fremden nicht erwehren. Er trat auf
ihn zu und frug, indem er die Worte schaerfer betonte, als gerade
noetig. "Ihr scheint mit dem Bilde nicht zufrieden, mein Herr,
unerachtet es doch wackre Kuenstler und Kenner nicht ganz uebel finden
wollen? Sagt mir gefaelligst, woran es liegt, damit ich die Fehler
nach Euerm guetigen Rat abaendere und bessere." Mit scharfem Blicke
schaute der Fremde Berthold an, und sprach sehr ernst: "Juengling, aus
dir haette viel werden koennen." Berthold erschrak bis ins Innerste
vor des Mannes Blick und seinen Worten; er hatte nicht den Mut,
etwas weiter zu sagen, oder ihm zu folgen, als er langsam zum Saale
hinausschritt. Hackert trat bald darauf selbst hinein, und Berthold
eilte, ihm den Vorfall mit dem wunderlichen Mann zu erzaehlen. "Ach!"
rief Hackert lachend: "Lass dir das ja nicht zu Herzen gehen! Das war
ja unser brummige Alte, dem nichts recht ist, der alles tadelt; ich
begegnete ihm auf dem Vorsaal. Er ist auf Malta von griechischen
Eltern geboren, ein reicher wunderlicher Kauz, gar kein uebler Maler;
aber alles was er macht, hat ein fantastisches Ansehen, welches wohl
daher ruehrt, weil er ueber jede Darstellung durch die Kunst ganz
tolle absurde Meinungen und sich ein kuenstlerisches System gebaut
hat, das den Teufel nichts taugt. Ich weiss recht gut, dass er gar
nichts auf mich haelt, welches ich ihm gern verzeihe, da er mir
wohlerworbnen Ruhm nicht streitig machen wird." Dem Berthold war es
zwar, als habe der Malteser irgend einen wunden Fleck seines Innersten
schmerzhaft beruehrt, aber so wie der wohltaetige Wundarzt, um zu
forschen und zu heilen; indessen schlug er sich das bald aus dem Sinn
und arbeitete froehlich fort, wie zuvor.

Das grosse, wohlgelungene, allgemein bewunderte Bild hatte ihm Mut
gemacht, das Gegenstueck zu beginnen. Einen der schoensten Punkte in
Neapels reicher Umgebung waehlte Hackert selbst aus, und so wie jenes
Bild den Sonnenuntergang darstellte, sollte diese Landschaft im
Sonnenaufgang gehalten werden. Berthold bekam viel fremde Baeume,
viele Weinberge, vorzueglich aber viel Nebel und Duft zu malen.

Auf der Platte eines grossen Steins, eben in jenem von Hackert
gewaehlten Punkte, sass Berthold eines Tages, den Entwurf des grossen
Bildes nach der Natur vollendend. "Wohl getroffen in der Tat!" sprach
es neben ihm. Berthold blickte auf, der Malteser sah in sein Blatt
hinein, und fuegte mit sarkastischem Laecheln hinzu: "Nur eins habt
Ihr vergessen, lieber junger Freund! Schaut doch dort herueber nach
der gruen berankten Mauer des fernen Weinbergs! Die Tuere steht halb
offen; das muesst Ihr ja anbringen mit gehoerigem Schlagschatten - die
halbgeoeffnete Tuere macht erstaunliche Wirkung!" - "Ihr spottet",
erwiderte Berthold, "ohne Ursache, mein Herr! Solche Zufaelligkeiten
sind keinesweges so veraechtlich wie Ihr glaubt und deshalb mag sie
mein Meister wohl anbringen. Erinnert Euch doch nur des aufgehaengten
weissen Tuchs in der Landschaft eines alten niederlaendischen Malers,
das nicht fehlen darf, ohne die Wirkung zu verderben. Aber Ihr scheint
ueberhaupt kein Freund der Landschaftsmalerei, der ich mich nun einmal
ganz ergeben habe mit Leib und Seele, und darum bitt ich Euch, lasst
mich ruhig fortarbeiten." - "Du bist in grossem Irrtum befangen,
Juengling", sprach der Malteser. "Noch einmal sage ich, aus dir haette
viel werden koennen; denn sichtlich zeugen deine Werke das rastlose
Bestreben nach dem Hoeheren, aber nimmer wirst du dein Ziel erreichen,
denn der Weg, den du eingeschlagen, fuehrt nicht dahin. Merk wohl auf,
was ich dir sagen werde! Vielleicht glueckt es mir, die Flamme in
deinem Innern, die du, Unverstaendiger! zu ueberbauen trachtest,
anzumachen, dass sie hell auflodert und dich erleuchtet; dann wirst du
den wahren Geist, der in dir lebt, zu erschauen vermoegen. Haeltst du
mich denn fuer so toericht, dass ich die Landschaft dem historischen
Gemaelde unterordne, dass ich nicht das gleiche Ziel, nach dem beide,
Landschafter und Historienmaler, streben sollen, erkenne? - Auffassung
der Natur in der tiefsten Bedeutung des hoehern Sinns, der alle Wesen
zum hoeheren Leben entzuendet, das ist der heilige Zweck aller Kunst.
Kann denn das blosse genaue Abschreiben der Natur jemals dahin
fuehren? - Wie aermlich, wie steif und gezwungen sieht die nachgemalte
Handschrift in einer fremden Sprache aus, die der Abschreiber nicht
verstand und daher den Sinn der Zuege, die er muehsam abschnoerkelte,
nicht zu deuten wusste. So sind die Landschaften deines Meisters
korrekte Abschriften eines in ihm fremder Sprache geschriebenen
Originals. - Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in
wunderbaren Lauten aus Baum, Gebuesch, Blume, Berg und Gewaesser
von unerforschlichem Geheimnis spricht, die in seiner Brust sich zu
frommer Ahnung gestalten; dann kommt, wie der Geist Gottes selbst, die
Gabe ueber ihn, diese Ahnung sichtlich in seine Werke zu uebertragen.
Ist dir, Juengling! denn bei dem Beschauen der Landschaften alter
Meister nicht ganz wunderbarlich zumute geworden? Gewiss hast du nicht
daran gedacht, dass die Blaetter des Lindenbaums, dass die Pinien, die
Platanen der Natur getreuer, dass der Hintergrund duftiger, das Wasser
klarer sein koennte; aber der Geist, der aus dem Ganzen wehte, hob
dich empor in ein hoeheres Reich, dessen Abglanz du zu schauen
waehntest. - Daher studiere die Natur zwar auch im Mechanischen
fleissig und sorgfaeltig, damit du die Praktik des Darstellens
erlangen moegest, aber halte die Praktik nicht fuer die Kunst selbst.
Bist du eingedrungen in den tiefern Sinn der Natur, so werden selbst
in deinem Innern ihre Bilder in hoher glaenzender Pracht aufgehen."
- Der Malteser schwieg; als aber Berthold tief ergriffen, gebueckten
Hauptes, keines Wortes maechtig dastand, verliess ihn der Malteser mit
den Worten: "Ich habe dich durchaus nicht verwirren wollen in deinem
Beruf; aber ich weiss, dass ein hoher Geist in dir schlummert: ich
rief ihn an mit starken Worten, damit er erwache und frisch und frei
seine Fittige rege. Lebe wohl!"

Dem Berthold war es so, als habe der Malteser nur dem, was in seiner
Seele gaerte und brauste, Worte gegeben; die innere Stimme brach
hervor. - "Nein! Alles dieses Streben - dieses Muehen ist das
ungewisse, truegerische Umhertappen des Blinden, weg - weg mit allem,
was mich geblendet bis jetzt!" - Er war nicht imstande auch nur einen
Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verliess seinen Meister,
und streifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, dass die
hoehere Erkenntnis, von der der Malteser gesprochen, ihm aufgehen
moege.

"Nur in suessen Traeumen war ich gluecklich - selig. Da wurde alles
wahr, was der Malteser gesprochen. Ich lag von zauberischen Dueften
umspielt im gruenen Gebuesch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar
im melodisch klingenden Wehen durch den dunklen Wald. - 'Horch -
horch auf - Geweihter! Vernimm die Urtoene der Schoepfung, die sich
gestalten zu Wesen deinem Sinn empfaenglich.' - Und indem ich die
Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen hoerte, war es, als sei
ein neuer Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das
erfasste, was mir unerforschlich geschienen. - Wie in seltsamen
Hieroglyphen zeichnete ich das mir aufgeschlossene Geheimnis mit
Flammenzuegen in die Luefte; aber die Hieroglyphen-Schrift war eine
wunderherrliche Landschaft, auf der Baum, Gebuesch, Blume, Berg und
Gewaesser, wie in lautem wonnigem Klingen sich regten und bewegten."

Doch eben nur im Traume kam solche Seligkeit ueber den armen Berthold,
dessen Kraft gebrochen, und der im Innersten verwirrter war, als in
Rom, da er Historienmaler werden wollte. Schritt er durch den dunklen
Wald, so ueberfiel ihn ein unheimliches Grauen; trat er heraus, und
schaute in die fernen Berge, so griff es wie mit eiskalten Krallen
in seine Brust - sein Atem stockte - er wollte vergehen vor innerer
Angst. Die ganze Natur, ihm sonst freundlich laechelnd, ward ihm zum
bedrohlichen Ungeheuer, und ihre Stimme, die sonst in des Abendwindes
Saeuseln, in dem Plaetschern des Baches, in dem Rauschen des
Gebuesches mit suessem Wort ihn begruesst, verkuendete ihm nun
Untergang und Verderben. Endlich wurde er, je mehr ihn jene holden
Traeume troesteten, desto ruhiger, doch mied er es im Freien allein zu
sein, und so kam es, dass er sich zu ein paar muntern deutschen Malern
gesellte, und mit ihnen haeufig Ausfluege nach den schoensten Gegenden
Neapels machte.

Einer von ihnen, wir wollen ihn Florentin nennen, hatte es in dem
Augenblick nicht sowohl auf tiefes Studium seiner Kunst, als auf
heitern Lebensgenuss abgesehen, seine Mappe zeugte davon. - Gruppen
tanzender Bauernmaedchen - Prozessionen laendliche Feste - alles das
wusste Florentin, so wie es ihm aufstiess, mit sichrer leichter Hand
schnell aufs Blatt zu werfen. Jede Zeichnung, war sie auch kaum mehr
als Skizze, hatte Leben und Bewegung. Dabei war Florentins Sinn
keinesweges fuer das Hoehere verschlossen; im Gegenteil drang er mehr,
als je ein moderner Maler, tief ein in den frommen Sinn der Gemaelde
alter Meister. In sein Malerbuch hatte er die Fresko-Gemaelde einer
alten Klosterkirche in Rom, ehe die Mauern eingerissen wurden, in
blossen Umrissen hineingezeichnet. Sie stellten das Martyrium der
heiligen Katharina dar. Man konnte nichts Herrlicheres, reiner
Aufgefasstes sehen, als jene Umrisse, die auf Berthold einen ganz
eignen Eindruck machten. Er sah Blitze leuchten durch die finstre
Oede, die ihn umfangene und es kam dahin, dass er fuer Florentins
heiteren Sinn empfaenglich wurde, und da dieser zwar den Reiz der
Natur, in ihr aber bestaendig mehr das menschliche Prinzip mit reger
Lebendigkeit auffasste, eben dieses Prinzip fuer den Stuetzpunkt
erkannte, an den er sich halten muesse, um nicht gestaltlos im leeren
Raum zu verschwimmen. Waehrend Florentin irgend eine Gruppe, der er
begegnete, schnell zeichnete, hatte Berthold des Freundes Malerbuch
aufgeschlagen, und versuchte Katharinas wunderholde Gestalt
nachzubilden, welches ihm endlich so ziemlich glueckte, wiewohl er,
so wie in Rom vergebens darnach strebte, seine Figuren dem Original
gleich zu beleben. Er klagte dies dem, wie er glaubte, an wahrer
Kuenstlergenialitaet ihm weit ueberlegenen Florentin, und erzaehlte
zugleich, wie der Malteser zu ihm ueber die Kunst gesprochen. "Ei,
lieber Bruder Berthold!" sprach Florentin: "der Malteser hat in der
Tat recht, und ich stelle die wahre Landschaft den tief bedeutsamen
heiligen Historien, wie sie die alten Maler darstellen, voellig
gleich. Ja, ich halte sogar dafuer, dass man erst durch das Darstellen
der uns naeher liegenden organischen Natur sich staerken muesse, um
Licht zu finden in ihrem naechtlichen Reich. Ich rate dir Berthold,
dass du dich gewoehnst Figuren zu zeichnen, und in ihnen deine
Gedanken zu ordnen; vielleicht wird es dann heller um dich werden."
Berthold tat so wie ihm der Freund geboten, und es war ihm, als
zoegen die finstern Wolkenschatten, die sich ueber sein Leben gelegt,
vorueber.

"Ich muehte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern
lag, wie in jenem Traum hieroglyphisch darzustellen, aber die Zuege
dieser Hieroglyphenschrift waren menschliche Figuren, die sich in
wunderlicher Verschlingung um einen Lichtpunkt bewegten. - Dieser
Lichtpunkt sollte die herrlichste Gestalt sein, die je eines Bildners
Fantasie aufgegangen; aber vergebens strebte ich, wenn sie im Traume
von Himmelsstrahlen umflossen mir erschien, ihre Zuege zu erfassen.
Jeder Versuch, sie darzustellen, misslang auf schmaehliche Weise, und
ich verging in heisser Sehnsucht." - Florentin bemerkte den bis zur
Krankheit aufgeregten Zustand des Freundes, er troestete ihn, so
gut er es vermochte. Oft sagte er ihm, dass dies eben die Zeit des
Durchbruchs zur Erleuchtung sei; aber wie ein Traeumer schlich
Berthold einher, und alle seine Versuche blieben nur ohnmaechtige
Anstrengungen des kraftlosen Kindes.

Unfern Neapel lag die Villa eines Herzogs, die, weil sie die schoenste
Aussicht nach dem Vesuv und ins Meer hinein gewaehrte, den fremden
Kuenstlern, vorzueglich den Landschaftern gastlich geoeffnet war.
Berthold hatte hier oefters gearbeitet, oefter noch in einer Grotte
des Parks zur guten Zeit sich dem Spiel seiner fantastischen Traeume
hingegeben. Hier in dieser Grotte sass er eines Tages, von gluehender
Sehnsucht, die seine Brust zerriss, gemartert, und weinte heisse
Traenen, dass der Stern des Himmels seine dunkle Bahn erleuchten
moege; da rauschte es im Gebuesch, und die Gestalt eines
hochherrlichen Weibes stand vor der Grotte.

"Die vollen Sonnenstrahlen fielen in das Engelsgesicht. - Sie schaute
mich an mit unbeschreiblichen Blick. - Die heilige Katharina -
nein, mehr als sie - mein Ideal, mein Ideal war es! Wahnsinnig vor
Entzuecken stuerzte ich nieder, da verschwebte die Gestalt freundlich
laechelnd! - Erhoert war mein heissestes Gebet!"

Florentin trat in die Grotte, er erstaunte ueber Berthold, der mit
verklaertem Blick ihn an sein Herz drueckte. - Traenen stuerzten ihm
aus den Augen - "Freund - Freund!" stammelte er: "ich bin gluecklich -
selig - sie ist gefunden - gefunden!" Rasch schritt er fort, in seine
Werkstatt - er spannte die Leinwand auf, er fing an zu malen. Wie
von goettlicher Kraft beseelt, zauberte er mit der vollen Glut des
Lebens das ueberirdische Weib, wie es ihm erschienen, hervor. - Sein
Innerstes war von diesem Augenblicke ganz umgewendet. Statt des
Truebsinns, der an seinem Herzmark gezehrt hatte, erhob ihn Frohsinn
und Heiterkeit. Er studierte mit Fleiss und Anstrengung die
Meisterwerke der alten Maler. Mehrere Kopien gelangen ihm
vortrefflich, und nun fing er an selbst Gemaelde zu schaffen, die alle
Kenner in Erstaunen setzten. An Landschaften war nicht mehr zu denken,
und Hackert bekannte selbst, dass der Juengling nun erst seinen
eigentlichen Beruf gefunden habe. So kam es, dass er mehrere grosse
Werke, Altarblaetter fuer Kirchen, zu malen bekam. Er waehlte
mehrenteils heitere Gegenstaende christlicher Legenden, aber ueberall
strahlte die wunderherrliche Gestalt seines Ideals hervor. Man fand,
dass Gesicht und Gestalt der Prinzessin Angiola T... zum Sprechen
aehnlich sei, man aeusserte dies dem jungen Maler selbst, und
Schlaukoepfe gaben spoettisch zu verstehen, der deutsche Maler sei
von dem Feuerblick der wunderschoenen Donna tief ins Herz getroffen.
Berthold war hoch erzuernt ueber das alberne Gewaesch der Leute, die
das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen wollten. "Glaubt ihr
denn", sprach er, "dass solch ein Wesen wandeln koenne hier auf Erden?
In einer wunderbaren Vision wurde mir das Hoechste erschlossen;
es war der Moment der Kuenstlerweihe." - Berthold lebte nun froh
und gluecklich, bis nach Bonapartes Siegen in Italien sich die
franzoesische Armee dem Koenigreich Neapel nahte, und die alle ruhigen
gluecklichen Verhaeltnisse furchtbar zerstoerende Revolution ausbrach.
Der Koenig hatte mit der Koenigin Neapel verlassen, die Citta
war angeordnet. Der General-Vikar schloss mit dem franzoesischen
General einen schmachvollen Waffenstillstand, und bald kamen die
franzoesischen Kommissarien, um die Summe, die gezahlt werden sollte,
in Empfang zu nehmen. Der General-Vikar entfloh, um der Wut des Volks,
das sich von ihm, von der Citta, von allen, die ihm Schutz gewaehren
konnten gegen den andringenden Feind, verlassen glaubte, zu entgehen.
Da waren alle Bande der Gesellschaft geloest; in wilder Anarchie
verhoehnte der Poebel Ordnung und Gesetz, und unter dem Geschrei:
"Viva la santa fede" rannten seine wahnsinnigen Horden durch die
Strassen, die Haeuser der Grossen, von welchen sie sich an den Feind
verkauft waehnten, pluendernd und in Brand steckend. Vergebens waren
die Bemuehungen Moliternos und Rocca Romanas, Guenstlinge des Volks
und zu Anfuehrern gewaehlt, die Rasenden zu baendigen. Die Herzoge
della Torre und Clemens Filomarino waren ermordet, aber noch war des
wuetenden Poebels Blutdurst nicht gestillt. - Berthold hatte sich aus
einem brennenden Hause nur halb angekleidet gerettet, er stiess auf
einen Haufen des Volks, der mit angezuendeten Fackeln und blinkenden
Messern nach dem Palast des Herzogs von T. eilte. Ihn fuer
ihresgleichen haltend, draengten sie ihn mit sich fort - "viva la
santa fede" bruellten die Wahnsinnigen, und in wenigen Minuten waren
der Herzog - die Bediensteten, alles was sich widersetzte, ermordet,
und der Palast loderte hoch in Flammen auf. - Berthold war immer fort
und fort in den Palast hineingedraengt. - Dicker Rauch wallte durch
die langen Gaenge. - Er lief schnell durch die aufgesprengten Zimmer,
aufs neue in Gefahr, in den Flammen umzukommen - vergebens den Ausgang
suchend. - Ein schneidendes Angstgeschrei schallt ihm entgegen - er
stuerzt durch den Saal. - Ein Weib ringt mit einem Lazzarone, der es
mit starker Faust erfasst hat, und im Begriff ist ihm das Messer in
die Brust zu stossen. - Es ist die Prinzessin - es ist Bertholds
Ideal! - Bewusstlos vor Entsetzen, springt Berthold hinzu - den
Lazzarone bei der Gurgel packen - ihn zu Boden werfen, ihm sein eignes
Messer in die Kehle stossen - die Prinzessin in die Arme nehmen - mit
ihr fliehen durch die flammenden Saele - die Treppen hinab - fort
fort, durch das dickste Volksgewuehl - alles das ist die Tat eines
Moments! - Keiner hielt den fliehenden Berthold auf, mit dem blutigen
Messer in der Hand, vom Dampfe schwarz gefaerbt, in zerrissenen
Kleidern sah das Volk in ihm den Moerder und Pluenderer, und goennte
ihm seine Beute. In einem oeden Winkel der Stadt unter einem alten
Gemaeuer, in das er, wie aus Instinkt, sich vor der Gefahr zu
verbergen gelaufen, sank er ohnmaechtig nieder. Als er erwachte,
kniete die Prinzessin neben ihm, und wusch seine Stirne mit kaltem
Wasser. "O Dank!" lispelte sie mit wunderlieblicher Stimme; "Dank
den Heiligen, dass du erwacht bist, du mein Rettet, mein alles!" -
Berthold richtete sich auf, er waehnte zu traeumen, er blickte mit
starren Augen die Prinzessin an -ja sie war es selbst - die herrliche
Himmelsgestalt, die den Goetterfunken in seiner Brust entzuendet. -
"Ist es moeglich - ist es wahr - lebe ich denn?" rief er aus. "Ja,
du lebst", sprach die Prinzessin - "du lebst fuer mich; was du nicht
zu hoffen wagtest, geschah wie durch ein Wunder. Oh, ich kenne dich
wohl, du bist der deutsche Maler Berthold, du liebtest mich ja, und
verherrlichtest mich in deinen schoensten Gemaelden. - Konnte ich
denn dein sein? - Aber nun bin ich es immerdar und ewig. - Lass uns
fliehen, o lass uns fliehen!" - Ein sonderbares Gefuehl, wie wenn
jaehlinger Schmerz suesse Traeume zerstoert, durchzuckte Berthold bei
diesen Worten der Prinzessin. Doch als das holde Weib ihn mit den
vollen schneeweissen Armen umfing, als er sie ungestuem an seinen
Busen drueckte, da durchbebten ihn suesse nie gekannte Schauer und im
Wahnsinn des Entzueckens hoechster Erdenlust rief er aus: "Oh, kein
Trugbild des Traumes - nein! es ist mein Weib, das ich umfange, es nie
zu lassen - das meine gluehende duerstende Sehnsucht stillt!"

Aus der Stadt zu fliehen war unmoeglich; denn vor den Toren stand das
franzoesische Heer, dem das Volk, war es gleich schlecht bewaffnet
und ohne alle Anfuehrung, zwei Tage hindurch den Einzug in die
Stadt streitig machte. Endlich gelang es Berthold mit Angiola von
Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel, und dann aus der Stadt zu fliehen.
Angiola, von heisser Liebe zu ihrem Retter entbrannt, verschmaehte es
in Italien zu bleiben, die Familie sollte sie fuer tot halten, und so
Bertholds Besitz ihr gesichert bleiben. Ein diamantnes Halsband und
kostbare Ringe, die sie getragen, waren hinlaenglich, in Rom (bis
dahin waren sie langsam fortgepilgert) sich mit allen noetigen
Beduerfnissen zu versehen, und so kamen sie gluecklich nach M. im
suedlichen Deutschland, wo Berthold sich niederzulassen, und durch
die Kunst sich zu ernaehren gedachte. - War's denn nicht ein nie
getraeumtes, nie geahntes Glueck, dass Angiola, das himmlischschoene
Weib, das Ideal seiner wonnigsten Kuenstlertraeume sein werden
muesste, unerachtet sich alle Verhaeltnisse des Lebens, wie eine
unuebersteigbare Mauer zwischen ihm und der Geliebten auftuermten? -
Berthold konnte in der Tat dies Glueck kaum fassen, und schwelgte in
namenlosen Wonnen, bis lauter und lauter die innere Stimme ihn mahnte,
seiner Kunst zu gedenken. In M. beschloss er seinen Ruf durch ein
grosses Gemaelde zu begruenden, das er fuer die dortige Marienkirche
malen wollte. Der einfache Gedanke, Maria und Elisabeth in einem
schoenen Garten auf einem Rasen sitzend, die Kinder Christus und
Johannes vor ihnen im Grase spielend, sollte der ganze Vorwurf des
Bildes sein, aber vergebens war alles Ringen nach einer reinen
geistigen Anschauung des Gemaeldes. So wie in jener ungluecklichen
Zeit der Krisis, verschwammen ihm die Gestalten, und nicht die
himmlische Maria, nein, ein irdisches Weib, ach seine Angiola selbst
stand auf greuliche Weise verzerrt, vor seines Geistes Augen. - Er
gedachte Trotz zu bieten der unheimlichen Gewalt, die ihn zu erfassen
schien, er bereitete die Farben, er fing an zu malen; aber seine Kraft
war gebrochen, all sein Bemuehen, so wie damals, nur die ohnmaechtige
Anstrengung des unverstaendigen Kindes. Starr und leblos blieb was er
malte, und selbst Angiola - Angiola, sein Ideal, wurde, wenn sie ihm
sass und er sie malen wollte, auf der Leinwand zum toten Wachsbilde,
das ihn mit glaesernen Augen anstierte. Da schlich sich immer mehr
und mehr trueber Unmut in seine Seele, der alle Freude des Lebens
wegzehrte. Er wollte - er konnte nicht weiter arbeiten, und so kam es,
dass er in Duerftigkeit geriet, die ihn desto mehr niederbeugte, je
weniger Angiola auch nur ein Wort der Klage hoeren liess.

"Der immer mehr in mein Innerstes hereinzehrende Gram, erzeugt von
stets getaeuschter Hoffnung, wenn ich immer vergebens Kraefte aufbot,
die nicht mehr mein waren, versetzte mich bald in einen Zustand, der
dem Wahnsinne gleich zu achten war. Mein Weib gebar mir einen Sohn,
das vollendete mein Elend und der lange verhaltene Groll brach aus in
hell aufflammenden Hass. _Sie_, _sie_ allein schuf mein Unglueck. Nein
- sie war nicht das Ideal, das mir erschien, nur mir zum rettungslosen
Verderben hatte sie truegerisch jenes Himmelsweibes Gestalt und
Gesicht geborgt. In wilder Verzweiflung fluchte ich ihr und dem
unschuldigen Kinde. - Ich wuenschte beider Tod, damit ich erloest
werden moege von der unertraeglichen Qual, die wie mit gluehenden
Messern in mir wuehlte! - Gedanken der Hoelle stiegen in mir auf.
Vergebens las ich in Angiolas leichenblassem Gesicht, in ihren Traenen
mein rasendes freveliches Beginnen. - 'Du hast mich um mein Leben
betrogen, verruchtes Weib', bruellte ich auf, und stiess sie mit
dem Fusse von mir, wenn sie ohnmaechtig niedersank, und meine Knie
umfasste."

Bertholds grausames wahnsinniges Betragen gegen Weib und Kind erregte
die Aufmerksamkeit der Nachbaren, die es der Obrigkeit anzeigten. Man
wollte ihn verhaften, als aber die Polizeidiener in seine Wohnung
traten, war er samt Frau und Kind spurlos verschwunden. Berthold
erschien bald darauf zu N. in Oberschlesien; er hatte sich seines
Weibes und Kindes entledigt, und fing voll heitern Mutes an, das Bild
zu malen, das er in M. vergebens begonnen hatte. Aber nur die Jungfrau
Maria und die Kinder Christus und Johannes konnte er vollenden,
dann fiel er in eine furchtbare Krankheit, die ihn dem Tode, den er
wuenschte, nahe brachte. Um ihn zu pflegen, hatte man alle seine
Geraetschaften und auch jenes unvollendete Gemaelde verkauft, und er
zog, nachdem er nur einigermassen sich wieder erkraeftigt, als ein
siecher elender Bettler von dannen. In der Folge naehrte er sich
duerftig durch Wandmalerei, die ihm hie und da uebertragen wurde.


"Bertholds Geschichte hat etwas Entsetzliches und Grauenvolles",
sprach ich zu dem Professor, "ich halte ihn, unerachtet er es nicht
geradezu ausgesprochen, fuer den ruchlosen Moerder seines unschuldigen
Weibes und seines Kindes." - "Es ist ein wahnsinniger Tor", erwiderte
der Professor, "dem ich den Mut zu solcher Tat gar nicht zutraue.
Ueber diesen Punkt laesst er sich niemals deutlich aus, und es ist die
Frage, ob er sich nicht bloss einbildet, an dem Tode seiner Frau und
seines Kindes schuld zu sein; er malt eben wieder Marmor, erst in
kuenftiger Nacht vollendet er den Altar, dann ist er bei guter Laune,
und Sie koennen vielleicht mehr ueber jenen kitzlichen Punkt von ihm
herausbekommen." - Ich muss gestehen, dass, dachte ich es mir lebhaft,
um Mitternacht mit Berthold allein in der Kirche mich zu befinden,
mir, nachdem ich seine Geschichte gelesen, ein leiser Schauer durch
die Glieder lief. Ich meinte, er koennte mitunter was weniges der
Teufel sein, trotz seiner Gutmuetigkeit und seines treuherzigen
Wesens, und wollte mich deshalb lieber gleich mittags im lieben
heitern Sonnenschein mit ihm abfinden.

Ich fand ihn auf dem Gerueste muerrisch und in sich gekehrt,
Marmoradern sprenkelnd; zu ihm herausgestiegen, reichte ich ihm
stillschweigend die Toepfe. Erstaunt sah er sich nach mir um, "ich
bin ja Ihr Handlanger", sprach ich leise, das zwang ihm ein Laecheln
ab. Nun fing ich an von seinem Leben zu sprechen, so dass er merken
musste, ich wisse alles, und er schien zu glauben, er habe mir
alles selbst in jener Nacht erzaehlt. Leise - leise kam ich auf
die graessliche Katastrophe, dann sprach ich ploetzlich: "Also
in heillosem Wahnsinn mordeten Sie Weib und Kind?" - Da liess er
Farbentopf und Pinsel fallen, und rief, mich mit graesslichem Blick
anstarrend und beide Haende hoch erhebend: "Rein sind diese Haende vom
Blute meines Weibes, meines Sohnes! Noch ein solches Wort, und ich
stuerze mich mit Euch hier vom Gerueste herab, dass unsere Schaedel
zerschellen auf dem steinernen Boden der Kirche!" - Ich befand mich
in dem Augenblick wirklich in seltsamer Lage, am besten schien es mir
mit ganz Fremden hineinzufahren. "O sehn Sie doch, lieber Berthold",
sprach ich so ruhig und kalt, als es mir moeglich war, "wie das
haessliche Dunkelgelb auf der Wand dort so verfliesst." Er schauete
hin, und indem er das Gelb mit dem Pinsel verstrich, stieg ich leise
das Geruest herab, verliess die Kirche und ging zum Professor, um mich
ueber meinen bestraften Vorwitz tuechtig auslachen zu lassen.

Mein Wagen war repariert und ich verliess G., nachdem mir der
Professor Aloysius Walther feierlich versprochen, sollte sich etwas
Besonderes mit Berthold ereignen, mir es gleich zu schreiben.

Ein halbes Jahr mochte vergangen sein, als ich wirklich von dem
Professor einen Brief erhielt, in welchem er sehr weitschweifig unser
Beisammensein in G. ruehmte. Ueber Berthold schrieb er mir folgendes:
"Bald nach Ihrer Abreise trug sich mit unserm wunderlichen Maler viel
Sonderbares zu. Er wurde ploetzlich ganz heiter, und vollendete auf
die herrlichste Weise das grosse Altarblatt, welches nun vollends alle
Menschen in Erstaunen setzt. Dann verschwand er, und da er nicht das
mindeste mitgenommen, und man ein paar Tage darauf Hut und Stock
unfern des O - Stromes fand, glauben wir alle, er habe sich freiwillig
den Tod gegeben."



Das Sanctus

Der Doktor schuettelte bedenklich den Kopf. - "Wie", rief der
Kapellmeister heftig, indem er vom Stuhle aufsprang, "wie! so sollte
Bettinas Katarrh wirklich etwas zu bedeuten haben?"

- Der Doktor stiess ganz leise drei- oder viermal mit seinem
spanischen Rohr auf den Fussboden, nahm die Dose heraus und steckte
sie wieder ein ohne zu schnupfen, richtete den Blick starr empor, als
zaehle er die Rosetten an der Decke und huestelte misstoenig ohne ein
Wort zu reden. Das brachte den Kapellmeister ausser sich, denn er
wusste schon, solches Gebaerdenspiel des Doktors hiess in deutlichen
lebendigen Worten nichts anders, als: "Ein boeser boeser Fall - und
ich weiss mir nicht zu raten und zu helfen, und ich steure umher
in meinen Versuchen, wie jener Doktor im Gilblas di Santillana." -
"Nun, so sag Er es denn nur geradezu heraus", rief der Kapellmeister
erzuernt, "sag Er es heraus, ohne so verdammt wichtig zu tun mit
der simplen Heiserkeit, die sich Bettina zugezogen, weil sie
unvorsichtigerweise den Shawl nicht umwarf, als sie die Kirche
verliess - das Leben wird es ihr doch eben nicht kosten, der Kleinen."
- "Mit nichten", sprach der Doktor, indem er nochmals die Dose
herausnahm, jetzt aber wirklich schnupfte, "mit nichten, aber
hoechstwahrscheinlich wird sie in ihrem ganzen Leben keine Note mehr
singen!" Da fuhr der Kapellmeister mit beiden Faeusten sich in die
Haare, dass der Puder weit umherstaeubte und rannte im Zimmer auf und
ab, und schrie wie besessen: "Nicht mehr singen? - nicht mehr singen?
- Bettina nicht mehr singen? - Gestorben all die herrlichen Kanzonette
- die wunderbaren Boleros und Seguidillas, die wie klingender
Blumenhauch von ihren Lippen stroemten? - Kein frommes Agnus, kein
troestendes Benedictus von ihr mehr hoeren? - Oh! oh! - Kein Miserere,
das mich reinbuerstete von jedem irdischen Schmutz miserabler Gedanken
- das in mir oft eine ganze reiche Welt makelloser Kirchenthemas
aufgehen liess? - Du luegst Doktor, du luegst! - Der Satan versucht
dich, mich aufs Eis zu fuehren. - Der Dom-Organist, der mich mit
schaendlichem Neide verfolgt, seitdem ich ein achtstimmiges Qui tollis
ausgearbeitet zum Entzuecken der Welt, _der_ hat dich bestochen! Du
sollst mich in schnoede Verzweiflung stuerzen, damit ich meine neue
Messe ins Feuer werfe, aber es gelingt _ihm_ - es gelingt _dir_ nicht!
- Hier - hier trage ich sie bei mir, Bettinas Soli" (er schlug auf die
rechte Rocktasche, so dass es gewaltig darin klatschte) "und gleich
soll herrlicher, als je, die Kleine sie mir mit hocherhabener
Glockenstimme vorsingen." Der Kapellmeister griff nach dem Hute und
wollte fort, der Doktor hielt ihn zurueck, indem er sehr sanft und
leise sprach: "Ich ehre Ihren werten Enthusiasmus, holdseligster
Freund! aber ich uebertreibe nichts und kenne den Dom-Organisten
gar nicht, es ist nun einmal so! Seit der Zeit, dass Bettina in
der katholischen Kirche bei dem Amt die Solos im Gloria und Credo
gesungen, ist sie von einer solch seltsamen Heiserkeit oder vielmehr
Stimmlosigkeit befallen, die meiner Kunst trotzt und die mich, wie
gesagt, befuerchten laesst, dass sie nie mehr singen wird." - "Gut
denn", rief der Kapellmeister wie in resignierter Verzweiflung, "gut
denn, so gib ihr Opium - Opium und so lange Opium bis sie eines
sanften Todes dahinscheidet, denn singt Bettina nicht mehr, so darf
sie auch nicht mehr leben, denn sie lebt nur, wenn sie singt - sie
existiert nur im Gesange - himmlischer Doktor, tu mir den Gefallen,
vergifte sie je eher desto lieber. Ich habe Konnexionen im
Kriminal-Kollegio, mit dem Praesidenten studierte ich in Halle, es
war ein grosser Hornist, wir bliesen Bizinien zur Nachtzeit mit
einfallenden Choeren obligater Huendelein und Kater! - Sie sollen dir
nichts tun des ehrlichen Mords wegen. - Aber vergifte sie - vergifte
sie" - "Man ist", unterbrach der Doktor den sprudelnden Kapellmeister,
"man ist doch schon ziemlich hoch in Jahren, muss sich das Haar pudern
seit geraumer Zeit und doch noch vorzueglich die Musik anlangend
vel quasi ein Hasenfuss. Man schreie nicht so, man spreche nicht so
verwegen vom suendlichen Mord und Totschlag, man setze sich ruhig hin
dort in jenen bequemen Lehnstuhl und hoere mich gelassen an." Der
Kapellmeister rief mit sehr weinerlicher Stimme: "Was werd ich
hoeren?" und tat uebrigens wie ihm geheissen. "Es ist", fing der
Doktor an, "es ist in der Tat in Bettinas Zustand etwas ganz
Sonderbares und Verwunderliches. Sie spricht laut, mit voller Kraft
des Organs, an irgend eines der gewoehnlichen Halsuebel ist gar nicht
zu denken, sie ist selbst imstande einen musikalischen Ton anzugeben,
aber sowie sie die Stimme zum Gesange erheben will, laehmt ein
unbegreifliches Etwas, das sich durch kein Stechen, Prickeln, Kitzeln
oder sonst als ein affirmatives krankhaftes Prinzip dartut, ihre
Kraft, so dass jeder versuchte Ton ohne gepresst-unrein, kurz
katarrhalisch zu klingen, matt und farblos dahinschwindet. Bettina
selbst vergleicht ihren Zustand sehr richtig demjenigen im Traum, wenn
man mit dem vollsten Bewusstsein der Kraft zum Fliegen doch vergebens
strebt in die Hoehe zu steigen. Dieser negative krankhafte Zustand
spottet meiner Kunst und wirkungslos bleiben alle Mittel. Der Feind,
den ich bekaempfen soll, gleicht einem koerperlosen Spuk, gegen
den ich vergebens meine Streiche fuehre. Darin habt Ihr recht
Kapellmeister, dass Bettinas ganze Existenz im Leben durch den
Gesang bedingt ist, denn eben im Gesange kann man sich den kleinen
Paradiesvogel nur denken, deshalb ist sie aber schon durch die
Vorstellung, dass ihr Gesang und mit ihm sie selbst untergehe, so im
Innersten aufgeregt, und fast bin ich ueberzeugt, dass eben diese
fortwaehrende geistige Agitation ihr Uebelbefinden foerdert und meine
Bemuehungen vereitelt. Sie ist, wie sie sich selbst ausdrueckt, von
Natur sehr apprehensiv, und so glaube ich, nachdem ich monatelang, wie
ein Schiffbruechiger, der nach jedem Splitter hascht, nach diesem,
jenem Mittel gegriffen und darueber ganz verzagt worden, dass Bettinas
ganze Krankheit mehr psychisch als physisch ist." - "Recht Doktor",
rief hier der reisende Enthusiast, der so lange schweigend mit
uebereinander geschlagenen Aermen im Winkel gesessen, "recht
Doktor, mit einemmal habt Ihr den richtigen Punkt getroffen, mein
vortrefflicher Arzt! Bettinas krankhaftes Gefuehl ist die physische
Rueckwirkung eines psychischen Eindrucks, eben deshalb aber desto
schlimmer und gefaehrlicher. _Ich_, _ich_ allein kann euch alles
erklaeren, ihr Herren!" - "Was werd ich hoeren", sprach der
Kapellmeister noch weinerlicher als vorher, der Doktor rueckte seinen
Stuhl naeher heran zum reisenden Enthusiasten und guckte ihm mit
sonderbar laechelnder Miene ins Gesicht. Der reisende Enthusiast
warf aber den Blick in die Hoehe und sprach ohne den Doktor oder den
Kapellmeister anzusehen: "Kapellmeister! ich sah einmal einen kleinen
buntgefaerbten Schmetterling, der sich zwischen den Saiten Eures
Doppelklavichords eingefangen hatte. Das kleine Ding flatterte lustig
auf und nieder und mit den glaenzenden Fluegelein um sich schlagend
beruehrte es bald die obern bald die untern Saiten, die dann leise
leise nur dem schaerfsten geuebtesten Ohr vernehmbare Toene und
Akkorde hauchten, so dass zuletzt das Tierchen nur in den Schwingungen
wie in sanftwogenden Wellen zu schwimmen oder vielmehr von ihnen
getragen zu werden schien. Aber oft kam es, dass eine staerker
beruehrte Saite, wie erzuernt in die Fluegel des froehlichen
Schwimmers schlug, so dass sie wund geworden den Schmuck des bunten
Bluetenstaubs von sich streuten, doch dessen nicht achtend kreiste
der Schmetterling fort und fort im froehlichen Klingen und Singen bis
schaerfer und schaerfer die Saiten ihn verwundeten, und er lautlos
hinabsank in die Oeffnung des Resonanzbodens." - "Was wollen wir damit
sagen", frug der Kapellmeister, "fiat applicatio mein Bester!" sprach
der Doktor. "Von einer besonderen Anwendung ist hier nicht die Rede",
fuhr der Enthusiast fort, "ich wollte, da ich obbesagten Schmetterling
wirklich auf des Kapellmeisters Klavichord spielen gehoert habe, nur
im allgemeinen eine Idee andeuten, die mir damals einkam, und die
alles das, was ich ueber Bettinas Uebel sagen werde, so ziemlich
einleitet. Ihr koennet das Ganze aber auch fuer eine Allegorie
ansehen, und es in das Stammbuch irgend einer reisenden Virtuosin
hineinzeichnen. Es schien mir naemlich damals, als habe die Natur ein
tausendchoerigtes Klavichord um uns herum gebaut, in dessen Saiten wir
herumhantierten, ihre Toene und Akkorde fuer unsere eigne willkuerlich
hervorgebrachte haltend und als wuerden wir oft zum Tode wund, ohne
zu ahnden, dass der unharmonisch beruehrte Ton uns die Wunde schlug."
- "Sehr dunkel", sprach der Kapellmeister. "Oh", rief der Doktor
lachend, "o nur Geduld, er wird gleich auf seinem Steckenpferde sitzen
und gestreckten Galopps in die Welt der Ahnungen, Traeume, psychischen
Einfluesse, Sympathien, Idiosynkrasien usw. hineinreiten, bis er auf
der Station des Magnetismus absitzt und ein Fruehstueck nimmt." -
"Gemach gemach, mein weiser Doktor", sprach der reisende Enthusiast,
"schmaeht nicht auf Dinge, die Ihr, straeuben moegt Ihr Euch auch wie
Ihr wollt, doch mit Demut anerkennen und hoechlich beachten muesst.
Habt Ihr es denn nicht selbst eben erst ausgesprochen, dass Bettinas
Krankheit von psychischer Anregung herbeigefuehrt oder vielmehr nur
ein psychisches Uebel ist?" - "Wie kommt", unterbrach der Doktor
den Enthusiasten, "wie kommt aber Bettina mit dem unglueckseligen
Schmetterling zusammen?" - "Wenn man", fuhr der Enthusiast fort, "wenn
man nun alles haarklein auseinandersieben soll, und jedes Koernchen
beaeugeln und bekucken, so wird das eine Arbeit, die selbst langweilig
Langeweile verbreitet! - Lasst den Schmetterling im Klavichordkasten
des Kapellmeisters ruhen! - Uebrigens, sagt selbst, Kapellmeister!
ist es nicht ein wahres Unglueck, dass die hochheilige Musik
ein integrierender Teil unserer Konversation geworden ist? Die
herrlichsten Talente werden herabgezogen in das gemeine duerftige
Leben! Statt dass sonst aus heiliger Ferne wie aus dem wunderbaren
Himmelsreiche selbst, Ton und Gesang auf uns herniederstrahlte, hat
man jetzt alles huebsch bei der Hand und man weiss genau, wie viel
Tassen Tee die Saengerin oder wie viel Glaeser Wein der Bassist
trinken muss, um in die gehoerige Tramontane zu kommen. Ich weiss
wohl, dass es Vereine gibt, die ergriffen von dem wahren Geist der
Musik sie untereinander mit wahrhafter Andacht ueben, aber jene
miserablen geschmueckten, geschniegelten - doch ich will mich nicht
aergern! - Als ich voriges Jahr hieher kam, war die arme Bettina
gerade recht in der Mode - sie war, wie man sagt, recherchiert, es
konnte kaum Tee getrunken werden ohne Zutat einer spanischen Romanze,
einer italienischen Kanzonetta oder auch wohl eines franzoesischen
Liedleins: Souvent l'amour etc. zu dem sich Bettina hergeben musste.
Ich fuerchtete in der Tat, dass das gute Kind mit samt ihrem
herrlichen Talent untergehen wuerde in dem Meer von Teewasser, das man
ueber sie ausschuettete, das geschah nun nicht, aber die Katastrophe
trat ein." - "Was fuer eine Katastrophe?" riefen Doktor und
Kapellmeister. "Seht liebe Herren!" fuhr der Enthusiast fort,
"eigentlich ist die arme Bettina - wie man so sagt, verwuenscht oder
verhext worden, und so hart es mir ankommt, es zu bekennen, ich - ich
selbst bin der Hexenmeister, der das boese Werk vollbracht hat, und
nun gleich dem Zauberlehrling den Bann nicht zu loesen vermag." -
"Possen - Possen, und wir sitzen hier und lassen uns mit der groessten
Ruhe von dem ironischen Boesewicht mystifizieren." So rief der
Doktor, indem er aufsprang. "Aber zum Teufel die Katastrophe - die
Katastrophe", schrie der Kapellmeister. "Ruhig ihr Herren", sprach
der Enthusiast, "jetzt kommt eine Tatsache, die ich verbuergen kann,
haltet uebrigens meine Hexerei fuer Scherz, unerachtet es mir zuweilen
recht schwer aufs Herz faellt, dass ich ohne Wissen und Willen
einer unbekannten psychischen Kraft zum Medium des Entwickelns und
Einwirkens auf Bettina gedient haben mag. Gleichsam als Leiter
mein ich, so wie in der elektrischen Reihe einer den andern ohne
Selbsttaetigkeit und eignen Willen pruegelt." - "Hop hop", rief
der Doktor, "seht wie das Steckenpferd gar herrliche Courbetten
verfuehrt." - "Aber die Geschichte - die Geschichte", schrie der
Kapellmeister dazwischen! "Ihr erwaehntet", fuhr der Enthusiast fort,
"Ihr erwaehntet Kapellmeister schon zuvor, dass Bettina das letztemal,
ehe sie die Stimme verlor, in der katholischen Kirche sang. Erinnert
Euch, dass dies am ersten Osterfeiertage vorigen Jahres geschah. Ihr
hattet Euer schwarzes Ehrenkleid angetan und dirigiertet die herrliche
Haydnsche Messe aus dem D-Moll. In dem Sopran tat sich ein Flor junger
anmutig gekleideter Maedchen auf, die zum Teil sangen, zum Teil auch
nicht; unter ihnen stand Bettina, die mit wunderbar starker voller
Stimme die kleinen Soli vortrug. Ihr wisst, dass ich mich im Tenor
angestellt hatte, das Sanctus war eingetreten, ich fuehlte die Schauer
der tiefsten Andacht mich durchbeben, da rauschte es hinter mir
stoerend, unwillkuerlich drehte ich mich um, und erblickte zu meinem
Erstaunen Bettina, die sich durch die Reihen der Spielenden und
Singenden draengte um den Chor zu verlassen. 'Sie wollen fort?' redete
ich sie an. 'Es ist die hoechste Zeit', erwiderte sie sehr freundlich,
'dass ich mich jetzt nach der ***Kirche begebe, um noch, wie ich
versprochen, dort in einer Kantate mitzusingen, auch muss ich noch
vormittag ein paar Duetts probieren, die ich heute abend in dem
Singetee bei *** vortragen werde, dann ist Souper bei ***. Sie kommen
doch hin? es werden ein paar Choere aus dem Haendelschen Messias
und das erste Finale aus Figaros Hochzeit gemacht.' Waehrend dieses
Gespraechs erklangen die vollen Akkorde des Sanctus, und das
Weihrauchopfer zog in blauen Wolken durch das hohe Gewoelbe der
Kirche. 'Wissen Sie denn nicht', sprach ich, 'dass es suendlich ist,
dass es nicht straflos bleibt, wenn man waehrend des Sanctus die
Kirche verlaesst? - Sie werden so bald nicht mehr in der Kirche
singen!' - Es sollte Scherz sein, aber ich weiss nicht, wie es kam,
dass mit einemmal meine Worte so feierlich klangen. Bettina erblasste
und verliess schweigend die Kirche. Seit diesem Moment verlor sie die
Stimme. -" Der Doktor hatte sich waehrend der Zeit wieder gesetzt,
und das Kinn auf den Stockknopf gestuetzt, er blieb stumm, aber
der Kapellmeister rief: "Wunderbar in der Tat, sehr wunderbar!" -
"Eigentlich", fuhr der Enthusiast fort, "eigentlich kam mir damals bei
meinen Worten nichts Bestimmtes in den Sinn und ebensowenig setzte
ich Bettinas Stimmlosigkeit mit dem Vorfall in der Kirche nur in
den mindesten Bezug. Erst jetzt, als ich wieder hieher kam und von
Euch Doktor erfuhr, dass Bettina noch immer an der verdriesslichen
Kraenklichkeit leide, war es mir, als haette ich schon damals an eine
Geschichte gedacht, die ich vor mehreren Jahren in einem alten Buche
las, und die ich Euch, da sie mir anmutig und ruehrend scheint,
mitteilen will." - "Erzaehlen Sie", rief der Kapellmeister,
"vielleicht liegt ein guter Stoff zu einer tuechtigen Oper darin." -
"Koennt Ihr", sprach der Doktor, "koennt Ihr, Kapellmeister, Traeume
- Ahnungen - magnetische Zustaende in Musik setzen, so wird Euch
geholfen, auf so was wird die Geschichte doch wieder herauslaufen."
Ohne dem Doktor zu antworten raeusperte sich der reisende Enthusiast
und fing mit erhabener Stimme an: "Unabsehbar breitete sich das
Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien vor den Mauern von
Granada aus." - "Herr des Himmels und der Erden", unterbrach der
Doktor den Erzaehler, "das faengt an als wollt es in neun Tagen und
neun Naechten nicht endigen, und ich sitze hier und die Patienten
lamentieren. Ich schere mich den Teufel um Eure maurischen
Geschichten, den Gonzalvo von Cordova habe ich gelesen, und Bettinas
Seguidillas gehoert, aber damit basta, alles was recht ist - Gott
befohlen!" Schnell sprang der Doktor zur Tuere heraus, aber der
Kapellmeister blieb ruhig sitzen, indem er sprach: "Es wird eine
Geschichte aus den Kriegen der Mauren mit den Spaniern, wie ich merke,
so was haett ich laengst gar zu gern komponiert. - Gefechte - Tumult
- Romanzen - Aufzuege - Cymbeln - Choraele - Trommeln und Pauken -
ach Pauken! - Da wir nun einmal so zusammen sind, erzaehlen Sie,
liebenswuerdiger Enthusiast, wer weiss, welches Samenkorn die
erwuenschte Erzaehlung in mein Gemuet wirft und was fuer Riesenlilien
daraus entspriessen." - "Euch wird", erwiderte der Enthusiast, "Euch
wird nun Kapellmeister! alles einmal gleich zur Oper und daher kommt
es denn auch, dass die vernuenftigen Leute, die die Musik behandeln
wie einen starken Schnaps, den man nur dann und wann in kleinen
Portionen geniesst zur Magenstaerkung, Euch manchmal fuer toll halten.
Doch erzaehlen will ich Euch, und keck moeget Ihr, wandelt Euch die
Lust an, manchmal ein paar Akkorde dazwischen werfen." - Schreiber
dieses fuehlt sich gedrungen, ehe er dem Enthusiasten die Erzaehlung
nachschreibt, dich guenstigen Leser zu bitten, du moegest ihm der
Kuerze halber zugute halten, wenn er den dazwischen anschlagenden
Akkorden den Kapellmeister vorzeichnet. Statt also zu schreiben: Hier
sprach der Kapellmeister, heisst es bloss der Kapellmeister.

Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von
Aragonien vor den festen Mauern von Granada aus. Vergebens auf Huelfe
hoffend, immer enger und enger eingeschlossen, verzagte der feige
Boabdil und im bittern Hohn vom Volk, das ihn den kleinen Koenig
nannte, verspottet, fand er nur in den Opfern blutduerstiger
Grausamkeit augenblicklichen Trost. Aber eben in dem Grade, wie die
Mutlosigkeit und Verzweiflung taeglich mehr Volk und Kriegsheer in
Granada erfasste, wurde lebendiger Siegeshoffnung und Kampfeslust
im spanischen Lager. Es bedurfte keines Sturms. Ferdinand begnuegte
sich die Waelle zu beschiessen, und die Ausfaelle der Belagerten
zurueckzutreiben. Diese kleinen Gefechte glichen mehr froehlichen
Turnieren als ernsten Kaempfen und selbst der Tod der im Kampfe
Gefallnen konnte die Gemueter nur erheben, da sie hochgefeiert im
Gepraenge des kirchlichen Kultus wie in der strahlenden Glorie des
Maertyrtums fuer den Glauben erschienen. Gleich nachdem Isabella in
das Lager eingezogen, liess sie in dessen Mitte ein hohes hoelzernes
Gebaeude mit Tuermen auffuehren, von deren Spitzen die Kreuzesfahne
herabwehte. Das Innere wurde zum Kloster und zur Kirche eingerichtet,
und Benediktiner-Nonnen zogen ein, taeglichen Gottesdienst uebend. Die
Koenigin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, [erschien]
jeden Morgen, die Messe zu hoeren, die ihr Beichtvater las, von dem
Gesange der im Chor versammelten Nonnen unterstuetzt. Da begab es
sich, dass Isabella an einem Morgen eine Stimme vernahm, die mit
wunderbarem Glockenklang die andern Stimmen im Chor uebertoente. Der
Gesang war anzuhoeren wie das siegende Schmettern einer Nachtigall,
die, die Fuerstin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch
war die Aussprache der Worte so fremdartig und selbst die sonderbare
ganz eigentuemliche Art des Gesanges tat kund, dass eine Saengerin des
kirchlichen Stils noch ungewohnt, vielleicht zum erstenmal das Amt
singen muesse. Verwundert schaute Isabella um sich und bemerkte, dass
ihr Gefolge von demselben Erstaunen ergriffen worden; doch ahnen
musste sie wohl, dass hier ein besonderes Abenteuer im Spiel sein
muesse, als ihr der tapfere Heerfuehrer Aguillar, der sich eben
im Gefolge befand, ins Auge fiel. Im Betstuhl kniend, die Haende
gefaltet, starrte er zum Gitter des Chors herauf, gluehende
inbruenstige Sehnsucht im duestern Auge. Als die Messe geendet war,
begab sich Isabella nach Donna Marias, der Priorin, Zimmern und frug
nach der fremden Saengerin. "Wollet Euch o Koenigin", sprach Donna
Maria, "wollet Euch erinnern, dass vor Mondesfrist Don Aguillar jenes
Aussenwerk zu ueberfallen und zu erobern gedachte, das mit einer
herrlichen Terrasse geziert den Mauren zum Lustort dient. In jeder
Nacht schallen die ueppigen Gesaenge der Heiden in unser Lager
herueber wie verlockende Sirenenstimmen und eben deshalb wollte der
tapfere Aguillar das Nest der Suende zerstoeren. Schon war das Werk
genommen, schon wurden die gefangenen Weiber waehrend des Gefechts
abgefuehrt, als eine unvermutete Verstaerkung ihn tapferer Wehr
unerachtet noetigte, abzulassen und sich zurueckzuziehen in das
Lager. Der Feind wagte nicht ihn zu verfolgen und so kam es, dass die
Gefangenen und reiche Beute sein blieben. Unter den gefangenen Weibern
befand sich eine, deren trostloses Jammern, deren Verzweiflung Don
Aguillars Aufmerksamkeit erregte. Er nahte sich der Verschleierten mit
freundlichen Worten, aber als haette ihr Schmerz keine andere Sprache
als Gesang, fing sie, nachdem sie auf der Zither, die ihr an einem
goldnen Bande um den Hals hing, einige seltsame Akkorde gegriffen
hatte, eine Romanze an, die in tiefaufseufzenden herzzerschneidenden
Lauten die Trennung von dem Geliebten, von aller Lebensfreude klagte.
Aguillar tief ergriffen von den wunderbaren Toenen, beschloss das Weib
zurueckbringen zu lassen nach Granada; sie stuerzte vor ihm nieder,
indem sie den Schleier zurueckschlug. Da rief Aguillar wie ausser
sich: 'Bist du denn nicht Zulema, das Licht des Gesanges in Granada?'
- Zulema, die der Feldherr bei einer Sendung an Boabdils Hof gesehen,
deren wunderbarer Gesang seitdem tief in seiner Brust widerhallte,
war es wirklich. 'Ich gebe dir die Freiheit', rief Aguillar, aber da
sprach der ehrwuerdige Vater Agostino Sanchez, der das Kreuz in der
Hand mitgezogen: 'Erinnere dich, Herr! dass du, indem du die Gefangene
freilaessest, ihr grosses Unrecht tust, da sie dem Goetzendienst
entrissen, vielleicht bei uns von der Gnade des Herrn erleuchtet, in
den Schoss der Kirche zurueckgekehrt waere.' Aguillar sprach: 'Sie mag
bei uns bleiben einen Monat hindurch und dann, fuehlt sie sich nicht
durchdrungen von dem Geist des Herrn, zurueckgebracht werden nach
Granada.' So kam es, o Herrin! dass Zulema von uns in dem Kloster
aufgenommen wurde. Anfangs ueberliess sie sich ganz dem trostlosesten
Schmerz und bald waren es wild und schauerlich toenende, bald
tiefklagende Romanzen, mit denen sie das Kloster erfuellte, denn
ueberall hoerte man ihre durchdringende Glockenstimme. Es begab sich,
dass wir einst um Mitternacht im Chor der Kirche versammelt waren und
die Hora nach jener wundervollen heiligen Weise absangen, die der hohe
Meister des Gesanges, Ferreras, uns lehrte. Ich bemerkte im Schein
der Lichter Zulema in der offnen Pforte des Chors stehend und mit
ernstem Blick still und andaechtig hineinschauend; als wir paarweise
daherziehend den Chor verliessen, kniete Zulema im Gange unfern eines
Marienbildes. Den andern Tag sang sie keine Romanze, sondern blieb
still und in sich gekehrt. Bald versuchte sie auf der tiefgestimmten
Zither die Akkorde jenes Chorals, den wir in der Kirche gesungen, und
dann fing sie an leise leise zu singen, ja selbst die Worte unsers
Gesanges zu versuchen, die sie freilich wunderlich wie mit gebundener
Zunge aussprach. Ich merkte wohl, dass der Geist des Herrn mit milder
troestender Stimme im Gesange zu ihr gesprochen, und dass sich ihre
Brust oeffnen wuerde seiner Gnade, daher schickte ich Schwester
Emanuela, die Meisterin des Chors, zu ihr, dass sie den glimmenden
Funken anfache, und so geschah es, dass im heiligen Gesange der Kirche
der Glaube in ihr entzuendet wurde. Noch ist Zulema nicht durch die
heilige Taufe in den Schoss der Kirche aufgenommen, aber vergoennt
wurde es ihr unserm Chor sich beizugesellen, und so ihre wunderbare
Stimme zur Glorie der Religion zu erheben." Die Koenigin wusste nun
wohl, was in Aguillars Innerm vorgegangen, als er auf Agostinos
Einrede Zulema nicht zuruecksandte nach Granada, sondern sie im
Kloster aufnehmen liess und um so mehr war sie erfreut ueber Zulemas
Bekehrung zum wahren Glauben. Nach wenigen Tagen wurde Zulema getauft
und erhielt den Namen Julia. Die Koenigin selbst, der Marquis von
Cadix, Heinrich von Gusman, die Feldherren Mendoza, Villena, waren
die Zeugen des heiligen Akts. Man haette glauben sollen, dass Julias
Gesang nun noch inniger und wahrer die Herrlichkeit des Glaubens
haette verkuenden muessen und so geschah es auch wirklich eine kurze
Zeit hindurch, indessen bemerkte Emanuela bald, dass Julia oft auf
seltsame Weise von dem Choral abwich, fremdartige Toene einmischend.
Oft hallte urploetzlich der dumpfe Klang einer tiefgestimmten Zither
durch den Chor. Der Ton glich dem Nachklingen vom Sturm durchrauschter
Saiten. Dann wurde Julia unruhig und es geschah sogar, dass sie wie
willkuerlos in den lateinischen Hymnus ein mohrisches Wort einwarf.
Emanuela warnte die Neubekehrte, standhaft zu widerstehen dem Feinde,
aber leichtsinnig achtete Julia dessen nicht und zum Aergernis der
Schwestern sang sie oft, wenn eben die ernsten heiligen Choraele
des alten Ferreras erklungen, taendelnde mohrische Liebeslieder zur
Zither, die sie wieder hochgestimmt hatte. Sonderbarerweise klangen
jetzt die Zithertoene, die oft durch den Chor sausten, auch hoch und
recht widrig beinahe wie das gellende Gepfeife der kleinen mohrischen
Floeten.

Der Kapellmeister. Flauti piccoli - Oktavfloetchen. Aber, mein Bester,
noch bis jetzt nichts, gar nichts fuer die Oper - keine Exposition und
das ist immer die Hauptsache, doch mit der tiefen und hohen Stimmung
der Zither, das hat mich angeregt. Glaubt Ihr nicht, dass der Teufel
ein Tenorist ist? Er ist falsch wie - der Teufel, und daher macht er
alles im Falsett!

Der Enthusiast. Gott im Himmel! - Ihr werdet von Tage zu Tage
witziger, Kapellmeister! Aber Ihr habt recht, lassen wir dem
teuflischen Prinzip alles ueberhohe unnatuerliche Gepfeife, Gequieke
etc. Doch weiter fort in der Erzaehlung, die mir eigentlich blutsauer
wird, weil ich jeden Augenblick Gefahr laufe, ueber irgend einen wohl
zu beachtenden Moment wegzuspringen.

Es begab sich, dass die Koenigin, begleitet von den edlen Feldherren
des Lagers, nach der Kirche der Benedektiner-Nonnen schritt, um wie
gewoehnlich die Messe zu hoeren. Vor der Pforte lag ein elender
zerlumpter Bettler, die Trabanten wollten ihn fortschaffen, doch halb
erhoben riss er sich wieder los und warf sich heulend nieder, so dass
er die Koenigin beruehrte. Ergrimmt sprang Aguillar hervor und wollte
den Elenden mit dem Fusse fortstossen. Der richtete sich aber mit
halbem Leibe gegen ihn empor und schrie: "Tritt die Schlange - tritt
die Schlange, sie wird dich stechen zum Tode!" und dazu griff er
in die Saiten der unter den Lumpen versteckten Zither, dass sie im
gellenden widrig pfeifenden Tone zerrissen und alle von unheimlichem
Grauen ergriffen, zurueckbebten. Die Trabanten schafften das
widrige Gespenst fort und es hiess: der Mensch sei ein gefangener
wahnsinniger Mohr, der aber durch seine tollen Spaesse und durch sein
verwunderliches Zitherspiel die Soldaten im Lager belustige. Die
Koenigin trat ein und das Amt begann. Die Schwestern im Chor
intonierten das Sanctus, eben sollte Julia mit maechtiger Stimme wie
sonst eintreten: "Pleni sunt coeli gloria tua", da ging ein gellender
Zitherton durch den Chor, Julia schlug schnell das Blatt zusammen und
wollte den Chor verlassen. "Was beginnst du?" rief Emanuela. "Oh!"
sagte Julia, "hoerst du denn nicht die praechtigen Toene des Meisters?
dort bei ihm, mit ihm muss ich singen!" damit eilte Julia nach der
Tuere, aber Emanuela sprach mit sehr ernster feierlicher Stimme:
"Suenderin, die du den Dienst des Herrn entweihst, da du mit dem Munde
sein Lob verkuendest und im Herzen weltliche Gedanken traegst, flieh
von hinnen, gebrochen ist die Kraft des Gesanges in dir, verstummt
sind die wunderbaren Laute in deiner Brust die der Geist des Herrn
entzuendet!" - Von Emanuelas Worten wie vom Blitz getroffen, schwankte
Julia fort. Eben wollten die Nonnen zur Nachtzeit sich versammeln,
um die Hora zu singen, als ein dicker Qualm schnell die ganze Kirche
erfuellte. Bald darauf drangen die Flammen zischend und prasselnd
durch die Waende des Nebengebaeudes und erfassten das Kloster. Mit
Muehe gelang es den Nonnen ihr Leben zu retten, Trompeten und Hoerner
schmetterten durch das Lager, aus dem ersten Schlaf taumelten die
Soldaten auf; man sah den Feldherrn Aguillar mit versengtem Haar, mit
halbverbrannten Kleidern aus dem Kloster stuerzen, er hatte Julia, die
man vermisste, vergebens zu retten gesucht, keine Spur von ihr war zu
finden. Fruchtlos blieb der Kampf gegen das Feuer, das von dem Sturm,
der sich erhoben, angefacht, immer mehr um sich griff: in kurzer Zeit
lag Isabellens ganzes reiches herrliches Lager in Asche. Die Mauren
im Vertrauen, dass der Christen Unglueck ihnen Sieg bringen wuerde,
wagten mit einer bedeutenden Macht einen Ausfall, glaenzender war aber
fuer die Waffen der Spanier nie ein Kampf gewesen, als eben dieser,
und als sie unter dem jauchzenden Schall der Trompeten sieggekroent in
ihre Verschanzungen zurueckzogen, da bestieg die Koenigin Isabella den
Thron, den man im Freien errichtet hatte und verordnete, dass an der
Stelle des abgebrannten Lagers eine Stadt gebaut werde! Zeigen sollte
dies den Mauren in Granada, dass niemals die Belagerung aufgehoben
werden wuerde.

Der Kapellmeister. Duerfte man sich nur mit geistlichen Dingen auf das
Theater wagen, hat man nicht schon seine Not mit dem lieben Publikum,
wenn man hie und da ein bisschen Choral anbringt. Sonst waer die Julia
gar keine ueble Partie. Denkt Euch den doppelten Stil, in welchem sie
glaenzen kann, erst die Romanzen, dann die Kirchengesaenge. Einige
allerliebste spanische und mohrische Lieder hab ich bereits fertig,
auch ist der Sieges-Marsch der Spanier gar nicht uebel, so wie ich
das Gebot der Koenigin melodramatisch zu behandeln willens bin, wie
indessen das Ganze sich zusammenfuegen soll, das weiss der Himmel! -
Aber erzaehlt weiter, kommen wir wieder auf Julia, die hoffentlich
nicht verbrannt sein wird.

Der Enthusiast. Denkt Euch, liebster Kapellmeister, dass jene Stadt,
die die Spanier in einundzwanzig Tagen aufbauten und mit Mauern
umgaben, eben das heute noch stehende Santa Fe ist. Doch indem ich
das Wort so unmittelbar an Euch richte, falle ich aus dem feierlichen
Ton, der allein sich zu dem feierlichen Stoffe passt. Ich wollte Ihr
spieltet eins von Palestrinas Responsorien, die dort auf dem Pult des
Fortepianos aufgeschlagen liegen.

Der Kapellmeister tat es und hierauf fuhr der reisende Enthusiast
fort:

Die Mauren unterliessen nicht, die Spanier waehrend des Aufbaues ihrer
Stadt auf mannigfache Weise zu beunruhigen, die Verzweiflung trieb
sie zur verwegensten Kuehnheit und so wurden die Gefechte ernster
als jemals. Aguillar hatte einst ein maurisches Geschwader, das die
spanischen Vorwachen ueberfallen, bis in die Mauern von Granada
zurueckgetrieben. Er kehrte mit seinen Reitern zurueck, und hielt
unfern den ersten Verschanzungen bei einem Myrtenwaeldchen, sein
Gefolge fortschickend, um so ernstem Gedanken und wehmuetiger
Erinnerung sich mit ganzem Gemuet hingeben zu koennen. Julias Bild
stand lebendig vor seines Geistes Augen. Schon waehrend des Gefechts
hoerte er ihre Stimme bald drohend bald klagend ertoenen und auch
jetzt war es ihm als saeusle ein seltsamer Gesang, halb mohrisches
Lied halb christlicher Kirchengesang, durch die dunklen Myrten.
Da rauschte ploetzlich ein mohrischer Ritter im silbernen
Schuppenharnisch auf leichtem arabischen Pferde aus dem Walde hervor
und gleich sauste auch der geworfene Speer dicht bei Aguillars Haupt
vorbei. Er wollte mit gezogenem Schwert auf den Feind losstuerzen,
als der zweite Speer flog und seinem Pferde tief in der Brust stecken
blieb, dass es sich vor Wut und Schmerz hoch emporbaeumte und Aguillar
sich schnell von der Seite herabschwingen musste, um schwerem Falle
nicht zu erliegen. Der Mohr war herangesprengt und hieb herab mit
der Sichelklinge nach Aguillars entbloesstem Haupt. Aber geschickt
parierte Aguillar den Todesstreich und hieb so gewaltig nach, dass
der Mohr sich nur rettete, indem er tief vom Pferde niedertauchte. In
demselben Augenblick draengte sich des Mohren Pferd dicht an Aguillar,
so dass er keinen zweiten Hieb fuehren konnte, der Mohr riss seinen
Dolch hervor, aber noch ehe er zustossen konnte, hatte ihn Aguillar
mit Riesenstaerke erfasst, vom Pferde heruntergezogen und ringend zu
Boden geworfen. Er kniete auf des Mohren Brust und indem er mit der
linken Faust des Mohren rechten Arm so gewaltig gepackt hatte, dass er
regungslos blieb, zog er seinen Dolch. Schon hatte er den Arm erhoben,
um des Mohren Kehle zu durchstossen, als dieser tief aufseufzte:
"Zulema!" - Zur Bildsaeule erstarrt vermochte Aguillar nicht die Tat
zu vollenden. "Unseliger", rief er, "welch einen Namen nanntest du?"
- "Stosse zu", stoehnte der Mohr, "stosse zu, du toetest den, der dir
Tod und Verderben geschworen hat. Ja! wisse, verraeterischer Christ,
wisse, dass es Hichem der letzte des Stammes Alhamar ist, dem du
Zulema raubtest! - Wisse, dass jener zerlumpte Bettler, der mit den
Gebaerden des Wahnsinns in eurem Lager umherschlich, Hichem war, wisse
dass es mir gelang, das dunkle Gefaengnis, in dem ihr Verruchte das
Licht meiner Gedanken eingeschlossen, anzuzuenden, und Zulema zu
retten." "Zulema -Julia lebt?" rief Aguillar. Da lachte Hichem
gellend auf im grausigen Hohn: "Ja sie lebt, aber Euer blutiges
dornengekroentes Goetzenbild hat mit fluchwuerdigem Zauber sie
befangen und die duftende gluehende Blume des Lebens eingehuellt in
die Leichentuecher der wahnsinnigen Weiber, die Ihr Braeute Eures
Goetzen nennt. Wisse, dass Ton und Gesang in ihrer Brust wie angeweht
vom giftigen Hauch des Samums erstorben ist. Dahin ist alle Lust des
Lebens mit Zulemas suessen Liedern, darum toete mich - toete mich, da
ich nicht Rache zu nehmen vermag an dir, der du mir schon mehr als
mein Leben entrissest." Aguillar liess ab von Hichem und erhob sich,
sein Schwert von dem Boden aufnehmend langsam. "Hichem", sprach er:
"Zulema, die in heiliger Taufe den Namen Julia empfing, wurde meine
Gefangene im ehrlichen offenen Kampf. Erleuchtet von der Gnade des
Herrn, entsagte sie Mahoms schnoedem Dienst und was du verblendeter
Mohr boesen Zauber eines Goetzenbildes nennst, war nur die Versuchung
des Boesen, dem sie nicht zu widerstehen vermochte. Nennst du Zulema
deine Geliebte, so sei Julia, die zum Glauben Bekehrte, die Dame
meiner Gedanken, und _sie_ im Herzen, zur Glorie des wahren Glaubens
will ich gegen dich bestehen im wackern Kampf. Nimm deine Waffen und
falle gegen mich aus wie du willst nach deiner Sitte." Schnell ergriff
Hichem Schwert und Tartsche, aber auf Aguillar losrennend, wankte er
laut aufbruellend zurueck, warf sich auf das Pferd, das neben ihm
stehen geblieben und sprengte gestreckten Galopps davon. Aguillar
wusste nicht was das zu bedeuten haben koennte, aber in dem Augenblick
stand der ehrwuerdige Greis Agostino Sanchez hinter ihm und sprach
sanft laechelnd: "Fuerchtet Hichem mich oder den Herrn, der in mir
wohnt und dessen Liebe er verschmaeht?" Aguillar erzaehlte alles was
er von Julia vernommen und beide erinnerten sich nun wohl an die
prophetischen Worte Emanuelas, als Julia verlockt von Hichems
Zithertoenen alle Andacht im Innern ertoetend, den Chor waehrend des
Sanctus verliess.

Der Kapellmeister. Ich denke an keine Oper mehr, aber das Gefecht
zwischen dem Mohren Hichem im Schuppenharnisch und dem Feldherrn
Aguillar ging mir auf in Musik. - Hol es der Teufel! - wie kann
man nun besser gegeneinander ausfallen lassen als es Mozart im Don
Giovanni getan hat. Ihr wisst doch - in der ersten -

Der reisende Enthusiast. Still Kapellmeister! Ich werde nun meiner
schon zu langen Erzaehlung den letzten Ruck geben. Noch allerlei kommt
vor, und es ist noetig die Gedanken zusammenzuhalten, um so mehr, da
ich immer dabei an Bettina denke, welches mich nicht wenig verwirrt.
Vorzueglich moecht ich gar nicht, dass sie jemals etwas von meiner
spanischen Geschichte erfuehre und doch ist es mir so, als wenn
sie dort an jener Tuere lauschte, welches natuerlicherweise pure
Einbildung sein muss. Also weiter.

Immer und immer geschlagen in allen Gefechten, von der
taeglich-stuendlich zunehmenden Hungersnot gedrueckt, sahen sich die
Mauren endlich genoetigt, zu kapitulieren und im festlichen Gepraenge
unter dem Donner des Geschuetzes zogen Ferdinand und Isabella in
Granada ein. Priester hatten die grosse Moschee eingeweiht zur
Kathedrale und dorthin ging der Zug, um in andaechtiger Messe, im
feierlichen Te deum laudamus dem Herrn der Heerscharen zu danken fuer
den glorreichen Sieg ueber die Diener Mahoms, des falschen Propheten.
Man kannte die nur muehsam unterdrueckte, immer neu aufgeifernde Wut
der Mohren und daher deckten Truppenabteilungen, die durch entferntere
Strassen schlagfertig zogen, die durch die Hauptstrasse sich bewegende
Prozession. So geschah es, dass Aguillar an der Spitze einer Abteilung
Fussvolks eben auf entfernterem Wege sich nach der Kathedrale, wo das
Amt schon begonnen, begeben wollte, als er sich ploetzlich durch einen
Pfeilschuss an der linken Schulter verwundet fuehlte. In demselben
Augenblick stuerzte ein Haufen Mohren aus einem dunklen Bogengange
hervor, und ueberfiel die Christen mit verzweifelnder Wut. Hichem an
der Spitze rannte gegen Aguillar an, dieser nur leicht verletzt, kaum
den Schmerz der Wunde fuehlend, parierte geschickt den gewaltigen
Hieb und in demselben Augenblick lag auch Hichem mit gespaltenem
Kopf zu seinen Fuessen. Die Spanier drangen wuetend ein auf die
verraeterischen Mohren, die bald heulend flohen und sich in ein
steinernes Haus warfen, dessen Tor sie schnell verschlossen. Die
Spanier stuermten heran, aber da regnete es Pfeile aus den Fenstern,
Aguillar befahl Feuerbraende hineinzuwerfen. Schon loderten die
Flammen aus dem Dache hoch auf, als durch den Donner des Geschuetzes
eine wunderbare Stimme aus dem brennenden Gebaeude erklang: "Sanctus
- Sanctus Dominus deus Sabaoth." - "Julia - Julia!" rief Aguillar
in trostlosem Schmerz, da oeffneten sich die Pforten, und Julia im
Gewande der Benediktiner-Nonne trat hervor mit starker Stimme singend:
"Sanctus - Sanctus dominus deus Sabaoth", hinter ihr zogen die Mohren
in gebeugter Stellung die Haende auf der Brust zum Kreuz verschraenkt.
Erstaunt wichen die Spanier zurueck und durch ihre Reihen zog Julia
mit den Mohren nach der Kathedrale - hineintretend intonierte sie das:
"Benedictus qui venit in nomine domini." Unwillkuerlich, als komme die
Heilige vom Himmel gesendet, Heiliges zu verkuenden den Gesegneten des
Herrn, beugte das Volk die Knie. Festen Schrittes, den verklaerten
Blick gen Himmel gerichtet, trat Julia vor den Hochaltar zwischen
Ferdinand und Isabellen, das Amt singend und die heiligen Gebraeuche
mit inbruenstiger Andacht uebend. Bei den letzten Lauten des: "Dona
nobis pacem", sank Julia entseelt der Koenigin in die Arme. Alle
Mohren, die ihr gefolgt, empfingen, zum Glauben bekehrt, selbigen
Tages die heilige Taufe.

So hatte der Enthusiast seine Geschichte geendet, als der Doktor mit
vielem Geraeusch eintrat, heftig mit dem Stock auf die Erde stiess
und zornig schrie: "Da sitzen sie noch und erzaehlen sich tolle
fantastische Geschichten ohne Ruecksicht auf Nachbarschaft und machen
die Leute kraenker." - "Was ist denn nun wieder geschehen, mein
Wertester", sprach der Kapellmeister ganz erschrocken. "Ich weiss es
recht gut", fiel der Enthusiast ganz gelassen ein. "Nichts mehr und
nichts weniger, als dass Bettina uns stark reden gehoert hat, dort
ins Kabinett gegangen ist und alles weiss." - "Das habt Ihr nun",
sprudelte der Doktor, "von Euren verdammten luegenhaften Geschichten,
wahnsinniger Enthusiast, dass Ihr reizbare Gemueter vergiftet -
ruiniert, mit Eurem tollen Zeuge; aber ich werde Euch das Handwerk
legen." - "Herrlicher Doktor!" unterbrach der Enthusiast den Zornigen,
"ereifert Euch nicht und bedenkt, dass Bettinas psychische Krankheit
psychische Mittel erfordert und dass vielleicht meine Geschichte" -
"Still still", fiel der Doktor ganz gelassen ein, "ich weiss schon,
was Ihr sagen wollt." - "Zu einer Oper taugt es nicht, aber sonst
gab es darin einige sonderbar klingende Akkorde." So murmelte der
Kapellmeister, indem er den Hut ergriff und den Freunden folgte.

Als drei Monat darauf der reisende Enthusiast der gesundeten Bettina,
die mit herrlicher Glocken-Stimme Pergoleses Stabat mater (jedoch
nicht in der Kirche, sondern im maessig grossen Zimmer) gesungen
hatte, voll Freude und andaechtigen Entzueckens die Hand kuesste,
sprach sie: "Ein Hexenmeister sind Sie gerade nicht, aber zuweilen
etwas widerhaarigter Natur", "wie alle Enthusiasten", setzte der
Kapellmeister hinzu.



Zweiter Teil



Das oede Haus

Man war darueber einig, dass die wirklichen Erscheinungen im Leben oft
viel wunderbarer sich gestalten, als alles, was die regste Fantasie
zu erfinden trachte. "Ich meine", sprach Lelio, "dass die Geschichte
davon hinlaenglichen Beweis gibt und dass eben deshalb die sogenannten
historischen Romane, worin der Verfasser, in seinem muessigen Gehirn
bei aermlichem Feuer ausgebruetete Kindereien, den Taten der ewigen,
im Universum wartenden Macht beizugesellen sich unterfaengt, so
abgeschmackt und widerlich sind." - "Es ist", nahm Franz das Wort,
"die tiefe Wahrheit der unerforschlichen Geheimnisse, von denen wir
umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den ueber
uns herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen." - "Ach!"
fuhr Lelio fort, "die Erkenntnis, von der du sprichst! - Ach das
ist ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem
Suendenfall, dass diese Erkenntnis uns fehlt!" - "Viele", unterbrach
Franz den Freund, "viele sind berufen und wenige auserwaehlt! Glaubst
du denn nicht, dass das Erkennen, das beinahe noch schoenere Ahnen
der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer
Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren
koennten, heraufzuspringen in den heitren Augenblick, werf ich euch
das skurrile Gleichnis hin, dass Menschen, denen die Sehergabe
[gegeben], das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermaeuse
beduenken wollen, an denen der gelehrte Anatom Spalanzani einen
vortrefflichen sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter
Stellvertreter nicht allein alles, sondern viel mehr ausrichtet, als
alle uebrige Sinne zusammengenommen." - "Ho ho", rief Franz laechelnd,
"so waeren denn die Fledermaeuse eigentlich recht die gebornen
natuerlichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augenblick, dessen du
gedachtest, will ich Posto fassen und bemerken, dass jener sechste
bewundrungswuerdige Sinn vermag an jeder Erscheinung, sei es Person,
Tat oder Begebenheit, sogleich dasjenige Exzentrische zu schauen, zu
dem wir in unserm gewoehnlichen Leben keine Gleichung finden und es
daher wunderbar nennen. Was ist denn aber gewoehnliches Leben? - Ach
das Drehen in dem engen Kreise, an den unsere Nase ueberall stoesst,
und doch will man wohl Courbetten versuchen im taktmaessigen Passgang
des Alltagsgeschaefts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der
wir sprechen, ganz vorzueglich eigen scheint. Daher kommt es, dass er
oft unbekannten Menschen, die irgend etwas Verwunderliches in Gang,
Kleidung, Ton, Blick haben, tagelang nachlaeuft, dass er ueber eine
Begebenheit, ueber eine Tat, leichthin erzaehlt, keiner Beachtung wert
und von niemanden beachtet, tiefsinnig wird, dass er antipodische
Dinge zusammenstellt und Beziehungen herausfantasiert, an die niemand
denkt." Lelio rief laut: "Halt, halt, das ist ja unser Theodor,
der ganz was Besonderes im Kopfe zu haben scheint, da er mit solch
seltsamen Blicken in das Blaue herausschaut." - "In der Tat", fing
Theodor an, der so lange geschwiegen, "in der Tat, waren meine Blicke
seltsam, solang darin der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im
Geiste schaute. Die Erinnerung eines unlaengst erlebten Abenteuers"
- "O erzaehle, erzaehle", unterbrachen ihn die Freunde. "Erzaehlen",
fuhr Theodor fort, "moecht ich wohl, doch muss ich zuvoerderst dir,
lieber Lelio, sagen, dass du die Beispiele, die meine Sehergabe dartun
sollten, ziemlich schlecht waehltest. Aus Eberhards Synonymik musst
du wissen, dass _wunderlich_ alle Aeusserungen der Erkenntnis und des
Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernuenftigen Grund
rechtfertigen lassen, _wunderbar_ aber dasjenige heisst, was man fuer
unmoeglich, fuer unbegreiflich haelt, was die bekannten Kraefte der
Natur zu uebersteigen, oder wie ich hinzufuege, ihrem gewoehnlichen
Gange entgegen zu sein scheint. Daraus wirst du entnehmen, dass du
vorhin ruecksichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche
mit dem Wunderbaren verwechseltest. Aber gewiss ist es, dass das
anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sprosst, und dass wir nur
oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige
mit Blaettern und Blueten hervorsprossen. In dem Abenteuer, das
ich euch mitteilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und
Wunderbare, auf, wie mich duenkt, recht schauerliche Weise." Mit
diesen Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die
Freunde wussten, allerlei Notizen von seiner Reise her eingetragen
hatte, und erzaehlte, dann und wann in dies Buch hineinblickend,
folgende Begebenheit, die der weiteren Mitteilung nicht unwert
scheint.

"Ihr wisst" (so fing Theodor an), "dass ich den ganzen vorigen Sommer
in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich
vorfand, das freie gemuetliche Leben, die mannigfachen Anregungen der
Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich
heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Strassen
zu wandeln, und mich an jedem ausgehaengten Kupferstich, an jedem
Anschlagzettel zu ergoetzen, oder die mir begegnenden Gestalten zu
betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing
ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der
ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der
vielen herrlichen Prachtgebaeude unwiderstehlich mich dazu antrieb.
Die mit Gebaeuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem
***ger Tore fuehrt, ist der Sammelplatz des hoeheren, durch Stand oder
Reichtum zum ueppigeren Lebensgenuss berechtigten Publikums. In dem
Erdgeschoss der hohen breiten Palaeste werden meistenteils Waren
des Luxus feilgeboten, indes in den obern Stockwerken Leute der
beschriebenen Klasse hausen. Die vornehmsten Gasthaeuser liegen in
dieser Strasse, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so
koennt ihr denken, dass hier ein besonderes Leben und Regen mehr
als in irgend einem andern Teile der Residenz stattfinden muss, die
sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das
Zudraengen nach diesem Orte macht es, dass mancher sich mit einer
kleineren Wohnung, als sein Beduerfnis eigentlich erfordert, begnuegt,
und so kommt es, dass manches von mehreren Familien bewohnte Haus
einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt,
als mir eines Tages ploetzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz
wunderliche seltsame Weise von allen uebrigen abstach. Denkt euch ein
niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schoenen Gebaeuden
eingeklemmtes Haus, dessen Stock ueber dem Erdgeschoss nur wenig
ueber die Fenster im Erdgeschoss des nachbarlichen Hauses hervorragt,
dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte
Fenster, dessen farblose Mauern von gaenzlicher Verwahrlosung des
Eigentuemers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit
geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebaeuden sich ausnehmen
muss. Ich blieb stehen und bemerkte bei naeherer Betrachtung, dass
alle Fenster dicht verzogen waren, ja dass vor die Fenster des
Erdgeschosses eine Mauer aufgefuehrt schien, dass die gewoehnliche
Glocke an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur
Haustuere diente, fehlte, und dass an dem Torwege selbst nirgends ein
Schloss, ein Druecker zu entdecken war. Ich wurde ueberzeugt, dass
dieses Haus ganz unbewohnt sein muesse, da ich niemals, niemals, so
oft und zu welcher Tageszeit ich auch voruebergehen mochte, auch nur
die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes
Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung und doch
findet das Ding vielleicht darin seinen natuerlichen einfachen Grund,
dass der Besitzer auf einer lange dauernden Reise begriffen oder
auf fernen Guetern hausend, dies Grundstueck weder vermieten noch
veraeussern mag, um, nach ***n zurueckkehrend, augenblicklich seine
Wohnung dort aufschlagen zu koennen. - So dacht ich, und doch
weiss ich selbst nicht wie es kam, dass bei dem oeden Hause
vorueberschreitend ich jedesmal wie festgebannt stehen bleiben und
mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen, als
verstricken musste. - Ihr wisst es ja alle, ihr wackern Kumpane meines
froehlichen Jugendlebens, ihr wisst es ja alle, wie ich mich von jeher
als Geisterseher gebaerdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt
seltsame Erscheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem
Verstande wegzuleugnen wusstet! - Nun! zieht nur eure schlauen
spitzfuendigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja,
dass ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und dass mit dem
oeden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber - am Ende
kommt die Moral, die euch zu Boden schlaegt, horcht nur auf! - Zur
Sache! - Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton
gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie
gewoehnlich, in tiefen Gedanken hinstarrend vor dem oeden Hause.
Ploetzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, dass jemand neben
mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist
Graf P., der sich schon in vieler Hinsicht als mir geistesverwandt
kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als dass auch
ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr fiel es
mir auf, dass, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies
veroedete Gebaeude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf
mich gemacht hatte, er sehr ironisch laechelte, bald war aber alles
erklaert. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen
Bemerkungen, Kombinationen etc. hatte er die Bewandtnis
herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis
lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte heraus, die nur die
lebendigste Fantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es
waere wohl recht, dass ich euch die Geschichte des Grafen, die ich
noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt
fuehle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so
gespannt, dass ich unaufhaltsam fortfahren muss. Wie war aber dem
guten Grafen zu Mute, als er mit der Geschichte fertig, erfuhr, dass
das veroedete Haus nichts anders enthalte, als die Zuckerbaeckerei
des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstiess.
Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Oefen eingerichtet,
vermauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im obern Stock
bestimmten Zimmer mit dicken Vorhaengen gegen Sonne und Ungeziefer
verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er, die
Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen
feindliche Daemon den Suesstraeumenden empfindlich und schmerzhaft bei
der Nase. - Unerachtet der prosaischen Aufklaerung musste ich doch
noch immer voruebergehend nach dem oeden Hause hinschauen, und noch
immer gingen im leisen Froesteln, das mir durch die Glieder bebte,
allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus
konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbaeckerei, des
Marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Fruechte usw.
gewoehnen. Eine seltsame Ideen-Kombination liess mir das alles
erscheinen wie suesses beschwichtigendes Zureden. Ungefaehr:
'Erschrecken Sie nicht, Bester! wir alle sind liebe suesse Kinderchen,
aber der Donner wird gleich ein bisschen einschlagen.' Dann dachte
ich wieder: 'Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, dass du das
Gewoehnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten deine
Freunde dich nicht mit Recht einen ueberspannten Geisterseher?' - Das
Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht anders
sein konnte, immer unveraendert, und so geschah es, dass mein Blick
sich daran gewoehnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich
aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmaehlig verschwanden.
Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. - Dass,
unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltaegliche gefuegt
hatte, ich doch nicht unterliess, das fabelhafte Haus im Auge zu
behalten, das koennt ihr euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit
frommer ritterlicher Treue am Wunderbaren festhaelt, wohl denken.

So geschah es, dass ich eines Tages, als ich wie gewoehnlich zur
Mittagsstunde in der Allee lustwandelte meinen Blick auf die
verhaengten Fenster des oeden Hauses richtete. Da bemerkte ich, dass
die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich
zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riss
meinen Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend
weisse, schoen geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem
Finger ein Brillant mit ungewoehnlichem Feuer funkelte, ein reiches
Band blitzte an dem in ueppiger Schoenheit geruendeten Arm. Die
Hand setzte eine hohe seltsam geformte Kristallflasche hin auf die
Fensterbank und verschwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich
stehen, ein sonderbar baenglich wonniges Gefuehl durchstroemte mit
elektrischer Waerme mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach
dem verhaengnisvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller
Seufzer meiner Brust entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand
mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit
neugierigen Gesichtern heraufguckten. Das verdross mich, aber gleich
fiel mir ein, dass jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das zahllos vor
dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich darueber zu verwundern
aufhoeren konnte, dass eine Schlafmuetze aus dem sechsten Stock
herabgestuerzt, ohne eine Masche zu zerreissen. - Ich schlich mich
leise fort, und der prosaische Daemon fluesterte mir sehr vernehmlich
in die Ohren, dass soeben die reiche, sonntaeglich geschmueckte
Konditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf
die Fensterbank gestellt. - Seltner Fall! - mir kam urploetzlich ein
sehr gescheuter Gedanke. - Ich kehrte um und geradezu ein, in den
leuchtenden Spiegelladen des dem oeden Hause nachbarlichen Konditors.
- Mit kuehlendem Atem den heissen Schaum von der Schokolade
wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: 'In der Tat, Sie haben da
nebenbei Ihre Anstalt sehr schoen erweitert.' Der Konditor warf noch
schnell ein paar bunte Bonbons in die Viertel-Tuete, und diese dem
lieblichen Maedchen, das darnach verlangte, hinreichend, lehnte er
sich mit aufgestemmtem Arm weit ueber den Ladentisch herueber und
schaute mich mit solch laechelnd fragendem Blick an, als habe er mich
gar nicht verstanden. Ich wiederholte, dass er sehr zweckmaessig in
dem benachbarten Hause seine Baeckerei angelegt, wiewohl das dadurch
veroedete Gebaeude in der lebendigen Reihe der uebrigen duester und
traurig absteche. 'Ei mein Herr!' fing nun der Konditor an, 'wer hat
Ihnen denn gesagt, dass das Haus nebenan uns gehoert? - Leider blieb
jeder Versuch es zu akquirieren vergebens, und am Ende mag es auch
gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigne Bewandtnis.' -
Ihr, meine treuen Freunde, koennt wohl denken, wie mich des Konditors
Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause
zu sagen. 'Ja, mein Herr!' sprach er, 'recht Sonderliches weiss ich
selbst nicht davon, so viel ist aber gewiss, dass das Haus der Graefin
von S. gehoert, die auf ihren Guetern lebt und seit vielen Jahren
nicht in ***n gewesen ist. Als noch keins der Prachtgebaeude
existierte, die jetzt unsere Strasse zieren, stand dies Haus, wie man
mir erzaehlt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der
Zeit wurd es nur gerade vor dem gaenzlichen Verfall gesichert. Nur
zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter menschenfeindlicher
Hausverwalter und ein graemlicher lebenssatter Hund, der zuweilen auf
dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in
dem oeden Gebaeude haesslich spuken, und in der Tat, mein Bruder (der
Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht,
vorzueglich zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschaeft hier im Laden
wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich
hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an so
haesslich zu scharren und zu rumoren, dass uns beiden ganz graulich
zumute wurde. Auch ist es nicht lange her, dass sich zur Nachtzeit ein
solch sonderbarer Gesang hoeren liess, den ich Ihnen nun gar nicht
beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die
wir vernahmen, aber die Toene waren so gellend klar, und liefen in
bunten Kadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie
ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland
so viel Saengerinnen gekannt, noch nie gehoert habe. Mir war so, als
wuerden franzoesische Worte gesungen, doch konnt ich das nicht genau
unterscheiden, und ueberhaupt das tolle gespenstige Singen nicht lange
anhoeren, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das
Geraeusch auf der Strasse nachlaesst, hoeren wir auch in der hintern
Stube tiefe Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden
hervor zu droehnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt
man bald, dass es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. -
Bemerken Sie' - (er fuehrte mich in das hintere Zimmer und zeigte
durchs Fenster), 'bemerken Sie jene eiserne Roehre, die aus der Mauer
hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch
gar nicht geheizt wird, dass mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr
mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit
entschuldigt, dass er sein Essen koche, was der aber essen mag, das
weiss der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Roehre
recht stark raucht, ein sonderbarer ganz eigentuemlicher Geruch.' -
Die Glastuere des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf
mir, nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden
Blick zu. - Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare
Gestalt jemand anders sein als der Verwalter des geheimnisvollen
Hauses? - Denkt euch einen kleinen duerren Mann mit einem
mumienfarbnen Gesichte, spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen,
gruen funkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigem Laecheln, altmodig
mit aufgetuermtem Toupet und Klebeloeckchen frisiertem stark
gepudertem Haar, grossem Haarbeutel, Postillion d'Amour, kaffeebraunem
altem verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebuerstetem Kleide, grauen
Struempfen, grossen abgestumpften Schuhen mit Steinschnaellchen.
Denkt euch, dass diese kleine duerre Figur doch, vorzueglich was die
uebergrossen Faeuste mit langen starken Fingern betrifft, robust
geformt ist, und kraeftig nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber
stets laechelnd und starr hinausschauend nach den in Kristallglaesern
aufbewahrten Suessigkeiten mit ohnmaechtiger klagender Stimme
herausweint: 'Ein paar eingemachte Pomeranzen - ein paar Makronen -
ein paar Zuckerkastanien etc.' Denkt euch das und urteilt selbst, ob
hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Konditor suchte
alles, was der Alte gefordert, zusammen. 'Wiegen Sie, wiegen Sie,
verehrter Herr Nachbar', jammerte der seltsame Mann, holte aechzend
und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche, und suchte
muehsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den
Ladentisch aufzaehlte, aus verschiedenen alten zum Teil schon ganz aus
dem gewoehnlichen Kurs gekommenen Muenzsorten bestand. Er tat dabei
sehr klaeglich und murmelte: 'Suess - suess - suess soll nun alles
sein - suess meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums
Maul - puren Honig.' Der Konditor schaute mich lachend an, und sprach
dann zu dem Alten: 'Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja das
Alter, das Alter, die Kraefte nehmen ab immer mehr und mehr.' Ohne die
Miene zu aendern rief der Alte mit erhoehter Stimme: 'Alter? - Alter?
- Kraefte abnehmen? Schwach - matt werden! Ho ho - ho ho - ho ho!' Und
damit schlug er die Faeuste zusammen, dass die Gelenke knackten und
sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Fuesse zusammenklappend,
hoch auf, dass der ganze Laden droehnte und alle Glaeser zitternd
erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein graessliches
Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten der hinter ihm
hergeschlichen dicht an seine Fuesse geschmiegt auf dem Boden lag.
'Verruchte Bestie! satanischer Hoellenhund', stoehnte leise im vorigen
Ton der Alte, oeffnete die Tuete und reichte dem Hunde eine grosse
Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen,
war sogleich still, setzte sich auf die Hinterpfoten und knapperte
an der Makrone wie ein Eichhoernchen. Beide waren zu gleicher Zeit
fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen
und Einstecken seiner Tuete. 'Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar',
sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand, und drueckte die
des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. 'Der alte
schwaechliche Greis wuenscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr
Nachbar Konditor', wiederholte er dann und schritt zum Laden heraus,
hinter ihm der schwarze Hund mit der Zunge die Makronenreste vom Maule
wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich
stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. 'Sehn Sie', fing der Konditor
an, 'sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen,
wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm
herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S.
war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet, und jeden Tag (schon seit
vielen Jahren) die Graeflich S-sche Familie erwartet, weshalb auch
nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe
wegen des wunderlichen Getoens zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr
gelassen: ,Ja! - die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie
es aber nicht, es tut nicht wahr sein.`' - Die Stunde war gekommen, in
der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tuer oeffnete
sich, elegante Welt stroemte hinein und ich konnte nicht weiter
fragen.

So viel stand nun fest, dass die Nachrichten des Grafen P. ueber das
Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, dass der alte
Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte,
und dass ganz gewiss irgend ein Geheimnis vor der Welt dort verhuellt
werden sollte. Musste ich denn nicht die Erzaehlung von dem seltsamen,
schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schoenen Arms am Fenster
in Verbindung setzen? Der Arm sass nicht, konnte nicht sitzen an dem
Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors
Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen bluehenden Maedchens
kommen. Doch fuer das Merkzeichen des Arms entschieden, konnt ich
leicht mich selbst ueberreden, dass vielleicht nur eine akustische
Taeuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und dass ebenso
vielleicht nur des, vom Graulichen befangenen, Konditors truegliches
Ohr die Toene so vernommen. - Nun dacht ich an den Rauch, den
seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Kristallflasche, die ich
sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen
Zauberdingen befangenen Geschoepfs mir lebendig vor Augen. Der Alte
wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl,
der vielleicht ganz unabhaengig von der Graeflich S-schen Familie
geworden, nun auf seine eigne Hand in dem veroedeten Hause
unheilbringendes Wesen trieb. Meine Fantasie war im Arbeiten und
noch in selbiger Nacht nicht sowohl im Traum, als im Delirieren des
Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am
Finger, den Arm mit der glaenzenden Spange. Wie aus duennen grauen
Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmuetig flehenden
blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines
Maedchens, in voller anmutiger Jugendbluete hervor. Bald bemerkte
ich, dass das, was ich fuer Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus
der Kristallflasche, die die Gestalt in den Haenden hielt, in sich
kreiselndem Gewirbel emporstieg. 'O du holdes Zauberbild', rief ich
voll Entzuecken, 'o du holdes Zauberbild, tu es mir kund, wo du
weilst, was dich gefangen haelt? - O wie du mich so voll Wehmut und
Liebe anblickst! - Ich weiss es, die schwarze Kunst ist es, die dich
befangen, du bist die unglueckselige Sklavin des boshaften Teufels,
der herumwandelt kaffeebraun und behaarbeutelt in Zuckerladen und in
gewaltigen Spruengen alles zerschmeissen will und Hoellenhunde tritt,
die er mit Makronen fuettert, nachdem sie den satanischen Murki
im Fuenfachteltakt abgeheult. - O ich weiss ja alles, du holdes,
anmutiges Wesen! - Der Diamant ist der Reflex innerer Glut! - ach
haettst du ihn nicht mit deinem Herzblut getraenkt, wie koennt er
so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den allerherrlichsten
Liebestoenen, die je ein Sterblicher vernommen. - Aber ich weiss es
wohl, das Band, was deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette,
von der der Kaffeebraune spricht, sie sei magnetisch - Glaub es nicht
Herrliche! - ich sehe ja, wie sie herabhaengt in die, von blauem Feuer
gluehende Retorte. - Die werf ich um und du bist befreit! - Weiss ich
denn nicht alles - weiss ich denn nicht alles, du Liebliche? Aber nun,
Jungfrau! - nun oeffne den Rosenmund, o sage' - In dem Augenblick
griff eine knotige Faust ueber meine Schulter weg nach der
Kristallflasche, die in tausend Stuecke zersplittert in der Luft
verstaeubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die anmutige
Gestalt verschwunden in finstrer Nacht. - Ha! - ich merk es an euerm
Laecheln, dass ihr schon wieder in mir den traeumerischen Geisterseher
findet, aber versichern kann ich euch, dass der ganze Traum, wollt
ihr nun einmal nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten
Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im
prosaischen Unglauben anzulaecheln, so will ich lieber gar nichts mehr
davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. - Kaum war der Morgen
angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief,
und mich hinstellte vor das oede Haus! - Ausser den innern Vorhaengen
waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Strasse war noch voellig
menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und
horchte und horchte, aber kein Laut liess sich hoeren, still blieb es
wie im tiefen Grabe. - Der Tag kam herauf, das Gewerbe ruehrte sich,
ich musste fort. Was soll ich euch damit ermueden, wie ich viele Tage
hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste
zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner
bestimmten Notiz fuehrte, und wie endlich das schoene Bild meiner
Vision zu verblassen begann. - Endlich, als ich einst am spaeten Abend
von einem Spaziergange heimkehrend bei dem oeden Hause herangekommen,
bemerkte ich, dass das Tor halb geoeffnet war; ich schritt heran, der
Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluss war gefasst. 'Wohnt nicht
der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Hause?' So frug ich den
Alten, indem ich ihn beinahe zurueckdraengend in den, von einer Lampe
matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem
stehenden Laecheln und sprach leise und gezogen: 'Nein, _der_ wohnt
nicht hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt
auch in der ganzen Allee nicht. - Aber die Leute sagen, es spuke hier
in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, dass es nicht wahr ist,
es ist ein ruhiges, huebsches Haus, und morgen zieht die gnaedige
Graefin von S. ein und Gute Nacht, mein lieber Herr!' - Damit
manoevrierte mich der Alte zum Hause hinaus, und verschloss hinter mir
das Tor. Ich vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden
Schluesselbunde ueber den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir
vorkam, _herab_stieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt,
dass der Flur mit alten bunten Tapeten behaengt, und wie ein Saal mit
grossen, mit rotem Damast beschlagenen Lehnsesseln moebliert war,
welches denn doch ganz verwunderlich aussah.

Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindringen in das geheimnisvolle
Haus, die Abenteuer auf! - Denkt euch, denkt euch, sowie ich den
andern Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick
schon in der Ferne sich unwillkuerlich nach dem oeden Hause richtet,
sehe ich an dem letzten Fenster des obern Stocks etwas schimmern. -
Naeher getreten bemerke ich, dass die aeussere Jalousie ganz, der
innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen.
- O Himmel! gestuetzt auf den Arm blickt mich wehmuetig flehend jenes
Antlitz meiner Vision an. - War es moeglich in der auf- und abwogenden
Masse stehenzubleiben? - In dem Augenblick fiel mir die Bank ins
Auge, die fuer die Lustwandler in der Allee in der Richtung des oeden
Hauses, wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Ruecken
kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich
ueber die Lehne der Bank wegbeugend konnt ich nun ungestoert nach
dem verhaengnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige,
holdselige Maedchen, Zug fuer Zug! - Nur schien ihr Blick ungewiss.
Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten
die Augen etwas Todstarres, und die Taeuschung eines lebhaft gemalten
Bildes waere moeglich gewesen, haetten sich nicht Arm und Hand
zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen
Wesens am Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich
nicht die quaekende Stimme des italienischen Tabulettkraemers gehoert,
der mir vielleicht schon lange unaufhoerlich seine Waren anbot. Er
zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn
ziemlich hart und zornig ab. Er liess aber nicht nach mit Bitten
und Quaelen. Noch gar nichts habe er heute verdient, nur ein paar
Bleifedern, ein Buendelchen Zahnstocher moege ich ihm abkaufen. Voller
Ungeduld, den Ueberlaestigen nur geschwind los zu werden, griff ich
in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: 'Auch hier hab ich
noch schoene Sachen!' zog er den untern Schub seines Kastens heraus,
und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub
unter andern Glaesern lag, in kleiner Entfernung seitwaerts vor. - Ich
erblickte das oede Haus hinter mir, das Fenster und in den schaerfsten
deutlichsten Zuegen die holde Engelsgestalt meiner Vision. - Schnell
kaufte ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moeglich machte, in
bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster
hinzuschauen. - Doch, indem ich nun laenger und laenger das
Gesicht im Fenster anblickte, wurd ich von einem seltsamen, ganz
unbeschreiblichen Gefuehl, das ich beinahe waches Traeumen nennen
moechte, befangen. Mir war es, als laehme eine Art Starrsucht nicht
sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick,
den ich nun niemals mehr wuerde abwenden koennen von dem Spiegel.
Mit Beschaemung muss ich euch bekennen, dass mir jenes Ammenmaerchen
einfiel, womit mich in frueher Kindheit meine Wartfrau augenblicklich
zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluesten liess, abends vor dem
grossen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehen zu bleiben und hinein
zu gucken. Sie sagte naemlich, wenn Kinder nachts in den Spiegel
blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht heraus, und der Kinder
Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich
graulich, aber in vollem Grausen konnt ich doch oft nicht unterlassen,
wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich neugierig war auf
das fremde Gesicht. Einmal glaubt ich ein Paar graessliche gluehende
Augen aus dem Spiegel fuerchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie
auf und stuerzte dann ohnmaechtig nieder. In diesem Zufall brach eine
langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mir, als haetten
jene Augen mich wirklich angefunkelt. - Kurz, alles dieses tolle Zeug
aus meiner fruehen Kindheit fiel mir ein, Eiskaelte bebte durch meine
Adern - ich wollte den Spiegel von mir schleudern - ich vermocht es
nicht - nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an - ja
ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein.
Jenes Grausen, das mich ploetzlich ergriffen, liess von mir ab und gab
Raum dem wonnigen Schmerz suesser Sehnsucht, die mich mit elektrischer
Waerme durchglueht. 'Sie haben da einen niedlichen Spiegel', sprach
eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht
wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig
anlaechelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf
derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als dass ich
ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht
auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltiertem
Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergoetzliches Schauspiel
gegeben. 'Sie haben da einen niedlichen Spiegel', wiederholte der
Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage
noch hinzufuegte: 'Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige
Hineinstarren, erscheinen Ihnen Geister' etc. Der Mann, schon ziemlich
hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick
etwas ungemein Gutmuetiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar
keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, dass ich im Spiegel ein
wundervolles Maedchen erblickt, das hinter mir im Fenster des oeden
Hauses gelegen. - Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er
nicht auch das holde Antlitz gesehen. 'Dort drueben? - in dem alten
Hause - in dem letzten Fenster?' so fragte mich nun wieder ganz
verwundert der Alte. 'Allerdings, allerdings', sprach ich; da
laechelte der Alte sehr und fing an: 'Nun das ist doch eine
wunderliche Taeuschung - nun meine alten Augen - Gott ehre mir meine
alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge
das huebsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein,
wie es mir schien, recht gut und lebendig in Oel gemaltes Portraet.'
Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden,
die Jalousie heruntergelassen. 'Ja!' fuhr der Alte fort, 'ja, mein
Herr, nun ist's zu spaet, sich davon zu ueberzeugen, denn eben
nahm der Bediente, der dort, wie ich weiss, als Kastellan das
Absteigequartier der Graefin von S. ganz allein bewohnt, das Bild,
nachdem er es abgestaubt, vom Fenster fort und liess die Jalousie
herunter.' - 'War es denn gewiss ein Bild?' fragte ich nochmals ganz
bestuerzt. 'Trauen Sie meinen Augen', erwiderte der Alte. 'Dass Sie
nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiss sehr die
optische Taeuschung und - wie ich noch in Ihren Jahren war, haett ich
nicht auch das Bild eines schoenen Maedchens, kraft meiner Fantasie,
ins Leben gerufen?' - 'Aber Hand und Arm bewegten sich doch', fiel ich
ein. 'Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich', sprach der Alte,
laechelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf
und verliess mich, hoeflich sich verbeugend, mit den Worten: 'Nehmen
Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die so haesslich luegen.
- Ganz gehorsamster Diener.' - Ihr koennt denken, wie mir zu Mute
war, als ich mich so als einen toerichten, bloedsichtigen Fantasten
behandelt sah. Mir kam die Ueberzeugung, dass der Alte recht hatte,
und dass nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das
mich mit dem oeden Hause, zu meiner eignen Beschaemung, so garstig
mystifizierte.

Ganz voller Unmut und Verdruss lief ich nach Hause, fest entschlossen,
mich ganz loszusagen von jedem Gedanken an die Mysterien des oeden
Hauses, und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden.
Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, dass mich den Tag ueber
dringend gewordene Geschaefte am Schreibtisch, an den Abenden aber
geistreiche froehliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so musst
es wohl geschehen, dass ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse
dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, dass ich zuweilen aus dem
Schlaf auffuhr, wie ploetzlich durch aeussere Beruehrung geweckt,
und dann war es mir doch deutlich, dass nur der Gedanke an das
geheimnisvolle Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des
oeden Hauses erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst waehrend der
Arbeit, waehrend der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden,
durchfuhr mich oft ploetzlich, ohne weitern Anlass, jener Gedanke, wie
ein elektrischer Blitz. Doch waren dies nur schnell voruebergehende
Momente. Den kleinen Taschenspiegel, der mir so taeuschend das
anmutige Bildnis reflektiert, hatte ich zum prosaischen Hausbedarf
bestimmt. Ich pflegte mir vor demselben die Halsbinde festzuknuepfen.
So geschah es, dass er mir, als ich einst dies wichtige Geschaeft
abtun wollte, blind schien, und ich ihn nach bekannter Methode
anhauchte, um ihn dann hell zu polieren. - Alle meine Pulse stockten,
mein innerstes bebte vor wonnigem Grauen! - ja so muss ich das Gefuehl
nennen, das mich uebermannte, als ich sowie mein Hauch den Spiegel
ueberlief, im blaeulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich
mit jenem wehmuetigem, das Herz durchbohrendem Blick anschaute! -
Ihr lacht? - Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich fuer einen
unheilbaren Traeumer, aber sprecht, denkt was ihr wollt, genug, die
Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber sowie der Hauch zerrann,
verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. - Ich will euch
nicht ermueden, ich will euch nicht herzaehlen alle Momente, die sich,
einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich sagen, dass
ich unaufhoerlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte, dass es mir
oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervorzurufen, dass
aber manchmal die angestrengtesten Bemuehungen ohne Erfolg blieben.
Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem oeden Hause und
starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte sich
zeigen. - Ich lebte nur in dem Gedanken an _sie_, alles uebrige war
abgestorben fuer mich, ich vernachlaessigte meine Freunde, meine
Studien. - Dieser Zustand, wollte er in mildern Schmerz, in
traeumerische Sehnsucht uebergehen, ja schien es, als wolle das Bild
an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur hoechsten Spitze
gesteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen
denke. - Da ich von einem _Seelen_zustande rede, der mich haette ins
Verderben stuerzen koennen, so ist fuer euch, ihr Unglaeubigen, da
nichts zu belaecheln und zu bespoetteln, hoert und fuehlt mit mir, was
ich ausgestanden. - Wie gesagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblasst
war, ergriff mich ein koerperliches Uebelbefinden, die Gestalt trat,
wie sonst niemals, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor,
dass ich sie zu erfassen waehnte. Aber dann kam es mir auf greuliche
Weise vor, ich sei selbst die Gestalt, und von den Nebeln des Spiegels
umhuellt und umschlossen. Ein empfindlicher Brustschmerz, und dann
gaenzliche Apathie endigte den peinlichen Zustand, der immer eine,
das innerste Mark wegzehrende Erschoepfung hinterliess. In diesen
Momenten misslang jeder Versuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber
erkraeftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel
hervor, so mag ich nicht leugnen, dass sich damit ein besonderer, mir
sonst fremder physischer Reiz verband. - Diese ewige Spannung wirkte
gar verderblich auf mich ein, blass wie der Tod und zerstoert im
ganzen Wesen schwankte ich umher, meine Freunde hielten mich fuer
krank, und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, ueber
meinen Zustand, so wie ich es nur vermochte, ernstlich nachzusinnen.
War es Absicht oder Zufall, dass einer der Freunde, welcher
Arzneikunde studierte, bei einem Besuch Reils Buch ueber
Geisteszerruettungen zurueckliess. Ich fing an zu lesen, das Werk zog
mich unwiderstehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was
ueber fixen Wahnsinn gesagt wird, mich selbst wiederfand! - Das tiefe
Entsetzen, das ich, mich selbst auf dem Wege zum Tollhause erblickend,
empfand, brachte mich zur Besinnung und zum festen Entschluss, den
ich rasch ausfuehrte. Ich steckte meinen Taschenspiegel ein und eilte
schnell zu dem Doktor K., beruehmt durch seine Behandlung und Heilung
der Wahnsinnigen, durch sein tieferes Eingehen in das psychische
Prinzip, welches oft sogar koerperliche Krankheiten hervorzubringen
und wieder zu heilen vermag. Ich erzaehlte ihm alles, ich verschwieg
ihm nicht den kleinsten Umstand und beschwor ihn mich zu retten, von
dem ungeheuern Schicksal, von dem bedroht ich mich glaubte. Er hoerte
mich sehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in seinem Blick tiefes
Erstaunen. 'Noch', fing er an, 'noch ist die Gefahr keinesweges so
nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewissheit behaupten, dass ich
sie ganz abzuwenden vermag. Dass Sie auf unerhoerte Weise psychisch
angegriffen sind, leidet gar keinen Zweifel, aber die voellige klare
Erkenntnis dieses Angriffs irgend eines boesen Prinzips gibt Ihnen
selbst die Waffen in die Hand, sich dagegen zu wehren. Lassen Sie mir
Ihren Taschenspiegel, zwingen Sie sich zu irgend einer Arbeit, die
Ihre Geisteskraefte in Anspruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten
Sie von der Fruehe an, solange Sie es nur auszuhalten vermoegen, dann
aber, nach einem tuechtigen Spaziergange, fort in die Gesellschaft
Ihrer Freunde, die Sie so lange vermisst. Essen Sie nahrhafte Speisen,
trinken Sie starken kraeftigen Wein. Sie sehen, dass ich bloss die
fixe Idee, das heisst, die Erscheinung des Sie betoerenden Antlitzes
im Fenster des oeden Hauses und im Spiegel vertilgen, Ihren Geist auf
andere Dinge leiten und Ihren Koerper staerken will. Stehen Sie selbst
meiner Absicht redlich bei.' - Es wurde mir schwer, mich von dem
Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn schon genommen, schien es zu
bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt:
'Sehen Sie etwas?' - 'Nicht das mindeste', erwiderte ich, wie es sich
auch in der Tat verhielt. 'Hauchen Sie den Spiegel an', sprach dann
der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich tat es, das
Wunderbild trat deutlicher als je hervor. 'Da ist sie', rief ich laut.
Der Arzt schaute hinein und sprach dann: 'Ich sehe nicht das mindeste,
aber nicht verhehlen mag ich Ihnen, dass ich in dem Augenblick, als
ich in Ihren Spiegel sahe, einen unheimlichen Schauer fuehlte, der
aber gleich vorueberging. Sie bemerken, dass ich ganz aufrichtig bin,
und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. Wiederholen Sie
doch den Versuch.' Ich tat es, der Arzt umfasste mich, ich fuehlte
seine Hand auf dem Rueckenwirbel. - Die Gestalt kam wieder, der Arzt,
mit mir in den Spiegel schauend erblasste, dann nahm er mir den
Spiegel aus der Hand, schauete nochmals hinein, verschloss ihn in dem
Pult, und kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor
der Stirn schweigend dagestanden, zu mir zurueck. 'Befolgen Sie',
fing er an, 'befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf Ihnen
bekennen, dass jene Momente, in denen Sie ausser sich selbst gesetzt
Ihr eignes Ich in physischem Schmerz fuehlten, mir noch sehr
geheimnisvoll sind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr darueber
sagen zu koennen.'

Mit festem, unabaenderlichem Willen, so schwer es mir auch ankam,
lebte ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemaess, und sosehr
ich auch bald den wohltaetigen Einfluss anderer Geistesanstrengung und
der uebrigen verordneten Diaet verspuerte, so blieb ich doch nicht
frei von jenen furchtbaren Anfaellen, die mittags um zwoelf Uhr,
viel staerker aber nachts um zwoelf Uhr sich einzustellen pflegten.
Selbst in munterer Gesellschaft bei Wein und Gesang war es oft, als
durchfuehren ploetzlich mein Inneres spitzige gluehende Dolche, und
alle Macht des Geistes reichte dann nicht hin zum Widerstande, ich
musste mich entfernen und durfte erst wiederkehren, wenn ich aus dem
ohnmachtaehnlichen Zustande erwacht. - Es begab sich, dass ich mich
einst bei einer Abendgesellschaft befand, in der ueber psychische
Einfluesse und Wirkungen, ueber das dunkle unbekannte Gebiet des
Magnetismus gesprochen wurde. Man kam vorzueglich auf die Moeglichkeit
der Einwirkung eines entfernten psychischen Prinzips, sie wurde aus
vielen Beispielen bewiesen, und vorzueglich fuehrte ein junger, dem
Magnetismus ergebener, Arzt an, dass er, wie mehrere andere, oder
vielmehr wie _alle_ kraeftige Magnetiseurs, es vermoege, aus der
Ferne bloss durch den festfixierten Gedanken und Willen auf seine
Somnambulen zu wirken. Alles was Kluge, Schubert, Bartels u.m.
darueber gesagt haben, kam nach und nach zum Vorschein. 'Das
Wichtigste', fing endlich einer der Anwesenden, ein als scharfsinniger
Beobachter bekannter Mediziner, an, 'das Wichtigste von allem bleibt
mir immer, dass der Magnetismus manches Geheimnis, das wir als gemeine
schlichte Lebenserfahrung nun eben fuer kein Geheimnis erkennen
wollen, zu erschliessen scheint. Nur muessen wir freilich behutsam zu
Werke gehn. - Wie kommt es denn, dass ohne allen aeussern oder innern
uns bekannten Anlass, ja unsere Ideenkette zerreissend, irgend eine
Person, oder wohl gar das treue Bild irgend einer Begebenheit so
lebendig, so sich unsers ganzen Ichs bemeisternd [uns] in den Sinn
kommt, dass wir selbst darueber erstaunen. Am merkwuerdigsten ist
es, dass wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild ist in
den schwarzen Abgrund versunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz
unabhaengigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild
entgegen, das uns in ferne Gegenden versetzt und ploetzlich scheinbar
uns ganz fremd gewordene Personen, an die wir seit Jahren nicht mehr
dachten, uns entgegenfuehrt. Ja, noch mehr! oft schauen wir auf eben
die Weise ganz fremde unbekannte Personen, die wir vielleicht Jahre
nachher erst kennen lernen. Das bekannte: ,Mein Gott, der Mann, die
Frau, kommt mir so zum Erstaunen bekannt vor, ich daecht, ich haett
ihn, sie, schon irgendwo gesehen`, ist vielleicht, da dies oft
schlechterdings unmoeglich, die dunkle Erinnerung an ein solches
Traumbild. Wie wenn dies ploetzliche Hineinspringen fremder Bilder in
unsere Ideenreihe, die uns gleich mit besonderer Kraft zu ergreifen
pflegen, eben durch ein fremdes psychisches Prinzip veranlasst wuerde?
Wie wenn es dem fremden Geiste unter gewissen Umstaenden moeglich
waere, den magnetischen Rapport auch ohne Vorbereitung so
herbeizufuehren, dass wir uns willenlos ihm fuegen muessten?' - 'So
kaemen wir', fiel ein anderer lachend ein, 'mit einem gar nicht
zu grossen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauberbildern,
Spiegeln und andern unsinnigen aberglaeubischen Fantastereien laengst
verjaehrter alberner Zeit.' - 'Ei', unterbrach der Mediziner den
Unglaeubigen, 'keine Zeit kann verjaehren und noch viel weniger hat
es jemals eine alberne Zeit gegeben, wenn wir nicht etwa jede Zeit,
in der Menschen zu denken sich unterfangen moegen, mithin auch die
unsrige, fuer albern erkennen wollen. - Es ist ein eignes Ding, etwas
geradezu wegleugnen zu wollen, was oft sogar durch streng juristisch
gefuehrten Beweis festgestellt ist, und so wenig ich der Meinung bin,
dass in dem dunklen geheimnisvollen Reiche, welches unseres Geistes
Heimat ist, auch nur ein einziges, unserm bloedem Auge recht hell
leuchtendes Laempchen brennt, so ist doch so viel gewiss, dass uns die
Natur das Talent und die Neigung der Maulwuerfe nicht versagt hat. Wir
suchen, verblindet wie wir sind, uns weiterzuarbeiten auf finstern
Wegen. Aber so wie der Blinde auf Erden an dem fluesternden Rauschen
der Baeume, an dem Murmeln und Plaetschern des Wassers, die Naehe des
Waldes, der ihn in seinen kuehlenden Schatten aufnimmt, des Baches,
der den Durstenden labt, erkennt, und so das Ziel seiner Sehnsucht
erreicht, so ahnen wir an dem toenenden Fluegelschlag unbekannter, uns
mit Geisteratem beruehrender Wesen, dass der Pilgergang uns zur Quelle
des Lichts faehrt, vor dem unsere Augen sich auftun!' - Ich konnte
mich nicht laenger halten, 'Sie statuieren also', wandte ich mich
zu dem Mediziner, 'die Einwirkung eines fremden geistigen Prinzips,
dem man sich willenlos fuegen muss?' - 'Ich halte', erwiderte der
Mediziner, 'ich halte, um nicht zu weit zu gehen, diese Einwirkung
nicht allein fuer moeglich, sondern auch andern, durch den
magnetischen Zustand deutlicher gewordenen Operationen des psychischen
Prinzips fuer ganz homogen.' - 'So koennt es auch', fuhr ich fort,
'daemonischen Kraeften verstattet sein, feindlich verderbend auf uns
zu wirken?' - 'Schnoede Kunststuecke gefallner Geister', erwiderte der
Mediziner laechelnd. - 'Nein, denen wollen wir nicht erliegen. Und
ueberhaupt bitt ich, meine Andeutungen fuer nichts anders zu nehmen,
als eben nur fuer Andeutungen, denen ich noch hinzufuege, dass ich
keinesweges an _unbedingte_ Herrschaft eines geistigen Prinzips ueber
das andere glauben, sondern vielmehr annehmen will, dass entweder
irgend eine Abhaengigkeit, Schwaeche des innern Willens, oder eine
Wechselwirkung stattfinden muss, die jener Herrschaft Raum gibt.' -
'Nun erst', fing ein aeltlicher Mann an, der so lange geschwiegen und
nur aufmerksam zugehoert, 'nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen
Gedanken ueber Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen,
einigermassen befreunden. Gibt es geheimnisvolle taetige Kraefte,
die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen
nur irgend eine Abnormitaet im geistigen Organism Kraft und Mut zum
sieghaften Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur geistige Krankheit
- die Suende macht uns untertan dem daemonischen Prinzip. Merkwuerdig
ist es, dass von den aeltesten Zeiten her die den Menschen im
Innersten verstoerendste Gemuetsbewegung es war, an der sich
daemonische Kraefte uebten. Ich meine nichts anders als die
Liebesverzauberungen, von denen alle Chroniken voll sind. In tollen
Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und selbst in dem
Gesetzbuch eines sehr aufgeklaerten Staats wird von den Liebestruenken
gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken bestimmt
sind, als sie nicht Liebeslust im allgemeinen erwecken, sondern
unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich werde in
diesen Gespraechen an eine tragische Begebenheit erinnert, die sich in
meinem eignen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unser Land
mit seinen Truppen ueberschwemmt hatte, wurde ein Obrister von der
italienischen Nobelgarde bei mir einquartiert. Er war einer von den
wenigen Offizieren der sogenannten Grossen Armee, die sich durch ein
stilles bescheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein todbleiches
Gesicht, seine duestern Augen zeugten von Krankheit oder tiefer
Schwermut. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der besondere
Zufall kund tat, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf seinem
Zimmer, als er ploetzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf die Brust,
oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er
toedliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war
genoetigt sich in den Sofa zu werfen, dann aber verloren ploetzlich
seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewusstlosen Bildsaeule.
Mit einem Ruck wie aus dem Traume auffahrend, erwachte er endlich,
aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen
und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem
andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu
wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen musste, da er selbst
beim Magnetisieren des Kranken von einem unertraeglichen Gefuehl des
Uebelseins ergriffen wurde. Er hatte uebrigens des Obristen Zutrauen
gewonnen, und dieser sagte ihm, dass in jenen Momenten sich ihm das
Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann wuerde
es ihm als wenn ihre gluehenden Blicke in sein Inneres fuehren,
und er fuehle die unertraeglichsten Schmerzen, bis er in voellige
Bewusstlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein
dumpfer Kopfschmerz, und eine Abspannung, als habe er geschwelgt
im Liebesgenuss, zurueck. Nie liess er sich ueber die naeheren
Verhaeltnisse aus, in denen er vielleicht mit jenem Frauenzimmer
stand. Die Truppen sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des
Obristen vor der Tuere, er fruehstueckte, aber in dem Augenblicke,
als er ein Glas Madera zum Munde fuhren wollte, stuerzte er mit einem
dumpfen Schrei vom Stuhle herab. Er war tot. Die Aerzte fanden ihn
vom Nervenschlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den
Obristen adressierter Brief bei mir abgegeben. Ich hatte gar kein
Bedenken ihn zu oeffnen, um vielleicht ein Naeheres von den Verwandten
des Obristen zu erfahren, und ihnen Nachricht von seinem ploetzlichen
Tode geben zu koennen. Der Brief kam von Pisa und enthielt ohne
Unterschrift die wenigen Worte: ,Unglueckseliger! Heute, am 7. -
um zwoelf Uhr Mittag sank Antonia, dein truegerisches Abbild mit
liebenden Armen umschlingend, tot nieder!` - Ich sah den Kalender
nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte und fand, dass
Antonias Todesstunde auch die seinige gewesen.' - Ich hoerte nicht
mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte; denn in dem
Entsetzen, das mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen
Zustand den meinigen erkannte, ging mit wuetendem Schmerz eine solche
wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbekannten Bilde auf, dass ich
davon ueberwaeltigt aufspringen und hineilen musste nach dem
verhaengnisvollen Hause. Es war mir in der Ferne, als saeh ich Lichter
blitzen, durch die festverschlossenen Jalousien, aber der Schein
verschwand, als ich naeher kam. Rasend vor duerstendem Liebesverlangen
stuerzte ich auf die Tuer; sie wich meinem Druck, ich stand auf
dem matt erleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, schwuelen Luft
umfangene Das Herz pochte mir vor seltsamer Angst und Ungeduld, da
ging ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle stroemender Ton
durch das Haus, und ich weiss selbst nicht, wie es geschah, dass ich
mich ploetzlich in einem mit vielen Kerzen hellerleuchteten Saale
befand, der in altertuemlicher Pracht mit vergoldeten Moebeln
und seltsamen japanischen Gefaessen verziert war. Starkduftendes
Raeucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. 'Willkommen -
willkommen, suesser Braeutigam - die Stunde ist da, die Hochzeit nah!'
- So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und ebensowenig,
als ich weiss, wie ich ploetzlich in den Saal kam, ebensowenig vermag
ich zu sagen, wie es sich begab, dass ploetzlich aus dem Nebel eine
hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuchtete. Mit dem
wiederholten gellenden Ruf: 'Willkommen suesser Braeutigam', trat sie
mit ausgebreiteten Armen mir entgegen - und ein gelbes, von Alter
und Wahnsinn graesslich verzerrtes Antlitz starrte mir in die Augen.
Von tiefem Entsetzen durchbebt wankte ich zurueck; wie durch den
gluehenden, durchbohrenden Blick der Klapperschlange festgezaubert,
konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem greulichen alten Weibe,
konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat naeher auf
mich zu, da war es mir, als sei das scheussliche Gesicht nur eine
Maske von duennem Flor, durch den die Zuege jenes holden Spiegelbildes
durchblickten. Schon fuehlt ich mich von den Haenden des Weibes
beruehrt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Boden sank und hinter
mir eine Stimme rief. 'Hu hu! - treibt schon wieder der Teufel sein
Bocksspiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnaedigste, sonst
setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!' - Ich wandte mich rasch um und
erblickte den alten Hausverwalter im blossen Hemde, eine tuechtige
Peitsche ueber dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die
Alte, die sich heulend am Boden kruemmte. Ich fiel ihm in den Arm,
aber mich von sich schleudernd rief er: 'Donnerwetter, Herr, der alte
Satan haette Sie ermordet, kam ich nicht dazwischen - fort, fort,
fort.' - Ich stuerzte zum Saal heraus, vergebens sucht ich in dicker
Finsternis die Tuer des Hauses. Nun hoert ich die zischenden Hiebe der
Peitsche und das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Huelfe
rufen, als der Boden unter meinen Fuessen schwand, ich fiel eine
Treppe herab und traf auf eine Tuer so hart, dass sie aufsprang und
ich der Laenge nach in ein kleines Zimmer stuerzte. An dem Bette, das
jemand soeben verlassen zu haben schien, an dem kaffeebraunen, ueber
einen Stuhl gehaengten Rocke musste ich augenblicklich die Wohnung des
alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augenblicke nachher polterte es
die Treppe herab, der Hausverwalter stuerzte herein und hin zu meinen
Fuessen. 'Um aller Seligkeit willen', flehte er mit aufgehobenen
Haenden, 'um aller Seligkeit willen, wer Sie auch sein moegen, wie
der alte gnaedige Hexensatan Sie auch hierher gelockt haben mag,
verschweigen Sie, was hier geschehen, sonst komme ich um Amt und Brot!
- Die wahnsinnige Exzellenz ist abgestraft und liegt gebunden im
Bette. O schlafen Sie doch, geehrtester Herr! recht sanft und suess.
- Ja ja, das tun Sie doch fein - eine schoene warme Juliusnacht, zwar
kein Mondschein, aber beglueckter Sternenschimmer. - Nun ruhige,
glueckliche Nacht.' - Unter diesen Reden war der Alte aufgesprungen,
hatte ein Licht genommen, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich
zur Tuere hinausgeschoben, und diese fest verschlossen. Ganz verstoert
eilt ich nach Hause, und ihr koennt wohl denken, dass ich, zu tief von
dem grauenvollen Geheimnis ergriffen, auch nicht den mindesten nur
wahrscheinlichen Zusammenhang der Sache mir in den ersten Tagen denken
konnte. Nur so viel war gewiss, dass, hielt mich so lange ein boeser
Zauber gefangen, dieser jetzt in der Tat von mir abgelassen hatte.
Alle schmerzliche Sehnsucht nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war
gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im oeden Gebaeude wie
das unvermutete Hineingeraten in ein Tollhaus. Dass der Hausverwalter
zum tyrannischen Waechter einer wahnsinnigen Frau von vornehmer
Geburt, deren Zustand vielleicht der Welt verborgen bleiben sollte,
bestimmt worden, daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel -
das tolle Zauberwesen ueberhaupt - doch weiter - weiter!

Spaeter begab es sich, dass ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen
P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: 'Wissen Sie
wohl, dass sich die Geheimnisse unseres oeden Hauses zu enthuellen
anfangen?' Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzaehlen
wollte, oeffneten sich die Fluegeltueren des Esssaals, man ging zur
Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf
entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war
mechanisch der in steifem Zeremoniell sehr langsam daherschreitenden
Reihe gefolgt. Ich fuehre meine Dame zu dem offnen Platz, der sich
uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und - erblicke mein
Spiegelbild in den getreusten Zuegen, so dass gar keine Taeuschung
moeglich ist. Dass ich im Innersten erbebte, koennt ihr euch wohl
denken, aber ebenso muss ich euch versichern, dass sich auch nicht der
leiseste Anklang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswut in mir
regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare
Frauenbild aus dem Spiegel hervorrief. - Meine Befremdung, noch mehr,
mein Erschrecken muss lesbar gewesen sein in meinem Blick, denn das
Maedchen sah mich ganz verwundert an, so dass ich fuer noetig hielt,
mich so, wie ich nur konnte, zusammen zu nehmen, und so gelassen als
moeglich anzufuehren, dass eine lebhafte Erinnerung mich gar nicht
zweifeln lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze
Abfertigung, dass dies wohl nicht gut der Fall sein koenne, da sie
gestern erst und zwar das erstemal in ihrem Leben nach ***n gekommen,
machte mich im eigentlichsten Sinn des Worts etwas verbluefft. Ich
verstummte. Nur der Engelsblick, den die holdseligen Augen des
Maedchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wisst, wie man bei
derlei Gelegenheit die geistigen Fuehlhoerner ausstrecken und leise,
leise tasten muss, bis man die Stelle findet, wo der angegebene Ton
widerklingt. So macht ich es und fand bald, dass ich ein zartes,
holdes, aber in irgend einem psychischen Ueberreiz verkraenkeltes
Wesen neben mir hatte. Bei irgend einer heitern Wendung des Gepraechs,
vorzueglich wenn ich zur Wuerze wie scharfen Cayenne-Pfeffer irgend
ein keckes bizarres Wort hineinstreute, laechelte sie zwar, aber
seltsam schmerzlich, wie zu hart beruehrt. 'Sie sind nicht heiter,
meine Gnaedige, vielleicht der Besuch heute morgen.' - So redete ein
nicht weit entfernt sitzender Offizier meine Dame an, aber in dem
Augenblick fasste ihn sein Nachbar schnell beim Arm und sagte ihm
etwas ins Ohr, waehrend eine Frau an der andern Seite des Tisches Glut
auf den Wangen und im Blick laut der herrlichen Oper erwaehnte, deren
Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen vergleichen
werde. - Meiner Nachbarin stuerzten die Traenen aus den Augen: 'Bin
ich nicht ein albernes Kind', wandte sie sich zu mir. Schon erst hatte
sie ueber Migraene geklagt. 'Die gewoehnliche Folge des nervoesen
Kopfschmerzes', erwiderte ich daher mit unbefangenem Ton, 'wofuer
nichts besser hilft, als der muntre kecke Geist, der in dem Schaum
dieses Dichtergetraenks sprudelt.' Mit diesen Worten schenkte ich
Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem sie
davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Traenen, die sie
nicht zu bergen vermochte. Es schien heller geworden in ihrem Innern
und alles waere gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehends
hart an das vor mir stehende englische Glas gestossen, so dass es in
gellender schneidender Hoehe ertoente. Da erbleichte meine Nachbarin
bis zum Tode, und auch mich ergriff ein ploetzliches Grauen, weil der
Ton mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im oeden Hause schien. -
Waehrend dass man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen
P. zu naehern; er merkte gut, warum. 'Wissen Sie wohl, dass ihre
Nachbarin die Graefin Edwine von S. war? - Wissen Sie wohl, dass
in dem oeden Hause die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren
unheilbar wahnsinnig, eingesperrt gehalten wird? - Heute morgen
waren beide, Mutter und Tochter, bei der Ungluecklichen. Der alte
Hausverwalter, der einzige, der den gewaltsamen Ausbruechen des
Wahnsinns der Graefin zu steuern wusste, und dem daher die Aufsicht
ueber sie uebertragen wurde, liegt todkrank, und man sagt, dass die
Schwester endlich dem Doktor K. das Geheimnis anvertraut, und dass
dieser noch die letzten Mittel versuchen wird, die Kranke, wo nicht
herzustellen, doch von der entsetzlichen Tobsucht, in die sie zuweilen
ausbrechen soll, zu retten. Mehr weiss ich vorderhand nicht.' - Andere
traten hinzu, das Gespraech brach ab. - Doktor K. war nun gerade
derjenige, an den ich mich meines raetselhaften Zustandes halber,
gewandt, und ihr moeget euch wohl vorstellen, dass ich, sobald es sein
konnte, zu ihm eilte, und alles, was mir seit der Zeit widerfahren,
getreulich erzaehlte. Ich forderte ihn auf zu meiner Beruhigung, so
viel als er von der wahnsinnigen Alten wisse, zu sagen, und er nahm
keinen Anstand, mir, nachdem ich ihm strenge Verschwiegenheit gelobt,
folgendes anzuvertrauen.

'Angelika, Graefin von Z.' (so fing der Doktor an) 'unerachtet in die
Dreissig vorgerueckt, stand noch in der vollsten Bluete wunderbarer
Schoenheit, als der Graf von S., der viel juenger an Jahren, sie hier
in ***n bei Hofe sah, und sich in ihren Reizen so verfing, dass er
zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur
Sommerszeit die Graefin auf die Gueter ihres Vaters zurueckkehrte, ihr
nachreiste, um seine Wuensche, die nach Angelikas Benehmen durchaus
nicht hoffnungslos zu sein schienen, dem alten Grafen zu eroeffnen.
Kaum war Graf S. aber dort angekommen, kaum sah er Angelikas juengere
Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung erwachte. In
verbluehter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren
Schoenheit und Anmut den Grafen S. unwiderstehlich hinriss, und so
kam es, dass er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabrielens Hand
warb, die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele
gleich die entschiedenste Neigung fuer den Grafen S. zeigte. Angelika
aeusserte nicht den mindesten Verdruss ueber die Untreue ihres
Liebhabers. ,Er glaubt mich verlassen zu haben. Der toerichte Knabe!
er merkt nicht, dass nicht _ich_, dass _er_ mein Spielzeug war, das
ich wegwarf!` - So sprach sie in stolzem Hohn, und in der Tat, ihr
ganzes Wesen zeigte, dass es wohl Ernst sein mochte mit der Verachtung
des Ungetreuen. Uebrigens sah man, sobald das Buendnis Gabrielens
mit dem Grafen von S. ausgesprochen war, Angelika sehr selten. Sie
erschien nicht bei der Tafel und man sagte, sie schweife einsam im
naechsten Walde umher, den sie laengst zum Ziel ihrer Spaziergaenge
gewaehlt hatte. - Ein sonderbarer Vorfall stoerte die einfoermige
Ruhe, die im Schlosse herrschte. Es begab sich, dass die Jaeger des
Grafen von Z., unterstuetzt von den in grosser Anzahl aufgebotenen
Bauern, endlich eine Zigeunerbande eingefangen hatten, der man die
Mordbrennereien und Raeubereien, welche seit kurzer Zeit so haeufig
in der Gegend vorfielen, schuld gab. An eine lange Kette geschlossen
brachte man die Maenner, gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber
und Kinder auf den Schlosshof. Manche trotzige Gestalt, die mit wildem
funkelnden Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien
den entschlossenen Raeuber und Moerder zu bezeichnen, vorzueglich fiel
aber ein langes, hageres, entsetzliches Weib, in einen blutroten Shawl
vom Kopf bis zu Fuss gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand,
und mit gebietender Stimme rief. man solle sie herabsteigen lassen,
welches auch geschah. Der Graf von Z. kam auf den Schlosshof
und befahl eben, wie man die Bande abgesondert in den festen
Schlossgefaengnissen verteilen solle, als mit fliegenden Haaren,
Entsetzen und Angst in bleichem Gesicht, Graefin Angelika aus der Tuer
hinausstuerzte, und auf die Kniee geworfen mit schneidender Stimme
rief. ,Diese Leute los - diese Leute los - sie sind unschuldig,
unschuldig - Vater: lass diese Leute los! - ein Tropfen Bluts
vergossen an einem von diesen und ich stosse mir dieses Messer in die
Brust!` - Damit schwang die Graefin ein spiegelblankes Messer in den
Lueften und sank ohnmaechtig nieder. ,Ei mein schoenes Pueppchen,
mein trautes Goldkind, das wusst ich ja wohl, dass du es nicht leiden
wuerdest!` - So meckerte die rote Alte. Dann kauerte sie nieder neben
der Graefin und bedeckte Gesicht und Busen mit ekelhaften Kuessen,
indem sie fortwaehrend murmelte: ,Blanke Tochter, blanke Tochter wach
auf, wach auf, der Braeutigam kommt - hei hei blanker Braeutigam
kommt.` Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner
Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln schien. Diese
Phiole hielt die Alte der Graefin an das Herz, augenblicklich erwachte
sie, aber kaum erblickte sie das Zigeunerweib, als sie aufsprang,
das Weib heftig und bruenstig umarmte und dann mit ihr davoneilte in
das Schloss hinein. Der Graf von Z. - Gabriele, ihr Braeutigam, die
unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von seltsamen
Grauen ergriffen, das alles an. Die Zigeuner blieben ganz
gleichgueltig und ruhig, sie wurden nun abgeloest von der Kette, und
einzeln gefesselt in die Schlossgefaengnisse geworfen. Am andern
Morgen liess der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner
wurden vorgefuehrt, der Graf erklaerte laut, dass sie ganz unschuldig
waeren an allen Raeubereien, die in der Gegend veruebt, und dass
er ihnen freien Durchzug durch sein Gebiet verstatte, worauf sie
entfesselt und zum Erstaunen aller mit Paessen wohl versehen entlassen
wurden. Das rote Weib wurde vermisst. Man wollte wissen, dass der
Zigeunerhauptmann, kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem
roten Federbusch an dem spanisch niedergekrempten Hut, nachts auf dem
Zimmer des Grafen gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt
dargetan, dass die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet
umher in der Tat auch nicht den mindesten Anteil hatten. - Gabrieles
Hochzeit rueckte heran, mit Erstaunen bemerkte sie eines Tages, dass
mehrere Ruestwagen mit Meublen, Kleidungsstuecken, Waesche, kurz,
mit einer ganz vollstaendigen Hauseinrichtung bepackt wurden und
abfuhren. Andern Morgens erfuhr sie, dass Angelika begleitet von dem
Kammerdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten
roten Zigeunerin aehnlich gesehen, nachts abgereiset sei. Graf Z.
loeste das Raetsel, indem er erklaerte, dass er sich aus gewissen
Ursachen genoetiget gesehen, den freilich seltsamen Wuenschen
Angelikas nachzugeben, und ihr nicht allein das in
***n belegne Haus in der Allee als Eigentum zu schenken, sondern auch
zu erlauben, dass sie dort einen eignen, ganz unabhaengigen Haushalt
fuehre, wobei sie sich bedungen, dass keiner aus der Familie, ihn
selbst nicht ausgenommen, ohne ihre ausdrueckliche Erlaubnis das Haus
betreten solle. Der Graf von S. fuegte hinzu, dass auf Angelikas
dringenden Wunsch er seinen Kammerdiener ihr ueberlassen muessen, der
mitgereiset sei nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging
mit seiner Gemahlin nach D. und ein Jahr verging ihnen in ungetruebter
Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weise zu
kraenkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust,
alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuehungen seiner
Gemahlin, das Geheimnis ihm zu entreissen, das sein Innerstes
verderblich zu verstoeren schien. - Als endlich tiefe Ohnmachten
seinen Zustand lebensgefaehrlich machten, gab er den Aerzten nach und
ging angeblich nach Pisa. - Gabriele konnte nicht mitreisen, da sie
ihrer Niederkunft entgegensah, die indessen erst nach mehrern Wochen
erfolgte. - Hier', sprach der Arzt, 'werden die Mitteilungen der
Graefin Gabriele von S. so rhapsodisch, dass nur ein tieferer Blick
den naeheren Zusammenhang auffassen kann. - Genug - ihr Kind, ein
Maedgen, verschwindet auf unbegreifliche Weise aus der Wiege, alle
Nachforschungen bleiben vergebens - ihre Trostlosigkeit geht bis zur
Verzweiflung, als zur selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsetzliche
Nachricht schreibt, dass er den Schwiegersohn, den er auf dem
Wege nach Pisa glaubte, in ***n und zwar in Angelikas Hause, vom
Nervenschlage zum Tode getroffen, gefunden; dass Angelika in
furchtbaren Wahnsinn geraten sei und dass er solchen Jammer wohl
nicht lange tragen werde. - Sowie Gabriele von S. nur einige Kraefte
gewonnen, eilt sie auf die Gueter des Vaters; in schlafloser Nacht
das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt
sie ein leises Wimmern vor der Tuere des Schlafzimmers zu vernehmen;
ermutigt, zuendet sie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe
an und tritt heraus. - Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den
roten Shawl gewickelt, starrt das Zigeunerweib mit stierem, leblosem
Blick ihr in die Augen - in den Armen haelt sie ein kleines Kind, das
so aengstlich wimmert, das Herz schlaegt der Graefin hoch auf in der
Brust! - es ist ihr Kind! - es ist die verlorne Tochter! - Sie reisst
das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in diesem Augenblick
kugelt diese um, wie eine leblose Puppe. Auf das Angstgeschrei der
Graefin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib tot
auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf laesst sie
einscharren. - Was bleibt uebrig, als nach
***n zur wahnsinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das
Geheimnis mit dem Kinde zu erforschen. Alles hat sich veraendert.
Angelikas wilde Raserei hat alle weibliche Dienstboten entfernt, nur
der Kammerdiener ist geblieben. Angelika ist ruhig und vernuenftig
geworden. Als der Graf die Geschichte von Gabrielens Kinde erzaehlt,
schlaegt sie die Haende zusammen, und ruft mit lautem Lachen: ,Ist's
Pueppgen angekommen? richtig angekommen? - eingescharrt, eingescharrt?
Ojemine, wie praechtig sich der Goldfasan schuettelt! wisst ihr nichts
vom gruenen Loewen mit den blauen Glutaugen?` - Mit Entsetzen bemerkt
der Graf die Rueckkehr des Wahnsinns, indem ploetzlich Angelikas
Gesicht die Zuege des Zigeunerweibes anzunehmen scheint, und
beschliesst, die Arme mitzunehmen auf die Gueter, welches der alte
Kammerdiener widerraet. In der Tat bricht auch der Wahnsinn Angelikas
in Wut und Raserei aus, sobald man Anstalten macht, sie aus dem Hause
zu entfernen. - In einem lichten Zwischenraum beschwoert Angelika mit
heissen Traenen den Vater, sie in dem Hause sterben zu lassen, und
tiefgeruehrt bewilligt er dies, wiewohl er das Gestaendnis, das
dabei ihren Lippen entflieht, nur fuer das Erzeugnis des aufs neue
ausbrechenden Wahnsinns haelt. Sie bekennt, dass Graf S. in ihre Arme
zurueckgekehrt, und dass das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus
des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieses Buendnisses sei. - In
der Residenz glaubt man, dass der Graf von Z. die Unglueckliche
mitgenommen hat auf die Gueter, indessen sie hier tiefverborgen und
der Aufsicht des Kammerdieners uebergeben in dem veroedeten Hause
bleibt. - Graf von Z. ist gestorben vor einiger Zeit, und Graefin
Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegenheiten zu
berichtigen. Sie durfte es sich nicht versagen, die unglueckliche
Schwester zu sehen. Bei diesem Besuch muss sich Wunderliches ereignet
haben, doch hat mir die Graefin nichts darueber vertraut, sondern
nur im allgemeinen gesagt, dass es nun noetig geworden, dem alten
Kammerdiener die Unglueckliche zu entreissen. Einmal habe er, wie es
herausgekommen, durch harte grausame Misshandlungen den Ausbruechen
des Wahnsinns zu steuern gesucht, dann aber, durch Angelikas
Vorspieglung, dass sie Gold zu machen verstehe, sich verleiten lassen,
mit ihr allerlei sonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles
Noetige dazu herbeizuschaffen. - Es wuerde wohl' (so schloss der Arzt
seine Erzaehlung) 'ganz ueberfluessig sein, _Sie_, gerade _Sie_ auf
den tiefern Zusammenhang aller dieser seltsamen Dinge aufmerksam zu
machen. Es ist mir gewiss, dass _Sie_ die Katastrophe herbeigefuehrt
haben, die der Alten Genesung oder baldigen Tod bringen wird.
Uebrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, dass ich mich nicht wenig
entsetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetischen Rapport
gesetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel sah. Dass dies Bild Edmonde
war, wissen wir nun beide.'

Ebenso, wie der Arzt glaubte, fuer mich nichts hinzufuegen zu duerfen,
ebenso halte ich es fuer ganz unnuetz, mich nun noch darueber etwa zu
verbreiten, in welchem geheimen Verhaeltnis Angelika, Edmonde, ich und
der alte Kammerdiener standen, und wie mystische Wechselwirkungen ein
daemonisches Spiel trieben. Nur so viel sage ich noch, dass mich nach
diesen Begebenheiten ein drueckendes, unheimliches Gefuehl aus der
Residenz trieb, welches erst nach einiger Zeit mich ploetzlich
verliess. Ich glaube, dass die Alte in dem Augenblick, als ein ganz
besonderes Wohlsein mein Innerstes durchstroemte, gestorben ist." So
endete Theodor seine Erzaehlung. Noch manches sprachen die Freunde
ueber Theodors Abenteuer und gaben ihm recht, dass sich darin das
Wunderliche mit dem Wunderbaren auf seltsame greuliche Weise mische.
- Als sie schieden, nahm Franz Theodors Hand und sprach, sie leise
schuettelnd, mit beinahe wehmuetigem Laecheln: "Gute Nacht, du
Spalanzanische Fledermaus!"



Das Majorat

Dem Gestade der Ostsee unfern liegt das Stammschloss der Freiherrlich
von R..schen Familie, R..sitten genannt. Die Gegend ist rauh und
oede, kaum entspriesst hin und wieder ein Grashalm dem bodenlosen
Triebsande, und statt des Gartens, wie er sonst das Herrenhaus zu
zieren pflegt, schliesst sich an die nackten Mauern nach der Landseite
hin ein duerftiger Foehrenwald, dessen ewige, duestre Trauer den
bunten Schmuck des Fruehlings verschmaeht, und in dem statt des
froehlichen Jauchzens der zu neuer Lust erwachten Voegelein nur
das schaurige Gekraechze der Raben, das schwirrende Kreischen der
sturmverkuendenden Moewen widerhallt. Eine Viertelstunde davon aendert
sich ploetzlich die Natur. Wie durch einen Zauberschlag ist man in
bluehende Felder, ueppige Aecker und Wiesen versetzt. Man erblickt
das grosse, reiche Dorf mit dem geraeumigen Wohnhause des
Wirtschaftsinspektors. An der Spitze eines freundlichen Erlenbusches
sind die Fundamente eines grossen Schlosses sichtbar, das einer der
vormaligen Besitzer aufzubauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf
ihren Guetern in Kurland hausend, liessen den Bau liegen, und auch
der Freiherr Roderich von R., der wiederum seinen Wohnsitz auf dem
Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem finstern,
menschenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten, einsam liegenden
Schlosse zusagte.

Er liess das verfallene Gebaeude, so gut es gehen wollte, herstellen
und sperrte sich darin ein mit einem graemlichen Hausverwalter und
geringer Dienerschaft. Nur selten sah man ihn im Dorfe, dagegen ging
und ritt er oft am Meeresstrande hin und her, und man wollte aus der
Ferne bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinsprach und dem Brausen
und Zischen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende
Stimme des Meergeistes.

Auf der hoechsten Spitze des Wartturms hatte er ein Kabinett
einrichten und mit Fernroehren - mit einem vollstaendigen
astronomischen Apparat versehen lassen; da beobachtete er Tages, nach
dem Meer hinausschauend, die Schiffe, die oft gleich weissbeschwingten
Meervoegeln am fernen Horizont vorueberflogen. Sternenhelle Naechte
brachte er hin mit astronomischer oder, wie man wissen wollte, mit
astrologischer Arbeit, worin ihm der alte Hausverwalter beistand.
Ueberhaupt ging zu seinen Lebzeiten die Sage, dass er geheimer
Wissenschaft, der sogenannten schwarzen Kunst, ergeben sei, und dass
eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fuerstenhaus auf das
empfindlichste gekraenkt wurde, ihn aus Kurland vertrieben habe. Die
leiseste Erinnerung an seinen dortigen Aufenthalt erfuellte ihn mit
Entsetzen, aber alles sein Leben Verstoerende, was ihm dort geschehen,
schrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg
boeslich verliessen.

Um fuer die Zukunft wenigstens das Haupt der Familie an das Stammhaus
zu fesseln, bestimmte er es zu einem Majoratsbesitztum. Der
Landesherr bestaetigte die Stiftung um so lieber, als dadurch eine an
ritterlicher Tugend reiche Familie, deren Zweige schon in das Ausland
herueberrankten, fuer das Vaterland gewonnen werden sollte. Weder
Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie sein
Grossvater Roderich geheissen, mochte indessen in dem Stammschlosse
hausen, beide blieben in Kurland. Man musste glauben, dass sie,
heitrer und lebenslustiger gesinnt als der duestre Ahnherr, die
schaurige Oede des Aufenthaltes scheuten.

Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheirateten Schwestern seines
Vaters, die, mager ausgestattet, in Duerftigkeit lebten, Wohnung und
Unterhalt auf dem Gute gestattet. Diese sassen mit einer bejahrten
Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluegels, und ausser
ihnen und dem Koch, der im Erdgeschoss ein grosses Gemach neben
der Kueche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Saelen des
Hauptgebaeudes nur noch ein abgelebter Jaeger umher, der zugleich die
Dienste des Kastellans versah. Die uebrige Dienerschaft wohnte im
Dorfe bei dem Wirtschaftsinspektor.

Nur in spaeter Herbstzeit, wenn der erste Schnee zu fallen begann, und
die Wolfs-, die Schweinsjagden aufgingen, wurde das oede, verlassene
Schloss lebendig. Dann kam Freiherr Roderich mit seiner Gemahlin,
begleitet von Verwandten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge,
herueber aus Kurland. Der benachbarte Adel, ja selbst jagdlustige
Freunde aus der naheliegenden Stadt fanden sich ein, kaum vermochten
Hauptgebaeude und Nebenfluegel die zustroemenden Gaeste zu fassen, in
allen Oefen und Kaminen knisterten reichlich zugeschuerte Feuer, vom
grauen Morgen bis in die Nacht hinein schnurrten die Bratenwender,
Trepp' auf, Trepp' ab liefen hundert lustige Leute, Herren und Diener,
dort erklangen angestossene Pokale und froehliche Jaegerlieder,
hier die Tritte der nach gellender Musik Tanzenden, ueberall lautes
Jauchzen und Gelaechter, und so glich vier bis sechs Wochen hindurch
das Schloss mehr einer praechtigen, an vielbefahrner Landstrasse
liegenden Herberge, als der Wohnung des Gutsherrn.

Freiherr Roderich widmete diese Zeit, so gut es sich nur tun liess,
ernstem Geschaefte, indem er, zurueckgezogen aus dem Strudel der
Gaeste, die Pflichten des Majoratsherrn erfuellte. Nicht allein, dass
er sich vollstaendige Rechnung der Einkuenfte legen liess, so hoerte
er auch jeden Vorschlag irgendeiner Verbesserung, sowie die kleinste
Beschwerde seiner Untertanen an und suchte alles zu ordnen, jedem
Unrechten oder Unbilligen zu steuern, wie er es nur vermochte. In
diesen Geschaeften stand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn
vererbter Geschaeftstraeger des R..schen Hauses und Justitiarius der
in P. liegenden Gueter, redlich bei, und V. pflegte daher schon acht
Tage vor der bestimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majoratsgute
abzureisen.

Im Jahre 179- war die Zeit gekommen, dass der alte V. nach R..sitten
reisen sollte. So lebenskraeftig der Greis von siebzig Jahren sich
auch fuehlte, musste er doch glauben, dass eine huelfreiche Hand im
Geschaeft ihm wohltun werde. Wie im Scherz sagte er daher eines Tages
zu mir:

"Vetter!" (so nannte er mich, seinen Grossneffen, da ich seine
Vornamen erhielt) "Vetter! ich daechte, du liessest dir einmal etwas
Seewind um die Ohren sausen und kaemst mit mir nach R..sitten.
Ausserdem, dass du mir wacker beistehen kannst in meinem manchmal
boesen Geschaeft, so magst du dich auch einmal im wilden Jaegerleben
versuchen und zusehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches
Protokoll geschrieben, du den andern solch trotzigem Tier, als da ist
ein langbehaarter, greulicher Wolf oder ein zahnfletschender Eber,
ins funkelnde Auge zu schauen oder gar es mit einem tuechtigen
Buechsenschuss zu erlegen verstehest."

Nicht so viel Seltsames von der lustigen Jagdzeit in R..sitten haette
ich schon hoeren, nicht so mit ganzer Seele dem herrlichen alten
Grossonkel anhaengen muessen, um nicht hocherfreut zu sein, dass
er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geuebt in derlei
Geschaeften, wie er sie vorhatte, versprach ich mit tapferm Fleiss ihm
alle Muehe und Sorge abzunehmen.

Andern Tags sassen wir, in tuechtige Pelze eingehuellt, im Wagen
und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkuendendes
Schneegestoeber nach R..sitten.

Unterwegs erzaehlte mir der Alte manches Wunderliche von dem Freiherrn
Roderich, der das Majorat stiftete und ihn, seines Juenglingsalters
ungeachtet, zu seinem Justitiarius und Testamentsvollstrecker
ernannte. Er sprach von dem rauhen, wilden Wesen, das der alte Herr
gehabt und das sich auf die ganze Familie zu vererben schiene, da
selbst der jetzige Majoratsherr, den er als sanftmuetigen, beinahe
weichlichen Juengling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen
werde.

Er schrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen muesste,
um in des Freiherrn Augen was wert zu sein, und kam endlich auf die
Wohnung im Schlosse, die er ein fuer allemal gewaehlt, da sie warm,
bequem und so abgelegen sei, dass wir uns, wenn und wie wir wollten,
dem tollen Getoese der jubilierenden Gesellschaft entziehen koennten.
In zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zimmern, dicht neben
dem grossen Gerichtssaal im Seitenfluegel, dem gegenueber, wo die
alten Fraeuleins wohnten, da waere ihm jedesmal seine Residenz
bereitet. Endlich nach schneller, aber beschwerlicher Fahrt kamen wir
in tiefer Nacht nach R..sitten.

Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmusik
und froehlicher Jubel, des Wirtschaftsinspektors Haus von unten bis
oben erleuchtet, drinnen auch Musik und Gesang; desto schauerlicher
wurde die Oede, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in
schneidenden Jammertoenen herueber und, als habe er sie aus tiefem
Zauberschlaf geweckt, stoehnten die duestern Foehren ihm nach in
dumpfer Klage. Die nackten schwarzen Mauern des Schlosses stiegen
empor aus dem Schneegrunde, wir hielten an dem verschlossenen Tor.
Aber da half kein Rufen, kein Peitschengeknalle, kein Haemmern und
Pochen, es war, als sei alles ausgestorben, in keinem Fenster ein
Licht sichtbar.

Der Alte liess seine starke droehnende Stimme erschallen: "Franz -
Franz! Wo steckt Ihr denn? Zum Teufel, ruehrt Euch! - Wir erfrieren
hier am Tor! Der Schnee schmeisst einem ja das Gesicht blutruenstig
- ruehrt Euch, zum Teufel." Da fing ein Hofhund zu winseln an,
ein wandelndes Licht wurde im Erdgeschosse sichtbar, Schluessel
klapperten, und bald knarrten die gewichtigen Torfluegel auf.

"Ei, schoen willkommen, schoen willkommen, Herr Justitiarius, ei,
in dem unsaubern Wetter!" So rief der alte Franz, indem er die
Laterne hoch in die Haende hob, so dass das volle Licht auf sein
verschrumpftes, zum freundlichen Lachen sonderbar verzogenes Gesicht
fiel. Der Wagen fuhr in den Hof, wir stiegen aus, und nun gewahrte ich
erst ganz des alten Bedienten seltsame, in eine altmodische, weite,
mit vielen Schnueren wunderlich ausstaffierte Jaegerlivrei gehuellte
Gestalt.

Ueber die breite weisse Stirn legten sich nur ein paar graue
Loeckchen, der untere Teil des Gesichts hatte die robuste Jaegerfarbe,
und unerachtet die verzogenen Muskeln das Gesicht zu einer beinahe
abenteuerlichen Maske formten, soehnte doch die etwas duemmliche
Gutmuetigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund spielte,
alles wieder aus.

"Nun, alter Franz", fing der Grossonkel an, indem er sich im Vorsaal
den Schnee vom Pelze abklopfte, "nun, alter Franz, ist alles bereitet,
sind die Tapeten in meinen Stuben abgestaubt, sind die Betten
hineingetragen, ist gestern und heute tuechtig geheizt worden?"
"Nein", erwiderte Franz sehr gelassen, "nein, mein wertester Herr
Justitiarius, das ist alles nicht geschehen."

"Herr Gott", fuhr der Grossonkel auf, "ich habe ja zeitig genug
geschrieben, ich komme ja stets nach dem richtigen Datum, das ist
ja eine Toelpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hausen." "Ja,
wertester Herr Justitiarius", sprach Franz weiter, indem er sehr
sorglich mit der Lichtschere von dem Docht einen glimmenden Raeuber
abschnippte und ihn mit dem Fusse austrat, "ja, sehn Sie, das alles,
vorzueglich das Heizen, haette nicht viel geholfen, denn der Wind
und der Schnee, die hausen gar zu sehr hinein durch die zerbrochenen
Fensterscheiben, und da" "Was", fiel der Grossonkel ihm in die Rede,
den Pelz weit auseinanderschlagend und beide Arme in die Seiten
stemmend, "was, die Fenster sind zerbrochen, und Ihr, des Hauses
Kastellan, habt nichts machen lassen?"

"Ja, wertester Herr Justitiarius", fuhr der Alte ruhig und gelassen
fort, "man kann nur nicht recht hinzu wegen des vielen Schutts und der
vielen Mauersteine, die in den Zimmern herumliegen." "Wo zum Tausend
Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer?" schrie
der Grossonkel. "Zum bestaendigen froehlichen Wohlsein, mein junger
Herr!" rief der Alte, sich hoeflich bueckend, da ich eben nieste,
setzte aber gleich hinzu: "Es sind die Steine und der Kalk von der
Mittelwand, die von der grossen Erschuetterung einfiel."

"Habt Ihr ein Erdbeben gehabt?" platzte der Grossonkel zornig heraus.
"Das nicht, wertester Herr Justitiarius", erwiderte der Alte,
mit dem ganzen Gesicht laechelnd, "aber vor drei Tagen ist die
schwere, getaefelte Decke des Gerichtssaals mit gewaltigem Krachen
eingestuerzt." "So soll doch das" - Der Grossonkel wollte, heftig
und aufbrausend, wie er war, einen schweren Fluch ausstossen; aber
indem er mit der Rechten in die Hoehe fuhr und mit der Linken die
Fuchsmuetze von der Stirn rueckte, hielt er ploetzlich inne, wandte
sich nach mir um und sprach laut auflachend: "Wahrhaftig, Vetter!
wir muessen das Maul halten, wir duerfen nicht weiter fragen; sonst
erfahren wir noch aergeres Unheil, oder das ganze Schloss stuerzt uns
ueber den Koepfen zusammen."

"Aber", fuhr er fort, sich nach dem Alten umdrehend, "aber, Franz,
konntet Ihr denn nicht so gescheit sein, mir ein anderes Zimmer
reinigen und heizen zu lassen? Konntet Ihr nicht irgendeinen Saal im
Hauptgebaeude schnell einrichten zum Gerichtstage?" "Dieses ist auch
bereits alles geschehen", sprach der Alte, indem er freundlich nach
der Treppe wies und sofort hinaufzusteigen begann. "Nun seht mir
doch den wunderlichen Kauz", rief der Onkel, indem wir dem Alten
nachschritten.

Es ging fort durch lange hochgewoelbte Korridore, Franzens flackerndes
Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finsternis. Saeulen,
Kapitaeler und bunte Bogen zeigten sich oft wie in den Lueften
schwebend, riesengross schritten unsere Schatten neben uns her, und
die seltsamen Gebilde an den Waenden, ueber die sie wegschluepften,
schienen zu zittern und zu schwanken, und ihre Stimmen wisperten in
den droehnenden Nachhall unserer Tritte hinein: "Weckt uns nicht,
weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Steinen
schlaeft!"

Endlich oeffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finstrer
Gemaecher durchgangen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes
Kaminfeuer uns mit seinem lustigen Knistern wie mit heimatlichem Gruss
empfing. Mir wurde gleich, sowie ich eintrat, ganz wohl zumute, doch
der Grossonkel blieb mitten im Saal stehen, schaute ringsumher und
sprach mit sehr ernstem, beinahe feierlichem Ton: "Also hier, dies
soll der Gerichtssaal sein?" - Franz, in die Hoehe leuchtend, so dass
an der breiten dunklen Wand ein heller Fleck, wie eine Tuere gross,
ins Auge fiel, sprach dumpf und schmerzhaft: "Hier ist ja wohl schon
Gericht gehalten worden!"

"Was kommt Euch ein, Alter?" rief der Onkel, indem er den Pelz schnell
abwarf und an das Kaminfeuer trat. "Es fuhr mir nur so heraus", sprach
Franz, zuendete die Lichter an und oeffnete das Nebenzimmer, welches
zu unsrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war.

Nicht lange dauerte es, so stand ein gedeckter Tisch vor dem Kamin,
der Alte trug wohlzubereitete Schuesseln auf, denen, wie es uns
beiden, dem Grossonkel und mir, recht behaglich war, eine tuechtige
Schale nach echt nordischer Art gebrauten Punsches folgte. Ermuedet
von der Reise, suchte der Grossonkel, sowie er gegessen, das Bette;
das Neue, Seltsame des Aufenthalts, ja selbst der Punsch, hatte aber
meine Lebensgeister zu sehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz
raeumte den Tisch ab, schuerte das Kaminfeuer zu und verliess mich mit
freundlichen Buecklingen.

Nun sass ich allein in dem hohen, weiten Rittersaal. Das
Schneegestoeber hatte zu schlackern, der Sturm zu sausen aufgehoert,
heitrer Himmel war's geworden, und der helle Vollmond strahlte durch
die breiten Bogenfenster, alle finstre Ecken des wunderlichen Baues,
wohin der duestere Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht
dringen konnte, magisch erleuchtend.

So wie man es wohl noch in alten Schloessern antrifft, waren auf
seltsame altertuemliche Weise Waende und Decke des Saals verziert,
diese mit schwerem Getaefel, jene mit fantastischer Bilderei und
buntgemaltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den grossen Gemaelden,
mehrenteils das wilde Gewuehl blutiger Baeren- und Wolfsjagden
darstellend, sprangen in Holz geschnitzte Tier- und Menschenkoepfe
hervor, den gemalten Leibern angesetzt, so dass, zumal bei der
flackernden, schimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das
Ganze in greulicher Wahrheit lebte.

Zwischen diesen Gemaelden waren lebensgrosse Bilder, in Jaegertracht
dahinschreitende Ritter, wahrscheinlich der jagdlustigen Ahnherren,
eingefuegt. Alles, Malerei und Schnitzwerk, trug die dunkle Farbe
langverjaehrter Zeit; um so mehr fiel der helle kahle Fleck an
derselben Wand, durch die zwei Tueren in Nebengemaecher fuehrten, auf;
bald erkannte ich, dass dort auch eine Tuer gewesen sein muesste, die
spaeter zugemauert worden, und dass eben dies neue, nicht einmal der
uebrigen Wand gleich gemalte oder mit Schnitzwerk verzierte Gemaeuer
auf jene Art absteche. -

Wer weiss es nicht, wie ein ungewoehnlicher, abenteuerlicher
Aufenthalt mit geheimnisvoller Macht den Geist zu erfassen vermag,
selbst die traegste Fantasie wird wach in dem von wunderlichen Felsen
umschlossenen Tal in den duestern Mauern einer Kirche o. s., und will
sonst nie Erfahrnes ahnen.

Setze ich nun noch hinzu, dass ich zwanzig Jahr alt war und mehrere
Glaeser starken Punsch getrunken hatte, so wird man es glauben, dass
mir in meinem Rittersaal seltsamer zumute wurde als jemals. Man denke
sich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brausen des Meers, das
seltsame Pfeifen des Nachtwindes wie die Toene eines maechtigen, von
Geistern geruehrten Orgelwerks erklangen - die vorueberfliegenden
Wolken, die oft, hell und glaenzend, wie vorbeistreifende Riesen durch
die klirrenden Bogenfenster zu gucken schienen - in der Tat, ich
musst' es in dem leisen Schauer fuehlen, der mich durchbebte, dass ein
fremdes Reich nun sichtbar und vernehmbar aufgehen koenne.

Doch dies Gefuehl glich dem Froesteln, das man bei einer lebhaft
dargestellten Gespenstergeschichte empfindet und das man so gern hat.
Dabei fiel mir ein, dass in keiner guenstigeren Stimmung das Buch
zu lesen sei, das ich so wie damals jeder, der nur irgend dem
Romantischen ergeben, in der Tasche trug. Es war Schillers
"Geisterseher". Ich las und las und erhitzte meine Fantasie immer mehr
und mehr.

Ich kam zu der mit dem maechtigsten Zauber ergreifenden Erzaehlung von
dem Hochzeitsfest bei dem Grafen von V.- Gerade wie Jeronimos blutige
Gestalt eintritt, springt mit einem gewaltigen Schlage die Tuer auf,
die in den Vorsaal fuehrt. - Entsetzt fahre ich in die Hoehe, das Buch
faellt mir aus den Haenden. Aber in demselben Augenblick ist alles
still, und ich schaeme mich ueber mein kindliches Erschrecken.

Mag es sein, dass durch die durchstroemende Zugluft oder auf andere
Weise die Tuer aufgesprengt wurde. - Es ist nichts - meine ueberreizte
Fantasie bildet jede natuerliche Erscheinung gespenstisch! - So
beschwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe
mich wieder in den Lehnstuhl - da geht es leise und langsam mit
abgemessenen Tritten quer ueber den Saal hin, und dazwischen seufzt
und aechzt es, und in diesem Seufzen, diesem Aechzen liegt der
Ausdruck des tiefsten menschlichen Leidens, des trostlosesten Jammers
- Ha! das ist irgendein eingesperrtes krankes Tier im untern Stock.
Man kennt ja die akustische Taeuschung der Nacht, die alles entfernt
Toenende in die Naehe rueckt - wer wird sich nur durch so etwas Grauen
erregen lassen. - So beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt
es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entsetzlichen Angst der
Todesnot ausgestossen, sich hoeren lassen, an jenem neuen Gemaeuer.

"Ja, es ist ein armes eingesperrtes Tier - ich werde jetzt laut
rufen, ich werde mit dem Fuss tuechtig auf den Boden stampfen, gleich
wird alles schweigen oder das Tier unten sich deutlicher in seinen
natuerlichen Toenen hoeren lassen!"- So denke ich, aber das Blut
gerinnt in meinen Adern - kalter Schweiss steht auf der Stirne,
erstarrt bleib' ich im Lehnstuhle sitzen, nicht vermoegend
aufzustehen, viel weniger noch zu rufen.

Das abscheuliche Kratzen hoert endlich auf - die Tritte lassen sich
aufs neue vernehmen - es ist, als wenn Leben und Regung in mir
erwachte, ich springe auf und trete zwei Schritte vor, aber da
streicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demselben
Augenblick wirft der Mond sein helles Licht auf das Bildnis eines sehr
ernsten, beinahe schauerlich anzusehenden Mannes, und als saeusle
seine warnende Stimme durch das staerkere Brausen der Meereswellen,
durch das gellendere Pfeifen des Nachtwindes, hoere ich deutlich: "-
Nicht weiter - nicht weiter, sonst bist du verfallen dem entsetzlichen
Graus der Geisterwelt!"

Nun faellt die Tuer zu mit demselben starken Schlage wie zuvor, ich
hoere die Tritte deutlich auf dem Vorsaal - es geht die Treppe hinab
- die Haupttuer des Schlosses oeffnet sich rasselnd und wird wieder
verschlossen. Dann ist es, als wuerde ein Pferd aus dem Stalle gezogen
und nach einer Weile wieder in den Stall zurueckgefuehrt dann ist
alles still! In demselben Augenblick vernahm ich, wie der alte
Grossonkel im Nebengemach aengstlich seufzte und stoehnte, dies gab
mir alle Besinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein.
Der Alte schien mit einem boesen, schweren Traume zu kaempfen.

"Erwachen Sie - erwachen Sie", rief ich laut, indem ich ihn sanft bei
der Hand fasste und den hellen Kerzenschein auf sein Gesicht fallen
liess. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann schaute er mich
mit freundlichen Augen an und sprach: "Das hast du gut gemacht,
Vetter, dass du mich wecktest. Ei, ich hatte einen sehr haesslichen
Traum, und daran ist bloss hier das Gemach und der Saal schuld, denn
ich musste dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche
denken, was hier sich begab. Aber nun wollen wir recht tuechtig
ausschlafen!"

Damit huellte sich der Alte in die Decke und schien sofort
einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgeloescht und mich auch ins Bette
gelegt hatte, vernahm ich, dass der Alte leise betete.

Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirtschaftsinspektor kam
mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich, die irgendeinen Streit
geschlichtet, irgendeine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags
ging der Grossonkel mit mir herueber in den Seitenfluegel, um den
beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete
uns, wir mussten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein
sechzigjaehriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muetterchen,
die sich das Kammerfraeulein der gnaedigen Herrschaft nannte, in das
Heiligtum gefuehrt.

Da empfingen uns die alten, nach laengst verjaehrter Mode
abenteuerlich geputzten Damen mit komischem Zeremoniell, und
vorzueglich war ich ein Gegenstand ihrer Verwunderung, als der
Grossonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beisteheenden
Justizmann vorstellte. In ihren Mienen lag es, dass sie bei meiner
Jugend das Wohl der R..sittenschen Untertanen gefaehrdet glaubten.

Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte ueberhaupt viel
Laecherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froestelten aber noch
in meinem Innern, ich fuehlte mich wie von einer unbekannten Macht
beruehrt, oder es war mir vielmehr, als habe ich schon an den Kreis
gestreift, den zu ueberschreiten und rettungslos unterzugehen es nur
noch eines Schritts beduerfte, als koenne nur das Aufbieten aller mir
inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schuetzen, das nur dem
unheilbaren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, dass selbst die
alten Baronessen in ihren seltsamen hochaufgetuermten Frisuren,
in ihren wunderlichen stoffnen, mit bunten Blumen und Baendern
ausstaffierten Kleidern mir statt laecherlich, ganz graulich und
gespenstisch erschienen.

In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen
wollt' ich es lesen, in dem schlechten Franzoesisch, das halb durch
die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen
herausschnarrte, wollt' ich es hoeren, wie sich die Alten mit den
unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen wenigstens auf
guten Fuss gesetzt haetten und auch wohl selbst Verstoerendes und
Entsetzliches zu treiben vermochten.

Der Grossonkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner
Ironie die Alten in ein solches tolles Gewaesche, dass ich in anderer
Stimmung nicht gewusst haette, wie das ausgelassenste Gelaechter in
mich hineinschlucken, aber wie gesagt, die Baronessen samt ihrem
Geplapper waren und blieben gespenstisch, und der Alte, der mir eine
besondere Lust bereiten wollte, blickte mich ein Mal uebers andere
ganz verwundert an.

Sowie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los:
"Aber, Vetter, sag' mir um des Himmels willen, was ist dir? - Du
lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht?
Bist du krank? oder fehlt es sonst woran?"

Ich nahm jetzt gar keinen Anstand, ihm alles Grauliche, Entsetzliche,
was ich in voriger Nacht ueberstanden, ganz ausfuehrlich zu erzaehlen.
Nichts verschwieg ich, vorzueglich auch nicht, dass ich viel Punsch
getrunken und in Schillers "Geisterseher" gelesen. "Bekennen muss
ich dies", setzte ich hinzu, "denn so wird es glaublich, dass meine
ueberreizte arbeitende Fantasie all die Erscheinungen schuf, die nur
innerhalb den Waenden meines Gehirns existierten."

Ich glaubte, dass nun der Grossonkel mir derb zusetzen wuerde mit
koernichten Spaessen ueber meine Geisterseherei, statt dessen wurde
er sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf
schnell in die Hoehe und sprach, mich mit dem brennenden Blick seiner
Augen anschauend: "Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder
seinem, noch dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu
verdanken. Wisse, dass ich dasselbe, was dir widerfuhr, traeumte. Ich
sass, so wie du (so kam es mir vor), im Lehnstuhl bei dem Kamin, aber
was sich dir nur in Toenen kundgetan, das sah ich, mit dem innern Auge
es deutlich erfassend.

Ja! ich erblickte den greulichen Unhold, wie er hereintrat, wie
er kraftlos an die vermauerte Tuer schlich, wie er in trostloser
Verzweiflung an der Wand kratzte, dass das Blut unter den zerrissenen
Naegeln herausquoll, wie er dann hinabstieg, das Pferd aus dem Stalle
zog und in den Stall zurueckbrachte. Hast du es gehoert, wie der Hahn
im fernen Gehoefte des Dorfes kraehte? Da wecktest du mich, und ich
widerstand bald dem boesen Spuk des entsetzlichen Menchen, der noch
vermag, das heitre Leben grauenhaft zu verstoeren."

Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, dass
er mir alles aufklaeren werde, wenn er es geraten finden sollte. Nach
einer Weile, in der er, tief in sich gekehrt, dagesessen, fuhr der
Alte fort: "Vetter, hast du Mut genug, jetzt nachdem du weisst, wie
sich alles begibt, den Spuk noch einmal zu bestehen? und zwar mit mir
zusammen?"

Es war natuerlich, dass ich erklaerte, wie ich mich jetzt dazu ganz
entkraeftigt fuehle. "So wollen wir", sprach der Alte weiter, "in
kuenftiger Nacht zusammen wachen. Eine innere Stimme sagt mir, dass
meiner geistigen Gewalt nicht sowohl, als meinem Mute, der sich auf
festes Vertrauen gruendet, der boese Spuk weichen muss, und dass es
kein freveliches Beginnen, sondern ein frommes, tapferes Werk ist,
wenn ich Leib und Leben daran wage, den boesen Unhold zu bannen, der
hier die Soehne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. -

Doch! von keiner Wagnis ist ja die Rede, denn in solch festem
redlichen Sinn, in solch frommen Vertrauen, wie es in mir lebt, ist
und bleibt man ein siegreicher Held. - Aber sollt' es dennoch Gottes
Wille sein, dass die boese Macht mich anzutasten vermag, so sollst du,
Vetter, es verkuenden, dass ich im redlichen christlichen Kampf mit
dem Hoellengeist, der hier sein verstoerendes Wesen treibt, unterlag!
- Du! - halt dich ferne! dir wird dann nichts geschehen!"

Unter mancherlei zerstreuenden Geschaeften war der Abend
herangekommen. Franz hatte, wie gestern, das Abendessen abgeraeumt und
uns Punsch gebracht, der Vollmond schien hell durch die glaenzenden
Wolken, die Meereswellen brausten, und der Nachtwind heulte und
schuettelte die klirrenden Scheiben der Bogenfenster. Wir zwangen uns,
im Innern aufgeregt, zu gleichgueltigen Gespraechen. Der Alte hatte
seine Schlaguhr auf den Tisch gelegt. Sie schlug zwoelfe. Da sprang
mit entsetzlichem Krachen die Tuer auf, und wie gestern schwebten
leise und langsam Tritte quer durch den Saal, und das Aechzen und
Seufzen liess sich vernehmen.

Der Alte war verblasst, aber seine Augen erstrahlten in
ungewoehnlichem Feuer, er erhob sich vom Lehnstuhl, und indem er in
seiner grossen Gestalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite
gestemmt, den rechten weit vorstreckend nach der Mitte des Saals,
dastand, war er anzusehen, wie ein gebietender Held.

Doch immer staerker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Aechzen,
und nun fing es an abscheulicher als gestern an der Wand hin und her
zu kratzen. Da schritt der Alte vorwaerts, gerade auf die zugemauerte
Tuer los, mit festen Tritten, dass der Fussboden erdroehnte. Dicht vor
der Stelle, wo es toller und toller kratzte, stand er still und sprach
mit starkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehoert:

"Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!" Da kreischte es
auf grauenvoll und entsetzlich, und ein dumpfer Schlag geschah, wie
wenn eine Last zu Boden stuerzte. "Suche Gnade und Erbarmen vor dem
Thron des Hoechsten, dort ist dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben,
dem du niemals mehr angehoeren kannst!"

So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war, als ginge ein
leises Gewimmer durch die Luefte und ersterbe im Sausen des Sturms,
der sich zu erheben begann. Da schritt der Alte nach der Tuer und warf
sie zu, dass es laut durch den oeden Vorsaal widerhallte.

In seiner Sprache, in seinen Gebaerden lag etwas Uebermenschliches,
das mich mit tiefem Schauer erfuellte. Als er sich in den Lehnstuhl
setzte, war sein Blick wie verklaert, er faltete seine Haende, er
betete im Innern. So mochten einige Minuten vergangen sein, da frug er
mit der milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er so sehr in
seiner Macht hatte: "Nun, Vetter?" Von Schauer - Entsetzen - Angst -
heiliger Ehrfurcht und Liebe durchbebt, stuerzte ich auf die Kniee
und benetzte die mir dargebotene Hand mit heissen Traenen. Der Alte
schloss mich in seine Arme, und indem er mich innig an sein Herz
drueckte, sprach er sehr weich: "Nun wollen wir auch recht sanft
schlafen, lieber Vetter!"

Es geschah auch so, und als sich in der folgenden Nacht durchaus
nichts Unheimliches verspueren liess, gewannen wir die alte Heiterkeit
wieder, zum Nachteil der alten Baronessen, die, blieben sie auch in
der Tat ein wenig gespenstisch, mit ihrem abenteuerlichen Wesen, doch
nur ergoetzlichen Spuk trieben, den der Alte auf possierliche Weise
anzuregen wusste.

Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin
und zahlreichem Jagdgefolge, die geladenen Gaeste sammelten sich, und
nun ging in dem ploetzlich lebendig gewordenen Schlosse das laute
wilde Treiben los, wie es vorhin beschrieben.

Als der Baron gleich nach seiner Ankunft in unsern Saal trat, schien
er ueber unsern veraenderten Aufenthalt auf seltsame Weise befremdet,
er warf einen duestern Blick auf die zugemauerte Tuer, und schnell
sich abwendend, fuhr er mit der Hand ueber die Stirn, als wolle er
irgendeine boese Erinnerung verscheuchen. Der Grossonkel sprach von
der Verwuestung des Gerichtssaals und der anstossenden Gemaecher, der
Baron tadelte es, dass Franz uns nicht besser einlogiert habe, und
forderte den Alten recht gemuetlich auf, doch nur zu gebieten, wenn
ihm irgend etwas in dem neuen Gemach, das doch viel schlechter sei,
als das, was er sonst bewohnt, an seiner Bequemlichkeit abginge.

Ueberhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Grossonkel
nicht allein herzlich, sondern ihm mischte sich eine gewisse
kindliche Ehrfurcht bei, als stehe der Baron mit dem Alten in
verwandtschaftlichem Respektsverhaeltnis. Dies war aber auch das
einzige, was mich mit dem rauhen, gebieterischen Wesen des Barons,
das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermassen zu versoehnen
vermochte. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in
mir den gewoehnlichen Schreiber.

Gleich das erstemal, als ich eine Verhandlung aufgenommen, wollte er
etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf, und
ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu erwidern, als der
Grossonkel, das Wort nehmend, versicherte, dass ich denn nun einmal
alles recht nach seinem Sinne mache, und dass dieser doch nur hier in
gerichtlicher Verhandlung walten koenne.

Als wir allein waren, beschwerte ich mich bitter ueber den Baron,
der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. "Glaube
mir, Vetter!" erwiderte der Alte, "dass der Baron trotz seines
unfreundlichen Wesens der vortrefflichste, gutmuetigste Mensch von der
Welt ist. Dieses Wesen hat er auch, wie ich dir schon sagte, erst seit
der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein
sanfter, bescheidener Juengling. Ueberhaupt ist es denn doch aber
nicht mit ihm so arg, wie du es machst, und ich moechte wohl wissen,
warum er dir so gar sehr zuwider ist."

Indem der Alte die letzten Worte sprach, laechelte er recht hoehnisch,
und das Blut stieg mir siedend heiss ins Gesicht. Musste mir nun nicht
mein Innres recht klar werden, musste ich es nicht deutlich fuehlen,
dass jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr
aus dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste
zu sein schien, was jemals auf Erden gewandelt?

Dieses Wesen war niemand als die Baronesse selbst. Schon gleich als
sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloss
an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt,
durch die Gemaecher schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein
maechtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja, selbst der Umstand, dass die
alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich
sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre
franzoesischen Bewillkommnungen herschnatterten, waehrend sie, die
Baronin, mit unbeschreiblich milden Blicken um sich her schaute
und bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein
toenenden kurlaendischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen
floetete, schon dieses gab ein wunderbar fremdartiges Bild, und
unwillkuerlich reihte die Fantasie dies Bild an jenen unheimlichen
Spuk, und die Baronesse wurde der Engel des Lichts, dem sich die
boesen gespenstischen Maechte beugen.

Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Geistes Augen. Sie
mochte wohl damals kaum neunzehn Jahre zaehlen, ihr Gesicht, ebenso
zart wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoechsten Engelsguete,
vorzueglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein
unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine
schwermuetige Sehnsucht auf; so wie in ihrem holdseligen Laecheln ein
ganzer Himmel voll Wonne und Entzuecken. Oft schien sie ganz in sich
selbst verloren, und dann gingen duestre Wolkenschatten ueber ihr
holdes Antlitz.

Man haette glauben sollen, irgendein verstoerender Schmerz muesse sie
befangen, mir schien es aber, dass wohl die duestere Ahnung einer
trueben, ungluecksschwangeren Zukunft es sei, von der sie in solchen
Augenblicken erfasst werde, und auch damit setzte ich auf seltsame
Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklaeren wusste, den Spuk im
Schlosse in Verbindung.

Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die
Gesellschaft zum Fruehstueck, der Alte stellte mich der Baronesse vor,
und wie es in solcher Stimmung, wie die meinige war, zu geschehen
pflegt, ich nahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die
einfachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle
u.s., mich in die wunderlichsten sinnlosesten Reden verfing, so dass
die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden
Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen zu
muessen glaubten und mich in franzoesischer Sprache als einen ganz
artigen und geschickten jungen Menschen, als einen "garcon tres joli"
anpriesen.

Das aergerte mich, und ploetzlich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein
Witzwort heraus in besserem Franzoesisch, als die Alten es sprachen,
worauf sie mich mit grossen Augen anguckten und die langen spitzen
Nasen reichlich mit Tabak bedienten.

An dem ernsteren Blick der Baronesse, mit dem sie sich von mir ab zu
einer anderen Dame wandte, merkte ich, dass mein Witzwort hart an eine
Narrheit streifte, das aergerte mich noch mehr, und ich verwuenschte
die Alten in den Abgrund der Hoelle.

Die Zeit des schaeferischen Schmachtens, des Liebesungluecks in
kindischer Selbstbetoerung hatte in mir der alte Grossonkel laengst
wegironiert, und wohl merkt' ich, dass die Baronin tiefer und
maechtiger als noch bis jetzt eine Frau mich in meinem innersten
Gemuet gefasst hatte. Ich sah, ich hoerte nur sie, aber bewusst war
ich mir deutlich und bestimmt, dass es abgeschmackt, ja wahnsinnig
sein wuerde, irgendeine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die
Unmoeglichkeit einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen
und anzubeten, dessen ich mich selbst haette schaemen muessen.

Der herrlichen Frau naeherzutreten, ohne ihr nur mein inneres Gefuehl
ahnen zu lassen, das suesse Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen
und dann fern von ihr, sie lange, vielleicht immerdar im Herzen
tragen, das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl
ritterliche Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte
mich dermassen, dass ich kindisch genug war, mich selbst auf
pathetische Weise zu haranguieren und zuletzt sehr klaeglich zu
seufzen: "Seraphine, ach Seraphine!" so dass der Alte erwachte und mir
zurief: "Vetter! Vetter! ich glaube, du fantasierst mit lauter Stimme!
Tu's bei Tage, wenn's moeglich ist, aber zur Nachtzeit lass mich
schlafen!"

Ich war nicht wenig besorgt, dass der Alte, der schon mein aufgeregtes
Wesen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehoert
haben und mich mit einem sarkastischen Spott ueberschuetten werde, er
sagte am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in
den Gerichtssaal: "Gott gebe jedem gehoerigen Menschenverstand und
Sorglichkeit, ihn in gutem Verschluss zu halten. Es ist schlimm, mir
nichts, dir nichts sich in einen Hasenfuss umzusetzen." Hierauf nahm
er Platz an dem grossen Tisch und sprach: "Schreibe fein deutlich,
lieber Vetter! damit ich's ohne Anstoss zu lesen vermag."

Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem
alten Grossonkel erzeigte, sprach sich in allem aus. So musste er auch
bei Tische den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baronesse
einnehmen, mich warf der Zufall bald hier-, bald dorthin, doch
pflegten gewoehnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptstadt mich
in Beschlag zu nehmen, um sich ueber alles Neue und Lustige, was dort
geschehen, recht auszusprechen und dabei wacker zu trinken.

So kam es, dass ich mehrere Tage hindurch ganz fern von der Baronesse,
am untern Ende des Tisches sass, bis mich endlich ein Zufall in ihre
Naehe brachte. Als der versammelten Gesellschaft der Esssaal geoeffnet
wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht
mehr ganz junges Fraeulein, aber sonst nicht haesslich und nicht ohne
Geist, in ein Gespraech verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der
Sitte gemaess musste ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut
war ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich
zunickte.

Man kann denken, dass nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der
Nachbarin allein, sondern hauptsaechlich der Baronin galten. Mag
es sein, dass meine innere Spannung allem, was ich sprach, einen
besondern Schwung gab, genug, das Fraeulein wurde aufmerksamer und
aufmerksamer, ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte
Welt stets wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen liess.

Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, dass
unser Gespraech, ganz unabhaengig von den vielen Worten der Gaeste,
die hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin,
wohin ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich
naemlich, dass das Fraeulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf,
und dass diese sich muehte uns zu hoeren. Vorzueglich war dies der
Fall, als ich, da das Gespraech sich auf Musik gewandt, mit voller
Begeisterung von der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt
nicht verhehlte, dass ich, trockner, langweiliger Juristerei, der
ich mich ergeben, unerachtet, den Fluegel mit ziemlicher Fertigkeit
spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe.

Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und Likoere zu nehmen,
da stand ich unversehens, selbst wusste ich nicht wie, vor der
Baronin, die mit dem Fraeulein gesprochen. Sie redete mich sogleich
an, indem sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem
Bekannten spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse
zusage u.s., wiederholte. Ich versicherte, dass in den ersten Tagen
die schauerliche Oede der Umgebung, ja selbst das altertuemliche
Schloss mich seltsam gestimmt habe, dass aber eben in dieser Stimmung
viel Herrliches aufgegangen und dass ich nur wuensche, der wilden
Jagden, an die ich nicht gewoehnt, ueberhoben zu sein.

Die Baronin laechelte, indem sie sprach: "Wohl kann ich's mir denken,
dass Ihnen das wueste Treiben in unsern Foehrenwaeldern nicht eben
behaglich sein kann. Sie sind Musiker, und taeuscht mich nicht alles,
gewiss auch Dichter! Mit Leidenschaft liebe ich beide Kuenste! -
ich spiele selbst etwas die Harfe, das muss ich nun in R..sitten
entbehren, denn mein Mann mag es nicht, dass ich das Instrument
mitnehme, dessen sanftes Getoen schlecht sich schicken wuerde zu dem
wilden Halloh, zu dem gellenden Hoernergetoese der Jagd, das sich hier
nur hoeren lassen soll! - O mein Gott! wie wuerde mich hier Musik
erfreun!"

Ich versicherte, dass ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren
Wunsch zu erfuellen, dass es doch im Schlosse unbezweifelt ein
Instrument, sei es auch nur ein alter Fluegel, geben werde. Da lachte
aber Fraeulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und
frug, ob ich denn nicht wisse, dass seit Menschengedenken im Schlosse
keine andern Instrumente gehoert worden, als kraechzende Trompeten, im
Jubel lamentierende Hoerner der Jaeger und heisere Geigen, verstimmte
Baesse, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten.

Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hoeren, fest, und
beide, sie und Adelheid, erschoepften sich in Vorschlaegen, wie ein
leidliches Fortepiano herbeigeschafft werden koenne. In dem Augenblick
schritt der alte Franz durch den Saal. "Da haben wir den, der fuer
alles guten Rat weiss, der alles herbeischafft, selbst das Unerhoerte
und Ungesehene!"

Mit diesen Worten rief ihn Fraeulein Adelheid heran, und indem sie
ihm begreiflich machte, worauf es ankomme, horchte die Baronin mit
gefalteten Haenden, mit vorwaerts gebeugtem Haupt, dem Alten mit
mildem Laecheln ins Auge blickend, zu. Gar anmutig war sie anzusehen,
wie ein holdes, liebliches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur
gar zu gern schon in Haenden haette. Franz, nachdem er in seiner
weitlaeufigen Manier mehrere Ursachen hergezaehlt hatte, warum es
denn schier unmoeglich sei, in der Geschwindigkeit solch ein rares
Instrument herbeizuschaffen, strich sich endlich mit behaglichem
Schmunzeln den Bart und sprach: "Aber die Frau Wirtschaftsinspektorin
drueben im Dorfe schlaegt ganz ungemein geschickt das Clavizimbel,
oder wie sie es jetzt nennen mit dem auslaendischen Namen, und singt
dazu so fein und lamentabel, dass einem die Augen rot werden wie von
Zwiebeln und man huepfen moechte mit beiden Beinen."

"Und besitzt ein Fortepiano!" fiel Fraeulein Adelheid ihm in die
Rede. "Ei, freilich", fuhr der Alte fort, "direkt aus Dresden ist es
gekommen - ein -" "O das ist herrlich", unterbrach ihn die Baronin
"ein schoenes Instrument", sprach der Alte weiter, "aber ein wenig
schwaechlich, denn als der Organist neulich das Lied: 'In allen meinen
Taten' darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so
dass-"

"O mein Gott", riefen beide, die Baronin und Fraeulein Adelheid, "so
dass", fuhr der Alte fort, "es mit schweren Kosten nach R - geschafft
und dort repariert werden musste." "Ist es denn nun wieder hier?" frug
Fraeulein Adelheid ungeduldig. "Ei freilich, gnaediges Fraeulein! und
die Frau Wirtschaftsinspektorin wird es sich zur Ehre rechnen."

In diesem Augenblick streifte der Baron vorueber, er sah sich wie
befremdet nach unserer Gruppe um und fluesterte spoettisch laechelnd
der Baronin zu: "Muss Franz wieder guten Rat erteilen?" Die Baronin
schlug erroetend die Augen nieder, und der alte Franz stand,
erschrocken abbrechend, den Kopf gerade gerichtet, die herabhaengenden
Arme dicht an den Leib gedrueckt, in soldatischer Stellung da.

Die alten Tanten schwammen in ihren stoffnen Kleidern auf uns zu
und entfuehrten die Baronin. Ihr folgte Fraeulein Adelheid. Ich war
wie bezaubert stehen geblieben. Entzuecken, dass ich nun ihr, der
Angebeteten, die mein ganzes Wesen beherrschte, mich nahen werde,
kaempfte mit duesterm Missmut und Aerger ueber den Baron, der mir als
ein rauher Despot erschien. War er dies nicht, durfte dann wohl der
alte eisgraue Diener so sklavisch sich benehmen?

"Hoerst du, siehst du endlich?" rief der Grossonkel, mir auf die
Schulter klopfend; wir gingen hinauf in unser Gemach. "Draenge dich
nicht so an die Baronin", sprach er, als wir angekommen, "wozu soll
das, ueberlass es den jungen Gecken, die gern den Hof machen, und an
denen es ja nicht mangelt." - Ich erzaehlte, wie alles gekommen, und
forderte ihn auf mir nun zu sagen, ob ich seinen Vorwurf verdiene, er
erwiderte aber darauf nichts als: "Hm hm" - zog den Schlafrock an,
setzte sich mit angezuendeter Pfeife in den Lehnstuhl und sprach
von den Ereignissen der gestrigen Jagd, mich foppend ueber meine
Fehlschuesse.

Im Schloss war es still geworden, Herren und Damen beschaeftigten sich
in ihren Zimmern mit dem Putz fuer die Nacht. Jene Musikanten mit den
heisern Geigen, mit den verstimmten Baessen und den meckernden Hoboen,
von denen Fraeulein Adelheid gesprochen, waren naemlich angekommen,
und es sollte fuer die Nacht nichts Geringeres geben, als einen Ball
in bestmoeglicher Form.

Der Alte, den ruhigen Schlaf solch faselndem Treiben vorziehend, blieb
in seinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet,
als es leise an unsere Tuer klopfte und Franz hineintrat, der mir mit
behaglichem Laecheln verkuendete, dass soeben das Clavizimbel von der
Frau Wirtschaftsinspektorin in einem Schlitten angekommen und zur
gnaedigen Frau Baronin getragen worden sei. Fraeulein Adelheid liesse
mich einladen, nur gleich herueberzukommen.

Man kann denken, wie mir alle Pulse schlugen, mit welchem innern
suessen Erbeben ich das Zimmer oeffnete, in dem ich sie fand.
Fraeulein Adelheid kam mir freudig entgegen. Die Baronin, schon zum
Ball voellig geputzt, sass ganz nachdenklich vor dem geheimnisvollen
Kasten, in dem die Toene schlummern sollten, die zu wecken ich
berufen.

Sie stand auf, so in vollem Glanz der Schoenheit strahlend, dass
ich, keines Wortes maechtig, sie anstarrte. "Nun Theodor", (nach
der gemuetlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Sueden
wiederfindet, nannte sie jeden bei seinem Vornamen) "nun, Theodor",
sprach sie freundlich, "das Instrument ist gekommen, gebe der Himmel,
dass es Ihrer Kunst nicht ganz unwuerdig sein moege."

Sowie ich den Deckel oeffnete, rauschten mir eine Menge gesprungener
Saiten entgegen, und sowie ich einen Akkord griff, klang es, da alle
Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verstimmt waren, widrig und
abscheulich. "Der Organist ist wieder mit seinen zarten Haendchen
drueber her gewesen", rief Fraeulein Adelheid lachend, aber die
Baronin sprach ganz missmutig: "Das ist denn doch ein rechtes
Unglueck! ach, ich soll denn hier nun einmal keine Freude haben!" Ich
suchte in dem Behaelter des Instruments und fand gluecklicherweise
einige Rollen Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! - Neue Klagen!
- jeder Schluessel, dessen Bart in die Wirbel passe, koenne gebraucht
werden, erklaerte ich; da liefen beide, die Baronin und Fraeulein
Adelheid, freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, so
lag ein ganzes Magazin blanker Schluesselchen vor mir auf dem
Resonanzboden.

Nun machte ich mich emsig drueber her - Fraeulein Adelheid, die
Baronin selbst muehte sich mir beizu stehen, diesen - jenen Wirbel
probierend - Da zieht einer den traegen Schluessel an, "es geht, es
geht!" riefen sie freudig - Da rauscht die Saite, die sich schier bis
zur Reinheit herangeaechzt, gesprungen auf, und erschrocken fahren sie
zurueck! Die Baronin hantiert mit den kleinen zarten Haendchen in den
sproeden Drahtsaiten, sie reicht mir die Nummern, die ich verlange,
und haelt sorgsam die Rolle, die ich abwickle, ploetzlich schnurrt
eine auf, so dass die Baronin ein ungeduldiges Ach! ausstoesst -
Fraeulein Adelheid lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knaeuel
bis in die Ecke des Zimmers, und wir alle suchen aus ihm noch eine
gerade unzerknickte Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu
unserm Leidwesen wieder springt - aber endlich - endlich sind
gute Rollen gefunden, die Saiten fangen an zu stehen, und aus dem
misstoenigen Summen gehen allmaehlich klare, reine Akkorde hervor!

"Ach, es glueckt, es glueckt - das lnstrument stimmt sich!" ruft die
Baronin, indem sie mich mit holdem Laecheln anblickt! - Wie schnell
vertrieb dies gemeinschaftliche Muehen alles Fremde, Nuechterne,
das die Konvenienz hinstellt, wie ging unter uns eine heimische
Vertraulichkeit auf, die, ein elektrischer Hauch mich durchgluehend,
die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Brust lag,
schnell wegzehrte.

Jener seltsame Pathos, wie ihn solche Verliebtheit, wie die meinige,
wohl erzeugt, hatte mich ganz verlassen und so kam es, dass, als nun
endlich das Pianoforte leidlich gestimmt war, ich, statt, wie ich
gewollt, meine innern Gefuehle in Fantasien recht laut werden zu
lassen, in jene suesse liebliche Kanzonetten verfiel, wie sie aus dem
Sueden zu uns heruebergeklungen.

Waehrend dieser "Senza di te" - dieser "Sentimi idol mio", dieser
"Almen se non poss'io" und hundert "morir mi sento's" und "Addio's"
und "Oh dio's" wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke.
Sie hatte sich dicht neben mir an das Instrument gesetzt, ich fuehlte
ihren Atem an meiner Wange spielen; indem sie ihren Arm hinter mir
auf die Stuhllehne stuetzte, fiel ein weisses Band, das sich von
dem zierlichen Ballkleide losgenestelt, ueber meine Schulter und
flatterte, von meinen Toenen, von Seraphinens leisen Seufzern
beruehrt, hin und her wie ein getreuer Liebesbote! Es war zu
verwundern, dass ich den Verstand behielt!

Als ich, mich auf irgendein neues Lied besinnend, in den Akkorden
herumfuhr, sprang Fraeulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers
gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin und bat, ihre beiden
Haende erfassend und an die Brust drueckend: "O liebe Baronin
Seraphinchen, nun musst du auch singen!" Die Baronin erwiderte: "Wo
denkst du aber auch hin, Adelheid! - wie mag ich mich denn vor unserm
Virtuosen da mit meiner elenden Singerei hoeren lassen!"

Es war lieblich anzuschauen, wie sie, gleich einem frommverschaemten
Kinde, die Augen niederschlagend und hocherroetend mit der Lust und
mit der Scheu kaempfte.

Man kann denken, wie ich sie anflehte, und, als sie kleine
kurlaendische Volkslieder erwaehnte, nicht nachliess, bis sie, mit
der linken Hand herueberlangend, einige Toene auf dem Instrument
versuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am
Instrument, sie liess es aber nicht zu, indem sie versicherte, dass
sie nicht eines einzigen Akkordes maechtig sei, und dass ebendeshalb
ihr Gesang ohne Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde.

Nun fing sie mit zarter, glockenreiner, tief aus dem Herzen toenender
Stimme ein Lied an, dessen einfache Melodie ganz den Charakter jener
Volkslieder trug, die so klar aus dem Innern herausleuchten, dass wir
in dem hellen Schein, der uns umfliesst, unsere hoehere poetische
Natur erkennen muessen.

Ein geheimnisvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des
Textes, der zur Hieroglyphe des Unaussprechlichen wird, von dem unsere
Brust erfuellt. Wer denkt nicht an jene spanische Kanzonetta, deren
Inhalt den Worten nach nicht viel mehr ist, als: "Mit meinem Maedchen
schifft' ich auf dem Meer, da wurd' es stuermisch, und mein Maedchen
wankte furchtsam hin und her. Nein! nicht schiff' ich wieder mit
meinem Maedchen auf dem Meer!" So sagte der Baronin Liedlein nichts
weiter: "Juengst tanzt' ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da
fiel mir eine Blume aus dem Haar, die hob er auf und gab sie mir und
sprach: 'Wann, mein Maedchen, gehn wir wieder zur Hochzeit?'"

Als ich bei der zweiten Strophe dies Liedchen in harpeggierenden
Akkorden begleitete, als ich in der Begeisterung, die mich erfasst,
die Melodien der folgenden Lieder gleich von den Lippen der Baronin
wegstahl, da erschien ich ihr und der Fraeulein Adelheid wie
der groesste Meister der Tonkunst, sie ueberhaeuften mich mit
Lobspruechen. Die angezuendeten Lichter des Ballsaals im Seitenfluegel
brannten hinein in das Gemach der Baronin, und ein misstoeniges
Geschrei von Trompeten und Hoernern verkuendete, dass es Zeit sei,
sich zum Ball zu versammeln.

"Ach, nun muss ich fort", rief die Baronin, ich sprang auf vom
Instrument. "Sie haben mir eine herrliche Stunde bereitet - es waren
die heitersten Momente, die ich jemals hier in R..sitten verlebte."

Mit diesen Worten reichte mir die Baronin die Hand; als ich sie im
Rausch des hoechsten Entzueckens an die Lippen drueckte, fuehlte ich
ihre Finger heftig pulsierend an meiner Hand anschlagen! Ich weiss
nicht, wie ich in des Grossonkels Zimmer, wie ich dann in den Ballsaal
kam. - Jener Gaskogner fuerchtete die Schlacht, weil jede Wunde ihm
toedlich werden muesse, da er ganz Herz sei! - Ihm mochte ich, ihm
mag jeder in meiner Stimmung gleichen! Jede Beruehrung wird toedlich.
Der Baronin Hand, die pulsierenden Finger hatten mich getroffen wie
vergiftete Pfeile, mein Blut brannte in den Adern!

Ohne mich gerade auszufragen, hatte der Alte am andern Morgen doch
bald die Geschichte des mit der Baronin verlebten Abends heraus, und
ich war nicht wenig betreten, als er, der mit lachendem Munde und
heitrem Tone gesprochen, ploetzlich sehr ernst wurde und anfing: "Ich
bitte dich, Vetter, widerstehe der Narrheit, die dich mit aller Macht
ergriffen! Wisse, dass dein Beginnen, so harmlos wie es scheint, die
entsetzlichsten Folgen haben kann, du stehst in achtlosem Wahnsinn
auf duenner Eisdecke, die bricht unter dir, ehe du dich es versiehst,
und du plumpst hinein. Ich werde mich hueten, dich am Rockschoss
festzuhalten, denn ich weiss, du rappelst dich selbst wieder heraus
und sprichst, zum Tode erkrankt: 'Das bisschen Schnupfen bekam ich
im Traume'; aber ein boeses Fieber wird zehren an deinem Lebensmark,
und Jahre werden hingehen, ehe du dich ermannst. Hol' der Teufel
deine Musik, wenn du damit nichts Besseres anzufangen weisst, als
empfindelnde Weiber hinauszutrompeten aus friedlicher Ruhe."

"Aber", unterbrach ich den Alten, "kommt es mir denn in den Sinn, mich
bei der Baronin einzuliebeln?" "Affe!" rief der Alte, "wuesst' ich
das, so wuerfe ich dich hier durchs Fenster!"

Der Baron unterbrach das peinliche Gespraech, und das beginnende
Geschaeft riss mich auf aus der Liebestraeumerei, in der ich nur
Seraphinen sah und dachte. In der Gesellschaft sprach die Baronin nur
dann und wann mit mir einige freundliche Worte, aber beinahe kein
Abend verging, dass nicht heimliche Botschaft kam von Fraeulein
Adelheid, die mich hinrief zu Seraphinen. Bald geschah es, dass
mannigfache Gespraeche mit der Musik wechselten. Fraeulein Adelheid,
die beinahe nicht jung genug war, um so naiv und drollig zu sei,
sprang mit allerlei lustigem und etwas konfusem Zeuge dazwischen, wenn
ich und Seraphine uns zu vertiefen begannen in sentimentale Ahnungen
und Traeumereien. Aus mancher Andeutung musst' ich bald erfahren, dass
der Baronin wirklich irgend etwas Verstoerendes im Sinn liege, wie ich
es gleich, als ich sie zum ersten Male sah, in ihrem Blick zu lesen
glaubte, und die feindliche Wirkung des Hausgespenstes ging mir ganz
klar auf. Irgend etwas Entsetzliches war oder sollte geschehen.
Wie oft draengte es mich, Seraphinen zu erzaehlen, wie mich der
unsichtbare Feind beruehrt, und wie ihn der Alte, gewiss fuer immer,
gebannt habe, aber eine mir selbst unerklaerliche Scheu fesselte mir
die Zunge in dem Augenblick, als ich reden wollte.

Eines Tages fehlte die Baronin bei der Mittagstafel; es hiess, sie
kraenkle und koenne das Zimmer nicht verlassen. Teilnehmend frug man
den Baron, ob das Uebel von Bedeutung sei. Er laechelte auf fatale
Art, recht wie bitter hoehnend, und sprach: "Nichts als ein leichter
Katarrh, den ihr die rauhe Seeluft zugeweht, die nun einmal hier kein
suesses Stimmchen duldet und keine andern Toene leidet, als das derbe
Halloh der Jagd." - Bei diesen Worten warf der Baron mir, der ihm
schraegueber sass, einen stechenden Blick zu.

Nicht zu dem Nachbar, zu mir hatte er gesprochen. Fraeulein Adelheid,
die neben mir sass, wurde blutrot; vor sich hin auf den Teller
starrend und mit der Gabel darauf herumkritzelnd, lispelte sie: "Und
noch heute siehst du Seraphinen, und noch heute werden deine suessen
Liederchen beruhigend sich an das kranke Herz legen." Auch Adelheid
sprach diese Worte fuer mich, aber in dem Augenblick war es mir, als
stehe ich mit der Baronin in unlauterm verbotenem Liebesverhaeltnis,
das nur mit dem Entsetzlichen, mit einem Verbrechen, endigen koenne.

Die Warnungen des Alten fielen mir schwer aufs Herz. - Was sollte ich
beginnen! Sie nicht mehr sehen? - Das war, solange ich im Schlosse
blieb, unmoeglich, und durfte ich auch das Schloss verlassen und nach
K. zurueckgehen, ich vermochte es nicht. Ach! nur zu sehr fuehlt' ich,
dass ich nicht stark genug war, mich selbst aufzuruetteln aus dem
Traum, der mich mit fantastischem Liebesglueck neckte. Adelheid
erschien mir beinahe als gemeine Kupplerin, ich wollte sie deshalb
verachten und doch, mich wieder besinnend, musste ich mich meiner
Albernheit schaemen.

Was geschah in jenen seligen Abendstunden, das nur im mindesten
ein naeheres Verhaeltnis mit Seraphinen, als Sitte und Anstand es
erlaubten, herbeifuehren konnte? Wie durfte es mir einfallen, dass die
Baronin irgend etwas fuer mich fuehlen sollte, und doch war ich von
der Gefahr meiner Lage ueberzeugt!

Die Tafel wurde zeitiger aufgehoben, weil es noch auf Woelfe gehen
sollte, die sich in dem Foehrenwalde, ganz nahe dem Schlosse, hatten
blicken lassen. Die Jagd war mir recht in meiner aufgeregten Stimmung,
ich erklaerte dem Alten, mitziehn zu wollen, er laechelte mich
zufrieden an, sprechend: "Das ist brav, dass du auch einmal dich
herausmachst, ich bleibe heim, du kannst meine Buechse nehmen, und
schnalle auch meinen Hirschfaenger um, im Fall der Not ist das eine
gute sichre Waffe, wenn man nur gleichmuetig bleibt."

Der Teil des Waldes, in dem die Woelfe lagern mussten, wurde von den
Jaegern umstellt. Es war schneidend kalt, der Wind heulte durch die
Foehren und trieb mir die hellen Schneeflocken ins Gesicht, dass ich,
als nun vollends die Daemmerung einbrach, kaum sechs Schritte vor mir
hinschauen konnte. Ganz erstarrt verliess ich den mir angewiesenen
Platz und suchte Schutz tiefer im Walde. Da lehnte ich an einem Baum,
die Buechse unterm Arm. Ich vergass die Jagd, meine Gedanken trugen
mich fort zu Seraphinen ins heimische Zimmer. Ganz entfernt fielen
Schuesse, in demselben Moment rauschte es im Roehricht, und nicht zehn
Schritte von mir erblickte ich einen starken Wolf, der vorueberrennen
wollte.

Ich legte an, drueckte ab, - ich hatte gefehlt, das Tier sprang mit
gluehenden Augen auf mich zu, ich war verloren, hatte ich nicht
Besonnenheit genug, das Jagdmesser herauszureissen, das ich dem Tier,
als es mich packen wollte, tief in die Gurgel stiess, so dass das Blut
mir ueber Hand und Arm spritzte. Einer von den Jaegern des Barons, der
mir unfern gestanden, kam nun mit vollem Geschrei herangelaufen, und
auf seinen wiederholten Jagdruf sammelten sich alle um uns.

Der Baron eilte auf mich zu: "Um des Himmels willen. Sie bluten? - Sie
bluten - Sie sind verwundet?" Ich versicherte das Gegenteil; da fiel
der Baron ueber den Jaeger her, der mir der naechste gestanden, und
ueberhaeufte ihn mit Vorwuerfen, dass er nicht nachgeschossen, als
ich gefehlt, und unerachtet dieser versicherte, dass das gar nicht
moeglich gewesen, weil in derselben Sekunde der Wolf auf mich
zugestuerzt, so dass jeder Schuss mich haette treffen koennen, so
blieb doch der Baron dabei, dass er mich, als einen minder erfahrnen
Jaeger, in besondere Obhut haette nehmen sollen.

Unterdessen hatten die Jaeger das Tier aufgehoben, es war das groesste
der Art, das sich seit langer Zeit hatte sehen lassen, und man
bewunderte allgemein meinen Mut und meine Entschlossenheit, unerachtet
mir mein Benehmen sehr natuerlich schien, und ich in der Tat an die
Lebensgefahr, in der ich schwebte, gar nicht gedacht hatte.

Vorzueglich bewies sich der Baron teilnehmend, er konnte gar nicht
aufhoeren zu fragen, ob ich, sei ich auch nicht von der Bestie
verwundet, doch nichts von den Folgen des Schrecks fuerchte. Es ging
zurueck nach dem Schlosse, der Baron fasste mich, wie einen Freund,
unter den Arm, die Buechse musste ein Jaeger tragen. Er sprach noch
immer von meiner heroischen Tat, so dass ich am Ende selbst an meinen
Heroismus glaubte, alle Befangenheit verlor und mich selbst dem
Baron gegenueber als ein Mann von Mut und seltener Entschlossenheit
festgestellt fuehlte.

Der Schulknabe hatte sein Examen gluecklich bestanden, war kein
Schulknabe mehr, und alle demuetige Aengstlichkeit des Schulknaben
war von ihm gewichen. Erworben schien mir jetzt das Recht, mich
um Seraphinens Gunst zu muehen. Man weiss ja, welcher albernen
Zusammenstellungen die Fantasie eines verliebten Juenglings faehig
ist.

Im Schlosse, am Kamin bei dem rauchenden Punschnapf, blieb ich der
Held des Tages; nur der Baron selbst hatte ausser mir noch einen
tuechtigen Wolf erlegt, die uebrigen mussten sich begnuegen, ihre
Fehlschuesse dem Wetter - der Dunkelheit zuzuschreiben und greuliche
Geschichten von sonst auf der Jagd erlebtem Glueck und ueberstandener
Gefahr zu erzaehlen.

Von dem Alten glaubte ich nun gar sehr gelobt und bewundert zu werden;
mit diesem Anspruch erzaehlte ich ihm mein Abenteuer ziemlich breit
und vergass nicht, das wilde, blutduerstige Ansehn der wilden Bestie
mit recht grellen Farben auszumalen. Der Alte lachte mir aber ins
Gesicht und sprach: "Gott ist maechtig in den Schwachen!"

Als ich des Trinkens, der Gesellschaft ueberdruessig, durch den
Korridor nach dem Gerichtssaal schlich, sah ich vor mir eine Gestalt,
mit dem Licht in der Hand, hineinschluepfen. In den Saal tretend,
erkannte ich Fraeulein Adelheid. "Muss man nicht umherirren wie ein
Gespenst, wie ein Nachtwandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaeger,
aufzufinden!" - So lispelte sie mir zu, indem sie mich bei der Hand
ergriff.

Die Worte: "Nachtwandler - Gespenst", fielen mir, hier an diesem Orte
ausgesprochen, schwer aufs Herz; augenblicklich brachten sie mir die
gespenstischen Erscheinungen jener beiden graulichen Naechte in Sinn
und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltoenen
herueber, es knatterte und pfiff schauerlich durch die Bogenfenster,
und der Mond warf sein bleiches Licht gerade auf die geheimnisvolle
Wand, an der sich das Kratzen vernehmen liess. Ich glaubte Blutflecke
daran zu erkennen.

Fraeulein Adelheid musste, mich noch immer bei der Hand haltend, die
Eiskaelte fuehlen, die mich durchschauerte. "Was ist Ihnen, was ist
Ihnen", sprach sie leise, "Sie erstarren ja ganz? - Nun, ich will
Sie ins Leben rufen. Wissen Sie wohl, dass die Baronin es gar nicht
erwarten kann, Sie zu sehen? Eher glaubt sie nicht, dass der boese
Wolf Sie wirklich nicht zerrissen hat. Sie aengstigt sich unglaublich!
Ei, ei, mein Freund, was haben Sie mit Seraphinchen angefangen! Noch
niemals habe ich sie so gesehen. - Hu! - wie jetzt der Puls anfaengt
zu prickeln! - wie der tote Herr so ploetzlich erwacht ist! Nein,
kommen Sie - fein leise - wir muessen zur kleinen Baronin!"

Ich liess mich schweigend fortziehen; die Art, wie Adelheid von der
Baronin sprach, schien mir unwuerdig, und vorzueglich die Andeutung
des Verstaendnisses zwischen uns gemein. Als ich mit Adelheid eintrat,
kam Seraphine mir mit einem leisen Ach! drei - vier Schritte rasch
entgegen, dann blieb sie, wie sich besinnend, mitten im Zimmer stehen,
ich wagte, ihre Hand zu ergreifen und sie an meine Lippen zu druecken.

Die Baronin liess ihre Hand in der meinigen ruhen, indem sie sprach:
"Aber mein Gott, ist es denn Ihres Berufs, es mit Woelfen aufzunehmen?
Wissen Sie denn nicht, dass Orpheus', Amphions fabelhafte Zeit
laengst vorueber ist, und dass die wilden Tiere allen Respekt vor den
vortrefflichsten Saengern ganz verloren haben?"

Diese anmutige Wendung, mit der die Baronin ihrer lebhaften Teilnahme
sogleich alle Missdeutung abschnitt, brachte mich augenblicklich in
richtigen Ton und Takt. Ich weiss selbst nicht, wie es kam, dass ich
nicht, wie gewoehnlich, mich an das Instrument setzte, sondern neben
der Baronin auf dem Kanapee Platz nahm.

Mit dem Wort: "Und wie kamen Sie denn in Gefahr?" erwies sich unser
Einverstaendnis, dass es heute nicht auf Musik, sondern auf Gespraech
abgesehen sei. Nachdem ich meine Abenteuer im Walde erzaehlt und der
lebhaften Teilnahme des Barons erwaehnt, mit der leisen Andeutung,
dass ich ihn deren nicht fuer faehig gehalten, fing die Baronin mit
sehr weicher, beinahe wehmuetiger Stimme an: "O, wie muss Ihnen der
Baron so stuermisch, so rauh vorkommen, aber glauben Sie mir, nur
waehrend des Aufenthalts in diesen finstern unheimlichen Mauern,
nur waehrend des wilden Jagens in den oeden Foehrenwaeldern aendert
er sein ganzes Wesen, wenigstens sein aeusseres Betragen. Was ihn
vorzueglich so ganz und gar verstimmt, ist der Gedanke, der ihn
bestaendig verfolgt, dass hier irgend etwas Entsetzliches geschehen
werde: daher hat ihn Ihr Abenteuer, das zum Glueck ohne ueble Folgen
blieb, gewiss tief erschuettert.

Nicht den geringsten seiner Diener will er der mindesten Gefahr
ausgesetzt wissen, viel weniger einen lieben neugewonnenen Freund, und
ich weiss gewiss, dass Gottlieb, dem er schuld gibt, Sie im Stiche
gelassen zu haben, wo nicht mit Gefaengnis bestraft werden, doch die
beschaemende Jaegerstrafe dulden wird, ohne Gewehr, mit einem Knittel
in der Hand, sich dem Jagdgefolge anschliessen zu muessen.

Schon, dass solche Jagden, wie hier, nie ohne Gefahr sind, und dass
der Baron, immer Unglueck befuerchtend, doch in der Freude und Lust
daran selbst den boesen Daemon neckt, bringt etwas Zerrissenes in sein
Leben, das feindlich selbst auf mich wirken muss. Man erzaehlt viel
Seltsames von dem Ahnherrn, der das Majorat stiftete, und ich weiss
es wohl, dass ein duesteres Familiengeheimnis, das in diesen Mauern
verschlossen, wie ein entsetzlicher Spuk die Besitzer wegtreibt und es
ihnen nur moeglich macht, eine kurze Zeit hindurch im lauten wilden
Gewuehl auszudauern.

Aber ich! wie einsam muss ich mich in diesem Gewuehl befinden, und wie
muss mich das Unheimliche, das aus allen Waenden weht, im Innersten
aufregen! Sie, mein lieber Freund, haben mir die ersten heitern
Augenblicke, die ich hier verlebte, durch Ihre Kunst verschafft! - wie
kann ich Ihnen denn herzlich genug dafuer danken!" - Ich kuesste die
mir dargebotenen Hand, indem ich erklaerte, dass auch ich gleich am
ersten Tage oder vielmehr in der ersten Nacht das Unheimliche des
Aufenthalts bis zum tiefsten Entsetzen gefuehlt habe.

Die Baronin blickte mir starr ins Gesicht, als ich jenes Unheimliche
der Bauart des ganzen Schlosses, vorzueglich den Verzierungen im
Gerichtssaal, dem sausenden Seewinde u.s.w. zuschrieb. Es kann sein,
dass Ton und Ausdruck darauf hindeuteten, dass ich noch etwas anderes
meine, genug, als ich schwieg, rief die Baronin heftig: "Nein, nein -
es ist Ihnen irgend etwas Entsetzliches geschehen in jenem Saal, den
ich nie ohne Schauer betrete! - ich beschwoere Sie - sagen Sie mir
alles!"-

Zur Totenblaesse war Seraphinens Gesicht verbleicht, ich sah wohl
ein, dass es nun geratener sei, dass ich alles, was mir widerfahren,
getreulich zu erzaehlen, als Seraphinens aufgeregter Fantasie es zu
ueberlassen, vielleicht einen Spuk, der in mir unbekannter Beziehung,
noch schrecklicher sein konnte als der erlebte, sich auszubilden. Sie
hoerte mich an, und immer mehr und mehr stieg ihre Beklommenheit und
Angst. Als ich des Kratzens an der Wand erwaehnte, schrie sie auf:
"Das ist entsetzlich - ja, ja in dieser Mauer ist jenes fuerchterliche
Geheimnis verborgen!"

Als ich dann weiter erzaehlte, wie der Alte mit geistiger Gewalt und
Uebermacht den Spuk gebannt, seufzte sie tief, als wuerde sie frei von
einer schweren Last, die ihre Brust gedrueckt. Sich zuruecklehnend,
hielt sie beide Haende vors Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, dass
Adelheid uns verlassen.

Laengst hatte ich geendet, und da Seraphine noch immer schwieg,
stand ich leise auf, ging an das Instrument und muehte mich, in
anschwellenden Akkorden troestende Geister heraufzurufen, die
Seraphinen dem finstern Reiche, das sich ihr in meiner Erzaehlung
erschlossen, entfuehren sollten. Bald intonierte ich so zart, als ich
es vermochte, eine jener heiligen Kanzonen des Abbate Steffani.

In den wehmutsvollen Klaengen des: "Ooi, perche piangete" - erwachte
Seraphine aus duestern Traeumen und horchte mild laechelnd, glaenzende
Perlen in den Augen, mir zu. - Wie geschah es denn, dass ich vor ihr
hinkniete, dass sie sich zu mir herabbeugte, dass ich sie mit meinen
Armen umschlang, dass ein langer gluehender Kuss auf meinen Lippen
brannte? - Wie geschah es denn, dass ich nicht die Besinnung verlor,
dass ich es fuehlte, wie sie sanft mich an sich drueckte, dass ich
sie aus meinen Armen liess und, schnell mich emporrichtend, an das
Instrument trat?

Von mir abgewendet, ging die Baronin einige Schritte nach dem Fenster
hin, dann kehrte sie um und trat mit einem beinahe stolzen Anstande,
der ihr sonst gar nicht eigen, auf mich zu. Mir fest ins Auge
blickend, sprach sie: "Ihr Onkel ist der wuerdigste Greis, den
ich kenne, er ist der Schutzengel unserer Familie - moege er mich
einschliessen in sein frommes Gebet!"

Ich war keines Wortes maechtig, verderbliches Gift, das ich in jenem
Kusse eingezogen, gaerte und flammte in allen Pulsen, in allen Nerven!
- Fraeulein Adelheid trat herein - die Wut des innern Kampfes stroemte
aus in heissen Traenen, die ich nicht zurueckzudraengen vermochte!
Adelheid blickte mich verwundert und zweifelhaft laechelnd an - ich
haette sie ermorden koennen. Die Baronin reichte mir die Hand und
sprach mit unbeschreiblicher Milde: "Leben Sie wohl, mein lieber
Freund! - Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, dass vielleicht
niemand besser als ich Ihre Musik verstand. - Ach! diese Toene werden
lange - lange in meinem Innern wiederklingen."

Ich zwang mir einige unzusammenhaengende alberne Worte ab und lief
nach unserm Gemach. Der Alte hatte sich schon zur Ruhe begeben. Ich
blieb im Saal, ich stuerzte auf die Knie, ich weinte laut - ich rief
den Namen der Geliebten, kurz, ich ueberliess mich den Torheiten des
verliebten Wahnsinns trotz einem, und nur der laute Zuruf des ueber
mein Toben aufgewachten Alten: "Vetter, ich glaube du bist verrueckt
geworden oder balgst dich aufs neue mit einem Wolf? - Schier dich zu
Bette, wenn es dir sonst gefaellig ist"- nur dieser Zuruf trieb mich
hinein ins Gemach, wo ich mich mit dem festen Vorsatz niederlegte, nur
von Seraphinen zu traeumen.

Es mochte schon nach Mitternacht sein, als ich, noch nicht
eingeschlafen, entfernte Stimmen, ein Hin- und Herlaufen und das
Oeffnen und Zuschlagen von Tueren zu vernehmen glaubte. Ich horchte
auf, da hoerte ich Tritte auf dem Korridor sich nahen, die Tuer des
Saals wurde geoeffnet, und bald klopfte es an unser Gemach.

"Wer ist da?" rief ich laut; da sprach es draussen: "Herr Justitiarius
- Herr Justitiarius, wachen Sie auf - wachen Sie auf!" Ich erkannte
Franzens Stimme, und indem ich frug: "Brennt es im Schlosse?" wurde
der Alte wach und rief: "Wo brennt es? wo ist schon wieder verdammter
Teufelsspuk los?" "Ach, stehen Sie auf, Herr Justitiarius", sprach
Franz, "stehen Sie auf, der Herr Baron verlangt nach Ihnen!" "Was will
der Baron von mir", frug der Alte weiter, "was will er von mir zur
Nachtzeit? weiss er nicht, dass das Justitiariat mit dem Justitiarius
zu Bette geht und ebensogut schlaeft, als er?"

"Ach", rief nun Franz aengstlich, "lieber Herr Justitiarius, stehen
Sie doch nur auf - die gnaedige Frau Baronin liegt im Sterben!" Mit
einem Schrei des Entsetzens fuhr ich auf. "Oeffne Franzen die Tuer",
rief mir der Alte zu; besinnungslos wankte ich im Zimmer herum, ohne
Tuer und Schloss zu finden. Der Alte musste mir beistehen, Franz trat
bleich mit verstoertem Gesicht herein und zuendete die Lichter an.

Als wir uns kaum in die Kleider geworfen, hoerten wir schon den Baron
im Saal rufen: "Kann ich Sie sprechen, lieber V?" "Warum hast du dich
angezogen, Vetter, der Baron hat nur nach mir verlangt?" frug der
Alte, im Begriff herauszutreten. "Ich muss hinab - ich muss sie sehen
und dann sterben", sprach ich dumpf und wie vernichtet vom trostlosen
Schmerz.

"Ja so! da hast du recht, Vetter!" Dies sprechend, warf mir der Alte
die Tuer vor der Nase zu, dass die Angeln klirrten, und verschloss sie
von draussen. Im ersten Augenblick, ueber diesen Zwang empoert, wollt'
ich die Tuer einrennen, aber mich schnell besinnend, dass dieses nur
die verderblichen Folgen einer ungezuegelten Raserei haben koenne,
beschloss ich, die Rueckkehr des Alten abzuwarten, dann aber, koste
es, was es wolle, seiner Aufsicht zu entschluepfen.

Ich hoerte den Alten heftig mit dem Baron reden, ich hoerte mehrmals
meinen Namen nennen, ohne weiteres verstehen zu koennen. Mit jeder
Sekunde wurde mir meine Lage toedlicher. Endlich vernahm ich, wie dem
Baron eine Botschaft gebracht wurde, und wie er schnell davonrannte.
Der Alte trat wieder in das Zimmer "Sie ist tot" mit diesem Schrei
stuerzte ich dem Alten entgegen "Und du bist naerrisch!" fiel er
gelassen ein, fasste mich und drueckte mich in einen Stuhl. "lch muss
hinab", schrie ich, "Ich muss hinab, sie sehen, und sollt' es mir das
Leben kosten!"

"Tue das, lieber Vetter", sprach der Alte, indem er die Tuer
verschloss, den Schluessel abzog und in die Tasche steckte. Nun
flammte ich auf in toller Wut, ich griff nach der geladenen Buechse
und schrie: "Hier vor Ihren Augen jage ich mir die Kugel durch den
Kopf, wenn Sie nicht sogleich mir die Tuer oeffnen." Da trat der
Alte dicht vor mir hin und sprach, indem er mich mit durchbohrendem
Blick ins Auge fasste: "Glaubst du, Knabe, dass du mich mit deiner
armseligen Drohung erschrecken kannst? - Glaubst du, dass mir dein
Leben was wert ist, wenn du vermagst, es in kindischer Albernheit
wie ein abgenutztes Spielzeug wegzuwerfen? Was hast du mit dem Weibe
des Barons zu schaffen? - wer gibt dir das Recht, dich wie ein
ueberlaestiger Geck da hinzudraengen, wo du nicht hingehoerst, und wo
man dich auch gar nicht mag? Willst du den liebenden Schaefer machen
in ernster Todesstunde?"

Ich sank vernichtet in den Lehnstuhl - Nach einer Weile fuhr der
Alte mit milderer Stimme fort: "Und damit du es nur weisst, mit der
angeblichen Todesgefahr der Baronin ist es wahrscheinlich ganz und
gar nichts - Fraeulein Adelheid ist denn nun gleich ausser sich ueber
alles, wenn ihr ein Regentropfen auf die Nase faellt, so schreit sie:
'Welch ein schreckliches Unwetter!' Zum Unglueck ist der Feuerlaerm
bis zu den alten Tanten gedrungen, die sind unter unziemlichem Weinen
mit einem ganzen Arsenal von staerkenden Tropfen - Lebenselixieren,
und was weiss ich sonst, angerueckt - Eine starke Anwandlung von
Ohnmacht."

Der Alte hielt inne, er mochte bemerken, wie ich im Innern kaempfte.
Er ging einigemal die Stube auf und ab, stellte sich wieder vor mir
hin, lachte recht herzlich und sprach: "Vetter, Vetter! was treibst
du fuer naerrisches Zeug? Nun! es ist einmal nicht anders, der Satan
treibt hier seinen Spuk auf mancherlei Weise, du bist ihm ganz lustig
in die Krallen gelaufen, und er macht jetzt sein Taenzchen mit dir."

Er ging wieder einige Schritte auf und ab, dann sprach er weiter: "Mit
dem Schlaf ist's nun einmal vorbei, und da daecht' ich, man rauchte
eine Pfeife und braechte so noch die paar Stuendchen Nacht und
Finsternis hin!" - Mit diesen Worten nahm der Alte eine toenerne
Pfeife vom Wandschrank herab und stopfte sie, ein Liedchen brummend,
langsam und sorgfaeltig. Dann suchte er unter vielen Papieren, bis er
ein Blatt herausriss, es zum Fidibus zusammenknetete und ansteckte.

Die dicken Rauchwolken von sich blasend, sprach er zwischen den
Zaehnen: "Nun, Vetter, wie war es mit dem Wolf?" Ich weiss nicht, wie
dies ruhige Treiben des Alten seltsam auf mich wirkte. - Es war, als
sei ich gar nicht mehr in R..sitten - die Baronin weit weit von mir
entfernt, so dass ich sie nur mit den gefluegelten Gedanken erreichen
koenne! - Die letzte Frage des Alten verdross mich. "Aber", fiel ich
ein, "finden Sie mein Jagdabenteuer so lustig, so zum Bespoetteln
geeignet?"

"Mitnichten", erwiderte der Alte, "mitnichten, Herr Vetter, aber du
glaubst nicht, welch komisches Gesicht solch ein Kiekindiewelt wie
du schneidet, und wie er sich ueberhaupt so possierlich dabei macht,
wenn der liebe Gott ihn einmal wuerdigt, was Besonderes ihm passieren
zu lassen. Ich hatte einen akademischen Freund, der ein stiller,
besonnener, mit sich einiger Mensch war. Der Zufall verwickelte ihn,
der nie Anlass zu dergleichen gab, in eine Ehrensache, und er, den die
mehresten Burschen fuer einen Schwaechling, fuer einen Pinsel hielten,
benahm sich dabei mit solchem ernstem entschlossenem Mute, dass alle
ihn hoechlich bewunderten.

Aber seit der Zeit war er auch umgewandelt. Aus dem fleissigen
besonnenen Juenglinge wurde ein prahlhafter, unausstehlicher Raufbold.
Er kommerschierte und jubelte und schlug, dummer Kinderei halber,
sich so lange, bis ihn der Senior einer Landsmannschaft, die er auf
poebelhafte Weise beleidigt, im Duell niederstiess.

Ich erzaehle dir das nur so, Vetter, du magst dir dabei denken, was du
willst! Um nun wieder auf die Baronin und ihre Krankheit zu kommen"-
Es liessen sich in dem Augenblick leise Tritte auf dem Saal hoeren,
und mir war es, als ginge ein schauerliches Aechzen durch die Luefte!
"Sie ist hin!" - der Gedanke durchfuhr mich wie ein toetender Blitz!

Der Alte stand rasch auf und rief laut: "Franz Franz!" "Ja, lieber
Herr Justitiarius", antwortete es draussen. "Franz", fuhr der Alte
fort, "schuere ein wenig das Feuer im Kamin zusammen, und ist es
tunlich, so magst du fuer uns ein paar Tassen guten Tee bereiten! - Es
ist verteufelt kalt", wandte sich der Alte zu mir, "und da wollen wir
uns lieber draussen am Kamine was erzaehlen." Der Alte schloss die
Tuer auf, ich folgte ihm mechanisch.

"Wie geht's unten?", frug der Alte. "Ach", erwiderte Franz, "es hatte
gar nicht viel zu bedeuten, die gnaedige Frau Baronin sind wieder ganz
munter und schieben das bisschen Ohnmacht auf einen boesen Traum!" Ich
wollte aufjauchzen vor Freude und Entzuecken, ein sehr ernster Blick
des Alten wies mich zur Ruhe. "Ja", sprach der Alte, "im Grunde
genommen waer's doch besser, wir legten uns noch ein paar Stuendchen
aufs Ohr - Lass es nur gut sein mit dem Tee, Franz!"

"Wie Sie befehlen, Herr Justitiarius", erwiderte Franz und verliess
den Saal mit dem Wunsch einer geruhsamen Nacht, unerachtet schon die
Haehne kraehten. "Hoere, Vetter", sprach der Alte, indem er die Pfeife
im Kamin ausklopfte, "hoere, Vetter, gut ist's doch, dass dir kein
Malheur passiert ist mit Woelfen und geladenen Buechsen!" Ich verstand
jetzt alles und schaemte mich, dass ich dem Alten Anlass gab, mich zu
behandeln wie ein ungezogenes Kind.

"Sei so gut", sprach der Alte am andern Morgen, "sei so gut, lieber
Vetter, steige herab und erkundige dich, wie es mit der Baronin steht.
Du kannst nur immer nach Fraeulein Adelheid fragen, die wird dich denn
wohl mit einem tuechtigen Bulletin versehen." - Man kann denken, wie
ich hinabeilte. Doch in dem Augenblick, als ich leise an das Vorgemach
der Baronin pochen wollte, trat mir der Baron rasch aus demselben
entgegen.

Er blieb verwundert stehen und mass mich mit finsterm, durchbohrenden
Blick. "Was wollen Sie hier!" fuhr es ihm heraus. Unerachtet mir
das Herz im Innersten schlug, nahm ich mich zusammen und erwiderte
mit festem Ton: "Mich im Auftrage des Onkels nach dem Befinden
der gnaedigen Frau erkundigen." "O es war ja gar nichts - ihr
gewoehnlicher Nervenzufall. Sie schlaeft sanft, und ich weiss,
dass sie wohl und munter bei der Tafel erscheinen wird! Sagen Sie
das - Sagen Sie das" Dies sprach der Baron mit einer gewissen
leidenschaftlichen Heftigkeit, die mir anzudeuten schien, dass er um
die Baronin besorgter sei, als er es wolle merken lassen.

Ich wandte mich, um zurueckzukehren, da ergriff der Baron ploetzlich
meinen Arm und rief mit flammendem Blick: "Ich habe mit Ihnen zu
sprechen, junger Mann!" Sah ich nicht den schwerbeleidigten Gatten vor
mir, und musst' ich nicht einen Auftritt befuerchten, der vielleicht
schmachvoll fuer mich enden konnte? Ich war unbewaffnet, doch im
Moment besann ich mich auf mein kuenstliches Jagdmesser, das mir der
Alte erst in R..sitten geschenkt und das ich noch in der Tasche trug.

Nun folgte ich dem mich rasch fortziehenden Baron mit dem Entschluss,
keines Leben zu schonen, wenn ich Gefahr laufen sollte, unwuerdig
behandelt zu werden. Wir waren in des Barons Zimmer eingetreten,
dessen Tuer er hinter sich abschloss. Nun schritt er mit
uebereinandergeschlagenen Armen heftig auf und ab, dann blieb er vor
mir stehen und wiederholte: "Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger
Mann!"

Der verwegenste Mut war mir gekommen, und ich wiederholte mit
erhoehtem Ton: "Ich hoffe, dass es Worte sein werden, die ich
ungeahndet hoeren darf!" Der Baron schaute mich verwundert an, als
verstehe er mich nicht. Dann blickte er finster zur Erde, schlug die
Arme ueber den Riicken und fing wieder an im Zimmer auf und ab zu
rennen. Er nahm die Buechse herab und stiess den Ladestock hinein, als
wolle er versuchen, ob sie geladen sei oder nicht!

Das Blut stieg mir in den Adern, ich fasste nach dem Messer und
schritt dicht auf den Baron zu, um es ihm unmoeglich zu machen, auf
mich anzulegen. "Ein schoenes Gewehr", sprach der Baron, die Buechse
wieder in den Winkel stellend. Ich trat einige Schritte zurueck und
der Baron an mich heran; kraeftiger auf meine Schulter schlagend, als
gerade noetig, sprach er dann: "Ich muss Ihnen aufgeregt und verstoert
vorkommen, Theodor, ich bin es auch wirklich von der in tausend
Aengsten durchwachten Nacht.

Der Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht gefaehrlich, das sehe
ich jetzt ein, aber hier - hier in diesem Schloss, in das ein finstrer
Geist gebannt ist, fuercht' ich das Entsetzliche, und dann ist es auch
das erstemal, dass sie hier erkrankte. Sie - Sie allein sind schuld
daran!"

Wie das moeglich sein koenne, davon haette ich keine Ahnung, erwiderte
ich gelassen. "Oh", fuhr der Baron fort, "o waere der verdammte
Unglueckskasten der Inspektorin auf blankem Eise zerbrochen in tausend
Stuecke, o waeren Sie doch nein! - nein! Es sollte, es musste so sein,
und ich allein bin schuld an allem. An mir lag es, in dem Augenblick,
als Sie anfingen in dem Gemach meiner Frau Musik zu machen, Sie von
der ganzen Lage der Sache, von der Gemuetsstimmung meiner Frau zu
unterrichten."

Ich machte Miene zu sprechen "Lassen Sie mich reden", rief der Baron,
"ich muss im voraus Ihnen alles voreilige Urteil abschneiden. Sie
werden mich fuer einen rauhen, der Kunst abholden Mann halten. Ich bin
das keineswegs, aber eine auf tiefe Ueberzeugung gebaute Ruecksicht
noetigt mich, hier womoeglich solcher Musik, die jedes Gemuet und auch
gewiss das meinige ergreift, den Eingang zu versagen. Erfahren Sie,
dass meine Frau an einer Erregbarkeit kraenkelt, die am Ende alle
Lebensfreude wegzehren muss.

In diesen wunderlichen Mauern kommt sie gar nicht heraus aus dem
erhoehten, ueberreizten Zustande, der sonst nur momentan einzutreten
pflegt, und zwar oft als Vorbote einer ernsten Krankheit. Sie fragen
mit Recht, warum ich der zarten Frau diesen schauerlichen Aufenthalt,
dieses wilde verwirrte Jaegerleben nicht erspare? Aber nennen Sie
es immerhin Schwaeche, genug, mir ist es nicht moeglich, sie allein
zurueckzulassen. In tausend Aengsten und nicht faehig Ernstes zu
unternehmen wuerde ich sein, denn ich weiss es, die entsetzlichsten
Bilder von allerlei verstoerendem Ungemach, das ihr widerfahren,
verliessen mich nicht im Walde, nicht im Gerichtssaal.

Dann aber glaube ich, dass dem schwaechlichen Weibe gerade diese
Wirtschaft hier wie ein erkraeftigendes Stahlbad anschlagen muss.
Wahrhaftig, der Seewind, der nach seiner Art tuechtig durch die
Foehren saust, das dumpfe Gebelle der Doggen, der keck und munter
schmetternde Hoernerklang muss hier siegen ueber die verweichelnden,
schmachtelnden Pinseleien am Klavier, das so kein Mann spielen sollte,
aber Sie haben es darauf angelegt, meine Frau methodisch zu Tode zu
quaelen!"

Der Baron sagte dies mit verstaerkter Stimme und wildfunkelnden Augen
- das Blut stieg mir in den Kopf, ich machte eine heftige Bewegung mit
der Hand gegen den Baron, ich wollte sprechen, er liess mich nicht zu
Worte kommen "Ich weiss, was Sie sagen wollen", fing er an, "ich weiss
es und wiederhole es, dass Sie auf dem Wege waren, meine Frau zu
toeten, und dass ich Ihnen dies auch nicht im mindesten zurechnen
kann, wiewohl Sie begreifen, dass ich dem Dinge Einhalt tun muss. -
Kurz! - Sie exaltieren meine Frau durch Spiel und Gesang, und als sie
in dem bodenlosen Meere traeumerischer Visionen und Ahnungen, die
Ihre Musik wie ein boeser Zauber heraufbeschworen hat, ohne Halt und
Steuer umherschwimmt, druecken Sie sie hinunter in die Tiefe mit der
Erzaehlung eines unheimlichen Spuks, der Sie oben im Gerichtssaal
geneckt haben soll.

Ihr Grossonkel hat mir alles erzaehlt, aber ich bitte Sie, wiederholen
Sie mir alles, was Sie sahen oder nicht sahen - hoerten - fuehlten -
ahnten." Ich nahm mich zusammen und erzaehlte ruhig, wie es sich damit
begeben, von Anfang bis zu Ende. Der Baron warf nur dann und wann
einzelne Worte, die sein Erstaunen ausdrueckten, dazwischen.
Als ich darauf kam, wie der Alte sich mit frommem Mut dem Spuk
entgegengestellt und ihn gebannt habe mit kraeftigen Worten, schlug
er die Haende zusammen, hob sie gefaltet zum Himmel empor und rief
begeistert: "Ja, er ist der Schutzgeist der Familie! ruhen soll in der
Gruft der Ahnen seine sterbliche Huelle!"

Ich hatte geendet. "Daniel, Daniel! was machst du hier zu
dieser Stunde!" murmelte der Baron in sich hinein, indem er mit
uebereinandergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abschritt. "Weiter
war es also nichts, Herr Baron?" frug ich laut, indem ich Miene machte
mich zu entfernen. Der Baron fuhr auf wie aus einem Traum, fasste
freundlich mich bei der Hand und sprach: "Ja lieber Freund, meine
Frau, der Sie so arg mitgespielt haben, ohne es zu wollen, die muessen
Sie wieder herstellen, - Sie allein koennen das."

Ich fuehlte mich erroetend, und stand ich dem Spiegel gegenueber,
so erblickte ich gewiss in demselben ein sehr albernes verdutztes
Gesicht. Der Baron schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden, er
blickte mir unverwandt ins Auge mit einem recht fatalen ironischen
Laecheln. "Wie in aller Welt sollte ich es anfangen", stotterte ich
endlich muehsam heraus.

"Nun, nun", unterbrach mich der Baron, "Sie haben es mit keiner
gefaehrlichen Patientin zu tun. Ich nehme jetzt ausdruecklich Ihre
Kunst in Anspruch. Die Baronin ist nun einmal hereingezogen in den
Zauberkreis Ihrer Musik, und sie ploetzlich herauszureissen, wuerde
toericht und grausam sein. Setzen Sie die Musik fort. Sie werden zur
Abendstunde in den Zimmern meiner Frau jedesmal willkommen sein. Aber
gehen Sie nach und nach ueber zu kraeftigerer Musik, verbinden Sie
geschickt das Heitere mit dem Ernsten und dann, vor allen Dingen,
wiederholen Sie die Erzaehlung von dem unheimlichen Spuk recht oft.
Die Baronin gewoehnt sich daran, sie vergisst, dass der Spuk hier in
diesen Mauern hauset, und die Geschichte wirkt nicht staerker auf
sie, als jedes andere Zaubermaerchen, das in irgendeinem Roman, in
irgendeinem Gespensterbuch ihr aufgetischt worden. Das tun sie, lieber
Freund."

Mit diesen Worten entliess mich der Baron. Ich ging - Ich war
vernichtet in meinem eignen Innern, herabgesunken zum bedeutungslosen,
toerichten Kinde! Ich Wahnsinniger, der ich glaubte, Eifersucht koenne
sich in seiner Brust regen; er selbst schickt mich zu Seraphinen, er
selbst sieht in mir nur das willenlose Mittel, das er braucht und
wegwirft, wie es ihm beliebt! Vor wenigen Minuten fuerchtete ich den
Baron, es lag in mir tief im Hintergrunde verborgen das Bewusstsein
der Schuld, aber diese Schuld liess mich das hoehere, herrliche Leben
deutlich fuehlen, dem ich zugereift; nun war alles versunken in
schwarze Nacht, und ich sah nur den albernen Knaben, der in kindischer
Verkehrtheit die papierne Krone, die er sich auf den heissen Kopf
stuelpte, fuer echtes Gold gehalten.

Ich eilte zum Alten, der schon auf mich wartete. "Nun Vetter, wo
bleibst du denn, wo bleibst du denn?" rief er mir entgegen. "lch habe
mit dem Baron gesprochen", warf ich schnell und leise hin, ohne den
Alten anschauen zu koennen. "Tausend Sapperlot!" sprach der Alte wie
verwundert, "Tausend Sapperlot, dacht ich's doch gleich! - der Baron
hat dich gewiss herausgefordert, Vetter?" - Das schallende Gelaechter,
das der Alte gleich hinterher aufschlug, bewies mir, dass er auch
dieses Mal, wie immer, ganz und gar mich durchschaute.

Ich biss die Zaehne zusammen ich mochte kein Wort erwidern, denn wohl
wusst' ich, dass es dessen nur bedurfte, um sogleich von den tausend
Neckereien ueberschuettet zu werden, die schon auf des Alten Lippen
schwebten.

Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend
weiss, frisch gefallenen Schnee besiegte. Sie sah matt aus und
abgespannt, doch als sie nun, leise und melodisch sprechend, die
dunklen Augen erhob, da blitzte suesses, sehnsuechtiges Verlangen aus
duesterer Glut, und ein fluechtiges Rot ueberflog das lilienblasse
Antlitz. Sie war schoener als jemals. Wer ermisst die Torheiten eines
Juenglings mit zu heissem Blut im Kopf und Herzen!

Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich ueber auf
die Baronin. Alles erschien mir wie eine heillose Mystifikation, und
nun wollt' ich beweisen, dass ich gar sehr bei vollem Verstande sei
und ueber die Massen scharfsichtig. - Wie ein schmollendes Kind
vermied ich die Baronin und entschluepfte der mich verfolgenden
Adelheid, so dass ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Tafel
zwischen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker
zu zechen begann. Beim Nachtisch stiessen wir fleissig die Glaeser
zusammen, und, wie es in solcher Stimmung zu geschehen pflegt, ich war
ungewoehnlich laut und lustig.

Ein Bedienter hielt mir einen Teller hin, auf dem einige Bonbons
lagen, mit den Worten: "Von Fraeulein Adelheid." Ich nahm, und
bemerkte bald, dass auf einem der Bonbons mit Silberstift gekritzelt
stand: "Und Seraphine?"- Das Blut wallte mir auf in den Adern. Ich
schaute hin nach Adelheid, die sah mich an mit ueberaus schlauer,
verschmitzter Miene, nahm das Glas und nickte mir zu mit leisem
Kopfnicken.

Beinahe willkuerlos murmelte ich still: "Seraphine", nahm mein
Glas und leerte es mit einem Zuge. Mein Blick flog hin zu ihr, ich
gewahrte, dass sie auch in dem Augenblick getrunken hatte und ihr Glas
eben hinsetzte - ihre Augen trafen die meinen, und ein schadenfroher
Teufel raunte es mir in die Ohren: "Unseliger! - Sie liebt dich doch!"
Einer der Gaeste stand auf und brachte, nordischer Sitte gemaess, die
Gesundheit der Frau vom Hause aus. Die Glaeser erklangen im lauten
Jubel - Entzuecken und Verzweiflung spalteten mir das Herz - die Glut
des Weins flammte in mir auf, alles drehte sich in Kreisen, es war,
als muesste ich vor aller Augen hinstuerzen zu ihren Fuessen und mein
Leben aushauchen!

"Was ist Ihnen, lieber Freund?" Diese Frage meines Nachbars gab mir
die Besinnung wieder, aber Seraphine war verschwunden. - Die Tafel
wurde aufgehoben. Ich wollte fort, Adelheid hielt mich fest, sie
sprach allerlei, ich hoerte, ich verstand kein Wort - sie fasste mich
bei beiden Haenden und rief mir laut lachend etwas in die Ohren. -
Wie von der Starrsucht gelaehmt, blieb ich stumm und regungslos. Ich
weiss nur, dass ich endlich mechanisch ein Glas Likoer aus Adelheids
Hand nahm und es austrank, dass ich mich einsam in einem Fenster
wiederfand, dass ich dann hinausstuerzte aus dem Saal, die Treppe
hinab, und hinauslief in den Wald.

In dichten Flocken fiel der Schnee herab, die Foehren seufzten, vom
Sturm bewegt; wie ein Wahnsinniger sprang ich umher in weiten Kreisen,
und lachte und schrie wild auf: "Schaut zu, schaut zu! - Heisa! der
Teufel macht sein Taenzchen mit dem Knaben, der zu speisen gedachte
total verbotene Fruechte."

Wer weiss, wie mein tolles Spiel geendet, wenn ich nicht meinen Namen
laut in den Wald hineinrufen gehoert. Das Wetter hatte nachgelassen,
der Mond schien hell durch die zerrissenen Wolken, ich hoerte Doggen
anschlagen und gewahrte eine finstere Gestalt, die sich mir naeherte.
Es war der alte Jaeger. "Ei, ei, lieber Herr Theodor!" fing er an,
"wie haben Sie sich denn verirrt in dem boesen Schneegestoeber, der
Herr Justitiarius warten auf Sie mit vieler Ungeduld!"

Schweigend folgte ich dem Alten. Ich fand den Grossonkel im
Gerichtssaal arbeitend. "Das hast du gut gemacht", rief er mir
entgegen, "das hast du sehr gut gemacht, dass du ein wenig ins Freie
gingst, um dich gehoerig abzukuehlen. Trinke doch nicht so viel Wein,
du bist noch viel zu jung dazu, das taugt nicht." Ich brachte kein
Wort hervor, schweigend setzte ich mich hin an den Schreibtisch.

"Aber sage mir nur, lieber Vetter, was wollte denn eigentlich der
Baron von dir?" - Ich erzaehlte alles und schloss damit, dass ich
mich nicht hergeben wollte zu der zweifelhaften Kur, die der Baron
vorgeschlagen. "Wuerde auch gar nicht angehen", fiel der Alte mir
in die Rede, "denn wir reisen morgen in aller Fruehe fort, lieber
Vetter!" Es geschah so, ich sah Seraphinen nicht wieder!

Kaum angekommen in K., klagte der alte Grossonkel, dass er mehr als
jemals sich von der beschwerlichen Fahrt angegriffen fuehle. Sein
muerrisches Schweigen, nur unterbrochen von heftigen Ausbruechen der
uebelsten Laune, verkuendete die Rueckkehr seiner podagristischen
Zufaelle. Eines Tages wurd' ich schnell hingerufen, ich fand den
Alten, vom Schlage getroffen, sprachlos auf dem Lager, einen
zerknitterten Brief in der krampfhaft geschlossenen Hand.

Ich erkannte die Schriftzuege des Wirtschaftsinspektors aus R..sitten,
doch, von dem tiefsten Schmerz durchdrungen, wagte ich es nicht, den
Brief dem Alten zu entreissen, ich zweifelte nicht an seinem baldigen
Tod. Doch, noch ehe der Arzt kam, schlugen die Lebenspulse wieder, die
wunderbar kraeftige Natur des siebzigjaehrigen Greises widerstand dem
toedlichen Anfall, noch desselben Tages erklaerte ihn der Arzt ausser
Gefahr. Der Winter war hartnaeckiger als jemals, ihm folgte ein
rauher, duesterer Fruehling, und so kam es, dass nicht jener Zufall
sowohl, als das Podagra, von dem boesen Klima wohl gehegt, den Alten
fuer lange Zeit auf das Krankenlager warf.

In dieser Zeit beschloss er, sich von jedem Geschaeft ganz
zurueckzuziehen. Er trat seine Justitiariate an andere ab, und so
war mir jede Hoffnung verschwunden, jemals wieder nach R..sitten zu
kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur von mir verlangte er
unterhalten, aufgeheitert zu werden. Aber wenn auch in schmerzlosen
Stunden seiner Heiterkeit wiedergekehrt war, wenn es an derben
Spaessen nicht fehlte, wenn es selbst zu Jagdgeschichten kam, und ich
jeden Augenblick vermutete, meine Heldentat, wie ich den greulichen
Wolf mit dem Jagdmesser erlegt, wuerde herhalten muessen - niemals -
niemals erwaehnte er unseres Aufenthalts in R..sitten, und wer mag
nicht einsehen, dass ich aus natuerlicher Scheu mich wohl huetete, ihn
geradezu darauf zu bringen.

Meine bittre Sorge, meine stete Muehe um den Alten hatte Seraphinens
Bild in den Hintergrund gestellt. Sowie des Alten Krankheit nachliess,
gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin,
der mir wie ein leuchtender, auf ewig fuer mich untergegangener Stern
erschien. Ein Ereignis rief allen empfundenen Schmerz hervor, indem es
mich zugleich, wie eine Erscheinung aus der Geisterweit, mit eiskalten
Schauern durchbebte!

Als ich naemlich eines Abends die Brieftasche, die ich in R..sitten
getragen, oeffne, faellt mir aus den aufgeblaetterten Papieren eine
dunkle, mit einem weissen Bande umschlungene Locke entgegen, die ich
augenblicklich fuer Seraphinens Haar erkenne! Aber als ich das Band
naeher betrachte, sehe ich deutlich die Spur eines Blutstropfens!
Vielleicht wusste Adelheid in jenen Augcnblicken des bewusstlosen
Wahnsinns, der mich am letzten Tage ergriffen, mir dies Andenken
geschickt zuzustellen, aber warum der Blutstropfe, der mich
Entsetzliches ahnen liess und jenes beinahe zu schaefermaessige Pfand
zur schauervollen Mahnung an eine Leidenschaft, die teures Herzblut
kosten konnte, hinaufsteigerte?

Das war jenes weisse Band, das mich, zum erstenmal Seraphinen nahe,
wie im leichten losen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Macht
das Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht spielen soll
der Knabe mit der Waffe, deren Gefaehrlichkeit er nicht ermisst!

Endlich hatten die Fruehlingsstuerme zu toben aufgehoert, der Sommer
behauptete sein Recht, und war erst die Kaelte unertraeglich, so wurd'
es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. Der Alte erkraeftigte sich
zusehends und zog, wie er sonst zu tun pflegte, in einen Garten der
Vorstadt. An einem stillen lauen Abende sassen wir in der duftenden
Jasminlaube, der Alte war ungewoehnlich heiter und dabei nicht,
wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich
gestimmt.

"Vetter", fing er an, "ich weiss nicht, wie mir heute ist, ein ganz
besonderes Wohlsein, wie ich es seit vielen Jahren nicht gefuehlt,
durchdringt mich mit gleichsam elektrischer Waerme. Ich glaube, das
verkuendet mir einen baldigen Tod." Ich muehte mich, ihn von dem
duestern Gedanken abzubringen. "Lass es gut sein, Vetter", sprach er,
"lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine
Schuld abtragen! Denkst du noch an die Herbstzeit in R..sitten?" -
Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu
antworten vermochte, fuhr er weiter fort: "Der Himmel wollte es,
dass du dort auf ganz eigne Weise eintratst und wider deinen Willen
eingeflochten wurdest in die tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt
ist es an der Zeit, dass Du alles erfahren musst.

Oft genug, Vetter, haben wir ueber Dinge gesprochen, die du mehr
ahntest als verstandest. Die Natur stellt den Zyklus des menschlichen
Lebens in dem Wechsel der Jahreszeiten symbolisch dar, das sagen
sie alle, aber ich meine das auf andere Weise als alle. Die
Fruehlingsnebel fallen, die Duenste des Sommers verdampfen, und erst
des Herbstes reiner Aether zeigt deutlich die ferne Landschaft, bis
das Hienieden versinkt in die Nacht des Winters.

Ich meine, dass im Hellsehen des Alters sich deutlicher das Walten der
unerforschlichen Macht zeigt. Es sind Blicke vergoennt in das gelobte
Land, zu dem die Pilgerfahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode.

Wie wird mir in diesem Augenblick so klar das dunkle Verhaengnis
jenes Hauses, dem ich durch festere Bande, als Verwandtschaft sie zu
schlingen vermag, verknuepft wurde. Wie liegt alles so erschlossen vor
meines Geistes Augen! - doch, wie ich nun alles so gestaltet vor mir
sehe, das Eigentliche, das kann ich nicht mit Worten sagen, keines
Menschen Zunge ist dessen faehig. Hoere, mein Sohn, das, was ich dir
nur wie eine merkwuerdige Geschichte, die sich wohl zutragen konnte,
zu erzaehlen vermag. Bewahre tief in deiner Seele die Erkenntnis,
dass die geheimnisvollen Beziehungen, in die du dich vielleicht
nicht unberufen wagtest, dich verderben konnten! - doch das ist nun
vorueber!"

Die Ceschichte des R..schen Majorats, die der Alte jetzt erzaehlte,
trage ich so treu im Gedaechtnis, dass ich sie beinahe mit seinen
Worten (er sprach von sich selbst in der dritten Person) zu
wiederholen vermag.

In einer stuermischen Herbstnacht des Jahres 1760 weckte ein
entsetzlicher Schlag, als falle das ganze weitlaeuftige Schloss in
tausend Truemmer zusammen, das Hausgesinde in R..sitten aus tiefem
Schlafe. Im Nu war alles auf den Beinen, Lichter wurden angezuendet,
Schrecken und Angst im leichenblassen Gesicht, keuchte der
Hausverwalter mit den Schluesseln herbei, aber nicht gering war
jedes Erstaunen, als man in tiefer Totenstille, in der das pfeifende
Gerassel der muehsam geoeffneten Schloesser, jeder Fusstritt recht
schauerlich widerhallte, durch unversehrte Gaenge, Saele, Zimmer fort
und fort wandelte.

Nirgends die mindeste Spur irgendeiner Verwuestung. Eine finstere
Ahnung erfasste den alten Hausverwalter. Er schritt hinauf in den
grossen Rittersaal, in dessen Seitenkabinett der Freiherr Roderich v.
R. zu ruhen pflegte, wenn er astronomische Beobachtungen angestellt.
Eine zwischen der Tuer dieses und eines andern Kabinetts angebrachte
Pforte fuehrte durch einen engen Gang unmittelbar in den
astronomischen Turm.

Aber sowie Daniel (so war der Hausverwalter geheissen) diese Pforte
oeffnete, warf ihm der Sturm, abscheulich heulend und sausend, Schutt
und zerbroeckelte Mauersteine entgegen, so dass er von Entsetzen weit
zurueckprallte und, indem er den Leuchter, dessen Kerzen prasselnd
verloeschten, an die Erde fallen liess, laut aufschrie: "O Herr des
Himmels! der Baron ist jaemmerlich zerschmettert!"

In dem Augenlick liessen sich Klagelaute vernehmen, die aus dem
Schlafkabinett des Freiherrn kamen. Daniel fand die uebrigen Diener um
den Leichnam ihres Herrn versammelt. Vollkommen und reicher gekleidet
als jemals, ruhigen Ernst im unentstellten Gesichte, fanden sie ihn
sitzend in dem grossen, reich verzierten Lehnstuhle, als ruhe er aus
von gewichtiger Arbeit.

Es war aber der Tod, in dem er ausruhte. Als es Tag geworden, gewahrte
man, dass die Krone des Turms in sich eingestuerzt. Die grossen
Quadersteine hatten Decke und Fussboden des astronomischen Zimmers
eingeschlagen, nebst den nun voranstuerzenden maechtigen Balken mit
gedoppelter Kraft des Falles das untere Gewoelbe durchbrochen und
einen Teil der Schlossmauer und des engen Ganges mit fortgerissen.
Nicht einen Schritt durch die Pforte des Saals durfte man tun, ohne
Gefahr, wenigstens achtzig Fuss hinabzustuerzen in tiefe Gruft.

Der alte Freiherr hatte seinen Tod bis auf die Stunde vorausgesehen
und seine Soehne davon benachrichtigt. So geschah es, dass gleich
folgenden Tages Wolfgang Freiherr von R., aeltester Sohn des
Verstorbenen, mithin Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten
Vaters wohl bauend, hatte er, sowie er den verhaengnisvollen Brief
erhalten, sogleich Wien, wo er auf der Reise sich gerade befand,
verlassen und war, so schnell es nur gehen wollte, nach R..sitten
geeilt.

Der Hausverwalter hatte den grossen Saal schwarz ausschlagen und
den alten Freiherrn in den Kleidern, wie man ihn gefunden, auf ein
praechtiges Paradebette, das hohe silberne Leuchter mit brennenden
Kerzen umgaben, legen lassen. Schweigend schritt Wolfgang die Treppe
herauf, in den Saal hinein und dicht hinan an die Leiche des Vaters.
Da blieb er mit ueber die Brust verschraenkten Armen stehen und
schaute starr und duester mit zusammengezogenen Augenbrauen dem Vater
ins bleiche Antlitz. Er glich einer Bildsaeule, keine Traene kam in
seine Augen. Endlich, mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, den
rechten Arm hin nach der Leiche zuckend, murmelte er dumpf:

"Zwangen dich die Gestirne, den Sohn, den du liebtest, elend zu
machen?" - Die Haende zurueckgeworfen, einen kleinen Schritt hinter
sich getreten, warf nun der Baron den Blick in die Hoehe und sprach
mit gesenkter, beinahe weicher Stimme: "Armer, betoerter Greis! Das
Fastnachtsspiel mit seinen laeppischen Taeuschungen ist nun vorueber!
Nun magst du erkennen, dass das kaerglich zugemessene Besitztum
hienieden nichts gemein hat mit dem jenseits ueber den Sternen -
Welcher Wille, welche Kraft reicht hinaus ueber das Grab?"

Wieder schwieg der Baron einige Sekunden - dann rief er heftig:
"Nein, nicht ein Quentlein meines Erdengluecks, das du zu vernichten
trachtetest, soll mir dein Starrsinn rauben", und damit riss er ein
zusammengelegtes Papier aus der Tasche und hielt es zwischen zwei
Fingern hoch empor an eine dicht bei der Leiche stehende brennende
Kerze. Das Papier, von der Kerze ergriffen, flackerte hoch auf, und
als der Widerschein der Flamme auf dem Gesicht des Leichnams hin und
her zuckte und spielte, war es, als ruehrten sich die Muskeln und
der Alte spraeche tonlose Worte, so dass der entfernt stehenden
Dienerschaft tiefes Grauen und Entsetzen ankam.

Der Baron vollendete sein Geschaeft mit Ruhe, indem er das letzte
Stueckchen Papier, das er flammend zu Boden fallen lassen, mit dem
Fusse sorglich austrat. Dann warf er noch einen duestern Blick auf den
Vater und eilte mit schnellen Schritten zum Saal hinaus.

Andern Tages machte Daniel den Freiherrn mit der neuerlich geschehenen
Verwuestung des Turms bekannt und schilderte mit vielen Worten, wie
sich ueberhaupt alles in der Todesnacht des alten seligen Herrn
zugetragen, indem er damit endete, dass es wohl geraten sein wuerde,
sogleich den Turm herstellen zu lassen, da, stuerze noch mehr
zusammen, das ganze Schloss in Gefahr stehe, wo nicht zertruemmert,
doch hart beschaedigt zu werden.

"Den Turm herstellen?" fuhr der Freiherr den alten Diener, funkelnden
Zorn in den Augen, an, "den Turm herstellen? Nimmermehr! - Merkst du
denn nicht", fuhr er dann gelassener fort, "merkst du denn nicht,
Alter, dass der Turm nicht so, ohne weitern Anlass, einstuerzen
konnte? Wie, wenn mein Vater selbst die Vernichtung des Orts, wo er
seine unheimliche Sterndeuterei trieb, gewuenscht, wie, wenn er selbst
gewisse Vorrichtungen getroffen haette, die es ihm moeglich machten,
die Krone des Turms, wenn er wollte, einstuerzen und so das Innere des
Turms zerschmettern zu lassen? Doch dem sei, wie ihm wolle, und mag
auch das Schloss zusammenstuerzen, mir ist es recht. Glaubt ihr denn,
dass ich in dem abenteuerlichen Eulenneste hier hausen werde? - Nein!
jener kluge Ahnherr, der in dem schoenen Talgrunde die Fundamente zu
einem neuen Schloss legen liess, der hat mir vorgearbeitet, dem will
ich folgen."

"Und so werden", sprach Daniel kleinlaut, "dann auch wohl die
alten treuen Diener den Wanderstab zur Hand nehmen muessen." "Dass
ich", erwiderte der Freiherr, "mich nicht von unbehuelflichen
schlotterbeinichten Greisen bedienen lassen werde, versteht sich von
selbst, aber verstossen werde ich keinen. Arbeitslos soll euch das
Gnadenbrot gut genug schmecken."

"Mich", rief der Alte voller Schmerz, "mich, den Hausverwalter, so
ausser Aktivitaet -" Da wandte der Freiherr, der, dem Alten den
Ruecken gekehrt, im Begriff stand, den Saal zu verlassen, sich
ploetzlich um, blutrot im ganzen Gesichte vor Zorn, die geballte
Faust vorgestreckt, schritt er auf den Alten zu und schrie mit
fuerchterlicher Stimme:

"Dich, du alter heuchlerischer Schurke, der du mit dem alten Vater das
unheimliche Wesen triebst dort oben, der du dich wie ein Vampir an
sein Herz legtest, der vielleicht des Alten Wahnsinn verbrecherisch
nuetzte, um in ihm die hoellischen Entschluesse zu erzeugen, die mich
an den Rand des Abgrunds brachten dich sollte ich hinausstossen wie
einen raeudigen Hund!"

Der Alte war vor Schreck ueber diese entsetzlichen Reden dicht neben
dem Freiherrn auf beide Knie gesunken, und so mochte es geschehen,
dass dieser, indem er vielleicht unwillkuerlich, wie denn im Zorn oft
der Koerper dem Gedanken mechanisch folgt und das Gedachte mimisch
ausfuehrt, bei den letzten Worten den rechten Fuss vorschleuderte,
den Alten so hart an der Brust traf, dass er mit einem dumpfen Schrei
umstuerzte. Er raffte sich muehsam in die Hoehe, und indem er einen
sonderbaren Laut, gleich dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod
wunden Tieres, ausstiess, durchbohrte er den Freiherrn mit einem
Blick, in dem Wut und Verzweiflung gluehten. Den Beutel mit Geld, den
ihm der Freiherr im Davonschreiten zugeworfen, liess er unberuehrt auf
dem Fussboden liegen.

Unterdessen hatten sich die in der Gegend befindlichen naechsten
Verwandten des Hauses eingefunden, mit vielem Prunk wurde der alte
Freiherr in der Familiengruft, die in der Kirche von R..sitten
befindlich, beigesetzt, und nun, da die geladenen Gaeste sich wieder
entfernt, schien der neue Majoratsherr, von der duestern Stimmung
verlassen, sich des erworbenen Besitztums recht zu erfreuen. Mit V.,
dem Justitiarius des alten Freiherrn, dem er gleich, nachdem er ihn
nur gesprochen, sein volles Vertrauen schenkte und ihn in seinem
Amt bestaetigte, hielt er genaue Rechnung ueber die Einkuenfte des
Majorats und ueberlegte, wieviel davon verwandt werden koenne zu
Verbesserungen und zum Aufbau eines neuen Schlosses.

V. meinte, dass der alte Freiherr unmoeglich seine jaehrlichen
Einkuenfte aufgezehrt haben koenne, und dass, da sich unter den
Briefschaften nur ein paar unbedeutende Kapitalien in Bankoscheinen
befanden, und die in einem eisernen Kasten befindliche bare Summe
tausend Taler nur um weniges ueberstiege, gewiss irgendwo noch Geld
verborgen sein muesse. Wer anders konnte davon unterrichtet sein, als
Daniel, der, stoerrisch und eigensinnig, wie er war, vielleicht nur
darauf wartete, dass man ihn darum befrage.

Der Baron war nicht wenig besorgt, dass Daniel, den er schwer
beleidigt, nun nicht sowohl aus Eigennutz, denn was konnte ihm, dem
kinderlosen Greise, der im Stammschlosse R..sitten sein Leben zu enden
wuenschte, die groesste Summe Geldes helfen, als vielmehr, um Rache
zu nehmen fuer den erlittenen Schimpf, irgendwo versteckte Schaetze
lieber vermodern lassen, als ihm entdecken werde. Er erzaehlte V. den
ganzen Vorfall mit Daniel umstaendlich und schloss damit, dass nach
mehreren Nachrichten, die ihm zugekommen, Daniel allein es gewesen
sei, der in dem alten Freiherrn einen unerklaerlichen Abscheu, seine
Soehne in R..sitten wiederzusehen, zu naehren gewusst habe. Der
Justitiarius erklaerte diese Nachrichten durchaus fuer falsch, da
kein menschliches Wesen auf der Welt imstande gewesen sei, des alten
Freiherrn Entschluesse nur einigermassen zu lenken, viel weniger zu
bestimmen, und uebernahm es uebrigens, dem Daniel das Geheimnis wegen
irgend in einem verborgenen Winkel aufbewahrten Geldes zu entlocken.

Es bedurfte dessen gar nicht, denn kaum fing der Justitiarius an:
"Aber wie kommt es denn, Daniel, dass der alte Herr so wenig bares
Geld hinterlassen?" so erwiderte Daniel mit widrigem Laecheln:
"Meinen Sie die paar Taler, Herr Justitiarius, die Sie in dem
kleinen Kaestchen fanden? das uebrige liegt ja im Gewoelbe neben dem
Schlafkabinett des alten gnaedigen Herrn! Aber das Beste", fuhr er
dann fort, indem sein Laecheln sich zum abscheulichen Grinsen verzog
und blutrotes Feuer in seinen Augen funkelte, "aber das Beste, viele
tausend Goldstuecke liegen da unten im Schutt vergraben!"

Der Justitiarius rief sogleich den Freiherrn herbei, man begab sich
in das Schlafkabinett, in einer Ecke desselben rueckte Daniel an dem
Getaefel der Wand, und ein Schloss wurde sichtbar. Indem der Freiherr
das Schloss mit gierigen Blicken anstarrte, dann aber Anstalt machte,
die Schluessel, welche an dem grossen Bunde hingen, den er mit vielem
Geklapper muehsam aus der Tasche gezerrt, an dem glaenzenden Schlosse
zu versuchen, stand Daniel da, hoch aufgerichtet und wie mit
haemischem Stolz herabblickend auf den Freiherrn, der sich
niedergebueckt hatte, um das Schloss besser in Augenschein zu nehmen.

Den Tod im Antlitz, mit bebender Stimme, sprach er dann: "Bin ich
ein Hund, hochgnaediger Freiherr! - so bewahr' ich auch in mir des
Hundes Treue." Damit reichte er dem Baron einen blanken staehlernen
Schluessel hin, den ihm dieser mit hastiger Begier aus der Hand riss
und die Tuer mit leichter Muehe oeffnete. Man trat in ein kleines,
niedriges Gewoelbe, in welchem eine grosse eiserne Truhe mit
geoeffnetem Deckel stand. Auf den vielen Geldsaecken lag ein
Zettel. Der alte Freiherr hatte mit seinen wohlbekannten grossen
altvaeterischen Schriftzuegen darauf geschrieben:

Einmal hundert und fuenfzigtausend Reichstaler in alten Friedrichsdor
erspartes Geld von den Einkuenften des Majoratsgutes R..sitten, und
ist diese Summe bestimmt zum Bau des Schlosses. Es soll ferner der
Majoratsherr, der mir folgt, im Besitztum von diesem Gelde auf dem
hoechsten Huegel, oestlich gelegen dem alten Schlossturm, den er
eingestuerzt finden wird, einen hohen Leuchtturm zum Besten der
Seefahrer auffuehren und allnaechtlich feuern lassen.

                     R..sitten in der Michaelisnacht des Jahres 1760.

                                             Roderich Freiherr von R.

Erst als der Freiherr die Beutel, einen nach dem andern, gehoben und
wieder in den Kasten fallen lassen, sich ergoetzend an dem klirrenden
Klingen des Goldes, wandte er sich rasch zu dem alten Hausverwalter,
dankte ihm fuer die bewiesene Treue und versicherte, dass nur
verleumderische Klaetschereien schuld daran waeren, dass er ihm
anfangs uebel begegnet. Nicht allein im Schlosse, sondern in vollem
Dienst als Hausverwalter, mit verdoppeltem Gehalt, solle er bleiben.

"Ich bin dir volle Entschaedigung schuldig, willst du Gold, so nimm
dir einen von jenen Beuteln!"- So schloss der Freiherr seine Rede,
indem er mit niedergeschlagenen Augen, vor dem Alten stehend, mit der
Hand nach dem Kasten hinzeigte, an den er nun aber noch einmal hintrat
und die Beutel musterte. Dem Hausverwalter trat ploetzlich gluehende
Roete ins Gesicht, und er stiess einen entsetzlichen, dem heulenden
Gewimmer eines auf den Tod wunden Tiers aehnlichen Laut aus, wie ihn
der Freiherr dem Jutistitiarius beschrieben. Dieser erbebte, denn was
der Alte nun zwischen den Zaehnen murmelte, klang wie: "Blut fuer
Gold!" Der Freiherr, vertieft in den Anblick des Schatzes, hatte von
allem nicht das mindeste bemerkt; Daniel, den es wie im krampfigen
Fieberfrost durch alle Glieder geschuettelt, nahte sich mit gebeugtem
Haupt in demuetiger Stellung dem Freiherrn, kuesste ihm die Hand und
sprach mit weinerlicher Stimme, indem er mit dem Taschentuch sich
ueber die Augen fuhr, als ob er Traenen wegwische:

"Ach, mein lieber gnaediger Herr, was soll ich armer, kinderloser
Greis mit dem Golde? - aber das doppelte Gehalt, das nehme ich an mit
Freuden und will mein Amt verwalten ruestig und unverdrossen!"

Der Freiherr, der nicht sonderlich auf die Worte des Alten geachtet,
liess nun den schweren Deckel der Truhe zufallen, dass das ganze
Gewoelbe krachte und droehnte, und sprach dann, indem er die Truhe
verschloss und die Schluessel sorgfaeltig auszog, schnell hingeworfen:
"Schon gut, schon gut Alter! Aber du hast noch", fuhr er fort, nachdem
sie schon in den Saal getreten waren, "aber du hast noch von vielen
Goldstuecken gesprochen, die unten im zerstoerten Turm liegen sollen"
Der Alte trat schweigend an die Pforte und schloss sie mit Muehe
auf. Aber sowie er die Fluegel aufriss, trieb der Sturm dickes
Schneegestoeber in den Saal; aufgescheucht flatterte ein Rabe
kreischend und kraechzend umher, schlug mit schwarzen Schwingen
gegen die Fenster und stuerzte sich, als er die offene Pforte
wiedergewonnen, in den Abgrund.

Der Freiherr trat hinaus in den Korridor, bebte aber zurueck, als
er kaum einen Blick in die Tiefe geworfen. "Abscheulicher Anblick -
Schwindel", stotterte er und sank wie ohnmaechtig dem Justitiarius in
die Arme. Er raffte sich jedoch gleich wieder zusammen und frug, den
Alten mit scharfen Blicken erfassend: "Und da unten?" -

Der Alte hatte indessen die Pforte wieder verschlossen, er drueckte
nun noch mit ganzer Leibeskraft dagegen, so dass er keuchte und
aechzte, um nur die grossen Schluessel aus den ganz verrosteten
Schloessern loswinden zu koennen. Dies endlich zustande gebracht,
wandte er sich um nach dem Baron und sprach, die grossen Schluessel in
der Hand hin und her schiebend, mit seltsamen Laecheln: "Ja, da unten
liegen tausend und tausend - alle schoenen Instrumente des seligen
Herrn - Teleskope, Quadranten - Globen - Nachtspiegel alles liegt
zertruemmert im Schutt zwischen den Steinen und Balken!"

"Aber, bares Geld, bares Geld", fiel der Freiherr ein, "du hast von
Goldstuecken gesprochen, Alter?"

"Ich meine nur", erwiderte der Alte, "Sachen, welche viele tausend
Goldstuecke gekostet."

Mehr war aus dem Alten nicht herauszubringen. Der Baron zeigte sich
hoch erfreut, nun, mit einemmal, zu allen Mitteln gelangt zu sein,
deren er bedurfte, seinen Lieblingsplan ausfuehren, naemlich ein neues
praechtiges Schloss aufbauen zu koennen. Zwar meinte der Justitiarius,
dass nach dem Willen des Verstorbenen nur von der Reparatur, von dem
voelligen Ausbau des alten Schlosses, die Rede sein koenne, und dass
in der Tat jeder neue Bau schwerlich die ehrwuerdige Groesse, den
ernsten einfachen Charakter des alten Stammhauses erreichen werde, der
Freiherr blieb aber bei seinem Vorsatz und meinte, dass in solchen
Verfuegungen, die nicht durch die Stiftungsurkunde sanktioniert
worden, der tote Wille des Dahingeschiedenen weichen muesse.

Er gab dabei zu verstehen, dass es seine Pflicht sei, den Aufenthalt
in R..sitten so zu verschoenern, als es nur Klima, Boden und Umgebung
zulasse, da er gedenke, in kurzer Zeit als sein innig geliebtes Weib
ein Wesen heimzufuehren, die in jeder Hinsicht der groessten Opfer
wuerdig sei.

Die geheimnisvolle Art, wie der Freiherr sich ueber das vielleicht
schon insgeheim geschlossene Buendnis aeusserte, schnitt dem
Justitiarius jede weitere Frage ab, indessen fand er sich durch die
Entscheidung des Freiherrn insofern beruhigt, als er wirklich in
seinem Streben nach Reichtum mehr die Begier, eine geliebte Person
das schoenere Vaterland, dem sie entsagen musste, ganz vergessen zu
lassen, als eigentlichen Geiz finden wollte.

Fuer geizig, wenigstens fuer unausstehlich habsuechtig musste er sonst
den Baron halten, der, im Golde wuehlend, die alten Friedrichsdor
beaeugelnd, sich nicht enthalten konnte, muerrisch aufzufahren: "Der
alte Halunke hat uns gewiss den reichsten Schatz verschwiegen, aber
kuenftigen Fruehling lass ich den Turm ausraeumen unter meinen Augen."

Baumeister kamen, mit denen der Freiherr weitlaeufig ueberlegte, wie
mit dem Bau am zweckmaessigsten zu verfahren sei. Er verwarf Zeichnung
auf Zeichnung, keine Architektur war ihm reich, grossartig genug.
Nun fing er an, selbst zu zeichnen, und, aufgeheitert durch diese
Beschaeftigungen, die ihm bestaendig das sonnenhelle Bild der
gluecklichsten Zukunft vor Augen stellten, erfasste ihn eine frohe
Laune, die oft an Ausgelassenheit anstreifte, und die er allen
mitzuteilen wusste.

Seine Freigebigkeit, die Opulenz seiner Bewirtung widerlegte
wenigstens jeden Verdacht des Geizes. Auch Daniel schien nun ganz
jenen Tort, der ihm geschehen, vergessen zu haben. Er betrug sich
still sind demuetig gegen den Freiherrn, der ihn, des Schatzes in der
Tiefe halber, oft mit misstrauischen Blicken verfolgte. Was aber allen
wunderbar vorkam, war, dass der Alte sich zu verjuengen schien von
Tage zu Tage. Es mochte sein, dass ihn der Schmerz um den alten Herrn
tief gebeugt hatte, und er nun den Verlust zu verschmerzen begann,
wohl aber auch, dass er nun nicht, wie sonst, kalte Naechte schlaflos
auf dem Turm zubringen und bessere Kost, guten Wein, wie es ihm
gefiel, geniessen durfte, genug, aus dem Greise schien ein ruestiger
Mann werden zu wollen mit roten Wangen und wohlgenaehrtem Koerper, der
kraeftig auftrat und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spass
gab.

Das lustige Leben in R..sitten wurde durch die Ankunft eines Mannes
unterbrochen, von dem man haette denken sollen, er gehoere nun gerade
hin. Wolfgangs juengerer Bruder, Hubert, war dieser Mann, bei dessen
Anblick Wolfgang, im Antlitz den bleichen Tod, laut aufschrie:
"Ungluecklicher, was willst du hier!" Hubert stuerzte dem Bruder in
die Arme, dieser fasste ihn aber und zog ihn mit sich fort und hinauf
in ein entferntes Zimmer, wo er sich mit ihm einschloss. Mehrere
Stunden blieben beide zusammen, bis endlich Hubert herabkam mit
verstoertem Wesen und nach seinen Pferden rief.

Der Justitiarius trat ihm in den Weg, er wollte vorueber, V., von
der Ahnung ergriffen, dass vielleicht gerade hier ein toedlicher
Bruderzwist enden koennte, bat ihn, wenigstens ein paar Stunden zu
verweilen, und in dem Augenblick kam auch der Freiherr herab, laut
rufend: "Bleibe hier, Hubert! Du wirst dich besinnen!" - Huberts
Blicke heiterten sich auf, er gewann Fassung, und indem er den reichen
Leibpelz, den er, schnell abgezogen, hinter sich dem Bedienten zuwarf,
nahm er V.s Hand und sprach, mit ihm in die Zimmer schreitend, mit
einem verhoehnenden Laecheln: "Der Majoratsherr will mich doch also
hier leiden."

V. meinte, dass gewiss sich jetzt das unglueckliche Missverstaendnis
loesen werde, welches nur bei getrenntem Leben habe gedeihen koennen.
Hubert nahm die staehlerne Zange, die beim Kamin stand, zur Hand, und
indem er damit ein astiges, dampfendes Stueck Holz auseinander klopfte
und das Feuer besser aufschuerte, sprach er zu V.: "Sie merken, Herr
Justitiarius, dass ich ein gutmuetiger Mensch bin und geschickt
zu allerlei haeuslichen Diensten. Aber Wolfgang ist voll der
wunderlichsten Vorurteile und - ein kleiner Geizhals."

V. fand es nicht geraten, weiter in das Verhaeltnis der Brueder
einzudringen, zumal Wolfgangs Gesicht, sein Benehmen, sein Ton den
durch Leidenschaften jeder Art im Innersten zerrissenen Menschen ganz
deutlich zeigte.

Um des Freiherrn Entschluesse in irgendeiner das Majorat betreffenden
Angelegenheit zu vernehmen, ging V. noch am spaeten Abend hinauf
in sein Gemach. Er fand ihn, wie er, die Arme ueber den Ruecken
zusammengeschraenkt, ganz verstoert mit grossen Schritten das Zimmer
mass. Er blieb stehen, als er endlich den Justitiarius erblickte,
fasste seine beiden Haende, und duester ihm ins Auge schauend, sprach
er mit gebrochener Stimme: "Mein Bruder ist gekommen! Ich weiss", fuhr
er fort, als V. kaum den Mund zur Frage geoeffnet, "ich weiss, was
Sie sagen wollen. Ach, Sie wissen nichts. Sie wissen nicht, dass mein
ungluecklicher Bruder - ja ungluecklich nur will ich ihn nennen -
dass er wie ein boeser Geist mir ueberall in den Weg tritt und meinen
Frieden stoert. An ihm liegt es nicht, dass ich nicht unaussprechlich
elend wurde, er tat das Seinige dazu, doch der Himmel wollt' es nicht.

Seit der Zeit, dass die Stiftung des Majorats bekannt wurde, verfolgt
er mich mit toedlichem Hass. Er beneidet mich um das Besitztum, das
in seinen Haenden wie Spreu verflogen waere. Er ist der wahnsinnigste
Verschwender, den es gibt. Seine Schuldenlast uebersteigt bei weitem
die Haelfte des freien Vermoegens in Kurland, die ihm zufaellt, und
nun, verfolgt von Glaeubigern die ihn quaelen, eilt er her und bettelt
um Geld."

"Und Sie, der Bruder, verweigern" wollte ihm V. in die Rede fallen,
doch der Freiherr rief, indem er V.s Haende fahren liess und einen
starken Schritt zuruecktrat, laut und heftig: "Halten Sie ein! ja!
ich verweigere! Von den Einkuenften des Majorats kann und werde ich
keinen Taler verschenken! Aber hoeren Sie, welchen Vorschlag ich dem
Unsinnigen vor wenigen Stunden vergebens machte, und dann richten Sie
ueber mein Pflichtgefuehl.

Das freie Vermoegen in Kurland ist, wie Sie wissen, bedeutend, auf die
mir zufallende Haelfte wollt' ich verzichten, aber zugunsten seiner
Familie. Hubert ist verheiratet in Kurland an ein schoenes armes
Fraeulein. Sie hat ihm Kinder erzeugt und darbt mit ihnen. Die Gueter
sollten administriert, aus den Revenueen ihm die noetigen Gelder zum
Unterhalt angewiesen, die Glaeubiger vermoege Abkommens befriedigt
werden. Aber was gilt ihm ein ruhiges, sorgenfreies Leben, was gilt
ihm Frau und Kind! Geld, bares Geld in grossen Summen will er haben,
damit er in verruchtem Leichtsinn es verprassen koenne!

Welcher Daemon hat ihm das Geheimnis mit den einhundert und
funfzigtausend Talern verraten, davon verlangt er die Haelfte nach
seiner wahnsinnigen Weise, behauptend, dies Geld sei, getrennt vom
Majorat, als freies Vermoegen zu achten. Ich muss und werde ihm
dies verweigern, aber mir ahnt es, mein Verderben bruetet er aus im
Innern!"

So sehr V. sich auch bemuehte, dem Freiherrn den Verdacht wider
seinen Bruder auszureden, wobei er sich freilich, uneingeweiht in die
naeheren Verhaeltnisse, mit ganz allgemeinen moralischen, ziemlich
flachen Gruenden behelfen musste, so gelang ihm dies doch ganz und
gar nicht. Der Freiherr gab ihm den Auftrag, mit dem feindseligen
geldgierigen Hubert zu unterhandeln.

V. tat dies mit so viel Vorsicht, als ihm nur moeglich war, und freute
sich nicht wenig, als Hubert endlich erklaerte: "Mag es dann sein, ich
nehme die Vorschlaege des Majoratsherrn an, doch unter der Bedingung,
dass er mir jetzt, da ich auf dem Punkt stehe, durch die Haerte meiner
Glaeubiger Ehre und guten Namen auf immer zu verlieren, tausend
Friedrichsdor bar vorschiesse und erlaube, dass ich kuenftig,
wenigstens einige Zeit hindurch, meinen Wohnsitz in dem schoenen
R..sitten bei dem guetigen Bruder nehme." "Nimmermehr!" schrie der
Freiherr auf, als ihm V. diese Vorschlaege des Bruders hinterbrachte,
"nimmermehr werde ich's zugeben, dass Hubert auch nur eine Minute in
meinem Hause verweile, sobald ich mein Weib hergebracht! - Gehen Sie,
mein teurer Freund, sagen Sie dem Friedenstoerer, dass er zweitausend
Friedrichsdor haben soll, nicht als Vorschuss, nein als Geschenk, nur
fort - fort!"

V. wusste nun mit einemmal, dass der Freiherr sich ohne Wissen des
Vaters schon verheiratet hatte, und dass in dieser Heirat auch der
Grund des Bruderzwistes liegen musste. Hubert hoerte stolz und
gelassen den Justitiarius an und sprach, nachdem er geendet, dumpf und
duester: "Ich werde mich besinnen, vor der Hand aber noch einige Tage
hier bleiben!"

V. bemuehte sich, dem Unzufriedenen darzutun, dass der Freiherr doch
in der Tat alles tue, ihn durch die Abtretung des freien Vermoegens,
soviel als moeglich, zu entschaedigen, und dass er ueber ihn sich
durchaus nicht zu beklagen habe, wenn er gleich bekennen muesse, dass
jede Stiftung, die den Erstgeborenen so vorwiegend beguenstige und die
andern Kinder in den Hintergrund stelle, etwas Gehaessiges habe.

Hubert riss, wie einer, der Luft machen will der beklemmten Brust, die
Weste von oben bis unten auf; die eine Hand in die offne Busenkrause
begraben, die andere in die Seite gestemmt, drehte er sich mit einer
raschen Taenzerbewegung auf einem Fusse um und rief mit schneidender
Stimme: "Pah! - das Gehaessige wird geboren vom Hass" dann schlug
er ein gellendes Gelaechter auf und sprach: "Wie gnaedig doch der
Majoratsherr dem armen Bettler seine Goldstuecke zuzuwerfen gedenkt."
V. sah nun wohl ein, dass von voelliger Aussoehnung der Brueder gar
nicht die Rede sein koenne.

Hubert richtete sich in den Zimmern, die ihm in den Seitenfluegeln
des Schlosses angewiesen worden, zu des Freiherrn Verdruss auf
recht langes Bleiben ein. Man merkte, dass er oft und lange mit dem
Hausverwalter sprach, ja, dass dieser sogar zuweilen mit ihm auf die
Wolfsjagd zog. Sonst liess er sich wenig sehen und mied es ganz, mit
dem Bruder allein zusammen zu kommen, welches diesem eben ganz recht
war.

V. fuehlte das Drueckende dieses Verhaeltnisses, ja er musste sich es
selbst gestehen, dass die ganz besondere unheimliche Manier Huberts
in allem, was er sprach und tat, alle Lust recht geflissentlich
zerstoerend, eingriff. Jener Schreck des Freiherrn, als er den Bruder
eintreten sah, war ihm nun ganz erklaerlich.

V. sass allein in der Gerichtsstube unter den Akten, als Hubert
eintrat, ernster, gelassener als sonst, und mit beinahe wehmuetiger
Stimme sprach: "Ich nehme auch die letzten Vorschlaege des Bruders
an, bewirken Sie, dass ich die zweitausend Friedrichsdor noch heute
erhalte, in der Nacht will ich fort zu Pferde - ganz allein" "Mit dem
Geld?" frug V. "Sie haben recht", erwiderte Hubert, "ich weiss, was
Sie sagen wollen - die Last! Stellen sie es in Wechsel auf Isak
Lazarus in K.! - Noch in dieser Nacht will ich hin nach K. Es
treibt mich von hier fort, der Alte hat seine boesen Geister hier
hineingehext!"

"Sprechen Sie von Ihrem Vater, Herr Baron?" frug V. sehr ernst.
Huberts Lippen bebten, er hielt sich an dem Stuhl fest, um nicht
umzusinken, dann aber, sich ploetzlich ermannend, rief er: "Also noch
heute, Herr Justitiarius", und wankte, nicht ohne Anstrengung, zur
Tuer hinaus. "Er sieht jetzt ein, dass keine Taeuschungen mehr
moeglich sind, dass er nichts vermag gegen meinen festen Willen",
sprach der Freiherr, indem er den Wechsel auf Isak Lazarus in K.
ausstellte. Eine Last wurde seiner Brust entnommen durch die Abreise
des feindlichen Bruders, lange war er nicht so froh gewesen als
bei der Abendtafel. Hubert hatte sich entschuldigen lassen, alle
vermissten ihn recht gern.

V. wohnte in einem etwas abgelegenen Zimmer, dessen Fenster nach dem
Schlosshofe herausgingen. In der Nacht fuhr er ploetzlich auf aus dem
Schlafe, und es war ihm, als habe ein fernes, klaegliches Wimmern ihn
aus dem Schlafe geweckt. Mochte er aber auch horchen, wie er wollte,
es blieb alles totenstill, und so musste er jenen Ton, der ihm in die
Ohren geklungen, fuer die Taeuschung eines Traums halten. Ein ganz
besonderes Gefuehl von Grauen und Angst bemaechtigte sich seiner aber
so ganz und gar, dass er nicht im Bette bleiben konnte. Er stand auf
und trat ans Fenster. Nicht lange dauerte es, so wurde das Schlosstor
geoeffnet, und eine Gestalt mit einer brennenden Kerze in der Hand
trat heraus und schritt ueber den Schlosshof. V. erkannte in der
Gestalt den alten Daniel und sah, wie er die Stalltuer oeffnete,
in den Stall hineinging und bald darauf ein gesatteltes Pferd
herausbrachte.

Nun trat aus der Finsternis eine zweite Gestalt hervor, wohl
eingehuellt in einen Pelz, eine Fuchsmuetze auf dem Kopf. V. erkannte
Hubert, der mit Daniel einige Minuten hindurch heftig sprach, dann
aber sich zurueckzog. Daniel fuehrte das Pferd wieder in den Stall,
verschloss diesen und ebenso die Tuer des Schlosses, nachdem er ueber
den Hof, wie er gekommen, zurueckgekehrt. Hubert hatte wegreisen
wollen und sich in dem Augenblick eines andern besonnen, das war nun
klar. Ebenso aber auch, dass Hubert gewiss mit dem alten Hausverwalter
in irgendeinem gefaehrlichen Buendnisse stand. V. konnte kaum den
Morgen erwarten, um den Freiherrn von den Ereignissen der Nacht
zu unterrichten. Es galt nun wirklich, sich gegen Anschlaege des
boesartigen Hubert zu waffnen, die sich, wie V. jetzt ueberzeugt war,
schon gestern in seinem verstoerten Wesen kundgetan.

Andern Morgens zur Stunde, wenn der Freiherr aufzustehen pflegte,
vernahm V. ein Hin- und Herrennen, Tuerauf-, Tuerzuschlagen, ein
verwirrtes Durcheinander und Schreien. Er trat hinaus und stiess
ueberall auf Bediente, die, ohne auf ihn zu achten, mit leichenblassen
Gesichtern ihm vorbei - treppauf - treppab - hinaus - hinein durch die
Zimmer rannten.

Endlich erfuhr er, dass der Freiherr vermisst und schon stundenlang
vergebens gesucht werde. In Gegenwart des Jaegers hatte er sich ins
Bette gelegt, er musste dann aufgestanden sein und sich im Schlafrock
und Pantoffeln, mit dem Armleuchter in der Hand, entfernt haben, denn
eben diese Stuecke wurden vermisst. V. lief, von duesterer Ahnung
getrieben, in den verhaengnisvollen Saal, dessen Seitenkabinett gleich
dem Vater Wolfgang zu seinem Schlafgemach gewaehlt hatte.

Die Pforte zum Turm stand weit offen, tief entsetzt schrie V. laut
auf: "Dort in der Tiefe liegt er zerschmettert!" - Es war dem so.
Schnee war gefallen, so dass man von oben herab nur den zwischen
den Steinen hervorragenden starren Arm des Ungluecklichen deutlich
wahrnehmen konnte. Viele Stunden gingen hin, ehe es den Arbeitern
gelang, mit Lebensgefahr auf zusammengebundenen Leitern herabzusteigen
und dann den Leichnam an Stricken heraufzuziehen. Im Krampf der
Todesangst hatte der Baron den silbernen Armleuchter festgepackt, die
Hand, die ihn noch festhielt, war der einzige unversehrte Teil des
ganzen Koerpers, der sonst durch das Anprallen an die spitzen Steine
auf das graesslichste zerschellt worden.

Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz, stuerzte Hubert herbei, als
die Leiche eben hinaufgeborgen und in dem Saal, gerade an der Stelle
auf einen breiten Tisch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte
Roderich lag. Niedergeschmettert von dem graesslichen Anblick, heulte
er: "Bruder - o mein armer Bruder nein, das hab' ich nicht erfleht
von den Teufeln, die ueber mir waren!" - V. erbebte vor dieser
verfaenglichen Rede, es war ihm so, als muesse er zufahren auf
Hubert, als den Moerder seines Bruders. Hubert lag von Sinnen auf dem
Fussboden, man brachte ihn ins Bette, und er erholte sich, nachdem er
staerkende Mittel gebraucht, ziemlich bald.

Sehr bleich, duestern Gram im halb erloschnen Auge, trat er dann bei
V. ins Zimmer und sprach, indem er, vor Mattigkeit nicht faehig zu
stehen, sich langsam in einen Lehnstuhl niederliess: "Ich habe meines
Bruders Tod gewuenscht, weil der Vater ihm den besten Teil des Erbes
zugewandt durch eine toerichte Stiftung - jetzt hat er seinen Tod
gefunden auf schreckliche Weise - ich bin Majoratsherr, aber mein
Herz ist zermalmt, ich kann, ich werde niemals gluecklich sein. Ich
bestaetige Sie im Amte, Sie erhalten die ausgedehntesten Vollmachten
ruecksichts der Verwaltung des Majorats, auf dem ich nicht zu hausen
vermag!" Hubert verliess das Zimmer und war in ein paar Stunden schon
auf dem Wege nach K.

Es schien, dass der unglueckliche Wolfgang in der Nacht aufgestanden
war und sich vielleicht in das andere Kabinett, wo eine Bibliothek
aufgestellt, begeben wollen. In der Schlaftrunkenheit verfehlte er die
Tuer, oeffnete statt derselben die Pforte, schritt vor und stuerzte
hinab. Diese Erklaerung enthielt indessen immer viel Erzwungenes.
Konnte der Baron nicht schlafen, wollte er sich noch ein Buch
aus der Bibliothek holen, um zu lesen, so schloss dieses alle
Schlaftrunkenheit aus, aber nur so war es moeglich, die Tuer des
Kabinetts zu verfehlen und statt dieser die Pforte zu oeffnen.
Ueberdem war diese fest verschlossen und musste erst mit vieler
Muehe aufgeschlossen werden. "Ach", fing endlich, als V. diese
Unwahrscheinlichkeit vor versammelter Dienerschaft entwickelte, des
Freiherrn Jaeger, Franz geheissen, an, "ach, lieber Herr Justitiarius,
so hat es wohl sich nicht zugetragen!" - "Wie denn anders?" fuhr ihn
V. an.

Franz, ein ehrlicher treuer Kerl, der seinem Herrn haette ins Grab
folgen moegen, wollte aber nicht vor den andern mit der Sprache
heraus, sondern behielt sich vor, das, was er davon zu sagen wisse,
dem Justistiarius allein zu vertrauen. V. erfuhr nun, dass der
Freiherr zu Franz sehr oft von den vielen Schaetzen sprach, die da
unten in dem Schutt begraben laegen, und dass er oft, wie vom boesen
Geist getrieben, zur Nachtzeit noch die Pforte, zu der den Schluessel
ihm Daniel hatte geben muessen, oeffnete und mit Sehnsucht
hinabschaute in die Tiefe nach den vermeintlichen Reichtuemern.
Gewiss war es nun wohl so, dass in jener verhaengnisvollen Nacht der
Freiherr, nachdem ihn der Jaeger schon verlassen, noch einen Gang nach
dem Turm gemacht und ihn dort ein ploetzlicher Schwindel erfasst und
herabgestuerzt hatte.

Daniel, der von dem entsetzlichen Tode des Freiherrn auch sehr
erschuettert schien, meinte, dass es gut sein wuerde, die gefaehrliche
Pforte fest vermauern zu lassen, welches denn auch gleich geschah.
Freiherr Hubert von R., jetziger Majoratsbesitzer, ging, ohne sich
wieder in R..sitten sehen zu lassen, nach Kurland zurueck. V. erhielt
alle Vollmachten, die zur unumschraenkten Verwaltung des Majorats
noetig waren.

Der Bau des neuen Schlosses unterblieb, wogegen, so viel moeglich, das
alte Gebaeude in guten Stand gesetzt wurde. Schon waren mehrere Jahre
verflossen, als Hubert zum erstenmal zur spaeten Herbstzeit sich in
R..sitten einfand, und nachdem er mehrere Tage mit V., in seinem
Zimmer eingeschlossen, zugebracht, wieder nach Kurland zurueckging.
Bei seiner Durchreise durch K. hatte er bei der dortigen
Landesregierung sein Testament niedergelegt.

Waehrend seines Aufenthaltes in R..sitten sprach der Freiherr, der in
seinem tiefsten Wesen ganz geaendert schien, viel von Ahnungen eines
nahen Todes. Diese gingen wirklich in Erfuellung, denn er starb schon
das Jahr darauf. Sein Sohn, wie er Hubert geheissen, kam schnell
herueber von Kurland, um das reiche Majorat in Besitz zu nehmen. Ihm
folgten Mutter und Schwester.

Der Juengling schien alle boesen Eigenschaften der Vorfahren in
sich zu vereinen, er bewies sich als stolz, hochfahrend, ungestuem,
habsuechtig gleich in den ersten Augenblicken seines Aufenthalts in
R..sitten. Er wollte auf der Stelle vieles aendern lassen, welches
ihm nicht bequem, nicht gehoerig schien, den Koch warf er zum Hause
hinaus, den Kutscher versuchte er zu pruegeln welches aber nicht
gelang, da der baumstarke Kerl die Frechheit hatte, es nicht leiden
zu wollen; kurz, er war im besten Zuge, die Rolle des strengen
Majoratsherrn zu beginnen, als V. ihm mit Ernst und Festigkeit
entgegentrat, sehr bestimmt versichernd, kein Stuhl solle hier
gerueckt werden, keine Katze das Haus verlassen, wenn es ihr noch
sonst darin gefalle, vor Eroeffnung des Testaments. "Sie unterstehen
sich hier, dem Majoratsherrn" fing der Baron an. V. liess den vor Wut
schaeumenden Juengling jedoch nicht ausreden, sondern sprach, indem er
ihn mit durchbohrenden Blicken mass:

"Keine Uebereilung, Herr Baron! Durchaus duerfen Sie hier nicht
regieren wollen vor Eroeffnung des Testaments; jetzt bin ich, ich
allein hier Herr und werde Gewalt mit Gewalt zu vertreiben wissen.
Erinnern Sie sich, dass ich kraft meiner Vollmacht als Vollzieher
des vaeterlichen Testaments, kraft der getroffenen Verfuegungen des
Gerichts berechtigt bin, Ihnen den Aufenthalt hier in R..sitten zu
versagen, und ich rate Ihnen, um das Unangenehme zu verhueten, sich
ruhig nach K. zu begeben."

Der Ernst des Gerichtshalters, der entschiedene Ton, mit dem er
sprach, gab seinen Worten gehoerigen Nachdruck, und so kam es, dass
der junge Baron, der mit gar zu spitzigen Hoernern anlaufen wollte
wider den festen Bau, die Schwaeche seiner Waffen fuehlte und fuer gut
fand, im Rueckzuge seine Beschaemung mit einem hoehnischen Gelaechter
auszugleichen.

Drei Monate waren verflossen und der Tag gekommen, an dem nach dem
Willen des Verstorbenen das Testament in K., wo es niedergelegt
worden, eroeffnet werden sollte. Ausser den Gerichtspersonen, dem
Baron und V. befand sich noch ein junger Mensch von edlem Ansehn
in dem Gerichtssaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein
eingeknoepftes Aktenstueck aus dem Busen hervorragte, fuer V.s
Schreiber hielt. Der Baron sah ihn, wie er es beinahe mit allen
uebrigen machte, ueber die Achsel an und verlangte stuermisch, dass
man die langweilige ueberfluessige Zeremonie nur schnell und ohne
viele Worte und Schreiberei abmachen solle. Er begreife nicht, wie
es ueberhaupt in dieser Erbangelegenheit, wenigstens hinsichts des
Majorats, auf ein Testament ankommen koenne, und werde, insofern hier
irgend etwas verfuegt sein solle, es lediglich von seinem Willen
abhaengen, das zu beachten oder nicht.

Hand und Siegel des verstorbenen Vaters erkannte der Baron an,
nachdem er einen fluechtigen muerrischen Blick darauf geworfen, dann,
indem der Gerichtsschreiber sich zum lauten Ablesen des Testaments
anschickte, schaute er gleichgueltig nach dem Fenster hin, den rechten
Arm nachlaessig ueber die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt
auf den Gerichtstisch, und auf dessen gruener Decke mit den Fingern
trommelnd.

Nach einem kurzen Eingange erklaerte der verstorbene Freiherr Hubert
v. R., dass er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr
besessen, sondern dasselbe nur namens des einzigen Sohnes des
verstorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach seinem Grossvater
Roderich geheissen, verwaltet habe; dieser sei derjenige, dem nach der
Familiensukzession durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen.
Die genauesten Rechnungen ueber Einnahme und Ausgabe, ueber den
vorzufindenden Bestand u.s.w. wuerde man in seinem Nachlass finden.
Wolfgang von R., so erzaehlte Hubert in dem Testament, lernte auf
seinen Reisen in Genf das Fraeulein Julie von St. Val kennen und
fasste eine solche heftige Neigung zu ihr, dass er sich nie mehr
von ihr zu trennen beschloss. Sie war sehr arm, und ihre Familie,
unerachtet von gutem Adel, gehoerte eben nicht zu den glaenzendsten.

Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich,
dessen ganzes Streben dahin ging, das Majoratshaus auf alle nur
moegliche Weise zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch,
von Paris aus dem Vater seine Neigung zu entdecken; was aber
vorauszusehen, geschah wirklich, indem der Alte bestimmt erklaerte,
dass er schon selbst die Braut fuer den Majoratsherrn erkoren und von
einer andern niemals die Rede sein koenne.

Wolfgang, statt, wie er sollte, nach England hinueberzuschiffen,
kehrte unter dem Namen Born nach Genf zurueck und vermaehlte sich mit
Julien, die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebar, der mit dem
Tode Wolfgangs Majoratsherr wurde. Darueber, dass Hubert, von der
ganzen Sache unterrichtet, so lange schwieg und sich selbst als
Majoratsherr gerierte, waren verschiedene Ursachen angefuehrt, die
sich auf fruehere Verabredungen mit Wolfgang bezogen, indessen
unzureichend und aus der Luft gegriffen schienen.

Wie vom Donner geruehrt, starrte der Baron den Gerichtsschreiber an,
der mit eintoeniger schnarrender Stimme alles Unheil verkuendete.
Als er geendet, stand V. auf, nahm den jungen Menschen, den er
mitgebracht, bei der Hand und sprach, indem er sich gegen die
Anwesenden verbeugte: "Hier, meine Herren, habe ich die Ehre,
Ihnen den Freiherrn Roderich von R., Majoratsherrn von R..sitten,
vorzustellen!" Baron Hubert blickte den Juengling, der, wie vom
Himmel gefallen, ihn um das reiche Majorat, um die Haelfte des freien
Vermoegens in Kurland brachte, verhaltenen Grimm im gluehenden
Auge, an, drohte dann mit geballter Faust und rannte, ohne ein Wort
hervorbringen zu koennen, zum Gerichtssaal hinaus.

Von den Gerichtspersonen dazu aufgefordert, holte jetzt Baron Roderich
die Urkunden hervor, die ihn als die Person, fuer die er sich ausgab,
legitimieren sollten. Er ueberreichte den beglaubigten Auszug aus den
Registern der Kirche, wo sein Vater sich trauen lassen, worin bezeugt
wurde, dass an dem und dem Tage der Kaufmann Wolfgang Born, gebuertig
aus K., mit dem Fraeulein Julie von St. Val in Gegenwart der genannten
Personen durch priesterliche Einsegnung getraut worden. Ebenso hatte
er seinen Taufschein (er war in Genf als von dem Kaufmann Born mit
seiner Gemahlin Julie, geb. v. St. Val, in gueltiger Ehe erzeugtes
Kind getauft worden), verschiedene Briefe seines Vaters an seine schon
laengst verstorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet
waren.

V. sah alle diese Papiere mit finsterm Gesichte durch und sprach,
ziemlich bekuemmert, als er sie wieder zusammenschlug: "Nun, Gott wird
helfen!"

Schon andern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch
einen Advokaten, den er zu seinem Rechtsfreunde erkoren, bei der
Landesregierung in K. eine Vorstellung ein, worin er auf nichts
weniger antrug, als sofort die Uebergabe des Majorats R..sitten an
ihn zu veranlassen. Es verstehe sich von selbst, sagte der Advokat,
dass weder testamentarisch, noch auf irgendeine andere Weise,
der verstorbene Freiherr Hubert von R. habe ueber das Majorat
verfuegen koennen. Jenes Testament sei also nichts anders, als die
aufgeschriebene und gerichtlich uebergebene Aussage, nach welcher
der Freiherr Wolfgang von R. das Majorat an einen Sohn vererbt haben
solle, der noch lebe, die keine hoehere Beweiskraft, als jede andere
irgendeines Zeugen haben und also unmoeglich die Legitimation des
angeblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken koenne.

Vielmehr sei es die Sache dieses Praetendenten, sein vorgebliches
Erbrecht, dem hiermit ausdruecklich widersprochen werde, im Wege des
Prozesses darzutun und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht
der Sukzession dem Baron Hubert von R. zugefallen, zu vindizieren.
Durch den Tod des Vaters sei der Besitz unmittelbar auf den Sohn
uebergegangen; es habe keiner Erklaerung ueber den Erbschaftsantritt
bedurft, da der Majoratsfolge nicht entsagt werden koenne, mithin
duerfte der jetzige Majoratsherr in dem Besitze nicht durch ganz
illiquide Ansprueche turbiert werden.

Was der Verstorbene fuer Grund gehabt habe, einen andern Majoratsherrn
aufzustellen, sei ganz gleichgueltig, nur werde bemerkt, dass er
selbst, wie aus den nachgelassenen Papieren erforderlichen Falls
nachgewiesen werden koenne, eine Liebschaft in der Schweiz gehabt
habe, und so sei vielleicht der angebliche Bruderssohn der eigne, in
einer verbotenen Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das
reiche Majorat zuwenden wollen.

So sehr auch die Wahrscheinlichkeit fuer die im Testament behaupteten
Umstaende sprach, so sehr auch die Richter hauptsaechlich die letzte
Wendung, in der der Sohn sich nicht scheute, den Verstorbenen eines
Verbrechens anzuklagen, empoerte, so blieb doch die Ansicht der Sache,
wie sie aufgestellt worden, die richtige, und nur den rastlosen
Bemuehungen V.s, der bestimmten Versicherung, dass der die
Legitimation des Freiherrn Roderich von R. bewirkende Beweis in kurzer
Zeit auf das buendigste gefuehrt werden solle, konnte es gelingen,
dass die Uebergabe des Majorats noch ausgesetzt und die Fortdauer der
Administration bis nach entschiedener Sache verfuegt wurde.

V.sah nur zu gut ein, wie schwer es ihm werden wuerde, sein
Versprechen zu halten. Er hatte alle Briefschaften des alten Roderich
durchstoebert, ohne die Spur eines Briefes oder sonst eines Aufsatzes
zu finden, der Bezug auf jenes Verhaeltnis Wolfgangs mit dem Fraeulein
von St. Val gehabt haette. Gedankenvoll sass er in R..sitten in
dem Schlafkabinett des alten Roderich, das er ganz durchsucht, und
arbeitete an einem Aufsatze fuer den Notar in Genf, der ihm als ein
scharfsinniger taetiger Mann empfohlen worden, und der ihm einige
Notizen schaffen sollte, die die Sache des jungen Freiherrn ins klare
bringen konnten.

Es war Mitternacht worden, der Vollmond schien heil hinein in den
anstossenden Saal, dessen Tuer offen stand. Da war es, als schritte
jemand langsam und schwer die Treppe herauf und klirre und klappere
mit Schluesseln. V. wurde aufmerksam, er stand auf, ging in den Saal
und vernahm nun deutlich, dass jemand sich durch den Flur der Tuere
des Saals nahte. Bald darauf wurde diese geoeffnet, und ein Mensch mit
leichenblassem entstellten Antlitz, in Nachtkleidern, in der einen
Hand den Armleuchter mit brennenden Kerzen, in der andern den grossen
Schluesselbund, trat langsam hinein.

V. erkannte augenblicklich den Hausverwalter und war im Begriff,
ihm zuzurufen, was er so spaet in der Nacht wolle, als ihn in dem
ganzen Wesen des Alten, in dem zum Tode erstarrten Antlitz etwas
Unheimliches, Gespenstisches mit Eiskaelte anhauchte. Er erkannte,
dass er einen Nachtwandler vor sich habe. Der Alte ging mit gemessenen
Schritten quer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Tuer,
die ehemals zum Turm fuehrte. Dicht vor derselben blieb er stehen und
stiess aus tiefer Brust einen heulenden Laut aus, der so entsetzlich
in dem ganzen Saale widerhallte, dass V. erbebte vor Grauen.

Dann, den Armleuchter auf den Fussboden gestellt, den Schluesselbund
an den Guertel gehaengt, fing Daniel an, mit beiden Haenden an der
Mauer zu kratzen, dass bald das Blut unter den Naegeln hervorquoll,
und dabei stoehnte er und aechzte, wie gepeinigt von einer namenlosen
Todesqual. Nun legte er das Ohr an die Mauer, als wolle er irgend
etwas erlauschen, dann winkte er mit der Hand, wie jemanden
beschwichtigend, bueckte sich, den Armleuchter wieder vom Boden
aufhebend, und schlich mit leisen gemessenen Schritten nach der Tuere
zurueck.

V. folgte ihm behutsam mit dem Leuchter in der Hand. Es ging die
Treppe herab, der Alte schloss die grosse Haupttuer des Schlosses auf,
V. schluepfte geschickt hindurch; nun begab er sich nach dem Stall,
und nachdem er zu V.s tiefem Erstaunen den Armleuchter so geschickt
hingestellt hatte, dass das ganze Gebaeude genugsam erhellt wurde
ohne irgendeine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei und
ruestete mit grosser Sorglichkeit, den Gurt fest-, die Steigbuegel
hinaufschnallend, ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe.

Nachdem er noch ein Bueschel Haare ueber den Stirnriemen weg durch die
Hand gezogen, nahm er, mit der Zunge schnalzend und mit der einen Hand
ihm den Hals klopfend, das Pferd beim Zuegel und fuehrte es heraus.
Draussen im Hofe blieb er einige Sekunden stehen in der Stellung, als
erhalte er Befehle, die er kopfnickend auszufuehren versprach. Dann
fuehrte er das Pferd zurueck in den Stall, sattelte es wieder ab und
band es an die Krippe. Nun nahm er den Armleuchter, verschloss den
Stall, kehrte in das Schloss zurueck und verschwand endlich in sein
Zimmer, das er sorgfaeltig verriegelte.

V. fuehlte sich von diesem Auftritt im Innerstein ergriffen, die
Ahnung einer entsetzlichen Tat erhob sich vor ihm wie ein schwarzes
hoellisches Gespenst, das ihn nicht mehr verliess. Ganz erfuellt von
der bedrohlichen Lage seines Schuetzlings, glaubte er wenigstens das,
was er gesehen, nuetzen zu muessen zu seinem Besten. Andern Tages, es
wollte schon die Daemmerung einbrechen, kam Daniel in sein Zimmer, um
irgendeine sich auf den Hausstand beziehende Anweisung einzuholen.

Da fasste ihn V. bei beiden Armen und fing an, indem er ihn zutraulich
auf den Sessel niederdrueckte: "Hoere, alter Freund Daniel! lange habe
ich dich fragen wollen, was haeltst du denn von dem verworrenen Kram,
den uns Huberts sonderbares Testament ueber den Hals gebracht hat?
Glaubst du denn wohl, dass der junge Mensch wirklich Wolfgangs in
rechtsgueltiger Ehe erzeugter Sohn ist?" Der Alte, sich ueber die
Lehne des Stuhls wegbeugend und V.s starr auf ihn gerichteten Blicken
ausweichend, rief muerrisch: "Pah! er kann es sein; er kann es auch
nicht sein. Was schiert's mich, mag nun hier Herr werden, wer da
will."

"Aber ich meine", fuhr V. fort, indem er dem Alten naeher rueckte und
die Hand auf seine Schulter legte, "aber ich meine, da du des alten
Freiherrn ganzes Vertrauen hattest, so verschwieg er dir gewiss nicht
die Verhaeltnisse seiner Soehne. Er erzaehlte dir von dem Buendnis,
das Wolfgang wider seinen Willen geschlossen?" - "Ich kann mich auf
dergleichen gar nicht besinnen", erwiderte der Alte, indem er auf
eingezogene Art laut gaehnte. "Du bist schlaefrig, Alter", sprach V.,
"hast du vielleicht eine unruhige Nacht gehabt?" - "Dass ich nicht
wuesste", entgegnete der Alte frostig, "aber ich will nun gehen und
das Abendessen bestellen."

Hiermit erhob er sich schwerfaellig vom Stuhl, indem er sich den
gekruemmten Ruecken rieb und abermals und zwar noch lauter gaehnte als
zuvor. "Bleibe doch noch, Alter", rief V., indem er ihn bei der Hand
ergriff und zum Sitzen noetigen wollte, der Alte blieb aber vor dem
Arbeitstisch stehen, auf den er sich mit beiden Haenden stemmte, den
Leib uebergebogen nach V. hin, und muerrisch fragend: "Nun was soll's
denn, was schiert mich das Testament, was schiert mich der Streit um
das Majorat" "Davon", fiel ihm V. in die Rede, "wollen wir auch gar
nicht mehr sprechen: von ganz etwas anderm, lieber Daniel! - Du bist
muerrisch, du gaehnst, das alles zeugt von besonderer Abspannung, und
nun moecht' ich beinahe glauben, dass du es wirklich gewesen bist in
dieser Nacht." "Was bin ich gewesen in dieser Nacht", frug der Alte,
in seiner Stellung verharrend. "Als ich" sprach V. weiter, "gestern
mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem
grossen Saal sass, kamst du zur Tuere herein, ganz starr und bleich,
schrittest auf die zugemauerte Tuer los, kratztest mit beiden Haenden
an der Mauer und stoehntest, als wenn du grosse Qualen empfaendest.
Bist du denn ein Nachtwandler, Daniel?"

Der Alte sank zurueck in den Stuhl, den ihm V. schnell unterschob.
Er gab keinen Laut von sich, die tiefe Daemmerung liess sein Gesicht
nicht erkennen, V. bemerkte nur, dass er kurz Atem holte und mit den
Zaehnen klapperte.

"Ja", fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, "Ja, es ist ein eignes Ding
mit den Nachtwandlern. Andern Tages wissen sie von diesem sonderbaren
Zustande, von allem, was sie wie in vollem Wachen begonnen haben,
nicht das allermindeste." - Daniel blieb still. "Aehnliches", sprach
V. weiter, "wie gestern mit dir, habe ich schon erlebt. Ich hatte
einen Freund, der stellte so wie du, trat der Vollmond ein,
regelmaessig naechtliche Wanderungen an. Ja, manchmal setzte er sich
hin und schrieb Briefe. Am merkwuerdigsten war es aber, dass, fing ich
an, ihm ganz leise ins Ohr zu fluestern, es mir bald gelang ihn zum
Sprechen zu bringen. Er antwortete gehoerig auf alle Fragen, und
selbst das, was er im Wachen sorglich verschwiegen haben wuerde, floss
nun unwillkuerlich, als koenne er der Kraft nicht widerstehen, die
auf ihn einwirkte, von seinen Lippen. - Der Teufel! ich glaube,
verschwiege ein Mondsuechtiger irgendeine begangene Untat noch so
lange, man koennte sie ihm abfragen in dem seltsamen Zustande. - Wohl
dem, der ein reines Gewissen hat, wie wir beide, guter Daniel, wir
koennen schon immer Nachtwandler sein, uns wird man kein Verbrechen
abfragen.

Aber hoere, Daniel, gewiss willst du herauf in den astronomischen
Turm, wenn du so abscheulich an der zugemauerten Tuere kratzest? - Du
willst gewiss laborieren wie der alte Roderich? Nun, das werd' ich dir
naechstens abfragen!" Der Alte hatte, waehrend V. dieses sprach, immer
staerker und staerker gezittert, jetzt flog sein ganzer Koerper,
von heillosem Krampf hin- und hergeworfen, und er brach aus in ein
gellendes, unverstaendiges Geplapper. V. schellte die Diener herauf.
Man brachte Lichter, der Alte liess nicht nach, wie ein willkuerlos
bewegtes Automat hob man ihn auf und brachte ihn ins Bette. Nachdem
beinahe eine Stunde dieser heillose Zustand gedauert, verfiel er in
tiefer Ohnmacht aehnlichen Schlaf. Als er erwachte, verlangte er Wein
zu trinken, und als man ihm diesen gereicht, trieb er den Diener, der
bei ihm wachen wollte, fort und verschloss sich, wie gewoehnlich, in
sein Zimmer.

V. hatte wirklich beschlossen, den Versuch anzustellen, in dem
Augenblick, als er davon gegen Daniel sprach, wiewohl er sich selbst
gestehen musste, einmal, dass Daniel, vielleicht erst jetzt von seiner
Mondsucht unterrichtet, alles anwenden werde, ihm zu entgehen, dann
aber, dass Gestaendnisse, in diesem Zustande abgelegt, eben nicht
geeignet sein wuerden, darauf weiter fortzubauen. Demunerachtet begab
er sich gegen Mitternacht in den Saal, hoffend, dass Daniel, wie es in
dieser Krankheit geschieht, gezwungen werden wuerde, willkuerlos zu
handeln.

Um Mitternacht erhob sich ein grosser Laerm auf dem Hofe. V. hoerte
deutlich ein Fenster einschlagen, er eilte berab, und als er die
Gaenge durchschritt, wallte ihm ein stinkender Dampf entgegen, der,
wie er bald gewahrte, aus dem geoeffneten Zimmer des Hausverwalters
herausquoll. Diesen brachte man eben todstarr herausgetragen, um ihn
in einem andern Zimmer ins Bette zu legen. Um Mitternacht wurde ein
Knecht, so erzaehlten die Diener, durch ein seltsames dumpfes Pochen
geweckt, er glaubte, dem Alten sei etwas zugestossen, und schickte
sich an aufzustehen, um ihm zu Huelfe zu kommen, als der Waechter auf
dem Hofe laut rief: "Feuer, Feuer! in der Stube des Herrn Verwalters
brennt's lichterloh!"

Auf dies Geschrei waren gleich mehrere Diener bei der Hand, aber alles
Muehen, die Tuer des Zimmers einzubrechen, blieb umsonst. Nun eilten
sie heraus auf den Hof, aber der entschlossene Waechter hatte schon
das Fenster des niedrigen, im Erdgeschosse befindlichen Zimmers
eingeschlagen die brennenden Gardinen herabgerissen, worauf ein paar
hineingegossene Eimer Wasser den Brand augenblicklich loeschten. Den
Hausverwalter fand man mitten im Zimmer auf der Erde liegend in tiefer
Ohnmacht. Er hielt noch fest den Armleuchter in der Hand, dessen
brennende Kerzen die Gardinen erfasst und so das Feuer veranlasst
hatten. Brennende herabfallende Lappen hatten dem Alten die
Augenbrauen und ein gut Teil Kopfhaare weggesengt. Bemerkte der
Waechter nicht das Feuer, so haette der Alte huelflos verbrennen
muessen. Zu nicht geringer Verwunderung fanden die Diener, dass die
Tuer des Zimmers von innen durch zwei ganz neu angeschrobene Riegel,
die noch den Abend vorher nicht dagewesen, verwahrt war.

V. sah ein, dass der Alte sich hatte das Hinausschreiten aus dem
Zimmer unmoeglich machen wollen, widerstehen konnt er dem blinden
Triebe nicht. Der Alte verfiel in eine ernste Krankheit; er
sprach nicht, er nahm nur wenig Nahrung zu sich und starrte, wie
festgeklammert von einem entsetzlichen Gedanken, mit Blicken, in denen
sich der Tod malte, vor sich hin. V. glaubte, dass der Alte von dem
Lager nicht erstehen werde.

Alles, was sich fuer seinen Schuetzling tun liess, hatte V. getan, er
musste ruhig den Erfolg abwarten und wollte deshalb nach K. zurueck.
Die Abreise war fuer den folgenden Morgen bestimmt. V. packte spaet
abends seine Skripturen zusammen, da fiel ihm ein kleines Paket in die
Haende, welches ihm der Freiherr Hubert von R. versiegelt und mit der
Aufschrift: "Nach Eroeffnung meines Testaments zu lesen" zugestellt
und das er unbegreiflicherweise noch nicht beobachtet hatte. Er war
im Begriff dieses Paket zu entsiegeln, als die Tuer aufging und mit
leisen gespenstischen Schritten Daniel hereintrat. Er legte eine
schwarze Mappe, die er unter dem Arm trug, auf den Schreibtisch, dann
mit einem tiefen Todesseufzer auf beide Knie sinkend, V.s Haende mit
den seinen krampfhaft fassend, sprach er hohl und dumpf, wie aus
tiefem Grabe: "Auf dem Schafott stuerb' ich nicht gern! der dort oben
richtet!" - dann richtete er sich unter angstvollem Keuchen muehsam
auf und verliess das Zimmer, wie er gekommen.

V. brachte die ganze Nacht hin, alles das zu lesen, was die schwarze
Mappe und Huberts Paket enthielt. Beides hing genau zusammen und
bestimmte von selbst die weitern Massregeln, die nun zu ergreifen.
Sowie V. in K. angekommen, begab er sich zum Freiherrn Hubert von
R., der ihn mit rauhem Stolz empfing. Die merkwuerdige Folge einer
Unterredung, welche mittags anfing und bis spaet in die Nacht hinein
ununterbrochen fortdauerte, war aber, dass der Freiherr andern Tages
vor Gericht erklaerte, dass er den Praetendenten des Majorats dem
Testamente seines Vaters gemaess fuer den in rechtsgueltiger Ehe von
dem aeltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R., Wolfgang von R.,
mit dem Fraeulein Julie von St. Val erzeugten Sohn, mithin fuer den
rechtgueltig legitimierten Majoratserben anerkenne. Als er von dem
Gerichtssaal herabstieg, stand sein Wagen mit Postpferden vor der
Tuere, er reiste schnell ab und liess Mutter und Schwester zurueck.
Sie wuerden ihn vielleicht nie wiedersehen, hatte er ihnen mit andern
raetselhaften Aeusserungen geschrieben.

Roderichs Erstaunen ueber diese Wendung, die die Sache nahm, war nicht
gering, er drang in V. ihm doch nur zu erklaeren, wie dies Wunder habe
bewirkt werden koennen, welche geheimnisvolle Macht im Spiele sei.
V. vertroestete ihn indessen auf kuenftige Zeiten, und zwar, wenn
er Besitz genommen haben wuerde von dem Majorat. Die Uebergabe des
Majorats konnte naemlich deshalb nicht geschehen, weil nun die
Gerichte, nicht befriedigt durch jene Erklaerung Huberts, ausserdem
die vollstaendige Legitimation Roderichs verlangten. V. bot dem
Freiherrn die Wohnung in R..sitten an und setzte hinzu, dass Huberts
Mutter und Schwester, durch seine schnelle Abreise in augenblickliche
Verlegenheit gesetzt, den stillen Aufenthalt auf dem Stammgute der
geraeuschvollen teuren Stadt vorziehen wuerden.

Das Entzuecken, womit Roderich den Gedanken ergriff, mit der Baronin
und ihrer Tochter wenigstens eine Zeitlang unter einem Dache zu
wohnen, bewies, welchen tiefen Eindruck Seraphine, das holde, anmutige
Kind, auf ihn gemacht hatte. In der Tat wusste der Freiherr seinen
Aufenthalt in R..sitten so gut zu benutzen, dass er, wenige Wocben
waren vergangen, Seraphinens innige Liebe und der Mutter beifaellig
Wort zur Verbindung mit ihr gewonnen hatte.

Dem V. war das alles zu schnell, da bis jetzt Roderichs Legitimation
als Majoratsherr von R..sitten noch immer zweifelhaft geblieben.
Briefe aus Kurland unterbrachen das Idyllenleben auf dem Schlosse.
Hubert hatte sich gar nicht auf den Guetern sehen lassen, sondern war
unmittelbar nach Petersburg gegangen, dort in Militaerdienste getreten
und stand jetzt auf dem Felde gegen die Perser, mit denen Russland
gerade im Kriege begriffen. Dies machte die schnelle Abreise der
Baronin mit ihrer Tochter nach den Guetern, wo Unordnung und
Verwirrung herrschte, noetig.

Roderich, der sich schon als den aufgenommenen Sohn betrachtete,
unterliess nicht die Geliebte zu begleiten, und so wurde, da V.
ebenfalls nach K. zurueckkehrte, das Schloss einsam, wie vorher. Des
Hausverwalters boese Krankheit wurde schlimmer und schlimmer, so dass
er nicht mehr daraus zu erstehen glaubte, sein Amt wurde einem alten
Jaeger, Wolfgangs treuem Diener, Franz geheissen, uebertragen. Endlich
nach langem Harren erhielt V. die guenstigsten Nachrichten aus der
Schweiz. Der Pfarrer, der Wolfgangs Trauung vollzogen, war laengst
gestorben, indessen fand sich in dem Kirchenbuche von seiner Hand
notiert, dass derjenige, den er unter dem Namen Born mit dem Fraeulein
Julie St. Val ehelich verbunden, sich bei ihm als Freiherr Wolfgang
von R., aeltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R. auf R..sitten,
vollstaendig legitimiert habe.

Ausserdem wurden noch zwei Trauzeugen, ein Kaufmann in Genf und ein
alter franzoesischer Kapitaen, der nach Lyon gezogen, ausgemittelt,
denen Wolfgang ebenfalls sich entdeckt hatte, und ihre eidlichen
Aussagen bekraeftigten den Vermerk des Pfarrers im Kirchenbuche. Mit
den in rechtlicher Form ausgefertigten Verhandlungen in der Hand,
fuhrte nun V. den vollstaendigen Nachweis der Rechte seines
Machtgebers, und nichts stand der Uebergabe des Majorats im Wege, die
im kuenftigen Herbst erfolgen sollte. Hubert war gleich in der ersten
Schlacht, der er beiwohnte, geblieben, ihn hatte das Schicksal seines
juengern Bruders, der ein Jahr vor seines Vaters Tode ebenfalls im
Felde blieb, getroffen; so fielen die Gueter in Kurland der Baronesse
Seraphine von R. zu und wurden eine schoene Mitgift fuer den
uebergluecklichen Roderich.

Der November war angebrochen, als die Baronin, Roderich mit seiner
Braut in R..sitten anlangte. Die Uebergabe des Majorats erfolgte und
dann Roderichs Verbindung mit Seraphinen. Manche Woche verging im
Taumel der Lust, bis endlich die uebersaettigten Gaeste nach und
nach das Schloss verliessen zur grossen Zufriedenheit V.s, der von
R..sitten nicht scheiden wollte, ohne den jungen Majoratsherrn auf das
genaueste einzuweihen in alle Verhaeltnisse des neuen Besitztums.

Mit der strengsten Genauigkeit hatte Roderichs Oheim die Rechnungen
ueber Einnahme und Ausgabe gefuehrt, so dass, da Roderich nur
eine geringe Summe jaehrlich zu seinem Unterhalt bekam, durch die
Ueberschuesse der Einnahme jenes bares Kapital, das man in des alten
Freiherrn Nachlass vorfand, einen bedeutenden Zuschuss erhielt. Nur
in den ersten drei Jahren hatte Hubert die Einkuenfte des Majorats in
seinen Nutzen verwandt, darueber aber ein Schuldinstrument ausgestellt
und es auf den ihm zustehenden Anteil der Gueter in Kurland versichern
lassen.

V. hatte seit der Zeit, als ihm Daniel als Nachtwandler erschien, das
Schlafgemach des alten Roderich zu seinem Wohnzimmer gewaehlt, um
desto sicherer das erlauschen zu koennen, was ihm Daniel nachher
freiwillig offenbarte. So kam es, dass dies Gemach und der anstossende
grosse Saal der Ort blieb, wo der Freiherr mit V. im Geschaeft
zusammenkam. Da sassen nun beide beim hellodernden Kaminfeuer an dem
grossen Tische, V. mit der Feder in der Hand, die Summen notierend und
den Reichtum des Majoratsherrn berechnend, dieser mit aufgestemmtem
Arm hineinblinzelnd in die aufgeschlagenen Rechnungsbuecher, in die
gewichtigen Dokumente.

Keiner vernahm das dumpfe Brausen der See, das Angstgeschrei der
Moewen, die, das Unwetter verkuendend, im Hin- und Herflattern an
die Fensterscheiben schlugen, keiner achtete des Sturms, der, um
Mitternacht heraufgekommen, in wildem Tosen das Schloss durchsauste,
so dass alle Unkenstimmen in den Kaminen, in den engen Gaengen
erwachten und widerlich durcheinander pfiffen und heulten. Als endlich
nach einem Windstoss, vor dem der ganze Bau erdroehnte, ploetzlich der
ganze Saal im duestern Feuer des Vollmonds stand, rief V.: "Ein boeses
Wetter!"

Der Freiherr, ganz vertieft in die Aussicht des Reichtums, der ihm
zugefallen, erwiderte gleichgueltig, indem er mit zufriedenem Laecheln
ein Blatt des Einnahmebuchs umschlug: "In der Tat, sehr stuermisch."
Aber wie fuhr er, von der eisigen Faust des Schreckens beruehrt,
in die Hoehe, als die Tuer des Saals aufsprang und eine bleiche,
gespenstische Gestalt sichtbar wurde, die, den Tod im Antlitz,
hineinschritt. Daniel, den V. so wie jedermann in tiefer Krankheit
ohnmaechtig daliegend, nicht fuer faehig hielt ein Glied zu ruehren,
war es, der, abermals von der Mondsucht befallen, seine naechtliche
Wanderung begonnen.

Lautlos starrte der Freiherr den Alten an, als dieser nun aber unter
angstvollen Seufzern der Todesqual an der Wand kratzte, da fasste
den Freiherrn tiefes Entsetzen. Bleich im Gesicht wie der Tod, mit
emporgestraeubtem Haar sprang er auf, schritt in bedrohlicher Stellung
zu auf den Alten und rief mit starker Stimme, dass der Saal droehnte:
"Daniel! Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!" Da stiess der
Alte jenes grauenvolle heulende Gewimmer aus, gleich dem Todeslaut des
getroffenen Tiers, wie damals, als ihm Wolfgang Gold fuer seine Treue
bot, und sank zusammen.

V. rief die Bedienten herbei, man hob den Alten auf, alle Versuche,
ihn zu beleben, blieben vergebens. Da schrie der Freiherr wie ausser
sich: "Herr Gott! - Herr Gott! habe ich denn nicht gehoert, dass
Nachtwandler auf der Stelle des Todes sein koennen, wenn man sie beim
Namen ruft? Ich! - Ich Unglueckseligster - ich habe den armen Greis
erschlagen! - Zeit meines Lebens habe ich keine ruhige Stunde mehr!"

V., als die Bedienten den Leichnam fortgetragen und der Saal leer
geworden, nahm den immerfort sich anklagenden Freiherrn bei der Hand,
fuehrte ihn in tiefem Schweigen vor die zugemaurte Tuer und sprach:
"Der hier tot zu Ihren Fuessen niedersank, Freiherr Roderich, war der
verruchte Moerder Ihres Vaters!" Als saeh' er Geister der Hoelle,
starrte der Freiherr den V. an. Dieser fuhr fort: "Es ist nun wohl
an der Zeit, Ihnen das graessliche Geheimnis zu enthuellen, das auf
diesem Unhold lastete und ihn, den Fluchbeladenen, in den Stunden des
Schlafs umhertrieb. Die ewige Macht liess den Sohn Rache nehmen an dem
Moerder des Vaters. Die Worte, die Sie dem entsetzlichen Nachtwandler
in die Ohren donnerten, waren die letzten, die Ihr ungluecklicher
Vater sprach!"

Bebend, unfaehig, ein Wort zu sprechen, hatte der Freiherr neben V.,
der sich vor den Kamin setzte, Platz genommen. V. fing mit dem Inhalt
des Aufsatzes an, den Hubert fuer V. zurueckgelassen und den er erst
nach Eroeffnung des Testaments entsiegeln sollte. Hubert klagte
sich mit Ausdruecken, die von der tiefsten Reue zeigten, des
unversoehnlichen Hasses an, der in ihm gegen den aeltern Bruder Wurzel
fasste von dem Augenblick, als der alte Roderich das Majorat gestiftet
hatte. Jede Waffe war ihm entrissen, denn waer' es ihm auch gelungen
auf haemische Weise, den Sohn mit dem Vater zu entzweien, so blieb
dies ohne Wirkung, da Roderich selbst nicht ermaechtigt war, dem
aeltesten Sohn die Rechte der Erstgeburt zu entreissen, und es,
wandte sich auch sein Herz und Sinn ganz ab von ihm, doch nach seinen
Grundsaetzen nimmermehr getan haette.

Erst als Wolfgang in Genf das Liebesverhaeltnis mit Julien von St.
Val begonnen, glaubte Hubert den Bruder verderben zu koennen. Da fing
die Zeit an, in der er im Einverstaendnisse mit Daniel auf buebische
Weise den Alten zu Entschluessen noetigen wollte, die den Sohn zur
Verzweiflung bringen mussten.

Er wusste, dass nur die Verbindung mit einer der aeltesten Familien
des Vaterlandes nach dem Sinn des alten Roderich den Glanz des
Majorats auf ewige Zeiten begruenden konnte. Der Alte hatte diese
Verbindung in den Gestirnen gelesen, und jedes freveliche Zerstoeren
der Konstellation konnte nur Verderben bringen ueber die Stiftung.
Wolfgangs Verbindung mit Julien erschien in dieser Art dem Alten ein
verbrecherisches Attentat, wider Beschluesse der Macht gerichtet, die
ihm beigestanden im irdischen Beginnen, und jeder Anschlag, Julien,
die wie ein daemonisches Prinzip sich ihm entgegengeworfen, zu
verderben, gerechtfertigt.

Hubert kannte des Bruders an Wahnsinn streifende Liebe zu Julien, ihr
Verlust muesste ihn elend machen, vielleicht toeten, und um so lieber
wurde er taetiger Helfershelfer bei den Plaenen des Alten, als er
selbst straefliche Neigung zu Julien gefasst und sie fuer sich zu
gewinnen hoffte. Eine besondere Schickung des Himmels wollt' es, dass
die giftigsten Anschlaege an Wolfgangs Entschlossenheit scheiterten,
ja dass es ihm gelang, den Bruder zu taeuschen. Fuer Hubert blieb
Wolfgangs wirklich vollzogene Ehe sowie die Geburt eines Sohnes ein
Geheimnis.

Mit der Vorahnung des nahen Todes kam dem alten Roderich zugleich der
Gedanke, dass Wolfgang jene ihm feindliche Julie geheiratet habe, in
dem Briefe, der dem Sohn befahl, am bestimmten Tage nach R..sitten zu
kommen, um das Majorat anzutreten, fluchte er ihm, wenn er nicht jene
Verbindung zerreissen werde. Diesen Brief verbrannte Wolfgang bei der
Leiche des Vaters.

An Hubert schrieb der Alte, dass Wolfgang Julien geheiratet habe, er
werde aber diese Verbindung zerreissen. Hubert hielt dies fuer die
Einbildung des traeumerischen Vaters, erschrak aber nicht wenig, als
Wolfgang in R..sitten selbst mit vieler Freimuetigkeit die Ahnung des
Alten nicht allein bestaetigte, sondern auch hinzufuegte, dass Julie
ihm einen Sohn geboren, und dass er nun in kurzer Zeit Julien, die ihn
bis jetzt fuer den Kaufmann Born aus M. gehalten, mit der Nachricht
seines Standes und seines reichen Besitztums hoch erfreuen werde.
Selbst wolle er hin nach Genf, um das geliebte Weib zu holen.

Noch ehe er diesen Entschluss ausfuehren konnte, ereilte ihn der Tod.
Hubert verschwieg sorglich, was ihm von dem Dasein eines in der Ehe
mit Julien erzeugten Sohnes bekannt, und riss so das Majorat an sich,
das diesem gebuehrte. Doch nur wenige Jahre waren vergangen, als ihn
tiefe Reue ergriff. Das Schicksal mahnte ihn an seine Schuld auf
fuerchterliche Weise durch den Hass, der zwischen seinen beiden
Soehnen mehr und mehr emporkeimte. "Du bist ein armer duerftiger
Schlucker", sagte der aelteste, ein zwoelfjaehriger Knabe, zu dem
juengsten, "aber ich werde, wenn der Vater stirbt, Majoratsherr von
R..sitten, und da musst du demuetig sein und mir die Hand kuessen,
wenn ich dir Geld geben soll zum neuen Rock." - Der juengste, in volle
Wut geraten ueber des Bruders hoehnenden Stolz, warf das Messer, das
er gerade in der Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe zum
Tode.

Hubert, grosses Unglueck fuerchtend, schickte den juengsten fort
nach Petersburg, wo er spaeter als Offizier unter Suwarow wider
die Franzosen focht und blieb. Vor der Welt das Geheimnis seines
unredlichen betruegerischen Besitzes kundzutun, davon hielt ihn die
Scham, die Schande, die ueber ihn gekommen, zurueck, aber entziehen
wollte er dem rechtmaessigen Besitzer keinen Groschen mehr. Er zog
Erkundigungen ein in Genf und erfuhr, dass die Frau Born, trostlos
ueber das unbegreifliche Verschwinden ihres Mannes gestorben,
dass aber der junge Roderich Born von einem wackern Mann, der ihn
aufgenommen, erzogen werde. Da kuendigte sich Hubert unter fremdem
Namen als Verwandter des auf der See umgekommenen Kaufmann Born an
und schickte Summen ein, die hinreichten, den jungen Majoratsherrn
sorglich und anstaendig zu erziehn.

Wie er die Ueberschuesse der Einkuenfte des Majorats sorgfaeltig
sammelte; wie er dann testamentarisch verfuegte, ist bekannt. Ueber
den Tod seines Bruders sprach Hubert in sonderbaren raetselhaften
Ausdruecken, die so viel erraten liessen, dass es damit eine
geheimnisvolle Bewandtnis haben musste, und dass Hubert wenigstens
mittelbar teilnahm an einer graesslichen Tat. Der Inhalt der schwarzen
Mappe klaerte alles auf. Der verraeterischen Korrespondenz Huberts mit
Daniel lag ein Blatt bei, das Daniel beschrieben und unterschrieben
hatte. V. las ein Gestaendnis, vor dem sein Innerstes erbebte.

Auf Daniels Veranlassung war Hubert nach R..sitten gekommen, Daniel
war es, der ihm von den gefundenen einhundertfuenfzigtausend
Reichstalern geschrieben. Man weiss, wie Hubert von dem Bruder
aufgenommen wurde, wie er, getaeuscht in allen seinen Wuenschen und
Hoffnungen, fort wollte, wie ihn V. zurueckhielt. In Daniels Innerm
kochte blutige Rache, die er zu nehmen hatte an dem jungen Menschen,
der ihn ausstossen wollen wie einen raeudigen Hund. Der schuerte und
schuerte an dem Brande, von dem der verzweifelnde Hubert verzehrt
wurde. Im Foehrenwalde auf der Wolfsjagd, im Sturm und Schneegestoeber
wurden sie einig ueber Wolfgangs Verderben. "Wegschaffen" murmelte
Hubert, indem er seitwaerts wegblickte und die Buechse anlegte. "Ja,
wegschaffen," grinste Daniel, "aber nicht so, nicht so."

Nun vermass er sich hoch und teuer, er werde den Freiherrn ermorden,
und kein Hahn solle darnach kraehen. Hubert, als er endlich Geld
erhalten, tat der Anschlag leid, er wollte fort, um jeder weitern
Versuchung zu widerstehen. Daniel selbst sattelte in der Nacht
das Pferd und fuehrte es aus dem Stalle, als aber der Baron sich
aufschwingen wollte, sprach Daniel mit schneidender Stimme: "Ich
daechte, Freiherr Hubert, du bliebst auf dem Majorat, das dir in
diesem Augenblick zugefallen, denn der stolze Majoratsherr liegt
zerschmettert in der Gruft des Turms!"

Daniel hatte beobachtet, dass, von Golddurst geplagt, Wolfgang oft in
der Nacht aufstand, vor die Tuer trat, die sonst zum Turme fuehrte,
und mit sehnsuechtigen Blicken hinabschaute in die Tiefe, die nach
Daniels Versicherung noch bedeutende Schaetze bergen sollte. Darauf
gefasst, stand in jener verhaengnisvollen Nacht Daniel vor der Tuere
des Saals. Sowie er den Freiherrn die zum Turm fuehrende Tuer oeffnen
hoerte, trat er hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem
Abgrunde stand. Der Freiherr drehte sich um und rief, als er den
verruchten Diener, dem der Mord schon aus den Augen blitzte, gewahrte,
entsetzt: "Daniel, Daniel, was machst du hier zu dieser Stunde!"

Aber da kreischte Daniel wild auf: "Hinab mit dir, du raeudiger Hund"
und schleuderte mit einem kraeftigen Fussstoss den Ungluecklichen
hinunter in die Tiefe! - Ganz erschuettert von der graesslichen Untat,
fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schlosse, wo sein Vater ermordet.
Er ging auf seine Gueter nach Kurland und kam nur jedes Jahr zur
Herbstzeit nach R..sitten. Franz, der alte Franz, behauptete, dass
Daniel, dessen Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds
spuke, und beschrieb den Spuk gerade so, wie ihn V. spaeter erfuhr
und bannte. Die Entdeckung dieser Umstaende, welche das Andenken des
Vaters schaendeten, trieben auch den jungen Freiherrn Hubert fort in
die Welt.

So hatte der Grossonkel alles erzaehlt, nun nahm er meine Hand und
sprach, indem ihm volle Traenen in die Augen traten, mit sehr weicher
Stimme: "- Vetter - Vetter auch sie die holde Frau, hat das boese
Verhaengnis, die unheimhche Macht, die dort auf dem Stammschlosse
hauset, ereilt! Zwei Tage nachdem wir R..sitten verlassen,
veranstaltete der Freiherr zum Beschluss eine Schlittenfahrt. Er
selbst faehrt seine Gemahlin, doch, als es talabwaerts geht, reissen
die Pferde, ploetzlich auf unbegreifliche Weise scheu geworden, aus in
vollem wuetenden Schnauben und Toben. 'Der Alte - der alte ist hinter
uns her', schreit die Baronin auf mit schneidender Stimme! In dem
Augenblick wird sie durch den Stoss, der den Schatten umwirft, weit
fortgeschleudert. - Man findet sie leblos - sie ist hin! Der Freiherr
kann sich nimmer troesten, seine Ruhe ist die eines Sterbenden! Nimmer
kommen wir wieder nach R..sitten, Vetter!"

Der alte Grossonkel schwieg, ich schied von ihm mit zerrissenem
Herzen, und nur die alles beschwichtigende Zeit konnte den tiefen
Schmerz lindern, in dem ich vergehen zu muessen glaubte.

Jahre waren vergangen. V. ruhte laengst im Grabe, ich hatte mein
Vaterland verlassen. Da trieb mich der Sturm des Krieges, der
verwuestend ueber ganz Deutschland hinbrauste, in den Norden hinein,
fort nach Petersburg. Auf der Rueckreise, nicht mehr weit von K., fuhr
ich in einer finstern Sommernacht dem Gestade der Ostsee entlang, als
ich vor mir am Himmel einen grossen funkelnden Stern erblickte. Naeher
gekommen, gewahrte ich wohl an der roten flackernden Flamme, dass das,
was ich fuer einen Stern gehalten, ein starkes Feuer sein muesse, ohne
zu begreifen, wie es so hoch in den Lueften schweben koenne.

"Schwager! was ist das fuer ein Feuer dort vor uns?" frug ich den
Postillon. "Ei", erwiderte dieser, "ei, das ist kein Feuer, das ist
der Leuchtturm von R..sitten." R..sitten! sowie der Postillon den
Namen nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener verhaengnisvollen
Herbsttage hervor, die ich dort erlebte. Ich sah den Baron -
Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich selbst
mit blankem Milchgesicht, schoen frisiert und gepudert, in zartes
Himmelblau gekleidet ja mich, den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt,
mit Jammerlied auf seiner Liebsten Braue!

In der tiefen Wehmut, die mich durchbebte, flackerten wie bunte
Lichterchen V.s derbe Spaesse auf, die mir nun ergoetzlicher waren
als damals. So von Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am
fruehen Morgen in R..sitten aus dem Wagen, der vor der Postexpedition
hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinspektors, ich frug nach
ihm. "Mit Verlaub", sprach der Postschreiber, indem er die Pfeife aus
dem Munde nahm und an der Nachtmuetze rueckte, "mit Verlaub, hier ist
kein Oekonomieinspektor, es ist ein koenigliches Amt, und der Herr
Amtsrat belieben noch zu schlafen."

Auf weiteres Fragen erfuhr ich, dass schon vor sechzehn Jahren
der Freiherr Roderich von R., der letzte Majoratsbesitzer, ohne
Deszendenten gestorben und das Majorat der Stiftungsurkunde gemaess
dem Staate anheimgefallen sei. Ich ging hinauf nach dem Schlosse, es
lag in Ruinen zusammengestuerzt. Man hatte einen grossen Teil der
Steine zu dem Leuchtturm benutzt, so versicherte ein alter Bauer, der
aus dem Foehrenwalde kam und mit dem ich mich ins Gespraech einliess.
Der wusste auch von dem Spuk zu erzaehlen, wie er auf dem Schlosse
gehaust haben sollte, und versicherte, dass noch jetzt sich oft, zumal
beim Vollmonde, grauenvolle Klagelaute in dem Gestein hoeren liessen.

Armer, alter, kurzsichtiger Roderich! Welche boese Macht beschworst du
herauf, die den Stamm, den du mit fester Wurzel fuer die Ewigkeit zu
pflanzen gedachtest, im ersten Aufkeimen zum Tode vergiftete.



Das Geluebde

Am Michaelistage, eben als bei den Karmelitern die Abendhora
eingelaeutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter
stattlicher Reisewagen, donnernd und rasselnd durch die Gassen des
kleinen polnischen Grenzstaedtchens L., und hielt endlich still vor
der Haustuer des alten teutschen Buergermeisters. Neugierig steckten
die Kinder die Koepfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf
von ihrem Sitze und rief, indem sie ganz unmutig ihr Naehzeug auf
den Tisch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat,
entgegen: "Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus fuer eine
Gastwirtschaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. Warum
hast du auch die steinerne Taube ueber der Tuer aufs neue vergolden
lassen?" Der Alte laechelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu
erwidern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das
Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebuerstet ueber der
Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den Mund
zur Frage oeffnen konnte, stand er schon, sein Samtmuetzchen unterm
Arm, so dass sein silberweisses Haupt in der Daemmerung hell
aufschimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen ein Diener
geoeffnet. Eine aeltliche Frau im grauen Reisemantel stieg aus dem
Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhuelltem
Antlitz die auf des Buergermeisters Arm gestuetzt, in das Haus hinein
mehr wankte als schritt, und kaum ins Zimmer getreten, wie halb
entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten
Wink schnell herangerueckt. Die aeltere Frau sprach leise und sehr
wehmuetig zu dem Buergermeister: "Das arme Kind! - ich muss wohl noch
einige Augenblicke bei ihr verweilen", damit machte sie Anstalt ihren
Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Buergermeisters aeltere
Tochter beistand, so dass bald ihr Nonnengewand, sowie ein auf der
Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, welches sie als Aebtissin eines
Zisterzienser Nonnenklosters darstellte. Die verhuellte Dame hatte
unterdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Aechzen kund
getan, dass sie noch lebe und endlich die Hausfrau um ein Glas Wasser
gebeten. Die brachte aber allerlei staerkende Tropfen und Essenzen
herbei, und pries ihre Wunderkraft, indem sie die Dame bat, doch nur
die dicken, schweren Schleier, die ihr alles freie Atmen verhindern
muessten, abzulegen. Mit der Hand jede Annaeherung der Hausfrau
abwehrend, mit allen Zeichen des Abscheues den Kopf zurueckbeugend,
verwarf aber die Kranke den Vorschlag, und selbst, als sie endlich es
sich gefallen liess, den Duft einer starken Lebensessenz einzuziehen,
als sie etwas von dem verlangten Wasser, in das die besorgte Hausfrau
einige Tropfen eines bewaehrten Elixiers hineingetan, genoss, tat sie
alles dies unter den Schleiern, ohne sie nur im mindesten zu luepfen.
"Ihr habt doch, mein lieber, alter Herr!" wandte sich die Aebtissin
zum Buergermeister, "Ihr habt doch alles so bereitet, wie es
gewuenscht worden?" - "Jawohl", erwiderte der Alte, "jawohl! ich
hoffe, mein durchlauchtigster Fuerst soll mit mir zufrieden sein, so
wie die Dame, fuer die ich alles zu tun bereit bin, was nur in meinen
Kraeften steht." - "So lasst mich", fuhr die Aebtissin fort, "mit
meinem armen Kinde noch einige Augenblicke allein." Die Familie
musste das Zimmer verlassen. Man hoerte, wie die Aebtissin eifrig und
salbungsvoll der Dame zusprach, und wie diese endlich auch zu reden
begann mit einem Ton, der tief bis ins Herz drang. Ohne gerade zu
horchen, blieb denn doch die Hausfrau an der Tuere des Zimmers stehen,
indessen wurde italienisch gesprochen, und selbst dies machte fuer sie
den ganzen Auftritt geheimnisvoller und vermehrte die Beklommenheit,
welche ihr den Mund verschloss. Frau und Tochter trieb der Alte fort,
um fuer Wein und andere Erfrischungen zu sorgen, er selbst ging in das
Zimmer zurueck. Getroesteter, gefasster schien die verschleierte Dame,
welche mit gebeugtem Haupt und gefalteten Haenden vor der Aebtissin
stand. Diese verschmaehte es nicht, etwas von den Erfrischungen
anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief sie: "Nun ist es
Zeit!" Die verschleierte Dame sank nieder auf die Knie, die Aebtissin
legte die Haende auf ihr Haupt und sprach leise Gebete. Als diese
geendet, schloss sie, indem haeufige Traenen ihr ueber die Wangen
rollten, die Verschleierte in die Arme und drueckte sie heftig wie
im Uebermass des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefasst und
wuerdevoll der Familie die Benediktion und eilte, vom Alten geleitet,
rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde laut
wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch
die Gassen zum Tore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, dass die
verschleierte Dame, fuer die man ein paar schwere Koffer vom Wagen
abgepackt und hineingetragen, dablieb, wohl gar auf lange Zeit
eingezogen sei, konnte sie sich gar nicht lassen vor peinlicher
Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten,
der eben in das Zimmer wollte, in den Weg. "Um Christus willen",
fluesterte sie leise und aengstlich, "um Christus willen, welch einen
Gast bringst du mir ins Haus, denn du weisst doch ja von allem und
hast es mir nur verschwiegen." - "Alles, was ich weiss, sollst du auch
erfahren", erwiderte der Alte ganz ruhig. "Ach, ach!" fuhr die Frau
noch aengstlicher fort, "du weisst aber vielleicht nicht alles; waerst
du nur jetzt im Zimmer gewesen. Sowie die Frau Aebtissin abgefahren,
mochte es der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken
Schleiern. Sie nahm den grossen schwarzen Kreppflor, der ihr bis an
die Knie reichte, herab, und da sah ich" - "Nun was sahst du denn",
fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke
sie Gespenster, in die Rede. "Nein", sprach die Frau weiter, "die
Gesichtszuege konnte ich unter den duennen Schleiern gar nicht
deutlich erkennen, aber wohl die Totenfarbe, ach die greuliche
Totenfarbe. Aber nun Alter, nun merk auf: deutlich, nur zu deutlich,
ganz sonnenklar liegt's am Tage, dass die Dame guter Hoffnung ist. In
wenigen Wochen kommt sie ins Kindbett." - "Das weiss ich ja, Frau",
sprach der Alte ganz muerrisch, "und damit du nur nicht umkommen
moegest vor Neugier und Unruhe, will ich dir mit zwei Worten alles
erklaeren. Wisse also, dass Fuerst Z., unser hoher Goenner, mir vor
einigen Wochen schrieb, die Aebtissin des Zisterzienserklosters in O.
werde mir eine Dame bringen, die ich bei mir in meinem Hause aufnehmen
solle, in aller Stille, jedes Aufsehen sorglich vermeidend. Die Dame,
welche nicht anders genannt sein wolle, als schlechtweg Coelestine,
werde bei mir ihre nahe Entbindung abwarten, und dann nebst dem Kinde,
das sie geboren, wieder abgeholt werden. Fuege ich nun noch hinzu,
dass der Fuerst mir mit den eindringlichsten Worten die sorgsamste
Pflege der Dame empfohlen und fuer die ersten Auslagen und Bemuehungen
einen tuechtigen Beutel mit Dukaten, den du in meiner Kommode finden
und beaeugeln kannst, beigefuegt hat, so werden wohl alle Bedenken
aufhoeren." - "So muessen wir", sprach die Hausfrau, "vielleicht arger
Suende, wie sie die Vornehmen treiben, die Hand bieten." Noch ehe der
Alte darauf etwas erwidern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus,
und rief ihn zur Dame, welche sich nach Ruhe sehne und in das fuer
sie bestimmte Gemach gefuehrt zu werden wuensche. Der Alte hatte die
beiden Zimmerchen des obern Stocks so gut ausschmuecken lassen, als er
es nur vermochte, und war nicht wenig betreten, als Coelestine frug,
ob er ausser diesen Gemaechern nicht noch eins, dessen Fenster
hintenheraus gingen, besitze. Er verneinte das und fuegte nur, um ganz
gewissenhaft zu sein, hinzu, dass zwar noch ein einziges Gemach mit
einem Fenster nach dem Garten heraus, vorhanden, dies duerfte aber gar
kein Zimmer, sondern nur eine schlechte Kammer genannt werden; kaum so
geraeumig, um ein Bette, einen Tisch und einen Stuhl hineinzustellen,
ganz einer elenden Klosterzelle gleich. Coelestine verlangte
augenblicklich, diese Kammer zu sehen, und erklaerte, kaum
hineingekommen, dass eben dieses Gemach ihren Wuenschen und
Beduerfnissen angemessen sei, dass sie nur in diesem und keinem andern
wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zustand durchaus groesseren Raum und
eine Krankenwaerterin erfordern solle, mit einem groessern vertauschen
werde. Verglich der Alte schon jetzt dieses enge Gemach mit einer
Klosterzelle, so war es andern Tages ganz dazu geworden. Coelestine
hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf den alten hoelzernen
Tisch, der unter dem Bilde stand, ein Kruzifix hingestellt. Das Bette
bestand in einem Strohsack und einer wollenen Decke, und ausser einem
hoelzernen Schemmel und noch einem kleinen Tisch, litt Coelestine kein
anderes Geraet. Die Hausfrau, ausgesoehnt mit der Fremden durch den
tiefen zehrenden Schmerz, der sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte,
glaubte nach gewoehnlicher Weise sie aufheitern, unterhalten zu
muessen, die Fremde bat aber mit den ruehrendsten Worten, eine
Einsamkeit nicht zu verstoeren, in der allein mit ganz der Jungfrau
und den Heiligen zugewandtem Sinn sie Troestung finde. Jedes Tages,
sowie der Morgen graute, begab sich Coelestine zu den Karmelitern, um
die Fruehmesse zu hoeren; den uebrigen Tag schien sie unausgesetzt
Andachtsuebungen gewidmet zu haben, denn so oft es auch noetig wurde
sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder betend oder in
frommen Buechern lesend. Sie verschmaehte andere Speise als Gemuese,
anderes Getraenk als Wasser, und nur die dringendsten Vorstellungen
des Alten, dass ihr Zustand, das Wesen, das in ihr lebe, bessere Kost
fordere, konnte sie endlich vermoegen, zuweilen Fleischbruehe und
etwas Wein zu geniessen. Dieses strenge kloesterliche Leben, hielt es
auch jeder im Hause fuer die Busse begangener Suende, erweckte doch zu
gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht, wozu denn auch
der Adel ihrer Gestalt, die siegende Anmut jeder ihrer Bewegungen
nicht wenig beitrug. Was aber diesen Gefuehlen fuer die fremde Heilige
etwas Schauerliches beimischte, war der Umstand, dass sie die Schleier
durchaus nicht ablegte, so dass keiner ihr Gesicht zu erschauen
vermochte. Niemand kam in ihre Naehe, als der Alte und der weibliche
Teil seiner Familie, und diese, niemals aus dem Staedtchen gekommen,
konnten unmoeglich durch das Wiedererkennen eines Gesichts, das sie
vorher nicht gesehen, dem Geheimnis auf die Spur kommen. Wozu also die
Verhuellung? - Die geschaeftige Fantasie der Weiber erfand bald ein
greuliches Maerchen. Ein fuerchterliches Abzeichen (so lautete die
Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden
graesslich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte
Muehe dem Gewaesche zu steuern und zu verhindern, dass wenigstens
_vor_ der Tuere seines Hauses nicht Abenteuerliches von der Fremden
geschwatzt wurde, deren Aufenthalt in des Buergermeisters Hause
freilich in der Stadt bekannt geworden. Ihre Gaenge nach dem
Karmeliterkloster blieben auch nicht unbemerkt, und bald nannte man
sie des Buergermeisters schwarze Frau, womit freilich sich von selbst
die Idee einer spukhaften Erscheinung verband. Der Zufall wollte, dass
eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer
brachte, der Luftstrom den Schleier erfasste und aufhob; mit
Blitzesschnelle wandte sich die Fremde, so dass sie sich in demselben
Moment dem Blick des Maedchens entzog. Diese kam aber erblasst und
an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie
die Mutter ein totenbleiches, hatte sie ein marmorweisses Antlitz
erschaut, aus dessen tiefen Augenhoehlen es seltsam hervorblitzte. Der
Alte schob mit Recht vieles auf des Maedchens Einbildung, aber auch
ihm war es, im Grunde genommen, so zumute wie allen; er wuenschte das
verstoerende Wesen, trotz aller Froemmigkeit, die es bewies, fort aus
seinem Hause. Bald darauf weckte in einer Nacht der Alte die Hausfrau
und sagte ihr, dass er schon seit einigen Minuten ein leises Wimmern
und Aechzen, ein Klopfen vernehme, das von Coelestinens Zimmer zu
kommen scheine. Die Frau, von der Ahnung ergriffen, was das sein
koenne, eilte hinauf. Sie fand Coelestinen, angezogen und in ihre
Schleier gewickelt, auf dem Bette halb ohnmaechtig liegen und
ueberzeugte sich bald, dass die Niederkunft nahe sei. Schnell traf
man die laengst vorbereiteten Anstalten, und in weniger Zeit war ein
gesundes holdes Knaeblein geboren. Dies Ereignis, hatte man es auch
laengst vorausgesehen, trat doch wie unerwartet ein, und vernichtete
in seinen Folgen das drueckende unheimliche Verhaeltnis mit der
Fremden, welches auf der Familie schwer gelastet hatte. Der Knabe
schien, wie ein sehnender Mittler, Coelestinen dem Menschlichen wieder
naeher zu bringen. Ihr Zustand litt keine strenge asketische Uebungen,
und indem ihre Huelflosigkeit ihr die Menschen, welche sie mit
liebender Sorgfalt pflegten, aufnoetigte, gewoehnte sie sich mehr und
mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten,
ihr selbst die nahrhafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergass
in dieser haeuslichen Sorge alles Boese, was ihr sonst ueber die
raetselhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran,
dass ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen
sollte. Der Alte jubelte ganz verjuengt und haetschelte den Knaben,
als sei ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie alle uebrige, hatten
sich daran gewoehnt, dass Coelestine verschleiert blieb, ja selbst
waehrend der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr schwoeren muessen,
dass, trete ja ein Zustand der Bewusstlosigkeit ein, doch die Schleier
nicht geluepft werden sollten, ausser von ihr, der Wehmutter selbst,
im Fall der Todesgefahr. Es war gewiss, dass die Alte Coelestinen
unverschleiert gesehen, sie sagte aber darueber nichts, als: "Die
arme junge Dame muss sich ja wohl so verhuellen" - Nach einigen Tagen
erschien der Karmelitermoench, der den Knaben getauft hatte. Seine
Unterredung mit Coelestinen, niemand durfte zugegen sein, dauerte
laenger als zwei Stunden. Man hoerte ihn eifrig sprechen und beten.
Als er fortgegangen, fand man Coelestinen im Lehnstuhl sitzend, auf
dem Schosse den Knaben, um dessen kleine Schultern ein Skapulier
gelegt war, und der ein Agnusdei auf der Brust trug. Wochen und Monate
vergingen, ohne dass, wie der Buergermeister geglaubt hatte, und wie
es ihm auch vom Fuersten Z. gesagt worden, Coelestine mit dem Kinde
abgeholt wurde. Sie haette ganz eintreten koennen in den friedlichen
Kreis der Familie, waeren die fatalen Schleier nicht gewesen, die
immer den letzten Schritt zur freundlichen Annaehrung hemmten. Der
Alte nahm es sich heraus, dies der Fremden selbst freimuetig zu
aeussern, doch als sie mit dumpfem feierlichen Ton erwiderte: "Nur im
Tode fallen diese Schleier", schwieg er davon und wuenschte aufs neue,
dass der Wagen mit der Aebtissin erscheinen moege.

Der Fruehling war herangekommen, von einem Spaziergange kehrte die
Familie des Buergermeisters heim, Blumenstraeusse in den Haenden
tragend, deren schoenste der frommen Coelestine bestimmt waren. Eben
als sie ins Haus treten wollten, sprengte ein Reiter heran, eifrig
nach dem Buergermeister fragend. Der Alte sprach, er sei selbst der
Buergermeister und stehe vor seinem Hause. Da sprang der Reiter herab
vom Pferde, das er festband an den Pfosten und stuerzte mit dem
gellenden Ruf. "Sie ist hier, sie ist hier", ins Haus und die
Treppe herauf. Man hoerte eine Tuer einschlagen und Coelestinens
Angstgeschrei. Der Alte, von Entsetzen erfasst, eilte nach. Der
Reiter - wie nun sichtlich, war ein Offizier von der franzoesischen
Jaegergarde mit vielen Orden geschmueckt, hatte den Knaben aus der
Wiege gerissen und in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm
genommen; den rechten hatte Coelestine erfasst, alle Kraft aufbietend,
den Raeuber des Kindes zurueckzuhalten. Im Ringen riss der Offizier
den Schleier herab ein todstarres marmorweisses Antlitz, von schwarzen
Locken umschattet, blickte ihn an, gluehende Strahlen aus den tiefen
Augenhoehlen schiessend, waehrend schneidende Jammertoene aus den
halbgeoeffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr,
dass Coelestine eine weisse, dicht anschliessende Maske trug.
"Entsetzliches Weib! willst du, dass auch mich deine Raserei
ergreife?" schrie der Offizier, indem er sich mit Gewalt losriss, so
dass Coelestine zu Boden stuerzte. Nun umfasste sie aber seine Knie,
indem sie mit dem Ausdruck des unsaeglichsten Schmerzes, mit einem
Ton, der das Herz durchschnitt, flehte: "Lass mir das Kind! - o lass
mir das Kind! - nicht um die ewige Seligkeit sollst du mich bringen.
- Um Christus - um der heiligen Jungfrau willen - lass mir das Kind
- lass mir das Kind." - Und bei diesen Jammertoenen regte sich keine
Muskel, regten sich nicht die Lippen des Totenantlitzes, so dass dem
Alten, der Hausfrau - allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut
in den Adern stockte! "Nein", schrie der Offizier wie in heller
Verzweiflung, "nein, unmenschliches, unerbittliches Weib, das Herz
konntest du aus dieser Brust reissen, aber verderben sollst du nicht
im heillosen Wahnsinn das Wesen, das sich troestend an die blutende
Wunde legt!" - Fester drueckte der Offizier das Kind an sich, so dass
es laut zu weinen begann - da brach Coelestine aus in ein dumpfes
Heulen: "Rache - des Himmels Rache ueber dich - du Moerder!" - "Lass
ab! - lass ab - fort mit dir, du Hoellenspuk!" kreischte der Offizier,
und schleuderte mit einer konvulsivischen Bewegung des Fusses
Coelestinen weit von sich, und wollte zur Tuere heraus. Der Alte trat
ihm in den Weg, er riss aber schnell ein Terzerol hervor, rief, die
Muendung gegen den Alten gekehrt: "Die Kugel durch den Kopf dem, der
dem Vater sein Kind zu entreissen gedenkt", stuerzte die Treppe herab,
schwang sich aufs Pferd ohne das Kind zu lassen, und sprengte in
vollem Galopp davon. - Die Hausfrau voll Herzensangst, wie es nun
um Coelestinen stehen, und was nun mit ihr anzufangen sein wuerde,
ueberwand ihr Grauen vor der entsetzlichen Totenmaske, und eilte
herauf ihr beizustehen. Wie erstaunte sie, als sie Coelestinen mitten
im Zimmer gleich einer Statue mit herabhaengenden Armen lautlos
stehend fand. Sie redete sie an, keine Antwort. Nicht vermoegend den
Anblick der Maske zu tragen, hing sie ihr die Schleier um, die auf
dem Boden lagen, kein Regen und Bewegen. Coelestine war in einen
automataehnlichen Zustand gesunken, der die Hausfrau mit neuer Angst
und Pein erfuellte, so dass sie ganz inbruenstig zu Gott flehte, sie
nur von dieser unheimlichen Fremden zu befreien. Ihre Bitte wurde
zur Stelle erhoert, denn eben hielt derselbe Wagen, der Coelestinen
gebracht, vor der Tuere. Die Aebtissin kam, mit ihr Fuerst Z. des
alten Buergermeisters hoher Goenner. Als der erfahren, was sich soeben
zugetragen, sprach er sehr mild und ruhig: "So kamen wir zu spaet, und
muessen uns wohl in Gottes Fuegung schicken." Man brachte Coelestinen
herab, die sich starr und lautlos, ohne Zeichen eignen Willens und
eigner Willkuer, fortfuehren und in den Wagen setzen liess, der
schnell fortrollte. Dem Alten, der ganzen Familie war so zumute, als
erwachten sie nun erst aus einem boesen spukhaften Traum, der sie sehr
geaengstet.

Bald darauf, als sich dies in dem Hause des Buergermeisters von
L. begeben, wurde in dem Zisterzienser Nonnenkloster zu O. eine
Logenschwester mit ungewoehnlicher Feierlichkeit begraben und
ein dumpfes Geruecht ging, dass diese Logenschwester die Graefin
Hermenegilda von C. gewesen, von der man glaubte, sie sei mit ihres
Vaters Schwester, der Fuerstin von Z., nach Italien gegangen. Zur
selbigen Zeit erschien Graf Nepomuk von C., Hermenegildas Vater,
in Warschau und trat, sich nur ein kleines Guetchen in der Ukraine
vorbehaltend, seine saemtlichen uebrigen betraechtlichen Besitzungen
den beiden Soehnen des Fuersten Z., seinen Neffen, vermoege eines
gerichtlichen Akts ohne Einschraenkung ab. Man fragte nach der
Ausstattung seiner Tochter, da hob er den duestern traenenschweren
Blick gen Himmel und sagte mit dumpfer Stimme: "Sie ist ausgestattet!"
- Er nahm gar keinen Anstand, nicht allein jenes Geruecht von
Hermenegildas Tode im Kloster zu O. zu bestaetigen, sondern auch das
besondere Verhaengnis zu offenbaren, das ueber Hermenegilda gewaltet
und sie einer duldenden Maertyrin gleich fruehzeitig in das Grab
gezogen. Manche Patrioten, gebeugt, aber nicht zerknickt durch den
Fall des Vaterlandes, gedachten den Grafen aufs neue in geheime
Verbindungen zu ziehen, die die Herstellung des polnischen Staats
bezweckten, aber nicht mehr den feurigen, fuer Freiheit und Vaterland
beseelten Mann, der sonst zu jeder gewagten Unternehmung mit
unerschuetterlichem Mute die Hand bot, fanden sie, sondern einen
ohnmaechtigen, von wildem Schmerz zerrissenen Greis, der allen
Welthaendeln entfremdet im Begriff stand, sich in tiefer Einsamkeit zu
vergraben. Sonst, zu jener Zeit, als nach der ersten Teilung Polens
die Insurrektion vorbereitet wurde, war des Grafen Nepomuk von C.
Stammgut der geheime Sammelplatz der Patrioten. Dort entzuendeten
sich die Gemueter bei feierlichen Mahlen zum Kampf fuer das gefallene
Vaterland. Dort erschien wie ein Engelsbild vom Himmel gesendet zur
heiligen Weihe Hermenegilda in dem Kreise der jungen Helden. Wie es
den Frauen ihrer Nation eigen, nahm sie teil an allen, selbst an
politischen Verhandlungen und aeusserte, die Lage der Dinge wohl
beachtend und erwaegend, in einem Alter von noch nicht siebzehn
Jahren, oft manchmal allen uebrigen entgegen, eine Meinung, die von
dem ausserordentlichsten Scharfsinn, von der klarsten Umsicht zeigte
und die mehrenteils den Ausschlag gab. Naechst ihr war niemanden das
Talent des schnellen Ueberblicks, des Auffassens und scharfgeruendeten
Darstellens der Lage der Dinge mehr eigen, als dem Grafen Stanislaus
von R., einem feurigen, hochbegabten Juenglinge von zwanzig Jahren.
So geschah es, dass Hermenegilda und Stanislaus oft allein in raschen
Diskussionen die zur Sprache gebrachten Gegenstaende verhandelten,
Vorschlaege prueften - annahmen - verwarfen, andere aufstellten, und
dass die Resultate des Zweigespraechs zwischen dem Maedchen und dem
Juenglinge oft selbst von den alten staatsklugen Maennern, die zu Rate
sassen, als das Kluegste und Beste, was zu beginnen, anerkannt werden
mussten. Was war natuerlicher, als an die Verbindung dieser beiden
zu denken, in deren wunderbaren Talenten das Heil des Vaterlandes
emporzukeimen schien. Ausserdem war aber auch die naehere Verzweigung
beider Familien schon deshalb in dem Augenblick politisch wichtig,
weil man sie von verschiedenem Interesse beseelt glaubte, wie der
Fall bei manchen andern Familien in Polen zutraf. Hermenegilda, ganz
durchdrungen von diesen Ansichten, nahm den ihr bestimmten Gatten als
ein Geschenk des Vaterlandes auf, und so wurden mit ihrer feierlichen
Verlobung die patriotischen Zusammenkuenfte auf dem Gute des Vaters
beschlossen. Es ist bekannt, dass die Polen unterlagen, dass
mit Kosziuskos Fall eine zu sehr auf Selbstvertrauen und falsch
vorausgesetzte Rittertreue basierte Unternehmung scheiterte. Graf
Stanislaus, dem seine fruehere militaerische Laufbahn, seine Jugend
und Kraft eine Stelle im Heer anwies, hatte mit Loewenmut gefochten.
Mit Not schmaehlicher Gefangenschaft entgangen, auf den Tod verwundet,
kam er zurueck. Nur Hermenegilda fesselte ihn noch ans Leben, in ihren
Armen glaubte er Trost, verlorne Hoffnung wiederzufinden. Sowie er nur
leidlich von seinen Wunden genesen, eilte er auf die Gueter des Grafen
Nepomuk, um dort aufs neue, aufs schmerzlichste verwundet zu werden.
Hermenegilda empfing ihn mit beinahe hoehnender Verachtung. "Seh ich
den Helden, der in den Tod gehen wollte fuer das Vaterland?" - So rief
sie ihm entgegen; es war, als wenn sie in toerichtem Wahnsinn den
Braeutigam fuer einen jener Paladine der fabelhaften Ritterzeit
gehalten, dessen Schwert allein Armeen vernichten konnte. Was halfen
alle Beteuerungen, dass keine menschliche Kraft zu widerstehen
vermochte dem brausenden, alles verschlingenden Strom, der sich ueber
das Vaterland hinwaelzte, was half alles Flehen der inbruenstigen
Liebe, Hermenegilda, als koenne sich ihr todkaltes Herz nur im wilden
Treiben der Welthaendel entzuenden, blieb bei dem Entschluss, ihre
Hand nur dann dem Grafen Stanislaus geben zu wollen, wenn die Fremden
aus dem Vaterlande vertrieben sein wuerden. Der Graf sah zu spaet ein,
dass Hermenegilda ihn nie liebte, so wie er sich ueberzeugen musste,
dass die Bedingnis, die Hermenegilda aufstellte, vielleicht niemals,
wenigstens erst in geraumer Zeit erfuellt werden konnte. Mit dem
Schwur der Treue bis in den Tod verliess er die Geliebte und nahm
franzoesische Dienste, die ihn in den Krieg nach Italien fuehrten. -
Man sagt den polnischen Frauen nach, dass ein eignes launisches Wesen
sie auszeichne. Tiefes Gefuehl, sich hingebender Leichtsinn, stoische
Selbstverleugnung, gluehende Leidenschaft, todstarre Kaelte, alles
das, wie es bunt gemischt in ihrem Gemuete liegt, erzeugt das
wunderliche unstete Treiben auf der Oberflaeche, das dem _Spiel_
gleicht der in stetem Wechsel fortplaetschernden Wellen des im
tiefsten Grunde bewegten Bachs. - Gleichgueltig sah Hermenegilda den
Braeutigam scheiden, aber kaum waren einige Tage vergangen, als sie
sich von solch unaussprechlicher Sehnsucht befangen fuehlte, wie
sie nur die gluehendste Liebe erzeugen kann. Der Sturm des Krieges
war verrauscht, die Amnestie wurde proklamiert, man entliess die
polnischen Offiziere aus der Gefangenschaft. So geschah es, dass
mehrere von Stanislaus' Waffenbruedern sich nach und nach auf
des Grafen Gute einfanden. Mit tiefem Schmerz gedachte man jener
ungluecklichen Tage, aber auch mit hoher Begeisterung des Loewenmuts,
womit alle, aber keiner mehr als Stanislaus gefochten. Er hatte die
zurueckweichenden Bataillone, da, wo schon alles verloren schien, aufs
neue ins Feuer gefuehrt, es war ihm geglueckt, die feindlichen Reihen
mit seiner Reuterei zu durchbrechen. Das Schicksal des Tages wankte,
da traf ihn eine Kugel und mit dem Ausruf: "Vaterland - Hermenegilda!"
stuerzte er in Blut gebadet vom Pferde herab. Jedes Wort dieser
Erzaehlung war ein Dolchstich, der tief in Hermenegildas Herz fuhr.
"Nein! ich wusst es nicht, dass ich ihn unaussprechlich liebte seit
dem ersten Augenblick, als ich ihn sah! - Welch ein hoellisches
Blendwerk konnte mich Aermste verfuehren, dass ich zu leben gedachte
ohne ihn, der mein einziges Leben ist! - Ich habe ihn in den Tod
geschickt - er kehrt nicht wieder!" - So brach Hermenegilda aus in
stuermische Klagen, die allen in die Seele drangen. Schlaflos, von
steter Unruhe gefoltert, durchirrte sie zur Nachtzeit den Park, und,
als vermoege der Nachtwind ihre Worte hinzutragen zu dem fernen
Geliebten, rief sie in die Luefte hinein: "Stanislaus - Stanislaus
- kehre zurueck - ich bin es - Hermenegilda ist es, die dich ruft -
hoerst du mich denn nicht - kehre zurueck, sonst muss ich vergehen in
banger Sehnsucht, in trostloser Verzweiflung!"

Hermenegildas ueberreizter Zustand schien uebergehen zu wollen in
wirklichen hellen Wahnsinn, der sie zu tausend Torheiten trieb. Graf
Nepomuk, voll Kummer und Angst um das geliebte Kind, glaubte, dass
aerztliche Huelfe hier vielleicht wirksam sein koennte, und es gelang
ihm in der Tat, einen Arzt zu finden, der es sich gefallen liess
einige Zeit auf dem Gute zu bleiben und sich der Leidenden anzunehmen.
So richtig berechnet seine mehr psychische als physische Kurmethode
aber auch sein mochte, so wenig sich ihre Wirkung auch ganz ableugnen
liess, so blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Genesen
jemals die Rede wuerde sein koennen, da nach langer Stille sich ganz
unerwartet wieder die seltsamsten Paroxismen einstellten. Ein eignes
Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben
den kleinen Ulanen, ein Pueppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans
Herz gedrueckt, dem sie die suessesten Namen gegeben, unwillig ins
Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: "Podrosz twoia
nam niemila, milsza przyiaszn w Kraiwbyla etc." Im Begriff, von dieser
Expedition in ihr Zimmer zurueckzukehren, befand sie sich auf dem
Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her schritt. Sie
schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der
franzoesischen Jaegergarde, der den linken Arm in der Binde trug,
und stuerzte mit dem lauten Ruf.- "Stanislaus, mein Stanislaus!" ihm
ohnmaechtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor
Erstaunen und Ueberraschung, hatte nicht wenig Muehe Hermenegilda,
die, gross und ueppig gebaut, eben keine geringe Last war, mit einem
Arm, dessen er nur maechtig, aufrecht zu erhalten. Er drueckte sie
fest und fester an sich, und indem er Hermenegildas Herz an seiner
Brust schlagen fuehlte, musste er sich gestehen, dass dies eins der
entzueckendsten Abenteuer sei, das er je erlebt. Sekunde auf Sekunde
verging, der Offizier ganz entzuendet vom Liebesfeuer, das in tausend
elektrischen Funken der holden Gestalt, die er in seinen Armen hielt,
entstroemte, drueckte gluehende Kuesse auf die suessen Lippen. So
fand ihn Graf Nepomuk, der aus seinen Zimmern trat. Auch er rief
aufjauchzend vor Freude: "Graf Stanislaus!" - In dem Augenblick
erwachte Hermenegilda, und umschlang ihn inbruenstig, indem sie ganz
ausser sich von neuem rief. "Stanislaus! - mein Geliebter! mein
Gatte!" - Der Offizier im ganzen Gesicht gluehend, zitternd - ausser
aller Fassung, trat einen Schritt zurueck, indem er sich sanft
Hermenegildas stuermischer Umarmung entzog. "Es ist der suesseste
Augenblick meines Lebens - aber nicht schwelgen will ich in der
Seligkeit, die mir nur ein Irrtum bereitet - ich bin ja nicht
Stanislaus - ach ich bin es ja nicht." - So sprach der Offizier
stotternd und zagend; entsetzt prallte Hermenegilda zurueck, und als
sie sich, den Offizier schaerfer ins Auge fassend, ueberzeugt, dass
die freilich ganz wunderbare Aehnlichkeit des Offiziers mit dem
Geliebten sie getaeuscht, eilte sie fort laut jammernd und klagend.
Graf Nepomuk konnte, da der Offizier sich nun als den juengern Vetter
des Grafen Stanislaus, als den Grafen Xaver von R. kund tat, es kaum
fuer moeglich halten, dass der Knabe in so kurzer Zeit zum kraeftigen
Juenglinge herangewachsen. Freilich kam hinzu, dass die Strapazen des
Kriegs dem Gesicht, der ganzen Haltung, einen maennlichern Charakter
gaben, als es sonst der Fall gewesen sein wuerde. Graf Xaver hatte
naemlich mit seinem aeltern Vetter Stanislaus zugleich das Vaterland
verlassen, wie er, franzoesische Kriegsdienste genommen und in Italien
gefochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt, zeichnete er sich doch
bald, als besonnener und loewenkuehner Kriegsheld auf solche Weise
aus, dass ihn der Feldherr zu seinem Adjutanten erhob, und jetzt
war er, ein zwanzigjaehriger Juengling, schon zum Obristen
heraufgestiegen. Erhaltene Wunden, noetigten ihn einige Zeit
auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zurueck, und Auftraege von
Stanislaus an die Geliebte fuehrten ihn auf den Landsitz des Grafen
Nepomuk, wo er empfangen wurde, als sei er der Geliebte selbst. Graf
Nepomuk und der Arzt, beide gaben sich alle nur ersinnliche Muehe,
Hermenegilda, die ganz vernichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr
Zimmer nicht verlassen wollte, solange Xaver im Hause, zu beruhigen,
aber umsonst. Xaver war ausser sich, dass er Hermenegilda nicht
wiedersehen sollte. Er schrieb ihr, dass er unverschuldet eine
fuer ihn unglueckliche Aehnlichkeit zu hart buesse. Aber nicht ihn
allein, sondern den Geliebten Stanislaus selbst traefe das von
jenem verhaengnisvollen Moment erzeugte Missgeschick, da ihm, dem
Ueberbringer suesser Liebesbotschaft, jetzt alle Gelegenheit geraubt
worden, ihr selbst, wie er gesollt, den Brief, den er von Stanislaus
bei sich trage, einzuhaendigen, und noch alles von Mund zu Mund
hinzuzufuegen, was Stanislaus in der Hast des Augenblicks nicht
mehr schreiben konnte. Hermenegildas Kammerfrau, die Xaver in sein
Interesse gezogen, uebernahm die Bestellung zur guenstigen Stunde,
und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch
sein Schreiben. Hermenegilda entschloss sich ihn zu sehen. In tiefem
Schweigen, mit niedergesenktem Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach.
Xaver nahte sich mit leisem schwankenden Schritt, er nahm Platz vor
dem Sofa, auf dem sie sass, aber indem er sich herabbeugte von dem
Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als dass er sass, und so
flehte er in den ruehrendsten Ausdruecken, mit einem Ton, als habe
er sich des unverzeihlichsten Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein
Haupt moege sie die Schuld des Irrtums laden, der ihn die Seligkeit
des geliebten Freundes empfinden lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus
selbst habe sie in der Wonne des Wiedersehens umarmt. Er uebergab
den Brief, und fing an von Stanislaus zu erzaehlen, wie er mit echt
ritterlicher Treue selbst im blutigen Kampf seiner Dame gedenke, wie
nur sein Herz gluehe fuer Freiheit und Vaterland usw. Xaver erzaehlte
mit lebendigem Feuer, er riss Hermenegilden hin, die alle Scheu bald
ueberwunden, den zauberischen Blick ihrer Himmelsaugen unverwandt auf
ihn richtete, so dass er, ein neuer, von Turandots Blick getroffener,
Kalaf, durchbebt von suesser Wonne, nur muehsam die Erzaehlung
fortspann. Ohne es selbst zu wissen, bedraengt von dem innern Kampf
gegen die Leidenschaft, die in hellen Flammen auflodern wollte, verlor
er sich in die weitlaeuftige Beschreibung einzelner Gefechte. Er
sprach von Kavallerieangriffen - gesprengten Massen - eroberten
Batterien. - Ungeduldig unterbrach ihn Hermenegilda, indem sie rief.
"Oh, weg mit diesen blutigen Szenen eines Schauspiels der Hoelle -
sage - sage mir nur, dass er mich liebt, dass Stanislaus mich liebt!"
- Da ergriff Xaver, ganz ermutigt, Hermenegildas Hand, die er heftig
an seine Brust drueckte. "Hoere ihn selbst, deinen Stanislaus!" so
rief er, und nun stroemten die Beteurungen der gluehendsten Liebe, wie
sie nur dem Wahnsinn der verzehrendsten Leidenschaft eigen, von seinen
Lippen. Er war zu Hermenegildas Fuessen gesunken, sie hatte ihn mit
beiden Armen umschlungen, aber indem er, schnell aufgesprungen, sie an
seine Brust druecken wollte, fuehlte er sich heftig zurueckgestossen.
Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit
dumpfer Stimme: "Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwaerme
an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch
nimmer werden!" - Hierauf verliess sie das Zimmer mit leisen langsamen
Schritten. Xaver sah zu spaet seine Unbesonnenheit ein. Dass er bis
zum Wahnsinn in Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes
verliebt sei, fuehlte er nur zu lebhaft, ebenso aber auch, dass er bei
jedem Schritt, den er zugunsten seiner toerichten Leidenschaft zu tun
gesonnen, sich wuerde treulosen Freundschaftsbruch vorwerfen muessen.
Schnell abreisen, ohne Hermenegilda wiederzusehen, das war der
heroische Entschluss, den er wirklich auf der Stelle so weit
ausfuehrte, dass er zu packen und seinen Wagen anzuspannen befahl.
Graf Nepomuk war hoch verwundert, als Xaver von ihm Abschied nahm;
er bot alles auf ihn festzuhalten, doch mit einer Festigkeit, mehr
von einer Art Krampf, als von wahrer Geistesstaerke erzeugt, blieb
Xaver dabei, dass besondere Ursachen ihn forttrieben. Den Saebel
umgeschnallt, die Feldmuetze in der Hand, stand er in der Mitte des
Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem Vorsaal - unten vor
der Tuere wieherten ungeduldig die Pferde. - Da ging die Tuer auf,
Hermenegilda trat herein, mit unbeschreiblicher Anmut schritt sie auf
den Grafen zu, und sprach hold laechelnd: "Sie wollen fort, lieber
Xaver? - und noch so vieles dacht ich von meinem geliebten Stanislaus
zu hoeren! - Wissen Sie wohl, dass mich Ihre Erzaehlungen wunderbar
troesten?" - Xaver schlug hocherroetend die Augen nieder, man nahm
Platz, Graf Nepomuk versicherte ein Mal ueber das andere, seit vielen
Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieser heitern unbefangenen
Stimmung gesehen. Auf seinen Wink wurde, da die Zeit herangekommen,
die Abendtafel in demselben Zimmer bereitet. Der edelste Ungarwein
perlte in den Glaesern, und volle Glut auf den Wangen nippte
Hermenegilda aus dem gefuellten Pokal hochfeiernd das Andenken des
Geliebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reise ich fort, dachte
Xaver im Innern, und frug in der Tat, als die Tafel aufgehoben, den
Bedienten, ob der Wagen warte; der, erwiderte der Bediente, sei
laengst, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgespannt in die
Remise geschoben, die Pferde fraessen im Stall und Woyciech schnarche
unten auf dem Strohsack. Xaver liess es dabei bewenden. Hermenegildas
unvermutete Erscheinung hatte den Grafen ueberzeugt, dass es nicht
allein moeglich, sondern auch raetlich und angenehm sei zu bleiben,
und von dieser Ueberzeugung kam er zu der andern, dass es nur
darauf ankomme sich zu besiegen, das heisst, Ausbruechen der innern
Leidenschaft zu wehren, die, den geisteskranken Zustand Hermenegildas
aufreizend, nur ihm in jeder Hinsicht verderblich werden koennten. Wie
dann nun alles sich weiter fuegen wuerde, so beschloss Xaver seine
Betrachtung, sollte selbst Hermenegilda aus ihren Traeumen erwacht,
die heitere Gegenwart der duestern Zukunft vorziehen, das liege
denn alles in der Konstellation zusammenwirkender Umstaende und an
Treulosigkeit, an Freundschaftsbruch sei nicht zu denken. Sowie Xaver
andern Tages Hermenegilden wiedersah, gelang es ihm in der Tat, indem
er sorglich auch das Kleinste vermied, was sein zu heisses Blut haette
in Wallung setzen koennen, seine Leidenschaft niederzukaempfen. In
den Schranken der strengsten Sitte bleibend, ja selbst ein frostig
Zeremoniell beachtend, gab er nur dem Gespraech die Schwingen jener
Galanterie, die den Weibern mit suessem Zucker verderbliches Gift
beibringt. Xaver, ein zwanzigjaehriger Juengling, in eigentlichen
Liebeshaendeln unerfahren, entfaltete, von dem sichern Takt fuers
Boese im Innern geleitet, die Kunst des erfahrenen Meisters. Nur von
Stanislaus, von seiner unaussprechlichen Liebe zur suessen Braut,
sprach er, aber durch die volle Glut, die er dann entzuendet, wusste
er geschickt sein eignes Bild durchschimmern zu lassen, so dass
Hermenegilda in arger Verwirrung selbst nicht wusste, wie beide
Bilder, das des abwesenden Stanislaus und das des gegenwaertigen
Xaver, trennen. Xavers Gesellschaft wurde bald der aufgeregten
Hermenegilda zum Beduerfnis, und so geschah es, dass man sie beinahe
bestaendig, und oft wie im traulichen Liebesgespraech zusammen sah.
Die Gewohnheit ueberwand mehr und mehr Hermenegildas Scheu und in
eben dem Grade ueberschritt Xaver jene Schranken des frostigen
Zeremoniells, in die er sich anfangs mit klugem Vorbedacht gebannt
hatte. Arm in Arm gingen Hermenegilda und Xaver in dem Park umher, und
sorglos liess sie ihre Hand in der seinigen, wenn er im Zimmer neben
ihr sitzend von dem gluecklichen Stanislaus erzaehlte. Kam es nicht
auf Staatshaendel, auf die Sache des Vaterlandes an, so war Graf
Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe faehig, er begnuegte sich mit
dem, was er auf der Oberflaeche wahrzunehmen imstande, sein fuer alles
uebrige totes Gemuet vermochte die vorueberfliehenden Bilder des
Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektieren, spurlos
schwanden sie dahin. Ohne Hermenegildas inneres Wesen zu ahnen,
hielt er es fuer gut, dass sie endlich die Pueppchen, die bei ihrem
toerigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten vorstellen mussten,
mit einem lebendigen Juengling vertauscht, und glaubte mit vieler
Schlauheit vorauszusehen, dass Xaver, der ihm als Schwiegersohn ebenso
lieb, bald ganz in Stanislaus' Stelle treten werde. Er dachte nicht
mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieses ebenfalls, da nun,
nachdem ein paar Monate vergangen, Hermenegilda, so sehr ihr ganzes
Wesen auch von dem Andenken an Stanislaus erfuellt schien, es sich
doch gefallen liess, dass Xaver mehr und mehr sich ihr annaeherte mit
eigner Bewerbung. Eines Morgens hiess es, dass Hermenegilda sich in
ihre Gemaecher mit der Kammerfrau eingeschlossen habe, und durchaus
niemanden sehen wolle. Graf Nepomuk glaubte nicht anders, als dass ein
neuer Paroxismus eingetreten sei, der sich bald legen werde. Er bat
den Grafen Xaver, die Gewalt, die er ueber Hermenegilda gewonnen,
jetzt zu ihrem Heil zu ueben, wie erstaunte er aber, als Xaver es
nicht allein durchaus verweigerte, sich Hermenegilden auf irgend eine
Weise zu naehern, sondern sich auch in seinem ganzen Wesen auf eigne
Art veraendert zeigte. Statt wie sonst beinahe zu keck aufzutreten,
war er verschuechtert, als habe er Gespenster gesehen, der Ton seiner
Stimme schwankend - der Ausdruck matt und unzusammenhaengend. - Er
sprach davon, dass er nun durchaus nach Warschau muesste, dass er
Hermenegilden wohl niemals wiedersehen werde - dass in der letzten
Zeit ihr verstoertes Wesen ihm Grauen und Entsetzen erregt - dass er
Verzicht geleistet auf alles Glueck der Liebe, dass er nun erst in der
an Wahnsinn grenzenden Treue Hermenegildas, die Treulosigkeit, die er
an dem Freunde begehen wollen, zu seiner tiefsten Beschaemung fuehle,
dass schleunige Flucht sein einziges Rettungsmittel sei. Graf Nepomuk
begriff alles nicht, nur schien es ihm endlich klar zu werden, dass
Hermenegildas wahnsinnige Schwaermerei den Juengling angesteckt. Er
suchte ihm dies zu beweisen, doch umsonst. Xaver widerstrebte um so
heftiger, als dringender Nepomuk ihm die Notwendigkeit bewies, dass er
Hermenegilda von allen Bizarrerien heilen, folglich sie wiedersehen
muesse. Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von
unsichtbarer unwiderstehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, sich in
den Wagen warf und davonfuhr.

Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn ueber Hermenegildas Betragen,
bekuemmerte sich nicht mehr um sie, und so geschah es, dass mehrere
Tage vergingen, die sie ungestoert, auf ihrem Zimmer eingeschlossen,
von niemanden als ihrer Kammerfrau gesehen, zubrachte.

In tiefen Gedanken, ganz erfuellt von den Heldentaten jenes Mannes,
den die Polen damals anbeteten wie ein falsches Goetzenbild, sass
Nepomuk eines Tages in seinem Zimmer, als die Tuer aufging und
Hermenegilda in voller Trauer mit lang herabhaengendem Witwenschleier
eintrat. Langsamen feierlichen Schrittes nahte sie sich dem Grafen,
liess sich dann auf die Knie nieder und sprach mit bebender Stimme: "O
mein Vater - Graf Stanislaus, mein geliebter Gatte, ist hinueber - er
fiel als Held im blutigen Kampf: - vor dir kniet seine bejammernswerte
Witwe!" - Graf Nepomuk musste dies um so mehr fuer einen neuen
Ausbruch der zerruetteten Gemuetsstimmung Hermenegildas halten,
als noch Tages zuvor Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen
Stanislaus eingelaufen waren. Er hob Hermenegilden sanft auf, indem er
sprach: "Beruhige dich liebe Tochter, Stanislaus ist wohl, bald eilt
er in deine Arme." - Da atmete Hermenegilda auf wie im schweren
Todesseufzer und sank von wildem Schmerz zerrissen neben dem Grafen
hin in die Polster des Sofas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu
sich selbst gekommen, sprach sie mit wunderbarer Ruhe und Fassung:
"Lass es mich dir sagen, lieber Vater! wie sich alles begeben, denn du
musst es wissen, damit du in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von
R. erkennest. - Wisse, dass ich vor sechs Tagen in der Abenddaemmerung
mich in dem Pavillon an der Suedseite unseres Parks befand. Alle meine
Gedanken, mein ganzes Wesen dem Geliebten zugewendet, fuehlt ich meine
Augen sich unwillkuerlich schliessen, nicht in Schlaf, nein, in einen
seltsamen Zustand versank ich, den ich nicht anders nennen kann, als
waches Traeumen. Aber bald schwirrte und droehnte es um mich her, ich
vernahm ein wildes Getuemmel, es fiel ganz in der Naehe Schuss auf
Schuss. Ich fuhr auf, und war nicht wenig erstaunt mich in einer
Feldhuette zu befinden. Vor mir kniete er selbst - mein Stanislaus. -
Ich umschlang ihn mit meinen Armen, ich drueckte ihn an meine Brust -
'Gelobt sei Gott', rief er, 'du lebst, du bist mein!' - Er sagte mir,
ich sei gleich nach der Trauung in tiefe Ohnmacht gesunken, und ich
toerigt Ding erinnerte mich jetzt erst, dass ja Pater Cyprianus, den
ich in diesem Augenblick erst zur Feldhuette hinausschreiten sah, uns
ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner des Geschuetzes, unter
dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut hatte. Der goldne Trauring
blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit, mit der ich nun aufs neue
den Gatten umarmte, war unbeschreiblich; nie gefuehltes namenloses
Entzuecken des beglueckten Weibes durchbebte mein Inneres - mir
schwanden die Sinne - da wehte es mich an mit eiskaltem Frost - ich
schlug die Augen auf - entsetzlich! mitten im Gewuehl der wilden
Schlacht - vor mir die brennende Feldhuette, aus der man mich
wahrscheinlich gerettet! - Stanislaus bedraengt von feindlichen
Reitern - Freunde sprengen heran ihn zu retten - zu spaet, von hinten
haut ihn ein Reiter herab vom Pferde." - Aufs neue sank Hermenegilda
ueberwaeltigt von dem entsetzlichen Schmerz ohnmaechtig zusammen.
Nepomuk eilte nach staerkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht,
mit wunderbarer Kraft fasste sich Hermenegilda zusammen. "Der Wille
des Himmels ist erfuellt", sprach sie dumpf und feierlich, "nicht zu
klagen ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, soll kein
irdisches Buendnis mich von ihm trennen. Um ihn trauern, fuer ihn,
fuer unser Heil beten, das ist jetzt meine Bestimmung, und nichts soll
diese mir verstoeren." Graf Nepomuk musste mit vollem Recht glauben,
dass der innerlich bruetende Wahnsinn Hermenegildas sich durch jene
Vision Luft gemacht habe, und da die ruhige kloesterliche Trauer
Hermenegildas um den Gatten kein ausschweifendes beunruhigendes
Treiben zuliess, so war dem Grafen Nepomuk dieser Zustand, den die
Ankunft des Grafen Stanislaus schnell enden musste, ganz recht. Liess
Nepomuk zuweilen etwas von Traeumereien und Visionen fallen, so
laechelte Hermenegilda schmerzlich, dann drueckte sie aber den goldnen
Ring, den sie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heissen
Traenen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erstaunen, dass dieser Ring
wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei seiner Tochter gesehen,
da es indessen tausend Faelle gab, wie sie dazu gekommen sein konnte,
so gab er sich nicht einmal die Muehe weiter nachzuforschen. Wichtiger
war ihm die boese Nachricht, dass Graf Stanislaus in feindliche
Gefangenschaft geraten sei. Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu
kraenkeln, sie klagte oft ueber eine seltsame Empfindung, die sie eben
nicht Krankheit nennen koenne, die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame
Art durchbebe. Um diese Zeit kam Fuerst Z. mit seiner Gemahlin. Die
Fuerstin hatte, als Hermenegildas Mutter fruehzeitig starb, ihre
Stelle vertreten und schon deshalb wurde sie von ihr mit kindlicher
Hingebung empfangen. Hermenegilda erschloss der wuerdigen Frau ihr
ganzes Herz und klagte mit der bittersten Wehmut, dass, unerachtet sie
fuer die Wahrheit aller Umstaende ruecksichts der wirklich vollzogenen
Trauung mit Stanislaus, die ueberzeugendsten Beweise habe, man sie
doch eine wahnsinnige Traeumerin schelte. Die Fuerstin, von allem
unterrichtet und von Hermenegildas zerruettetem Gemuetszustande
ueberzeugt, huetete sich wohl ihr zu widersprechen; sie begnuegte sich
damit, ihr zu versichern, dass die Zeit alles aufklaeren werde und
dass es wohlgetan sei, sich in frommer Demut dem Willen des Himmels
ganz zu ergeben. Aufmerksamer wurde die Fuerstin, als Hermenegilda
von ihrem koerperlichen Zustande sprach und die sonderbaren Anfaelle
beschrieb, die ihr Inneres zu verstoeren schienen. Man sah, wie die
Fuerstin mit der aengstlichsten Sorgfalt ueber Hermenegilda wachte und
wie ihre Bekuemmernis in dem Grade stieg, als Hermenegilda sich ganz
zu erholen schien. Die todblassen Wangen und Lippen roeteten sich
wieder, die Augen verloren das duestre unheimliche Feuer, der Blick
wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen rundeten sich mehr
und mehr, kurz Hermenegilda bluehte ganz auf in voller Jugend und
Schoenheit. Und doch schien die Fuerstin sie fuer kraenker als jemals
zu halten, denn: "Wie ist dir, was hast du mein Kind? - was fuehlst
du?" so frug sie, quaelende Besorgnis im Gesicht, sobald Hermenegilda
nur seufzte oder im mindesten erblasste. Graf Nepomuk, der Fuerst, die
Fuerstin berateten sich, was es denn nun werden solle mit Hermenegilda
und ihrer fixen Idee, Stanislaus' Witwe zu sein. "Ich glaube leider",
sprach der Fuerst, "dass ihr Wahnsinn unheilbar bleiben wird, denn
sie ist koerperlich kerngesund und naehrt den zerruetteten Zustand
ihrer Seele mit voller Kraft. - Ja", fuhr er fort, als die Fuerstin
schmerzlich vor sich hinblickte, "ja sie ist kerngesund, unerachtet
sie zur Ungebuehr und zu ihrem offenbaren Nachteil wie eine Kranke
gepflegt, gehaetschelt und geaengstet wird." Die Fuerstin, welche
diese Worte trafen, fasste den Grafen Nepomuk ins Auge und sprach
rasch und entschieden: "Nein! - Hermenegilda ist nicht krank, aber,
laege es nicht im Reich der Unmoeglichkeit, dass sie sich vergangen
haben koennte, so wuerde ich ueberzeugt sein, dass sie sich in guter
Hoffnung befinde." Damit stand sie auf und verliess das Zimmer. Wie
vom Blitz getroffen starrten sich Graf Nepomuk und der Fuerst an.
Dieser, zuerst das Wort aufnehmend, meinte, dass seine Frau auch
zuweilen von den sonderbarsten Visionen heimgesucht werde. Graf
Nepomuk sprach aber sehr ernst: "Die Fuerstin hat darin recht, dass
ein Vergehen der Art von seiten Hermenegildas durchaus im Reich der
Unmoeglichkeit liegt, wenn ich dir aber sage, dass, als Hermenegilda
gestern vor mir herging, mir es selbst wie ein naerrischer Gedanke
durch den Sinn fuhr: 'Nun seht einmal, die junge Witwe ist ja guter
Hoffnung'; dass dieser Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer
Gestalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles sage, so wirst
du es natuerlich finden, wie die Worte der Fuerstin mich mit trueber
Besorgnis, ja mit der peinlichsten Angst erfuellen." - "So muss",
erwiderte der Fuerst, "der Arzt oder die weise Frau entscheiden und
entweder das vielleicht voreilige Urteil der Fuerstin vernichtet oder
unsere Schande bestaetigst werden." Mehrere Tage schwankten beide
von Entschluss zu Entschluss. Beiden wurden Hermenegildas Formen
verdaechtig, die Fuerstin sollte entscheiden was jetzt zu tun. Sie
verwarf die Einmischung eines vielleicht plauderhaften Arztes und
meinte, dass andere Huelfe wohl erst in fuenf Monaten noetig sein
wuerde. "Welche Huelfe?" schrie Graf Nepomuk entsetzt. "Ja", fuhr die
Fuerstin mit erhoehter Stimme fort, "es ist nun gar kein Zweifel mehr,
Hermenegilda ist entweder die verruchteste Heuchlerin, die jemals
geboren, oder es waltet ein unerforschliches Geheimnis - genug, sie
ist guter Hoffnung!" Ganz erstarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine
Worte; endlich sich muehsam ermannend beschwor er die Fuerstin, koste
es was es wolle, von Hermenegilda selbst zu erforschen, wer der
Unglueckselige sei, der die unausloeschliche Schmach ueber sein Haus
gebracht. "Noch", sprach die Fuerstin, "noch ahnet Hermenegilda nicht,
dass ich um ihren Zustand weiss. Von dem Moment, wenn ich es ihr sagen
werde, wie es um sie steht, verspreche ich mir alles. Ueberrascht wird
sie die Larve der Heuchlerin fallen lassen oder es muss sich sonst
ihre Unschuld auf eine wunderbare Weise offenbaren, unerachtet ich es
auch nicht zu traeumen vermag, wie dies sollte geschehen koennen."
Noch denselben Abend war die Fuerstin mit Hermenegilda, deren
muetterliches Ansehn mit jeder Stunde zuzunehmen schien, allein auf
ihrem Zimmer. Da ergriff die Fuerstin das arme Kind bei beiden Armen,
blickte ihr scharf ins Auge und sagte mit schneidendem Ton: "Liebe, du
bist guter Hoffnung!" Da schlug Hermenegilda den wie von himmlischer
Wonne verklaerten Blick in die Hoehe und rief mit dem Ton des
hoechsten Entzueckens: "O Mutter, Mutter, ich weiss es ja! - Lange
fuehlt ich es, dass ich, fiel auch der teure Gatte unter den
moerderischen Streichen der wilden Feinde, dennoch unaussprechlich
gluecklich sein sollte. Ja! - jener Moment meines hoechsten irdischen
Gluecks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz wieder haben den
geliebten Gatten in dem teuern Pfande des suessen Bundes." Der
Fuerstin war es, als finge sich alles an um sie zu drehen, als wollten
ihr die Sinne schwinden. Die Wahrheit in Hermenegildas Ausdruck -
ihr Entzuecken, ihre wahrhafte Verklaerung liess keinen Gedanken an
erheucheltes Wesen, an Trug aufkommen und doch konnte nur toller
Wahnsinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten Gedanken
ganz erfasst, stiess die Fuerstin Hermenegilda von sich, indem
sie heftig rief. "Unsinnige! Ein Traum haette dich in den Zustand
versetzt, der Schmach und Schande ueber uns alle bringt! - glaubst du,
dass du mich mit albernen Maerchen zu hintergehen vermagst? - Besinne
dich - lass alle Ereignisse der vorigen Tage dir voruebergehen.
Ein reuiges Bekenntnis kann uns vielleicht versoehnen." In Traenen
gebadet, ganz aufgeloest von herbem Schmerz sank Hermenegilda vor der
Fuerstin auf die Knie und jammerte: "Mutter, auch du schiltst mich
eine Traeumerin, auch du glaubst nicht daran, dass die Kirche mich mit
Stanislaus verband, dass ich sein Weib bin? - Aber sieh doch nur hier
den Ring an meinem Finger was sage ich! - _Du_, _du_ kennst ja meinen
Zustand, ist denn das nicht genug dich zu ueberzeugen, dass ich nicht
traeumte?" Die Fuerstin nahm mit dem tiefsten Erstaunen wahr, dass
Hermenegilden der Gedanke eines Vergehens gar nicht einkam, dass sie
die Hindeutung darauf gar nicht aufgefasst, gar nicht verstanden.
Der Fuerstin ihre Haende heftig an die Brust drueckend, flehte
Hermenegilda immerfort, sie moege doch nur jetzt, da es ihr Zustand
ausser Zweifel setze, an ihren Gatten glauben, und die ganz
bestuerzte, ganz ausser sich gesetzte Frau wusste in der Tat selbst
nicht mehr, was sie der Armen sagen, welchen Weg sie ueberhaupt
einschlagen sollte, dem Geheimnis, das hier walten musste, auf die
Spur zu kommen. Erst nach mehreren Tagen erklaerte die Fuerstin
dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk, dass es unmoeglich sei von
Hermenegilda, die sich von dem Gatten schwanger glaube, mehr
herauszubringen, als wovon sie selbst im Innersten der Seele
ueberzeugt sei. Die Maenner voller Zorn schalten Hermenegilda eine
Heuchlerin und insonderheit schwur Graf Nepomuk, dass, wenn gelinde
Mittel sie nicht von dem wahnsinnigen Gedanken, ihm ein abgeschmacktes
Maerchen aufzuheften, zurueckbringen wuerden, er es mit strengen
Massregeln versuchen werde. Die Fuerstin meinte dagegen, dass jede
Strenge eine zwecklose Grausamkeit sein wuerde. Ueberzeugt sei sie
naemlich, wie gesagt, dass Hermenegilda keinesweges heuchle, sondern
daran, was sie sage, mit voller Seele glaube. "Es gibt", fuhr sie
fort, "noch manches Geheimnis in der Welt, das zu begreifen wir
gaenzlich ausserstande sind. Wie, wenn das lebhafte Zusammenwirken des
Gedankens auch eine physische Wirkung haben koennte, wie wenn eine
geistige Zusammenkunft zwischen Stanislaus und Hermenegilda sie in den
uns unerklaerlichen Zustand versetzte?" Unerachtet alles Zorns, aller
Bedraengnis des fatalen Augenblicks konnten sich der Fuerst und Graf
Nepomuk doch des lauten Lachens nicht enthalten, als die Fuerstin
diesen Gedanken aeusserte, den die Maenner den sublimsten nannten, der
je das Menschliche aetherisiert habe. Die Fuerstin blutrot im ganzen
Gesicht meinte, dass den rohen Maennern der Sinn fuer dergleichen
abginge, dass sie das ganze Verhaeltnis, in das ihr armes Kind,
an dessen Unschuld sie unbedingt glaube, geraten, anstoessig und
abscheulich finde, und dass eine Reise, die sie mit ihr zu unternehmen
gedenke, das einzige und beste Mittel sei, sie der Arglist, dem Hohne
ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit diesem Vorschlage
sehr zufrieden, denn da Hermenegilda selbst gar kein Geheimnis aus
ihrem Zustande machte, so musste sie, sollte ihr Ruf verschont
bleiben, freilich aus dem Kreise der Bekannten entfernt werden.

Dies ausgemacht, fuehlten sich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte
kaum mehr an das beaengstigende Geheimnis selbst, als er nur die
Moeglichkeit sah, es der Welt, deren Hohn ihm das bitterste war,
zu verbergen, und der Fuerst urteilte sehr richtig, dass bei
der seltsamen Lage der Dinge, bei Hermenegildas unerheucheltem
Gemuetszustande freilich gar nichts anders zu tun sei, als die
Aufloesung des wunderbaren Raetsels der Zeit zu ueberlassen. Eben
wollte man nach geschlossener Beratung auseinander gehen, als
die ploetzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. ueber alle neue
Verlegenheit neue Kuemmernis brachte. Erhitzt von dem scharfen Ritt,
ueber und ueber mit Staub bedeckt, mit der Hast eines von wilder
Leidenschaft Getriebenen stuerzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruss,
alle Sitte nicht beachtend, mit starker Stimme: "Er ist tot, Graf
Stanislaus! nicht in Gefangenschaft geriet er - nein - er wurde
niedergehauen von den Feinden - hier sind die Beweise!" - Damit
steckte er mehrere Briefe, die er schnell hervorgerissen, dem Grafen
Nepomuk in die Haende. Dieser fing ganz bestuerzt an zu lesen. Die
Fuerstin sah in die Blaetter hinein, kaum hatte sie wenige Zeilen
erhascht, als sie mit zum Himmel emporgerichtetem Blick die Haende
zusammenschlug und schmerzlich ausrief: "Hermenegilda! - armes Kind!
- welches unerforschliche Geheimnis!" - Sie hatte gefunden, dass
Stanislaus' Todestag gerade mit Hermenegildas Angabe zusammentraf,
dass sich alles so begeben, wie sie es in dem verhaengnisvollen
Augenblick geschaut hatte. "Er ist tot", sprach nun Xaver rasch und
feurig, "Hermenegilda ist frei, mir, der ich sie liebe wie mein Leben,
steht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand!" - Graf Nepomuk
vermochte nicht zu antworten, der Fuerst nahm das Wort und erklaerte,
dass gewisse Umstaende es ganz unmoeglich machten, jetzt auf seinen
Antrag einzugehen, dass er in diesem Augenblick nicht einmal
Hermenegilda sehen koenne, dass es also das beste sei, sich wieder
schnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, dass er
Hermenegildas zerruetteten Gemuetszustand, von dem wahrscheinlich die
Rede sei, recht gut kenne, dass er dies aber um so weniger fuer ein
Hindernis halte, als gerade seine Verbindung mit Hermenegilda jenen
Zustand enden wuerde. Die Fuerstin versicherte ihm, dass Hermenegilda
ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geschworen, jede andere
Verbindung daher verwerfen wuerde, uebrigens befinde sie sich gar
nicht mehr auf dem Schlosse. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur
des Vaters Einwilligung beduerfe er; Hermenegildas Herz zu ruehren,
das solle man nur ihm ueberlassen. Ganz erzuernt ueber des Juenglings
ungestueme Zudringlichkeit erklaerte Graf Nepomuk, dass er in diesem
Augenblick vergebens auf seine Einwilligung hoffe und nur sogleich das
Schloss verlassen moege. Graf Xaver sah ihn starr an, oeffnete die
Tuer des Vorsaals und rief hinaus, Woyciech solle den Mantelsack
hereinbringen, die Pferde absatteln und in den Stall fuehren. Dann
kam er ins Zimmer zurueck, warf sich in den Lehnstuhl, der dicht am
Fenster stand, und erklaerte ruhig und ernst: ehe er Hermenegilda
gesehen und gesprochen, werde ihn nur offne Gewalt vom Schlosse
wegtreiben. Graf Nepomuk meinte, dass er dann auf einen recht langen
Aufenthalt rechnen koenne, uebrigens aber erlauben muesse, dass er
seinerseits das Schloss verlasse. Alle, Graf Nepomuk, der Fuerst
und seine Gemahlin gingen hierauf aus dem Zimmer, um so schnell als
moeglich Hermenegilda fortzuschaffen. Der Zufall wollte indessen, dass
sie gerade in dieser Stunde, ganz wider ihre sonstige Gewohnheit, in
den Park gegangen war. Xaver, durch das Fenster blickend, an dem er
sass, gewahrte sie ganz in der Ferne wandelnd. Er rannte hinunter in
den Park und erreichte endlich Hermenegilda, als sie eben in jenen
verhaengnisvollen Pavillon an der Suedseite des Parks trat. Ihr
Zustand war nun schon beinahe jedem Auge sichtlich. "O all ihr Maechte
des Himmels", rief Xaver, als er vor Hermenegilda stand, dann stuerzte
er aber zu ihren Fuessen und beschwor sie, unter den heiligsten
Beteurungen seiner gluehendsten Liebe, ihn zum gluecklichsten
Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz ausser sich vor Schreck und
Ueberraschung, sagte ihm: ein boeses Geschick habe ihn hergefuehrt,
ihre Ruhe zu stoeren - niemals, niemals wuerde sie, dem geliebten
Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die Gattin eines andern
werden. Als nun aber Xaver nicht aufhoerte mit Bitten und Beteurungen,
als er endlich in toller Leidenschaft ihr vorhielt, dass sie
sich selbst taeusche, dass sie _ihm_ ja schon die suessesten
Liebesaugenblicke geschenkt, als er, aufgesprungen vom Boden, sie in
seine Arme schliessen wollte, da stiess sie ihn, den Tod im Antlitz,
mit Abscheu und Verachtung zurueck, indem sie rief. "Elender,
selbstsuechtiger Tor, ebensowenig, wie du das suesse Pfand meines
Bundes mit Stanislaus vernichten kannst, ebensowenig vermagst du mich
zum verbrecherischen Bruch der Treue zu verfuehren - fort aus meinen
Augen!" Da streckte Xaver die geballte Faust ihr entgegen, lachte laut
auf in wildem Hohn und schrie: "Wahnsinnige, brachst du denn nicht
selbst jenen albernen Schwur? - Das Kind, das du unter dem Herzen
traegst, _mein_ Kind ist es, _mich_ umarmtest du hier an dieser Stelle
- _meine_ Buhlschaft warst du und bleibst du, wenn ich dich nicht
erhebe zu meiner Gattin." - Hermenegilda blickte ihn an, die Glut der
Hoelle in den Augen, dann kreischte sie auf. "Ungeheuer!" und sank wie
zum Tode getroffen nieder auf den Boden.

Wie von allen Furien verfolgt, rannte Xaver in das Schloss zurueck, er
traf auf die Fuerstin, die er mit Ungestuem bei der Hand ergriff und
hineinzog in die Zimmer. "Sie hat mich verworfen mit Abscheu - mich,
den Vater ihres Kindes!" - "Um aller Heiligen willen! Du? - Xaver! -
mein Gott! - sprich, wie war es moeglich?" - so rief, von Entsetzen
ergriffen, die Fuerstin. "Mag mich verdammen", fuhr Xaver gefasster
fort, "mag mich verdammen wer da will, aber glueht ihm gleich mir das
Blut in den Adern, gleich mir wird er in solchem Moment suendigen.
In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem seltsamen Zustande,
den ich nicht zu beschreiben vermag. Sie lag wie festschlafend und
traeumend auf dem Kanapee. Kaum war ich eingetreten, als sie sich
erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und feierlichen
Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete sie nieder, ich tat ein
gleiches, sie betete, und ich bemerkte bald, dass sie im Geiste einen
Priester vor uns sah. Sie zog einen Ring vom Finger, den sie dem
Priester darreichte, ich nahm ihn und steckte ihr einen goldnen
Ring an, den ich von meinem Finger zog, dann sank sie mit der
inbruenstigsten Liebe in meine Arme. - Als ich entfloh, lag sie in
tiefem bewusstlosen Schlaf." - "Entsetzlicher Mensch! - ungeheurer
Frevel!" schrie die Fuerstin ganz ausser sich. - Graf Nepomuk und
der Fuerst traten hinein, in wenigen Worten erfuhren sie Xavers
Bekenntnisse, und wie tief wurde der Fuerstin zartes Gemuet verwundet,
als die Maenner Xavers freveliche Tat sehr verzeihlich und durch
seine Verbindung mit Hermenegilda gesuehnt fanden. "Nein", sprach die
Fuerstin, "nimmer wird Hermenegilda _dem_ die Hand als Gattin reichen,
der es wagte, wie der haemischte Geist der Hoelle, den hoechsten
Moment ihres Lebens mit dem ungeheuersten Frevel zu vergiften." - "Sie
wird", sprach Graf Xaver mit kaltem hoehnenden Stolz, "sie wird mir
die Hand reichen muessen, um ihre Ehre zu retten - ich bleibe hier
und alles fuegt sich." - In diesem Augenblick entstand ein dumpfes
Geraeusch, man brachte Hermenegilda, die der Gaertner im Pavillon
leblos gefunden, in das Schloss zurueck. Man legte sie auf das Sofa;
ehe es die Fuerstin verhindern konnte, trat Xaver hinan und fasste
ihre Hand. Da fuhr sie mit einem entsetzlichen Schrei, nicht
menschlicher Ton, nein, dem schneidenden Jammerlaut eines wilden Tiers
aehnlich, in die Hoehe und starrte in graesslicher Verzuckung den
Grafen mit funkenspruehenden Augen an. Der taumelte wie vom toetenden
Blitz getroffen zurueck und lallte kaum verstaendlich: "Pferde!" - Auf
den Wink der Fuerstin brachte man ihn herab. - "Wein! - Wein!" schrie
er, stuerzte einige Glaeser hinunter, warf sich dann erkraeftigt aufs
Pferd und jug davon. - Hermenegildas Zustand, der aus dumpfen Wahnsinn
in wilde Raserei uebergehen zu wollen schien, aenderte auch Nepomuks
und des Fuersten Gesinnungen, die nun erst das Entsetzliche,
Unsuehnbare von Xavers Tat einsahen. Man wollte nach dem Arzt senden,
aber die Fuerstin verwarf alle aerztliche Huelfe, wo nur geistlicher
Trost vielleicht wirken koenne. Statt des Arztes erschien also der
Karmelitermoench Cyprianus, Beichtvater des Hauses. Auf wunderbare
Weise gelang es ihm, Hermenegilda aus der Bewusstlosigkeit des stieren
Wahnsinns zu erwecken. Noch mehr! - bald wurde sie ruhig und gefasst;
sie sprach ganz zusammenhaengend mit der Fuerstin, der sie den Wunsch
aeusserte, nach ihrer Niederkunft ihr Leben im Zisterzienserkloster
zu O. in steter Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern
hatte sie Schleier hinzugefuegt, die ihr Gesicht undurchdringlich
verhuellten und die sie niemals luepfte. Pater Cyprianus verliess das
Schloss, kam aber nach einigen Tagen wieder. Unterdessen hatte der
Fuerst Z. an den Buergermeister zu L. geschrieben, dort sollte
Hermenegilda ihre Niederkunft abwarten und von der Aebtissin des
Zisterzienserklosters, einer Verwandten des Hauses, dahingebracht
werden, waehrend die Fuerstin nach Italien reiste, und angeblich
Hermenegilda mitnahm. - Es war Mitternacht, der Wagen, der
Hermenegilda nach dem Kloster bringen sollte, stand vor der Tuere.
Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der Fuerst, die Fuerstin, das
unglueckliche Kind, um von ihr Abschied zu nehmen. Da trat sie in
Schleier gehuellt, an der Hand des Moenchs, in das von Kerzen hell
erleuchtete Zimmer. Cyprianus sprach mit feierlicher Stimme: "Die
Laienschwester Coelestina suendigte schwer, als sie sich noch in der
Welt befand, denn der Frevel des Teufels befleckte ihr reines Gemuet,
doch ein unaufloesliches Geluebde bringt ihr Trost - Ruhe und ewige
Seligkeit! - Nie wird die Welt mehr das Antlitz schauen, dessen
Schoenheit den Teufel anlockte - schaut her! - so beginnt und
vollendet Coelestina ihre Busse!" - Damit hob der Moench Hermenegildas
Schleier auf, und schneidendes Weh durchfuhr alle, da sie die blasse
Totenlarve erblickten, in die Hermenegildas engelschoenes Antlitz auf
immer verschlossen! - Sie schied, keines Wortes maechtig, von dem
Vater, der ganz aufgeloest von verzehrendem Schmerz nicht mehr leben
zu koennen dachte. Der Fuerst, sonst ein gefasster Mann, badete sich
in Traenen, nur der Fuerstin gelang es, mit aller Macht den Schrecken
jenes grauenvollen Geluebdes niederkaempfend, sich aufrecht zu
erhalten in milder Fassung.

Wie Graf Xaver Hermenegildas Aufenthalt und sogar den Umstand, dass
das geborne Kind der Kirche geweiht sein sollte, erfahren, ist
unerklaerlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach
P. gekommen, und es in die Haende einer vertrauten Frau zur Pflege
geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kaelte ohnmaechtig
geworden, sondern tot. Darauf verschwand Graf Xaver spurlos, und man
glaubte, er habe sich den Tod gegeben. Mehrere Jahre waren vergangen,
als der junge Fuerst Boleslaw von Z. auf seinen Reisen nach Neapel in
die Naehe des Posilippo kam. Dort in der anmutigsten Gegend liegt ein
Kamaldulenserkloster, zu dem der Fuerst heraufstieg, um eine Aussicht
zu geniessen, die ihm als die reizendste in ganz Neapel geschildert
worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im
Garten zu treten, die ihm als der schoenste Punkt beschrieben,
bemerkte er einen Moench, der vor ihm auf einem grossen Stein Platz
genommen und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schoss, in die
Ferne hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzuegen noch jugendlich,
war nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fuersten kam, als er den
Moench naeher und naeher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er
schlich naeher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, dass das
Gebetbuch in polnischer Sprache abgefasst war. Darauf redete er den
Moench polnisch an, dieser wandte sich voller Schreck um, kaum hatte
er aber den Fuersten erblickt, als er sein Gesicht verhuellte und
schnell, wie vom boesen Geist getrieben, durch die Gebuesche entfloh.
Fuerst Boleslaw versicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer
erzaehlte, dieser Moench sei niemand anders gewesen, als der Graf
Xaver von R.



Das steinerne Herz

Jedem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Staedtchen G. von
der suedlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genaehert, faellt
der Landstrasse rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches
mit seinen wunderlichen bunten Zinnen aus finsterm Gebuesch blickend,
emporsteigt. Dieses Gebuesch umkraenzte den weitlaeufigen Garten,
der sich in weiter Strecke talabwaerts hinzieht. Kommst du einmal,
vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt
deiner Reise, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gaertner
geben duerftest, sondern steige fein aus dem Wagen, und lass dir Haus
und Garten aufschliessen, vorgebend, du haettest den verstorbenen
Eigentuemer des anmutigen Landsitzes, den Hofrat Reutlinger in G.,
recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies alsdann mit gutem
Fug tun, wenn es dir gefallen sollte, alles, was ich dir zu erzaehlen
eben im Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der
Hofrat Reutlinger soll dir alsdann mit all seinem sonderbaren Tun und
Treiben so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt
haettest. Schon von aussen findest du das Landhaus auf altertuemliche
groteske Weise mit bunten gemalten Zieraten verschmueckt, du klagst
mit Recht ueber die Geschmacklosigkeit dieser zum Teil widersinnigen
Wandgemaelde, aber bei naeherer Betrachtung weht dich ein besonderer
wunderbarer Geist aus diesen bemalten Steinen an und mit einem leisen
Schauer, der dich ueberlaeuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf
den in Felder abgeteilten, mit weissem Gipsmarmor bekleideten Waenden
erblickest du mit grellen Farben gemalte Arabesken, die in den
wunderlichsten Verschlingungen, Menschen- und Tiergestalten, Blumen,
Fruechte, Gesteine, darstellen, und deren Bedeutung du ohne weitere
Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der
Breite einnimmt und bis ueber den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint
in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgefuehrt, was erst
durch Gemaelde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom
verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden,
du wirst weidlich schmaelen ueber das Barocke, Ueberladene, Grelle,
Geschmacklose dieses Stils, aber bist du nur was weniges meines
Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantasie, welches ich allemal bei
dir, mein guetiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der
Tat gegruendeten Tadel vergessen. Es wird dir so zumute werden, als
sei die regellose Willkuer nur das kecke Spiel des Meisters mit
Gestaltungen, ueber die er unumschraenkt zu herrschen wusste, dann
aber, als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen
Treibens, die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kraenkelnden
Gemuet eigen. Ich rate dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des
zweiten Stocks, die wie eine Galerie den Saal umgeben, und aus deren
Fenstern man hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind
die Verzierungen sehr einfach, aber hin und wieder stoessest du auf
teutsche, arabische und tuerkische Inschriften, die sich wunderlich
genug ausnehmen. Du eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach
altfranzoesischer Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswaenden
umschlossenen Gaengen, mit geraeumigen [Bosketts] angelegt, und mit
Statuen, mit Fontaenen geschmueckt. Ich weiss nicht, ob du, geliebter
Leser, nicht auch den ernsten feierlichen Eindruck, den solch ein
altfranzoesischer Garten macht, mit mir fuehlst, und ob du solch ein
Gartenkunstwerk nicht der albernen Kleinigkeitskraemerei vorziehst,
die in unsern sogenannten englischen Gaerten mit Brueckchen und
Fluesslein, und Tempelchen und Groettchen getrieben wird. Am Ende
des Gartens trittst du in einen finstern Hain von Trauerweiden,
Haengebirken und Weymouthskiefern. Der Gaertner sagt dir, dass dies
Waeldchen, wie man es von der Hoehe des Hauses hinabschauend, deutlich
wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin ist ein
Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in der Form eines Herzens
erbaut. Du tritts hinein, der Boden ist mit weissen Marmorplatten
ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz in gewoehnlicher
Groesse. Es ist ein dunkelroter in den weissen Marmor eingefugter
Stein. Du bueckst dich herab, und entdeckest die in den Stein
eingegrabenen Worte: _Es_ruht!_ In diesem Pavillon, bei diesem
dunkelroten steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht
trug, standen am Tage Mariae Geburt, das heisst am achten September
des Jahres 180- ein grosser stattlicher alter Herr und eine alte
Dame, beide sehr reich und schoen nach der Mode der sechziger Jahre
gekleidet. "Aber", sprach die alte Dame, "aber wie kam Ihnen, lieber
Hofrat, denn wieder die bizarre, ich moechte lieber sagen, die
schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal Ihres Herzens, das
unter dem roten Stein ruhen soll, bauen zu lassen?" "Lassen Sie uns",
erwiderte der alte Herr, "lassen Sie uns, liebe Geheime Raetin, von
diesen Dingen schweigen! - Nennen Sie es das krankhafte Spiel eines
wunden Gemuets, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, dass,
wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das haemische Glueck wie
ein Spielzeug dem einfaeltigen Kinde, das darueber die Todeswunden
vergisst, mir zuwarf, der bitterste Unmut ergreift, wenn alles
erfahrne Leid von neuem auf mich zutritt, dass ich dann hier in diesen
Mauern Trost und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein
so rot gefaerbt, aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Herzen
und kuehlt die verderbliche Glut, welche darin loderte." Die alte Dame
sah mit einem Blick der tiefsten Wehmut herab zum steinernen Herzen,
und indem sie sich etwas herabbueckte, fielen ein paar grosse
perlenglaenzende Traenen auf den roten Stein. Da fasste der alte Herr
schnell herueber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im
jugendlichen Feuer; wie ein fernes mit Blueten und Blumen reich
geschmuecktes herrliches Land im schimmernden Abendrot lag eine
laengst vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in seinen gluehenden
Blicken. "Julie! - Julie! und auch _Sie_ konnten dieses arme Herz
so auf den Tod verwunden." - So rief der alte Herr mit von der
schmerzlichsten Wehmut halberstickter Stimme. "Nicht mich", erwiderte
die alte Dame sehr weich und zaertlich, "nicht mich, klagen Sie an,
Maximilian! - War es denn nicht Ihr starrer unversoehnlicher Sinn, Ihr
traeumerischer Glaube an Ahnungen, an seltsame, Unheil verkuendende
Visionen, der Sie forttrieb von mir, und der mich zuletzt bestimmen
musste, dem sanfteren, beugsameren Mann, der mit Ihnen zugleich sich
um mich bewarb, den Vorzug zu geben. Ach! Maximilian, Sie mussten
es ja wohl fuehlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige
Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todesermattung?" Der alte
Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren liess: "O Sie
haben recht, Frau Geheime Raetin, ich muss allein stehen, kein
menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was Freundschaft,
was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen."
- "Wie bitter", fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, "Wie
bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und andere sind Sie,
Maximilian! - Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten
Wohltaeter der Beduerftigen, als den unwandelbarsten Verfechter
des Rechts, der Billigkeit, aber welches boese Geschick warf jenes
entsetzliche Misstrauen in Ihre Seele, das in einem Wort, in einem
Blick, ja in irgend einem von jeder Willkuer unabhaengigen Ereignis
Verderben und Unheil ahnet?" - "Hege ich denn nicht alles", sprach der
alte Herr mit weicherer Stimme und Traenen in den Augen, "hege ich
denn nicht alles, was sich mir naehert, mit der vollsten Liebe? Aber
diese Liebe zerreisst mir das Herz, statt es zu naehren. - Ha!" fuhr
er mit erhoehter Stimme fort, "dem unerforschlichen Geist der Welten
gefiel es mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode
entreissend, mich hundertmal toetet! - Gleich dem Ewigen Juden, sehe
ich das unsichtbare Kainszeichen auf der Stirne des gleisnerischen
Meuters! - Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende
Raetsel der geheimnisvolle Koenig der Welt, den wir Zufall nennen, uns
in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren
Isisaugen an, aber wer ihre Raetsel nicht loest, den ergreift sie mit
kraeftigen Loewentatzen, und schleudert ihn in den Abgrund." - "Noch
immer", sprach die alte Dame, "noch immer diese verderblichen Traeume.
Wo blieb der schoene, artige Knabe, Ihres juengern Bruders Sohn,
den Sie vor einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel
Liebe und Trost fuer Sie aufzukeimen schien?" - "Den", erwiderte der
alte Herr mit rauher Stimme, "den habe ich verstossen, es war ein
Boesewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Busen
naehrte." - "Ein Boesewicht! - der Knabe von sechs Jahren?" fragte
die Dame ganz bestuerzt. "Sie wissen", fuhr der alte Herr fort, "die
Geschichte meines juengern Bruders; Sie wissen, dass er mich mehrmals
auf buebische Weise taeuschte, dass, alles bruederliche Gefuehl in
seiner Brust ertoetend, ihm jede Wohltat, die ich ihm erzeigte, zur
Waffe gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es
nicht, dass nicht meine Ehre, meine buergerliche Existenz verloren
ging. Sie wissen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend
versunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung seiner verworrenen
Lebensweise, wiedererwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und
pflegte, wie er dann seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um
gewisse Dokumente - doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und
diesen behielt ich bei mir, als der Schaendliche, nachdem seine
Raenke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Kriminalprozess
verwickeln sollten, entdeckt worden, fliehen musste. Ein warnender
Wink des Schicksals befreiete mich von dem Boesewicht." - "Und dieser
Wink des Schicksals war gewiss einer Ihrer boesen Traeume." So sprach
die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: "Hoeren Sie, urteilen Sie
Julie! - Sie wissen, dass meines Bruders Teufelei mir den haertesten
Stoss gab, den ich erlitten - es sei denn, dass - doch still davon.
Mag es sein, dass ich der Seelenkrankheit, die mich befallen, den
Gedanken zuschreiben muss, mir in diesem Waeldchen eine Grabstaette
fuer mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es geschah! - Das Waeldchen
war in Herzform angepflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter
beschaeftigten sich mit der Marmortaefelung des Fussbodens. Ich trete
hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, dass in einiger
Entfernung der Knabe, so wie ich, Max geheissen, etwas hin- und
herkugelt unter allerlei tollen Bocksspruengen und lautem Gelaechter.
Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! - Ich gehe los auf den
Knaben und erstarre, als ich sehe, dass es der rote herzfoermig
ausgearbeitete Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavillon bereit lag,
den er mit Muehe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! 'Bube!
du spielst mit meinem Herzen, wie dein Vater!' - Mit diesen Worten
stiess ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. -
Mein Verwalter erhielt die noetigen Befehle ihn fortzuschaffen, ich
habe den Knaben nicht wiedergesehen!" - "Entsetzlicher Mann!" rief die
alte Dame, die aber der alte Herr sich hoeflich verbeugend, und mit
den Worten: "Des Schicksals grosse Grundstriche fuegen sich nicht
dem feinen Nonpareil der Damen", unter dem Arm fasste, und aus dem
Pavillon hinausfuehrte durch das Waeldchen in den Garten. - Der alte
Herr war der Hofrat Reutlinger, die alte Dame aber die Geheime Raetin
Foerd. - - Der Garten bot das allermerkwuerdigste Schauspiel dar, was
man nur sehen konnte. Eine grosse Gesellschaft alter Herren, Geheime
Raete, Hofraete u.a. nebst ihren Familien aus den benachbarten
Staedtchen hatte sich versammelt. Alle, selbst die jungen Leute und
Maedchen waren ganz streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit
grossen Peruecken, gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifroecken
usw., welches denn um so mehr einen wunderlichen Eindruck machte, als
die Anlagen des Gartens ganz zu jenem Kostuem passten. Jeder glaubte
sich, wie durch einen Zauberschlag, in eine laengst verflossene Zeit
zurueckversetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers
zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariae Geburt auf
seinem Landsitz das "Fest der alten Zeit" zu feiern, wozu er alles
aus dem Staedtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es
unerlaessliche Bedingung, dass jeder Gast sich in das Kostuem des
Jahres 1760 werfen musste. Jungen Leuten, denen es laestig gewesen
sein wuerde, dergleichen Kleider herbeizuschaffen, half der Hofrat aus
mit seiner eigenen reichen Garderobe. - Offenbar wollte der Hofrat
diese Zeit hindurch (das Fest dauerte zwei bis drei Tage) in
Rueckerinnerungen der alten Jugendzeit recht schwelgen.

In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide
sahen sich eine Weile schweigend an und brachen dann in ein helles
Gelaechter aus. "Du kommst mir vor", rief Willibald, "wie der im
Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier." "Und mich duenkt",
erwiderte Ernst, "ich haette dich schon in der asiatischen Banise
erblickt." - "Aber in der Tat", fuhr Willibald fort, "des alten
Hofrats Einfall ist so uebel nicht. Er will nun einmal sich selbst
mystifizieren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft
lebte, unerachtet er noch jetzt ein munterer starker Greis mit
unverwuestlicher Lebenskraft und herrlicher Frischheit des Geistes,
an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es manchem vor der Zeit
abgestumpften Juenglinge zuvortut. Er darf nicht dafuer sorgen, dass
jemand in Wort und Gebaerde aus dem Kostuem falle, denn dafuer steckt
jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz unmoeglich machen. Sieh
nur wie juengferlich und zunferlich unsere jungen Damen in ihren
Reifroecken einhertrippeln, wie sie sich des Faechers zu bedienen
wissen. - Wahrhaftig mich selbst ergreift unter der Peruecke, die ich
auf meinen Titus gestuelpt, ein ganz besonderer Geist altertuemlicher
Courtoisie, da ich eben das allerliebste Kind, des Geh. Rates Foerd
juengste Tochter, die holde Julie erblicke, so weiss ich gar nicht was
mich abhaelt, mich ihr in demuetiger Stellung zu nahen und mich also
zu applizieren und explizieren: 'Allerschoenste Julia! wenn wird mir
doch die laengst gewuenschte Ruhe durch deine Gegenliebe gewaehrt
werden! Es ist ja unmoeglich, dass den Tempel dieser Schoenheit ein
steinerner Abgott bewohnen koenne. Den Marmor bezwingt der Regen und
der Diamant wird durch schlechtes Blut erweichet; dein Herz will aber
einem Ambosse gleichen, welches sich nur durch Schlaege verhaertet; je
mehr nun mein Herze klopfet, je unempfindlicher wirst du. Lass mich
doch das Ziel deines Blicks sein, schaue doch wie mein Herz kocht
und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus deiner
Anmut quillt. Ach! - willst du mich durch Schweigen betrueben,
unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja den Fragenden
durch ein Echo und du willst mich Trostlosen keiner Antwort wuerdigen?
- O Allerschoenste'" - "Ich bitte dich", unterbrach hier Ernst
den Freund, der mit dem wunderlichsten Gebaerdenspiel das alles
gesprochen, "ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmal wieder
in deiner tollen Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns
freundlich naehernd, mit einem Mal ganz scheu ausbog. Ohne dich
zu verstehen, glaubt sie gewiss so wie alle in gleichem Fall,
schonungslos von dir bespoettelt zu sein, und so bewaehrst du deinen
Ruf als eingefleischten ironischen Satan und ziehst mich neuen
Ankoemmling ins Unglueck, denn schon sprechen alle mit zweideutigem
Seitenblick und bittersuessem Laecheln: 'Es ist Willibalds Freund.'"
- "Lass es gut sein", sprach Willibald, "ich weiss es ja, dass viele
Leute, zumal junge hoffnungsvolle Maedchen von sechszehn, siebzehn
Jahren mir sorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle
Wege fuehren, und weiss auch, dass sie dort mir begegnend oder
vielmehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend, recht mit
vollem freundlichen Gemuet mir die Hand reichen werden." - "Du
meinst", sprach Ernst, "eine Versoehnung, wie im ewgen Leben, wenn der
Drang des Irdischen abgeschuettelt." - "O ich bitte dich", unterbrach
ihn Willibald, "lass uns doch gescheut sein und nicht alte, laengst
besprochene Dinge aufs neue und gerade zur unguenstigsten Stunde
aufruehren. Unguenstig fuer derlei Gespraeche nenne ich naemlich
deshalb eben diese Stunden, weil wir gar nichts Besseres tun koennen,
als uns dem seltsamen Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns
Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefasst hat, hingeben.
Siehst du wohl jenen Baum, dessen ungeheure weisse Blueten der Wind
hin- und herschuettelt? - Cactus grandiflorus kann es nicht sein,
denn der blueht nur mitternachts und ich spuere auch nicht das Aroma,
welches sich bis hierher verbreiten muesste. Weiss der Himmel, welchen
Wunderbaum der Hofrat wieder in sein Tusculum verpflanzt hat." - Die
Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der Tat
nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunderbusch trafen, dessen
Blueten nichts anders waren, als hineingehaengte weissgepuderte
Peruecken, die mit ihren darangehaengten Haarbeuteln und Zoepfchen,
ein kurioses Spielzeug des launigten Suedwinds, auf- und
niederschaukelten. Lautes Lachen verkuendete was hinter den Bueschen
verborgen. Eine ganze Gesellschaft alter gemuetlicher lebenskraeftiger
Herren hatte sich auf einem breiten von buntem Buschwerk umgebenen
Rasenplatz versammelt. Die Roecke ausgezogen, die laestigen Peruecken
in den Holunder gehaengt, schlugen sie Ballon. Aber niemand uebertraf
den Hofrat Reutlinger, der den Ballon bis zu einer unglaublichen Hoehe
und so geschickt zu treiben wusste, dass er jedesmal dem Gegenspieler
schlaggerecht niederfiel. In dem Augenblick liess sich eine
abscheuliche Musik von kleinen Pfeifen und dumpfen Trommeln hoeren.
Die Herren endeten schnell ihr Spiel und griffen nach ihren Roecken
und Peruecken. "Was ist denn das nun wieder?" sprach Ernst. "Ich
wette", erwiderte Willibald, "der tuerkische Gesandte zieht ein." -
"Der tuerkische Gesandte?" frug Ernst ganz erstaunt. "So nenne ich",
fuhr Willibald fort, "den Baron von Exter, der sich in G. aufhaelt
und den du noch viel zu wenig gesehen hast, um in ihm nicht eins der
wunderlichsten Originale zu erkennen, die es geben mag. Er ist ehemals
Gesandter unseres Hofes in Konstantinopel gewesen und noch immer
sonnt er sich in dem Reflex dieser wahrscheinlich genussreichsten
Fruehlingszeit seines Lebens. Seine Beschreibung des Palastes, den
er in Pera bewohnte, erinnert an die diamantnen Feen-Palaeste in
Tausendundeiner Nacht, und seine Lebensweise an den weisen Koenig
Salomo, dem er auch darin gleichen will, dass er sich wirklich der
Herrschaft ueber unbekannte Naturkraefte ruehmt. In der Tat hat dieser
Baron Exter seiner luegnerischen Prahlerei, seiner Charlatanerie
unerachtet, doch etwas Mystisches, das mich wenigstens in drolligem
Abstich mit seiner aeussern etwas skurrilen Erscheinung oft wirklich
mystifiziert. Davon, ich meine von seinem wirklich mystischen Treiben
geheimer Wissenschaften, ruehrt auch seine enge Verbindung mit
Reutlingern her, der diesem Wesen ganz ergeben ist mit Leib und
Seele. - Beide sind wunderliche Traeumer, aber jeder auf seine Weise,
uebrigens aber entschiedene Mesmerianer." - Unter diesem Gespraech
waren die Freunde bis an des Gartens grosses Gattertor gelangt, durch
welches soeben der tuerkische Gesandte einzog. Ein kleiner rundlicher
Mann mit einem schoenen tuerkischen Pelz und hohem aus farbigten
Shawls aufgewickeltem Turban angetan. Aus Gewohnheit hatte er sich
aber nicht von der eng anschliessenden Zopfperuecke mit kleinen
Loeckchen, aus Beduerfnis nicht von den filznen Podagristenstiefeln
trennen koennen, wodurch freilich das tuerkische Kostuem schwer
verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abscheuliche musikalische
Geraeusch machten und in denen Willibald trotz der Vermummung Exters
Koch und anderes Hausgesinde erkannte, waren zu Mohren angerusst und
trugen spitze gemalte Papiermuetzen, den Sanbenitos nicht unaehnlich,
welches drollig genug aussah. Den tuerkischen Gesandten fuehrte am Arm
ein alter Offizier, nach seiner Tracht von irgend einem Schlachtfelde
des Siebenjaehrigen Krieges erwacht und erstanden. Es war der General
Rixendorf, Kommandant von G., der dem Hofrat zu Gefallen samt seinen
Offizieren sich in das alte Kostuem geworfen hatte. "Salama milek!"
sprach der Hofrat den Baron Exter umarmend, der sofort den Turban
abnahm, und ihn wieder auf die Peruecke stuelpte, nachdem er sich den
Schweiss von der Stirne mit einem ostindischen Tuch weggetrocknet.
In dem Augenblick bewegte sich auch in den Zweigen eines
Spaetkirschenbaums der goldstrahlende Fleck, den Ernst schon lange
betrachtet hatte, ohne entraetseln zu koennen, was da oben sitze. Es
war bloss der Geheime Kommerzienrat Harscher in einem goldstoffnen
Ehrenkleide, ebensolchen Beinkleidern und silberstoffner mit blauen
Rosenboukets bestreuter Weste, der nun sich aus den Blaettern des
Kirschbaums entwickelte, und fuer sein Alter behende genug auf der
angelehnten Leiter herabstieg und mit ganz feiner etwas quaekender
Stimme singend oder vielmehr kreischend: "Ah! che vedo - o dio che
sento!" dem tuerkischen Gesandten in die Arme eilte. Der Kommerzienrat
hatte seine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein grosser Musikus
und wollte noch immer mittelst eines lang geuebten Falsetts singen
wie Farinelli. "Ich weiss", sprach Willibald, "dass Harscher sich
die Taschen mit Spaetkirschen vollgestopft hat, die er, irgend ein
Madrigal suess lamentierend, den Damen praesentieren wird. Da er
aber wie Friedrich der Zweite den Spaniol ohne Dose in der Tasche
ausgeschuettet traegt, wird er mit seiner Galanterie nur widerwilliges
Ablehnen und finstre Gesichter einernten." - Ueberall war nun der
tuerkische Gesandte sowie der Held des Siebenjaehrigen Krieges mit
Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd
mit kindlicher Demut begruesst, tief beugte sie sich vor dem alten
Herrn und wollte ihm die Hand kuessen, da sprang aber der tuerkische
Gesandte wild dazwischen, rief. "Narrheiten, tolles Zeug!" umarmte
Julchen mit Heftigkeit, wobei er dem Kommerzienrat Harscher sehr hart
auf die Fuesse trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig
miaute und rannte dann mit Julien, die er unter den Arm gefasst,
davon. - Man sah, dass er sehr eifrig mit den Haenden focht, den
Turban auf- und abstuelpte usw. "Was hat der Alte mit dem Maedchen
vor?" sprach Ernst. "In der Tat", erwiderte Willibald, "es scheint
Wichtiges, denn, ist Exter gleich des Maedchens Pate und ganz vernarrt
in sie, so pflegt er doch nicht sogleich aus der Gesellschaft mit ihr
davonzulaufen." - In dem Augenblick blieb der tuerkische Gesandte
stehen, streckte den rechten Arm weit von sich und rief mit starker
Stimme, dass es im ganzen Garten widerhallte: "Apporte!" - Willibald
brach in ein lautes Gelaechter aus. "Wahrhaftig", sprach er dann,
"es ist weiter nichts, als dass Exter Julien zum tausendstenmal die
merkwuerdige Geschichte vom Seehunde erzaehlt." Ernst wollte diese
merkwuerdige Geschichte durchaus wissen. "Erfahre denn", sprach
Willibald, "dass Exters Palast dicht am Bosporus lag, so dass Stufen
von dem feinsten karrarischen Marmor hinabfuehrten ins Meer. Eines
Tages steht Exter auf der Galerie in die tiefsinnigsten Betrachtungen
versunken, aus denen ihn ein durchdringender gellender Schrei
hinausreisst. Er schaut hinab und siehe, ein ungeheurer Seehund ist
aus dem Meer hinaufgetaucht und hat einem armen tuerkischen Weibe, die
auf den Marmorstufen sass, den Knaben von dem Arm hinabgerissen, mit
dem er eben abfaehrt in die Meereswellen. Exter eilt hinab, das Weib
faellt ihm trostlos weinend und heulend zu Fuessen. Exter besinnt sich
nicht lange, er tritt dicht ans Meer auf die letzte Stufe, streckt
den Arm aus und ruft mit starker Stimme: 'Apporte!' - Sogleich steigt
der Seehund aus der Tiefe des Meers, im weiten Maule den Knaben,
den er zierlich und geschickt, wie auch ganz unversehrt dem Magier
ueberreicht und sodann jedem Dank ausweichend, sich wieder entfernt in
das Meer niedertaucht." - "Das ist stark - das ist stark", rief Ernst.
"Siehst du wohl", fuhr Willibald fort, "siehst du wohl, wie Exter
jetzt einen kleinen Ring vom Finger zieht und ihn Julien zeigt? Keine
Tugend bleibt unbelohnt! - Ausser dem, dass Exter dem tuerkischen
Weibe den Knaben gerettet hatte, so beschenkte er sie noch, als er
vernahm, dass ihr Mann ein armer Lasttraeger, kaum das taegliche Brot
zu verdienen vermochte, mit einigen Juwelen und Goldstuecken, freilich
nur eine Lumperei, hoechstens zwanzig- bis dreissigtausend Taler an
Wert; darauf zog das Weib einen kleinen Saphir vom Finger und drang
ihn Extern auf mit der Versicherung, es sei ein teures ererbtes
Familienstueck, das nur durch Exters Tat gewonnen werden koenne. Exter
nahm den Ring, der ihm von geringem Werte schien und erstaunte nicht
wenig, als er spaeter durch eine kaum sichtbare arabische Inschrift an
des Ringes Reif belehrt wurde, dass er des grossen Alis Siegelring am
Finger trage, mit dem er jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heranlockt und
mit ihnen konversiert." - "Das sind ganz erstaunliche Dinge", rief
Ernst lachend, "doch lass uns sehen, was dort in dem geschlossenen
Kreise vorgeht, in dessen Mitte ein klein Ding, wie ein
kartesianisches Teufelchen, auf- und niedergaukelt und quinkeliert." -

Die Freunde traten auf einen runden Rasenplatz, ringsumher sassen
alte und junge Herren und Damen, in der Mitte sprang ein sehr bunt
gekleidetes, kaum vier Fuss hohes Daemchen, mit einem etwas zu grossen
Apfelkoepfchen umher, und schnappte mit den Fingerchen und sang
mit einem ganz kleinen, duennen Stimmchen: "Amenez vos troupeaux
bergeres!" - "Solltest du wohl glauben", sprach Willibald, "dass dies
putzige Figurchen, die so ueberaus naiv und scharmant tut, Juliens
aeltere Schwester ist? Du merkst, dass sie leider zu den Weibern
gehoert, die die Natur mit recht bittrer Ironie mystifiziert, indem
sie trotz alles Straeubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermoege ihrer
Figur und ihres ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen
Naivitaet kokettierend sich und andern herzlich zur Last werden
muessen, wobei es denn oft an gehoeriger Verhoehnung nicht mangelt."
- Beiden Freunden wurde das Daemchen mit ihrer franzoesischen Faselei
recht fatal, sie schlichen daher fort wie sie gekommen und schlossen
sich lieber an den tuerkischen Gesandten an, der sie fortfuehrte
in den Saal, wo eben, da die Sonne schon niedersank, alles zu der
Musik vorbereitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der
Oesterleinische Fluegel wurde geoeffnet und jedes Pult fuer die
Kuenstler an seinen Ort gestellt. Die Gesellschaft sammelte sich
nach und nach, Erfrischungen wurden herumgereicht in altem reichen
Porzellan; dann ergriff Reutlinger eine Geige und fuehrte mit
Geschicklichkeit und Kraft eine Sonate von Corelli aus, wozu ihn der
General Rixendorf auf dem Fluegel begleitete, dann bewaehrte sich der
goldstoffne Harscher als Meister auf der Theorbe. Hierauf begann die
Geheime Raetin Foerd eine grosse italienische Szene von Anfossi mit
seltenem Ausdruck. Die Stimme war alt, tremulierend und ungleich, aber
noch wurde alles dieses durch die ihr eigne Meisterschaft des Gesanges
besiegt. In Reutlingers verklaertem Blick glaenzte das Entzuecken
laengst vergangener Jugend. Das Adagio war geendet, Rixendorf begann
das Allegro, als ploetzlich die Tuer des Saals aufgerissen wurde und
ein junger wohlgekleideter Mensch, von huebschem Ansehen, ganz erhitzt
und atemlos hinein und zu Rixendorfs Fuessen stuerzte. "O Herr
General! - Sie haben mich gerettet - Sie allein - es ist alles gut
alles gut! O mein Gott, wie soll ich Ihnen denn danken." So schrie
der junge Mensch wie ausser sich, der General schien verlegen, er hob
den jungen Menschen sanft auf und fuehrte ihn mit beschwichtigenden
Worten heraus in den Garten. Die Gesellschaft war von dem Auftritt
ueberrascht worden, jeder hatte in dem Juengling den Schreiber des
Geheimen Rates Foerd erkannt und schaute diesen mit neugierigen
Blicken an. Der nahm aber eine Prise nach der andern und sprach mit
seiner Frau franzoesisch, bis er endlich, da ihm der tuerkische
Gesandte naeher auf den Leib rueckte, rund heraus erklaerte: "Ich
weiss, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht zu erklaeren, welcher
boese Geist meinen Max hier so ploetzlich mit exaltierten Danksagungen
hineingeschleudert hat, werde aber sogleich die Ehre haben." - Damit
schluepfte er zur Tuere heraus und Willibald folgte ihm auf dem Fusse.
Das dreiblaettrige Kleeblatt der Foerdschen Familie, naemlich die
drei Schwestern, Nannette, Clementine und Julie, aeusserten sich
auf ganz verschiedene Weise. Nannette liess den Faecher auf- und
niederrauschen, sprach von Etourderie und wollte endlich wieder
singen: Amenez vos troupeaux, worauf aber niemand achtete. Julie
war abseits in den Winkel getreten und der Gesellschaft den Ruecken
zugewendet, war es, als wolle sie nicht allein ihr gluehendes Gesicht,
sondern auch einige Traenen verbergen, die ihr, wie man schon bemerkt,
in die Augen getreten. "Freude und Schmerz verwunden mit gleichem Weh
die Brust des armen Menschen, aber faerbt der dem verletzenden Dorn
nachquillende Blutstropfe nicht mit hoeherem Rot die verbleichende
Rose?" So sprach mit vielem Pathos die jeanpaulisierende Clementine,
indem sie verstohlen die Hand eines huebschen jungen, blonden Menschen
fasste, der gar zu gern sich aus den Rosenbanden, womit ihn Clementine
bedrohlich umstrickt und in denen er etwas zu spitze Dornen verspuert
hatte, losgewickelt. Der laechelte aber etwas fade und sprach nur: "O
ja, Beste!" - Dabei schielte er nach einem seitwaerts stehenden Glase
Wein, welches er gern auf Clementinens sentimentalen Spruch geleert.
Das ging aber nicht, da Clementine seine linke Hand festhielt, er aber
mit der Rechten soeben das Besitztum eines Stuecks Kuchen ergriffen.
In dem Augenblick trat Willibald zur Saaltuer herein und alles
stuerzte auf ihn zu mit tausend Fragen, wie, was, warum und woher? Er
wollte durchaus nichts wissen, zog aber ein verschmitzteres Gesicht
als jemals. Man liess nicht ab von ihm, weil man deutlich bemerkt,
dass er im Garten sich mit dem Geheimen Rat Foerd zum General
Rixendorf und zum Schreiber Max gesellt, und heftig mitgesprochen
hatte. "Soll ich denn", fing er endlich an, "soll ich denn in der Tat
die wichtigste aller Begebenheiten vor der Zeit ausplaudern, so muss
es mir vergoennt werden, zuvoerderst an Sie, meine hochzuverehrenden
Damen und Herren, einige Fragen zu richten." - Man erlaubte das gern.
"Ist Ihnen", fuhr Willibald nun pathetisch fort, "ist Ihnen nicht
allen der Schreiber des Herrn Geheimen Rat Foerd, Max geheissen, als
ein wohlgebildeten, von der Natur reichlich ausgestatteter Juengling
bekannt?" - "Ja, ja, ja!" rief der Chor der Damen. "Ist Ihnen",
frug Willibald weiter, "ist Ihnen nicht sein Fleiss, seine
wissenschaftliche Bildung, seine Geschicklichkeit im Geschaeft
bekannt?" - "Ja -ja!" rief der Chor der Herren, und wieder "Ja, ja,
ja!" der vereinigte Chor der Herren und Damen, als Willibald noch
frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteste Kopf, voller Possen
und Schnurren, sowie endlich als solch geschickter Zeichner bekannt
sei, dass Rixendorf, der als Dilettant in der Malerei Ungewoehnliches
leiste, es nicht verschmaeht habe, selbst ihm zweckmaessigen
Unterricht zu erteilen. "Es begab sich", erzaehlte nun Willibald,
"dass vor einiger Zeit ein junges Meisterlein von der ehrsamen
Schneiderzunft seine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch her, Baesse
schnurrten, Trompeten schmetterten durch die Gasse. Mit rechter Wehmut
sah des Herrn Geheimen Rats Bedienter, Johann, zu den erleuchteten
Fenstern herauf, das Herz wollte ihm springen, wenn er unter den
Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie er wusste,
auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum Fenster
herausguckte, da konnte er es nicht laenger aushalten, er lief nach
Hause, warf sich in seinen besten Staat und ging keck herauf in
den Hochzeitsaal. Er wurde wirklich zugelassen, freilich unter der
schmerzlichen Bedingung, dass im Tanz jeder Schneider vor ihm den
Vorzug haben sollte, wodurch er freilich auf die Maedchen angewiesen
wurde, mit denen ob ihrer Haesslichkeit oder sonstigen Untugenden,
niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Taenze versagt, aber
sowie sie den Geliebten sah, vergass sie alles, was sie versprochen,
und der beherzte Johann stiess das duennleibige Schneiderlein, das ihm
Jettchen abtrotzen wollte, zu Boden, dass es ueber und ueber purzelte.
Dies gab das Signal zum allgemeinen Aufstande. Johann wehrte sich wie
ein Loewe, Rippenstoesse und Ohrfeigen nach allen Seiten austeilend,
doch er musste der Menge seiner Feinde erliegen und wurde auf
schmaehliche Weise von Schneidergesellen die Treppe herabgeworfen.
Voll Wut und Verzweiflung wollte er die Fenster einwerfen, er
schimpfte und fluchte, da kam Max, der nach Hause ging, des Weges und
befreite den ungluecklichen Johann aus den Haenden der Scharwacht, die
eben ueber ihn herzufallen im Begriff stand. Nun klagte Johann sein
Unglueck und wollte durchaus nicht abstehen von tumultuarischer Rache,
doch gelang es endlich dem kluegern Max, ihn zu beruhigen, wiewohl
nur unter dem Versprechen, dass er sich seiner annehmen und die ihm
geschehene Unbill so raechen wolle, dass er ganz gewiss zufrieden sein
werde" - Willibald hielt ploetzlich ein. - "Nun? - nun? Und weiter? -
Eine Schneiderhochzeit - ein Liebespaar - Pruegel - was soll das dann
werden?" So rief es von allen Seiten. "Erlauben Sie", fuhr Willibald
fort, "erlauben Sie, Hochzuverehrende! zu bemerken, dass, um mit dem
beruehmten Weber Zettel zu reden, in dieser Komoedie von Johann und
Jettchen Dinge vorkommen, die nimmermehr gefallen werden. - Es koennte
sogar wider den feinsten Anstand gesuendigt werden." - "Sie werden's
schon einzurichten wissen, lieber Herr Willibald", sprach die alte
Stiftsraetin von Krain, indem sie ihn auf die Schulter klopfte, "ich
fuer meinen Teil kann einen Puff vertragen." - "Der Schreiber Max",
erzaehlte Willibald weiter, "setzte sich andern Tages hin, nahm
ein grosses schoenes Blatt Velinpapier, Bleifeder und Tusche, und
zeichnete mit der vollendetsten Wahrheit einen grossen stattlichen
Ziegenbock hin. Die Physiognomie dieses wunderbaren Tiers gab
jedem Physiognomen reichlichen Stoff zum Studium. In dem Blick der
geistreichen Augen lag etwas Ueberschwengliches, wiewohl um das
Maul und um den Bart herum einige Konvulsionen zitternd zu spielen
schienen. Das Ganze zeugte von innerer unaussprechlicher Qual. In der
Tat war auch der gute Bock beschaeftigt, auf eine sehr natuerliche,
wiewohl schmerzliche Weise ganz kleine allerliebste, mit Schere und
Buegeleisen bewaffnete Schneiderlein zur Welt zu befoerdern, die in
den wunderlichsten Gruppen ihre Lebenstaetigkeit bewiesen. Unter dem
Bilde stand ein Vers, den ich leider vergessen, doch irr ich nicht,
so hiess die erste Zeile: 'Ei was hat der Bock - gegessen.' Ich kann
uebrigens versichern, dass dieser wunderbare Bock" - "Genug - genug",
riefen die Damen, "genug von dem garstigen Tier - von Max, von Max
wollen wir hoeren." - "Besagter Max", nahm Willibald das Wort wieder
auf, "besagter Max gab das wohlausgefuehrte und vollkommen geratene
Tableau dem gekraenkten Johann, der es so geschickt an die
Schneiderherberge anzuheften wusste, dass einen ganzen Tag hindurch
das muessige Volk nicht von dem Bildnis wegkam. Die Strassenjungen
schwenkten jubelnd die Muetzen und tanzten jedem Schneiderlein, das
sich sehen liess, hinterher, und sangen und kreischten gewaltig:
'Ei was hat der Bock gegessen.' - 'Niemand anders hat das Blatt
gezeichnet, als des Geheimen Rats Max', sagten die Maler, 'niemand
hat die Worte geschrieben, als des Geheimen Rats Max', riefen
die Schreibmeister, als die ehrsame Schneiderzunft die noetigen
Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und sah, da er nicht wohl
leugnen konnte, einer empfindlichen Gefaengnisstrafe entgegen. Da
rannte er voll Verzweiflung zu seinem Goenner, dem General Rixendorf;
bei allen Advokaten war er schon gewesen. Die runzelten die Stirn,
schuettelten die Koepfe und sprachen von hartnaeckigem Ableugnen usw.,
was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General sprach dagegen:
'Du hast einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten
werden dich nicht retten, aber ich, und bloss darum, weil in deinem
Bilde, das ich bereits gesehen, korrekte Zeichnung und verstaendige
Anordnung ist. Der Bock, als Hauptfigur, hat Ausdruck und
Haltung, sowie die bereits auf dem Boden liegenden Schneider eine
gute Pyramidalgruppe bilden, die reich ist, ohne das Auge zu
verwirren. Sehr weise hast du den im Schmerz der Quetschung sich
hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe
behandelt, in seinem Gesicht liegt laokoontisches Weh! Ebenso
ruehmlich ist es, dass die fallenden Schneider nicht etwa schweben,
sondern wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu
gewagte Verkuerzungen sind recht huebsch durch die Buegeleisen
maskiert, auch hast du mit reger Fantasie die Hoffnung neuer Geburten
angedeutet.'" - Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der
Goldstoffne lispelte: "Aber Maxens Prozess, Verehrter?" - "'Indessen
nimm mir's nicht uebel', sprach der General", (so fuhr Willibald fort)
"'die Idee des Bildes ist nicht die deinige, sondern uralt; doch das
ist es eben, was dich rettet.' Mit diesen Worten kramte der General in
seinem alten Schreibschranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem
sich Maxens Gedanke sauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weise
ausgefuehrt befand, ueberliess denselben seinem Liebling zum
Gebrauch und nun war alles gut." - "Wie das, wie das?" rief alles
durcheinander, aber die Juristen, die sich in der Gesellschaft
befanden, lachten laut, und der Geheime Rat Foerd, der unterdessen
auch hineingetreten war, sprach laechelnd: "Er leugnete den animum
injuriandi, die Absicht zu beleidigen, und wurde freigesprochen."-
"Will soviel heissen", fiel Willibald ihm in die Rede, "als dass Max
sprach: 'Ich kann nicht leugnen, dass das Bild von meiner Hand ist;
absichtslos und ohne irgend die von mir so hochverehrte Schneiderzunft
kraenken zu wollen, kopierte ich das Blatt nach dem Original, das ich
hier mit diesem Tabaksbeutel, der dem General Rixendorf, meinem Lehrer
in der Zeichenkunst, gehoert, ueberreiche. Einige Variationen habe
ich meiner schaffenden Fantasie zu danken. Das Bild ist mir aus den
Haenden gekommen, ich habe es weder jemanden sonst gezeigt, noch gar
etwa angeheftet. Ueber diesen Umstand, in dem allein die Injurie
liegt, erwarte ich den Nachweis.' - Diesen Nachweis ist die ehrsame
Schneiderzunft schuldig geblieben und Max heute freigesprochen worden.
Daher sein Dank, seine unmaessige Freude." - Man fand allgemein,
dass doch die halb wahnsinnige Art und Weise, wie Max seinen Dank
geaeussert, durch die erzaehlten Umstaende nicht ganz motiviert
werde, nur die Geheime Raetin Foerd sprach mit bewegter Stimme:
"Der Juengling hat ein leicht verwundbares Gemuet und ein zarteres
Ehrgefuehl, als je ein anderer. Koerperliche Strafe erdulden zu
muessen haette ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben."
- "Vielleicht", fiel Willibald ein, "liegt hier noch etwas ganz
Besonderes im Hintergrunde." - "So ist es, lieber Willibald", sprach
Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der Geheimen Raetin
vernommen hatte, "so ist es, und will es Gott, so soll sich bald alles
recht hell und froehlich aufklaeren." -

Clementine fand die ganze Geschichte sehr unzart, Nannette dachte
gar nichts, aber Julie war sehr heiter geworden. Jetzt ermunterte
Reutlinger die Gesellschaft zum Tanze. Sogleich spielten vier
Theorbisten, unterstuetzt von ein paar Zinken, Violinen und Baessen,
eine pathetische Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen schauten
zu. Der Goldstoffne zeichnete sich aus durch zierliche und gewagte
Spruenge. Der Abend ging ganz heiter hin, so auch der andere Morgen.
Wie gestern sollte auch heute Konzert und Ball den festlichen Tag
beschliessen. Der General Rixendorf sass schon am Fluegel, der
Goldstoffne hatte die Theorbe im Arm, die Geheime Raetin Foerd die
Partie in der Hand. Man wartete nur auf die Rueckkehr des Hofrats
Reutlinger. Da hoerte man im Garten aengstlich rufen und sah die
Bedienten herausrennen. Bald trugen sie den Hofrat mit geisterbleichem
entstelltem Gesicht herein, der Gaertner hatte ihn unweit des
Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. - Mit
einem Schrei des Entsetzens sprang Rixendorf auf vom Fluegel. Man
eilte herbei mit spirituosen Mitteln, man fing an, dem Hofrat, der auf
einem Kanapee lag, die Stirne mit Koelnischem Wasser zu reiben, der
tuerkische Gesandte stiess aber alle zurueck, indem er unaufhoerlich
rief. "Zurueck, zurueck, ihr unwissenden ungeschickten Leute! - ihr
macht mir den kerngesunden, muntern Hofrat nur matt und elend!" -
Damit schleuderte er seinen Turban ueber alle Koepfe weg in den Garten
hinein, den Pelz hinterher. Nun beschrieb er mit der flachen Hand
seltsame Kreise um den Hofrat, die enger und enger werdend, zuletzt
beinahe Schlaefe und Herzgrube beruehrten. Dann hauchte er den Hofrat
an, der sogleich die Augen aufschlug und mit matter Stimme sprach:
"Exter! Du hast nicht gut getan, mich zu wecken! - Die dunkle Macht
hat mir den nahen Tod verkuendet, und vielleicht war es mir vergoennt
in dieser tiefen Ohnmacht hineinzuschlummern in den Tod." - "Possen,
Traeumer", rief Exter, "deine Zeit ist noch nicht gekommen. Schau
dich nur um, Herr Bruder, wo du bist, und sei fein munter wie es sich
schickt." - Der Hofrat wurde nun gewahr, dass er sich im Saal in
voller Gesellschaft befand. Er erhob sich ruestig vom Kanapee, trat in
die Mitte des Saals, und sprach mit anmutigem Laecheln: "Ich gab Ihnen
ein boeses Schauspiel, Verehrte! aber an mir lag es nicht, dass das
ungeschickte Volk mich gerade in den Saal trug. Lassen Sie uns ueber
das stoerende Intermezzo schnell hinweggehen, lassen Sie uns tanzen!"
- Die Musik begann sofort, aber als sich alles in der ersten Menuett
pathetisch wandte und drehte, verschwand der Hofrat mit Exter und
Rixendorf aus dem Saal. Als sie in ein entferntes Zimmer gekommen,
warf sich Reutlinger erschoepft in einen Lehnsessel, hielt beide
Haende vors Gesicht und sprach mit von Schmerz gepresster Stimme: "Oh,
meine Freunde! meine Freunde!" Exter und Rixendorf vermuteten mit
Recht, dass irgend etwas Entsetzliches den Hofrat erfasst haben
muesse, und dass er sich jetzt darueber erklaeren werde. "Sag's nur
heraus, alter Freund", sprach Rixendorf, "sag's nur heraus, dir ist,
Gott weiss auf welche Weise, Schlimmes im Garten begegnet." - "Aber",
fiel Exter ein, "ich begreife gar nicht, wie dem Hofrat heute, und
ueberhaupt in diesen Tagen Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt
sein siderisches Prinzip reiner und herrlicher sich gestaltet als
jemals." - "Doch, doch!" fing der Hofrat mit dumpfer Stimme an,
"Exter! es ist bald aus mit uns, der kecke Geisterseher klopfte nicht
ungestraft an die dunklen Pforten. Ich wiederhole es dir, dass die
geheimnisvolle Macht mich hinter den Schleier schauen liess - der
nahe, vielleicht graessliche Tod ist mir verkuendet." - "So erzaehle
nur was dir geschah", fiel Rixendorf ihm ungeduldig in die Rede, "ich
wette, dass alles auf eine wunderliche Einbildung hinauslaeuft, ihr
verderbt euch beide das Leben mit euern Fantastereien, du und Exter."

"So vernehmt es denn", fuhr der Hofrat fort, indem er aufstand von dem
Lehnstuhl, und zwischen beide Freunde trat, "so vernehmt es denn, was
mich vor Entsetzen und Graus in tiefe Ohnmacht warf. Ihr hattet euch
schon alle in dem Saal versammelt, als ich, selbst weiss ich nicht
wodurch, angetrieben wurde noch einsam einen Gang durch den Garten zu
machen. Unwillkuerlich lenkten sich meine Schritte nach dem Waeldchen.
Es war mir, als hoere ich ein leises, hohles Pochen und eine leise
klagende Stimme. - Die Toene schienen aus dem Pavillon zu kommen - ich
trete naeher, die Tuer des Pavillons steht offen - ich erblicke - mich
selbst! - mich selbst! - aber so wie ich war vor dreissig Jahren, in
demselben Kleide, das ich trug an jenem verhaengnisvollen Tage, als
ich in trostloser Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als
Julie wie ein Engel des Lichts mir erschien im braeutlichen Schmuck -
es war ihr Hochzeitstag - die Gestalt - ich - ich lag auf dem Boden
vor dem Herzen, und darauf klopfend, dass es hohl widerhallte,
murmelte ich: 'Nie - nie kannst du dich erweichen, du steinernes
Herz!' - Regungslos starrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es
durch meine Adern. Da trat Julie braeutlich geschmueckt, in voller
Pracht der bluehendsten Jugend, aus den Gebueschen hervor, und
streckte voll suessen Verlangens die Arme aus nach der Gestalt, nach
mir - nach mir dem Juenglinge! Bewusstlos stuerzte ich zu Boden!" Der
Hofrat sank halb ohnmaechtig in den Lehnstuhl zurueck, aber Rixendorf
fasste seine beiden Haende, ruettelte sie, und rief mit starker
Stimme: "Das sahst du, das sahst du, Bruder, weiter nichts? - Viktoria
lass ich schiessen aus deinen japanischen Kanonen! - mit deinem nahen
Tode, mit der Erscheinung ist es nichts, gar nichts! Ich ruettle dich
auf aus deinen boesen Traeumen, damit du genesen, und noch lange leben
moegest auf Erden." - Damit sprang Rixendorf schneller, als es sein
Alter zuzulassen schien, zum Zimmer heraus. Der Hofrat hatte wohl
wenig von Rixendorfs Worten vernommen, er sass da mit geschlossenen
Augen. Exter ging mit grossen Schritten auf und ab, runzelte
missmuetig die Stirn und sprach: "Ich wette, der Mensch will wieder
alles auf gewoehnliche Manier erklaeren, aber das soll ihm schwer
werden, nicht wahr, Hofraetchen? wir verstehen uns auf Erscheinungen!
- Ich wollt nur, ich haette meinen Turban und meinen Pelz!" - Dies
wuenschend pfiff er sehr stark auf einer kleinen silbernen Pfeife, die
er bestaendig bei sich trug, und sogleich brachte auch ein Mohr aus
seinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf trat die Geheime
Raetin Foerd hinein, ihr folgte der Geheime Rat mit Julien. Der Hofrat
raffte sich auf, und in den Versicherungen, dass ihm wieder ganz
wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen Vorfalls zu
vergessen, und eben wollten alle bis auf Exter, der sich in seiner
tuerkischen Kleidung aufs Sofa gestreckt, und aus einer uebermaessig
langen Pfeife, deren Kopf, auf Raeder gestellt, am Boden hin und
her schurrte, Tabak schmauchte und Kaffee trank, in den Saal
zurueckkehren, als die Tuer aufging, und Rixendorf hastig hereintrat.
An der Hand hielt er einen jungen Menschen in alttatarischer Kleidung.
Es war Max, bei dessen Anblick der Hofrat erstarrte. "Sieh hier dein
Ich, dein Traumbild", hub Rixendorf an, "es ist mein Werk, dass mein
trefflicher Max hier blieb und von deinem Kammerdiener aus deiner
Garderobe Kleider empfing, um gehoerig kostuemiert erscheinen zu
koennen. Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. - Ja, an
deinem steinernen Herzen, du harter unempfindlicher Oheim! kniete
der Neffe, den du unbarmherzig verstiessest, einer traeumerischen
Einbildung halber! Verging sich der Bruder schwer gegen den Bruder, so
hat er es laengst gebuesst mit dem Tode im tiefsten Elend - da steht
die vaterlose Waise, dein Neffe - Max, wie du geheissen, dir aehnlich
an Leib und Seele, wie der Sohn dem Vater - tapfer hielt sich der
Knabe, der Juengling auf den Wellen des brausenden Lebensstroms empor
- da - nimm ihn auf - erweiche dein hartes Herz! - reiche ihm die
wohltaetige Hand, dass er eine Stuetze habe, wenn zu sehr der Sturm
auf ihn einbricht." - In demuetiger gebeugter Stellung, heisse Traenen
in den Augen, hatte sich der Juengling dem Hofrat genaehert. Der stand
da geisterbleich, mit blitzenden Augen, den Kopf stolz in die Hoehe
geworfen, stumm und starr, aber sowie der Juengling seine Hand
erfassen wollte, wich er, ihn mit beiden Haenden von sich abwehrend,
zwei Schritte zurueck, und rief mit fuerchterlicher Stimme:
"Verruchter - willst du mich morden? - Fort - aus meinen Augen,
ja du spielst mit meinem Herzen, mit mir! - Und auch du Rixendorf
verschworen zum laeppischen Puppenspiel, das ihr mir auftischt? - fort
- fort aus meinen Augen - _du_ - _du_, der du zu meinem Untergange
geboren - du Sohn des schaendlichsten Ver..." - "Halt ein", brach
Max ploetzlich los, indem Zorn und Verzweiflung gluehende Blitze aus
seinen Augen schossen, "halt ein, unnatuerlicher Oheim - herzloser,
unnatuerlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und Schmach hast
du auf meines armen ungluecklichen Vaters Haupt gehaeuft, der
verderblichen Leichtsinn, aber nie Verbrechen in sich hegen konnte! -
Ich wahnsinniger Tor, dass ich glaubte, jemals dein steinernes Herz
ruehren, jemals, mit Liebe dich umfangene, meines Vaters Vergehen
suehnen zu koennen! - Elend - verlassen von aller Welt, aber an der
Brust eines Sohnes hauchte mein Vater sein muehseliges Leben aus -
'Max! - sei brav! - suehne den unversoehnlichen Bruder - werde sein
Sohn', das war das letzte, was er sprach. - Aber du verwirfst mich,
so wie du alles verwirfst, was sich dir naht mit Liebe und Ergebung,
waehrend der Teufel selbst dich mit truegerischen Traeumen umgaukelt.
- Nun, so stirb denn einsam und verlassen! - Moegen habsuechtige
Diener auf deinen Tod lauern und sich in die Beute teilen, wenn du
kaum die lebensmueden Augen geschlossen - statt der Seufzer, statt
der trostlosen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in den Tod
anhaengen wollten, magst du sterbend das Hohngelaechter, die frechen
Scherze der Unwuerdigen hoeren, die dich pflegten, weil du sie
bezahltest mit schnoedem Golde! - Niemals, niemals siehst du mich
wieder!" -

Der Juengling wollte zur Tuere hinausstuerzen, da sank Julie laut
schluchzend nieder, schnell sprang Max zurueck, fing sie in seinen
Armen auf, und heftig sie an seine Brust drueckend, rief er mit dem
herzzerreissenden Ton des trostlosesten Jammers: "O Julie, Julie,
alle Hoffnung ist verloren!" - Der Hofrat hatte dagestanden, zitternd
an allen Gliedern, sprachlos - kein Wort konnte sich entwinden den
bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Armen sah, schrie er
laut auf, wie ein Wahnsinniger. Er ging mit starkem kraeftigen Schritt
auf sie los, er riss sie von Maxens Brust hinweg, hob sie hoch in die
Hoehe und frug kaum vernehmbar: "Liebst du diesen Max, Julie?" - "Wie
mein Leben", erwiderte Julie voll tiefen Schmerzes, "wie mein Leben.
Der Dolch, den Sie in sein Herz stossen, trifft auch das meine!" - Da
liess sie der Hofrat langsam herab, und setzte sie behutsam nieder in
einen Lehnstuhl. Dann blieb er stehen, die gefalteten Haende an die
Stirn gedrueckt. - Es war totenstill ringsumher. Kein Laut - keine
Bewegung der Anwesenden! - Dann sank der Hofrat auf beide Knie.
Lebensroete im Gesicht, helle Traenen in den Augen hob er das Haupt
empor, beide Arme hoch ausgestreckt zum Himmel, sprach er leise und
feierlich: "Ewig wartende unerforschliche Macht dort oben, das war
dein Wille - mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schoss der
Erde ruhend, den frischen Baum emportreibt mit herrlichen Blueten und
Fruechten? - O Julie, Julie! - o ich armer verblendeter Tor!" - Der
Hofrat verhuellte sein Gesicht, man vernahm sein Weinen. - So dauerte
es einige Sekunden, dann sprang der Hofrat ploetzlich auf, stuerzte
auf Max, der wie betaeubt dastand, los, riss ihn an seine Brust, und
schrie, wie ausser sich: "Du liebst Julien, du bist mein Sohn - nein
mehr als das, du bist _ich_, _ich_ selbst - alles gehoert dir - du
bist reich, sehr reich - du hast ein Landgut - Haeuser, bares Geld
- lass mich bei dir bleiben, du sollst mir das Gnadenbrot geben in
meinen alten Tagen - nicht wahr, du tust das? - Du liebst mich ja! -
nicht wahr, du musst mich ja lieben, du bist ja ich selbst - scheue
dich nicht vor meinem steinernen Herzen, druecke mich nur fest an
deine Brust, deine Lebenspulse erweichen es ja! - Max - Max mein
Sohn - mein Freund, mein Wohltaeter!" - So ging es fort, dass allen
vor diesen Ausbruechen des ueberreizten Gefuehls bange wurde.
Rixendorf, dem besonnenen Freunde, gelang es endlich, den Hofrat zu
beschwichtigen, der, ruhiger geworden, nun erst ganz einsah, was er an
dem herrlichen Juenglinge gewonnen, und mit tiefer Ruehrung gewahrte,
wie auch die Geheime Raetin Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit
Reutlingers Neffen das neue Aufkeimen einer alten verlornen Zeit
erblickte. Grosses Wohlgefallen aeusserte der Geheime Rat, der viel
Tabak schnupfte und sich in wohlgestelltem nationell ausgesprochenem
Franzoesisch darueber ausliess. Zuvoerderst sollten nun Juliens
Schwestern von dem Ereignis benachrichtigt werden, die waren aber
nirgends aufzufinden. Nannettens halber hatte man schon in allen
grossen japanischen Vasen, die in dem Vestibule herumstanden,
nachgesehen, ob sie, zu sehr sich ueber den Rand beugend, vielleicht
hineingefallen, aber vergebens, endlich fand man die Kleine unter
einem Rosenbueschchen eingeschlafen, wo man sie nur nicht gleich
bemerkt, und ebenso holte man Clementinen in einer entfernteren Allee
ein, wo sie dem entfliehenden blonden Juengling, dem sie vergebens
nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief. "O der Mensch sieht
es oft spaet ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergesslich und
undankbar er war und wie gross das verkannte Herz!" - Beide Schwestern
waren etwas missmuetig ueber die Heirat der juengern, wiewohl viel
schoeneren und reizenderen Schwester, und vorzueglich ruempfte die
schmaehsuechtige Nannette das kleine Stuelpnaeschen; Rixendorf nahm
sie aber auf den Arm und meinte, sie koennte wohl einmal einen viel
vornehmeren Mann mit einem noch schoeneren Gute bekommen. Da wurde
sie vergnuegt und sang wieder: "Amenez vos troupeaux bergeres!"
Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: "In der haeuslichen
Glueckseligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Waenden
vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaelligste Bestandteil: ihr
Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphthaquellen der Liebe,
die aus den verwandten Herzen ineinanderspringen." - Die Gesellschaft
im Saal, die schon Kunde bekommen von den wunderlichen aber
froehlichen Ereignissen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit
den gehoerigen Glueckwuenschen losfahren zu koennen. Der Goldstoffne,
der am Fenster alles angehoert und angeschaut, bemerkte schlau: "Nun
weiss ich, warum der Ziegenbock dem armen Max so wichtig war. Haette
er einmal im Gefaengnis gesteckt, so war durchaus an keine Aussoehnung
zu denken." Alles applaudierte dieser Meinung, wozu Willibald die
Losung gab. Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als
der tuerkische Gesandte, der so lange auf dem Sofa geblieben, nichts
gesprochen, sondern nur durch Hin- und Herrutschen und durch die
seltsamsten Grimassen seine Teilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie
toll aufsprang und zwischen die Brautleute fuhr: "Was was", rief er,
"nun gleich heiraten, gleich heiraten? - Deine Geschicklichkeit,
deinen Fleiss in Ehren, Max! aber du bist ein Kiek-in-die-Welt,
ohne Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du setzest deine
Fuesse einwaerts und bist grob in deinen Redensarten wie ich vorhin
vernommen, als du deinen Oheim den Hofrat Reutlinger Du nanntest. Fort
in die Welt! nach Konstantinopel! - da lernst du alles was du brauchst
fuers Leben - dann kehre wieder und heirate getrost mein liebes holdes
Kind, das schoene Julchen." Alle waren ganz erstaunt ueber Exters
seltsames Begehren. Der nahm aber den Hofrat auf die Seite; beide
stellten sich gegenueber, legten einander die Haende auf die Achseln
und wechselten einige arabische Worte. Darauf kam Reutlinger zurueck,
nahm Maxens Hand und sprach sehr mild und freundlich: "Mein lieber
guter Sohn, mein teurer Max, tue mir den Gefallen und reise nach
Konstantinopel, es kann hoechstens sechs Monate dauern, dann richte
ich hier die Hochzeit aus!" - Aller Protestationen der Braut
unerachtet musste Max fort nach Konstantinopel.


Nun koennte ich, sehr geliebter Leser! wohl fueglich meine Erzaehlung
schliessen, denn du magst es dir vorstellen, dass Max, nachdem er aus
Konstantinopel, wo er die Marmorstufe, wohin der Seehund Extern das
Kind apportiert, nebst vielem andern Merkwuerdigen geschaut hatte,
zurueckgekehrt war, wirklich Julien heiratete, und verlangst wohl
nicht noch zu wissen, wie die Braut geputzt war und wieviel Kinder das
Paar bis jetzt erzeugt hat. Hinzusetzen will ich nur noch, dass am
Tage Mariae Geburt des Jahres 18- Max und Julie einander gegenueber im
Pavillon bei dem roten Herzen knieten. Haeufige Traenen fielen auf den
kalten Stein, denn unter ihm lag das ach! nur zu oft blutende Herz des
wohltaetigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen,
sondern weil er des armen Onkels ganze Lebens- und Leidensgeschichte
darin angedeutet fand, hatte Max mit eignet Hand die Worte in den
Stein gegraben:

        Es ruht!




*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE ***

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